Gerd Theißen Studien Zur Soziologie Des Urchristentums, 3. Auflage Wissenschaftliche Untersuchungen...

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Gerd Theißen Studien zur Soziologie des Urchristentums

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Gerd Theißen

Studien zur Soziologie

des Urchristentums

»-Das Neue Testament literatursoziologisch untersuchen heißt also: nach Intentionen und Bedingungen typischen

zwischenmenschlichen Verhaltens von Autoren, Tradenten und Adressaten neutestamentlicher Texte zu fragen.«

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament

Begründet von J oachim J eremias und Otto Michel Herausgegeben von

Martin Hengel und Otfried Hofius

19

Studien zur Soziologie des Urchristentums

von

Gerd Theißen

3., erweiterte Auflage

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J. C. B. Mohr (Paul Sieb eck) Tübingen

Den Kolleginnen, Kollegen und Studierenden am "Institut for Bibelsk Eksegese" an der Theologischen Fakultät der Universität Kopenhagen in dankbarer Erinnerung an die Jahre 1978-1980

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Theißen, Gerd: Studien zur Soziologie des Urchristentums / von Gerd Theißen. - 3., erw. Aufl.­Tübingen: Mohr, 1989.

(Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament; 19) ISBN 3-16-145448-0 brosch. ISBN 3-16-145449-9 Gewebe ISSN 0512-1604

NE:GT

1. Auflage 1979. 2. Auflage 1983 (erweitert). 3. Auflage 1989 (erweitert).

© J. C. B. Mohr (Paul Sieb eck) Tübingen 1979, 1989. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfil­mungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz und Druck: Gulde-Druck GmbH, Tübingen. Einband: Heinrich Koch, Groß buch­binderei Tübingen. Printed in Germany.

Vorwort

Die hier gesammelten Aufsätze gehören sowohl sachlich wie aufgrund ih­rer Entstehungsgeschichte zusammen. Aus einem Entwurf zu einer kleinen Studie über die Entwicklung vom Wanderradikalismus zum Liebespatriar­chalismus aus dem Jahre 1971 wurden im Laufe der Zeit elf Abhandlungen. Die vier Studien zu den synoptischen Evangelien stehen in Zusammenhang mit meiner Antrittsvorlesung in Bonn am25. 11. 1972 über den urchristlichen Wanderradikalismus. Die zuletzt entstandene Studie zur Feindesliebe geht sachlich auch auf das kritische Echo ein, das die Wanderradikalismusthese gefunden hat. Die vier Studien zu Paulus basieren auf Thesen zum Liebespa­triarchalismus, die ich bei meinem Habilitationskolloquium am 7.6.1972 vertreten habe. Man darf daher alle Aufsätze als Kapitel eines Buches auffas­sen, das eine einheitliche Konzeption aufweist, auch wenn sich im Laufe ei­ner fast zehnjährigen Arbeit kleine Modifikationen ergeben haben. Daß die­ses Buch nicht in einem Zug geschrieben wurde, hat nicht nur biographische Gründe; es ist auch sachlich begründet: Eine Soziologie des Urchristentums ist eine Lebensaufgabe, die noch viele Einzelstudien erfordert und in deren Verlauf sich die anfänglichen Arbeitshypothesen gewiß noch weiter modifi­zieren und differenzieren müssen.

Die Aufsatzsammlung wird durch drei Studien zur Forschungsgeschichte, zur Methodologie und zur Theoriebildung eingeleitet, wobei der for­schungsgeschichtliche Beitrag als Einleitung zum gesamten Aufsatzband ge­schrieben wurde. Der relativ große Anteil grundsätzlicher Reflexion ist auch auf die apologetische Situation zurückzuführen, in der diese Studien entstan­den sind. Die soziologische Fragestellung stieß zunächst auf Ablehnung. Man wies auf die Dürftigkeit der Quellen, die Einseitigkeit der Methode, die theologische Bedenklichkeit der Ergebnisse hin (und behauptete oft gleich­zeitig, es handle sich um nichts Neues). Die Beweislast für die Legitimität so­ziologischer Fragestellung wurde einseitig ihrem Befürworter zugeschoben, was zwar die positive Wirkung hatte, daß sich die Spekulationsfreudigkeit mancher literatursoziologischer Arbeiten von selbst verbot, was aber auch weniger erfreuliche Aspekte hat. Die folgenden Studien möchten gerne den Nachweis bringen, daß - entgegen mancher Skepsis - eine ruhig fortschrei­tende Forschung auf diesem Gebiete möglich ist, deren methodische Diszi­plin in Kontinuität zur historisch-kritischen Erforschung des Neuen Testa­mentes steht und auch dort, wo die Nähe zu aktuellen Fragestellungen un­verkennbar ist, eine kritische Distanz diesen gegenüber ermöglicht.

Allen Kollegen, welche die vorliegenden Arbeiten durch Kritik und Zu­stimmung gefördert haben, sei herzlich gedankt. Hier ist vor allem mein ver-

VI Vorwort

storbener Lehrer Ph. Vielhauer zu nennen, der diese Studien von vornherein als legitime und notwendige Fortsetzung der formgeschichtlichen Forschung angesehen hat. Von vielen anderen seien genannt: K. Berger, Ch. Burchard, H. Gülzow, E. A. Judge, U. Luz, W. A, Meeks, R. Morgan, J. H. Schütz, U. Wi1ckens, vor allem aber der Herausgeber dieser Reihe, M. Hengel, der sowohl das Entstehen einzelner Aufsätze wie diese Aufsatzsammlung geför­dert hat.

Herrn Georg Siebeck vom Verlag J. C. B. Mohr sei ebenso gedankt wie den mir unbekannten Arbeitern und Angestellten in Verlag und Druckerei. Meine Frau hat bei der Vorbereitung geholfen; ja, meine ganze Familie hat Belastungen in Kauf genommen, um mir wissenschaftliches Arbeiten zu er­möglichen - nicht zuletzt dadurch, daß ich nach fünf jähriger hauptberufli­cher Tätigkeit außerhalb der Universität seit 1978/79 im Ausland Neues Te­stament unterrichte.

Ich widme die hier gesammelten "Studien zur Soziologie des Urchristen­tums" meinen Kopenhagener Studenten und Kollegen als Dank für freund­liche Aufnahme in Dänemark. Ich danke besonders den Mitgliedern des Borchs Kollegiums, bei denen ich die ersten Wochen gelebt habe, und nenne hier stellvertretend den damaligen inspector collegii J esper Y deo Meine neu­testamentlichen Kollegen Martha Byskov, Lone Fatum, Niels Hyldahl und B({>rge Salomonsen mußten anfangs wegen meiner mangelnden Dänisch­kenntnisse Mehrarbeit übernehmen. Ihnen und allen Mitgliedern und Stu­denten des " Institut for bibelsk Eksegese" an der Kopenhagener Universität danke ich für angenehmes Arbeitsklima, mannigfaches Entgegenkommen und Verständnis.

Daß die Studie zu Feindesliebe und Gewaltverzicht in Dänemark entstan­den ist, hat angesichts deutsch-dänischer Vergangenheit auch eine symboli­sche Dimension.

Kopenhagen, August 1979 Gerd Theißen

Vorwort VII

Vorwort zur 2. Auflage In die zweite Auflage wurden neu aufgenommen eine bisher unveröffent­lichte Studie zur Wissenssoziologie der paulinischen Christologie, eine Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums und ein Stellenregister. Ansonsten blieb der Text der 1. Auflage - abgesehen von einzelnen Fehlerkorrekturen - unverändert. Michael Hoffmann danke ich für die Anfertigung des Registers, Hanna Kohns für die Überprüfung der zitierten Sekundärliteratur, Wolfgang Stegemann für Literaturhinweise für die Auswahlbibliographie. Auch die 2. Auflage ist meinen Kollegen und Kolleginnen am Institut for bibelsk Eksegese an der Kopenhagener Univer­sität und meinen dänischen Studenten in dankbarer Erinnerung an die Jahre 1978-1980 gewidmet.

Heidelberg, Januar 1983 Gerd Theißen

Vorwort zur 3. Auflage

Für die 3. Auflage wurde die Auswahl-Bibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums ergänzt und einige Fehler korrigiert. Für Hilfe beim Korrigieren, Bibliographieren und Anfertigen der Register und Druckvor­lage für die 3. Auflage danke ich Hubert Meisinger, Ulrich Scholz, Bernd Raebel, David Trobisch und Wega Schmidt-Thomee.

Heidelberg, den 23. 12. 1988 Gerd Theißen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. V

I. Grundsätzliches

1. Zur forschungs geschichtlichen Einordnung der soziologischen Fragestellung (Erstveröffentlichung 1. Auflage 1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2. Die soziologische Auswertung religiöser Überlieferungen. Ihre methodologischen Probleme am Beispiel des Urchristentums (Erstveröffentlichung in: Kairos 17, 1975,284-299) ............. 35

3. Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung und die Analyse des Urchristentums (Erstveröffentlichung in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 16, 1974,35-56) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

II. Evangelien

4. Wanderradikalismus. Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worten Jesu im Urchristentum (Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 70, 1973,245-271)

5. "Wir haben alles verlassen" (Mc. X,28). Nachfolge und soziale Entwurzelung in der jüdisch-palästinischen Ge­sellschaft des 1. Jahrhunderts n. ehr. (Erstveröffentlichung in: Novum Testamenturn 19, 1977, 161-196)

6. Die Tempelweissagung Jesu. Prophetie im Spannungsfeld von Stadt und Land

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(Erstveröffentlichung in: Theologische Zeitschrift 32,1976,144-158) . 142

7. Gewaltverzicht und Feindesliebe (Mt 5,38-48/Lk 6,27 - 38) und deren sozialgeschichtlicher Hintergrund (Erstveröffentlichung 1. Auflage 1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

x Inhaltsverzeichnis

IIl. Paulus

8. Legitimation und Lebensunterhalt. Ein Beitrag zur Soziologie urchristlicher Missionare (Erstveröffentlichung in: New Testament 5tudies 21, 1974/5, 192-221)

9. Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde. Ein Beitrag zur Soziologie des hellenistischen Urchristentums (Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 65,

201

1974,232-272) ................................... 231

10. Die Starken und Schwachen in Korinth. Soziologische Analyse eines theologischen Streites (Erstveröffentlichung in: Evangelische Theologie 35, 1975, 155 -172)

11. Soziale Integration und sakramentales Handeln. Eine Analyse von 1 Cor. XI 17 - 34 Erstveröffentlichung in : Novum Testamentum 16, 1974, 179 - 206)

12. Christologie und soziale Erfahrung. Wissens soziologische Aspekte paulinischer Christologie (Erstveröffentlichung 2. Auflage 1983) . . . . . . . . . . . . . . .

Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums

Stellenregister . .

Personenregister

Autorenregister .

Sachregister . . .

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I. Grundsätzliches

1.

Zur forschungs geschichtlichen Einordnung der soziologischen Fragestellung

Die soziologische Fragestellung gehört seit langem zur historischen Me­thode. Sie ist kein Neuansatz. Wer anders urteilt, verfällt einer optischen Täuschung. Er verwechselt das in den letzten Jahren in der öffentlichkeit neu entstandene Interesse für soziologische Fragestellungen mit einer wis­senschaftlichen Fragestellung, die sehr viel älter ist und deren forschungsge­schichtliche Kontinuität im folgenden von zwei Seiten her beleuchtet werden soll: Zunächst ist die soziologische Fragestellung als Konsequenz histo­risch-kritischer Exegese des Neuen Testaments darzustellen. Dann soll ge­zeigt werden, wie soziologische Theorien zu Impulsen historischer For­schung wurden. Ziel der Darstellung ist es, die in diesem Band gesammelten soziologischen Studien zum Urchristentum forschungsgeschichtlich ein­zuordnen, ihr Entstehen transparent zu machen, Anregungen und Hinter­gründe offen zu legen und ihren Zusammenhang mit anderen Aufgaben ge­genwärtiger Exegese darzustellen 1.

I. Die soziologische Fragestellung als Konsequenz historischer Methodik

Soziologische Fragestellungen liegen nahe, wo Geschichte nicht mehr ein­seitig als Kette von Ereignissen und Taten, sondern als Konstellation von Zu­ständen, von Sitten und Bräuchen, Normen und Institutionen betrachtet wird. Sie werden notwendig, wo sich die Geschichtsschreibung von der Konzentration auf die herrschenden Gruppen löst und zur Geschichts­schreibung aller Menschen wird. Sie gewinnen zentrale Bedeutung, wo man versucht, auch die großen Umbrüche der Geschichte, ihre Revolutionen und Krisen, Untergänge und Neuschöpfungen in Verbindung mit strukturellen Spannungen zu deuten, die schon immer unter der Oberfläche wirksam wa­ren.

1 Ein Forschungsbericht über die soziologische Erforschung des Urchristentums ist nicht be­absichtigt. Er wäre wünschenswert. Hier geht es nur um die im vorliegenden Band gesammelten Aufsätze. Dankbar bin ich für einige kritische Stellungnahmen. So stellte mir J. H. SCHÜTZ ein Arbeitspapier: "Steps toward a Sociology of Primitive Christianity: a Critique of the Work of Gerd Theissen" für eine Tagung der Arbeitsgruppe "Social World of Early Christianity" 1977 zur Verfügung. Gelernt habe ich ferner aus dem Vorwort von B. LAURET zur französischen Aus­gabe meines Büchleins: , ,Soziologie der J esusbewegung" ThEx 194, München 1977, das eine all­gemein verständliche Darstellung der Soziologie des palästinensischen Urchristentums bringt.

4 Zur Jorschungsgeschichtlichen Einordnung

So überrascht es denn nicht, daß die Altertumswissenschaft, zu der die neutestamentliche Exgese ebenso gehört wie zur Theologie, in mannigfacher Form soziologische Fragen kannte: als Erforschung antiker Institutionen (Th. Mommsen), als Untersuchung von Bevölkerungs- und Wirtschaftsge­schichte (K. Beloch), als Analyse sozialer Ideen und Auseinandersetzungen (R. v. Pöhlmann), vor allem aber als Auswertung archäologisch erfaßbarer überreste antiken Lebens (M. Rostovtzeff)2. Man darf wohl sagen: Solange sich die neutestamentliche Wissenschaft nicht von der Altertumswissenschaft trennt, wird sie immer soziologische Fragen stellen und, soweit die Quellen erlauben, zu beantworten versuchen.

Die wechselseitige Durchdringung von neutestamentlicher Wissenschaft und Altertumsforschung um die Jahrhundertwende war denn auch dadurch gekennzeichnet, daß soziologische Fragen wie selbstverständlich zur neute­stamentlichen Wissenschaft gehörten: Man beschrieb das Leben der urchrist­lichen Gemeinden (E. v. Dobschütz)3, untersuchte soziale Aspekte von Misson und Ausbreitung des Christentums (A. v. Harnack)4, stellte im Rahmen einer neutestamentlichen Zeitgeschichte die palästinensische Gesell­schaft dar (E. Schürer)5, analysierte die sozialen Ideen des Urchristentums (E. Troeltsch)6 und erhellte mit Hilfe von Epigraphik und Papyrologie das Leben der unteren Schichten (A. Deißmann)1. Vor allem aber formulierte man innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft jenes Programm, das noch heute für die soziologische Forschung bestimmend ist: die Form- und Religionsgeschichte (H. Gunkel) 8 • Es war kein Zufall, daß man gleichzeitig nach Zusammenhängen zwischen biblischen Texten und außerbiblischen Er­scheinungen fragte (und damit die Isolierung der Texte gegenüber ihrer U m­welt aufhob) - gleichzeitig aber auch nach Zusammenhängen zwischen Tex­ten und vergangenem sozialen Leben (und damit die Trennung der Texte vom Leben der Gemeinschaft rückgängig machte). Denn die Frage nach dem hi­storischen Kontext ist wie die Frage nach dem sozialen, ,Sitz im Leben" Aus­druck ein und desselben historischen Bewußtseins, jenes Bewußtseins, das

2 Zn den einzelnen Historikern vgl. K. CHRIST: Von Gibbon zu Rostovtzeff, Darmstadt 1972.

3 E. v. DOBSCHÜTZ: Die urchristlichen Gemeinden, Leipzig 1902. 4 A .. v. HARNAcK: Die Mission und Ausbreimng des Christenmms in den ersten drei Jahr­

hunderten, Leipzig 1902, 19244 •

5 E. SCHÜRER: Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, Leipzig 1890, 1898-19013.

6 E. TROELTSCH: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Ges. Schriften Bd. 1, 'fübingen 1912.

7 A. DEISSMANN: Das Urchristenmm und die unteren Schichten, Göttingen 19082 ; ders.: Licht vom Osten, Tübingen 1908.

B Vgl. W. KLATT: Hermann Gunkel. Zu seiner Theologie der Religionsgeschichte und zur Entstehung der formgeschichclichen Methode, FRLANT 100, Göttingen 1969.

Zur Jorschungsgeschichtlichen Einordnung 5

die Kritik der überlieferten Quellen mit deren Erklärung durch sachliche Analogien und kausale Korrelationen verbindet9 .

Betrachtet man die Zeit um die Jahrhundertwende, so deutete alles darauf hin, daß die soziologische Fragestellung einen unbestrittenen Platz in der neutestamentlichen Wissenschaft einnehmen werde. Zu erklären ist daher nicht, weshalb in den letzten Jahren eine neue soziologische Fragestellung entstand. Zu erklären ist, warum der Schein entstehen konnte, sie sei neu. Zu erklären ist, warum diese Fragen in einer Blütezeit neutestamentlicher Exe­gese so sehr zurücktreten konnten, daß man in einem 1970 veröffentlichten Forschungsbericht über die Entwicklung der neutestamentlichen Wissen­schaft im 20. Jh. vergeblich nach dem Stichwort "Soziologie" oder "Sozial­geschichte" suchen wird lO •

Will man dieses Phänomen erklären, so ist zu bedenken: Die neutesta­mentliche Wissenschaft übernahm die Formgeschichte mit einer gewissen Phasenverzögerung. Von vornherein waren die Möglichkeiten innerhalb des Neuen Testamentes begrenzter als im Alten Testament. Dort stand hinter den Texten die jahrhundertelange Geschichte eines Volkes, innerhalb derer sich immer wieder dauerhafte Institutionen hatten entwickeln können. Hier dagegen hatte man es mit der relativ kurzen Geschichte einer neuen religiösen Bewegung zu tun, die keineswegs genötigt war, alle Bereiche des Lebens durch institutionelle Vorkehrungen zu gestalten. Aber es lag nicht an diesen Schwierigkeiten, daß die neue Methode "ganz allgemein keine sehr günstige Aufnahme" fand ll . O. Cullmann gab einen anderen Grund an, als er die Formgeschichte mit der bisherigen Exegese konfrontierte: "Es stehen sich hier zwei verschiedene Auffassungen der Geschichte der Tradition gegen­über: die individualistische und die soziologische. Die positive oder negative Einstellung eines Forschers zu der neuen Methode ist stets mehr oder weni­ger bewußt von der Zustimmung oder Ablehnung der soziologischen Auffas­sung bestimmt. "12 Diese 1925 getroffene Feststellung könnte man heute mu­tatis mutandis wiederholen. Und das ist um so auffälliger, als sich die form ge­schichtliche Methode ja inzwischen durchgesetzt hat. Das Auffällige besteht darin, daß sich der in ihr enthaltene soziologische Ansatz nie so recht entfal­ten konnte, ja, daß das Interesse an soziologischen Fragen - verglichen mit

9 Vgl. E. TROELTSCH: über historische und dogmatische Methode in der Theologie (1898), in: Theologie als Wissenschaft, hrsg. v. G. Sauter, ThB 43, München 1971, 105-127.

10 W. G. KÜMMEL: Das Neue Testament im 20. Jahrhundert, SBS 50, Stuttgart 1970. Dieser ausgezeichnete Forschungsbericht gibt zweifellos zutreffend wieder, worauf die neutestamentli­che Exegese im 20. Jahrhundert bisher Wert gelegt hat. Der DDR-Autor H. J. GENlHE: Kleine Geschichte der neutestamentlichen Wissenschaft, Göttingen 1977, zeigt ein deutliches Interesse für gesellschaftliche Fragen, macht aber gerade deshalb deutlich, wie wenig sich die neutesta­mentliche Wissenschaft für sie interessiert hat: Ein Abschnitt "Der gesellschaftliche Rahmen" handelt von den Sakramenten!.

11 O. CULLMANN: Die neuen Arbeiten zur Geschichte der Evangelientradition (1925), in: und Aufsätze 1925-1962, Tübingen/Zürich 1966, 41-89, Zitat S. 52. CULLMANN, Die neueren Arbeiten, 60.

6 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung

der Zeit um die Jahrhundertwende - stark zurückging13 . Wie ist das zu erklä­ren?

Als die Formgeschichte innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft endlich zur Geltung kam, traf sie auf eine veränderte theologische Situation: Die dialektische Theologieveranlaßte die Exegese, sich auf den theologischen Gehalt der Texte zu besinnen. Historisch-kritische Exegese wurde zum In­strument theologischer Auslegung. Gerade die Formgeschichte erwies sich dabei als ausgezeichnete methodische Basis. Sie rechtfertigte die Forderung, Texte primär als Ausdruck der Gemeindetheologie und des Gemeindeglau­bens zu deuten. Die Frage nach dem sozialen "Sitz im Leben" wurde da­durch unter der Hand spiritualisiert: Es handelte sich nicht mehr um den Sitz im Leben überhaupt, sondern den Sitz im religiösen Leben. Man suchte we­niger nach den sozialen als nach den religiösen Interessen. Man arbeitete den geistigen Gehalt der Texte heraus, weniger ihre minder geistigen Hinter­gründe14 •

Dazu kam ein Zweites: R. Bultmann, der führende Vertreter der form ge­schichtlichen Methode, entwickelte eine faszinierende existenziale Herme­neutik neutestamentlicher Texte, deren individualisierender Zug das Inter­esse an der sozialen Dimension der Texte weiter verblassen ließ15. Gesell­schaftliche Zusammenhänge gehörten zum "Uneigentlichen" , von dem sich eine um "Eigentlichkeit" bemühte menschliche Existenz abheben mußte. Die neue existenziale Interpretation bewährte sich vor allem im Rahmen der Paulus- und Johannesexegese, die dadurch ein weit größeres theologisches Gewicht erhielt als die Auslegung der Synoptiker, in der die formgeschichtli­che Methode beheimatet war; ja, die formgeschichtliche Methode mußte oft dazu dienen, das theologische Gewicht der in den synoptischen Evangelien enthaltenen J esustraditionen herabzusetzen, teils durch eine weitgehende hi­storische Skepsis, teils durch Vorordnung des urchristlichen Kerygmas von Kreuz und Auferstehung vor die Vielfalt synoptischer überlieferung.

13 Nur ein der formgeschichtlichen Methode nahe stehender Neutestamentler schrieb eine kleine, lesenswerte Arbeit, nämlich E. LOHMEYER: Soziale Fragen im Urchristentum, Wissen­schaft und Bildung 172, Leipzig 1921 (= Darmstadt 1973). Der Anstoß zur soziologischen Fra­gestellung geht hier aber nicht von der Formgeschichte aus.

14 M. DIBELIUS: Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 1919,1933 2 , hebt hervor, daß der Sitz im Leben "die geschichtlich-soziale Lage, in der gerade derartige literarische For­men ausgebildet werden" (S. 7) ist. Er spricht von einem "soziologischen Zusammenhang" (S. 8). Man vergleiche damit die Umschreibung des Begriffes "Sitz im Leben" bei W. G. KÜM­MEL: Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme, Freiburg 1958, 19702 ,

419: "Noch wichtiger ... aber war die Erkenntnis, daß die Einzelüberlieferung ihren ,Sitz im Leben' im Gottesdienst hat, daß die Jesusüberlieferung ihre Erhaltung und Formung also nicht historischen, sondern glaubensmäßigen Interessen verdankt." J. ROLOFF: Das Kerygma und der historische J esus, Göttingen 1970,18 ff spricht mit Recht von einer "Synthesevon Kerygma­theologie und Formgeschichte" bei R. Buhmann und seinen Schülern.

15 R. BULTMANN: Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 1921, 4, betont, daß "Sitz im Leben" und "Gattung" soziologische Begriffe sind. Diese Erkenntnis hat jedoch keine soziologischen Studien nach sich gezogen.

Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung 7

Man kann daher feststellen: Die formgeschichtliche Methode hat sich nicht wegen, sondern trotz ihrer soziologischen Implikationen durchgesetzt. Sie konnte sich durchsetzen, weil sie sich mit theologischen Stromungen ver­band, die den ursprünglichen soziologischen Impuls neutralisierten, nämlich mit dialektischer Theologie und existenzialer Interpretation. Grundsätzlich jedoch hielt man daran fest, daß die urchristlichen Texte Texte einer Gemein­schaft sind, daß sie eine soziale Dimension haben.

Die Ausklammerung der sozialen Dimension wurde durch die redaktions­geschichtliche Forschung l 6, welche in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg die Führung übernahm, weiter gefördert - besonders dort, wo sie in einen (m. E. unberechtigten) Gegensatz zur Formgeschichte gebracht wurde. Die Redaktionsgeschichte lenkte die Aufmerksamkeit auf die individuellen Ver­fasser der Evangelien und ihre theologischen Gedanken. Die theologischen Entwürfe verschiedener urchristlichen Verfasser schienen wichtiger als das soziale Leben der Gemeinden zu sein. Die Evangelisten wurden oft eher in Gegensatz zu ihren Gemeinden gesetzt als in Kontinuität mit ihnen gesehen. Eine vergleichbare Tendenz zeigte sich in der Paulusdeutung, wenn man ihn mehr und mehr als Kritiker von Gemeindetendenzen verstand, als Kritiker von Enthusiasmus oder Sakramentalismus, von Apokalyptik oder Gnosis, und darüber übersah, daß Paulus selbst durch enthusiastische, sakramentali­stische und apokalyptische Züge mit seinen Gemeinden verbunden war. So kam es, daß redaktions geschichtliche Forschung und neuere Paulusexegese die spiritualisierenden Tendenzen neutestamentlicher Exegese eher förderten als verminderten, auch wenn sich redaktions geschichtliche Untersuchungen ohne weiteres mit soziologischen Fragestellungen verbinden könnten; nichts hindert uns ja daran, nach dem sozialen Hintergrund der Evangelienredak­tion zu fragen17 •

Der letzte Schritt in dieser Entwicklung ist der übergang von einer konse­quenten Redaktionsgeschichte zum Strukturalismus. Jetzt drohte der histo­rische Zusammenhang, in dem die Texte standen, vollends dem Blick des Exegeten zu entgleiten. Wenn man Texte ausschließlich als ein Geflecht von Beziehungen, Oppositionen und Affinitäten deutet - als ein Spiel weniger wiederkehrender Elemente aufgrund von grammatischen Regeln, die zu ihrer Erhellung nicht mehr des historischen Hintergrundes bedürfen, dann treibt

16 Vgl. J. ROHDE: Die redaktionsgeschichtliche Methode, Hamburg 1965. Natürlich darf man den Gegensatz nicht überbetonen: Auch die redaktionsgeschichtliche Forschung fragt nach der Situation der Gemeinde, in der die Evangelien entstanden sind. Mit Recht sagt W. MARX­SEN: Der Evangelist Markus, Göttingen 1956, 13: "Hier liegt also durchaus auch ein soziologi­sches Moment vor. Im Gegensatz zur Formgeschichte ist dieses aber verknüpft mit einem ,indi­vidualistischen' Zug, der an dem bestimmten Interesse, der Konzeption des jeweiligen Evangeli­sten orientiert ist. U

17 Ein Beispiel für soziologische Fragestellungen auf redaktionsgeschichtlicher Ebene sind W. STEG EMANNS Untersuchungen zum Lukasevangelium in: L. SCH OTrROFF IW. STEGEMANN : Jesus von Nazareth - Hoffnung der Armen, Stuttgart 1978, 89-153.

8 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung

man in der Tat "antihistorische" Exegese18 ; obwohl nicht einzusehen ist, warum nicht auch Strukturen ihre Geschichte haben sollten und warum es nicht zwischen Textstrukturen und sozialer Realität intime Zusammenhänge geben sollte19 • Die meisten Exegeten haben diesen Schritt zum Strukturalis­mus denn auch nicht nachvollzogen, teils weil die Fremdheit der neuen Me­thode abstieß, teils weil der Sinn fürs Historische zu stark war20 .

Dieser Sinn fürs Historische ist - verglichen mit der Jahrhundertwende -zweifellos zurückgegangen. Symptomatisch ist, daß die neutestamentliche Wissenschaft jene enge Verbindung mit den Altertumswissenschaften zu ver­lieren drohte, auf die sie von der Sache her ebenso angewiesen ist wie auf eine Verbindung mit den allgemeinen Fragestellungen von Theologie und Reli­gionswissenschaft. Teils ist das eine Folge wachsender Spezialisierung, teils Folge eines allgemein zurückgegangenen Interesses für die Antike, teils aber auch Auswirkung abnehmender humanistischer Bildung: Ein Theologe ver­fügte vor 70 Jahren von der Schule her über historische und philologische Kenntnisse, die er sich heute erst mühsam erwerben muß. Gerade in dieser Situation, als die Entwicklung der Exegese von der Formgeschichte zum Strukturalismus eine wachsende Isolierung von der Geschichte mit sich zu bringen drohte, setzte aus Gründen, die außerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft zu suchen sind, ein neues Interesse für soziologische Fragen ein, ein Interesse für die menschliche Wirklichkeit in und hinter den Texten, ein neues Verständnis für die Prosa des realen Lebens hinter der Poesie reli­giöser Vorstellungen. Das Aufkommen dieses Interesses läßt sich mit Hin­weisen auf die Studentenrebellion allein nicht erklären; war diese doch selbst nur das äußere, oft etwas irritierende Symptom eines tiefergreifenden Pro­zesses, der sich lange vorher angebahnt hatte: nämlich der Renaissance von Aufklärungstraditionen im Laufe der 60er Jahre, die eine konservative Re­stauration nach 1945 in Westdeutschland nicht hatte zur Wirkung kommen lassen und die nun um so intensiver neu entdeckt und diskutiert wurden. Zwei Impulse überkreuzten sich dabei: Auf der einen Seite Traditionen eines skeptischen Humanismus mit seiner Vorliebe für Empirie, Rationalismus und pragmatisches Handeln; auf der anderen Seite Traditionen eines utopi­schen Humanismus mit seinem leidenschaftlichen Protest gegen gesellschaft-

18 Der führende Vertreter strukturalistischer Auslegung ist E. GÜTTGEMANNS. Eine Zusam­menfassung seines Programms bietet er u. a. in: Generative Poetik - Was ist das?, in: H. Fischer (Hrsg.), 5prachwissen für Theologen, Hamburg 1974, 97-113: ferner in: Die Bedeutung der Lingustik für die Religionspädagogik, EvErz 27 (1975) 319-333. Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß ich die strukturalistische Methode akzeptiere, eine "antihistorische" Philoso­phie jedoch ablehne.

19 Ein Beispiel für eine Verbindung sozialgeschichtlicher und strukturalistischer Fragestel­lungen ist M. CLEVENOT: 50 kennen wir die Bibel nicht, München 1978.

20 Die positiven Möglichkeiten neuerer textlinguistischer und strukturalistischer Ansätze hat K. BERGER: Exegese des Neuen Testaments, UTB 658, Heidelberg 1977 aufgewiesen, ohne sie in einen falschen Gegensatz zu den traditionellen Methoden zu bringen.

Zur Jorschungsgeschichtlichen Einordnung 9

lieh zugefügtes Leid. Beide riefen ein lebhaftes Interesse an den Sozialwissen­schaften hervor, beide verbanden und vermischten sich, obwohl es auch deutliche Spannungen gab : Wer an der nüchtern-ernüchternden Erforschung realer Verhältnisse hinter den religiösen Texten interessiert war, mußte sich oft dem Wunsch versagen, Texte vorschnell als Impuls für gegenwärtiges Handeln auszulegen. Und umgekehrt mußte ein sozial-ethisches Engage­ment oft.jenem Pessimismus widersprechen, zu dem ein skeptischer Huma­nismus neigt. Jedoch war man in einem einig: Daß auf Ängste gegenüber kri­tisch-allzukritischer Analyse der Texte wohl menschlich, nicht aber sachlich Rücksicht zu nehmen sei. Und es war erfreulich, daß man hierbei der Zu­stimmung mancher älteren Exegeten sicher sein durfte.

Von dem neu aufgekommenen soziologischen Interesse bis zu soziologi­schen Forschungen zum Urchristentum war jedoch noch ein langer Weg zu­rückzulegen. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre war der forschungs ge­schichtliehe Stand neutestamentlicher Methodik für soziologische Fragen denkbar ungünstig, ja, er lief den soziologischen Interessen eher zuwider, als daß er ihm entgegenkam. Es war aber aus naheliegenden Gründen unmög­lich, daß sich ein mit kritischem Anspruch auftretendes soziologisches Inter­esse über den einmal erreichten Stand methodischen Bewußtseins hinwegset­zen konnte; man hätte den eigenen Anspruch kompromittiert. Vielmehr mußte man sich ausführlich mit Methodenfragen auseinandersetzen, um ge­gen gewisse methodologische Tendenzen in der neueren Exegese und ange­sichts einer weitgehenden Skepsis gegenüber soziologischen Fragestellungen die Möglichkeit sinnvollen Forschens auf diesem Gebiete überhaupt erst einmal deutlich zu machen. Es ist daher kein Zufall, daß sich in den hier ge­sammelten Studien immer wieder methodologische Reflexionen finden. Da die Problematik bei den Synoptikern und bei Paulus etwas anders ist, seien beide Bereiche gesondert besprochen.

a) Die synoptischen Evangelien

Die soziologische Erforschung der synoptischen Evangelien kombiniert zwei traditionelle exegetische Methoden: die zeitgeschichtliche Forschung, die es uns erlaubt, Grundstrukturen der palästinensischen Gesamtgesell­schaft im Rahmen der antiken Welt festzustellen21, und auf der anderen Seite die formgeschichtliche Methode, welche es ermöglicht, daß wir uns ein Bild von den Gruppen hinter den synoptischen Texten machen. Das Neue besteht vor allem darin, daß die Ergebnisse beider Methoden eng aufeinander bezo-

21 Zur Quellenproblematik nur so viel: Sieht man Geschichte als Ereignisgeschichte, so gibt es zwischen dem N euen Testament und antiken Historikern (vor allem J osephus) nur wenig Be­rührungspunkte. Interessiert man sich jedoch für die kontinuierlichen Strukturen, so läßt sich J osephus in weit größerem Ausmaß für das Verständnis des N euen Testaments heranziehen, als man im allgemeinen annimmt.

10 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung

gen werden, daß makro- und mikrosoziologische Erkenntnisse zu ihrer wechselseitigen Erhellung verbunden werden.

Die erste Voraussetzung war die Aufwertung der lange Zeit im Schatten stehenden zeitgeschichtlichen Forschung zum Neuen Testament, die weit mehr als eine bloße Hilfswissenschaft der neutestamentlichen Exegese ist. Historisches Interesse zielt auf die Einbettung eines Phänomens in seine konkrete Geschichte, und es verkümmert, wenn man die Texte bloß auf eine abstrakte "Geschichtlichkeit" bezieht. Es wurde bewußt, daß die Entwick­lung von Formgeschichte über Redaktionsgeschichte zum Strukturalismus nicht alles umfaßt, was neutestamentliche Wissenschaft heißt und heißen kann. Die oft von eher konservativ geprägten Forschern getragene zeitge­schichtliche Forschung hatte nie auf die Integration soziologischer Fragestel­lungen verzichtet. Es sei hier nur auf J. J eremias und sein viel zu wenig ge­würdigtes Werk "Jerusalem zur Zeit Jesu"22, auf F. C. Grants Arbeit über die ökonomischen Hintergründe der Evangelien23 , vor allem aber auf die grundlegenden Monographien M. Hengels hingewiesen24 : Seine Arbeiten über die Freiheitsbewegung in Palästina und die Begegnung von Judentum und Hellenismus in vorneutestamentlicher Zeit eröffneten wieder einen wei­ten Horizont, in dem das Urchristentum besser verständlich wurde. Sie set­zen die Entwicklung der allgemeinen Geschichtsschreibung voraus und fra­gen unbefangen nach der Verbindung religiöser Bewegungen und Gedanken mit der politischen und sozialen Wirklichkeit. Sie vertiefen den Eindruck, daß ein intensiver Kontakt mit der Altertumswissenschaft ein Schutzwall ge­gen die spiritualisierenden Tendenzen theologischer Forschung ist.

Es galt nun, Zeitgeschichte und Geschichte des Urchristentums enger zu verbinden und soziologisch auszuwerten. Wiederum war es kein Zufall, daß ein Altertumswissenschaftler, E. A. Judge, in einer kleinen und gehaltvollen Schrift über die "Sozialstrukturen christlicher Gruppen im ersten Jahrhun­dert" (1960) den ersten Schritt in diese Richtung tat25 • Ebensowenig war es ein Zufall, daß dieser Anstoß aus der angelsächsischen Welt kam. Denn dort war das Interesse an soziologischen Fragen nie ganz erloschen, wie die Arbei­ten der Chicagoer Schule zeigen26 • Das zeitweilige Zurücktreten soziologi-

22 J. JEREMIAS: Jerusalem zur Zeit Jesu, Göttingen 1924,19693 •

23 F. C. GRANT: The economic Background of the Gospels, Oxford 1926. 24 M. HENGEL: Die Zeloten, Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit

von Herodes 1. bis 70 n. Chr., AGJU 1, Leiden 1961,19762 ; dERs.: Judentum und Hellenis­mus, WUNT 10, Tübingen 1969, 19732 •

2S E. A. JUDGE: The Social Patterns of the Christian Groups in the First Century, London 1960 = Christliche Gruppen in nichtchristlicher Gesellschaft, WuppertaI1964. Dieses kleine Buch war für mich eine starke Ermutigung zu weiterführenden Untersuchungen. Vg!. ferner E. A. JUDGE: The Early Christians as a Scholastic Comrnunity, Journ. of. Re!. Hist. 1 (1960) 4-15; dERs.: St. Paul and Classical Society, JACh 15 (1972) 19-36.

26 B. S. J. CASE: The Social Origins of Christianity, Chicago 1923. Eine Reihe älterer und jüngerer amerikanischer Beiträge erscheint in dem Sammelband W. A. Meeks (Hrsg.): Zur So­ziologie des Urchristentums, ThB 62, München 1979. Das Interesse an soziologischen Fragestel-

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scher Interessen innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft ist mögli­cherweise ein ausgesprochen deutsches Phänomen.

Hier in Deutschland aber war die Heimat der Formgeschichte, also der zweiten Voraussetzung eines neuen soziologischen Interesses . Was lag nä­her, als diese überall anerkannte Methode wieder aufzugreifen und zu vertie­fen? Gerade damals veröffentlichte W. Klatt ein Buch über W. Gunkel und die Entstehung der formgeschichtlichen Methode27 und machte deutlich, daß die tatsächliche Entwicklung dieser Methode gemessen an den ursprüngli­chen Intentionen eine Verengung darstellte. Man darf wohl behaupten: Die soziologische Forschung zum Neuen Testament ist Erneuerung und Fort­führung des formgeschichtlichen Programms. Wie sich die Zeitgeschichte zur Sozialgeschichte weiter entwickelte, so muß sich auch die Formge­schichte zur Literatursoziologie ausweiten28 . Eine solche neutestamentliche Literatursoziologie wird sich in drei Punkten von der klassischen Formge­schichte unterscheiden, was den "Sitz im Leben" angeht (von der m. E. empfehlenswerten Weiterentwicklung der Analyse literarischer "Formen" zur strukturalistischen Gattungsanalyse kann hier abgesehen werden).

1. Der Formgeschichte ging es vor allem darum, Texte ihrem Sitz im Le­ben kleiner Gruppen zuzuordnen und deren Gebrauchssituationen aufzu­spüren. Literatursoziologie will darüber hinaus diese kleinen Gruppen und ihre Literatur im Rahmen der Gesamtgesellschaft deuten.

2. Die Formgeschichte hat vor allem die religiösen Interessen des Gemein­schaftslebens herausgearbeitet: Das Gemeinschaftsleben war Gemeindele­ben. Jetzt gilt es, mehr als zuvor, auch dessen nicht-religiöse Bedingungen freizulegen.

3. Die Formgeschichte sah die Gemeinden teilweise als schöpferische Kol­lektive an und bediente sich dabei eines romantisch gefärbten Gemein­schaftsbegriffes29 • Literatursoziologie fragt dagegen nach konkreten Rollen und Verhaltensmustern hinter den Texten. Sie teilt z. B. nicht die still­schweigende Voraussetzung vieler (nicht aller!) formgeschichtlichen Arbei­ten, die Texte seien vorwiegend in lokalen Ortsgemeinden geformt worden.

So merkwürdig es klingen mag: Die angeblich so neue soziologische Frage­stellung war eine Erneuerung und Fortsetzung älterer Methoden. Sie verband

lungen ist selbst soziologisch bedingt. Es kann kein Zufall sein, daß diese Fragestellungen in Amerika unbefangener als in Deutschland diskutiert werden, ja daß sich hier in den 70er Jahren bekannte Neutestamentler zur Arbeitsgruppe "Social World of Early Christianity" zusammen­tun konnten. Ein soziologisches Interesse ist auch in der skandinavischen Exegese vorhanden vgl. N. HYLDAHL: Udenfor og indenfor. Sociale og 0konomiske aspekter iden aeldste kristen­dom, Tekst og Tolkning 5, Kopenhagen 1974.

27 Vgl. Anm. 8. 28 Anregungen verdanke ich N. FÜGEN: Wege zur Literatursoziologie, Neuwied 1968,

11-35. Zu beachten ist, daß der Literaturbegriff in der heutigen Literaturwissenschaft so ausge­weitet wurde, daß er auch die "unliterarischen" Texte des Neuen Testaments umfaßt.

29 Darauf hat E. GÜTTGEMANNS mit Recht aufmerksam gemacht in: Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums, BEvTh 54, München 1970, 126-133.

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eine zur Literatursoziologie entwickelte Formgeschichte mit einer zur So­zialgeschichte tendierenden Zeitgeschichte. Das Neue lag in der Kombina­tion des Bekannten. Aufmerksame Beobachter haben das bald bemerkt und kritisiert: Die in der Synoptikerexegese vorherrschende redaktionsgeschicht­liche Methode schien übersprungen zu sein. Daran ist nur so viel richtig: Die Zuwendung zu soziologischen Untersuchungen geschah in dem Bewußtsein, daß die redaktionsgeschichtliche Forschung an die Grenzen ihrer Möglich­keiten gestoßen war. Von verschiedenen Seiten her wurde deutlich, daß man die Redaktoren der Evangelien überschätzt hatte:

1. Strukturalistische überlegungen zeigten mir bei meiner Arbeit über "Urchristli­che Wundergeschichten"30, daß Redaktion und Tradition oft in unzulässiger Weise gegeneinander ausgespielt wurden. Redaktion ist in vielen Fällen nur Aktualisierung der den Traditionen immanenten Möglichkeiten.

2. Die literarkritischen Untersuchungen T. Schramm's zum Markusstoff bei Lu­kas wiesen nach, daß Lk in gebundener Weise arbeitet31 • Wenn er abändert, steht er oft unter dem Einfluß paralleler überlieferungen. In dieselbe Richtung weisen über­einstimmungen zwischen Thomasevangelium und "Evangelienredaktion": Falls sich die Arbeitshypothese einer Unabhängigkeit des Thomasevangeliums von den Synop­tikern durchsetzt, wird man die vermeintlich redaktionellen Stellen in den Evangelien bzw. deren Entsprechungen im Thomasevangelium als Wiedergabe von Gemeinde­tradtion ansehen müssen32.

3. Schließlich sei auf Entwicklungen in der redaktions geschichtlichen Forschung selbst hingewiesen: Es verstärkt sich hier der Eindruck, daß z. B. Mk ein konservativ arbeitender Redaktor war, der seine Traditionen keineswegs tiefgreifend umgestalte­te, sondern sie samt ihren Widersprüchen und U nausgeglichenheiten weitergab33 .

Zweifellos ist die redaktions geschichtliche Methode ein wertvolles metho­disches Instrument. Alle genannten Untersuchungen bedienen sich ihrer. Aber es ist doch auffallend, daß strukturalistische, literarkritische und redak­tionsgeschichtliche Arbeiten übereinstimmend die Bedeutung der Evange­lienredaktoren relativieren. Eine maßvolle Redaktionsgeschichte34 , welche die Verfasser der Evangelien in Kontinuität mit ihren Traditionen und in en-

30 Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, StNT 8, Gütersloh 1974.

31 T. SCHRAMM: Der Markus-Stoff bei Lukas, SNTS 14, Cambridge 1971. 32 Zur Forschungslage vgl. Ph. VIELHAUER: Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin

1975, 618-635, bes. 624ff, der die Unabhängigkeitsannahme als Arbeitshypothese vorzieht. Dann aber müß ten die von W. SCHRAGE: Das Verhältnis des Thomas-Evangeliums zur synopti­sehen Tradition und zu den koptischen Evangelienübersetzungen, BZNW 29, Berlin 1964, her­ausgestellten übereinstimmungen zwischen TbEV und vermeintlich redaktionellen Synoptiker­steIlen ganz anders gewertet werden. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Scheidung zwi­schen Redaktionellem und Traditionellem dürfte erschüttert werden.

33 Vgl. E. BEST: Markus als Bewahrer der überlieferung, in: R. Pesch (Hrsg.): Das Mar­kus-Evangelium, WdF CDXI, Darmstadt 1979, 390-409 und R. PESCH: Das Markusevange­lium, HTbK II, 1 u. 2, Freiburg 1976/7.

34 Die Studie über Feindesliebe und Gewalrverzicht verfährt in diesem Sinne gemäßigt redak­tionsgeschichtlich.

Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung

ger Bindung an ihre Gemeinden sieht, scheint der Wirklichkeit mehr zu ent­sprechen als das Bild konsequent schaffender Theologen, die ihre Traditio­nen so souverän umprägten wie viele modernen Theologen heutzutage die christlichen Traditionen. Es bleibt daher bei der zentralen Einsicht der Formgeschichte: Die urchristliche Literatur ist Literatur religiöser Gruppen und muß im Zusammenhang mit deren Leben verstanden werden.

Obwohl also die hier vertretene soziologische Fragestellung in vielen Punkten auf die Formgeschichte zurückgreift, unterscheidet sie sich in einem Punkt deutlich von ihrer Vorgängerin: Sie enthält nicht schon aufgrund me­thodischer Prämissen jene radikale historische Skepsis gegenüber den Jesus­überlieferungen, welche die Formgeschichte auszeichnete. In ihr hatte sich das romantisch gefärbte Bild traditionsschaffender Kollektive vor den histo­rischen Jesus geschoben, und alle überlieferungen waren grundsätzlich zu­nächst als Ausdruck des Gemeindeglaubens zu analysieren. Die hier vertre­tene soziologische Methode ist dagegen neutral im Streit um die Historizität und Authentizität der J esusüberlieferungen. Methodisch wird nur vorausge­setzt, daß es im frühen Urchristentum eine Entsprechung zwischen Jesus­überlieferungen und dem Leben der überliefernden Gruppen gegeben hat, sei es daß die Tradition in Ubereinstimmung mit dem Leben der Tradenten ge­formt wurde, sei es daß diese ihr Leben nach den ihnen vorgegebenen über­lieferungen gestaltet haben. Das Ergebnis ist in beiden Fällen dasselbe: eine übereinstimmung zwischen Leben und überlieferung, die den Rückschluß von der überlieferung auf das hinter ihr stehende Leben ermöglicht. Diese methodisch bedingte Neutralität in der Leben-Jesu-Frage35 erhält freilich durch einige Ergebnisse eine eher "konservative" Färbung.

35 An diesem Punkte hat es Mißverständnisse gegeben, wie die Bemerkungen W. G. KÜM­MELS: Ein Jahrzehnt Jesusforschung, ThR 40 (1975) 326 f zeigen: Der Aufsatz zum "Wander­radikalismus" handelt von der überlieferung, nicht von der Entstehung der Wortüberlieferung. Die Annahme, in der mündlichen überlieferung werde modifiziert oder ausgeschieden, was der Präventivzensur der Gemeinschaft widerspreche, führt in der Anwendung auf die J esusüberlie­ferung zu einem höheren Zutrauen zur überlieferung, weil die urchristlichen Wandercharisma­tiker und J esus aufgrund desgleichen Lebensstils dieselben Interessen hatten. Die Wandercha­rismatiker wußten sich zudem als Boten Jesu. Daß die Behauptung unbewiesen sei, sie hätten sich mit J esus identifiziert, wenn sie seine Ich-Worte wiedergaben, läßt sich kaum sagen: "Wer euch hört, hört mich" (Lk 10,16) ist eine Variante des eindeutig aufWandercharismatiker bezo­genen Wortes: "Wer euch empfängt, empfängt mich ... " (Mt 10,40 vgl. auch Did IV,1). Der Bote ist Stellvertreter des Gesandten. Es ist ferner kein logischer Widerspruch, für die mündliche überlieferung mit einer größeren Flexibilität und Anpassung an die tradierenden Gruppen zu rechnen, für die schriftliche überlieferung dagegen mit der Chance, sich gegen die Tendenzen der tradierenden Gruppen zu behaupten. Das entspricht allgemeinen überlieferungsverhältnis­sen; und ich zweifle, ob in dieser Hinsicht, ,die durch die Autorität J esu als des Auferstandenen geleitete christliche Tradition ... anderen Gesetzen unterliegt", wie W. G. KÜMMEL schreibt: Der Glaube an den Auferstandenen hat die der mündlichen überlieferung eigene Variabilität eher verstärkt als vermindert. Ich bedaure diese weitgehenden Mißverständnisse des hochver­dienten Neutestamentlers um so mehr, als ich seinen gemäßigten Konservativismus hinsichtlich von Authentizitätsurteilen teile.

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Geht man von den sozialen Bedürfnissen einer religiösen Gemeinschaft aus, so haben diese Bedürfnisse in erstaunlich geringem Ausmaß die urchrist­liche überlieferung von J esus geprägt; man kommt hier zu sehr viel anderen Ergebnissen, als wenn man nur auf die theologischen Bedürfnisse achtet. Da­für nur ein Beispiel: Jede Gemeinschaft ist darauf angewiesen, klare Kriterien für Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu entwickeln, insbesondere aber das Aufnahmeverfahren zu präzisieren. Nun wird aber die Taufe nirgendwo in den synoptischen Evangelien auf den historischen J esus zurückgeführt, sondern immer nur auf den Auferstandenen36 • Vor allem aber hat der Streit darüber, ob auch die Beschneidung zu den Aufnahmebedingungen gehört, ein Streit, der die Christen in Palästina, wo die J esustraditionen überliefert und geprägt wurden, erregt und beschäftigt hat, nicht die geringste Spur in der synoptischen überlieferung hinterlassen - ein erstaunliches Faktum, wenn man die Jesusüberlieferung als Ausdruck von Gemeindebedürfnissen verstehen will.

Die Jesusüberlieferungen zeigen vielmehr viele Züge, die ein geregeltes Familienleben, eine anerkannte Hierarchie, ein gefestigtes Gemeindeleben eher erschweren. Sie weisen auf Trägergruppen, die sich den üblichen sozia­len Bindungen entzogen haben: auf wandernde Missionare, Propheten und Apostel, deren extreme Lebensform jene Freiheit einschloß, welche das radi­kale Ethos der synoptischen Tradition fordert. Will man nun die Entstehung dieses urchristlichen Wanderradikalismus historisch erklären, so gibt es nur eine sinnvolle historische Hypothese, nämlich die, daß er auf den histori­schen J esus zurückgeht und von ihm geprägt wurde37 • Die Wanderexistenz J esu und sein Ruf in die Nachfolge begründete die Lebensform des urchristli -chen Wandercharismatikertums, eine neue Variante sozialer Entwurzelung in Palästina, die sich von allen vorhandenen Varianten unterschied.

Wenn die in diesen Studien vorgelegte Annahme eines Wanderradikalis­mus als Träger entscheidender Teile der Jesusüberlieferung richtig ist, so wäre damit eine soziologische Kontinuität zum historischen J esus und sei­nem Wanderleben eröffnet38 , die das grundsätzliche Mißtrauen gegenüber der überlieferung unberechtigt erscheinen läßt. Sofern die formgeschichtli-

36 Vgl. Mt28,19 Mk 16,16. Eine Anweisung zur Taufe fehlt in der Aussendungsrede. Der Be­richt von J esu Taufe läßt keine aitiologischen Spuren erkennen. Die Kindersegnungsperikope läß t sich, wenn überhaupt, nur in ihrer lk Ausformung auf die Kindertaufe beziehen: Nur hier ist von "Säuglingen" die Rede (Lk 18,15); nur für Lk läßt sich ein Zusammenhang zwischen dem Stichwort "hindern" (Lk 18,16) und der Taufe belegen (Apg 8,2610,47). Vgl. zur Problematik O. CULLMANN: Die Tauflehre des Neuen Testaments, Zürich 1948, 65-73.

37 Zur historischen Verankerung des Nachfolgegedankens im Leben Jesu vgl. M. HENGEL: Nachfolge und Charisma, BZNW 14, Berlin 1968.

38 Bahnbrechend war hier H. SCHÜRMANN: Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition. Versuch eines formgeschichtlichen Zugangs zum Leben Jesu (1960), in: Traditionsgeschichtli­che Untersuchungen zu den Synoptischen Evangelien, Düsseldorf 1968,39-65. Schürmann hat mit Recht eine soziologische Kontinuität als Voraussetzung für eine überlieferungsgeschichtli­che Kontinuität postuliert.

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che Skepsis soziologisch begründet war, wäre sie nicht ausreichend begrün­det. Jedoch sei unterstrichen, daß ein größeres Zutrauen zur Historizität der überlieferung sich auf mannigfache überlegungen stützen muß, nicht nur auf soziologische39 •

Im Hinblick auf die Evangelienforschung kann zusammenfassend festge­stellt werden: Die soziologische Fragestellung ist Ergebnis einer langen For­schungsgeschichte; sie ist kein radikaler Neuansatz40 • Nur weil die in jeder historischen Methode enthaltenen soziologischen Ansätze in den vergange­nen 50 Jahren nicht angemessen zur Entfaltung kamen, erscheint sie man­chem irrtümlich wie ein Neuansatz. Wer die historische Methode bejaht, muß auch die soziologische Fragestellung bejahen, mag er einzelne Ergeb­nisse auch entschieden ablehnen. Wer sie ablehnt, lehnt im Grunde auch die historische Methode ab. Und was die theologischen Schwierigkeiten angeht, welche eine soziologische Erforschung des Neuen Testaments nach sich zieht, so darf man versichern: Sie sind nicht größer und nicht geringer als bei der historischen Forschung überhaupt.

39 Hier ist vor allem auf drei überlegungen hinzuweisen: 1. Der Abstand zwischen dem hi­storischen J esus und den Quellen ist in chronologischer, kultureller und theologischer Hinsicht zu diskutieren. Der kulturelle Abstand zwischen palästinensisch-aramäischer und helleni­stisch-griechischer Kultur wurde durch neuere Forschungen erheblich reduziert; Einzelüberlie­ferungen lassen sich über die schriftlichen Quellen hinaus zurückdatieren; der Einfluß des Osterglaubens und eines kerygmatischen Interesses muß im Einzelnen nachgewiesen werden. 2. Erwartungen hinsichtlich einer logischen Kohärenz gegenüber der Verkündigung J esu sind zu überprüfen: Wieviel Kohärenz darf man bei zeitgenössischen Gestalten erwarten? Wie groß ist sie bei den allgemein als echt angesehenen überlieferungen? 3. Die religionsgeschichtlichen Ab­grenzungskriterien sind einer Revision zu unterziehen: Die Abgrenzung vom Urchristentum ist z. B. entscheidender als die vom Judentum, da jüdische überlieferungen, bevor sie auf Jesus übertragen werden konnten, zunächst einmal urchristliche überlieferungen werden mußten. -Vor allem aber muß man sich klar machen: Wissenschaft besteht im Abwägen von Alternativen, um gegebene Daten und Quellen zu erklären. Die Alternative lautet nicht "echt" oder "un­echt", sondern: Ableitung aus dem Urchristentum oder von J esus. Wer die J esusüberlieferun­gen weitgehend aus dem Urchristentum ableitet, ist verpflichtet, ein Bild vom Urchristentum zu entwerfen, welches die geschichtliche Entstehung der J esusüberlieferung besser zu erklären vermag als die Annahme, Jesus selbst sei der entscheidende Faktor bei der Traditionsbildung gewesen. Im übrigen handelt es sich bei dieser Frage um das Abwägen wissenschaftlicher Hypo­thesen, nicht um Bekenntnisfragen.

40 Ich stimme M. HENGEL: Kein Steinbruch für Ideologen. Zentrale Aufgaben neutesta­mentlicher Exegese, LuthMon (1979) 23-27 zu: "Auch die durch den Reiz der Neuheit ausge­zeichneten linguistischen oder soziologischen Betrachtungsweisen treten nicht etwa neben die (oder gar an die Stelle der) historischen, sondern sind als neue Möglichkeiten (die so ganz neu nicht sind) in den bunten Strauß der bisher verwendeten Methoden einzubinden." (S. 24) Vor­sichtiger wäre ich beim Urteil über die ideologische Befangenheit neuerer Ansätze: Auch aus ei­ner einseitigen Perspektive kann man Zutreffendes sehen. Umgekehrt ist die theologische Exe­gese des Neuen Testaments in den Augen eines Marxisten ja auch sehr einseitig und Instrument einer konservativ-kirchlichen Ideologie. Die Erfahrung zeigt, daß die ideologischen Splitter in menschlichen Augen aus jeweils anderer Perspektive immer als Balken gesehen werden.

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b) Paulus

Viele der skizzierten Tendenzen treffen auf die Paulusforschung in glei­chem Maße zu. Die Hinwendung zu einer rein theologischen Betrachtungs­weise setzte sich hier sogar noch stärker durch; und das ist verständlich, be­eindruckt Paulus uns doch vor allem durch seine Theologie. In ihm tritt uns eine individuelle Gestalt von großer intellektueller Sensibilität entgegen. Eine soziologische Betrachtungsweise schien hier von vornherein den Gegenstand zu verfehlen; denn Soziologie sucht mehr nach dem Typischen als nach dem Individuellen, mehr nach dem Durchschnittlichen als nach Ausnahmen, mehr nach Alltagsgewißheiten als nach tiefbohrenden Einsichten, mehr nach dem Leben als nach der Theologie. Dennoch war in der historischen Erfor­schung der paulinischen Briefe immer eine soziologische Frage bewußt oder unbewußt beteiligt. Denn darüber bestand ja Einigkeit: Paulus war ohne seine Gemeinden nicht zu verstehen, Gemeinden aber sind unter anderem eine soziologisch erfaßbare Größe.

Die Paulusforschung schlug zwei methodische Verfahren ein, um das Ver­hältnis des Paulus zu seinen Gemeinden zu erhellen: die Situations- und die Traditionsanalyse. Durch eine Situationsanalyse versuchte man die Gemein­desituation zu erhellen und insbesondere den Charakter der Gegner des Pau­lus genau zu bestimmen. Durch Traditionsanalyse, d. h. durch die Heraus­arbeitung traditioneller Redewendungen, Formeln und Lieder, wies man nach, wie sehr auch Paulus in Gemeindetraditionen eingebettet war.

Die Situationsanalyse war weitgehend von der Frage nach den Gegnern des Paulus bestimmt. Die Forschung pendelte zwischen zwei Theorien, der Ju­daistenthese der Tübinger Schule und der Gnostikerthese der Marburger Schule (W. Schmithals)41, und entwickelte mannigfache Abwandlungen und Modifikationen. Beide Theorien bestechen durch ihre Einheitlichkeit und Konsequenz. Beide versuchen die mannigfaltigen Auseinandersetzungen des Paulus in einen umfassenden historischen Zusammenhang einzubetten, sie nicht nur als zufällige Erscheinungen, sondern als notwendige Konflikte her­auszustellen. Vergleicht man jedoch beide Theorien, so ist eine Tendenz deutlich: Die judaistische Theorie ordnet Paulus und seine Gegner historisch faßbaren Größen zu; sein Verhältnis zum petrinischen Urchristentum, zum Judentum, zum Gesetz wurden zum Schlüsselpunkt des Paulusverständnis­ses. Die gnostische Theorie bestimmte dagegen die Gegenspieler des Paulus fast ausschließlich theologisch - durch Erlösermythos, dualistische Anthro­pologie und präsentische Eschatologie, während es nicht gelang, ein deutli­ches historisches Bild von dieser Bewegung zu gewinnen. Die klassischen Fragen nach dem Wer? Wann? Wo? Warum? Unter welchen Umständen?

41 Vgl. W. SCHMIJHALS: Paulus und die Gnostiker, ThF 35, Hamburg 1965. Forschungsge­schichtlich war diese einseitige These notwendig. Das sollte man auch dann anerkennen, wenn man sie ablehnt.

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blieben unbeantwortet. Der Weg von der Judaisten- zur Gnostikerthese war somit eindeutig ein Weg zu einer größeren Spiritualisierung.

Dieselbe Tendenz zeigt sich bei der Traditionsanalyse42 • Während auf der einen Seite immer deutlicher wurde, daß Paulus von den Traditionen des Ur­christentums abhängig war, wurde gleichzeitig immer rätselhafter, warum er so wenig urchristliche Traditionen von J esus überliefert. Eine Lösung schien sich dadurch anzubieten, daß man die theologische Selbständigkeit des Pau­lus gegenüber seinen Gemeinden schärfer herausarbeitete. Konnte man doch zeigen, wie sehr er immer wieder von vorgegebenen Traditionen abwich, sie korrigierte und relativierte, so daß manchmal der Eindruck entstand, die Theologie des Paulus bestünde vor allem aus Korrektur und Kritik von Ge­meindetendenzen. Damit aber wurde das Licht vor allem auf den Theologen Paulus gelenkt, auf sein Interesse an der rechten, ,Lehre", auf seine theologi­sche Eigenwilligkeit und Eigenständigkeit. Beide methodischen Ansätze, Si­tuations- und Traditionsanalyse, führten dazu, in Paulus vor allem den theo­logischen Denker zu sehen. Gerade die Konzentration auf die paulinische Theologie führte jedoch zu einer überwindung des individualistischen exi­stenzialen Verständnisses. E. Käsemann43 arbeitete die in der paulinischen Theologie enthaltenen kosmischen und überindividuellen Zusammenhänge heraus, ohne die man paulinische Aussagen nicht verstehen kann; Paulus wußte um die Verbindung des Menschen mit der Welt und des Christen mit der Gemeinde. Lag es da nicht nahe, nun einen Schritt weiter zu gehen: Wenn Paulus die christliche Existenz in überindividuelle, oft mythisch formulierte Zusammenhänge einordnet, ist dann eine kritische Analyse nicht verpflich­tet, auch die faktischen überindividuellen Zusammenhänge herauszuarbei­ten? Das gilt um so mehr, als Paulus nicht nur Theologe, sondern in erster Li­nie Missionar war und seine praktische Tätigkeit selbst in einen weltweiten Rahmen einordnete. Dieser Rahmen läßt sich auch soziologisch analysieren, auch wenn solche Analyse keineswegs dem Selbstverständnis des Paulus ent­spricht. Dabei kann die Analyse wie bei den Evangelien von zwei Seiten her vorgehen: einmal von der allgemeinen Sozial- und Kulturgeschichte der Zeit, ferner von der Geschichte des Urchristentums.

Die allgemeine Sozial- und Kulturgeschichte hat zur Aufgabe, Verhal­tensmuster, die uns in den paulinischen Briefen begegnen, verständlich zu machen. Wenn Paulus in den korinthischen Briefen drei so grundlegende Themen wie Essen, Sexualität und Autorität anspricht, so können wir seine Aussagen nur richtig würdigen, wenn wir die durchschnittlichen und den Alltag bestimmenden Normen, Verhaltensweisen und Gewißheiten kennen. über diese Aufgabe herrscht grundsätzlich Einigkeit in der Exegese; tatsäch-

42 Ich verweise hier nur auf den zusammenfassenden Abschnitt bei Ph. VIELHAUER, Ge­schichte der urchristlichen Literatur, 9-57.

43 E. KÄSEMANN: Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969; DERS.: An die Römer, HNT 8a, Tübingen 1974.

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lich aber hat man sich meist sehr viel mehr für die großen religionsgeschichtli­chen Zusammenhänge interessiert als für Alltagsgewißheiten und -gewohn­heiten. Vor allem aber hat man wohl zu wenig darauf geachtet, daß solche Alltagsgewißheiten und -gewohnheiten oft schichtspezifisch gefärbt sind. In geschichteten Gemeinden können daraus Probleme entstehen.

Die allgemeine Sozial- und Kulturgeschichte muß nun mit der Geschichte des Urchristentums in Verbindung gebracht werden. Auch hier besteht die Aufgabe darin, neben theologischen Gegensätzen und Entwicklungen stär­ker die praktischen Erfordernisse des Lebens zu berücksichtigen: den Sitz im Leben. Die paulinische Theologie hat nun einen eindeutigen Sitz im Leben, sie ist Missionstheologie. Die paulinischen Briefe sind Missionsliteratur. Die früheste urchristliche Geschichte ist Missionsgeschichte44 • Die soziologi­schen Beiträge zu Paulus wenden sich vor allem dieser Seite des Paulus zu: seiner Rolle als Missionar und Gemeindegründer .

In dieser Rolle steht er in einern sozialen Bezugsnetz, das durch sein Ver­hältnis zu den lokalen Gemeinden, zu konkurrierenden oder kooperierenden Missionaren und zur "Außenwelt" des Juden- und Heidentums bestimmt ist. Eine primär in theologischen Kategorien denkende Situationsanalyse trennt oft nicht deutlich genug zwischen diesen sozialen Beziehungen, unter­scheidet z. B. nicht eindeutig zwischen einer Opposition in den Orts ge­meinden, Konkurrenten unter wandernden Missionaren und Gegnern in der Umwelt. Kategorien wie "judaistisch" und "gnostisch" können alles umfas­sen. Auf der anderen Seite gelingt es trotz solcher umfassender Kategorien nicht, die mannigfachen Auseinandersetzungen des Paulus in einen größeren historischen Zusammenhang zu bringen, wie es der Judaisten- und Gnosti­kerthese vorschwebte; zu verschieden sind die theologischen Probleme in­nerhalb der verschiedenen Auseinandersetzungen. So läßt sich z. B. nicht verkennen, daß bei den Konkurrenten in Galatien, Philippi und Korinth de­ren judaistischer Charakter immer mehr zurücktritt. Theologien scheinen re­lativ variabel zu sein; soziale Rollen sind dagegen sehr viel konstanter, so konstant wie die "banalen" Probleme des Broterwerbs und Lebensunter­halts, die mit erstaunlicher Regelmäßigkeit in den paulinischen Briefen, wenn auch nicht in allen, auftauchen.

Die vorliegenden soziologischen Studien zu Paulus führen folgende Ar­beitshypothese durch: Einmal daß die inneren Probleme der Orts gemeinden teilweise schichtbedingte Probleme sind und einer Lösung im urchristlichen Liebespatriarchalismus zustreben, d. h. einern Ausgleich zwischen den Schichten45 . Ferner daß die Spannungen zwischen Paulus und konkurrieren-

44 Es ist kein Zufall, daß eine Darstellung der Kirchengeschichte als Missionsgeschichte not­wendigerweise mit soziologischen Kategorien arbeiten muß. Vgl. H. GÜLZOW: Soziale Gege­benheiten der altkirchlichen Mission, in: H. Frohnes/U. W. Knorr (Hrsg.) Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, Bd. I, Die Alte Kirche, München 1974, 189-226.

45 Vgl. A. J. MALHERBE: Social Aspects of Early Christianity, Baton Rouge 1977, 29-59.

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den Missionaren - unabhängig von der variierenden Theologie der Konkur­renten - einen einheitlichen soziologisch beschreibbaren Aspekt aufweisen: nämlich eine Konkurrenz zwischen zwei Ausprägungen der urchristlichen Rolle des Missionars: des zielstrebigen Gemeindegründers und -organisators und des Wandercharismatikers, der von schon bestehenden Gemeinden lebt. Das wachsende Gewicht des in den Orts gemeinden beheimateten Liebespa­triarchalismus könnte ein zentrales Problem der Traditionsanalyse erhellen: Das Zurücktreten der J esusüberlieferung in der neutestamentlichen Brieflite­ratur. Ihre Radikalität war bei der Lösung der praktischen Gemeindepro­bleme nicht zu gebrauchen. Die Verhaltensmuster des Liebespatriarchalis­mus mit seiner Bindung an Haus und Familie widersprachen den Verhal­tensweisen des synoptischen Wanderradikalismus. Wo dennoch wie bei Pau­lus die J esusüberlieferungen vereinzelt zur Lösung praktischer Probleme herangezogen werden, werden sie uminterpretiert: Gegen die überlieferung gestattet Paulus in gewissen Fällen die Ehescheidung (I.Kor 7,8 ff), gegen die überlieferung ernährt er sich von seiner Hände Arbeit (1.Kor 9,3ff), gegen die überlieferung trennt er Abendmahl und allgemeine Mahlzeit (1.Kor 1l,2ff). Damit soll nicht die Möglichkeit ausgeschlossen werden, daß die synoptische überlieferung auch in den Orts gemeinden mehr und mehr be­kannt wurde. Aber es ist etwas anderes, eine überlieferung zu kennen - und zur Lösung der eigenen Probleme unmittelbar anzuwenden: Epiktet spricht mit Begeisterung von der Wanderexistenz des Kynikers, teilt sie aber deshalb nicht, sondern warnt junge Leute vor ihr (vgl. diss. 111,22).

Die hier vorgelegten soziologischen Studien stehen also in der Tradition jener Arbeiten, die Paulus durch Situations- und Traditionsanalyse in grö­ßere historische Zusammenhänge einordnen wollen, sie wollen jedoch diese Zusammenhänge nicht ausschließlich religions- und geistesgeschichtlich deuten, wie das bei dem Gegensatz von Enthusiasmus und Kreuzestheologie oder Gnosis und christlichem Kerygma der Fall ist. Auseinandersetzungen haben konkrete soziale und geschichtliche Träger. Insofern steht der hier vorgelegte Versuch der Tübinger Schule nahe, auch wenn das soziologische Gegenüber von Wandercharismatikertum und Liebespatriarchalismus des christlichen Hauses nicht nur inhaltlich etwas anderes ist als die geistes ge­schichtliche Dialektik von Judaismus und Paulinismus.

Auch für die Paulusforschung gilt also: Die soziologische Fragestellung greift auf Fragestellungen vergangen er Generationen zurück. Sie ist nichts Neues, sondern Konsequenz historischen Forschens. Dennoch stößt die so­ziologische Fragestellung oft auf prinzipielle Vorbehalte. Ein Mißverständ­nis läßt sich leicht ausräumen: Die soziologische Fragestellung ist keine um­fassende Interpretationsmethode. Die soziologische Auswertung eines Tex­tes ist von der Interpretation seiner Aussageabsicht deutlich zu trennen. Daß die Texte von ihrem Selbstverständnis her ganz anderes wollen, sollte so selbstverständlich sein wie die Erkenntnis, daß ihre Auswertung als histori­sche Quelle für geschichtliche Geschehnisse nur einen Bruchteil ihres Gehal-

20 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung

tes erfaßt. Aber unabhängig von solchen Mißverständnissen, scheint an der soziologischen Fragestellung etwas zu irritieren46 - als ergebe sie sich nicht wie selbstverständlich aus der bisherigen historischen Forschung, sondern weiche von ihr ab. Hängt das mit den im Hintergrund soziologischer Frage­stellung stehenden theoretischen Annahmen zusammen?

II. Soziologische Theorien als Impuls historischer Forschung

Auch die Vorbehalte gegenüber der soziologischen Fragestellung können im Zusammenhang mit der forschungs geschichtlichen Situation Anfang der 70er Jahre verständlich gemacht werden. Das Wiederaufleben aufkläreri­scher Traditionen war mit einer demonstrativen Abkehr vom historischen Interesse und einer deutlichen Bevorzugung systematischer und praktischer Anliegen verbunden. Die Kritik der jüngeren Generation wandte sich gegen ein historisches Bewußtsein, von dem sie den Eindruck hatte, es vertiefe sich liebevoll in die Mannigfaltigkeit geschichtlicher Erscheinungen und suche den Kontakt mit der Gegenwart vor allem auf existenzieller (also: privater) Ebene. Entsprechende Proteste hat es schon immer gegeben. Kritik des hi­storischen Bewußtseins ist der ständige Begleiter dieses Bewußtseins. Inner­halb der neutestamentlichen Wissenschaft gab ihr A. Schweitzer auf dem Höhepunkt historischen Forschens scharfen Ausdruck, als er zweierlei fest­stellte: Erstens, "daß die Theologie vor lauter Geschichte und ,Religionsge­schichte' das Denken beinahe verlernt hat"47 und es ein "Verhängnis der modernen Theologie" sei, daß sie "alles mit Geschichte vermischt vor­trägt"48; zweitens, daß den modernen Theologen "die starke Ausprägung des W ollens und HoHens auf die sittliche Endvollendung der Weh" fehle49 und ihnen deswegen das Verständnis für den, ,ethischen Enthusiasmus" J esu und des Urchristentums fehle50 •

Auch der Protest gegen das historische Bewußtsein ist also nicht neu. Daran ist berechtigt: Wer nur die religiösen Erscheinungen der Vergangen­heit analysiert, kommt nicht dazu, zu sagen, was denn Religion heute sein kann und sein soll; es sei denn, er geht von dem unerschütterten hermeneuti­schen Vertrauen aus, man müsse die großen Texte der Vergangenheit nur aus­legen, um zur Wahrheit zu gelangen. Aber dies Vertrauen war gerade in dem Augenblick erschüttert, als H. G. Gadamer ihm beredten Ausdruck ver-

46 In Rezensionen zu meinen Arbeiten begegnen Wendungen wie "eisige Schauer", , ,Qual", , ,kalte Dusche". Selbstverständlich ist, daß auch und gerade aus solcher emotionalen Distanz zu Thematik, Methodik und Denkstil wertvolle kritische Bemerkungen möglich sind.

47 A. SCHWEI1ZER: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (1906113) = Siebenstern Tb 77-80, München 1966, 526.

48 A. SCHWEI1ZER: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 622. 49 A. SCHWEI1ZER: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 624. 50 A. SCHWElTZER: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 625.

Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung 21

liehS1 • Die damalige Generation suchte die Wahrheit nicht im "Einrücken in die überlieferungsgeschichte" . Sie suchte nach der praktisch zu verwirkli­chenden Wahrheit. Es wurde daher die Forderung laut, die religiösen Texte der Vergangenheit so auszulegen, daß sie Impulse öffentlichen Handelns in der Gegenwart werden konnten. Dazu aber mußte man die soziale Dimen­sion der Texte erforschen. Kein Zweifel: Das neue Interesse für eine soziolo­gische Fragestellung ist in der geistigen Situation der rebellischen Generation verwurzelt. Das hat ihm Auftrieb gegeben, es aber auch mit all dem Mißver­ständnis und Mißtrauen belastet, das ebenso zwischen den Generationen aufbrach wie zwischen ruhiger wissenschaftlicher Arbeit und enthusiasti­schem Engagement.

Das Aufkommen eines theoretischen Interesses an einer Soziologie des Urchristentums ist nicht isoliert zu sehen. überall wandte sich damals das In­teresse den systematischen Aspekten historischer Fächer zu. Man trieb mehr Literaturtheorie als Literaturgeschichte, mehr Linguistik als Sprachgeschich­te, mehr Soziologie als Sozialgeschichte, ja einige trieben so intensiv Wissen­schaftstheorie, daß sie den Kontakt mit den empirischen Wissenschaften zu verlieren schienen. überall war das Bemühen vorhanden, sich nicht einfach von den konkreten Gegenständen des Faches fesseln zu lassen, sondern diese theoretisch zu durchdringen, herauszufinden, was denn eigentlich Literatur, Kunst, Religion und Gesellschaft sei, ehe man sich an die Mannigfaltigkeit geschichtlicher, literarischer, ästhetischer und religiöser Phänomene verlor. überall wollte man sich mit allgemeinen Kategorien Rechenschaft über Struktur, Wahrheit, Funktion und Sinn des jeweiligen Gegenstandes geben und nicht allein dessen Selbstauslegung vertrauen. Wer dieses Bemühen nur als haltloses "Hinterfragen", "Herumkritisieren" und "Theoretisieren" werten kann, hat vielleicht nie das Verlangen danach gespürt, zur größtmög­lichen intellektuellen Klarheit über einen Gegenstand zu gelangen, ihn so transparent wie möglich zu machen, ihn zu durchschauen - gerade in der Re­ligion, wo eine ehrfurchtgebietende Aura den Zugang zur Sache oft mehr er­schwert als erleichtert. Wie sehr sind die ersten Theologen des Mittelalters zu bewundern, die allein mit dem kümmerlichen Werkzeug ihrer Logik loszo­gen, um ihren Glauben zu erhellen! Und was steht uns alles zur Verfügung: Geschichtswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Ethnologie, Strukturalis­mus und Semantik - aber benutzen wir all das, um die Religion so transparent wie möglich zu machen? Es bedroht uns keine Inquisition, keine unerträgli­chen Existenzrisiken verunsichern uns; nichts könnte rechtfertigen und ver­hindern, daß wir nicht alle uns zur Verfügung stehenden Erkenntnisse und Methoden zur ErheBung der Religion einsetzten - es sei denn mangelnder Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.

Man kann sagen: Das Interesse an Religionssoziologie war Interesse an ei­ner Theorie der Religion. Eine Theorie der Religion begnügt sich jedoch

51 H. G. GADAMER: Wahrheit und Methode, Tübingen 1960.

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nicht mit der Entfaltung religiösen Selbstverständnisses. Sie deutet und er­klärt, sie interpretiert und rekonstruiert. Sie nimmt dabei einen tiefgreifen­den hermeneutischen Konflikt zwischen Selbstverständnis und dessen theo­retischer Durchdringung in Kauf. Religionstheorie ist nun einmal mit Reli­gionskritik verbunden. Und das mußte verständlicherweise Irritation wek­ken52 •

Freilich: Von einem religionstheoretischen Interesse bis zur methodisch begründeten Erhellung der urchristlichen Religion ist ein langer Weg. Die hier gesammelten Studien verstehen sich wohl als Vorarbeiten zu einer Theo­rie der urchristlichen Religion, jedoch seien zwei Einschränkungen hervor­gehoben.

Eine Theorie der urchristlichen Religion umfaßt viele Aspekte. Sie unter­sucht die durch den historischen Jesus hervorgerufene "Mutation" mensch­lichen Lebens hinsichtlich ihrer soziologischen, psychologischen und semio­tischen Aspekte. Historisch stellt sie Jesus als den entscheidenden Auslöser dieser Entwicklung dar, soziologisc~ untersucht sie gesellschaftliche Bedin­gungen und Auswirkungen dieser Veränderung, psychologisch analysiert sie alte religiöse Träume und Erwartungen und deren tiefgreifende Umgestal­tung im Urchristentum, semiotisch erhellt sie die mythische und metaphori­sche Sprache, in der eine dem Menschen bislang unzugängliche Erfahrung des Heiligen zur Sprache gebracht wird. Diese Andeutungen mögen genü­gen, um klar zu stellen: Religionssoziologie ist nur ein Aspekt einer umfas­senderen Theorie der urchristlichen Religion, einer Theorie, die noch nicht existiert, an der zu arbeiten, aber Aufgabe der gegenwärtigen exegetischen Generation ist. Eine zweite Einschränkung ist ebenso wichtig. Das Verhält­nis zwischen Soziologie und Geschichte kann entweder so bestimmt werden, daß die Geschichte Anschauungsmaterial für allgemeine soziologische Theo­rien bietet, oder so, daß soziologische Theorien der Erhellung konkreter ge­schichtlicher Prozesse dienen. Die vorliegenden Studien bevorzugen ent­schieden die zuletzt genannte Möglichkeit. Der Vorwurf, es würde hier eher Sozialgeschichte als Soziologie getrieben, wäre berechtigt, wenn es sich denn überhaupt um einen Vorwurf handelt53 • Entscheidend ist, daß das Span­nungsverhältnis zwischen geschichtlicher Wirklichkeit und theoretischen Annahmen bewußt bleibt. Wir können das Historische nie völlig mit Theo­rien durchdringen; es behält seine Widerspenstigkeit. Jedoch ist gerade diese Widerspenstigkeit ein fruchtbares Moment in der Entwicklung der Wissen-

52 In einer kleinen Arbeit: Argumente für einen kritischen Glauben oder: Was hält der Reli­gionskritik stand? ThEx 202, München 1978, habe ich mich bemüht, meine Antwort auf die mo­derne Religionskritik zu geben.

53 B. J. MALINA, CBQ 41 (1979) 176-178, stellt in einer Stellungnahme zu meinen soziologi­schen Arbeiten kritisch fest: "The ,sociology' is rather social description and/or social history in which the implicit sociological models are never clearly articulated" (S. 178), vor allem vermißt er "cross-cultural models" und weist auf eine Reihe möglicherweise weiterführende theoreti­sche Ansätze hin.

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schaft, da sie dazu treibt, Belege immer wieder neu im Lichte theoretischer Annahmen zu deuten und immer wieder neu theoretische Annahmen zu entwerfen, um den Belegen besser gerecht zu werden. Daran sollte kein Zweifel sein: Belege haben Vorrang; und theoretische Annahmen sind nur in dem Maße heranzuziehen, wie sie unbedingt nötig sind. Man muß so öko­nomisch wie möglich mit ihnen umgehen.

Die in den folgenden Studien verwandten theoretischen Annahmen lassen sich auf drei Wurzeln zurückführen: auf die verstehende, die marxistische und die funktionalistische Soziologie, ohne daß sich die folgenden Arbeiten einer bestimmten Konzeption verpflichtet fühlen. Sie verarbeiten Anregun­gen verschiedenster Art.

1. Anregungen der verstehenden Soziologie

Die verstehende Soziologie Max Webers war sich der Tatsache sehr be­wußt, daß unsere Begriffe und Theorien kein Abbild der Wirklichkeit sind, sondern ein Instrument, um sie zu deuten und zu messen. Das bringt der Be­griff des "Idealtypus" zum Ausdruck. Ein Idealtypus wird nach M. Weber "gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankengebilde. In seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankenbild nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar, es ist eine Utopie, und für die historische Arbeit erwächst die Aufgabe, in jedem ein­zelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Ide­albilde steht. "54

Auf eine von Max Weber eingeführte idealtypische Unterscheidung dreier Herrschaftsformen gehen die drei in der Abhandlung, ,Legitimation und Le­bensunterhalt" genannten Legitimationsformen zurück: einer charismati­schen, traditionalen und funktionalen 55. Wichtiger noch wurde eine idealty­pische Einteilung E. Troeltschs, der drei Sozialformen christlichen Glau­bens: Kirche, Sekte und Spiritualismus unterschied56 • Das war Anregung da­für, nach entsprechenden Sozialformen im Urchristentum Ausschau zu hal­ten, nämlich: Liebespatriarchalismus, Wanderradikalismus und (gnosti­scher) Spiritualismus. Aus dem Liebespatriarchalismus ging die Anstaltskir-

54 M. WEBER: Soziologie, Weltgeschichtliche Analysen, Politik, hrsg. v. J. Winckelmann, Stuttgart 1964" 235.

55 M. WEBER: Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: Soziologie, Weltge­schichtliche Analysen, Politik, 151-166. Diese Typen lassen sich natürlich so nicht im Neuen Testament wiederfinden. Hier gibt es keine rational-legale-bürokratische Herrschaftsform. Zum Problem vgl. jetzt B. HOLMBERG: Paul and Power. The Structure of Authority in the Pri­mitive Church as reflected in the pauline Epistles, ConiBibl, NTSer.11, Lund 1978.

56 E. TROELTSCH: Die Soziallehren der christlichen Kirchen (vgl. Anm. 6), 362 H.

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che hervor, Sekten57 griffen immer wieder auf das radikale Ethos der Wan­dercharismatiker zurück; der gnostische Spiritualismus fand seine Fortset­zung in vergleichbaren esoterisch-mystischen Kreisen. Im Neuen Testament zeichnet er sich in den Kreisen korinthischer "Gnostiker" und Pneumatiker ab, bildet dann aber vor allem im Johannes- und Thomasevangelium eine Synthese, die sich sowohl von den radikalen Verhaltensweisen des Wander­charismatikertums wie von dem temperierten Konservativismus des Liebes­patriarchalismus unterscheidet. Dieser Spiritualismus deutet die Jesustradi­tionen in Richtung auf eine größere Innerlichkeit um. Die konkreten und ra­dikalen Gebote verlieren ihre verhaltensprägende Kraft. Es bleibt nur noch ein Gebot: das Liebesgebot (loh 15,12). Und doch bleibt etwas von der alten Radikalität, nämlich die konsequente Abgrenzung von der Welt, die diesen Spiritualismus deutlich von der temperierten Anpassung an die Welt im ur­christlichen Liebespatriarchalismus unterscheidet. Dasselbe gilt von seiner Distanz zu Autoritätsgefügen: Alle sind "Freunde" (loh 15,15). Alle sind eins wie Gott und sein Gesandter (loh 17,11). Leider können wir die Sozial­form der hinter den johanneischen Schriften stehenden Gruppen nicht mehr deutlich feststellen 58. Sicher ist nur: Diese Gruppen müssen sich sowohl vom Wanderradikalismus wie vom Liebespatriarchalismus unterschieden haben.

Zunächst stand die Unterscheidung verschiedener Sozialformen im Vor­dergrund. Sie hängen jedoch möglicherweise eng zusammen. Das zeigen ei­nige sozialphilosophische Thesen C. F. v. Weizsäckers. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß v. Weizsäcker unabhängig von den hier vorgelegten Stu­dien das Phänomen des Wandercharismatikertums entdeckt hat. Er schreibt: "Ich wage die Behauptung, daß der, verglichen mit der Wissenschaft vom Alten Testament, so verwirrende Zustand der neutestamentlichen Exegese nicht enden kann, ehe man den Gedanken vollzieht, daß zentrale Texte wie die Bergpredigt zu Menschen gesprochen sind, die das Leben von Bettelmön­chen führen. "59 Oder: "Die Jünger, die mit dem Herrn gingen, lebten wie wandernde Mönche. Auf ihre Situation passen die Seligpreisungen und Re­geln der Bergpredigt, die Vorschriften der Aussendung (Matth. 10) ohne jede

57 Man kann jedoch die ganze urchristliche Bewegung als "Sekte" auffassen vgl. R. SCROGGS: The earliest Christian Communities as Sectarian Movement, in: J. Neusner (Hrsg.): Christianity, Judaism and Other Greco-Roman Cults, Stud.f.M.Smith, Leiden 1975, Bd. 2, S.1-23.

58 Vgl. dazu E. KÄSEMANN: Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen 1966, der die joh­anneische Gemeinschaft als "Relikt einer in den Winkel abgedrängten urchristlichen Gemein­schaft" (S. 73) bezeichnet. Eine Untersuchung der gnostischen Gruppenbildungen ist abhängig von der Publikation der N ag-Hamadi-Texte. Wahrscheinlich werden wir einige unserer Urteile revidieren müssen. V gl. schon jetzt K. KOSCHORKE: Eine neu gefundene gnostische Gemeinde­ordnung. Zum Thema Geist und Amt im frühen Christentum, ZThK 76 (1979) 30-60.

59 C. F. WEIZSÄCKER: Gedanken eines Nichttheologen zur theologischen Entwicklung Die­trich Bonhoeffers (1976) in: Der Garten des Menschlichen, München 1977,454-478, dort S. 461; vgl. ferner: Die Seligpreisungen (1975), ebd., 488-508, S. 493 f.

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U mdeutung. "60 Diese wandernden Bettelmönche verkörpern eine radikale Askese. Askese aber hat in vorindustriellen Gesellschaften bei notorisch knappen Gütern und grundsätzlich akzeptierter sozialer Hierarchie einen anderen Stellenwert als heute. Verzicht und Entsagung wird dort von allen gefordert: Von den Herrschenden als freiwillige Selbstbeherrschung und Disziplin, ohne die Herrschaft verfällt; von der Masse einfacher Leute als Be­scheidenheit, die mit den gegebenen Gütern zufrieden ist; von einer kleinen Gruppe religiöser Asketen als Weg zu Gott, der dem allgemeinen Verzicht­leisten erst Sinn und Würde gibt, so daß noch der einsam in der Wüste le­bende Eremit eine soziale Funktion hat. Es kann hier auf diese überlegungen C. F. v. Weizsäckers nur hingewiesen werden6 1, ebenso auf seine Betrach­tungen über das veränderte Problem der Askese in einer demokratischen Ge­sellschaft, die vom Gedanken der Freiheit und Gleichheit durchdrungen ist. Auf jeden Fall öffnen diese Betrachtungen die Möglichkeit dafür, daß der Weg vom Wanderradikalismus zum Liebespatriarchalismus mit seiner For­derung der Mäßigung und Rücksichtnahme an die Stärkeren und der Be­scheidung an die Abhängigen möglicherweise etwas sehr Grundlegendes -über die konkrete historische Problematik hinaus - veranschaulicht.

2. Anregungen der marxistischen Soziologie

Die ersten Versuche, das Urchristentum im Rahmen einer soziologischen Theorie zu deuten, stammen von Marxisten62 ; und viele theologische Bei­träge sind direkt oder indirekt durch marxistische überlegungen hervorgeru­fen. Auch diese Studien sind hinsichtlich zweier theoretischer Annahmen von marxistischen Anregungen bestimmt: erstens hinsichtlich der Annahme, daß religiöses Bewußtsein von nicht-religiösen sozialen Faktoren in weit größerem Maße abhängig ist, als religiöses Bewußtsein wahrhaben will; fer­ner hinsichtlich der These, daß diese nicht-religiösen Faktoren durch Kon­flikte gekennzeichnet sind.

Was die Abhängigkeitsthese angeht, so bedient sich marxistische Theorie sehr verschiedener Metaphern. Am bekanntesten ist die architektonische Metaphorik, Religion sei überbau zur materiellen Basis63 • Daneben begeg-

60 C. F. WEIZSÄCKER: Kirchenlehre und Welrverständnis, in: Deutlichkeit, München 1978, 137-153, dort S. 149.

61 C. F. WEIZSÄCKER: Gehen wir einer asketischen Weltkultur entgegen? in: Deutlichkeit, 73-113.

62 Ich denke vor allem an K. KAUTSKY: Der Ursprung des Christentums, Stuttgart 1921"1; vgl. ferner M. ROBBE: Der Ursprung des Christentums, Leipzig 1967, der wiederum von P. ALFARIC: Die sozialen Ursprünge des Christentums, Leipzig 1967 (frz. 1959) abhängig ist.

63 So die berühmte Formulierung von K. MARx: Zur Kritik der politischen Okonomie (1859), Berlin 1947,12 f: "Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomi­sche Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer über­bau erhebt."

26 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung

net eine optische Metaphorik, Religion sei Reflex der realen V erhältnisse64 ; ferner eine biologische Metaphorik, der Unterbau sei die Anatomie, der überbau die Physiologie65 ; und schließlich eine soziale Metaphorik: Der ma­terielle Unterbau entscheide letztinstanzlich über den Geschichtsprozeß66. Keine dieser Metaphern impliziert ein Kausalverhältnis zwischen materieller Basis und überbau: Das Fundament ist nicht Ursache des auf ihm ruhenden Hauses, die gespiegelte Realität nicht Ursache des Spiegels, die Anatomie nicht Ursache der Physiologie und die oberen Instanzen nicht Ursachen nach geordneter Instanzen. Und in der Tat käme man in Schwierigkeiten, wollte man ein direktes Kausalverhältnis zwischen ökonomischen Faktoren und Religion annehmen. Ich weise nur auf dreierlei hin:

a) Okonomische Faktoren wirken nicht unmittelbar auf menschliches Verhalten ein, sondern so, wie sie im Lichte eines bestimmten V orverständ­nisses gesehen werden. Die Motivationspsychologie hat uns gelehrt, daß Handeln durch die Spannung zwischen vorgegebenen "Sollwerten", d. h. Erwartungen, Normen, Werten, Interpretationen auf der einen Seite und "Istwerten", d. h. der tatsächlichen Situation motiviert wird. Zu diesen Sollwerten gehört aber auch die religiöse Tradition. Ihre Bedeutung richtig einzuschätzen, fällt einer Zeit schwer, in der sie immer weniger zu jenen das Handeln lenkenden "Sollwerten" gehört, in der vielmehr Erwartungen und Interpretationskategorien selbst weitgehend ökonomisch geworden sind. Gerade deshalb muß man vor der Rückprojektion unserer bewußten wie un­bewußten Handlungsmotivationen in vergangene Zeiten warnen. Sie er­schließen sich vielmehr erst dann, wenn man die Spannung zwischen religiö­ser Tradition und ökonomischer Entwicklung als Motiv für religiöses und soziales Handeln wertet67.

64 Vgl. F. ENGELS bekannten Brief an]. Bloch vom 21.122. Sept. 1890:" ... und nun gar die Reflexe aller dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische, juristische, philo­sophische Theorien, religiöse Anschauungen und deren Weiterentwicklung üben auch ihre Ein­wirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwie­gend deren Form." (in: Marx-Engels I. Studienausgabe, Frankfurt 1966, 226).

65 KARL MARx: Zur Kritik der politischen Okonomie, Berlin 1947, 12f: Rechtsverhältnisse und Staatsformen, also Teile des überbaus, werden dort als bürgerliche Gesellschaft bezeichnet und dann behauptet, "daß aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Okonomie zu suchen sei."

66 Vgl. F. ENGELS Brief an J. Bloch vom 21.122. Sept. 1890: "Nach materialistischer Ge­schichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produk­tion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase." Im übrigen gilt: Wenn man von Marxisten verlangen darf, daß sie sich von einem allzu simplen Reduktionismus lösen, so darf man von Theologen ebenso erwarten, daß sie ihre Kausalitätsangst überwinden.

67 Das kommt in der orthodox-marxistischen Analyse von H. KREISSIG: Die sozialen Zu­sammenhänge des jüdischen Krieges, Berlin 1970, eines ansonsten wertvollen Beitrages zur So­ziologie Palästinas im 1. ]hdt. n. ehr., zu kurz. Der Widerspruch zwischen Tradition und öko­nomischer Entwicklung steht dagegen im Zentrum der Analyse von H. G. KIPPENBERG: Reli-

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b) Man könnte nun einwenden: Die als Vorverständnis unser Verhalten bestimmenden religiösen und ethischen Traditionen sind zwar unabhängig von der jeweiligen Situation, sind aber selbst in früheren Zeiten einmal aus ökonomischen und sozialen Ursachen heraus entstanden, so daß hier allen­falls eine direkte durch eine indirekte Abhängigkeit ersetzt wird. Solch eine Argumentation verkennt, daß Ursachen, die eine Erscheinung einmal her­vorriefen, keineswegs mit jenen Ursachen identisch sind, die sie weiterhin am Leben halten, ein Sachverhalt, der aus der Evolution her vertraut ist; hier würde es niemandem mehr einfallen, Ursache und Funktion zu verwechseln. Ebenso gibt es auch in der Geschichte eine, ,funktionelle Au tonomie der Mo­tive" (G. W. Allport), derzufolge Auswirkungen einer Erscheinung unab­hängig sind von ihren Entstehungsursachen.

c) Will man das Urchristentum wirklich verstehen, so ist es nicht ausrei­chend, die materiellen Verhältnisse im Lichte traditioneller Deutungen auf ihre verhaltensmotivierende Kraft hin zu untersuchen. Vielmehr tritt in die­sen Deutungen ja gerade im Urchristentum ein tiefgreifender Wandel ein: eine radikale Umstrukturierung unseres Bewußtseins (einschließlich seiner unbewußten Zonen), die nur als eine der großen kulturellen Mutationen menschlichen Lebens verstanden werden kann. Hier werden traditionelle Elemente völlig neu kombiniert, und es fällt ein neues Licht auf die gegebene Situation. Wenn aber schon in der Evolution Mutationen unvorhersagbar auftreten - um wie viel mehr die großen geistigen, ,Mutationen", obwohl wir hier wie dort den Druck der Probleme in Rechnung stellen müssen, um Ent­stehung und Auswirkung einer solchen Metamorphose verstehen zu können.

So weitreichende Theorien wie die Abhängigkeitsthese müssen sich kon­kretisieren lassen, wenn sie für historische Arbeiten fruchtbar werden wol­len. Ein Beispiel ist die Entstehung des Wandercharismatikertums. Eine der Studien zeigt dessen Zusammenhang mit einer tiefgreifenden sozialen und ökonomischen Krise auf. Entstehung und Verbreitung des allgemeinen Ver­haltensmusters "Verlassen des Wohnsitzes" läßt sich m. E. nicht ohne öko­nomischen Druck erklären, was nicht ausschließt, daß dies Verhaltensmuster in besonderen Gruppen aus ethischen und religiösen Motiven aufgegriffen wurde wie im urchristlichen Wandercharismatikertum. Es ist dann nach wie vor ökonomisch bedingt, jedoch indirekt. Diese Deutung wurde kritisiert. Nachfolge und Wanderexistenz seien Flucht und Befreiung aus Verschul­dung und Not, nicht aber freiwilliger Besitzverzicht68 • Damit ist in einzelnen Fällen in der Tat zu rechnen. Aber es ist doch nur eine Möglichkeit. Die ur­christlichen Quellen deuten die Nachfolgeexistenz durchgehend als freiwilli-

gion und Klassenbildung im antiken Judäa. Eine religionssoziologische Studie zum Verhältnis von Tradition und gesellschaftlicher Entwicklung, Göttingen 1978.

68 L. SCHOTIROFF / W. STEGEMANN: Jesus von Nazareth (vgl. Anm. 17), l08ff: Die ethi­sche Interpretation entspräche lk Redaktionsarbeit, welche urchristliches Wandercharismatiker­turn nach dem Bilde kynischer Wanderphilosophen deute.

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gen Besitzverzicht: Mk 10,29 spricht von Häusern und Feldern, die man aufgegeben hat; Mk 1,16 ff von einem kleinen Fischerbetrieb mit Tagelöhnern. Der reiche Jüngling wird zu freiwilligem Besitzverzicht gerufen (Mk 10,21); daß er sich dem Ruf versagt, liegt nicht daran, daß er überhaupt etwas besaß, sondern daß er "viele Güter" sein eigen nannte. Levi verläßt seine Zollstation (Mk 2,14), und wenn er in der jetzigen Komposition der Überlieferung vor­her noch eine Mahlzeit veranstaltet (Mk 2,15ff), so wird er kaum als bitter­arm angesehen. Nun ist es natürlich prinzipiell möglich und legitim, einen Widerspruch zwischen den Aussagen der Quellen und den faktischen Bedin­gungen anzunehmen, nur müßte dieser Widerspruch wahrscheinlich ge­macht werden. Die Quellen weisen aber eher in eine andere Richtung. Nach ihnen stammt der Kern der frühesten Jesusbewegung aus mittleren Schich­ten. Es handelt sich um Handwerker, Fischer, Zöllner, Bauern69 . Von den untersten Schichten, d. h. von Pächtern, Tagelöhnern, Knechten und Skla­ven ist im Zusammenhang mit der Nachfolge nicht die Rede; und von den AI­lerärmsten hören wir in ganz anderem Sinne. Zu diesen Allerärmsten sind die Kranken, Besessenen und Behinderten zu zählen. Sie werden geheilt. Aber mit Ausnahme des blinden Bartimäus70 wird keiner von ihnen in die Nach­folge berufen. Typisch ist vielmehr, daß sie entlassen werden. Gerade sie nehmen die heimatlose Wanderexistenz J esu nicht auf. Daher ist an der These festzuhalten: Die urchristlichen Wandercharismatiker verstehen ihren Schritt in eine heimatlose Existenz selbst als freiwilligen Besitzverzicht. Sie greifen damit ein allgemeines Verhaltensmuster auf, dessen weite Verbrei­tung ganz gewiß ökonomisch bedingt ist. Im Einzelfall gibt es nun vielfältige Möglichkeiten. Mancher wird sich realer Not entzogen haben. Die Quellen aber weisen eher auf einen religiös motivierten freiwilligen Schritt. Man hat dieser Deutung vorgeworfen, sie sehe die Dinge allzu sehr durch die Brille des Wohlstands, der sich die Armut der Wandercharismatiker nur als Besitz­verzicht vorstellen könne71 . Darum sei betont: Es handelt sich hierbei nicht primär um eine Frage grundsätzlicher Einstellungen, sondern um eine Frage der Belege.

69 w. STEGEMANN: Jesus von Nazareth, 105, läßt das nur für Lk gelten: "Jesus ruft bei Lk keine Armen in den Jüngerkreis, sondern Besitzende, die noch etwas verlassen oder verkaufen können. Sie alle sind zwar kleine Leute (Fischer, Zöllner) - mit Ausnahme des reichen Vorste­hers, dessen Berufung ja auch mißglückt -, aber keine Bettelarmen". Das trifft aber ebenso auf Mk und Mt, ja wohl auch auf die historische Realität hinter den Evangelien zu.

70 Die Nachfolge des blinden Bartimäus könnte auf eine redaktionelle Notiz zurückgehen: In Mk 10,52 begegnet dasselbe "auf dem Wege" wie Mk 8,27 und 9,33. Sicher ist das jedoch nicht.

71 Mit der Möglichkeit unbewußter Projektionen aufgrund des eigenen sozioökonomischen Status muß man imme~ rechnen. Man muß sich z. B. davor hüten, mit der Zuordnung Jesu und seines engeren Jüngerkreises zu "mittleren Schichten" moderne Vorstellungen von einem pro­duktiven Mittelstand oder nostalgische Phantasien von dem idyllischen Leben kleiner Leute zu verbinden. In diesem Sinne habe ich vor Kleiner-Leute-Idyllik gewarnt. Anzunehmen ist, daß die mittleren Schichten ein karges Leben führten und ökonomischem Druck ausgesetzt waren. Die Warnung vor Kleiner-Leute-Idyllik in meinem Aufsatz zur sozialen Entwurzelung in Palä-

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Die Abhängigkeit der Religion von nichtreligiösen Faktoren kann in zwei­facher Weise im Rahmen der Gesamtgesellschaft gedeutet werden: einerseits als Beitrag der Religion zur Aufrechterhaltung des sozialen Gleichgewichts, andererseits als Beitrag zur Austragung sozialer Konflikte. Es handelt sich um zwei theoretische Modelle - nicht um Weltanschauungen. Und es ist zweckmäßig, sich für beide Modelle offen zu halten.

Die Konfliktthese ist marxistischer Herkunft. Ihre Problematik liegt nicht in der Annahme grundsätzlicher sozialer Konflikte. Hier ist sie vielmehr er­hellend und steuert der Tendenz zu harmonisierenden Deutungen entgegen. Ihre Problematik liegt darin, daß ein Konflikt in jeder Epoche zum aus­schlaggebenden Konflikt erklärt wird, der nun die Gesamtheit der gesell­schaftlichen Erscheinungen determinieren soll und als Motor der Entwick­lung verstanden wird. In der Antike wäre das der Konflikt zwischen Sklaven und Sklavenhaltern72 • Nun ist Sklaverei zweifellos ein grundlegender Be­standteil antiker Ökonomie. Aber sie ist im größeren Zusammenhang der Su­che nach völlig abhängigen Arbeitern zu sehen: Tagelöhner waren hier noch mehr ausnutzbar als Sklaven, für deren Unterhalt man immerhin sorgen mußte. Umgekehrt ist Sklaverei eine juristische Kategorie, die mit der öko­nomischen Kategorie "Armut bei völlig abhängiger Arbeit bzw. Arbeitslo­sigkeit" keineswegs identisch ist. Es gab auch reiche Sklaven. So kann man Zweifel bekommen, ob das Stichwort "Sklavenhaltergesellschaft" schon das Wesentliche trifft, gerade dann, wenn man der Ausbeutung abhängiger Ar­beit ein entscheidendes Gewicht beimißt.

In den folgenden Arbeiten wird mit einer Vielzahl von Konflikten gerech­net, die alle miteinander zusammenhängen. Die Arbeit über soziale Entwur­zelung untersucht den sozioökonomischen Konflikt, die Arbeit über die Tempelweissagung den sozioökologischen Konflikt zwischen Stadt und Land, die Arbeit über Gewaltverzicht und Feindesliebe den soziopolitischen Konflikt zwischen Römern und einem unterworfenen Volk.

Nach meinen Erfahrungen hinterlassen solche Analysen trotz gegenteili­ger Absicht oft den Eindruck einer reduzierenden Interpretation der Reli­gion. Darauf ist zu antworten: Solch ein Eindruck hängt weitgehend von dem V orverständnis ab, mit dem man sich solchen Untersuchungen nähert. Wer die christliche Religion nur als Echo göttlicher Ordnung verstehen kann, empfindet es notwendigerweise als desillusionierend, wenn sie sich auch als Echo sozialer Konflikte erweist. Wer dagegen bei sich selbst akzeptiert, daß auch die innersten überzeugungen einen Zusammenhang mit den erlebten

stina zielt also nicht darauf, die J esusbewegung möglichst weit von den Armen zu entfernen, wie W. STEGEMANN: Wanderradikalismus im Urchristentum? in: W. SCHOTIROFF/W. STEGE­MANN (Hrsg.), Der Gott der Kleinen Leute. Sozialgeschichtliche Auslegungen Bd. 2, N eues Te­stament, MüncheniGelnhausen 1979, 94-120, dort S. 117f aufgrund eines Mißverständnisses meint.

72 Vgl. M. 1. FINLEY: The Ancient Economy, London 1973, 62-94.

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und erlittenen sozialen Konflikten haben, wird solche Zusammenhänge bei den neutestamentlichen Texten leichter akzeptieren können. Es geht den fol­genden Studien weder um schadenfreudiges Desillusionieren noch um Bestä­tigung theologischer Kausalitätsangst. Es geht um Aufklärung über die sozia­len Ursprünge unserer Religion.

3. Anregungen der funktionalistischen Soziologie

Marxistisch inspirierte Ansätze fragen nach der Einwirkung der Gesell­schaft auf die Religion; funktionalistische Ansätze untersuchen eher die Ein­wirkungen der Religion auf die Gesellschaft. Es ist ein Trugschluß zu mei­nen, funktionalistische Ansätze enthielten keinen ideologiekritischen Sprengsatz. Im Gegenteil: Gerade weil sie die Auswirkungen der Religion nicht notwendigerweise den hinter der Religion liegenden Klassenverhältnis­sen zuschreiben, sondern der Religion selbst, kommen sie oft zu recht kriti­schen Urteilen: Sie machen die Religion selbst verantwortlich.

Die erste These ist: Intention und Funktion müssen unterschieden werden. Die wirklichen sozialen Auswirkungen sind oft ganz andere als die intendier­ten Auswirkungen. Eine Intention kann ohne Auswirkungen bleiben, kann Auswirkungen haben, die ihr direkt widersprechen oder so in Erfüllung ge­hen, daß die ursprünglichen Intentionen weitgehend modifiziert werden. Für jeden Fall sei ein Beispiel angeführt.

Ein Beispiel für eine gescheiterte Intention ist die Tendenz der Jesusbewe­gung, Konflikte im politischen Bereich zu reduzieren. In Mk 12,13 ff werden Religion und Politik so getrennt, daß man weder aus religiösen Gründen zum Widerstand gegen die Römer noch zum Gehorsam ihnen gegenüber ver­pflichtet ist. Der Ausgleich dieses Konfliktes mißlang. Das zeigt der jüdische Krieg. Fragt man daher nach den Auswirkungen der Jesusbewegung inner­halb der jüdisch-palästinensischen Gesellschaft, so muß man sich mit der Analyse der Ansätze begnügen. Der Akzent liegt dann notwendigerweise auf Psychologischem, d. h. auf Motiven, die nicht zur sozialen Auswirkung im Rahmen der Gesamtgesellschaft kamen.

Ein Beispiel für Auswirkungen, welche der ursprünglichen Intention di­rekt widersprechen, ist die Tempelkritik der Jesusbewegung. In ihr drückt sich zweifellos ein Wille zur Erneuerung des Judentums aus. Der Tempel ist Zentrum der jüdischen Religion. Ein neuer Tempel sollte an die Stelle des al­ten Tempels treten. Faktisch führte diese Tempelkritik jedoch dazu, daß sich die aus der J esusbewegung hervorgehende christliche Religion vom geogra­phischen Zentrum "J erusalem" und damit auch vom Judentum immer mehr trennte. Jesu Tempelkritik wird nämlich nach Apg 6,13f im Stephanuskreis weiter geführt, also jenem Kreis, in dem die Ursprünge der Heidenrnission zu suchen sind (Apg 11,19f). Das spätere hellenistische Urchristentum konnte dann die tatsächliche Tempelzerstörung in dem Sinne deuten, daß sich das Heil nun endgültig den Heiden zugewandt hat (vgl. sowohl Mt

Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung 31

22,1-13 mit dem Einschub V.7, der Jerusalems Zerstörung voraussetzt, wie Lk 21,24, wo Jerusalems Zerstörung die ,Zeiten der Heiden' zur Erfüllung bringt). Der Weg führt von der Absicht, die jüdische Religion von ihrem Zentrum her zu erneuern, zur Abwendung von ihr.

Aber auch dort, wo ein Integrationsversuch zu gelingen scheint, zeigen sich Elemente, welche der Intention widerstreben. Im Konflikt zwischen Starken und Schwachen und in den Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Abendmahl wird in Korinth wohl ein praktikabler Ausgleich gefunden, doch scheint die Position der Stärkeren sich mehr durchzusetzen als die der Schwä­cheren. Ihnen, den Reicheren und Wohlhabenderen, wird ein Freiraum ein­geräumt, wo sie den gewohnten Sitten nachgehen dürfen: zu Hause (1.Kor 11,34) oder bei privaten Einladungen (10,23 ff). Dort können sie sich den all­gemeinen Normen entziehen. Integration und Ausgleich ist auch in den frü­hen urchristlichen Gemeinden daran gebunden, daß den faktischen sozialen Verhältnissen, und d. h. den faktischen Ungleichheiten, Rechnung getragen wird - unabhängig davon, daß man von der grundsätzlichen Aufhebung die­ser faktischen Ungleichheit in der Gemeinde ausgeht (vgl. Gal 3,28 l.Kor 12,13).

Man kann so die ganze Entwicklung des Christentums als einen Wider­spruch zwischen Intention und faktischer Funktion analysieren. Einmal an­getreten, um das nahe Ende der Welt (einschließlich des Römischen Reiches) zu verkünden, wurde es schließlich zur staatstragenden Religion, welche die­sem Reich über seinen äußeren Zerfall hinaus ein langes Nachleben und Nachwirken bis heute ermöglichte.

Die zweite theoretische Annahme funktionalistischer Religionssoziologie, die bei der Analyse des Urchristentums eine Rolle spielen wird, ist die Inte­grationsthese: Religion integriert das Individuum in die soziale Ordnung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß funktionalistische Modelle vor allem in der Ethnologie angewandt wurden 73, also bei kleinen überschaubaren Gruppen, daß sie sich bei der Anwendung auf komplexe Gesellschaften aber verwan­deln müssen. Aber auch hier gilt: Religion legitimiert nicht nur die wider­strebenden Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, sondern die Ordnung des Lebens überhaupt - eine Ordnung, die alle gesellschaftlichen Gruppen umfaßt. Sie verleiht dieser Ordnung sinnhaften Charakter, so daß der Einzelne ihr auch dann die Treue hält, wenn er in soziale oder individuelle Krisen gerät, die ihn am Sinn dieser Ordnung zweifeln lassen. So etwa läßt sich die Religionssoziologie P. Bergers zusammenfassen74 • Hier ist nun zu betonen: Angesichts erlebter und erlittener Unordnung (Anomie) bringt Re-

73 Ethnologische Analogien sind besonders dann aufschlußreich, wenn es sich um die Kon­frontation einer eingeborenen Kultur mit einer überlegenen Fremdkultur handelt. Vg!. J. G. GAGER: Kingdom and Community. The Social World of Early Christianity, Englewood CliHs, 1975, 20 H.

74 P. L. BERGER: Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft (eng!. 1967) Frankfurt 1973.

32 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung

ligion vor allem die Suche nach einer neuen Ordnung zum Ausdruck. Nun geht das Urchristentum zweifellos von einer grundsätzlichen Anomieerfah­rung aus: Die Welt liegt im Argen (1 Joh 5,19). Ihre Gestalt vergeht (1.Kor 7,31). Man wartet auf eine neue Welt. Die Integrationsthese findet daher vor allem Anwendung, wenn man diese neue Welt, ihre Antizipation in kosmi­schen Symbolen wie in der sozialen Realität kleiner Gruppen, als Gegensatz zu der bestehenden Welt analysiert. Man denke etwa an die Symbolwelt der deuteropaulinischen Briefe: Hier wird soziale Integration im Rahmen kleiner religiöser Gruppen als Teil einer kosmischen Integration gedeutet, nachdem eine tiefgreifende Störung überwunden wurde (vgl. Kol 1,15 ff 3,11; E ph 2,13ff). Die Religion schickt sich an, einen neuen symbolischen Kosmos zu errichten, der Tendenzen einer sozialen Ordnung wiedergibt, aber weit über sie hinausreicht.

In den vorliegenden Studien liegt der Akzent auf der Analyse der sozialen Wirklichkeit, die hinter den symbolischen Welten steht. Auf die wissensso­ziologischen Analysen amerikanischer Neutestamentler sei ausdrücklich hingewiesen75 • Hier jedoch soll zunächst nach integrativen Zügen in der so­zialen Wirklichkeit gefragt werden.

Schon die frühe J esusbewegung zielte auf Integration. Untersucht man die sozialen Gruppen, denen das Reich Gottes zugesprochen wird, so wird man feststellen: Es handelt sich um Gruppen, die in der bestehenden sozialen Wirklichkeit negativ bewertet werden, die nicht in das soziale Leben inte­griert sind. Sie widersprechen entweder physischen, sozialen oder morali­schen Werten. Es sind 1) die Behinderten (vgl. Mk 9,43ff), die Kastrierten (Mt 19,11f), die Kinder (Mk 10,13 ff), denen das Reich Gottes zugesagt wird - also Gruppen, denen die physischen Werte leiblicher Integrität, Ge­schlechtlichkeit und Alter fehlen. Es sind 2) die Armen (Mt 5,3), die Auslän­der (Mt 8,11 ff) und die Sanftmütigen (Mt 5,5) - also Gruppen, denen die so­zialen Werte des Reichtums, der Nationalität und der Macht fehlen. Es sind 3) die Zöllner und Prostituierten (Mt 21,32), die zum Reich Gottes Zugang haben, moralisch diskriminierte Gruppen. Was realisierte sich davon? Nun, in den hellenistischen Urgemeinden können wir eine gewisse Tendenz zur Integration zwischen Juden und Heiden, Reichen und Armen, Gesunden und Kranken, Gebildeten und Ungebildeten feststellen. Diese integrative Sozialform wird hier Liebespatriarchalismus genannt. Gleichzeitig aber stieß man viele von sich (1. Kor 5,9ff).

Die christologische Symbolik bringt diese Tendenz zur überwindung so-

75 Vgl. die Arbeiten von W. A. MEEKS: The man from Heaven in Johannine Sectarianism, JBL 91 (1972) 44-72; DERs.: The Image of the Androgyne: Some uses of a Symbol in Earliest Christianity, History ofReligion 13 (1974) 165-208; DERS.: In oneBody: The Unity ofHuman­kind in Colossians and Ephesians, in: God's Christ and His People, Studies in Honour of N. A. Dahl, Oslo 1977, 209-221. Wissenssoziologische Ansätze finden sich aber auch in Deutschland bei K. BERGER: Wissenssoziologie und Exegese des Neuen Testaments, Kairos 19 (1977) 124-133; DERS.: Exegese des Neuen Testaments UTB 658, Heidelberg 1977, 218-241.

Zur Jorschungsgeschichtlichen Einordnung 33

zialer Trennung zum Ausdruck. Wenn sich der Gottgleiche zur Sklavenge­stalt entäußert (Phil2,6ff), so hat das eine Analogie in der sozialen Realität: Der Apostel, obwohl ein Freier, wird ein Sklave (1 Kor 9, 19ff); die Starken müssen sich auf das Niveau der Schwachen herabbegeben, um soziale Tren­nung zu vermeiden (1. Kor 8-10); die Reichen müssen beim Abendmahl auf die Armen Rücksicht nehmen (1.Kor 11,20ff); ja, die ganze Sozialstruktur der korinthischen Gemeinde ist dadurch geprägt, daß die wenigen Einfluß­reichen und Mächtigen den vielen sozial Unbedeutenden gegenüberstehen (1.Kor 1,26ff). Christologische Deszendenz und soziale Rücksichtnahme entsprechen einander: Christus war reich und wurde arm, deshalb sind auch die Christen verpflichtet, von ihrem Reichtum abzugeben (2.Kor 8,9). Die Erhöhung des Niedrigen dagegen, wie sie christologische Symbolik klar zum Ausdruck bringt, findet keine ebenso deutliche soziale Entsprechung: Der Sklave soll Sklave bleiben. Nur in Christus ist er frei (l.Kor 7,21 ff). Die Frau soll untergeordnet bleiben. Nur in Christus ist ihr Unterschied zum Manne aufgehoben (Gal 3,28). Hier reicht die symbolische Wirklichkeit weit über die soziale Wirklichkeit hinaus. Was theologisch als eschatologischer Vorbe­halt erscheint, hat eine soziale Entsprechung.

Man kann solche Entsprechungen zwischen sozialer Realität und einer re­ligiösen Symbolik mit L. Goldmann "Strukturhomologien" nennen76 • Die soziale Realität kehrt in den religiösen Symbolen nicht nur inhaltlich wieder, sondern in den formalen Beziehungen der Elemente. Die Struktur der Sym­bole ist auf die Struktur der sozialen Realität zu beziehen, ohne daß man jene auf diese zurückführen könnte. Urchristliche Gemeinden und urchristliche Symbolik stehen wohl in engem Zusammenhang. Aber so wie die urchristli­chen Gemeinden einen Schritt über die vorhandene Gesellschaft hinaustun, so reichen ihre Symbole wiederum weit über die urchristliche Realität hinaus: Hier wird sogar die Utopie formuliert, alle Menschen kämen einander so nahe wie Glieder an einem Leibe, als sei die Personengrenze zwischen den Menschen verschwunden. Um es noch einmal zu betonen: Eine Theorie der urchristlichen Religion wird das Urchristentum und seine Symbolwelt nicht nur auf seine soziale Dimension hin untersuchen müssen. Sie wird vielmehr versuchen müssen, das Urchristentum als eine Stufe menschlicher Auseinan­dersetzung mit der Realität zu deuten - als eine entscheidende "Mutation" in der kulturellen Evolution menschlichen Lebens, in dem traditionelle Ele­mente neu kombiniert und neue Bereiche der Realität erschlossen und offen­bart werden.

So viel zu den theoretischen Annahmen. Wir waren ausgegangen von den Impulsen, die auf die Renaissance von Aufklärungstraditionen in den 60er Jahren zurückgingen. Die Forderung einer theoretischen Durchdringung des Gegenstandes war nur ein Motiv. Hinter dem theoretischen Interesse aber

76 L. GOLDMANN: Die Soziologie der Literatur, in: Literatursoziologie I, hrsg. v. J. Bark, Stuttgart 1974, 85-113.

34 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung

stand ein praktisches: die Einschärfung sozialer Verantwortung der Wissen­schaft. Auch hier gibt es viele Varianten, ja, hier scheiden sich die Geister. Für die einen ist Ideologiekritik mit dem Glauben an eine realisierbare ge­rechte Gesellschaft verbunden, die sich grundsätzlich von allen bisherigen hi­storischen Gesellschaften unterscheidet und deren Entstehen mit den Inter­essen einer bestimmten Klasse verbunden ist. Für die anderen muß Ideolo­giekritik ohne solche utopischen Perspektiven auskommen, wenn auch nicht ohne eine "Vision". Sie lebt von dem Vertrauen in die kritische Kraft des Bewußtseins, wobei dieses Bewußtsein der Idee einer offenen Gesellschaft verpflichtet ist, weil es nur in ihr eine reale Chance hat, Fehlentwicklungen zu vermeiden, Leiden zu vermindern und die eigenen Irrtümer zu korrigie­ren. Dieser Form von Ideologiekritik fällt es schwer, einseitig Partei zu er­greifen. Sie lernt vielmehr aus der Geschichte, daß alle Dinge zwei Seiten ha­ben, daß auch die Absichten der Gruppen, mit denen man sympathisiert, be­denkliche, ja schreckliche Folgen haben können und daß auch die Motive der jeweilig anderen besser verständlich werden, wenn man sie in ihrem histori­schen Kontext versteht. Ideologiekritik in dieser Form schärft unser morali­sches und politisches Bewußtsein vor allem dadurch, daß es eine größere Sen­sibilität für die Ambivalenz menschlichen Handelns schafft. Man mag ein­wenden: Solch ein Bewußtsein lähmt. Richtig ist, solch ein Bewußtsein lähmt den Drang zum apodiktischen Urteil. Es lähmt jedoch nicht den Willen, vermeidbarem Leiden entschieden entgegenzutreten und sich für eine Gesell­schaft einzusetzen, in der Leid in weit größerem Maße vermeidbar wäre als heute. Es schärft den Blick für das Leiden in der Geschichte in seinen mannig­fachen Formen, auch dort, wo es stumm geblieben ist. Diesem stummen menschlichen Leiden eine Stimme zu geben, ist die größte moralische Auf­gabe des Historikers.

Die kritische Untersuchung der Religion aber hat darüber hinaus eine be­sondere Verantwortung: Es ist die Verantwortung für die heutige Religion, die zweifellos in einer tiefgreifenden Krise steht. Die wissenschaftliche Erfor­schung der sozialen Ursprünge und Dimensionen unseres Glaubens will dazu beitragen, daß wir in größerem Maße als bisher die Verantwortung für unsere Religion und deren soziale Funktion übernehmen - daß wir religiös mündig werden.

[284]

2.

Die soziologische Auswertung religiöser überlieferungen

Ihre methodologischen Probleme am Beispiel des Urchristentums

Jede Zeit hat von ihr bevorzugte intellektuelle Verfahren, sich mit dem irri­tierenden und faszinierenden Phänomen der Religion auseinanderzusetzen, sei es systematisch-normativ durch Religionsphilosophie und -kritik, histo­risch durch Analyse der Vielfalt religiöser Erscheinungen oder phänomeno­logisch durch Erhebung des "Wesentlichen" aus den Variationen und Wand­lungen der Religionsgeschichte. Wenn nicht alles täuscht, treten heute reli­gionssoziologische Fragen in den Vordergrund: zunächst bei der Erfor­schung religiöser Erscheinungen in der Gegenwart, zunehmend aber auch, wenngleich zögernd, bei historischen Einzelforschungen1 . Das Zögern der historischen Forschung ist verständlich und berechtigt: Während der in der Gegenwart empirisch forschende Religionssoziologe sich der Methoden des Interviews, des Fragebogens, der Beobachtung, der Feld- und möglicher­weise sogar der Laboruntersuchung bedienen kann, um sein Material von vornherein im Blick auf seine statistische Auswertung zu erheben, ist der Hi­storiker ganz auf die zufälligen Quellen angewiesen, die uns erhalten sind. Diese sind aber von ganz anderen Interessen bestimmt als dem Interesse, Auskunft über ihren sozialen Hintergrund zu geben2 , ja, es ist ein charakteri­stischer Zug religiöser überlieferung, daß sie von ihrer Verankerung in menschlichem Handeln abblendet, daß sie vom Handeln der Götter erzählt oder von der Erfahrung einer jenseits menschlicher Sinnwelt liegenden Wirk-1ichkeit zeugt. Die Problematik soziologischer Forschungen auf dem Felde der Religionsgeschichte ist daher zunächst eine methodologische Problema­tik. Als Frage formuliert lautet sie: Wie erhält man aus den religiösen Aussa-

1 Nach wie vor unübertroffen sind auf historischem Gebiet die religionssoziologischen Ar­beiten M. WEBER'S. Vgl. dessen Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 3 Bde., Tübin­gen 51963 und den Abschnitt über die Religion in Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1947.

2 E. v. DOBscHüTz, Die urchristlichen Gemeinden, Leipzig 1902, 6f, fragt: "Und wie set­zen die Gemeinden sich zusammen? Aus welchen sozialen Schichten gewannen sie ihre Mitglie­der? Nichts als Andeutungen, unsichere Vermutungen. Nach moderner Anschauung sind für die Entwicklung der Sittlichkeit Wohnungsverhältnisse, Lohnfragen und derartiges von großer Bedeutung; sie werden es bis zu einem gewissen Grade auch in jener der unsrigen vielfach so ähn­lichen Zeit gewesen sein. Aber diese ganzen Fragen werden auch nicht einmal angerührt in unse­ren christlichen Quellen, und ebensowenig ergeben die profanen Quellen ein hinlängliches Bild dieser Zustände."

36 Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen [284/285]

gen unserer Quellen Auskunft über soziologische Sachverhalte? Diese Frage sei im folgenden am Beispiel des Urchristentums diskutiert. Zuvor sei aber wenigstens kurz das materiale Problem einer Soziologie des Urchristentums skizziert. Methodologische Reflexionen ohne Anwendung auf einen konkre­ten Gegenstand sind unfruchtbar.

Soziologie des Urchristentums ist Soziologie des entstehenden antiken Christentums und dessen tiefgreifender Wandlung: Es entstand als innerjüdi­sche Erneuerungsbewegung und wurde zur selbständigen Religion; es wur­zelte in ländlichen Gebieten, verbreitete sich aber primär in den hellenisti­schen Mittelmeerstädten; es war zunächst eine Bewegung sozial Desinte­grierter , entwickelte aber bald neue soziale Integrationsmuster , die später von der gesamten Gesellschaft übernommen wer I den konnten. Grundpro­blem einer Soziologie des antiken Christentums ist: Wie konnte diese margi­nale, subkulturelle Strömung eine ganze Kultur erobern und umgestalten? Eine Soziologie des Urchristentums untersucht nur einen Teil dieses Prozes­ses, nämlich die Periode vor der institutionellen Festigung des antiken Christentums durch Kanon, Bischofsamt und regula fidei und vor der Trans­formation der hellenistisch-römischen Kultur durch die Krise des 3. Jh. n. Chr., also etwa die Zeit bis zum Ausgang der aufgeklärten Monar­chie der Antoninen im 2. Jh. n. Ch.

Die urchristlichen Quellen enthalten keine soziologischen Aussagen, nur wenige Notizen mit (vorwissenschaftlichen) soziologischen Elementen, da­für aber historische, paränetische, poetische, ekklesiologische und mythische Aussagen. Das methodologische Problem besteht darin, wie man aus all die­sen nicht-soziologischen Aussagen soziologische Aussagen ableitet. Was aber ist eine soziologische Aussage? Folgende Arbeitsdefinition mag in unse­rem Zusammenhang genügen: Eine soziologische Aussage will zwischen­menschliches Verhalten hinsichtlich seiner überindividuellen Züge beschrei­ben und erklären. Die soziologische Frage richtet sich also erstens weniger auf Individuelles als auf Typisches, Wiederkehrendes, Generelles, zweitens weniger auf singuläre Bedingungen einer besonderen Situation als auf struk­turelle Zusammenhänge, die für viele Situationen zutreffen3 • Eine Soziologie des Urchristentums hat demnach die Aufgabe, das typische zwischen­menschliche Verhalten von Mitgliedern urchristlicher Gruppen zu beschrei­ben und zu analysieren.

Die Diskussion der zur Verfügung stehenden Verfahren kann an die form­geschichtliche Analyse von Texten anknüpfen. Diese bestimmt den "Sitz im Leben" eines Textes auf konstruktivem, analytischem und vergleichendem Weg4. "Konstruktiv" nannte sie jenes Verfahren, das sich auf direkte Aussa-

3 Die Herausarbeitung des Typischen und Bedingten sind auch für M. SCHELER, Die Wis­sensformen und die Gesellschaft, Bern/München 21960,17, spezifische Charakteristika der so­ziologischen Betrachtungsweise.

4 Vgl. R. BULTMANN, Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen s1961, Sf, 7f.

[2851286J Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 37

gen über den Sitz im Leben stützt, also auf Aussagen mit der Intention, die soziale Situation zu beschreiben, der wir überlieferung und Formung von Texten verdanken. Verallgemeinernd können wir sagen: Konstruktiv ist die Auswertung aller Aussagen mit (vorwissenschaftlichen) soziologischen Ele­menten. Analytisch nannte die Formgeschichte ein Verfahren, das aus der Form eines Textes den zugrunde liegenden Sitz im Leben erschloß. Auch hier kann man verallgemeinern: Analytisch ist dann jeder Rückschluß aus poeti­schen, ethischen, ekklesiologischen und historischen Aussagen auf die zu­grunde liegende soziale Realität. Charakteristisch für diesen Rückschluß ist, daß er die Texte unabhängig von der sie bestimmenden Intention befragt. Vergleichend schließlich ist jedes Verfahren, das Texte heranzieht, die weder urchristliche Gruppen zum Gegenstand haben noch aus ihnen stammen. Diese müssen jeweils für sich konstruktiv und analytisch untersucht werden, ihre Verwendung zur Erhellung des Urchristentums wirft jedoch besondere methodologische Probleme auf.

A. Konstruktive Verfahren

Konstruktive Verfahren können bei sozio- oder prosopographischen Aus­sagen ansetzen. Soziographisch nennen wir alle Schilderungen von Gruppen, Institutionen, I Organisationen usw., prosopographisch alle Aussagen über Einzelpersonen, über ihre Herkunft, Status und Rollen. Leider gibt es nur wenige Aussagen über urchristliche Gruppen mit soziographischen Inten­tionen: Lukas schildert Apg 4,32ff Liebesgemeinschaft und Liebeskommu­nismus der U rgemeinde. Vom römischen Statthalter in Bithynien erfahren wir, das Christentum habe sich dort in allen Schichten, in den Städten und sogar auf dem Lande verbreitet (Plinius epist. x, 96). Für die Umwelt des U r­christentums verfügen wir über Darstellungen der Pharisäer, Essener, Zelo­ten bei Josephus (bell. II,8 ant XVIII, 1-25). Daß diese soziographischen Skizzen kritisch zu lesen sind, versteht sich von selbst. Lukas wie Josephus schreiben an hellenistische Leser. J osephus stellt die religiösen Strömungen des Judentums als Philosophenschulen dar, Lukas sieht in der Urgemeinde das antike Ideal des JtaVTa xmva (vgl. Kairos S. 286) verwirklicht. Beide idealisieren oder verzeichnen ins Negative, wie im Falle der Zeloten J osephus - er macht sie für den jüdischen Krieg verantwortlich -, oder im Falle der Pharisäer die christlichen Autoren.

Zahlreicher sind prosopographische Aussagen zu einzelnen Personen. Wir hören, daß z. B. die ersten Jünger Fischer waren (Mk 1,16ff), daß die Fischer Tagelöhner anwerben konnten (Mk 1,20), daß einige der ersten Christen Häuser besaßen (Petrus Mt 8,14; Maria Apg 12,12ff), andere Land (Barnabas Apg 4,36f; Ananias und Saphira Apg 5,1 ff). Bei der soziologischen Auswer­tung dieser Einzelaussagen stellen sich grundsätzlich dieselben Probleme wie in jeder sozialwissenschaftlichen Auswertung empirischer Daten: das Pro­blem der Zuverlässigkeit (Reliabilität), Gültigkeit (Validität) und Reprä-

38 Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen [2861287J

sentativität. Das sei am Beispiel des in Apg 13,1 genannten Menahem, eines "Syntrophos" des römischen Klientelfürsten Herodes Antipas, gezeigt.

1. Das Problem der Zuverlässigkeit (Reliabilität). Erste Frage ist, ob die Notiz historisch ist, d. h. ob jeder aufgrund derselben Quelle auch bei wie­derholter Nachprüfung zu dem Ergebnis kommt, daß nach allem, was wir wissen können, Menahem wirklich zusammen mit dem Fürsten Herodes er­zogen worden ist. Hier ist die Frage zu klären, ob der Text zuverlässig über­liefert ist - die Notiz fehlt z. B. im St. Galler Kodex 133, was sich aber gut er­klären läßt5 , ob irgendetwas auf legendarische überlieferung weist: Lukas berichtet gerne von Herodes Antipas und seinem Kreis, um das Christentum ein wenig mit der großen Welt in Berührung zu bringen und zu synchronisie­ren. Aber selbst wenn die Notiz unhistorisch sein sollte, eine Annahme, zu der wenig Grund besteht, wäre sie soziologisch nicht wertlos: Sie gäbe Auf­schluß über das, was eine spätere Generation hinsichtlich des frühen Ur­christentums für möglich hielt bzw. was innerhalb ihres eigenen Erfahrungs­horizontes selbstverständlich war: Daß auch Glieder höherer Schichten zum Urchristentum gehörten. Die Frage der Zuverlässigkeit ist innerhalb histori­scher Forschung also mit der Frage der Historizität identisch, wobei der Be­griff der Historizität in weiterem Sinne gebraucht werden kann: Historischen Aufschluß erhalten wir aus den Quellen sowohl über das Berichtete als auch über Berichterstatter und Tradenten. Da die Tradenten im Rahmen sozialer Gruppen überliefern, ist für eine soziologische Analyse urchristlicher Quel­len gerade auch das "Unhistorische" relevant, sofern es aus diesen Gruppen entstanden ist und Rückschlüsse auf sie zuläßt. I

2. Das Problem der Gültigkeit (Validität). Gültigkeit setzt Zuverlässigkeit voraus bzw. impliziert sie. Die Frage ist hier: Läßt sich aus dem Status eines Syntrophos auf einen gehobenen Sozialstatus schließen? Nun wissen wir aus den zeitgenössischen Zeugnissen über "Syntrophoi"6 daß es sich bei ihnen nicht nur um "Spielgefährten" der Jugendjahre handelt, sondern um Ver­traute, die auch im Erwachsenenalter oft großen Einfluß besitzen. Dennoch darf man nicht einfach schließen, Menahem habe in Antiochien zu den höhe­ren Kreisen gehört: Herodes Antipas hatte inzwischen Besitz und Fürsten­tum verloren und war nach Lyon verbannt worden (ant. XVIII, 252). Mena­hem könnte in sein Schicksal verwickelt worden sein, so daß wir ihn ebenso­gut als verkrachte Existenz betrachten könnten, die in einer dominierenden innergemeindlichen Stellung Ersatz für Verlorenes fand. Wie es war, wissen wir nicht. Sicher ist nur, daß er einmal der Oberschicht angehörte. Dieser Rückschluß ist gültig, nicht aber unbedingt der Rückschluß auf einen noch bestehenden gehobenen Sozialstatus auf Grund von Besitz und Einfluß.

3. Das Problem der Repräsentativität: Innerhalb einer soziologischen

5 Vgl. E. HAENCHEN, Die Apostelgeschichte, Göttingen 13 1961, 336f A. 5. 6 Vgl. J. JEREMIAS, Jerusalem zur Zeit Jesu, Göttingen 31969, 102 und die bei W. BAUER,

Wörterbuch zum NT, Berlin 51963, 1571 angeführten Belege.

[2871288J Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 39

Analyse interessiert nicht die Biographie des Menahem, sondern die Frage: Läßt sich aus diesen Angaben etwas über die Schichtzugehörigkeit der Chri­sten ableiten? Direkt ist das auf keinen Fall möglich: Es ist anzunehmen, daß der (evtl. ehemalige) Status des Menahem deshalb so betont hervorgehoben wird, weil er etwas Außergewöhnliches darstellt. Wir müssen weitere Noti­zen hinzuziehen. So kann es kaum ein Zufall sein, daß bei drei von fünf "Propheten und Lehrern" der antiochenischen Gemeinde (Apg 13,1) ein ge­hobener Sozialstatus wahrscheinlich ist: Barnabas ist uns durch eine Stiftung an die J erusalemer Gemeinde bekannt (Apg 4,36 f). Er organisiert auch später Unterstützungen für sie (Apg 11,30). Paulus war nur Textilhandwerker, be­saß jedoch tarsisches und römisches Bürgerrecht (Apg 21 ,3922,25 ff). Da wir nun aus Dio Chrysostomos (or. 30, 21-23) wissen, daß noch in späterer Zeit um das Bürgerrecht der Textilhandwerker gestritten wurde, müssen wir Pau­lus einen privilegierten Status zusprechen. Von den zwei anderen Mitgliedern der "Leitungsgruppe" in Antiochien erfahren wir nichts Näheres. In dieser Gruppe dominierten auf jeden Fall Leute mit relativ gehobenem Sozialstatus. Aufschlußreich ist ferner, daß fast alle von auswärts stammen: Barnabas aus Zypern (Apg 4,36), Paulus aus Tarsos, Lukios aus der Kyrenaika. Menahem wird wahrscheinlich nicht in Antiochien aufgewachsen sein. Und der Bei­name des Symeon "Niger" könnte zwar zunächst dessen negroides Erschei­nungsbild charakterisieren, könnte aber auch eine Herkunftsbezeichnung implizieren. Menahem ist also gewiß nicht repräsentativ für alle Christen, wohl aber für die Führungsgruppe in der antiochenischen Gemeinde. Auch für andere hellenistische Gemeinden wird gelten, daß sie eine innergemeind­liche soziale Schichtung aufwiesen (vgl. 1 Kor 1 ,26ff Plinius epist X, 96) und die höheren Schichten zwar nicht der Zahl, wohl aber dem Einfluß nach do­minierten.

Einzelaussagen sind auf jeden Fall sehr behutsam auszuwerten. Es wäre z. B. nicht zulässig, mit Hinweis auf die wenigen namentlich genannten Christen und ihren oft etwas gehobenen Sozialstatus die Annahme widerlegt zu glauben, die Entstehung des Urchristentums stünde in Zusammenhang mit sozialen Wider I sprüchen 7. Schon die Voraussetzung, die wenigen na­mentlich Genannten seien für das Urchristentum typisch, ist problematisch, abgesehen davon, daß der schichtspezifische oder nichtschichtspezifische Charakter des Urchristentums wenig darüber sagt, ob seine Entstehung mit sozialen Spannungen zusammenhängt: Bekanntlich hatten die meisten Be­wegungen unterer Schichten, in denen sich Protest artikulierte, Führer aus den oberen Schichten.

7 Gegen R. SCHUMACHER, Die soziale Lage der Christen im apostolischen Zeitalter, Pader­born 1924, 40.

40 Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen [288J

B. Analytische Verfahren

Da Aussagen mit soziographischen Elementen nur begrenzt zur Verfü­gung stehen, sind wir meist auf analytische Verfahren angewiesen, d. h. auf den Rückschluß von historischen Ereignissen, sozialen Normen und religiö­sen Symbolen.

a) Rückschluß aus Ereignissen

Historiographische Texte der Vergangenheit bewahren vor allem das Au­ßergewöhnliche für die Nachwelt auf. Der Normalfall ist nicht der Erwäh­nung wert. Soziologisches Interesse richtet sich aber gerade auf den Normal­fall, auf Typisches, Wiederkehrendes. Wir erfahren daher aus historiographi­schen überlieferungen, gleichgültig ob es sich um die volkstümlich-religiöse überlieferung des NT oder die literarische des Josephus handelt, nur neben­bei etwas von den uns interessierenden sozialen Verhältnissen. Aber wir er­fahren immerhin etwas. Die Hervorhebung von Außergewöhnlichem setzt oft auch den Blick auf den Hintergrund des Gewöhnlichen frei: Außerge­wöhnlich etwa ist, daß die Christen in Antiochien "Christianer" genannt werden (Apg 11,26); gewöhnlich wurden sie also nicht durch eine besondere Bezeichnung von den Juden getrennt (bzw. im Judentum hervorgehoben). Außergewöhnlich ist die Hinrichtung des Jakobus durch den Hohepriester Ananos lI.; sie erregt Unwillen (ant XX, 201). Das normale Verhältnis zwi­schen Judenchristen und Juden war kaum durch ständige Verfolgungen cha­rakterisiert. Ein zweiter Weg, aus historischen Einzelereignissen auf Typi­sches zu schließen, ist die Suche nach Ereignissen, die sich hinsichtlich ir­gendeines Zuges wiederholen. Jesus berührt z. B. häufig das Territorium von Städten, ohne diese selbst zu betreten (Mk 5,1 7,24.31 8,27). Daraus kann man schließen, daß seine Bewegung ihre Heimat in den Landstrichen hatte. In den Städten war sie zunächst ohne Erfolg (Mt 11,20-24).

Am aufschlußreichsten dürfte jedoch die Analyse von Konflikten sein. Natürlich sind auch Konflikte außergewöhnliche Ereignisse, aber sie legen in den meisten Fällen den Blick für überindividuelle Strukturen frei. Persönli­che Animositäten sind eher ihr Anlaß als ihr wirklicher Grund. Meist sind an ihnen ganze Gruppen beteiligt, die einzelnen Protagonisten treten als Reprä­sentanten von Institutionen und Instanzen auf. Ihr Grund liegt oft in ver­schiedenen typischen Verhaltensweisen sozialer Gruppen, in verschiedenen Einstellungen, Gewohnheiten, sozialen Selbstverständlichkeiten. Das Au­ßergewöhnliche läßt hier das Gewöhnliche direkt sichtbar werden, das Dra­matische weist auf das Banale. So treten im Konflikt zwischen Starken und Schwachen in Korinth (1 Kor 8,1-11,1) verschiedene, wahrscheinlich auch schichtbedingte Speisegewohnheiten hervor8 : Das Problem des rituellen

8 Vgl. C. K. BARRETT, Things Sacrificed to Idols, NTS 11 (1964/5) 138-153, dort 146.

[288/289] Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 41

Cha I rakters von gekauftem Fleisch (1 Kor 10,25) stellte sich denen nicht, die nur wenig Geld zum Fleischkauf hatten. Erhellend sind ferner Konflikte zwi­schen Christen und Pharisäern, zwischen hellenistischen und "hebräischen" Christen in Jerusalem (Apg 6,1 ff), zwischen Juden- und Heidenchristenturn (Gal 2,1 ff), zwischen Paulus und seinen korinthischen Gegnern (2 Kor 10-13). Konflikte charakterisieren auch den übergang vom Urchristentum zur institutionalisierten Anstaltskirche: der Konflikt mit Gnosis und Monta­nismus. Die Analyse solcher Konflikte ist eine der fruchtbarsten analytischen Verfahren einer Soziologie des Urchristentums . Und umgekehrt ist jede So­ziologie des Urchristentums daran zu messen, wie weit sie solche Konflikte verständlich machen kann.

b) Rückschluß aus Normen

Normen sind Sozialregulationen und als solche ein soziales Faktum, unab­hängig davon, wie weit sie befolgt werden. Urchristliche Normen (im weite­sten Sinne) sind uns auf zweifache Weise gegeben: Entweder werden sie ex­pliziert (z. B. ethische Normen), oder wir können sie aus der Regelmäßigkeit eines häufig belegten Verhaltens erschließen; so bei Normen sprachlichen und literarischen Verhaltens.

Eine erste Gruppe explizit formulierter Normen sind Erfahrungsnormen: allgemeine Regeln, nach denen jede soziale Lebenswelt die Eindrücke, Wi­derfahrnisse und Gewißheiten ihrer Mitglieder ordnet und bewältigt9 . Solch eine (sehr pessimistische) Erfahrungsnorm ist die Erkenntnis, daß die, die haben, immer mehr erhalten, denen aber, die nichts haben, auch das noch ge­nommen wird (Mk 4,25). Eine solche Weisheit kann man sich kaum in Krei­sen vorstellen, die zu den profitierenden Schichten einer Gesellschaft gehö­ren. Zahlreiche solcher "Einsichten" sind uns im NT in Form von Sprich­wörtern, Weisheitslogien und Sentenzen überliefert. In ihnen haben wir Fragmente aus jener Welt von Gewißheiten und" Wahrheiten", mit denen jede Gruppe und Gesellschaft die Erfahrung ihrer Glieder ordnet.

Erfahrungsnormen werden nicht ausdrücklich sanktioniert: Sie gehören zu den alltäglichen Gewißheiten, die sich jedem wie von selbst aufdrängen. Niemand befiehlt, daß man die Welt so sehen solle, wie sie in ihnen gesehen wird - kommt man aber zu anderen Erkenntnissen, wird man die soziale Kontrolle schon zu spüren bekommen. Anders bei ethischen und juridischen Normen: Mißachtung wird hier bewußt bestraft. Sie treten als Gebot auf. Be­sonders deutlich ist dies bei rechtlichen Normen. Diese werden meist aus­drücklich in einer Satzung formuliert, Sanktionen werden festgelegt, institu­tionelle Einrichtungen getroffen, um Interpretation, Anwendung und Sank­tionierung der Norm zu regeln. Gerade wegen dieser institutionellen Rege-

9 Vgl. P. BERGER/TH. LUCKMANN, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt 1969; P. BERGER, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, Frankfurt 1973.

42 Die soziologische Auswertung religiöser aberlieferungen [289/290J

lungen sind rechtliche Normen für uns sehr aufschlußreich 10. Nur daß in der frühen Christenheit nur wenige rechtliche Normen mit solchen Regelungen vorhanden sind. Etwa das Ausschlußverfahren in Mt 18,15-17, in dem die "ekklesia" als Institution hervortritt, oder andere Gemeinderegeln und Ge­meindeordnungen mit rechtlichen Zügen (etwa die Didache). Viele Gemein­deregeln sind jedoch "heiliges Recht", d. h. die Sanktionierung der Norm liegt bei Gott, und es ist oft schwer zu sagen, ob dahinter (schon) eine irdische Instanz steht. Wurde I etwa die Beschimpfung eines Gemeindegliedes durch eine Zusammenkunft ("synhedrion") bestraft (Mt 5,22)? Oder überließ man die Strafe Gott (vgl. Röm 12,19)?

Der größte Teil uns überlieferter Normen ist zweifellos ethischer Art. Auch hier sind institutionelle Ausprägungen des Lebens beteiligt, insofern sie den Rahmen bilden, in dem diese Sozialregulationen erst sinnvoll und praktizierbar werdenll. Das Gebot an Frauen, Kinder und Sklaven, den pa­ter familias zu respektieren und dessen Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die von ihm Abhängigen (KoI3,18-4,1) setzt den Rahmen des christli­chen Hauses voraus. Das Gebot, in der Nachfolge Jesu seine ganze Ver­wandtschaft einschließlich Frau und Kinder zu hassen (Lk 14,26f), hat eine ganz andere soziale Verankerung: Hier handelt es sich um die Norm eines vagabundierenden Wandercharismatikertums, eine Norm für heimat-, fami­lien- und besitzlose Apostel, Propheten und Missionare.

Beim Rückschluß von prosographischen und historischen Aussagen auf typisches Sozialverhalten und seine Bedingungen bestand das methodologi­sche Problem in einer Verallgemeinerung von Singulärem: Gegeben waren jeweils Notizen über einzelnes Sozialverhalten. Erschlossen wurde das Typi­sche. Problem war die Repräsentativität des Singulären. Beim Rückschluß von explizit formulierten Normen ist es genau umgekehrt: Die Verallgemei­nerung ist vorgegeben, wenn auch nicht indikativisch, sondern imperati­visch. Wir erfahren, sehen wir einmal von den Erfahrungsnormen ab, etwas über das gewünschte allgemeine Verhalten. Hier stellt sich die Frage, inwie­weit die Normen wirklich befolgt wurden und ob Verschiebungen zwischen Wirklichkeit und Norm noch mit methodologischer Zuverlässigkeit rück­gängig gemacht werden können. Einige typische Verschiebungen lassen sich zweifellos noch erkennen. Zunächst wird man prüfen müssen, ob eine Norm

10 Das römische Recht ist bekanntlich eine der wichtigsten Quellen für die Soziologie des römischen Kaiserreichs. Zur soziologischen Analyse des Urchristentums wird es bei A. N. SHERWIN-WHITE, Roman Society and Roman Law in the N ew Testament, Oxford 1963, herangezogen.

11 Bei ethischen (und anderen) Normen nimmt E. A. JUDGE, Christliche Gruppen in nicht­christlicher Gesellschaft, Wuppertal 1964, seinen Ausgangspunkt: "Ich versuche ... , eine Reihe der damaligen Sozialformen zu beschreiben, denen gegenüber die Christen als Glieder der menschlichen Gesellschaft verpflichtet waren." (S. 5). Manche ethische Normen nehmen übri­gens so direkt auf typisches Sozialverhalten Bezug, daß man ihre Analyse z. T. auch zu den kon­struktiven Verfahren rechnen kann.

[290/291 ] Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 43

wirklich allgemeingültig sein will und ob sie evtl. allegorisch gemeint ist. Daß man gegebenenfalls Hand, Fuß und Auge abreißen soll, um ins Gottesreich zu kommen (Mk 9,42ff), wird z. B. nur in bedingter Form für den Fall des Ärgernisses geboten und ist auch kaum wörtlich zu nehmen, weist jedoch zweifellos auf extrem asketische Haltungen im Urchristentum. So ist es nicht ausgeschlossen, daß sich einige "Jünger" wie später Origines in wörtlicher Befolgung von Mt 19,1lf kastriert haben12 . Insgesamt sollte man nichtvorei­lig eine Norm als bedingt oder allegorisch relativieren.

Steht fest, daß es sich um eine allgemein gemeinte, wörtlich zu nehmende Norm handelt, so wird man in Rechnung stellen müssen, daß Gebote immer radikaler sind als wirkliches Verhalten: So werden zwar die Jünger zum Bruch mit ihrer Familie aufgefordert (Lk 14,26). Aus 1 Kor 9,4f wissen wir jedoch, daß einige ihre Frauen mit sich führten. Das Gebot gibt nur eine Ten­denz des Verhaltens an. In besonderen Fällen müssen wir sogar annehmen, daß ein Gebot der Tendenz des Verhaltens entgegenläuft, dann nämlich, wenn es negativ formuliert wird. Was verboten werden muß, wird meist auch irgendwo getan. So können wir aus dem Verbot I der Mission unter Samaritern und Heiden (Mt 10,5f) auf die Existenz einer solchen Mission schließen (vgl. Apg 8,1 ff). Verschiedene Formen der Verschiebung zwischen tatsächlichem Verhalten und Norm können also durchaus noch erkannt werden, vor allem dann, wenn historio- und soziographische Notizen direkteren Aufschluß über das tatsächliche Verhalten geben.

Anders liegt die methodologische Problematik bei erschlossenen Normen sprachlichen und literarischen Verhaltens: Das tatsächliche Verhalten ist uns hier in vielen Belegen gegeben. Die Norm wird aus ihm abgeleitet. Entschei­dungen über die Repräsentativität des Materials fallen auf Grund der zahlrei­chen Belege leichter. In diesem Zusammenhang interessieren die Normen von Sprache, Stil, Topik und Gattungen als Normen sozialer Interaktion. Aus ihnen erfahren wir etwas über den Bildungsgrad von Autoren bzw. Tra­denten. Freilich müssen wir auch hier Einschränkungen hinsichtlich der Re­präsentativität und Gültigkeit unserer Rückschlüsse machen. überliefert ist uns nur verschriftlichtes sprachliches Verhalten. Wer sich überhaupt schrift­lich äußert oder ehemals mündliche überlieferung verschriftlicht, muß ein Minimum an Bildung besitzen, nämlich eine gewisse Vertrautheit mit dem schriftlichen Medium. Die ntl. Autoren gehören gewiß zu den überdurch­schnittlich Gebildeten in den christlichen Gruppen. An das alltägliche Sprachverhalten der Unterschicht kommen wir durch sie nicht heran. Zwar konnten in der Antike auch kleine Leute schreiben. Das zeigen Papyri und Ostraka. Aber wir haben doch nur einen sehr begrenzten Einblick in die

12 Eine andere Interpretation findet sich z. B. bei J. BLINZLER, Kairos Seite 290. Zur Ausle­gung von Mt 19,12, ZNW 48 (1957) 254-270. Daß die nt!. Normen nicht situativ-bedingt sein wollen (ob sie es defacto sind, ist eine andere Sache), zeigt mit Recht W. SCHRAGE, Die konkre­ten Einzelgebote in der paulinischen Paränese, Gütersloh 1961.

44 Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen [2911292J

Sprachgewohnheiten unterer Schichten. Die Zuversicht A. Deissmann's, mit Hilfe von Epigraphik, Papyrusfunden und Ostraka diese Sprachgewohnhei­ten aufzudecken und von daher das Neue Testament auch soziologisch aus­zuwerten, bedarf einiger Korrekturen13 : So kann man die literarische Spra­che von Dichtung und Philosophie nicht mit den Sprach gewohnheiten der Oberschicht identifizieren. Manche vermeintlichen Vulgarismen oder Se­mitismen des NT lassen sich z. B. in der weniger anspruchsvollen medizini­schen Fachprosa nachweisen14 • Dennoch ist es aufschlußreich, daß wir im NT verschiedene Sprachniveaus beobachten können: Der Verfasser des LkEv und des Hebr können auf Grund ihres guten Griechisch als relativ ge­bildete Leute beurteilt werden. Leider läßt aber schlechtes Griechisch nicht auf niedrigen Sozialstatus schließen: Auch ]osephus bekennt, das Griechi­sche nicht gut zu beherrschen (ant XX, 263), gehört aber zur aramäisch spre­chenden palästinensischen Oberschicht. Semitisierendes Griechisch ist daher eo ipso nicht vulgäres Griechisch, so reizvoll die Vorstellung auch wäre, der Verfasser der Apokalypse mit ihren aggressiven Bildern stamme aus der unte­ren Schicht: Er schreibt das schlechteste Griechisch im NT. überhaupt ist zu bedenken, daß Bildung kein absolut sicheres Kriterium für einen gehobenen Sozialstatus ist. Reichtum und Unbildung vertragen sich z. T. ganz ausge­zeichnet.

Daß literarische Formen, als die gattungsspezifischen Normen der Gestal­tung von Texten, Ausdruck sozialer Beziehungen sind, ist eine der Grunder­kenntnisse klassischer Formgeschichte: Hymnen dienen z. B. der kollekti­ven Vergewisserung jener mythisch gedeuteten Welt, die von den urchristli­chen Gruppen errichtet und bewohnt wurde. Briefe dienen der Kommunika­tion von Getrennten. Wenn daher I der "Brief" zur wichtigsten "literari­schen" Form hellenistischen Urchristentums werden konnte, so weil diese Form der diasporalen Situation einer kleinen Minderheit von großer kohäsi­ver Kraft entsprach. Aus literarischen Formen erfahren wir also primär etwas über die Interaktionsformen der an Literatur beteiligten Personen, darüber, ob es sich um Polemik, Konsensus, Apologetik, Unterweisung usw. handelt. Grenzen literarischer Formen sind Grenzen sozialer Kommunikation. Erst das Christentum der zweiten Hälfte des2. ]h. beginntz. B. die "gehobenen" literarischen Formen der Antike zu benutzen (Apologie, protreptische Schriften usw.), womit die urchristliche Literatur endet und die patristische beginnt15 • Schon die Literaturgeschichte zeigt, daß das Urchristentum eine subkulturelle Strömung mit Distanz zur allgemeinen Kultur war. Die "all­gemeine" Kultur ist aber weitgehend eine Kultur der oberen Schichten.

13 A. DEISSMANN, Das Urchristentum und die unteren Schichten, Göttingen 21908; ders., Licht vom Osten, Tübingen 41923.

14 L. RYDBECK, Fachprosa, vermeintliche Volkssprache und Neues Testament, Uppsala 1967.

15 F. OVERBECK, über die Anfänge der patristischen Literatur, Hist. Zeitschrift 48 (1882) 417--472 = Darmstadt 1966.

[292/293J Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 45

Während ethische und juridische Normen (und oft auch Erfahrungsnor­men) typisches Sozialverhalten direkt thematisieren, muß der soziale Hinter­grund sprachlicher und literarischer Normen sehr viel mühsamer erschlossen werden. Die Ausgangsbasis ist zwar relativ breit. Das Erschließbare bleibt aber auch relativ allgemein, sofern nicht bei bestimmten literarischen Gat­tungen wie den Gleichnissen gattungs spezifische Themen Näheres über das soziale Milieu einer Gattung verraten.

c) Rückschluß aus Symbolen Symbole sind Ergebnisse eines metaphorischen Prozesses: Bilder des Le­

bens werden auf andere Themen übertragen. Dabei ist meist nicht mehr zu entscheiden, ob das Bild die Sache, die Sache das Bild an sich zog oder ob bei­des ursprünglich verbunden war16 . Da der Begriff "Metapher" hier eine Vorentscheidung fällen könnte, benutzen wir den Begriff "Symbol". Bei den ekklesiologischen Symbolen interessieren Bild und thematisierte Sache. Fest­stellungen und Aufforderungen sind hier unlöslich verschmolzen. Das Bild vom "Leib Christi" sagt etwas über die große Kohäsion christlicher Grup­pen aus, die sich so eng verbunden wußten wie Glieder eines Leibes, als sei die Personengrenze menschlicher Individualität weggefallen (1 Kor 12,12 ff). Zugleich erhält dies Bild eine unüberhörbare Aufforderung zur Realisierung seines Sinngehalts. Wunsch und Wirklichkeit lassen sich nicht trennen. Der Imperativ ist im Indikativ verborgen. Ähnlich ist es bei anderen ekklesiologi­schen Symbolen. Paulus spricht die J erusalemer U rgemeinde hin und wieder als "die Armen" an (GaI2, 10 Röm 15,26). Spätere judenchristliche Gruppen nennen sich Ebioniten. Auch die Qumrangemeinde kennt diese Selbstbe­zeichnung. Gewiß sind die "Armen" auch in buchstäblichem Sinne arm: So führt eine reale Notlage zur Unterstützung der Jerusalemer Gemeinde (Apg 11,27ff Ga12,10 2 Kor 8,9). Aber es handelt sich trotzdem nicht um eine rein soziographische Charakterisierung. Der Arme, wie er z. B. in den Psalmen auftritt, hat in besonderer Weise einen Anspruch auf göttliche Hilfe. Der Be­griff enthält also auch eine religiöse Selbstdeutung im Rahmen einer im Orient verbreiteten Armutsfrömmigkeit17 . I

Neben den ekklesiologischen sind vor allem die poetischen Symbole der Gleichnisse aufschlußreich. Hier wird zwar kein sozialer Sachverhalt thema­tisiert. Thema der Gleichnisse ist die Herrschaft Gottes, seine Gnade, die Verantwortung vor ihm usw. Die Bildhälfte verrät uns jedoch sehr viel vom

16 Zur Problematik des Begriffs, ,Metapher" vgl. Ph. WHEEL WRIGHT, The Semantic Appro­ach to Myth, in: Th. A. Seboek (ed.): Myth. A Symposium, Bloomington 1958, 95-103.

17 Zur Selbstbezeichnung "Arme" vgl. L. E. KECK, The Poor among the Saints in the New Testament, ZNW 56 (1965) 100-137; ders.: The Poor among the Saints in Jewish Christianity and Qumran, ZNW 57 (1966) 54-78. Zur orientalischen Armutsfrömmigkeit vgl. H. BOLKE­STEIN, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, Utrecht 1939. Ein von der Wissenssoziologie inspirierter interessanter Beitrag zur soziologischen Analyse religiöser Sym­bolik ist: W. A. MEEKS, The Image of me Androgyne: Some U ses of a Symbol in Earliest Chri­stianity, History of Religion 13 (1974) 165-208.

46 Die soziologische Auswertung religiöser Oberlieferungen [293]

sozialen Milieu der J esusbewegung: Könige, Gutsbesitzer und Geldverleiher treten hier ebenso auf wie Kleinpächter, Arbeiter und Sklaven. Wir erfahren etwas von der rebellischen Stimmung der Pächter gegen den abwesenden Großgrundbesitzer (Mk 12,1 ff) oder vom Problem der Verschuldung (Mt 5,25f 18,23ff). Gerade weil die Gleichnisse nicht Erzählungen von wirklich Geschehenem sein wollen, sind sie für eine soziologische Auswertung ergie­big18 . Sie verdichten die normale Erfahrung in eindringlichen Szenen des so­zialen Lebens. Sie enthalten schon in sich eine Konzentration auf das Typi­sche, mögen sie dies auch oft bis an den Rand der Wahrscheinlichkeit stei­gern: Typisch dürfte z. B. die Situation der Verschuldung gewesen sein, ihre Höhe ist in Mt 18,23 ff zweifellos übertrieben. Schwieriger ist es, über das allgemeine soziale Milieu hinaus den sozialen Ort von Autoren, Tradenten und Adressaten zu bestimmen. Unübersehbar ist z. B. eine gewisse Identifi­kation des Erzählers mit den sozial Mächtigen in vielen (nicht allen) Gleich­nissen: mit dem gütigen Weinbergbesitzer gegen die unzufriedenen Arbeiter (Mt 20,1 ff), mit dem unbeliebten Königsanwärter gegen seine aufsässigen Untertanen (Lk 19,12 ff), mit dem Großgrundbesitzer gegen die rebellischen Pächter (Mk 12,1 ff). Wer die J esusbewegung zur sozialrevolutionären Be­wegung umstilisieren will, sollte das zumindest nicht übersehen. Ist es aber berechtigt, u. a. daraus zu schließen, die Hörerschaft J esu und womöglich er selbst habe zur sozialen Oberschicht gehört19 ? Bei einer Auswertung der Geichnisse ist ja zunächst deren gattungsimmanente Logik zu berücksichti­gen: Sie thematisieren Gottes überraschendes, gnädiges und forderndes Handeln. Insofern müssen sie in der Bildhälfte den sozial Mächtigen beto­nen: Nur das Verhältnis zum überlegenen kann für das Gottesverhältnis transparent werden. Nun könnte man weiter argumentieren, daß die sozial Mächtigen in den Gleichnissen keineswegs immer auf seiten der sozial Schwachen stehen. Beim Gleichnis vom ungerechten Richter (Lk 18,1 ff) wird das ausdrücklich zum Schluß a minori ad maius verwandt: Wenn schon der ungerechte Richter hilft, um wie viel mehr wird Gott helfen? Die sozio­logische Ausdeutung sozialer Symbolik in poetischen Schöpfungen wirft hier ein Grundproblem jeder Ausdeutung von Symbolen überhaupt auf: Besteht eine Symmetrie zwischen Symbolen und sozialer Wirklichkeit oder eine Asymmetrie? Wenn sich die poetische Phantasie mit Königen, Gutsbesitzern und Reichen beschäftigt, ist das Phantasie von Königen, Gutsbesitzern und Reichen oder von Menschen, die von diesen oberen sozialen Schichten aus ge-

18 Zum rechtlichen Hintergrund der Gleichnisse vgl. J. D. M. DERRETT, Law in the New Testament, Leiden 1971. Eine Auswertung sozioökologischer Daten findet sich bei M. D. Goulder, Characteristic of the Parables in the Several Gospels, JTbSt 19 (1968) 51-69. M. HENGEL, Das Gleichnis von den Weingärtnern Mc 12,1-12 im Lichte der Zenonpapyri und der rabbinischen Gleichnisse, ZNW 59 (1968), 1-39, erhellt in vorbildlicher Weise den sozioö­konomischen Hintergrund dieses Gleichnisses.

19 So G. W. BUCHANAN, Jesus and the Upper Class, NovTest 7 (1964/5), 195-209.

[293/294] Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 47

schlossen sind? Märchen und Regenbogenpresse zeigen, daß es auch die zweite Möglichkeit gibt. I

Das Problem wiederholt sich bei den mythischen Symbolen. Anders als poetische Bilder stellen sie keine soziale Realität dar, die dann als Ganzes für etwas anderes transparent werden soll, sie thematisieren sehr viel direkter dies "Andere": das Handeln von Göttern, Engeln und Dämonen. Sie benut­zen dazu freilich auch Bilder aus dem vertrauten sozialen Leben: Gott wird etwa als König vorgestellt, die Engel als sein Hofstaat. Und wenn der alte König in seinem Handeln unverständlich wird, so richten sich um so mehr die Hoffnungen auf seinen Sohn. Für das übel aber werden Rebellen verant­wortlich gemacht: der Satan und seine Scharen. Wird nun in poetischen Sym­bolen die irdische Wirklichkeit in verdichteter und konzentrierter Form po­intiert, so wird sie in mythischen Symbolen so weit gesteigert, daß die erfahr­bare Wirklichkeit transzendiert wird20 • Die mythische Symbolik der Dämo­nenherrschaft etwa dürfte symbolische Steigerung negativ erfahrener irdi­scher Herrschaft sein, darunter auch der politischen Herrschaft, wie ein neu­testamentlicher Dämon naiv verrät, wenn er sich mit dem Namen "Legion" vorstellt und den Wunsch äußert, im Lande bleiben zu dürfen (Mk 5,9f) - ge­rade das wollten auch die Römer.

Die erfahrbare Wirklichkeit wird jedoch nicht nur in symbolischen Steige­rungen interpretiert: Diese symbolischen Steigerungen werden gegen die er­fahrbare Wirklichkeit ausgespielt. Die Erwartung einer neuen Welt und eines göttlichen Königreiches ist zweifellos Widerspruch gegen diese Welt und ihre Königreiche21 • Im Begriff der "symbolischen Steigerung" sind beide Mög­lichkeiten gegeben: via eminentiae kann die Realität erhöht, via negativa kann sie verneint werden. Darin zeigt sich das Problem von Symmetrie bzw. Asymmetrie zwischen Symbol und Realität.

Unabhängig davon wählen soziologische Auswertungen mythischer Sym­bolik verschiedene Ansatzpunkte: Semantik, Syntagmatik und Paradigmatik des Mythos. Der semantische Ansatz geht vom metaphorischen Bildgehalt des Mythos aus. E. Topitsch unterschied hier zwischen biomorphen, sozio­morphen und technomorphen Weltauslegungen, je nachdem welche Modelle des Bekannten und Vertrauten ins Unbekannte und U nvertraute hinein pro­jiziert werden22• Diese Modelle verraten immer auch etwas über die vertraute

20 Zur symbolischen Steigerung der Realität vgl. W. E. MÜHLMANN, Umrisse und Probleme einer Kulturanthropologie, in: W. E. MÜHLMANN/E. W. MÜLLER, Kulturanthropologie, Köln 1966, 15-49.

21 Daß die Eschatologie in jeder Form von Sadduzäern, der reichen jüdischen Aristokratie, abgelehnt wurde (bell. 11,162), ist verständlich: Wer vom status quo profitiert, hat keinen Grund, dessen Änderung herbeizusehnen. Es gibt eine gewisse Wahlverwandtschaft zwischen bestimmten mythischen Symbolen und sozialen Trägern. Aus der Ablehnung von Eschatologie läßt sich deshalb freilich noch nicht auf gehobenen Sozialstatus schließen; dieser muß auch an­derswo belegt sein; vgl. zu den Sadduzäern ant. XVIII,16.

22 Vgl. E. TOPITSCH, Vom Ursprung und Ende der Metaphysik, Wien 1958.

48 Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen [294/295J

soziale Welt. Jedoch ist dabei zu bedenken, daß mythische Symbolik häufig , ,rückständig" ist, d. h. sie spiegelt Verhältnisse vergangener Zeiten. Gott ist auch dann noch König, wenn das Königtum nicht mehr existiert. Der Sohn Gottes wird geopfert, auch wenn Menschenopfer schon lange verpönt sind. Der Götterhimmel weist etwa auf eine schon lange überwundene Polygamie. Solche historischen Rückständigkeiten werden von der psychoanalytischen Mythendeutung zwar gerne im Sinne einer psychischen Regression gedeu­tet23• Aber wenn ein polygamer Götterhimmel einmal etabliert ist, so I braucht man keineswegs anzunehmen, alle Mitglieder einer Gesellschaft be­wältigen so durch Projektion ihre polygamen Neigungen. Einmal entstan­dene Bilder gewinnen sehr schnell ein Eigengewicht, werden offen für neue Verwendungen und Interpretationen. Auch das läßt gegenüber jedem allzu schnellen Rückschluß von mythischen Bildern auf ihre soziale Basis skep­tisch sein24 •

Ein zweiter Weg setzt weniger bei inhaltlichen Entsprechungen, sondern bei strukturellen Homologien zwischen sozialer Realität und religiöser Bild­lichkeit an, die auch bei inhaltlicher Verschiedenheit oft erkennbar sind. Da­bei kann erstens die Syntagmatik des Mythos im Vordergrund stehen, also die Beziehungen zwischen dessen aufeinander folgenden Einheiten. Ein My­thos besteht ja nicht aus statischen Symbolen, er bezieht sich auf dramatische Ereignisse25 • Zur Syntagmatik des Mythos gehört z. B. der Rückbezug auf einen prototypischen U rsprung26 . Ein häufig wiederkehrendes syntagmati­sches Schema ist hier z. B. die Genealogie, durch die konkurrierende Ur­sprungsmächte in einem Verwandtschaftssystem "versöhnt" werden, wäh-

23 Aus der Fülle der Literatur nenne ich nur w. SCHMIDBAUER, Mythos und Psychologie, Methodische Probleme, aufgezeigt an der Odipus-Sage, München/Basel 1970.

24 Das gilt für alle Rückschlußverfahren. Texte sind sowohl durch die Vergangenheit wie durch die Gegenwart bestimmt. Traditionsgeschichtliche und soziologische Analyse ergänzen einander. Soziale Situationen werden immer im Lichte bestimmter Traditionen gedeutet; Tradi­tionen werden überliefert, wenn sie soziale Situationen erhellen. Traditionsgeschichtlich vorge­prägte Topoi erlauben einen Rückschluß auf die Situation in verschiedener Weise: 1. Die Wie­derkehr der Topoi kann auf die Wiederkehr zugrunde liegender Erfahrungen weisen. Traditio­nen von der Verfolgung des neugeborenen Königs (Mt 2, 16) wären ohne die Ausrottungspolitik des Herodes gegenüber allen konkurrierenden Thronprätendenten (einschließlich seiner eigenen Kinder) im Urchristentum nicht lebendig geworden. 2. Traditionen werden bei ihrer Aktuali­sierung modifiziert. AT und NT kennen die Berufung am Arbeitsplatz (1. Kön 19,19 ff Am 7,15 Mk 1,16ff). Daß im NT Fischer und Zöllner an die Stelle der Bauern treten, entspricht den neuen Gegebenheiten. 3. Tradition und Situation erscheinen als inkongruent. Gegen den Topos der creatio ex nihilo schreibt Paulus in 1. Kor 1,26 ff von "nicht vielen" Weisen, Mächtigen und Hochgeborenen. Diese müssen daher für die soziale Struktur der korinthischen Gemeinde wich­tig gewesen sein.

25 Vgl. S. HOLM, Mythos und Symbol, ThLZ 93 (1968), 561-572. P. RrcoEuR, Symbolik des Bösen, München 1971, 185ff.

26 So M. EUADE in vielen Veröffentlichungen. Hier sei nur genannt: Significations du Myt­he, in: Le Langage II, Actes du XIIle Congres de Philosphie de Language Francaise, Neuchatel 1967, 165-179, wo er zwischen zwei Stadien des Ursprungs unterscheidet.

[295/296] Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 49

rend gleichzeitig ihr Streit als Degeneration gegenüber dem Ursprung ver­standen wird27 • Daß das Urchristentum in Abwehr auch des christlichen Gnostizismus (vgl. 1 Tim 1,4) nicht diesen Weg der Integration konkurrie­render kosmisch-numinoser Mächte gegangen ist, als es in den hellenisti­schen Bereich mit seinem soziokulturellen Pluralismus eintrat, ist auch so­ziologisch hochbedeutsam: Die Integration der numinosen Mächte geschieht hier in der Gestalt des leidenden Pantokrators viel radikaler als in jedem ge­nealogischen System (KoI1, 15 ff). Dem entspricht, daß auch die soziale Inte­gration verschiedener soziokultureller und ethnischer Gruppen sehr viel ent­schiedener hier vorangetrieben wurde als anderswo (GaI3,28 Eph 2,11 ff)28.1

Zweitens kann man von der Paradigmatik des Mythos ausgehen, also von sachlichen Beziehungen und Oppositionen zwischen seinen Elementen un­abhängig von ihrer syntagmatischen Reihenfolge: Gott und Teufel, Himmel und Hölle wären solche" Oppositionen". C. Levy-Strauss hat die These ver­treten, daß sich in der paradigmatischen Struktur des Mythos die grundle­genden Konflikte einer Gesellschaft zeigen29 .

Insgesamt wird man den Rückschluß aus mythischen Symbolen für den problematischsten Weg einer soziologischen Analyse religiöser Traditionen halten müssen. Es empfiehlt sich, immer erst alle anderen Rückschlußverfah­ren zu erproben30 • Eine andere Sache ist, daß gerade die Untersuchung von

27 Vgl. K. HEINRICH, Die Funktion der Genealogie im Mythos, in: Parmenides und Jona, Frankfurt 1966, 9-28.

28 Zwischen der Integration der (heidnischen) Mächte in den kosmischen Leib Christi und der Integration von Heiden und Juden in seinen ekklesiologischen Leib besteht im Kol und Eph eine Strukturhomologie. Die Fremdheit des Logos in dieser Welt ist strukturell homolog zur Fremd­heit der johanneischen Gemeinde in dieser Welt [vgl. den für die neutestamentliche Literaturso­ziologie wichtigen Aufsatz von W. A. MEEKs, The Man from Heaven in Johannine Sectaria­nism, JBL 91 (1972) 44-72]. Strukturhomologien zwischen "Basis" und "überbau" werden vor allem im "genetischen Strukturalismus" zum Ansatz literatursoziologischer Forschung. Vgl. L. GOLDMANN, Die Soziologie der Literatur, Stand und Methodenprobleme, in: Literaturso­ziologie I, hrsg. v. J. Bark, Stuttgart 1974,85-113. Berührungspunkte gibt es mit E. KÖHLER, über die Möglichkeiten historisch-soziologischer Interpretation, in: ders., Esprit und arkadi­sche Freiheit, Frankfurt 1966, 83-103 (auch in: Methoden der deutschen Literaturwissenschaft, hrsg. v. V. Zmegac, Frankfurt 1972, 227-248). Der materialistische Ansatz Goldmanns und Köhlers, soweit er nicht ohnehin schon sehr modifiziert ist, muß dabei nicht unbedingt über­nommen werden. Auch die Religionsphänomenologie sieht einen Grundzug der Religion in der Homologisierung von Mensch und Universum; vgl. M. ELIADE, Das Heilige und das Profane, rde 31, Hamburg 1957, 95f.

29 C. LEvy-STRAUSS, Die Sage von Asdiwal, in: Religionsethnologie, hrsg. v. C. A. Schmitz, Frankfurt 1964, 154-195; ders., Die Struktur der Mythen, in: Strukturale Anthropologie, Frankfurt 1967, 226-254. Zur Kritik vgl. E. LEACH (ed.), The Structural Study of Myth and To­temism, London 1967, darin bes. M. DOUGLAS, The Meaning of Myth, 49-69.

30 Diesfehlt z. B. in dem sehr interessanten Beitrag H. G. KIPPENBERG'S, Versuch einer so­ziologischen Verortung des antiken Gnostizismus, Numen 17 (1970), 211-231. Er stützt sich allzu einseitig auf einen Rückschluß aus mythischen Symbolen: Die Rebellion gegen den Herr­scher der Schöpfung, wie sie in der Umwertung des monotheistischen Schöpfergotts zum satani­schen Demiurgen sichtbar werde, sei insgeheim Rebellion gegen den politischen Herrscher der

so Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen [296/297]

Zusammenhängen zwischen mythischen Symbolen und sozialen Situationen zu den interessantesten Aufgaben religionssoziologischer Forschung ge­hört21 .1

Bei allen analytischen Verfahren verläuft der Rückschluß von historischen, normativen und symbolischen Aussagen auf soziologisch relevante Sachver­halte gegen die Intention religiöser Texte, die von etwas anderem reden. Sol­che Rückschlüsse gegen die Intention eines Textes sind weder illegitim noch unmöglich. Jeder Historiker arbeitet mit ihnen. Er arbeitet nicht nur "ver­stehend", wenn man darunter die Entfaltung der dem Text immanenten Aus­sageintentionen versteht. Er stellt vielmehr diese Intention immer in Zusam­menhänge, die Autoren und Tradenten nicht bewußt waren. Er deckt immer

Welt. Für die Entsprechung zwischen mythischen Projektionen und sozialer Realität beruft er sich besonders auf E. Toptisch's Mythostheorie, die von P. MUNz, The Problem of "Die sozio­logische Verortung des antiken Gnostizismus", Numen 19 (1972), 41-51 kritisiert wird, ohne daß die Thesen von Kippenberg damit freilich widerlegt werden können. Richtig ist vor allem, daß der Gnostizismus seinen sozialen Ort in den höheren Schichten gehabt hat; vgl. A. v. HAR­NACK, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 41924, Bd. I, 562; C. ANDRESEN, Die Kirchen der alten Christenheit, Stuttgart/Berlin 1971, 103f; P. ALFARIC, Die sozialen Ursprünge des Christentums, Darmstadt 1963, 363ff; A. B. RANOWITSCH, Das Urchristentum und seine historische Rolle, in: Aufsätze zur Alten Ge­schichte, Berlin 1961, 135-165; M. ROBBE, Der Ursprung des Christentums, Leipzig 1967, 202ff. Ein Nachweis für diese meist nur nebenbei geäußerte Vermutung müßte auf möglichst vielen Rückschlußverfahren basieren. Auszuwerten wären 1. soziographische Daten - ein Val­entinianer kann Origenes sieben Stenographen zur Verfügung stellen (Euseb hist. eccl. VI, 18,1. 23,lf),2. Konflikte z. B. in der römischen Gemeinde. Vgl. H. LANGERBECK, Zur Auseinan­dersetzung von Theologie und Gemeindeglauben in der römischen Gemeinde in den Jahren 135-165, in: Aufsätze zur Gnosis, AbhGöttingen IH, 96, 1967, 167-179. 3. Auszuwerten ist das sprachliche und literarische Niveau gnostischer Schriften. So setzt die erstaunliche gnosti­sche Bücherproduktion einen gewissen Wohlstand voraus. 4. Das Ethos ist oft "liberal": Göt­zenopferfleisch, Vergnügungen, Sexualität werden nicht abgewertet. 5. Die ekklesiologischen Symbole, insbesondere die Unterscheidung von Gnostikern und Pistikern, verraten ein elitäres Selbstverständnis. 6. Die Erkenntnissoteriologie könnte Charakteristikum gehobener Kreise sein: Wo ein innerer Prozeß heilsvermittelnd ist, wird die der Erlösungssehnsucht zugrunde lie­gende Not weniger in äußeren, materiellen Verhältnissen begründet sein. 7. Analogisierend müßte nach anderen radikalen mystischen Strömungen in der Religionsgeschichte gefragt wer­den und kontrastierend nach anderen Ausformungen christlichen Glaubens in den höheren Schichten der damaligen Zeit: So finden wir Mitglieder höherer Schichten auch als Leiter ortho­doxer Gemeinden.

31 Das wäre ein neuer Arbeitsschritt. Erst wenn man über soziologische Daten verfügt, kann man soziale Situationen und Texte korrelieren. Dabei gibt es drei Möglichkeiten: 1. Die chrono­logische Korrelierung: Die meisten apokalyptischen Texte entstanden zwischen 200 v. Ch. -100 n. Ch., genau in jener Zeit, in der sich das Judentum um politische Unabhängigkeit bemühte, ohne sie auf Dauer erlangen zu können. Derartige chronologische Zusammenhänge weisen auf sachliche Zusammenhänge. 2. Die quantitative Korrelierung: Je mehr das Christentum in hö­here Schichten aufstieg, um so mehr übernahm es die "gehobenen" literarischen Formen. Auf historischem Gebiet lassen sich meist nur solche graduellen Schätzungen (, ,mehr" - "weniger") anstellen, exaktes Zahlenmaterial fehlt weitgehend. In jedem Fall ist zu beachten: Nicht alles, was quantitativ korreliert, gehört sachlich zusammen. 3. Die sachliche Korrelierung, die Bedin­gung jeder chronologischen und quantitativen Korrelierung ist. Als Beispiel sei auf die A.28 skizzierten Strukturhomologien hingewiesen.

[297/298] Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 51

Prozesse auf, die im Rücken ihrer Intentionen wirksam waren. Das soziolo­gische Rückschlußverfahren ist grundsätzlich nicht von historischer Quel­lenanalyse unterschieden. Und es ist auch nichts Neues, daß Ergebnisse einer kritischen Analyse und Selbstverständnis eines Textes auseinanderklaffen, daß ein "hermeneutischer Konflikt" entsteht (P. Ricoeur)32. Dieser durch den wissenschaftlich-methodischen Umgang mit Texten entstandene herme­neutische Konflikt hat übrigens nichts mit religions wissenschaftlichem Re­duktionismus zu tun, nach dem religiöse Intentionen Simulation einer nicht-religiösen (sozioökonomischen oder psychischen) Wirklichkeit sind. Solch ein Reduktionismus hätte den Konflikt schon sehr einseitig gelöst, an­statt ihn zu deuten. Diese Deutung gehört aber nicht mehr in die Methodolo­gIe.

C. Vergleichende Verfahren

Ein naheliegender Einwand gegen die methodische Durchführbarkeit ei­ner Soziologie des Urchristentums ist: Um singuläres, individuelles Sozial­verhalten zu beschreiben, genügt im Mindestfalle eine Quelle. Das Typische aber ließe sich erst dann erschließen, wenn ein Sozialverhalten in vielen Quel­len und vielen Situationen belegt sei; die urchristlichen Quellen aber seien viel zu fragmentarisch, um eine ausreichende Basis für soziologische Schlüsse zu bieten. Das ist durchaus richtig. Nur finden wir viele Phänomene des Ur­christentums in nichtchristlichen Quellen wieder. Die Ausweitung der Ana­lyse auf diese nich tchristlichen Quellen ist für eine Soziologie des U rchristen­turns so unerläßlich wie für jede wissenschaftliche Erforschung des Ur­christentums. Daß der inApg 18,8 genannte Archisynagogos Krispus ein gut gestellter Mann war, kann man aufgrund der ntl Notiz mit guten Gründen vermuten; es wird aber noch wahrscheinlicher, wenn man Inschriften stu­diert, in denen sich Archisynagogen ihrer Aufwendungen für das Synago­gengebäude rühmen33 : Es empfahl sich zweifellos, für dies Amt Begüterte auszusuchen.

Vergleichende Verfahren können zwei Richtungen nehmen: Entweder ar­beitet man mit ihrer Hilfe das für das Urchristentum Typische heraus, indem man die Unterschiede zur Umwelt analysiert. Oder man interessiert sich für Charakteristika, die das Urchristentum mit vergleichbaren Bewegungen, Gruppen, Erscheinungen aller Zeiten teilt. Im ersten Fall verfährt man vor­wiegend kontrastierend, im zweiten analogisierend - vorwiegend, denn ein Vergleich wäre sinnlos, wenn absolute Divergenz oder Identität herrschte. Entsprechend setzen kontrastierende I oder analogisierende Verfahren immer auch Analogien und Unterschiede voraus. Die Unterscheidung ist aber sinn-

32 P. RICOEUR, Die Interpretation, Frankfurt 1969, 33 ff, 68 ff. 33 Vgl. J. B. FREY, Corpus Inscriptionum Iudaicarum, Rom 1936 Nr. 265, 548, 722, 766,

781, 1404.

52 Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen [298]

voll, weil in dem einen Fall die analogen Momente das Unproblematischere sind und sich das methodische Interesse auf die Kontraste konzentrieren kann, während im anderen Falle die Unterschiede auf der Hand liegen, so daß die Analogien zu eruieren sind.

Unproblematisch ist die Gemeinsamkeit, wenn verschiedene religiöse Gruppen und Erscheinungen in derselben historischen und sozialen Situa­tion wurzeln. Man braucht diese zunächst gar nicht bis ins einzelne zu analy­sieren, sondern kann von der heuristischen Annahme ausgehen, daß ver­schiedene religiöse Strömungen verschiedene Antworten auf eine vergleich­bare soziale Situation darstellen, z. B. Pharisäer-, Essener- und Zelotentum auf die soziale Situation des damaligen Palästinas. Die Situation hat hier kon­stante Elemente, die korrespondierenden religiösen Bewegungen jedoch sind variabel. Daraus ergibt sich die Aufgabe, die Unterschiede zwischen den selbständig auftretenden religiösen Bewegungen mit Unterschieden inner­halb der gemeinsamen sozialen Situation in Zusammenhang zu bringen.

In dieser Weise analysiert P. Alfaric34 die religiösen Strömungen in der pa­lästinensischen Gesellschaft des 1. Jh. n. eh.: Der Sadduzäismus ist eine Gruppierung privilegierter Schichten mit religiösem und politischem Kon­servativismus. Der Pharisäismus repräsentiert die strebsame und leistungs­bewußte Mittelschicht. Die Zeloten artikulieren den Protest der mittleren und unteren Schichten, während die Essener als quietistische Reaktion eben dieser Schichten gedeutet werden. Es wäre nun methodisch konsequent, auch bei der Jesusbewegung nach spezifischen sozialen und religiösen Mo­menten zu fragen. Der Wunsch, die Eigenständigkeit des Urchristentums möglichst weitgehend zu leugnen, führt aber bei P. Alfaric dazu, die J esus­bewegung als unwesentliche Variante der essenischen Strömung anzusehen. Da aber kein Zweifel daran besteht, daß diese Bewegung unabhängig von den Essenern aufgetreten ist, da sie sich in ihrem SozialverhaIten deutlich von die­sen unterscheidet - z. B. in der Stellung zu den, ,Sündern", zum Volk, zum Gesetz -, ist dies methodisch inkonsequent.

Das vergleichende Verfahren nimmt eine andere Richtung, wenn sachlich verwandte religiöse Strömungen in anderen historischen Situationen zum Vergleichspunkt gewähIt werden. Beim Urchristentum wären das alle mes­sianisch-chiliastischen Bewegungen. Hier finden wir immer wieder ver­gleichbare Züge: Erwartungen des nahen WeItendes, messianische Prophe­ten und Führer, wunderhafte und ekstatische Phänomene (z. B. Exorzis­men), Parusieenttäuschungen35 • Steht die gewiß immer nur begrenzte Ver-

34 P. ALFARIC, Die sozialen Ursprünge des Christentums, Darmstadt 1963, 43-75. Diesel­ben methodischen Einwände sind gegen Versuche zu erheben, Jesus und die Zeloten auf einen Nenner zu bringen- auch gegen den differenzierten Versuch von S. G. F. BRAND ON, Jesus and the Zealots, Manchester. 1967.

35 Vgl. u. a. W. E. MÜHLMANN, Chiliasmus und Nativismus, Berlin 1961; R. F. WALLACE, Revitalisations-Bewegungen, in: Religionsethnologie, hrsg. v. C. A. SCHMITZ, Frankfurt 1964,

[298/299] Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen 53

gleichbarkeit solcher Bewegungen fest, so wird ein religionssoziologischer Vergleich vor allem die Aufgabe haben, nach korrespondierenden verwand­ten Strukturen in der zugrunde liegenden sozialen Situation zu fragen. So sind messianisch-chiliastische Bewegungen häufig Reaktionen unterworfe­ner Völker auf eine politisch überlegene Fremdkultur, in denen sich das ver­letzte Selbst I wert gefühl der unterlegenen Kultur zu behaupten sucht: zweifel­los Strukturmerkmale, die auch für die messianischen Bewegungen im rö­misch besetzten Palästina zutreffen und u. a. auch für die urchristliche Be­wegung. Der Nachteil solch eines analogisierenden Verfahrens ist seine rela­tive Unschärfe. Kein Phänomen entspricht völlig dem anderen. Und es würde historischem Takt sehr widersprechen, allzu schnell die Mau-Mau­Bewegung in Kenia und das Urchristentum auf einen Nenner zu b~ingen. Der Vorzug ist, daß wir über einen Teil dieser messianisch-chiliastischen Bewegungen relativ gut und vor allem durch methodisch durchgeführte Un­tersuchungen informiert sind. Man erhält so zumindest eine Reihe interes­santer und untersuchenswerter Hypothesen.

Z wischen kontrastierendem und analogisierendem Vergleich besteht zu­nächst nur ein Akzentunterschied: Die historische Nähe bietet in dem einen Fall den Hintergrund für das Hervortreten von Unterschieden, die histori­sche Distanz im anderen Fall den Hintergrund für strukturell verwandte Züge. Hintergrund und davon sich abhebende "Gestalt" können bekannt­lich wechseln. Methodologisch sind beide Verfahren komplementär. Beim kontrastierenden Vergleich gilt die gesamtgesellschaftliche Situation als rela­tiv konstant, die korespondierenden religiösen Strömungen werden als Va­riable betrachtet; beim analogisierenden Vergleich gelten Strukturmerkmale religiöser Strömungen als relativ konstant, die korrespondierende soziale Si­tuation dagegen als variabel. Im ersten Falle hat die religionssoziologische Analyse innerhalb der gleichbleibenden sozialen Situation nach weiteren Va­riablen zu suchen, im zweiten Fall innerhalb der variierten sozialen Situation nach möglichen Konstanten. Dem historisch arbeitenden Religionssoziolo­gen sind zwar empirische Erhebungen von Daten versagt; wenn er aber das vorgegebene Material der Geschichte untersucht, so verfährt er logisch nicht grundsätzlich anders als der in der Gegenwart arbeitende Soziologe.

Wir haben am Beispiel des Urchristentums verschiedene methodische Wege untersucht, aus religiösen überlieferungen soziologisch relevante Da­ten zu gewinnen. Es bedarf keiner Betonung, daß nur in Vielfalt und metho­dologischer Eigenständigkeit verschiedener Rückschlußverfahren die Chance begründet ist, den zu untersuchenden Gegenstand approximativ durch adäquate Aussagen zu erfassen; nur konkurrierende Verfahren bieten die Möglichkeit zu gegenseitiger Kontrolle und Korrektur. Das gilt ebenso für Methoden innerhalb der Religionssoziologie als auch im Hinblick auf die

404--427. Speziell zum Urchristentum C. COLPE, Der Begriff ,Menschensohn' und die Methode der Erforschung messianischer Prototypen, Kairos 14 (1972), 241-257.

54 Die soziologische Auswertung religiöser Uberlieferungen [299J

Religionswissenschaft überhaupt, innerhalb der notwendigerweise verschie­dene Betrachtungsweisen konkurrieren müssen. Auch die soziologische Be­trachtungsweise ist nur eine unter anderen36 .

36 Der vorliegende Aufsatz beschäftigt sich nur mit der Frage, wie man soziologisch relevante Daten aus unseren Texten gewinnt. Erst wenn man diese Daten hat, stellt sich die weitere Frage, inwiefern historisch-soziologische Forschung für die Interpretation urchristlicher Texte herme­neutisch relevant ist. Religionssoziologie ist zumindest insofern hermeneutisch relevant, als 1. die Texte hin und wieder soziale Sachverhalte thematisieren, sei es auch in der Weise, daß sie als bildspendende Realitäten in religiöser Gleichnisrede und Metaphorik erscheinen; 2. sofern In­halt und Form von Texten in sachlich einleuchtender Korrelation zu sozialen Sachverhalten ste­hen; 3. sofern alle Texte Formen sozialer Interaktion zwischen Autoren, Vermittlern und Rezi­pienten sind. - Der vorliegende Aufsatz war Gegenstand einer Diskussion im Seminar meines Kollegen Dr. K. BERGER in Heidelberg am 30. 5. 75. Meinen Diskussionspartnern, insbeson­dere Herrn Berger, verdanke ich zahlreiche Anregungen und Argumente, die vor allem in den Anmerkungen 24 und 36 ihren Niederschlag gefunden haben. Die Frage der Integration reli­gionssoziologischer Daten in eine Soziologie des Urchristentums habe ich in: "Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung und die Analyse des Urchristentums", NZSysThR 16 (1974) 35-56 erörtert.

[35]

3.

Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung und die Analyse des Urchristentums

Jeder Versuch einer Soziologie des Urchristentums steht vor zwei grundsätzlichen Problemen, die einer systematischen Erörterung bedür­fen. Das erste Problem ist methodologischer Art: Wie kann man aus sozio- und historiographischen, aus paränetischen, poetischen und mythi­schen Aussagen des Neuen Testaments soziologisch relevante Daten gewinnen? Das zweite Problem, das im folgenden diskutiert werden soll, ist theoretischer Art: Welche religionssoziologischen Theoreme soll man zugrunde legen, welche heuristischen Annahmen machen, welche Kategorien wählen, welche Fragen stellen, um in ihrem Lichte die immer nur fragmentarischen Einzeldaten zu sammeln und auszuwerten? Die Notwendigkeit zu solch theoretischen überlegungen ist unüberseh­bar, wenn Texte weithin gegen ihre Aussageintention interpretiert wer­den. Vergleichbar ist ein Grundproblem existenzialer Interpretation: Werden mythische Texte gegen ihre Intention als Objektivationen menschlicher Existenz gedeutet!, so ist man auf eine Anthropologie ange­wiesen, die nicht ausschließlich aus den Texten gewonnen werden kann, soll sie doch als Rahmen dienen, in dem diese Texte kritisch interpretiert werden. Entsprechend bedarf die soziologische Auswertung neutesta­mentlicher Texte einer religions soziologischen Theorie. Hier ist ja ganz unübersehbar, daß unsere Fragen an den Gegenstand herangetragen sind, daß unser wissenschaftliches Forschen ein konstruktives Element enthält, daß wir auf modellartige Konstruktionen angewiesen sind, um die Wirklichkeit analysieren zu können.

Theorien basieren nie ausschließlich auf empirischen und historischen Daten; sie transzendieren die immer nur begrenzt kontrollierbaren Da­ten, auf denen sie beruhen, z. B. in allgemeinen Aussagen vom Typ: »Religion ist Suche nach menschlicher Eigentlichkeit« (auf dieser schlich­ten Religionstheorie basiert m. E. die existenziale Interpretation). Es

1 R. Bultmann: Neues Testament und Mythologie, in: Offenbarung und Heilsgesche­hen, München 1941, S.27-69, meinte zwar: »der Mythos will nicht kosmologisch, sondern anthropologisch - besser: existential interpretiert werden« (5. 36). Die neuere Diskussion hat jedoch m. E. gezeigt, daß die Aussagen des NT durchaus»kos­mologisch« gemeint sind, daß Welt- und Selbstverständnis hier unlösbar miteinander verbunden ist.

56 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [35/36]

besteht heute kaum Streit darüber, daß in solche theoretische Verall­gemeinerungen Wertungen ulJ,d Voreingenommenheiten eingehen. Um­stritten sind die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis. I

Möglich ist z. B. der Standpunkt hermeneutischer Toleranz2, der jedem »Vorverständnis« die Chance zugesteht, den zur Diskussion ste­henden Gegenstand zu »verstehen«. Innerhalb der menschlichen Ge­schichte existiere jeder Gegenstand als Potentialität menschlicher Ver­stehensmöglichkeiten, nicht als Gegenstand »an sich«. Diese Theorie mag etwas kompliziert sein, ihr Ergebnis ist eindeutig: Jedes Vorverständnis wäre Quelle möglicher Wahrheit.

Heute wird häufig der Schritt zum Standpunkt des »engagierten Erkennens« vollzogen: Da alles Erkennen interessebedingt sei, gelte es, vorweg durch wissenschaftstheoretische Reflexion die »wahren« Interes­sen auszumachen und in ihrem Lichte den Gegenstand zu analysieren. Nicht jedes Vorverständnis wäre danach Quelle möglicher Wahrheit, sondern nur jene Aspekte, die man als »emanzipatorisch« oder »theolo­gisch sachgemäß« deklariert hat.3

Eine dritte Möglichkeit stellt die Position der »kritischen über­prüfung« dar. Die Widerspruchs freiheit theoretischer Annahmen voraus­gesetzt, so ist es irrelevant, ob sie aus alltäglichem Vorverständnis, »konservativer« oder »progressiver« Einstellung, positivem oder nega­tivem Verhältnis zur Sache stammen, sofern sie nur so formuliert wer­den, daß sie durch Konfrontation mit den Quellen überprüft und gege­benenfalls zum Scheitern gebracht werden können.4 Ihre Legitimität im Wissenschaftsprozeß hängt primär von ihrer überprüfbarkeit ab, die sich in wissenschaftlicher Diskussion vollzieht. Denn die Daten der Wirklichkeit erheben nie unmittelbar Einspruch gegen an sie herangetra­gene Theorien. Ihr Einspruch wird immer durch alternative Deutungen anderer Forscher vermittelt. So lange verschiedene Forscher mit ver­schiedenen Vorelngenommenheiten am Forschungsprozeß beteiligt sind, kann es immer wieder zu gegenseitiger Korrektur kommen.5 Zu fordern ist daher, daß Forscher mit möglichst verschiedenen Ansätzen, Interessen, Voreingenommenheiten am Wissenschaftsprozeß konkurrierend teil­nehmen.

2 Vgl. H. G. Gadamer: Wahrheit und Methode, Tübingen 1960. 3 Vgl. für die theologische Exegese P. Stuhlmacher: Thesen zur Methodologie gegen­

wärtiger Exegese, ZNW 63 (1972) S. 18-26. 4 Dies ist der Standpunkt des kritischen Rationalismus. Vgl. K. Popper: Die offene

Gesellschaft und ihre Freunde 2 Bde., Bern 1957; H. Albert: Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968; ders.: Konstruktion und Kritik, Hamburg 1972. Daß man von diesem Standpunkt aus durchaus ,.hermeneutische Toleranz« und »enga­gierte Erkenntnis« praktizieren kann, scheint mir ein Vorzug zu sein.

S Vgl. K. Popper, Bd. 2, S .260 ff.

[36/37] Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 57

Illegitim ist auf jeden Fall eine Selektion zwischen theoretischen Annahmen vor ihrer überprüfung an den Daten der Wirklichkeit. So ist es ein Unding, sich bei der Analyse des NT von vornherein gegen I »Psychologisierung«, »Historisierung«, »Soziologisierung« und »Positi­vismus« zu verwahren. All diese Schlagworte sind oft nur Denktabus, die dort als Verbotsschilder aufgestellt werden, wo wissenschaftliches Fragen Voreingenommenheiten gefährden könnte. Ob und wie eine soziologische Betrachtungsweise des Urchristentums durchführbar ist und inwiefern sie angemessen ist, läßt sich nur an den zur Verfügung stehen­den Quellen entscheiden, nicht durch Reflexionen über die »Unverfüg­barkeit des Glaubens« oder die »Nichtobjektivierbarkeit des Kerygmas«

- und andere Formeln, die dazu mißbraucht werden könnten, wissen­schaftliches Neugierverhalten einzuschüchtern, mögen sie in anderem Kontext auch legitim sein.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, einen forschungsgeschichtlichen überblick über verschiedene religionssoziologische Theorien zu geben.6

Wir beschränken uns auf eine systematische Skizze mit idealtypischen Verallgemeinerungen und Vereinfachungen. Dabei ist zu bedenken, daß Analyse und Darstellung dieser religionssoziologischen Theorien nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind. Zur Debatte steht ihr Beitrag zur Analyse des Urchristentums.

Aufgabe einer religions soziologischen Theorie ist, soziologisch rele­vante Einzeldaten in einen systematischen Zusammenhang zu bringen bzw. Zusammenhänge zu konstruieren, die an Einzeldaten überprüft werden können. Dieser Zusammenhang kann formal sehr verschieden bestimmt werden: intentional, kausal-genetisch oder funktional. Ent­sprechend lassen sich drei religionssoziologische Ansätze unterscheiden: 7

1. Der religionsphäno~enologische Ansatz:8 Man kann vom Selbst­verständnis religiöser Phänomene ausgehen, von ihrer Intention. Reli­gion ist dann »Begegnung mit dem Heiligen«, einer Wirklichkeit eigener Art jenseits menschlicher Gesellschaft, die wohl in die Gesellschaft hinein­wirkt und sich in verschiedenen Formen institutionalisiert, aber im Kern soziologischer Analyse entzogen bleibt. I

6 Einen kurzen überblick gibt J. Matthes: Religionssoziologie, in: Die Lehre von der Gesellschaft, hrsg. v. G. Eisermann, Stuttgart 19692, S. 218 ff., bes. S.230-239.

7 Einen vierten Ansatz könnte man evolutionistisch nennen. Er liegt dort vor, wo Religionssoziologie unter dem Aspekt der »Säkularisierung« getrieben wird und dieser Prozeß als» evolutionäres Universal« gilt, d. h. als anthropologisch fundier­ter irreversibler Prozeß wachsender Rationalität und Weltbeherrschung. Vg!. G. Dux: Religion, Geschichte und sozialer Wandel, Int. Jahrb. f. Re!. soz. 7 (1971) S. 60-94, bes. S. 65 ff.

S Vg!. J. Wach: Sociology of Religion, London 1947; G. Mensching: Soziologie der Religion, Bonn 1947. Mann kann hier auch von Religionssoziologie als verstehender Geisteswissenschaft sprechen. So J. Matthes: Religion und Gesellschaft, rde 279/80, Hamburg 1967, 5.21 ff.

58 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [38]

2. Der reduktionalistische Ansatz: Der Zusammenhang zwischen religionssoziologischen Einzeldaten, insbesondere zwischen religiösem Selbstverständnis und seiner sozialen Basis, kann auch kausal-genetisch bestimmt werden: Intentionen religiöser Phänomene werden dann auf nicht-religiöse Faktoren zurückgeführt. Wird dabei der Anspruch erho­ben, auf diese Weise Sinngehalt und soziale Bedeutung der Religion erfaßt zu haben, so kann man von einer reduktionalistischen Religions­theorie sprechen.9 Ihr klassisches Beispiel ist die orthodoxe Variante marxistischer Religionstheorie.

3. Der funktionalistische Ansatz10 verbindet Elemente des phäno­menologischen und reduktionalistischen Ansatzes. Er berücksichtigt so­wohl kausal-genetische Bedingtheit als auch die Intentionalität religiöser Phänomene, analysiert diese aber im Hinblick auf ihren Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Grundaufgaben. Nimmt man an, daß eine Religion aus bestimmten sozialen Ursachen heraus entstanden ist, so taucht immer das Problem auf, warum sie sich entfaltet hat, auch nach­dem ihre Entstehungsursachen nicht mehr wirksam waren. So ist z. B. das Urchristentum zunächst als innerjüdische Erneuenmgsbewegung in den ländlich strukturierten Gebieten Palästinas entstanden, seine Ver­breitung fand es aber vor allem in den Mittelmeerstädten als selbständige Religion, dort also, wo die sozialen Bedingungen nicht mehr gegeben waren, welche die palästinensische Jesusbewegung geprägt haben. Den­noch fand es dort Anklang. Mit der Zeit fanden sogar Traditionen, die dem palästinensischen Raum entstammten - die synoptischen Traditio­nen - hier Verbreitung. Ein funktionalistischer Ansatz liefert m. E. bessere theoretische Kategorien, um solch einen Wandel verständlich zu machen als ein reduktionalistischer Ansatz: Was sich als lebendig erweist, von dem kann man heuristisch annehmen, daß es in seinem jeweiligen sozialen Zusammenhang eine Funktion erfüllt, d. h. einen den beteiligten

9 In Auseinandersetzung mit funktionalistischer Religionssoziologie plädiert G. Carlsson: Betrachtungen zum Funktionalismus, in: Logik der Sozialwissenschaften, hrsg. v. E. Topitsch, Köln 19674, S. 236-261, für etwas mehr "Reduktionismus« -zweifellos zu Recht, wenn man darunter z. B. die Suche nach Korrelationen zwischen Variablen aus verschiedenen Wirklichkeitsbereichen versteht. Das ist etwas anderes als die Leugnung der Eigenständigkeit einer Variablen, wie es bei M. Robbe: Der Ursprung des Christentums, Leipzig 1967, S. 219 f. geschieht: "In der christlichen Religion reproduzieren sich so in illusionärer Form die Widersprüche der hoch­entwickelten Sklavenhaltergesellschaft. Der Begriff >das Christentum< ist darum schon problematisch. Als einheitliche Bewegung oder Gemeinschaft hat es niemals existiert«; ders.: Marxismus und Religionsforschung, Int. Jahrb. f. Re!. soz. 2 (1966) S.157-184.

10 Vg!. die klare Darstellung bei o. Schreuder: Die strukturell-funktionale Theorie und die Religionssoziologie, Int. Jahrb. f. Re!. soz. 2 (1966) S.99-134.

[39J Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 59

Menschen oft gar nicht bewußten objektiven Zweck, sei es den, die Ordnung einer Gesellschaft zu stabilisieren oder auf ihre Konflikte und Spannungen mit Veränderung zu reagieren. l1 Eine Soziologie des Urchristentums hätte demnach zu zeigen, inwiefern die in Palästina entstandene urchristliche Bewegung unter ganz anderen Bedingungen »funktional« sein konnte.

Eine Brücke zwischen beiden sozial so verschieden strukturier.en Bereichen war gewiß die missionarische Intention des Urchristentums, welche durch die Enderwartung intensiviert wurd.e.12 Geschichte und Soziologie des Urchristentums lassen sich aber von den urchristlichen Intentionen her all eine nicht verstehen. Die objektive Funktion einer religiösen Erscheinung ist selten mit ihrer Intention identisch, auch wenn sie immer durch menschliche Intentionen vermittelt wird. Sie ist in weit größerem Maße in den nicht intendierten Folgen religiöser Intentionen zu suchen. Die· Regenzauberzeremonie eines Eingeborenenstammes hat etwa die Intention, Regen herbeizuzaubern. Ihre objektive Funktion aber, deretwegen sie trotz häufigen manifesten Versagens ihren festen Sitz im Leben des Stammes hat, wird eher darin bestehen, die Solidarität des Stammes zu festigen, was angesichts drohender Ernährungskrisen ja auch sehr sinnvoll ist, sinnvoll also gerade dann, wenn die Zeremonie versagt. Eine Funktion enthält demnach wie eine Intention eine teleo­logisches Moment, aber im Unterschied zu ihr kann diese Teleologie keinem Subjekt zugerechnet werden. Das gilt z. B. auch für die urchrist­liche Eschatologie. Ihre Intention ist zweifellos die, das nahe Weltende zu verkündigen, in der die gegenwärtige Welt untergehen wird, um einem neuen Himmel und Erde Platz zu machen. Diese Intention wurde durch die fortschreitende Zeit schlicht widerlegt. Das Problem der »Parusieverzögerung« wird dabei im NT zu deutlich artikuliert, als daß man sich mit der Auskunft zufrieden geben dürfte, hier hätten utopische Wünsche jegliche Realitätskontrolle überrannt. Man hat die Realität durchaus wahrgenommen, aber dennoch die Naherwartung weiter tradiert und sie immer wieder mit neuem Leben erfüllt - am deutlichsten im Montanismus des 2. Jh. n. eh. Dennoch entstand keine Krise. Ein derartiges Phänomen läßt sich m. E. nur befriedigend erklä­ren, wenn man nach der objektiven Funktion urchristlicher Naherwar­tung fragt, einer Funktion, die unabhängig oder besser: im Rücken ihrer kompromittierten Intention wirksam ·war. Wer die gegenwärtige Welt

11 Eine einseitige Festlegung des Begriffs ,.funktional" auf Ordnungsfunktionen wäre scharf zu kritisieren. V gl. R. Dahrendorf: Struktur und Funktion, in: Pfade aus Utopia, München 1967, S.213-242. Zur Diskussion zwischen Integrations- und Konflikttheorien vgl. R. Rüschemeyer: Einleitung in T. Parsons: Beiträge zur sozio­logischen Theorie, Neuwied 1964, S. 9-29.

12 Vgl. z. B. Mk 13, 10.

60 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [40J

und d. h. die antike Gesellschaft ständig in den mythischen Flammen seiner Phantasie untergehen läßt, dem könnten eschatologische Bilder dazu dienen, sich den Normen und Verpflichtungen entgegenzustellen, welche ihm aus dieser Gesellschaft entgegengebracht werden. Jede Lebensform ist an eine soziale Welt gebunden, die oft in mythischen Bildern symbolisch gesteigert und gedeutet wird.13 Eine neue Lebens­form kann sich nur durchsetzen, wenn die alte Welt durch die symboli­schen Handlungen mythischer Phantasie zerstört und entmächtigt wird.

Der funktionalistische Ansatz bietet so m. E. fruchtbare Kategorien, um das Urchristentums soziologisch zu analysieren. Seine überlegenheit beruht nicht zuletzt darin, daß er phänomenologische und reduktiona­listische Ansätze integrie'ren kann. Er ist nach beiden Richtungen hin offen, unterscheidet sich jedoch in einem Punkt von beiden: Phänomeno­logische und reduktionalistische Religionstheorien wollen oft das Wesen, den Kern, die Wahrheit oder Unwahrheit der Religion bestimmen. Sie wissen, daß Religion entwed'er »Begegnung mit dem Heiligen« oder Simulation nicht-religiöser sozialer Realität ist. Innerhalb eines funktio­nalistischen Ansatzes ist es dagegen keineswegs notwendig, die soziale Funktion einer Erscheinung mit ihrem Wesen zu identifizieren, auch wenn diese Erkenntnis einer Zeit schwer fällt, die in sozialen Beziehun­gen das Wesentliche sieht, oder »Gott« als Mitmenschlichkeit definiert, wie die theologische Variante dieser Einsicht lautet, eine Einsicht, der mancher wohl einen soliden Agnostizismus vorziehen würde.

Als »funktional« können wir das ansehen, was den Grundaufgaben innerhalb eines abgrenzbaren gesellschaftlichen Bezugsrahmens dient. Eine solche Definition wirft sofort drei weitere Fragen auf: die Frage nach den Grenzen sozialer Funktionalität, nach dem Bezugsrahmen und den Grundaufgaben.

Die Wahl eines funktionalistischen Ansatzes impliziert nicht die These, jede Erscheinung innerhalb einer ,Gesellschaft sei in irgendeinem Sinne funktional. Zunächst wird Funktionalität nur in dem gesucht, was sozial wirksam geworden ist, in dem, was sich behauptet hat - so wie wir bei einem Organismus funktions gemäßen Aufbau postulieren, wenn er fähig ist, am Leben zu bleiben. Dies ist zunächst nur ein Postulat, eine Arbeitshypothese. Nicht daß alles funktional ist, wird apriori behauptet, sondern daß es sinnvoll ist, nach Funktionalität zu fragen und dabei gegebenenfalls auch Dysfunktionalität zu entdecken. (Daß ich mich entschieden weigern würde, alle historischen Integrations- und Konflikt-

13 Zum Phänomen der »symbolischen Steigerung« vgl. W. E. Mühlmann: Umrisse und Probleme einer Kulturanthropologie, in: W. E. Mühlmann I E. W. Müller: Kultur­anthropologie, Köln 1966, S.15-49. Zu berücksichtigen ist ferner G. M. Vernon: The Symbolic Interactionist Approach to the Sociology of Religion, Int. Jahrb. f. Rel. soz. 2 (1966) S. 135-155.

[41] Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 61

prozesse als objektiv funktional anzusehen, darf vielleicht am Rande erwähnt werden.)14

Eine zweite Einschränkung ist hinsichtlich des Bezugsrahmens zU machen: Es gibt keine Funktionalität an sich, sondern immer nur in Beziehung zu einem vorgegebenem Ganzen. Dies Ganze läßt sich aber in der Geschichte nie so eindeutig abgrenzen wie ein Organismus im natür­lichen Bereich.15 Bezugsrahmen einer Soziologie des Urchristentums ist zunächst die gesamte antike Gesellschaft der Kaiserzeit. Es ist jedoch sinnvoll, hin und wieder einen anderen Bezugsrahmen zu wählen: etwa die jüdisch-palästinensische Gesellschaft oder die urchristlichen Gemein­den. Gesamtgesellschaftlich war das Urchristentum z. B. gewiß keine integrierende Bewegung. Sie setzte ihre Mitglieder vielmehr einem erhöhten Konflikt mit der Gesellschaft aus. In sich aber entwickelten die urchristlichen Grupperi eine große integrierende Kraft. Es ist also sinnlos, von Integration zu reden, ohne den Bezugsrahmen anzugeben.

Von zentraler Bedeutung ist schließlich die Bestimmung der gesell­schaftlichen Grundaufgaben. Es ist m. E. plausibel, zwei Grundaufgaben anzunehmen: die Herstellung von Ordnung und die Bewältigung von Konflikten. Die erste Aufgabe besteht in der Ausschaltung von mani­festen Konflikten für bestimmte zentrale Bereiche. Auch die liberalste Gesellschaft ist auf einen Grundkonsensus angewiesen. Die zweite Auf­gabe besteht darin, auf Konflikte mit Änderungen und Anpassungen zu reagieren. Vollkommene Ordnung wäre nur durch absoluten Zwang zu erreichen, eine ausschließlich antagonistische Gesellschaft wäre chaotisch und der Veränderung kaum fähig. Natürlich gibt es immer wieder Versuche, soziale Prozesse einseitig aus einer Perspektive zu sehen: Dann wird jeder Konflikt als Bedrohung der Grundordnung gedeutet, jede Ordnungsstruktur als sublimes Mittel gesellschaftlicher Antagonismen.

Entsprechend diesen Grundaufgaben lassen sich zwei Typen funk­tionalistischer Religionstheorien unterscheiden:16 Integrations- und Kon­flikttheorien. Eine weitere Differenzierung ergibt sich daraus, daß man sowohl in Integrations- wie Konfliktprozessen zwischen einer restrik­tiven und einer kreativen Funktion der Religion unterscheiden kann. Es ergeben sich somit vier mögliche Funktionen von Religion, die vorweg kurz in einem Schema skizziert seien:

14 Die Kritik G. Carlssons, Betrachtungen zum Funktionalismus, S. 257, der funktiona­listische Ansatz sei ahistorisch, wäre berechtigt, wenn man in Theorien mehr als Hilfsmittel sieht, die Wirklichkeit unter verschiedenen Aspekten zu erfassen.

15 Auch das hat G. Carlsson, Betrachtungen zum Funktionalimus, S .237 ff. richtig gesehen.

18 F. Fürstenberg: Religionssoziologie, Neuwied 1964, S. 13 ff. unterschied zwischen Integrations- und Kompensationsthese. Kompensation ist m. E. jedoch nur eine mög­liche Funktion von Religion in sozialen Konflikten.

62

restriktive Funktion

kreative Funktion

Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung

Integrative Funktion

Domestikation: verinnerlichter sozialer Zwang

Personalisation: Sozialisierung menschlicher Natürlichkeit

Antagonistische Funktion

Kompensation Unterdrückung und illusionäre Lösung von Konflikten

Innovation Aktualisierung von Konfliktpotential

[42]

Die verschiedenen soziologischen Religionstheorien, die sich fast alle funktionalistisch uminterpretieren lassen, können irgendwo in dies Koor­dinatensystem eingeordnet werden. So betonte die marxistische Reli­gionstheorie besonders den Kompensationscharakter religiöser Phäno­mene, E. Durkheim ihren sozial-integrativen Zwangscharakterp P. Ber­ger und Th. Lud>::mann ihre personalisierende Funktion durch die Errichtung eines heiligen Kosmos.l8 Die Innovationsfunktion religiöser Phänomene wurde insbesondere am Beispiel der protestantischen Ethik diskutiert. l9 Jede Religionssoziologie berücksichtigt aber auch andere funktionale Aspekte. Die marxistische Theorie verkennt z. B. das kri­tische, auf Erneuerung zielende Element des religiösen »Protestes« nicht ganz.

A. Die integrative Funktion der Religion

Jede Gesellschaft steht vor der Aufgabe, Ordnung gegenüber der notorischen Ausartungsbereitschaft des Menschen durchzusetzen. Ohne Zwang ist das bisher nodl nie gelungen. Nie aber auch ohne jede Zustimmung der Betroffenen. Es läßt sich kaum leugnen, daß der Mensch erst durch die Internalisierung gesellschaftlich tradierter Ord­nung seine Natürlichkeit transzendiert. Mit Recht wird die übernahme sozio-kultureller Werte und Normen als »zweite Geburt« des Menschen bezeichnet, als eine Erweiterung seiner ansonsten zu totaler Verküm­merung verurteilten Möglichkeiten, aber auch als eine drastische Selek­tion der vielen Möglichkeiten, die ein neugeborenes Individuum theo­retisch hätte. Soziale Ordnung hat somit eine Doppelgesicht, sie hat restriktive und kreative Funktion.

17 Vgl. E. Durkheim: Les formes eIementaires de la vie religieuse, Paris 1912. 18 Th. Luckmann: Das Problem der Religion in der modernen Gesellsmaft, Freiburg

1963; ders.: The Invisible Religion, New York 1967; P. Berger: Zur Dialektik von Religion 1Jnd Gesellsmaft, Frankfurt 1973.

19 Max Weber: Die protestantisme Ethik, hrsg. v. J. Winckelmann, Münmen 1965.

[43J Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 63

Bei der Tradierung, Internalisierung und Legitimierung sozialer Ordnung hat die Religion zweifellos immer eine bedeutende Rolle gespielt. Das zeigt sich schon in der Tendenz, diese soziale Ordnung in den Kosmos zu projizieren, um rückläufig die irdische Ordnung aus diesem Kosmos zu legitimieren20• Der König mit seinem Hofstaat wird erst zum göttlichen Weltenherrn mit seinen Engeln gesteigert, um dann rückläufig als Repräsentant Gottes legitimiert zu werden. Die symbo­lischen Projektionen der religiös gedeuteten Welt stehen so oft, wenn auch nicht immer, in Korrespondenz zur sozialen Welt. Sofern letztere Zwangs charakter ha t, ist auch ihre religiöse Verinnerlichung verinner­lichter Zwang. Sofern sie menschliche Möglichkeiten zur Entfaltung bringt, geschieht dies auch durch die korrespondierende religiöse Symbolwelt.

a) DieDomestikationsfunktion der Religion

Gesellschaftliche Ordnung läßt sich aufgrund äußeren Zwangs allein nie gegen die unsozialen Tendenzen menschlichen Verhaltens durch­setzen.21 Denn diejenigen, die über die manifesten Zwangsmittel ver­fügen, sind von solchen Tendenzen so wenig frei wie alle andere: Wer soll sie kontrollieren? Außerdem schafft äußerer Zwang keine wirkliche Integration, die kollektiven und individuellen Belastungssituationen standhalten könnte: Hinter jeder sozialen Friedhofsstille staut sich latente Desintegration. Jede Gesellschaft versucht daher, ihre Mitglieder durch den unmerklichen, verinnerlichten »Zwang« gemeinsamer über­zeugungen und Wertungen zu lenken und zu kontrollieren - auch die­jenigen, die Machtpositionen inne haben. Unter »Domestikation« soll hier also sozial-integrativer Zwang verstanden werden. Kognitiv zeigt er sich in der Legitimierung sozialen Verhaltens, insbesondere in der Legitimierung der Verteilung von Besitz, Macht und Prestige, motiva­ti on al in der Internalisierung von Normen und deren Sanktionen, emotional in der Reduktion sozial unerwünschter Spannungen in kri­tischen sozialen und individuellen Situationen.

Hat das Urchristentum in diesem Sin.ne domestizierende Funk­tionen ausgeübt? Die Legitimierung staatlicher Macht ohne jeden Vor­behalt in Röm 13, 1 ff weist zwar in diese Richtung. Insgesamt aber steht das Urchristentum zur Welt in einem sehr distanzierten Verhältnis, was auch im Kontext von Röm 13 hervortritt. Wer in die Welt inte­griert ist, ist für das Christentum verloren, das auf eine neue Welt wartet. Das Urchristentum ist alles andere als ein Versuch, auf religiö-

20 Diesen Prozeß analysiert E. Topitsch: Vom Urspung und Ende der Metaphysik, Wien 1958. W. E.Mühlmann, Kulturanthropologie, S. 34 ff., spricht von »kosmo­logischer Spiegelung«.

21 Vgl. zum folgenden vor allem J. M. Yinger: Die Religion als Integrationsfaktor, in: F. Fürstenberg (Hrsg.): Religionssoziologie, S. 93-106.

64 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [44]

sem Wege soziale Ordnungen zu legitimieren und zu internalisieren. Ein solcher Versuch war im imperium romanum eher der Kaiserkult, der in Verfahren gegen Christen als Prüfstein ihrer staatlichen Loyalität eingesetzt und dann oft verweigert wurde. Eine andere Frage ist, daß das Christentum, durch die konstantinische Wende zur Staatsreligion aufgestiegen, einen erheblichen Beitrag dazu geleistet hat, die Menschen des absolutistischen spätantiken Staates zu domestizieren. Aber das liegt jenseits des Urchristentums. Dessen Wandlung aus einer subkulturellen Strömung am Rande der antiken Gesellschaft zum Sozialkitt des spät­antiken Zwangsstaates ist zweifellos das Zentral problem jeder Soziologie des antiken Christentums. Innerhalb einer Soziologie des Urchristentums interessiert davon nur ein Teilaspekt: Welche sozialen Strukturmomente des Urchristentums haben diese Transformation ermöglicht? Prüfenswert dürfte etwa die Hypothese sein, daß insbesondere der urchristliche Liebespatriarchalismus soziale Integrationsmuster in kleinen Gruppen entwickelt hat, die starken Belastungen standhalten konnten und daher später von einer veränderten Gesamtgesellschaft adoptiert werden konnten.

b) Die Personalisationsfunktion der Religion

Was von der einen Seite verinnerlichter Zwang ist, ist von der anderen Sozialisation menschlicher Natürlichkeit. Der von den Religio­nen errichtete »heilige Kosmos«,22 der auf intime \Veise mit der jewei­ligen sozialen Welt verbunden ist, ist ein menschlicher Versuch, eine geistig strukturierte und auf den Menschen bezogene, sinnerfüllte Welt aufzubauen, ohne die kein Mensch »atmen« kann. Kognitiv ermöglicht sie Ordnung subjektiver Erfahrung und Kommunikation mit anderen, sofern sie dieselbe religiös gedeutete Welt bewohnen. Motivational gibt sie Handlungen eine sinnhafte Ausrichtung auch auf entfernte Ziele, die einen Verzicht auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung voraussetzen. Emotional verleiht sie das Bewußtsein einer heimatlichen Welt, in der auch Grenzsituationen ihren Ort haben. In den Religionen geht es ja nicht nur darum, sozial unerwünschte Angst in Grenzsituationen zu reduzieren. Ebenso richtig ist, daß hier Grenzsituationen bewußt ge­macht werden, daß sprachliche, rituelle und praktische Handlungen entworfen werden, um ihrer Herausforderung standzuhalten. Die Inter­nalisierung des »heiligen Kosmos« ist wie die übernahme jeder sozial tradierten Sinnwelt eine zweite Geburt, in der der Mensch seine Natür­lichkeit transzendiert.

22 Dies zentrale Merkmal traditioneller Religionen wurde vor allem von M. Eliade herausgearbeitet, vgl.: Das Heilige und das Profane, rde 31, Hamburg 1957; Die Religionen und das Heilige, Salzburg 1954. Th. Luckmann und P. Berger haben in ihren religionssoziologischen Entwürfen die soziale Funktion dieser »Kosmisation. analysiert.

[45J Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 65

Dieser Gedanke der sozio-kulturellen »zweiten Geburt« erinnert zwar an die Wiedergeburtsvorstellung im Urchristentum. Aber gerade dieser Gedanke ist geeignet, die Unterschiede klar herauszustellen: Die in der Taufe dargestellte übernahme christlicher Normen, Symbole und Sinndeutungen ist nicht mit der allgemeinen Sozialisierung des Menschen identisch, sondern eine Abkehr von ihr. Die Wiedergeburt ist im Urchristentum keine zweite Geburt, sondern eine dritte: Wer sich zum Urchristentum bekehrte, bei dem hatte - wenigstens in den Augen Außenstehender - die allgemeine Sozialisation versagt (vgl. die Urteile über das Urchristentum bei Plinius epist. X, 96). Dem entspricht, daß der in den symbolischen Handlungen des Urchristentums errichtete hei­lige Kosmos nicht der sozial gültige "Kosmos war. Er bestand zentral aus einer »neuen Welt«, deren Realisierung man in der Gemeinde schon wahrzunehmen meinte. Hier geschah nicht Einführung in eine der bestehenden Gesellschaft korrespondierende symbolische Sinnwelt, son­dern eher die Zerstörung dieses heiligen Kosmos durch die symbolischen Handlungen des neuen »Kerygmas«, das einen gescheiterten Menschen als Weltenherrscher proklamierte und die Unterwerfung aller anderen Mächte, wie es die urchristlichen Hymnen schildern. Charakteristisch für das Urchristentum ist, daß die neue Symbolwelt, die man an die Stelle der alten setzte, noch relativ offen, fragmentarisch und rätselhaft ist; sie ist noch nicht konsequent durchstrukturiert - auch nicht bei ihrem kühnsten »Konstrukteur«, dem Apostel Paulus. Zum Kummer mancher Theologen fehlt hier eine die ganze Geschichte umfassende heilsgeschichtliche Theologie. Es dominieren die schroffen Alternativen; Glaube und Werke, Moses und Christus, alter und neuer Mensch, Knechtschaft und Freiheit. Hier wird kein abgerundeter heiliger Kosmos angeboten, wie er von späteren Theologen oft mit bewundernswerter intellektueller Kühnheit errichtet wurde. Wir sehen vielmehr eine im Entstehen begriffene neue symbolische Sinnwelt, erleben den übergang zwischen einem alten und einem in seinen Konturen oft noch undeut­lichen neuen Kosmos und werden nicht zuletzt vom Jubel derer ergriffen, die den Anfang der Weisheit mit sich selbst datieren und von der Weisheit der »Welt« gar nichts, aber auch gar nichts halten (1. Kor 1, 18 ff.). Hier wird nicht in die bestehende Gesellschaft integriert. Hier wird ein neuer Weg menschlicher Personalisation eröffnet, eine neue Lebensform begründet.

Wir sehen: Beide Varianten religionssoziologischer Integrations­theorien können das Urchristentum analytisch nicht erfassen. Der ent­scheidende Grund liegt darin, daß das Urchristentum gesamtgesellschaft­lich eher ein Phänomen sozialer Desintegration war. Seinen Ursprung hat es in der palästinensischen Jesusbewegung, einer Bewegung vagabun­dierender Prediger ohne Wohnsitz, Erwerb und Familie. Träger dessen, was sich später als Christentum vom Judentum löste, waren zunächst

66 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [46J

Leute, die Haus und Hof verlassen hatten, Außenseiter, die ein sozial­abweichendes Verhalten verkörperten, das auch in anderen Varianten in der damaligen palästinensischen Gesellschaft überdurchschnittlich ver­breitet gewesen ist: Man denke an Zeloten, Sikarier, Messiasprä>:enden­ten, Essener, aber auch an einfache Bettler und Räuber. Auch die fort­schreitende Konsolidierung des Urchristentums in Ortsgemeinden ist nicht mit sozialer Integration identisch: Die urchristlichen Gruppen stan­den zweifellos am Rande der Gesellschaft. Dennoch sind integrations­theoretische Ansätze von Wert - nämlich für die Analyse kleiner Gruppen. Schon in der frühen Jesusbewegung finden wir einen integra­tiven Zug: Zu den Anhängern Jesu gehören sowohl Simon der Zelot als auch der Zöllner Levi, Angehörige zweier verfeindeter Gruppen. Ihre Integration geschah am Rande der Gesellschaft in einer Gruppe von Wandercharismatikern. Vor allem in den hellenistischen Gemeinden aber entstanden dann auch innerhalb »seßhafter« Orts gemeinden Integra­tionsmuster, durch die Menschen verschiedener SChichten integriert wur­den, während andere antike Vereine sozial sehr viel homogener waren.

B. Die antagonistische Funktion der Religion

Auch die religionssoziologischen Integrationstheorien sehen die Funktion der Religion in der Regulierung eines Konflikts: dem Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft. Dabei ist die übermacht der Gesellschaft aber so eindeutig, daß man kaum von einem Konflikt sprechen kann, sofern man darunter den Antagonismus zweier sozialer Größen versteht. Konflikttheorien der Religion sollen hier nur jene theoretischen Ansätze genannt werden, welche die Funktion der Religion in ökonomischen, politischen und kulturellen Konflikten zwischen ver­schiedenen Gruppen suchen. Auch hier kann die Religion unter restrik­tivem und kreativem Aspekt gesehen werden. Um diese Aspekte jedoch funktional unterscheiden zu können, müssen Konflikte selbst funktional deutbar sein, nämlich als Mittel sozialer Veränderung, ohne die keine Gesellschaft überleben kann.23 Indem Konflikte unterdrückt oder aktualisiert werden, können gesellschaftliche Veränderungen retardiert oder beschleunigt werden. Restriktive Funktion hätte die Religion dort, wo sie auf Veränderung tendierende Spannungen kanalisiert, kreative Funktion dort, wo sie vorhandenes soziales Konfliktpotential aktuali­siert. Diese Unterscheidung ist funktional gemeint, nicht wertend. Würde man werten, so wäre zu betonen, daß die »kreative« Funktion religiöser Phänomene keineswegs nur positiv gesehen werden muß. Man denke

23 Vgl. R. Dahrendorf: Die Funktionen sozialer Konflikte, in: Pfade aus Utopia, S.263-277.

[47] Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 67

nur an den explosiven Fanatismus, der uns so oft in der Religions­geschichte entgegentritt. Umgekehrt wird man vielleicht nicht ohne Sympathie den Widerstand konservativer Religion gegen das fortschritt­liche hellenistische Reformprogramm Jerusalemer Stadtbürger in den Makkabäerkriegen beobachten können.

a) Die Kompensationsfunktion der Religion

Hat Religion restriktive Funktion in sozialen Konflikten, so muß sie für verhinderte soziale Veränderung einen Ersatz bieten: Im Makka­bäeraufstand etwa könnte das hochgesteigerte Erwählungsbewußtsein Kompensation für vereitelten zivilisatorischen und kulturellen »Fort­schritt« gewesen sein, so daß möglicherweise zwischen der sozioökono­mischen Rückständigkeit des jüdischen Palästinas und seinem immensem religiösem Anspruch ein intimer Zusammenhang besteht.24 Die Kompen­sationsfunktion religiöser Phänomene zeigt sich kognitiv im Entwurf eines Gegenbildes zur sozialen Wirklichkeit (also nicht in kosmologischen Spiegelungen), motivation al in der Umlenkung vorhandener Antriebe auf Ersatzobjekte, emotional in der Entladung und Entschärfung sozi­aler Spannungen. Die klassische Beschreibung des kompensatorischen Charakters religiöser Phänomene stammt von K. Marx:25

»Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.«

Für eine Soziologie des Urchristentums ist gerade die marxistische Variante religionssoziologischer Konflikttheorie von besonderer Bedeu­tung; deon von dieser Seite liegen Analysen des Urchristentums vor, die nicht nur auf einer expliziten Religionstheorie basieren, sondern auch auf einer differenzierten soziologischen Theorie der Antike. Die Ausein­andersetzung mit ihr kann hier nur in einigen Punkten geführt werden.26

Grundlage jeder marxistischen Religionstheorie ist die Unterbau­überbau-These. Diese läßt sich mehr oder weniger subtil (oder wie man häufig sagt »dialektisch«) handhaben. Nach ihrer »dialektischen« Inter-

24 Vgl. jetzt die aum soziologisme Aspekte berücksimtigende Untersumung von M. Hengel: Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 1969.

25 K. Marx: Zur Kritik der Hegeismen Remtsphilosophie. Einleitung, in: S. Landshut (Hrsg.): Die Frühsmriften 1964, S. 208.

26 Vgl. F. Vittinghoff: Die Theorie des historismen Materialismus über den antiken >Sklavenhalterstaat<, Seaculum 11 (1960) S. 89-131; R. Sannwald: Marx und die Antike, Zürim 1957; N. Brockmeyer: Arbeitsorgallisation und ökonomismes Denken in der Gutswirtsmaft des Römismen Reimes, Diss. Bomum 1968, S.33-70. B. Stasiewski: Ursprung und Entfaltung des Christentums in sowjetismer Simt, Saecu­lum 11 (1960) S.157-179.

68 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [48]

pretation will sie mehr als eine Abhängigkeit zwischen zwei Klassen von Gegenständen konstatieren: den materiellen und geistigen. Es geht ihr vielmehr darum, beide Gegenstände als menschliche Produkte zu verstehen und sie jenes falschen Scheins zu berauben, der uns suggeriert, sie bestünden unabhängig von menschlicher Tätigkeit. Innerhalb dieser Grundthese wird festgestellt, daß die Widersprüche der materiellen Produktionsweise in den geistigen Produkten des Menschen wieder­kehren, teils als illusionäre überwindung dieser Widersprüche, teils als ihre bloße Reproduktion. Eine Rückwirkung des überbaus auf den Unterbau wird nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

1. Probleme des Unterbaus Die marxistische Analyse des Urchristentums sei hier mit den Wor­

ten M. Robbe's zusammengefaßt: >Das Christentum ist aus den Wider­sprüchen der hochentwickelten Sklavenh;1ltergesellschaft hervorgegangen. Es entstand innerhalb der spannungs geladenen Begegnung von Orient und Okzident, die sich zu Beginn unserer Zeitrechnung im römischen Kaiserreich vollzog<.27 Nach marxistischer Ansicht besteht der Wider­spruch der Sklavenhaltergesellschaft darin, daß die materiellen Güter von Sklaven produziert und von Sklavenhaltern konsumiert werden, die Sklaven arbeit wegen des mangelnden Eigeninteresses aber nur begrenzt intensivierbar, die Arbeit der Freien jedoch verpönt ist. Dieser Wider­spruch führt a) zum antiken Imperialismus, einer quantitativen Aus­weitung der Sklavenarbeit durch Versklavung ganzer Völker. Die von M. Robbe angesprochenen Spannungen zwischen Ost und West sind daher systemimmanente Spannungen der Sklavenhaltergesellschaft. Nach Beendigung der Eroberungsfeldzüge führte dieser Widerspruch b) zu einer qualitativen Verwandlung des Sklaventurns zum abhängigen Kolonat, bei dem der Kolone durch· überlassung eines Landstücks an seiner Arbeit interessiert wird. Diese Annahmen sind durchaus beden­kenswert. In unserem Zusammenhang ist zweierlei zu berücksichtigen:

Erstens, daß die sozioökonomischen Konflikte des Altertums selten von Sklaven ausgefochten wurden. Sklavenaufstände gab es vor allem in der Spätphase der römischen Republik, wohingegen generell der >Klassenkampf nur innerhalb einer privilegierten Minorität spielte, zwischen den freien Reichen und den freien Armen, während die große produktive Masse der Bevölkerung das bloß passive Piedestal für jene Kämpfe bildete.<28 Zu fragen wäre dann freilich, ob man hier noch von Klassenkampf im strengen Sinne reden kann, also von einem Kampf zwischen Eigentümern von Produktionsmitteln und ausgebeuteten Pro-

27 M. Robbe, Ursprung des Christentums, S. 29. 28 K. Marx: 18. Brumaire. Vorwort zur 2. Aufl. von 1869, Ausgew. Schriften I, Berlin

1958/99, S. 223.

[49] Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 69

duzenten. Man sollte vorsichtiger von einem sozioökonomischen Ver­teilungskampf um materielle Güter, Macht und Prestige sprechen, det; die Antike wie jede andere geschichtliche Epoche charakterisiert. Träger des Protestes »von unten« sind hier oft nicht die alleruntersten Schichten, sondern diejenigen Gruppen, denen sozialer Abstieg droht und damit ein Verlust sozialer und kultureller Identität: Die zelotische Bewegung im jüdischen Palästina rekrutierte sich z. T. aus verschuldeten Klein­bauern Gas. ant. XVIII, 274).

Zweitens ist zu bedenken, daß auch in diesem Verteilungkampf die Fronten zwischen verschiedenen Schichten nie ganz eindeutig waren. So rivalisierten Parteien der Oberschicht untereinander. Häufig koalierte eine von ihnen mit den unteren Schichten, um die Konkurrenten aus­zuschalten. Nicht anders in Palästina: Erst das Bündnis zwischen einem Teil der priesterlichen Aristokratie mit den Freiheitskämpfern führte zur Ausschaltung der Friedenspartei und zum Ausbruch des jüdischen Krieges Gas. bell. 11, 408).

Formalisiert man den marxistischen Ansatz zu einer allgemeineren Konflikttheorie der Gesellschaft, so kann er für die Analyse des U r­christentums wertvoll sein: Neue Bewegungen wie die ]esusbewegung entstehen oft im Spannungsfeld sozialer Konflikte: dem soziapolitischen Konflikt zwischen verschiedenen Herrschaftsstrukturen in Palästina (Imperium, Monarchie, Theokratie), dem sozioökologischen Konflikt zwischen Stadt und Land, dem sozioökonomischen zwischen produzieren­den und profitierenden Schichten, dem soziokulturellen zwischen ver­schiedenen Gruppen, die das »wahre Israel« zu verkörpern beanspruch­ten. Alle diese Konflikte hängen miteinander zusammen. Sie auf einen zu reduzieren liegt kein Grund vor. Und noch weniger dazu, die ]esus­bewegung aus diesen Konflikten kausal-genetisch abzuleiten. Denn aus derselben sozialen Situation des Landes nährten sich sehr verschiedene Strömungen mit entgegengesetzten geistigen Haltungen.

Für das hellenistische Urchristentum ist es noch schwerer, ver­schärfte Klassengegensätze verantwortlich zu machen. Die Annahme, das Urchristentum sei hier zuerst eine »Religion der Sklaven und Frei­gelassenen, der Armen und Rechtlosen, der von Rom unterjochten oder zersprengten Völker« gewesen,29 enthält überprüfbare Aussagen über die soziale Zusammensetzung der urchristlichen Gemeinden. Diese um­faßten jedoch verschiedene Schichten. Vgl. für Antiochien den am jüdi­schen Hof erzogenen Menahem (Apg 13, 1), für Karinth einen Stadt­kämmerer Erastos (Röm 16, 23), für Bithynien das Zeugnis Plinius d. ]. (epist. X, 96), der christliche Aberglaube habe schon alle Schichten erfaßt. Es spricht für marxistische Forscher, wenn sie das sehen. So schreibt

29 F. Engels: Zur Geschichte des Urchristentums, in: K. Marx / F. Engels: über Religion, Berlin 1958, S. 255.

70 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [SO]

A. B. Ranowitsch deutlich an F. Engels anknüpfend: »Das Christentum war von Anfang an eine Religion der Unterdrückten - der Sklaven und Freigelassenen, der Rechtlosen und Armen, der von Rom ver­sklavten oder zerstreuten Völker«, aber er fährt dann fort: »In den Bereich der Anziehungskraft der neuen Religion gerieten auch Vertreter der Ausbeutergruppen der >von Rom unterjochten oder zerstreuten Völker<; dem Kaisertum gegenüber waren auch diese Gruppen fast ebenso rechtlos wie die Sklaven gegenüber ihrem Herrn. Das Christen­tum führte von Anbeginn an die verschiedensten Gruppen mit ihren ungleichartigen, zuweilen sogar gegensätzlichen Interessen zusammen.«30 Hier wird durch metaphorischen Gebrauch des Begriffs des »Sklaven« eine Theorie gerettet: Kann man wirklich das Urchristentum noch aus dem Widerspruch zwischen Sklavenhaltern und Sklaven (sowie anderen rechtlosen Gruppen) ableiten, wenn sich in ihm Ausbeuter und Aus­gebeutete zusammenschließen?

2. Probleme des Uberbaus Die Analyse des überbaus basiert auf der Feuerbach'schen Pro­

jektionstheorie, wonach religiöse Vorstellungen wunschbestimmte Selbst­darstellungen des Menschen sind. Ihre Weiterführung durch K. Marx führte u. a. zu zwei in Spannung stehenden theoretischen Annahmen, die im folgenden Opium- und Fetischismusthese genannt werden.

Nach der Opiumthese entwerfen religiöse Symbole ein Gegenbild zur sozialen Realität: Die neue Welt ist überwindung der alten. Sie enthalten daher auch eine kritische Kraft, können gegen die soziale Realität ausgespielt werden. Insofern enthalten sie einen elementaren Protest. Weil sich dieser Protest jedoch illusionärer Mittel bedient, han­delt es sich um Opium des Volkes (nicht: Opium für das Volk!).

Die Fetischismusthese betont dagegen die Entsprechung zwischen sozialem Unterbau und religiösen Vorstellungen: So wie in der mate­riellen Produktion die Produkte ein von menschlicher Tätigkeit unab­hängiges Eigenleben zu führen scheinen (das ist der »Fetischismus der Ware«), so scheinen in der »Nebelregion der religiösen Welt« »die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, unter­einander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbstständige Gestalten.«31 Die Abhängigkeit vom eigenen materiellen Produkt spie-

30 A. B. Ranowitsch: Das Urchristentum und seine historische Rolle, in: Aufsätze zur Alten Geschichte, Berlin 1961, S. 135-165, dort S. 144.

31 K. Marx: Das Kapital, Bd. I, Berlin 19512, S.78. M. Robbe, Marxismus und Reli­gionsforschung, S.174: »Das Erlebnis der Ohnmacht vollzieht und verselbständigt sich (und ist damit reproduzierbar) in einem spezifischen religiösen Gefühl. Sein weltlicher Inhalt wird in ihm transzendiert und erscheint, die Ohnmachtssituation des Menschen verabsolutierend, als das »Ganz Andere«, »Numinose« (in der Viel­fältigkeit, seiner Formen in jedem Falle Jenseitige). Gleichzeitig wird in ihm die illusionäre Aufhebung der empfundenen Ohnmacht gesucht.«

[51] Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 71

gelt sich in den religiösen Produkten, die Unberechenbarkeit des kapita­listischen Systems etwa in der Unberechenbarkeit göttlicher Prädesti­nation usw.

Nach der Opiumthese verhalten sich religiöse Symbole also asym­metrisch zu ihrer sozialen Basis, sie enthalten Bilder dessen, was in der sozialen Realität fehlt. Nach der Fetischismusthese gibt es dagegen ein Symmetrie zwischen religiöser Symbolik und sozialer Realität. Religiöse Projektionen spiegeln die vorhandene Abhängigkeit. Die marxistische Analyse des Urchristentums nimmt für die Geschichte des Urchristentums hier einen tiefgreifenden Wandel an. Im frühesten Stadium hätten religiöse Symbole dominiert, die ein Gegenbild zur Realität entworfen hätten. Die Eschatologie sei Protest gegen diese Welt. Die JohApk gilt daher als ältestes Dokument des Urchristentums. Später habe man sich umorientiert: »Die Kirche gruppiert ihre Positionen um und überprüft sie, als sie sich um die Mitte des 2. Jahrhunderts zu konstituieren im Begriff ist. Die Erwartung des nahen Endes der Welt wird als häretisch verworfen. An die Stelle des Hasses gegen die Welt der Gewaltanwen­dung, der Unterdrückung und der Ungerechtigkeit tritt jetzt die Lehre vom Verzicht auf Widerstand, von der Liebe zu den Feinden.«s2 Hier wird verkannt, daß das Urchristentum von Anfang an beides verband: Widerspruch gegen die Welt und das bedingungslose Ja zu jedem Men­schen, Eschatologie und Schöpfungsglauben, Normverschärfung und Sündenvergebung usw.

Jede Konflikttheorie der Religion wird dem Marxismus wesentliche Anstöße verdanken.33 Aber es ist ein Irrtum zu meinen, jede Konflikt­theorie müsse marxistisch sein. Das sollte auch terminologisch deutlich werden. Anstatt vom Klassenkampf sollte man vom Verteilungskampf sprechen, anstatt von einem Widerspruch der »Sklavenhaltergesellschaft« von Widersprüchen und Konflikten der antiken Gesellschaft, anstatt von Projektionen von »symbolischen Handlungen«. Diese Modifikationen vorausgesetzt, so dürfte es eine heuristisch wertvolle Annahme sein, das Urchristentum artikuliere in seinen symbolischen Handlungen soziale Konflikte und versuche, sie zu bewältigen. Es ist jedoch fraglich, ob diese symbolischen Handlungen nur kompensatorischen Charakter haben.

b) Die Innovationsfunktion der Religion

Religion kann innerhalb sozialer Spannungen auch dazu beitragen, Konflikte zu aktualisieren, neue Lösungen zu entwerfen:34 Welche unge-

82 A. B. Ranowitsch, Urchristentum, S. 150. 83 Vgl. R. Dahrendorf: Karl Marx und die Theorie des sozialen Wandels, in: Pfade

aus Utopia, S. 277-293; D. Lockwood: Soziale Integration und Systemintegration, in: Theorien des Sozialen Wandels, hrsg. v. W. Zapf, Köln 1969, S. 124-137.

U Vgl. zum folgenden vor allem J. M. Yinger: Toward a Theory of Religion and Social Change, Int. Jahrb. f. Re!. soz. 7 (1971) S.7-30.

72 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [52]

heure soziale Dynamik haben etwa Mohammed und Luther ausgelöst! Hier wurden Energien nicht nur durch kompensatorische Ersatzobjekte gebunden; sie wurden zunächst einmal entbunden. Sie waren wohl latent vorhanden, wurden aber durch neue religiöse Impulse gewiß nicht entschärft. Besonders das prophetische Moment in den biblischen Religionen des Judentums, Islam und Christentum läßt sich m. E. nicht mit den bisher skizzierten religions-theoretischen Ansätzen erfassen.35

Und damit auch nicht das Urchristentum, eine durch und durch pro­phetische Bewegung.

Propheten haben schwer zugängliche Visionen, Ekstasen und Ein­gebungen. Hier scheint alles irrational zu sein. Und es mag zunächst aussichtslos erscheinen, ihr Auftreten als funktional zu begreifen. Und doch ist es möglich, wenn man in Rechnung stellt, daß der Entwurf neuer Lösungen für jede Gesellschaft lebensnotwendig ist, in traditions­gebundenen Gesellschaften mit religiösen Legitimationen aber auch das Neue religiös legitimiert werden muß: Wer hier Neues verpflichtend machen will, muß von Gott autorisiert sein. Die israelitischen Unheils­propheten waren durchaus »funktional«: Sie ermöglichten das überleben des Judentums in der Exilierung, indem sie den Untergang des israeli­tischen Reiches in die symbolisch gedeutete Weh integrierten und so eine vertiefte Identität des jüdischen Volkes schufen. In ihren Offenbarungen, Visionen und Ekstasen tasten so die Religionen nach neuen Wegen, nach Alternativen, nach neuen Lebensformen, neuen Sinndeutungen. Was so entsteht, wird zunächst immer als abwegig betrachtet. Das meiste bleibt unwirksam.36 Manches erweist sich erst später als »Lösung« eines Pro­blems. Die Unheils propheten standen bekanntlich zunächst völlig isoliertJ da. Und die Vision der Jesusbewegung von Liebe, Versöhnung und Gnade wurde zwar aus der krisenhaften jüdischen-palästinensischen Gesellschaft geboren, hat sich jedoch nicht hier entfalten können, son­dern wurde vor allem in den blühenden hellenistischen Mittelmeer­städten rezipiert. Am Rande der Gesellschaft reifte hier eine neue Lebensform heran, eine Alternative, die von der ganzen Gesellschaft - nach tiefgreifenden Wandlungen sowohl in Gesellschaft als auch im Christentum - rezipiert wurde.

35 Prophetische Bewegungen sind jedoch universal. Vgl. W. E. Mühlmann: Chiliasmus und Nativismus, Berlin 1961; V. Lanternari: Religiöse Freiheits- und Heilsbewegun­gen unterdrückter Völker, Mailand 1960 (deutsch: Neuwied o. J.).

36 J. M. Yinger, Theory, S. 29: »Viele religiöse Innovationen gehen wahrscheinlich sehr schnell, ohne größeren Effekt auf das soziale System genommen zu haben, wieder unter. Sie erscheinen in Situationen, die für sie nicht angreifbar oder anfällig genug sind. Charismatische Führer werden wohl erst identifiziert, wenn ihr Einfluß schon etabliert ist. Andere Personen von potentiell gleichem Einfluß verschwinden aus dem Blickfeld der Geschichte, weil die Zeit nicht reif für ihre Neuerungen war.«

[53] Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 73

Die Innovationsfunktion der Religion zeigt sich kognitiv im Ent­wurf eines neuen symbolischen Kosmos, der dem alten Kosmos oft mit apodiktischem Offenbarungs anspruch entgegengesetzt wird. Sie zeigt sich motivational in der Umkehr der Antriebe, der Setzung neuer Ziele, einem Entwurf des »neuen Menschen«, kurz: in einer neuen Motivations­struktur. Emotional muß vor allem gegen den meist mit Härte spür­baren Widerstand überkommener Normen, Verpflichtungen und Sinn­deutungen immunisiert werden: durch Entfaltung eines Märtyrer- und Erwählungsbewußtseins, das auch stärksten Belastungen standhält. All diese Züge finden wir im Urchristentum.

Da sich religiöse Erneuerungsbewegu~gen gegen eine bisher gültige symbolische Sinnwelt richten und sie häufig systematisch zerstören, haben sie Züge, die man heute gerne »emanzipatorisch« nennt: Sie »ent­larven« einen überlieferten heiligen Kosmos als menschlich konstituierte Sinnwelt und machen so die in den religiösen Erscheinungen festzustel­lende Entfremdung rückgängig:37 Die einst vergötterten Wesen werden als Produkte des Menschen durchschaut. Das Urchristentum sah (auf­grund des jüdisch-prophetischen Erbes) in den Göttern allenfalls Dämo­nen, überholte Satzungen galten ihm als »Menschepwerk« (Mk 7, 1 ff.). Zumindest haben sie keinen Selbstwert: Der Sabbat ist für den Men­schen da (Mk 2,27). Und dennoch wird das Urchristentum völlig ver­kannt, wo es einseitig als Schritt zur ».Emanzipation« gewertet wird. Der Zerstörung einer alten menschlich konstituierten Sinnwelt, ent­spricht die schöpferische Konstruktion einer neuen, die nicht als Men­schenwerk, sondern endgültige Offenbarung gilt, mag sie auch in unseren Augen nicht weniger auf symbolischen Handlungen von Menschen beruhen wie alle anderen religiösen Sinnwelten. Wer für die Großartig­keit dieser neu geschaffenen mythischen Sinnwelt kein Verständnis oder vor ihr keinen Respekt hat, versteht vom Urchristentum überhaupt nichts. Diese neuen symbolischen Handlungen lassen sich in ihrer Kühn­heit ebensowenig auf den Nenner der Emanzipation bringen wie die gotischen Dome oder die Rechtfertigungslehre Luthers. Sie zeugen wohl von einer ungeheuren Sehnsucht, menschliche Natürlichkeit zu transzen­dieren und somit von einer vertieften Humanität. »Emanzipation« -eine Befreiung von rational nicht ausweisbaren Autoritäten - betreiben sie nicht, eher das Gegenteil; sie werden mit einem autoritativem Offen­barungsanspruch verbunden, der vom »emanzipativem« Standpunkt als autQritär abgelehnt werden müßte, wollte man Urchristentum auf der einen und Emanzipation auf der anderen Seite wirklich ernst nehmen. Die Gültigkeit dieses Anspruchs steht in einer funktionalistischen Unter­suchung des Urchristentums nicht zur Debatte, wohl aber seine soziale

37 Diesen ent-entfremdenden Zug hat P. Berger: Zur Dialektik von Religion und Ge­sellschaft, S. 93 ff. mit Recht hervorgehoben.

74 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [54]

Funktion: Wer einen etablierten religiösen Sinnkosmos destruiert oder umstrukturiert, muß das mit höherem Anspruch machen: Seine Legitima­tion muß die der gültigen Autoritäten ausstechen. Die heidnisch-helle­nistischen Religionen, die das Urchristentum als Menschenwerk entlarvte, waren relativ tolerant, der Widerspruch zu ihnen war von grundsätz­licher Intoleranz. Das »emanzipatorische« Element im Urchristentum ist zu intim mit dem autoritativem verbunden, als daß man beide tren­nen könnte.

Eine religionssoziologische Analyse des Urchristentums als einer innovierenden religiösen Bewegung hätte m. E. vier Fragen zu beant­worten: 1. Welche Wider~prüche und Spannungen in der palästinen­sischen Gesellschaft führten zur Suche nach neuen »Lösungen« religiöser und sozialer Fragen? So förderte etwa die Spannung zwischen ver­schiedenen Herrschaftsstrukturen die Entstehung radikaltheokratischer Bewegungen, sozioökonomische Spannungen führten zum Anwachsen sozial-abweichenden Verhaltens (Räuberei, Bettelei, Wandercharismati­kertum usw.), Spannungen zwischen Stadt (Jerusalem) und Land zur Kritik an der Tempelstaataristokratie, das Auftreten normverschärfen­der Gruppen zur Gegenströmung radikalisierter Gnadenpredigt. Neue Impulse wachsen im Feld sozialer Spannungen, und es ist eine plausible Annahme, daß sie sich dort entwickeln, wo diese Spannungen besonders stark erfahren werden.

2. Welche innovierenden Intentionen verfolgen die verschiedenen neu auftretenden Bewegungen? Aus sozialen Spannungen entsteht wohl die Suche nach Neuem, aber damit noch nicht das Neue selbst: Erfahrene Spannungen müssen gedeutet, artikuliert und legitimiert werden.3B

Gewiß war z. B. die römische Fremdherrschaft für jede Provinz eine Belastung. Daß sie aber gerade in Palästina so explosive Wirkungen hatte, läßt sich nur verstehen wenn man die spezifisch israelitischen Traditionen und Intentionen in Rechnung stellt, die den Widerspruch zwischen erwähltem und unterworfenen Volk zum brennenden Problem machten. Es gab eine Fülle von Reaktionsmöglichkeiten, neuen Impulsen. Daß diese neuen Impulse zunächst von kleinen Minoritäten getragen wurden, ist verständlich.

3. Warum setzten sich einige dieser neuen Impulse durch, andere nicht? Gefragt wird hier nach den Gründen für die »Selektion« unter den verschiedenen konkurrierenden Antwortversuchen. Die J esusbewe­gung scheiterte bekanntlich in Palästina, verbreitete sich jedoch in helle­nistischem Bereich. Soziale Gründe, die zu ihrer Entstehung beitrugen, sind aber nicht identisch mit Gründen, die ihre Verbreitung förderten.

38 Die Bedeutung religiöser Intentionen und Legitimationen lassen sich m. E. sehr gut analysieren, wenn man das »handlungstheoretische Modell« zugrunde legt, das G. Kehrer für die Analyse religiöser Aspekte sozialen Wandels empfohlen hat; vgl. ders.: Religion und sozialer Wandel, Int. Jahrb. f. Rel. soz. 7 (1971) S. 31-59.

[55J Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung 75

Es fällt z. B. schwer, die Ausbreitung des hellenistischen Urchristentums mit sozialen Spannungen in Verbindung zu bringen. Spannungen gab es natürlich überall. Aber gerade das 1. und 2. Jhdt. n. eh. war für die Städte - verglichen mit anderen Perioden - eine Zeit relativer Stabili­tät mit erstaunlich hohem Zivilisationsniveau, das erst in der Neuzeit wieder erreicht wurde39, dazu eine Zeit mit relativ viel lokaler und sozialer Mobilität, Verkehr, Kommunikation. Vielleicht konnte sich das Urchristentum mit seinem integrativen Zug gerade in dieser Zeit rela­tiver Ruhe und großer Kommunikation entfalten - wenigstens lohnte es sich, auch einmal die Gegenprobe zur beliebten Krisendeutung des Urchristentums zu machen.

4. Schließlich ist die Anpassung des Urchristentums an neue funk­tionale Zusammenhänge zu untersuchen, seine Veränderung von einer charismatischen Bewegung zu einer praktikablen und institutionell gefestigten Lebensform.

Wir fassen zusammen: Ein funktionalistischer Ansatz liefert geeig­nete theoretische Kategorien für eine Soziologie des Urchristentums. Dabei erscheinen religionssoziologische Konflikttheorien für viele Erscheinungen hier angemessener zu sein als Integrationstheorien. Beide Modelle sind jedoch komplementär: Die in Konflikt mit der Gesellschaft; stehenden urchristlichen Gruppen entwickeln neue Integrationsmuster. Ein Konflikt weist auf mißlungene Integration, Integration auf über­wundene Konflikte. Innerhalb der Konflikttheorien wiederum wird man der Innovationsfunktion religiöser Erscheinungen größere Aufmerksam­keit zuwenden müssen als ihrer kompensatorischen Funktion, wobei »Innovation« nicht mit dem identisch ist, was heute als »Emanzipation« bezeichnet wird.

Insgesamt haben wir uns auf eine Analyse religiöser Erscheinungen beschränkt und die Frage nach Wesen und Wahrheit der Religion aus­geklammert. Es wäre ein Fehlschluß, die soziale Funktion einer Sache mit ihrem Wesen gleichzusetzen. Diese Feststellung will keine theolo­gische GeneralkauteIe sein mit dem Zweck, unangenehme Ergebnisse religionssoziologischer Analyse von vornherein zu unterlaufen. Es gibt sachliche Gründe für sie: Personalisierend und domestizierend, kompen­sierend und innovierend sind in irgendeiner Weise fast alle menschlichen Äußerungen und Schöpfungen. Es handelt sich hierbei nicht um spezifisch religiöse Funktionen. Die Religion ist apriori nicht mehr domestizierend und kompensierend als andere Lebensbereiche. Und wenn in ihr weithin die restriktiven Aspekte überwiegen, so deshalb, weil sie im Leben generell überwiegen: Innovation und Personalisation sind überall unwahrscheinlicher als Domestikation und Kompensation. Wahrschein­lich ist die Religion so »konservativ« und so »progressiv« wie der

39 Vgl. N. Brockrneyer: Sozialgeschichte der Antike, Stuttgart 1972, S. 110.

76 Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung [56]

Mensch überhaupt. Wahrscheinlich ist ~ie so widersprüchlich wie er: Von der Rebellion gegen die Götter bis zur masochistischen Unterwerfung unter sie finden wir hier alle Spielarten menschlichen Verhaltens. Um so mehr stellt sich am Ende einer funktionalistischen Untersuchung die Frage, was in all diesen religiösen Erscheinungen denn das spezifisch Religiöse ist?40 Was zumindest das Wesen der historisch analysierbaren Religionen ist, womit über zukünftige Entwicklungen nicht entschieden . werden kann? Was ist das »Heilige«? Wie läßt es sich rational analy­sieren? Es tauchen also jene Fragen wieder auf, die wir am Anfang als phänomenologisch und reduktionalistisch ausgeklammert haben. Sie sind keineswegs illegitim. Aber es scheint so zu sein, daß sie durch soziolo­gische Analysen nicht beantwortet werden können.

40 Vgl. J. Matthes, Religionssoziologie (s. Anm.7), S. 238: Analysiert man Religion mit so allgemeinen Kategorien wie Personalisation und Kosmisation, so kann nicht mehr schlüssig ausgesagt werden, »warum sie eigentlich religiöse Phänomene sind«.

H. Evangelien

[245]

4.

Wanderradikalismus

Literatursoziologische Aspekte der überlieferung von Worten Jesu im Urchristentum

Literatursoziologie untersucht Zusammenhänge zwischen Texten und menschlichem Verhalten. Sie untersucht das zwischenmenschliche Ver­halten derer, die Texte schaffen, tradieren, interpretieren und rezi­pieren 2. Dies Verhalten analysiert sie unter zwei Aspekten: erstens als typisches, zweitens als bedingtes Verhalten 3.

Der erste Aspekt wurde für die biblische Literatur von der formge­schichtlichen Methode erschlossen 4. Aus typischen Zügen von Texten schloß sie auf ebenso typische Züge zwischenmenschlichen Verhaltens, auf einen »Sitz im Leben«, innerhalb dessen ein Text immer wieder gebraucht und durch diesen Gebrauch geprägt wurde, etwa durch Ver­wendung in Unterweisung, Mission oder Kult.

1 Öffentlicher Habilitationsvortrag für das Fach Neues Testament, gehalten in Bonn am 25.11.1972. Einige Grundgedanken sind mir in einem Gespräch mit meinem Kollegen Pfarrer H. FROST gekommen. Für seine Anregungen sei ihm 1m dieser Stelle herzlich gedankt.

• Vgl. H.N.FüGEN, Die Hauptrichtungen der Literatursoziologie, 1970', 14: Literatursoziologie hat es »mit dem Handeln der an der Literatur beteiligten Menschen zu tun; ihr Gegenstand ist die Interaktion der an der Literatur be­teiligten Personen«. Bei diesem Handeln muß es sich um typische Verhaltens­weisen handeln (29). Wenig überzeugend ist bei FÜGEN die Unterscheidung einer sozialliterarischen Fragestellung, die die historisch-kausale Bedingtheit von Literatur cmtersucht, von der literatursoziologischen Fragestellung.

8 Durch diese beiden Aspekte charakterisiert z. B. M. SCHELER (Die Wissens­formen und die Gesellschaft, 1960', 17) die soziologische Fragestellung.

• Die literatursoziologische Fragestellung ist von Anfang an Bestandteil historisch-kritischer Forschung gewesen. Als Baruch Spinoza 1670 in seinem Theologisch-politischen Traktat (hg. v. C. GEBHARDT, 1908 3) ein historisches Verständnis der Bibel forderte, verstand er darunter 1. die Erforschung der Sprache, 2. die Interpretation biblischer Bücher aus sich selbst, 3. die Frage nach Autor, Entstehungssituation, Rezeption eines Buches sowie den Sitten und Ge­wohnheiten seiner Umwelt (vgl. 136ff, bes. 139). Die letzte Frage umfaßt zweifellos auch literatursoziologische Fragen.

80 Wanderradikalismus [246]

Der zweite Aspekt, also die Frage nach den Bedingungen des den Text prägenden Verhaltens, geht ein wenig über die Formgeschichte hinaus. Diese interessierte sich vor allem für die Intentionen von Trad~nten und Adressaten, Intentionen, die bei biblischen Texten weitgehend religiöse sind. Erklärung eines Textes aus seinem Sitz im urchristlichen Ge­meindeleben wurde daher weithin als Ableitung aus urchristlichem Gemeindeglauben verstanden, obwohl das Leben urchristlicher Ge­meinden gewiß noch andere Aspekte als religiöse hatte. Zu diesem Le­ben gehört auch das Problem, wovon man in ganz banalem Sinne »leben« soll; oder die verschiedenen sozialen Bedingungen, unter denen das Leben eines galiläischen Bauern oder eines Bewohners der Weltstadt Korinth verlief. Sollte das Leben nicht auch in diesem weiteren Sinne die neutestamentlichen Texte geprägt haben?

Das Neue Testament literatursoziologisch untersuchen heißt also: nach Intentionen und Bedingungen typischen zwischenmenschlichen Verhaltens von Autoren, Tradenten und Adressaten neutestamentlicher Texte zu fragen. Man kann nun lange darüber nachgrübeln, wie das Verhältnis von geistigen Intentionen zu ihren weniger geistigen Be­dingungen zu sehen isto. Nach Max Scheler etwa wäre der Gehalt einer geistigen Einsicht nie aus historisch-sozialen Faktoren ableitbar, wohl aber seine Verbreitung und Durchsetzung 6• Nun, unser Thema ist nicht die Entstehung einer geistigen Überlieferung, sondern ihre Verbrei­tung, ihre Überlieferung und Erhaltung. Daß hier ein soziologisches

• Ich nenne nur einige Modelle: 1. Determinationsmodelle : Geistige Über­lieferungen sind durch kausale (materielle) Faktoren oder durch teleologische Intentionen (Geschichtsplan usw.) a tergo bestimmt. 2. Reflexionsmodelle : In den geistigen Überlieferungen werden naturwüchsige Prozesse ihrer selbst be­wußt. 3. Handlungsmodelle : Überlieferungen sind Antwortversuche auf histo­risch-soziale Situationen. Mit diesen Situationen sind sie einerseits konfrontiert; andererseits wirken sich ihre Bedingungen auch im Rücken menschlicher In­tentionen aus.

• SCHELER, Wissensformen, 21: »Der Geist ... bestimmt für Kulturinhalte, die da werden können, nur und ausschließlich ihre Soseinsbeschaffenheit. Der Geist als solcher hat jedoch an sich ursprünglich und von Hause aus keine Spur von >Kraft< oder >Wirksamkeit<, diese" seine Inhalte ins Dasein zu setzen. Er ist wohl ein >Determinationsfaktor<, aber kein >Realisationsfaktor< des möglichen Kulturwerdens. « Dieses Modell ist zweifellos ein wenig dogmatisch, d. h. von der Absicht bestimmt, apriori wenigstens einen Bereich dem Zugriff soziologi­scher Forschung zu entziehen. M. E. läßt sich weder die Entstehung einer geisti­gen Überlieferung unabhängig von sozial-historischen Faktoren verstehen, noch läßt sich ihre Durchsetzung ausschließlich aus solchen Faktoren ableiten. Richtig ist, daß uns die Entstehung von Neuem immer rätselhafter ist als seine weitere Geschichte.

[247J Wanderradikalismus 81

Problem vorliegt, sollte man auch dann zugestehen, wenn man die Be­deutung soziologischer Forschung für die Erhellung geistiger Über­lieferungen so eindeutig meint eingrenzen zu können wie Max Scheler.

Die Überlieferung von Jesusworten im Urchristentum ist vor allem deswegen ein soziologisches Problem, weil Jesus seine Worte nicht schriftlich fixiert hat. Schriftliche Überlieferung kann sich eine Zeitlang erhalten, auch wenn sie für das Verhalten der Menschen ohne Bedeu­tung ist oder ihre Intentionen diesem Verhalten entgegenlaufen 7.

Mündliche Überlieferung ist dagegen an die Interessen ihrer Tradenten und Adressaten ausgeliefert. Ihre Erhaltung ist an spezifische soziale Bedingungen gebunden 8, von denen hier nur eine genannt sei: Ihre Tradenten müssen sich in irgendeiner Weise mit der Überlieferung identifizieren. Es ist unwahrscheinlich, daß ethische Weisungen hier sehr lange tradiert werden, wenn sie niemand ernst nimmt, wenn sie niemand wenigstens ansatzweise praktiziert. Fragt man unter dieser Voraussetzung nach dem Sitz im Leben der ethischen Weisungen Jesu, so gerät man bald in Verlegenheit. Eher möchte man das formgeschicht­liche Postulat eines Sitzes im Gemeindeleben in Frage stellen als an­nehmen, daß etwa ein Wort wie Lk 14, 26 je Grundlage menschlichen Zusammenlebens sein könne: »Wenn jemand zu mir kommt und nicht seinen Vater, seine Mutter, seine Frau, seine Kinder, seine Brüder und

• Vgl. dazu den wichtigen Aufsatz von P.G.BOGATYREV u. R.JAKoBsoN, Die Folklore als eine besondere Form des Schaffens (in: Donum Natalicium Schrijnen, NijmwegenfUtrecht 1929, 900-913).

8 Soziale Bedingungen für die mündliche Überlieferung von Jesusgut sind: 1. Eine Verankerung der Jesusüberlieferung in einem wiederkehrenden, typi­schen zwischenmenschlichen Verhalten der Tradenten, das von individuellen Beliebigkeiten relativ unabhängig ist. Geistige Einstellungen müssen in den überdauernden Notwendigkeiten des Lebens und den konstanten Charakteristika eines Lebensstils verankert sein, wollen sie überdauern. - 2. Ein Interesse der Adressaten, der »passiven Traditionsbewahrer« (dieser Begriff stammt von C. W. v. SYDOW, On the Spread of Tradition [in: Selected Papers on Folklore, Copenhagen 1948, 11-43J, vgl. bes. 15-18). Überlieferungen werden nur so lange tradiert, wie sie Hörer finden. Was deren Interesse und Einstellung wider­spricht, wird ausgeschieden oder modifiziert; es fällt der »Präventivzensur der Gemeinschaft« zum Opfer (diesen Begriff prägten BOGATYREV u. JAKOBSON, Folklore, 903). Man denke an die bei verschiedenen Varianten von Jesusworten zu beobachtende Anpassung an die Gemeindeverhältnisse. - 3. Eine soziologische Kontinuität zwischen Jesus und den Tradenten seiner Worte. Mit Recht ver­sucht die skandinavische Exegese (H. RIESENFELD, The Gospel Tradition and its Beginnings [TU 73, 1959, 43-56J; B. GERHARDSSON, Memory and Manuscript [ASNU 22J, Uppsala 1964) eine solche Kontinuität nachzuweisen, um die form­geschichtliche Skepsis hinsichtlich der Authentizität von Jesusworten zu über­winden. Der Versuch ist m. E. jedoch mißlungen.

82 Wanderradikalismus [248]

Schwestern und dazu sein Leben haßt, so kann er nicht mein Jünger sein.« Ethischer Radikalismus macht die Worte Jesu absolut untauglich zur Regelung alltäglichen Verhaltens. Um so mehr stellt sich das Pro­blem: Wer hat solche Worte 30 Jahre und länger mündlich tradiert? Wer hat sie ernst genommen ? Wer hat sie ernst nehmen können? Auf dies Problem wollen wir uns hier konzentrieren.

Gibt es Kriterien, um diese Fragen zu beantworten? Man könnte hier zunächst skeptisch sein: Erhalten sind uns nur Texte. Das zwischen­menschliche Verhalten, das sich in und mit ihnen einmal vollzog, ist nirgends unmittelbar zu fassen. Es muß erschlossen werden. Die Form­geschichte kannte drei Rückschlußverfahren 9: 1. den analytischen Rückschluß von Form und Inhalt einer Überlieferung auf ihren Sitz im Leben, 2. den konstruktiven Rückschluß von direkten Aussagen über den vermuteten Sitz im Leben auf hier verankerte Traditionen, 3. den Analogieschluß aus zeitgenössischen sachlichen Parallelerschei­nungen. Im folgenden werden alle drei Rückschlußverfahren angewandt. Die Wortüberlieferung bietet besonders reichliches Material für den analytischen Rückschluß. In ihr wird 'Verhalten geboten, es wird in allgemeinen Sentenzen reflektiert und - in Gleichnissen und apophtheg­matischen Szenen - bildlich dargestellt. Selbstverständlich deckt sich befohlenes, reflektiertes und dargestelltes Verhalten auf der einen, tat­sächliches Verhalten auf der anderen Seite nicht einfach. Sofern die Differenzen jedoch typischer Art sind, können sie bei Rückschlüssen in Rechnung gestellt werden: Gebote sind bekanntlich da radikal, wo das Leben zu Kompromissen neigt 10. Verbote lassen häufig gerade auf die Existenz des verbotenen Verhaltens schließen 11. Grundsätzlich aber ist heuristisch anzunehmen, daß die Worte Jesu - in welcher Weise auch immer - praktiziert wurden. Wären sie notorisch mißachtet worden, hätten sie sich kaum über ein, zwei Generationen erhalten können. Eher ist anzunehmen (und auch hin und wieder nachweisbar), daß sie an tatsächliches Verhalten angeglichen wurden - was den analytischen Rückschluß auf dies Verhalten erst recht nahelegt. Es sollte kein Zweifel

• Vgl. R.BuLTMANN, Die Geschichte der synoptischen Tradition, 1961", 5f. 7f. 10 So ist es z.B. eine Maxime des Paulus, sich nicht von seinen Gemeinden

unterstützen zu lassen. Das hindert ihn nicht daran, Unterstützung von der philippischen Gemeinde dankbar anzunehmen (Phil 4, 10ff), obwohl er andern­orts fast sein Heil davon abhängig macht, daß er von den üblichen Vorrechten eines Apostels keinen Gebrauch macht (1Kor 9, 13-18).

11 Der in Mt 10, 10 verbotene Stab wird den urchristlichen Missionaren Mk 6, 8 konzediert. Die Mt 10, 5f verbotene Heidenmission hat es nachweislich gegeben.

[249J Wanderradikalismus 83

daran bestehen, daß die Worte Jesu ernst und wörtlich gemeint sind. Man darf für das frühe Urchristentum noch nicht die Existenz jener Exegeten voraussetzen, die uns versichern, es sei doch alles nicht so ernst gemeint: Dies sei sekundär, jenes zeitbedingt, das dritte symbolisch, das vierte widersprüchlich, das fünfte aber lasse sich durch andere Aussagen des Neuen Testaments relativieren. Anzunehmen ist vielmehr, daß man die Worte J esu in ganz unge brochener Weise ernst genommen und praktiziert hat. Lautet doch eines dieser Worte: »Was nennt ihr mich Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage?« (Lk 6, 46)

Intentionen und Bedingungen der Tradierung von Jesusworten sind nun mit Hilfe der genannten Kriterien in zwei Arbeitsgängen zu unter­suchen. Zunächst ist vom Selbstverständnis der Tradenten auszugehen, wie es sich in Form und Inhalt der Logien ausspricht, um das zugrunde liegende Verhalten zu erschließen. Das Ergebnis ist durch konstruktives und analogisierendes Verfahren abzusichern. In einem zweiten Teil kann dann nach den Bedingungen dieses Verhaltens gefragt werden, auch soweit diese nicht in das Selbstverständnis der Tradenten einge­gangen sind.

I. Selbstverständnis und Verhalten der Tradenten

Die Wortüberlieferung ist durch einen ethischen Radikalismus ge­kennzeichnet, der im Verzicht auf Wohnsitz, Familie und Besitz am deutlichsten hervortritt. Aus darauf bezogenen Anweisungen läßt sich analytisch auf einen charakteristischen Lebensstil der Tradenten schlie­ßen.

Die Worte J esu vertreten ein Ethos der Heimatlosigkeit. Der Ruf in die Nachfolge bedeutet: Aufgabe der stabilitas loci. Die Berufenen ver­lassen Boot, Äcker, Zoll, Haus. Ein Nachfolgender erhält von Jesus den Bescheid: »Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels Nester, der Menschensohn aber hat nichts, wohin er sein Haupt legen kann.« (Mt 8,20) Diese Heimatlosigkeit in der Nachfolge Jesu ist nicht nur zu Lebzeiten Jesu praktiziert worden. Die Didache kennt z.B. wandernde christliche Charismatiker, von denen sie sagt, sie praktizierten die Te6nov~ "ve{ov, die Lebensweise des Herrn (Did XI, 8).

Die Logien vertreten ferner ein afamiliäres Ethos. Die Aufgabe der stabilitas loci schließt den Abbruch familiärer Beziehungen ein. Bedin­gung der Nachfolge ist der Haß von Vater und Mutter, Frau und Kindern, Bruder und Schwester (Lk 14,26). Nach Mk 10,29 haben die Nach­folgenden Häuser, Äcker und Familien verlassen. Sie verstoßen selbst

84 Wanderradikalismus [250J

gegen Minimalerfordernisse der Familienpietät. Ein Nachfolger will seinen verstorbenen VC\.ter begraben. Aber ihm wird gesagt: »Laß die Toten ihre Toten begraben I« (Mt 8, 22) 12 Eigene Vaterschaft ist un­erwünscht, wie das Wort von denen zeigt, die sich um des Gottesreichs willen ihrer Zeugungsfähigkeit beraubt haben (Mt 19, 12)13. Wie ein Mensch mit durchschnittlichem Familienethos über urchristliche Wan­dercharismatiker gedacht hat, bedarf keiner langen Erörterung. Der urchristliche Prophet galt verständlich erweise in seiner Vaterstadt und in seinem Haus nicht viel (Mk 6,4) 14. Man kann von den verlassenen Familien kaum erwarten, daß sie ihn als Helden verehrt haben. Die Rechtfertigung seines Verhaltens war in der Tat schwierig. Es gibt Worte, die den Zerfall der Familie als notwendige Erscheinung der Endzeit hinstellen (Lk 12, 52f)15. Andere prägen den Familienbegriff um: Wahre Brüder, Schwestern und Eltern seien diejenigen, die den Willen Gottes tun (Mk 3,35). Andererseits wurde der Bruch mit der Familie wohl kaum immer konsequent durchgeführt: Viele nahmen z. B. ihre Frauen mit auf ihre Wanderschaft (vgl. 1Kor 9, 5).

12 Vgl. M.HENGEL, Nachfolge und Charisma (BZNW 34),1968. H.G.KLEMM, Das Wort von der Selbstbestattung der Toten (NTS 16, 1969/70, 60-75), wendet sich mit Recht gegen abschwächende Interpretationen des anstößigen Jesus­wortes.

18 Es ist schwer zu sagen, wieweit das Logion wörtlich zu nehmen ist. J. BLINZ­LER, Elalv svvovXOt. Zur Auslegung von Mt 19, 12 (ZNW 48, 1957, 254-270), meint, das Wort verteidige die Jünger gegen das Schimpfwort »Eunuch«. H. GREEVEN, Ehe nach dem Neuen Testament (NTS 15, 1968/69, 365-388), meint, es handle sich um ein Bildwort, das die in geschlechtlicher Askese Leben­den meint. Q. QESNELL, Made themselves Eunuchs for the Kingdom of Heaven (CBQ 30, 1968, 335-358), will sogar wissen, daß es sich um die geschlechtliche Askese derer handelt, die von ihrer Frau betrogen wurden, sie wegen Unzucht entließen und aus Treue zu ihrer Ehe auf eine neue Heirat verzichteten.

14 In Mk 6, 4 werden ausdrücklich Verwandte und Familienangehörige (obda) genannt, die in Pap. Oxyrh. I, 5 und ThomEv 31 fehlen, sei es weil in Mk 6, 4 ein allgemeines Sprichwort abgewandelt wurde (so BULTMANN, Gesch. d. synopt. Trad., 30f) oder Pap. Oxyrh. I, 5 und ThomEv 31 eine sekun­däre Weiterentwicklung von Mk 6, 4 ist (so W. SCHRAGE, Das Verhältnis des Thomasevangeliums zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evan· gelienübersetzungen [BZNW 29J, 1964, 75.77; E.GRÄSSER, Jesus in Nazareth [NTS 16, 1969, 1-23J). Der Spruch existierte wahrscheinlich einmal isoliert (vgl. E.HAENCHEN, Der Weg Jesu, 1966, 220); er wäre dann - wie Mt 5, 11f­ganz sicher auf urchristliche Propheten zu beziehen.

15 Damit wird eine prophetisch-apokalyptische Tradition aktualisiert: Mi 7,6; Sach 13, 3; äthHen 100, 2; 99, 5; Jub 23, 16; syrBar 70, 6; 4Esr 6, 24. Interessant ist, daß Matthäus das Wort in seine Aussendungsrede hineinnimmt (Mt 10, 21), also speziell an Wandercharismatiker adressiert sein läßt. Zu Lk 12, 51-53 vgl. S.SCHULZ, Q. Die Spruch quelle der Evangelisten, 1972, 258-260.

[251] Wanderradikalismus 85

Ein drittes CharnKteristikum der W ortüberlieferung ist die Kritik an Reichtum und Besitz 16: YVie die Geschichte vom reichen Jüngling zeigt, gehört zur vollen Nachfolge Besitzverzicht (Mk 10, 17 ff'). Man· soll keine Schätze auf Erden, sondern im Himmel sammeln (Mt 6, 19-21) 17. Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher 18 ins Gottesreich (Mk 10, 25). Wer auf Besitz verzichtet, verzichtet auf die normale Möglichkeit, sich von Sorge zu entlasten. Darum heißt es in der W ort­überlieferung: »Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel! Sie säen nicht und ernten nicht und sammeln nicht in Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie? ... Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Betrachtet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht und spinnen nicht ... « (Mt 6, 25 ff)

Man darf in dieses Wort nicht die Stimmung eines sonntäglichen Fami­lienspaziergangs hineinlesen. Es geht hier nicht um die Freude an Vögeln, Blumen und Wiesen. Vielmehr spricht aus diesem Wort die Härte der heimat- und schutzlosen vogelfreien Existenz wandernder Charismatiker, die ohne Besitz und Arbeit durch die Lande ziehen 19.

18 Vgl. zum Problem H.J.DEGENHARDT, Besitz und Besitzverzicht in den Lukanischen Schriften (Diss. Würzburg), 1963; zum »reichen Jüngling« ebd. 136-149.

17 Bei Lukas fehlt das Verbot, Schätze auf Erden zu sammeln. Es ist in eine positive Mahnung umgewandelt worden, seinen Reichtum als Almosen zu ver­wenden. Nach W. PESCH, Zur Exegese von Mt 6, 19-21 und Lk 12, 33-34 (BibI 41, 1960, 356-378), modifiziert Lukas hier die Tradition: Er formuliert eine »Botschaft an die sozial schwierig geschichteten Christengemeinden in der hellenistischen Welt« (375). Diese Deutung dürfte m. E. richtig sein. Nach DEGENHARDT (Besitz, 88-93) ist dagegen die matthäische Fassung sekundär. Wiederum anders urteilt H. TH. WREGE, Die Überlieferungsgeschichte der Bergpredigt (WUNT 9), 1968, 109-113. H.RIESENFELD, Vom Schätzesammeln und Sorgen - ein Thema urchristlicher Paränese (in: Neotestamentica et Patristica. Festschr. f. O. Cullmann [NovTest Suppl. 6], 1962, 47-58), will nach­weisen, daß diese paränetische synoptische Tradition auch in der Briefliteratur vorausgesetzt ist, was m. E. kaum zutrifft.

18 Es besteht m.E. kein Grund dazu, für »Reicher« ein ursprüngliches äv{)(!wno~ anzunehmen; so S.LEGASSE, Jesus a-t-il annonce la Conversion Finale d'Israel (A propos de Marc X, 23-27) (NTS 10, 1963/64, 480-487). Ähnlich N. WALTER, Zur Analyse von Mc 10, 17-31 (ZNW 53, 1962, 206-218), der ganz im Sinne protestantischer Dogmatik, aber kaum im Sinne des urchristlichen Radikalismus meint, der Spruch denke nicht daran, »daß der Mensch etwa durch Lösung von den irdischen Gütern oder durch andere asketische Bemü­hungen vielleicht doch ins Reich Gottes gelangen könnte« (210).

19 Richtig m.E. P.HOFFMANN, Studien zur Theologie der Logienquelle (NTA N.F. 8), 1972, 327f. Anders SCHULZ, Q, 149-157.

86 Wanderradikalismus [252J

Wir können nun unsere These formulieren 20: Der ethische Radikalis­mus der Wortüberlieferung ist Wanderradikalismus. Er läßt sich nur unter extremen Lebensbedingungen praktizieren und tradieren: Nur wer aus den alltäglichen Bindungen der Welt entlassen ist, wer Haus und Hof,- Frau und Kind verlassen hat, wer die Toten ihre Toten begraben läßt und sich die Vögel und Lilien zum Vorbild nimmt, kann Verzicht auf Wohnsitz, Familie, Besitz, auf Recht und Verteidigung verbindlich praktizieren. Nur hier können entsprechende ethische Weisungen tra­diert werden, ohne unglaubwürdig zu werden. Nur am Rande der Gesellschaft hat dies Ethos eine Chance, nur hier hat es einen »Sitz im Leben«, oder genauer: Es hat keinen Sitz im Leben, sondern muß am Rande des normalen Lebens eine von außen gesehen durchaus frag­würdige Existenz führen. Nur hier waren die Worte Jesu vor Allegori­sierung geschützt, vor Umdeutungen, Abschwächungen oder Verdrän­gung, einfach deshalb, weil man sie ernst nahm und praktizierte. Nur Charismatiker der Heimatlosigkeit konnten das.

Diese These läßt sich in einem zweiten Gedankengang konstruktiv absichern. Uns sind in der synoptischen Aussendungsrede 21 und der Didache 22 direkte Aussagen über die urchristlichen Wandercharis­matiker erhalten. Im ersten Fall handelt es sich um Regeln für ur­christliche Missionare, im zweiten Fall um Regeln für den Umgang mit ihnen. Nachzuweisen ist, daß diese Regeln z. T. auf dasselbe Verhalten zielen, das wir für die Träger der Wortüberlieferung erschlossen haben .

•• Diese These ist eine Weiterentwicklung von Gedanken G.KRETSCHMARS, Ein Beitrag zur Frage nach dem Ursprung frühchristlicher Askese (ZThK 61, 1964, 27-67). Seine Ausführungen wurden in ähnliche Richtung von HOFF­MANN, Logienquelle, 312-334, weitergeführt. Die oben vertretene These ist Ergebnis eines Gesprächs mit Herrn Pfarrer H.FRosT, der mich besonders auf die Bedeutung der Aussendungsrede für die Frage nach den Trägern der Jesus­überlieferung hingewiesen hat .

• 1 Analysen der A,ussendungsrede aus neuerer Zeit bei F. HAHN, Das Ver­ständnis der Mission im Neuen Testament (WMANT 13), ~965', 33-36; H. SCHÜRMANN, Das Lukasevangelium (HThK HI/1), 1969, 50H; HOFFMANN, Logienquelle, 236-334; SCHULZ, Q, 404-419. Besonders die Interpretation von HOFFMANN steht der im folgenden vorgetragenen Deutung nahe, nur daß hier auf eine zeitgeschichtliche Lokalisierung der Logienüberlieferung in den Aus­einandersetzungen zwischen Friedens- und Kriegspartei vor dem jüdischen Krieg verzichtet wird .

• s Zu den Regeln der Didache für die Behandlung und Beurteilung christ­licher Wandercharismatiker vgl. A. v. HARNACK, Lehre der Zwölf Apostel nebst Untersuchungen zur ältesten Geschichte der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts (TU 2,1-2),1884, bes. 88ff; J.P.AUDET, La Didache. Instructions des apötres, Paris 1958, 435-457; KRETSCHMAR, Beitrag, 36f (hier finden sich aufschlußreiche Verbindungslinien zum syrischen Wanderasketentum).

[253] Wanderradikalismus 87

Die Verpflichtung zur Heimatlosigkeit ist im Aussendungsbefehl ent­halten. In der Didache tritt sie noch deutlicher hervor: Ein Apostel soll ein, höchstens zwei Tage an einem Ort bleibe!l. Bleibt er dref Tage, so ist er ein Pseudoprophet (Did XI, 5).

Ebenso deutlich ist die Verpflichtung zur Armut: Die Missionare sollen kein Geld, keine Tasche, nur ein Kleid, weder Schuhe noch Stab mitnehmen (so Mt 10,10). Nach der Didache soll man den Aposteln nur für einen Tag Brot mitgeben, nie aber Geld. Bittet einer um Geld, so ist er ein Pseudoprophet (Did XI, 6).

Weniger deutlich tritt der afamiliäre Charakter dieses Wanderlebens hervor: Eine rätselhafte Stelle in der Didache spricht davon, daß die wandernden Propheten das flVrn:ru!lO'/J rijt; beuArj(1{at;, das Geheimnis der Kirche, praktizierten 23. Man solle sie deswegen nicht richten, sondern das Urteil Gott überlassen - vorausgesetzt, sie lehren ih:r Verhalten nicht andere (Did XI, 11). Wahrscheinlich ist hier von Begleiterinnen der Wanderpropheten die Rede, bei denen ja nie ganz klar war, in wel­chem Verhältnis sie zu den Propheten standen. Offiziell galt hier wohl die Verpflichtung zur geschlechtlichen Enthaltsamkeit. Jedoch bleibt die Stelle auch für uns ein flVC17:17(2lO'/J.

Das in der Wortüberlieferung gebotene Verhalten wurde demnach zumindest an einer Stelle im Urchristentum praktiziert: bei den wan­dernden Charismatikern, den Aposteln, Propheten und Missionaren. Damit ist noch nicht sichergestellt, daß sie auch Träger der Wortüber­lieferung waren; aber es ist wahrscheinlich, zumal es dafür einige Indizien gibt.

In der matthäischen Aussendungsrede ist ausdrücklich von »Worten« der Wandercharismatiker die Rede: »Wer euch nicht aufnimmt und eure Worte nicht hört ... « (Mt 10, 14), so heißt es dort. Nun müssen dies nicht Worte Jesu gewesen sein. Aber das einzige Wort, das Matthäus als Verkündigungsinhalt dieser Wandercharismatiker direkt zitiert, ist ein J esuswort. Es heißt: »Die Gottesherrschaft ist nahe herbeigekommen« (Mt 10, 7; Lk 10, 9). Ihr Wort ist also zumindest teilweise identisch mit dem Wort Jesu.

2. Einen Überblick über die exegetischen Meinungen gibt AUDET, Didache, 451 f, der sich selbst gegen die Deutung auf sexuelle Fragen ausspricht. Aber es ist durchaus möglich, daß hier an Syneisaktentum gedacht ist, d. h. ein Zusammenleben mit der Verpflichtung zur sexuellen Enthaltsamkeit; so R. KNOPF, Die Lehre der zwölf Apostel (HNT Erg.-Bd. 1), 1920, 32f. Dabei wird es oft so gegangen sein, wie Irenäus (Adv. haer. I, 6, 3) von Valentinianern und ihren Syneisakten berichtet: daß die Schwangerschaft der Frau die Problematik des ganzen Unternehmens offenbar machte.

88 Wanderradikalismus [254]

In der lukanischen Aussendungsrede heißt es darüber hinaus: » Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verwirft, verwirft mich.« (Lk 10, 16; vgl. Mt 10, 40) Im Worte der Wandermissionare ist Jesus selbst präsent. Diese Präsenz ist nicht als mystische Identität aufzufassen. Vielmehr ist der wandernde Missionar deshalb Stimme Jesu, weil er seine ,Vorte tradiert, weil er sein Bote ist. Das wird durch die Form der Logien bestätigt: Diese sind z. T. im Ich-Stil gesprochen 24, teils werden sie durch die Amen-Formel als übernommene geoffenbarte Wahrheit charakterisiert 25. Beides ergänzt sich: Wer im Ich-Stil z. B. das »Ich aber sage euch« der Bergpredigt spricht; wird durch seine Rede zum Stellvertreter J esu: » Wer euch hört, hört mich«. Daß dies ins besondere für wandernde Charismatiker gilt, geht aus einer Variation dieses Wortes hervor: »Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf, und wer mich auf­nimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.« (Mt 10,40) Dieses ,Vort ist eine Empfehlung an die Gemeinden, wandernde Charismatiker auf­zunehmen 26.

U In Mk 13, 6 werden urchristliche Propheten durch den Ich-Stil ihrer Rede charakterisiert. Es handelt sich hier kaum um Personen, die sich als wieder­gekommener Messias ausgaben. Denn wer »im Namen Jesu kommt« (Mk 13, 6), wird sich kaum mit ihm gleichsetzen. Das lyw elp.t ist vielmehr als Stilfigur prophetischer Rede aufzufassen. Noch deutlicher polemisiert Lukas an dieser Stelle gegen urchristliche Wanderpropheten. Ihre Verkündigung 6 "ateO~ rjYYt"ev (Lk 21, 8) entspricht genau dem Auftrag der Aussendungsrede (Lk 10, 9; Mt 10, 7) .

•• So K.BERGER, Die Amen-Worte Jesu (BZNW 39), 1970, der hier gegen V.HAsLER, Amen, 1969, wohl recht hat .

•• Das vermutet schon E. KÄSEMANN, Die Anfänge christlicher Theologie (ZThK 57, 1960, 162-185 = Exeget. Versuche und Besinnungen II, 1968, 82-104); 91. Vgl. auch die Anweisung Did XI, 2: Wandercharismatiker sind wie der Herr aufzunehmen. Das oben skizzierte Stellvertretungsbewußtsein der Wandercharismatiker hat sich noch in anderen Logien niedergeschlagen. Es erklärt m. E. den viel umrätselten Wechsel von der 1. Person zur 3. Person in Mk 8, 38: »Wer sich meiner schämt und meiner Worte, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen ... « (Aus der umfangreichen Debatte um das Wort nenne ich nur PH. VIELHAUER, Gottesreich und Menschensohn in der Verkün­digung Jesu [in: Aufsätze zum NT, 1965, 55-91J, vgl. dort 101-107 und die jüngste Behandlung bei SCHULZ, Q, 66-76.) Als Tradent der Jesusworte kann sich der urchristliche Wanderprophet mit Jesus identifizieren und im Ich-Stil sprechen: »Wer sich meiner schämt und meiner Worte ... « Von dem zukünfti­gen Richter weiß er sich unterschieden. Die nächste Analogie zu diesem Sach­verhalt findet sich in der Aussendungsrede ; dort heißt es: »Wer euch nicht aufnimmt und eure Worte nicht hört ... « (Mt 10, 14) Dem entspricht: »Wer sich meiner schämt und meiner Worte ... «, d.h. der von den Wandercharis-matikern tradierten Worte Jesu, die wegen' dieser Tradierung durch andere Personen von der Person Jesu unterschieden werden können. Ein ähnliches

[255J Wanderradikalismus 89

Aus den Regeln für urchristliche Wandercharismatiker läßt sich m. E. konstruktiv erschließen, daß sie ein der Logienüberlieferung entspre­chendes Ethos praktizierten, daß sie deren eschatologische Thematik in ihrer Verkündigung aufgriffen und ein der Form der Jesusworte ent­sprechendes Selbstverständnis hatten: Sie waren die Tradenten der Worte Jesu, auch nach der Evangelienbildung. Noch im 2. Jahrhundert n. ehr. bezieht Papias Jesustraditionen von vorbeikommenden, wan­dernden Jüngern des Herrn 27.

Unsere These läßt sich schließlich durch einen Analogieschluß unter­mauern: Neben den urchristlichen Wandercharismatikern gab es im 1./2. Jahrhundert eine Vielzahl kynischer Wanderphilosophen und Wan­derprediger. Auch sie standen am Rande der Gesellschaft 28• Sie standen in Opposition zu den Kaisern Vespasian und Domitian und wurden von diesen bekämpft. Anderen galten ihre besten Gestalten als Vorbild wahren menschlichen Lebens - so dem Philosophen Epiktet. In seinen Ausführungen über den Kyniker wirft er die Frage auf: »Wie es möglich sei, ohne Hab und Gut, nackt, ohne Haus und Hof, ohne Pflege, ohne Knecht, ohne Vaterland glücklich zu leben?«, und er antwortet:

Stellvertretungsbewußtsein kommt in dem Wort von der Sünde gegen den heiligen Geist, d. h. gegen den Geist urchristlicher Propheten, zum Ausdruck (Mk 3, 28f parr.). Diese Deutung auf die Propheten findet sich schon Did XI, 7. Vgl. BERGER, Amen-Worte, 36-41. WREGE, Überlieferungsgeschichte, 156-180, sieht in diesem Wort mit Recht »die Grundlage auch der synoptischen Logien­überlieferung zur Sprache« kommen (169): Das vorösterliche Verhalten wird relativiert, die Worte Jesu werden erneut zum Maßstab des Gerichts erhoben. R. SCROGGS, The Exaltation of the Spirit by Some Early Christians (JBL 84, 1965, 359-373), führt das Wort auf eine enthusiastische Strömung im palästi­nensisch-syrischen Christentum zurück, gegen die Mt 7, 22f polemisiere. M. E. handelt es sich um einen bestimmten soziologischen Typus christlichen Glaubens, der hier zu Wort kommt, nämlich um urchristlichen Wanderradi­kalismus. Möglicherweise finden wir das Stellvertretungsbewußtsein der ur­christlichen Wandercharismatiker auch in Mt 25, 31-46. Vgl. J.R.MICHAELIS, Apostolic Hardships and Righteous Gentiles (JBL 84, 1965, 27-37), der die »geringsten Brüder« mit den Aposteln identifiziert. Dieser Deutung entspre­chen in der Tat Logien, die das Verhalten Gottes im Gericht zu den Menschen von deren Verhalten gegenüber den Boten Jesu abhängig machen (Lk 10, 16; Mt 10, 40ff). Jedoch dürfte das Gebot zur Gastfreundschaft allgemein jedem gelten. Vgl. ferner L. COPE, Matthew XXV, 31-46 »The Sheep and the Goats« Reinterpreted (NovTest 11, 1969, 32-44).

07 Euseb, Hist. eccl. III, 39, 4: »Wenn aber irgendjemand, der den Älteren nachfolgte, kam, so erfragte ich von ihm die Worte der Älteren.«

I. V gl. L. FRIEDLAENDER, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von August bis zum Ausgang der Antonine, 1910·, IV, 315f. 346-353; D.R.DuDLEY, A History of Cynicism, London 1937 (Nachdr. 1967), bes. 125ff.

90 Wanderradikalismus [256J

»Seht da, Gott hat euch den gesandt, der es euch durch die Tat beweisen kann, daß es möglich ist! Alles jenes habe ich nicht, ich liege auf der Erde, ich habe kein Weib, keine Kinder, keinen kleinen Palast, sondern nur Erde und Himmel und ein einziges großes Mäntelchen. Und doch, was fehlt mir? Bin ich nicht frei von Sorgen, ohne Furcht, bin ich nicht frei?« (Diss. 3, 22, 46-48)

Das Ethos urchristlicher W ortüberlieferung und kynischer Philo­sophie ist in den drei wichtigsten Zügen vergleichbar: Es ist ein Ethos der Heimat-, Familien- und Besitzlosigkeit. Da das kynische Ethos von Wanderphilosophen tradiert wurde, dürfen wir per analogiam schließen, daß die Träger der Jesusüberlieferung einem vergleichbaren soziologi­schen Typos angehören. Dieser Analogieschluß basiert auf strukturellen Ähnlichkeiten, nicht auf historischen Beziehungen. Diese fehlen nicht ganz 29. Im ostjordanischen Gadara läßt sich kynisches Gedankengut über fünf Jahrhunderte hinweg nachweisen: bei Menipp, Meleagros und Oinomaos 3o. Aufschlußreicher noch ist die Tatsache, daß der im 2. Jahr­hundert n. Chr. von Lukian von Samosata verspottete Peregrinus zu­nächst christlicher Wandercharismatiker wal, dann zum Kynismus kon­vertierte und unter veränderten Vorzeichen sein Wanderleben fort­setzte 31. K ynische Wanderphilosophen und urchristliche Wandercharis­matiker stellten sich beide außerhalb des normalen Lebens. Die geistige Begründung freilich war hier wie dort verschieden. Die Philosophen vollzogen in Denkoperationen die Loslösung aus bestehenden Konven­tionen und Sitten, indem sie cpVmr; und vOflOr; einander entgegensetzten. Die urchristlichen Wanderprediger taten dasselbe in mythischen Bildern, indem sie der alten, zum Untergang verurteilten Welt eine neue vVelt entgegensetzten.

Wenn die Worte J esu durch wandernde Charismatiker tradiert wurden, was ergibt sich daraus für ihre Authentizität? Formgeschichtliche Skepsis beruhte auf der Erkenntnis, daß die Worte Jesu durch Institutionen und Notwendigkeiten nachösterlichen Gemeindelebens geprägt sind. Diese aber waren weder von Jesus gegründet noch vorhergesehen. Denn: »Jesus verkündigte das Gottesreich, und gekommen ist die Kirche«

•• Auf Berührungen zwischen Logientradition und philosophischen Topoi der sokratischen Tradition weist H. HOMMEL, Herrenworte im Lichte sokrati­scher Überlieferung (ZNW 57, 1966, 1-23), besonders bei dem für die Logien­überlieferung aufschlußreichen Topos vom Vorrang geistiger vor der familiären Verwandtschaft. Zum Topos, daß der Weise kein Geld nimmt, vgl. H.D.BETZ, Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition (BHTh 45), 1972, 100-117.

so V gl. zu diesen kynisch beeinflußten Dichtern oder Philosophen die ent­sprechenden Artikel in PW und im »Lexikon der Alten Welt«.

S1 J.BERNAYS, Lucian und die Kyniker, 1879.

[257] Wanderradikalismus 91

(so A.Loisy)32. Versteht man unter »Kirche« ortsansässige Gemeinden und ihre Institutionen, so gibt es keine soziologische Kontinuität zwi­schen J esus und dem Urchristentum 33. Anders bei Wandercharismatikern. Hier ist die soziale Situation bei Jesus und einem Zweig des Urchristen­tums vergleichbar: Jesus war der erste Wandercharismatiker. Die Tra­denten seiner Worte übernahmen seine Lebensweise, die -re6novf; 'Xve{ov (Did XI, 8). Was durch ihren Lebensstil geprägt ist, ist deswegen noch lange nicht »unecht«. Ihr Wanderradikalismus geht auf Jesus selbst zurück. Er ist authentisch. Wahrscheinlich sind mehr Worte der Echt­heit zu »verdächtigen«, als manchen modernen Skeptikern lieb ist.

Authentisch ist die Jesusüberlieferung jedoch noch in einem anderen, übertragenen Sinne: Sie ist existentiell authentisch. Sie wurde prakti­ziert. Moderne wie konservative Exegese sind hier oft in der gleichen Weise blind. So sieht ein Vertreter existentialer Interpretation und »neuer Hermeneutik« in der Aufforderung an den reichen Jüngling, seinen Besitz zu verschenken, die Aufforderung, Jesu Wort anzuneh­men 84. Der Hörer habe zu hören. Man dürfe den Ruf in die Nachfolge hier »nicht mehr ethisch oder soziologisch interpretieren«, es handle sich vielmehr »um einen echt religiösen Sachverhalt« 36. Nun, die neue Hermeneutik will vergangene Texte für die Gegenwart interpretieren; in diesem Falle wohl für eine Gegenwart, in der die Worte Jesu mit ge­lassener Selbstverständlichkeit nicht praktiziert werden. Daraus kann niemandem ein Vorwurf gemacht werden. Aber deswegen sollte sich niemand verführen lassen, den klaren Sinn der Worte Jesu durch seinen hermeneutischen Tiefsinn zu suspendieren - nicht zuletzt aus Achtung vor jenen Menschen, die diese Worte einmal ernst nahmen. Und auch

SI Vgl. A.LOISY, L'Evangile et l'Eglise, Bellevue 1904·, 155. Zur Interpreta. tion seines bekannten Satzes vgl. D.HoFFMANN-AxTHELM, Loisys »L'Evangile et l'Eglise«. Besichtigung eines zeitgenössischen Schlachtfeldes (ZThK 65, 1968, 291-328) .

.. Das umfangreiche Werk von S.SCHULZ, Q. Die Spruchquelle der Evange­listen, 1972, ist ein Versuch, die Überlieferung der Jesusworte in einer Q­Gemeinde anzusiedeln. Wegen des radikalen Ethos der Worte muß diese Ge­meinde als sehr »weltfremd« (als »enthusiastisch«) erscheinen, wofür primär die Naherwartung verantwortlich gemacht wird. Die Skepsis gegenüber der Authentizität der Jesusworte wird notwendigerweise verstärkt .

•• E.FucHs, Jesus, Wort und Tat, 1971, 10-20: »Hier darf man sich nicht vorschnell in soziologische Fragestellungen verlieren, denn >verkaufen< hat dia­lektischen Sinn: Nachfolge besteht im Annehmen seines Wortes.« (18)

B. fuCHS, ebd. 19. Selbst die soziologischen Ansätze der klassischen Form­geschichte werden verworfen: »Man sollte jetzt nicht soziologische Kategorien heranziehen - wie das noch zwangsläufig in der formgeschichtlichen Arbeit Bultmanns und besonders in der amerikanischen Theologie geschieht.« (82)

92 Wanderradikalismus [258]

heute dürfte die Erinnerung daran bedenkenswert sein, daß es einmal Tradenten der Jesusworte gab, die ohne falsche Nebengeräusche ver­sichern konnten: »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.« (Mk 13, 31)

II. Das Verhalten der Tradenten und seine Bedingungen

Im ersten Gedankengang gingen wir von den Intentionen der Logien­überlieferung aus. Voraussetzung des Rückschlusses auf tatsächliches Verhalten war, daß geistige Intentionen ernst genommen werden, d.h. konkrete Folgen für »irdisches« Verhalten haben. Im zweiten Arbeits­gang wird diese heuristische Annahme umgekehrt. Anzunehmen ist ebenso, daß höchst »irdische« Verhältnisse konkrete Folgen für geistige Intentionen haben können. Die angesprochenen »irdischen« Verhältnisse lassen sich in drei Faktorengruppen aufgliedern, von denen nacheinander einige Aspekte besprochen werden sollen: 1. sozioökonomische Faktoren wie die Frage des Lebensunterhalts, des Berufs und der Schichtzuge­hörigkeit, 2. sozioökologische Faktoren wie städtisches und ländliches Milieu, 3. soziokulturelle Faktoren wie Sprache, Normen und Werte bestimmter Volksgruppen. Da geistige Überlieferungen ihre weniger geistigen Voraussetzungen nur sehr verschämt oder gar nicht themati­sieren, ist es der Sache nach schwierig, hier zu begründeten Aussagen zu kommen. Methodisch begründete Skepsis ist durchaus angebracht. Aber es besteht kein Grund zu jener opportunistischen Skepsis, wonach man hier methodisch nichts wissen könne, weil man im Grunde nichts wissen möchte. Meist wissen dann solche Skeptiker unter der Hand erstaunlicherweise genau, daß den genannten Faktoren allenfalls neben­sächliche Bedeutung zukommt.

Eine sehr schlichte sozioökonomische Frage, die Frage des Unterhalts, wird in der Wortüberlieferung mit wünschenswerter Deutlichkeit be­handelt. Die Aussendungsrede enthält dazu eine negative und eine positive Aussage. Negativ lautet die Weisung: »Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Stab, keine Tasche, kein Brot, kein Geld, noch sollt ihr zwei Kleider haben.« (Lk 9,3) "Grüßt niemand auf dem Wege.« (10,4) Uns interessiert vor allem der Verzicht auf Tasche, Stab 36, Brot und Geld .

• 8 Der Verzicht auf den Stab bedeutet Verzicht auf das geringste Mittel zur Selbstverteidigung (so HOFFMANN, Logienquelle, 313ff). Wer so durch die Lande zieht, hat wohl oder übel das J esuswort zu beherzigen: » ... wer dich auf den rechten Backen schlägt, dem biete auch den andern dar ... Und wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei.« (Mt 5,39-41) Das Logion könnte

[259J Wanderradikalismus 93

Mantel, Tasche und Stab sind die Charakteristika der kynischen Wan­derphilosophen 37, der »Bettelmönche des Altertums«, wie man sie ge­nannt hat. Das Verbot von Tasche 38 und Stab zielt wahrscheinlich darauf hin, auch den geringsten Anschein zu vermeiden, die christlichen Missio­nare seien solche oder ähnliche Bettler. Auch das Verbot, unterwegs jemanden zu grüßen, dürfte diesen Sinn haben 39. Wer seine Armut demonstrativ zur Schau trägt und auf dem Weg jemanden anspricht, könnte leicht mißverstanden werden. In dieselbe Richtung zielt das Ver­bot, in einem Ort von Haus zu Haus zu wechseln (Mk 6, 10; Lk 10, 7) 40.

Das sähe allzu sehr danach aus, als wolle man die Aufgeschlossenheit eines Ortes materiell ausnutzen. Deutlich ist: Die üblichen Praktiken von Bettlern waren den urchristlichen Wandercharismatikern ver­boten 41. Ebenso aber planmäßige Vorsorge.

Um so mehr stellt sich die Frage: Wovon lebten diese Leute 42 ? Dazu gibt es eine positive Anweisung:

»Wo ihr in ein Haus eintretet, da sprecht zuerst: Friede diesem Hause. Und wenn dort ein Sohn des Friedens ist, wird der Friedensgruß auf ihm ruhen; wenn aber nicht, wird er zu euch zurückkehren. In eben diesem Haus aber bleibt und eßt und trinkt, was ihr von ihnen bekommt; denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Wechselt aber nicht von Haus zu Haus.« (Lk 10, 5-7)

direkt auf die Situation wandernder Charismatiker bezogen sein. Wer ohnehin unterwegs ist, dem ist es gleichgültig, ob er 1, 5 oder 3 km zu irgendwelchen Dienstleistungen gepreßt wird.

87 Diog. Laert. VI, 13. Hier werden wahrscheinlich dem Antisthenes die später als Zeichen des kynischen Philosophen geltenden Attribute zugesprochen (vgl. DUDLEY, A History of Cynicism, 6): Mantel, Tasche und Stab. Zur Reise­ausrüstung im Altertum schlechthin vgl. HOFFMANN, Logienquelle, 315ff.

SB Der Kyniker Krates schrieb ein Stück n~ea. A. DEISSMANN, Licht vom Osten, 1923', 86-88, nimmt die Bedeutung »Bettelsack« an (unter Berufung auf Bulletin de Correspondance Hellenique 21, 1897, 60). Anders W.MICHAELIS, Art. n~ea, ThW VI, 119-121: »Dem Typus des wandernden Religiosus oder Philosophen mit dem Bettelsack, wie ihn die kleinasiatischen Kulte und der Kynismus zeigen, wird Jesus schwerlich je begegnet sein.« (121 Anm. 13)

S. Anders z.B. W.GRUNDMANN, Das Evangelium nach Lukas, o.J., 209: es handle sich um eine Warnung vor Zeitverlust. So auch SCHULZ, Q, 416.

<. HAENcHEN, Weg Jesu, 230, führt dies Verbot auf Erfahrungen zurück, daß Eifersucht und Streit entsteht, wenn nacheinander verschiedene Familien die Missionare aufnehmen.

Cl Auch HAENcHEN, ebd. 222, meint, daß die demonstrative Armut der Wandermissionare dem Verdacht vorbeugen soll, sie wollten sich bereichern.

,. Obwohl SCHULZ, Q, 172ff. 487 ff ein starkes Interesse für die Revolutionie-

94 Wanderradikalismus [260J

Man ging also von der Erwartung aus, daß sich immer wieder Men­schen fanden, von denen man freiwillig unterstützt wurde. Dabei appellierte man nicht an karitative Gesinnungen, sondern an Recht und Billigkeit: Arbeit ist ihres Lohnes wert. Welche Arbeit? Die Aus­sendungsrede nennt zwei Dinge: Heilungen und eschatologische Ver­kündigung. Heilungen für die Gegenwart, Verkündigung für die Zu­kunft. Dabei bestand die Verkündigung nicht nur aus kraftlosen Worten. Sie verlieh Schutz im Endgericht. Das geht aus dem Friedensgruß her­vor 43• Er ist bedingt. Werden die Wanderprediger abgelehnt, so kehrt er wie eine magische Kraft zu ihnen zurück. Dem feindlichen Ort aber wird es im nahen Gericht schlimmer als Sodom und Gomorrha ergehen (Mt 10, 15; Lk 10, 12). Man kann daraus schließen: Wurden die Wanderprediger aufgenommen, so ging das eschatologische Gericht an den aufnehmenden Häusern und Orten vorbei. Gegenwärtige Heilungen und eschatologischer Schutz - das waren die »Leistungen« der Wander­prediger, die ohne Entgelt gegeben werden sollten: »Umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebt es.« (Mt 10, 8) Aber diese Leistungen waren doch ihres Lohnes wert. Ihre Honorierung durch Speise, Trank und Unterkunft verstand sich eigentlich von selbst 44. Das ist zwar keine normale Bettelei, das ist Bettelei höherer Ordnung, charismatische Bettelei, die das Problem des Lebensunterhalts nur nebenbei themati­siert, die darauf vertraut, daß sich dies Problem gewissermaßen von selbst erledigen wird, nach dem Motto: »Sucht ... zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, dann werden euch alle diese Dinge hin­zugefügt werden!« (Mt 6, 33) Unter den Worten Jesu finden wir nicht zufällig eine ausgesprochene Bettlerweisheit : »Bittet, so wird euch ge­geben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan.« (Lk 11, 9ff par)

rung der materiellen Verhältnisse in der gegenwärtigen Gesellschaft zeigt, scheinen ihm Fragen nach den materiellen Bedingungen einer Überlieferung bei der Auslegung von Texten fernzuliegen. Da heißt es dann schlicht zu unserem Problem: »Man sollte sich hüten, aus dieser Anweisung mehr herauslesen zu wollen, als was dasteht: Die apokalyptischen Erntearbeiter haben als wirkliche Arbeiter Anspruch auf Essen und Trinken.« (417)

.s Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund des Friedensgrußes vgl. HOFF­MANN, Logienquelle, 296-302. Ebd. 310f interpretiert er den Friedensgruß auf zeitgeschichtlichem Hintergrund: In Auseinandersetzung mit zelotischen Wider­standsbewegungen werden die »Söhne des Friedens« gesammelt. Aber ist der Friedensgruß nicht ein sehr allgemeiner Topos?

.. S. KRAUSS, Die Instruktion Jesu an die Apostel (Angelos 1, 1925, 96-102): »Jesus verlangt offenbar, daß seine Jünger von der Gastfreundschaft derer leben, zu denen sie gerade kommen und in deren Orten sie predigen.«

[261] Wanderradikalismus 95

Die irdischen Verhältnisse werden freilich dafür gesorgt haben, daß sich dies Thema nicht immer von selbst erledigte. Das zeigt die Ge­schichte vom Ährenraufen. Formgeschichtliche Analyse nahm an, daß hier urchristliche Gemeindeverhältnisse in eine ideale Szene verwandelt seien 45. Dagegen wurde eingewandt, es könne doch kein wiederkehrender Brauch der Gemeinden gewesen sein, am Sabbat hungernd durch die Felder zu streifen 46. In der Tat: so etwas kommt in einer Orts gemeinde mit solide arbeitenden Christen kaum vor. Bei Wanderpredigern ohne Geld und Brot dürfte es jedoch eine typische Situation gewesen sein. Nun wird der Sabbatbruch in der Erzählung dadurch gerechtfertigt, daß die alttestamentlichen Priester ein Recht auf die heiligen Brote gehabt hätten. Die Begründung ist logisch schief. Der Priester brach nicht den Sabbat, wenn er Unberechtigten die Opfergaben herausgab. Der Mangel an Logik hat jedoch einen realen Grund, der dann hervor­tritt, wenn man in Rechnung stellt, daß die Problematik von Wander­charismatikern diese Erzählung geprägt hat: Deren Unterhalts anspruch wurde nämlich bei Paulus (1Kor 9, 13) und in der Didache (XIII, 3) eben mit diesem alttestamentlichen Recht des Priesters auf die Opfer­gaben begründet47 • Theologische Logik (oder Unlogik) richtet sich hier einmal nach sehr menschlichen Bedürfnissen.

Die Wandercharismatiker werden oft gehungert haben, weil sie keine

45 Vgl. BULTMANN, Gesch. d. syn. Trad., 14. 4' HAENCHEN, Weg Jesu, 118-123: »Es war sicherlich nicht eine besondere

Vorliebe der Christen, am Sabbat durch Getreidefelder zu gehen und von den Ähren zu essen.« (122) F.W.BEARE, The Sabbath was made for Man? (JBL 79, 1960, 130-136), weist allerdings mit Recht darauf hin, daß Sabbatkonflikte auch wegen Kleinigkeiten entstehen konnten und das Ährenraufen vielleicht nur ein Beispiel für derartige Streitigkeiten ist. - Der ursprüngliche Sitz im Leben wird wahrscheinlich dem ähnlich gewesen sein, den die Perikope im auto­biographischen Roman des Goethefreundes K. Ph.Moritz, Anton Reiser, 1959, 345 (Anfang des 4. Teils), hat. Anton Reiser irrt mit wenig Geld in der Gegend von Duderstadt umher, »als er einmal über ein Kornfeld ging und ihm die Jünger Christi einfielen, welche am Sonntage Ähren aßen. Er machte sogleich den Versuch, eine Handvoll Körner aus den Ähren herauszustreifen ... «

47 J. ROLoFF, Das Kerygma und der irdische Jesus, 1970, 52-62. 71-73, hat m.W. zum ersten Mal auf diesen Zusammenhang hingewiesen: »1.Kor 9, 14 gibt also zu der begründeten Vermutung Anlaß, daß dieses Logion [sc. Mk 2, 25 f] auch in der nachösterlichen Situation zur Begründung des Unterhaltsanspruches der Evangeliumsverkünder herangezogen worden ist.« (72) Für ganz unwahr­scheinlich halte ich die Annahme eines eucharistischen Sitzes im Leben (so A.J. GRASSI, The five Loaves of the High Priest [NovTest 7,1964/65,119-122]). Nach H. W. KUHN, Ältere Sammlungen im Markusevangelium (Studien zur Um­welt des NT 8), 1971, 72-81 hat erst Markus V. 25f eingefügt; das läßt sich kaum nachweisen.

96 Wanderradikalismus [262J

Aufnahme fanden. Oft wurden sie wie rechtlose Vagabunden verjagt. In diese Situation spricht ein viel umrätseltes Trostwort 48:

»Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andre. Denn wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt.« (Mt 10, 23)

Wären die hier Angeredeten ausschließlich zielstrebige Missionare, so

läge in diesem Wort wenig Trost. Daß· er nicht alle Städte vor dem Ende erreicht, müßte den Missionar verzweifeln lassen. Für den charis­

matischen Bettler aber ist es ein Trost: Er wird bis ans Ende der Welt immer wieder Orte finden, in denen er durch Predigt und Heilungen

seine Existenz fristen kann, auch wenn er immer wieder verjagt wird. Nach all dem dürfte klar sein, daÜ die urchristlichen Wandercharis­

matiker Außenseiter waren. Sie werden in den Orten einige Sympathi­

santen gehabt haben. Aber es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie die Mehrheit über sie geurteilt hat, über Menschen ohne Wohnsitz und

soliden Erwerb, die das Volk durch die Predigt vom nahen Weltende

verunsicherten und jene Orte, in denen sie abgelehnt wurden und keine Unterstützung fanden, im Geiste schon in Flammen aufgehen sahen.

Nun, das Urteil wird nicht viel anders gelautet haben als das von

K.Kautsky, der schlicht von »Schnorrern und Verschwörern« spricht und ihnen die Phantasie von Brandstiftern zuschreibt, nur soll der

Messias für sie den Brand legen 49. Aus diesem Urteil spricht nicht nur

48 V gl. den forschungsgeschichtlichen Überblick bei M. KÜNZI, Das Naherwar­tungs-Lögion Mt 10, 23, 1970. E.BAMMEL, Matthäus 10, 23 (StTh 15, 1961, 79-92) bestreitet, daß überhaupt Missionsmotive vorliegen. H. SCHÜRMANN, Zur Traditions- und Redaktionsgeschichte von Mt 10, 23 (BZ N.F. 3, 1959, 82-88), meint, das Logion sei erst nachträglich auf die Missionssituation ange­wandt worden. HAsLER (s. Anm.25), 84-86, bestreitet sowohl Missions- wie Trostmotive. Hier wird m. E. richtig gesehen, daß· sich das Wort kaum aus der Sicht eines zielstrebigen Missionars deuten läßt. Deswegen muß man jedoch nicht alle missionarischen Motive bestreiten: Es gab verschiedene Formen ur­christlicher Mission .

.. K. KAUTSKY, Der Ursprung des Christentums. Eine historische Unter­suchung, 1921", 404f: » •.• und zahlreiche besitzlose Schnorrer ohne Familie und Heim wanderten ununterbrochen von Ort zu Ort ... Die Schluß drohung, die der Evangelist Jesus in den Mund legt, ist bezeichnend für die Rachsucht des Bettlers, der sich in seinen Erwartungen auf ein Almosen betrogen sieht. Er möchte am liebsten dafür die ganze Stadt in Flammen aufgehen sehen. Bloß soll die Brandstiftung der Messias für ihn besorgen.« Was die Rachsucht angeht, so ist das gewiß richtig gesehen. Aber eben diese Rachsucht wird auch be­kämpft, wie Lk 9, 51-56 zeigt. KAUTSKYS zusammenfassendes Urteil lautet:

[263J Wanderradikalismus 97

die Strenge (alt)sozialistischer Arbeitsmoral, aus ihm spricht doch wohl eine ausgesprochen allgemein verbreitete Ablehnung derartiger Außen­seiter. Ähnlich wird man die Wandercharismatiker schon damals ge­schmäht haben. Ein Wort Jesu tröstet sie:

»Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und sagen alles Üble und Erlogene gegen euch um meinetwillen. Doch freut euch und jubelt, denn groß ist euer Lohn in den Himmeln. Denn so verfolgten sie die Propheten vor euch.« (Mt 5, 11 f)

Man darf fragen, ob alle Schmähungen ohne Grund waren. Waren die Wandercharismatiker nicht zum Verwechseln anderen zweifelhaften Vagabunden ähnlich? Daß es so gewesen ist, zeigt die Didache. Sie warnt vor reisenden xeUn:ep:1WeOt, vor Leuten, die mit Christus hausie­ren gehen. Lukian kann - wohl zu Unrecht - einen dieser christlichen Propheten zum Gegenstand seines Spottes machen mit der Absicht, sein religiöses Gehabe als parasitäres Verhalten zu entlarven. Was sich selbst als religiös begründete Freiheit gegenüber den fundamentalen sozialen Bindungen verstand, konnte von außen als arbeitsscheues Vagabunden­tum erscheinen.

Als Außenseiter werden die urchristlichen Wandercharismatiker vor allem bei denen Unterstützung gefunden haben, die selbst am Rande der Gesellschaft standen: bei den Mühseligen und Beladenen, den Armen und Hungernden, die sie in ihren Worten seligpriesen 50. Daß jener charakteristische Zug der Jesusüberlieferung, die Hinwendung zu den sozial und religiös Deklassierten, den Zöllnern und Prostituier­ten 51, erhalten blieb, dürfte damit zusammenhängen, daß die Tradenten

»Solch wandernde >Schnorrer und Verschwörer<, die sich voll des heiligen Geistes dünkten, waren es, die die Grundsätze der neuen proletarischen Organisation, die >erfreuliche Botschaft<, das Evangelium ... brachten.« (405)

60 So sieht es auch HOFFMANN, Logienquelle, 526 . .. G.BouwMAN, La pecheresse hospitaliere (Lc VII, 56-50) (EphLov 45, 1969,

172-179), äußert die bedenkenswerte Vermutung, daß die christlichen Prediger hin und wieder gastliche Aufnahme durch Personen fanden, deren Vorleben (man darf hier fragen: war es nur das Vor-leben?) von pharisäischen Christen kritisiert wurde. In dieser Problematik findet er den Sitz im Leben von Lk 7, 36 ff. E.LALAND, Die Martha-Maria-Perikope Lukas 10, 58-42. Ihre kerygmatische Aktualität für das Leben der Urkirche (StTh 13, 1959, 70-85) sieht auch den Sitz im Leben von Lk 10, 58ff in der Problematik wandernder Missionare. »Die Frauen des Hauses werden sofort durch äußere Sorge für den Gast dermaßen in Anspruch genommen, daß es ihnen unmöglich ist, dem Wort des Herrn zu lauschen«. (82) Ganz gewiß waren es keine Häuser mit viel »Dienstpersonal«, die von den Wandermissionaren aufgesucht wurden. Und der Spruch »Nur wenige~ ist notwendig ... « (Lk 10, 42) soll womöglich die Bescheidenheit der

98 Wanderradikalismus [264J

der Jesusworte selbst am unteren Rande der Gesellschaft standen. Unter diesen Worten finden wir nicht zufällig ausgesprochen schichtspezifische Lebensweisheiten, z. B.: » Wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.« (Mk 4, 25) 52 So redet nie­mand, der viel hat 53. Die synoptische Überlieferung gehört zweifellos zu den wenigen antiken Traditionen, in denen auch Gruppen zu Worte kommen, die sonst stumm geblieben sind. Geschichte wird weithin durch die Herrschenden geschrieben. Hier aber sehen wir die Welt aus einer Perspektive »von unten«. Die formgeschichtliche Singularität synoptischer Überlieferung dürfte damit zusammenhängen.

Die Wortüberlieferung läßt sich m. E. besser verstehen, wenn man die angesprochenen sozioökonomischen Faktoren in Rechnung stellt: also die Notwendigkeit, Unterhalt zu finden, den Anspruch darauf zu begründe I, die Außenseiterrolle der Tradenten, den schichtspezifischen Charaktel der Tradition. Hinzu kommen an zweiter Stelle sozioökolo­gische f'aktoren: Die Wortüberlieferung weist in ländliche Gebiete. Man den ~e an die Bilderwelt der Gleichnisse. Hier treten Kleinbauern, Tagelöhner und Pächter, Hirten und Weinbergbesitzer auf. Hier ist die Rede von Saat und Ernte, Acker und Unkraut, Herden und Fischen 54.

Diese ländliche Herkunft urchristlicher Wandercharismatiker muß man in Rechnung stellen, wenn man ihren Unterhaltsanspruch ver­stehen will: Wer einmal als Bauer oder Fischer seinen Erwerb fand, gibt mit der stabilitas loci seine Erwerbsmöglichkeiten auf. Handwerker waren hier in einer anderen Lage, denn Handwerksgeräte lassen sich mitführen, Äcker und Seen dagegen nicht 55. Die Didache sieht daher

Wandercharismatiker herausstellen: Sie werden den Gastgebern materiell nicht zur Last fallen .

• 2 Vgl. J.D.M.DERRETT, Law in the New Testament: The Parable of the Talents and two Logia (ZNW 56, 1965, 184-195), bes. 194f, der das Logion auf das Verhältnis von Kapital und Profit hin interpretiert: »Von dem, der nicht hat (d.h. keinen Profit), wird das (Kapital) genommen, das er noch hat. Wenn er dagegen (Profit) aufweist, wird ihm weiter Geld anvertraut.« Vielleicht ist das etwas zu eng interpretiert. Daß die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, ist eine recht allgemeine, pessimistisch machende Erfah­rung .

• 3 Man denke ferner an das pessimistische Bild von der Justiz z. B. in der Mahnung zur Versöhnlichkeit: Der verschuldete kleine Mann kommt ohnehin ins Gefängnis, gleichgültig wie die Rechtslage ist (Mt 5, 25-26) .

• < Den ländlichen Charakter der synoptischen Tradition betonen DEISSMANN, Licht vom Osten, 210f; M.RosTovTzEFF, Gesellschaft und Wirtschaft im Römi­schen Kaiserreich II, 1929, 10; E.A.JuDGE, Christliche Gruppen in nichtchrist­licher Gesellschaft, 1964, 10ff .

•• Zu den Voraussetzungen der lokalen Mobilität von Handwerkern vgl.

[265J Wanderradikalismus 99

bei wandernden Handwerkern, die sich in einer Gemeinde niederlassen wollen, wenig Schwierigkeiten 56. Für den Fall aber, daß der herbeigezo­gene Christ kein Handwerker ist, gibt sie die aufschlußreiche Mahnung, die Gemeinde solle dafür Sorge tragen, »daß unter euch kein müßiger Christ lebt« (Did XII, 4). Ein Handwerker kann wandern und durch Ar­beit seinen Unterhalt verdienen. Produziert er für den »Markt«, so begünstigt das sogar seine geographische Mobilität. Was man an einem Ort nicht verkaufen kann, verkauft man im nächsten. Je größer der Markt, um so besser. Der wandernde Handwerker wird daher die Städte aufsuchen. Ist es da ein Zufall, daß der Handwerker Paulus, der zu­sammen mit Barnabas die Mission der großen hellenistischen Städte begann, auf sein Unterhalts recht verzichten kann, während der Fischer Petrus auf ihm besteht (vgl. 1Kor 9, 5 f) 57?

Wanderradikalismus und ländliches Milieu stehen noch aus einem zweiten Grund in Zusammenhang: Die Größe der städtischen Gemein­den erforderte schon früh die Ausbildung von Organisations formen und Ämtern. Wandercharismatiker aber können nur dort ihre Autorität wahren, wo ihnen in den Orts gemeinden keine allzu starken Ämter

W.BIENERT, Die Arbeit nach der Lehre der Bibel. Eine Grundlegung evangeli­scher Sozialethik, 1954, 299-313. Ebd. 304 weist er darauf hin, daß die galiläi­sehen Fischer schon auf Grund ihres Berufs Arbeit und Gemeindeleitung in Jerusalem nicht verbinden konnten .

• 6 Anders KNOPF, Lehre (s. Anm. 23), 34: Der Handwerker sei gerade hilfs­bedürftig, der Kaufmann wisse sich dagegen schon selbst zu helfen.

67 G. DAUTZENBERG, Der Verzicht auf das apostolische Unterhaltsrecht. Eine exegetische Untersuchung zu 1Kor 9 (BibI 50, 1969, 212-232), hat richtig gesehen, daß der Unterhaltsverzicht »in einer noch vormatthäisehen palästi­nensisch-syrischen Situation der urchristlichen Wandermission anzusetzen« ist (216). Für die verallgemeinerte Fassung dieses Unterhaltsanspruchs in 1Kor 9 stellt er soziologische Faktoren in Rechnung, nämlich den» Übergang der Mission in die nicht mehr so streng sippen- und familienhaft gegliederten Siedlungs­gebiete der hellenistischen Mittelmeerwelt« (217). Weiter ist m.E. mit dem Topos philosophischer Tradition zu rechnen, daß der wahre Weise kein Entgelt für seine Weisheit nimmt - ein Topos, der die in den Städten verbreitete Bildung und Halbbildung voraussetzt. Zu diesem Topos vgl. BETz (s. Anm. 29),100-117. Das städtische Milieu stellt auch DAUTZENBERG, aaO 218 für den Unterhalts­verzicht in Rechnung: Paulus und Barnabas »haben ja bewußt den syrisch­palästinischen Binnenraum verlassen und sich an die hellenistische Bevölkerung der Städte gewandt«. Zwar begründet Paulus seinen Verzicht mit einer ganz auf seine Person zugeschnittenen göttlichen Notwendigkeit (vgl. dazu E. KÄSE­MANN, Eine paulinische Variation des »Amor fati« [ZThK 56, 1959, 138-154 = Exeget. Versuche und Besinnungen H, 223-239J), aber man wird dies Selbstver­ständnis etwas relativieren müssen: Auch Barnabas hat auf sein Unterhaltsrecht verzichtet. Es handelt sich nicht um eine nur persönliche Entscheidung des Paulus.

100 Wanderradikalismus [266J

gegenübertreten 68. Die Wortüberlieferung rechnet mit kleinen Ge­meinden: » Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich in ihrer Mitte.« (Mt 18,20) Denn wo zwei oder drei zusammen sind, da braucht man keine besonderen Autoritätsstrukturen, ist aber als verschwindende Minorität erhöht auf den Zuspruch überregionaler Autoritäten angewiesen, eben jener von Ort zu Ort ziehenden Propheten und Apostel.

Schließlich sei noch erwähnt, daß Dörfer und Kleinstädte enger bei­einanderliegen als Städte. Wenn man - so die Didache (XI, 6) - nur für einen Tagesmarsch Proviant mitnehmen darf, so reicht das kaum, um die großen Entfernungen zwischen den Städten zu überbrücken 69.

Diese Praxis setzt ländliches Milieu voraus. Wollte Paulus wirklich die großen Städte der ganzen Welt missionieren, so war er gut beraten, auf das Unterhaltsrecht des Missionars zu verzichten. Diesen Plan konnte kein charismatischer Bettler durchführen, sondern nur ein planender Organisator.

Die ursprüngliche Verankerung der Logienüberlieferung in ländlichem Milieu ist auch deswegen interessant, weil das antike Christentum weit­gehend ein städtisches Phänomen war. Der Landbewohner war »paga­nus«, Heide. Direkte Belege für ein ländliches Urchristentum gibt es nur zwei 60: Der bithynische Statthalter Plinius berichtet dem Kaiser Trajan, daß sich die »Seuche des neuen Aberglaubens« (gemeint ist das Christentum) »nicht nur über die Städte, sondern auch über die Dörfer und das flache Land« verbreitet habe (epist. X, 96) - was den vorwiegend städtischen Charakter des Urchristentums bestätigt. Der zweite Beleg findet sich im 1. Klemensbrief (42, 4). Danach hätten die Apostel die ßualÄelu TOV ßeov in Landstrichen und Städten verkündigt. Nun ist die ßualÄelu ein Thema der Wortüberlieferung, die Apostel sind Wandercharismatiker. Daß bei deren Wirksamkeit an erster Stelle die Landstriche genannt werden, ist zumindest bedenkenswert.

68 KÄSEMANN, Die Anfänge christlicher Theologie (s. Anm. 26), 91, lokalisiert die von ihm als Träger der Logienüherlieferung angenommenen Propheten in »kleinen Gemeinden des palästinisch-syrischen Grenzraumes, in denen eine andere Organisationsform als die Führung durch einen Charismatiker eben um der geringen Zahl ihrer Glieder willen nicht möglich war. Vielleicht versorgte auch ein Wanderprophet eine Reihe derartiger Gemeinden.«

.. Nach KNOPF, Lehre, 51, setzt das voraus, »daß die christlichen Gemeinden [sc. die in der Didache vorausgesetzt werden] nicht zu dünn gesäet sind: höch­stens Tagesmärsche von einander entfernt«. Solche Verhältnisse sind eher auf dem Lande denkbar als in städtischem Milieu.

00 V gl. R. KNOPF, Über die soziale Zusammensetzung der ältesten heiden­christlichen Gemeinden (ZThK 10, 1900, 525-547), bes. 526.

[267] Wanderradikalismus 101

Fragt man nach den Gründen, warum das Urchristentum weitgehend ein städtisches Phänomen war, so stößt man u. a. auf einen soziokulturel­len Faktor: die Sprache, worauf ganz kurz eingegangen werden soll. In.den Städten wurde als allgemeine Verkehrssprache Koine-Griechisch gesprochen, auf dem Lande hielten sich die alten Volkssprachen 61, in Kleinasien bis ins 6. Jahrhundert hinein 62. Im syrisch-palästinensischen Bereich sprach das Christentum dagegen von vornherein den Dialekt der Landbevölkerung, das Aramäische, das deutlich im Hintergrund der Wortüberlieferung steht. Ein Wort Jesu weist in diesen Raum: »Geht nicht auf eine Straße der Heiden und geht nicht in eine Stadt der Samariter, sondern geht vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.« (Mt 10, 5)63 Was verboten wird, wird meist auch praktiziert; so daß man schließen darf: von Palästina aus hat sich der Wanderradi­kalismus auch in andere Gebiete verbreitet. Aber dort hatte er wohl sein Zentrum 64 •

• 1 Irenäus bemüht sich z.B. in Lyon, das Keltische zu erlernen, um auch der Landbevölkerung predigen zu können (Adv. haer. I, 10, 2; III, 4, 1f). Zum Problem vgl. W. SCHNEEMELCHER, Das Problem der Sprache in der Alten Kirche (in: Das Problem der Sprache in Theologie und Kirche. Referate vom Deutschen Ev. Theologentag 27.-31. Mai in Berlin, 1959, 55-67) j C. ANDRESEN, Die Kir­chen der alten Christenheit (Die Religionen der Menschheit 29, 1/2), 1971, 20f .

•• K. HOLL, Das Fortleben der Volkssprachen in Kleinasien in nachchristlicher Zeit (Hermes 43, 1908, 240-254 = Ges. Aufs. zur KG Ir: Der Osten, 1928, 238-248) .

.. H.KASTING, Die Anfänge urchristlicher Mission, 1969, 110-114, meint, das Wort sei redaktionelle Bildung des Matthäus. Gewiß paßt es in das redaktio­nelle Konzept des Matthäus, aber doch nur in der ganz auf Jesus bezogenen Form von Mt 15, 24. Wahrscheinlich hat Matthäus das traditionelle Logion Mt 10, 5 in Mt 15, 24 redaktionell abgewandelt.

U Diese Lokalisierung des urchristlichen Wanderradikalismus erklärt auch den judenchristlichen Charakter der Logienüberlieferung: In ihr werden christ­liche Gemeinden vorausgesetzt, die innerhalb des jüdischen Synagogenverbandes stehen und dessen Rechtsprechung unterworfen sind (Mt 10, 17). Die Rabbinen werden als Autorität anerkannt (Mt 23, 2f). Gleichzeitig aber werden Pharisäer und Schriftgelehrte scharf kritisiert. Diese Ambivalenz könnte sich so erklären: Die über das Land verstreuten Ortsgemeinden gehörten in der Tat zum Juden­tum. Hauptträger der Traditionen aber, die das Christentum vom Judentum unterschieden, waren wandernde Charismatiker, die jeder Organisation ent­zogen waren. Hier konnte die Kritik an Judentum, Pharisäern und Schrift­gelehrten lebendig bleiben, während ihre ortsansässigen Sympathisanten zu mehr oder weniger großen Kompromissen neigen mußten. Ohne wandernde Außenseiter hätte das Christentum bald seine Eigenständigkeit verloren. V gl. KRETSCHMAR, Beitrag (s. Anm. 20), 47: »In der historischen Situation der palästinensischen Christenheit vor ihrer Lösung aus dem jüdischen Volksver­band hat es nichts Überraschendes, daß wir außer von Charismatikern, also

102 Wanderradikalismus [268J

Die skizzierten ökonomischen, ökologischen und kulturellen Faktoren sind soziale Bedingungen der Wortüberlieferung. Ohne sie wäre sie uns weder überliefert noch in der Form überliefert, in der sie uns jetzt vorliegt. Damit ist diese Überlieferung natürlich nicht aus diesen Be­dingungen in irgendeiner Weise abgeleitet. Dafür gibt es keine aus­reichenden Gründe. Auf Grund der Quellen läßt sich nur ein Zusam­menhang, eine Interdependenz zwischen einer geistigen Überlieferung und bestimmten sozialen Bedingungen erkennen. Wer mehr behauptet, muß schon der Meinung sein, man könne über die Wirklichkeit unab­hängig von den uns vorliegenden Daten Aussagen machen, Aussagen, die mehr wären als jene notwendigen theoretischen Konstruktionen, ohne die man Daten weder erschließen noch untersuchen noch begreifen kann. Mit solchen Aussagen hätte man den Bereich kritischer Wissenschaft verlassen. Innerhalb dieser Grenzen aber gibt es noch genug zu erfor­schen, zu verstehen und zu begreifen. Abschließend seien daher einige weiterführenden Hypothesen zur Wortüberlieferung im Urchristentum genannt.

1. Worte Jesu begegnen nur selten in der urchristlichen Briefliteratur. Dies wird auch einen soziologischen Grund haben. Die Briefe stammen vorwiegend aus den hellenistischen-städtischen Gemeinden 65. Diese Gemeinden umfaßten verschiedene Schichten - was in Korinth und Rom, wo wir die Verhältnisse am besten kennen, zu Konflikten geführt hat 66 . Den so strukturierten Gemeinden entspricht ein familiärer Liebes­patriarchalismus 67, in dem die sozialen Unterschiede erhalten, ent-

Propheten, Lehrern, >Heiligen< von keinen anderen Ämtern oder Diensten hören .... Hier werden diese Charismatiker die einzigen nach außen deutlich in Erscheinung tretenden Repräsentanten der christlichen Botschaft gewesen seIn.«

8. Vgl. DEISSMANN, Licht vom Osten, 210f. 88 Zur römischen Gemeinde vgl. bes. die Analysen von H. GÜLZOW, Christen·

turn und Sklaverei in den ersten drei Jahrhunderten, 1969, die in der Analyse des Schismas zwischen Kallist und Hippolyt und dessen sozialem Hintergrund ihren Höhepunkt haben. Daß auch bei den Gemeindekonflikten in Korinth soziale Faktoren eine Rolle spielten, hoffe ich an anderer Stelle zeigen zu können.

87 Der Begriff des Liebespatriarchalismus stammt sachlich von E. TRoELTscH, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (Ges. Schriften I), 1912, 67-85. Er charakterisiert die ethische Grundhaltung bei Paulus mit den Worten: »Es ist der auf religiöse Anerkennung und religiöse Ueberwindung der irdischen Ungleichheit zugleich begründete Typus des christlichen Patriarchalismus, der seine Vorbereitung im spät jüdischen gehabt hat, aber durch die Wärme der christlichen Liebesidee, durch den Zusammenschluß aller in dem Leibe Christi, seine besondere Färbung erhält.« (67) Er spricht von der »Grundidee der willi· gen Akzeptierung der gegebenen Ungleichheiten und ihrer Fruchtbarmachung für die ethischen Werte der persönlichen Aufeinanderbeziehung« (68).

[269] Wanderradikalismus 103

schärft und gemildert werden. Charakteristisch für dies Ethos sind die urchristlichen Haustafeln. Das afamiliäre Ethos des urchristlichen Wan­derradikalismus hatte hier keinen Platz - einfach deshalb nicht, weil man es nicht praktizieren konnte. Mochte man die Worte Jesu auch ken­nen, man konnte sie ja doch nicht leben. Was aber innerhalb mündlicher Überlieferung von einer Gemeinschaft nicht akzeptiert werden kann, wird durch die »Präventivzensur« dieser Gemeinschaft abgestoßen. Eine soziologische Überlieferungsschwelle erschwerte das Vordringen der Worte Jesu in diese Gemeinden. An die Stelle des synoptischen Men­schensohns trat hier der kosmische Christus.

2. Die Logienüberlieferung konnte dort über ihren ursprünglichen Sitz im Leben hinausdringen, wo sie ihren Charakter änderte. Wo man ihren ethischen Radikalismus nicht praktizieren konnte, war es möglich, ihn in gnostischen Radikalismus umzuwandeln. Aus Handlungs- wurde so ein Erkenntnisradikalismus, der nicht unbedingt konkrete Folgen im Verhalten haben muß. Eine in diese Richtung modifizierte Wortüber­lieferung finden wir im Thomasevangelium 68, einer Sammlung von Worten J esu. Sozialer Ort dieses gnostisch modifizierten Radikalismus dürften relativ homogene Kreise in der Kirche gewesen sein. Häufig wird es sich um gut situierte Kreise gehandelt haben 69. Erkenntnis­radikalismus ohne Folgen ist auch hier erschwinglich.

6. Dabei ist freilich zu bedenken, daß im ThomEv nicht nur eine modifizierte Logienüberlieferung vorliegt, sondern auch eine temperierte Gnosis. Jedoch sind die konkreten Forderungen verblaßt, ins Spekulative übersetzt - und darauf kommt es hier an. Diese Modifikation ist nicht einfach der Wortüberlieferung immanent (so J.M.RoBINsoN,AOrOI .EOr1>QN. Zur Gattung der Spruch quelle Q [in: Zeit und Geschichte. Festg. R.Bultmann, 1964, 77-96J, der in der Gattung der Spruchsammlung eine immanente Tendenz zur Gnosis sieht), vielmehr ist doch wohl ein Wechsel der Überlieferungsträger vorausgesetzt, ein anderes soziales Milieu, in dem die Worte Jesu in ihrer Handgreiflichkeit nicht mehr praktikabel waren.

6. Vgl. das Urteil von ANDRESEN (s. Anm. 61), 103 über die Gnostiker: »Diese Menschen gehörten gesellschaftlichen Schichten an, die für gewöhnlich nicht den Weg in die frühkatholischen Gemeinden fanden. Das Fluidum einer gewis­sen Liberalität, das die engen Schranken einer um ihre eigenen Traditionen be­sorgten Gemeindefrömmigkeit durchbricht, erfüllt die Zeugnisse valentiniani­scher und basilidianischer Gnosis.« Ausführlich äußert sich zu diesem Problem H. G. KIPPENBERG, Versuch einer soziologischen Verortung des antiken Gnostizis­mus (Numen 17,1970,211-231),225: »Soziologisch lokalisieren würde ich den Gnostizismus in der hellenistischen Intellektuellenschicht der östlichen Rand­länder des Imperium Romanum, die im 2. und 1. Jh. v. ehr. unter die Stiefel römischer Legionen geraten waren.« Kritik an ihm übt P. MUNz, The Problem of »Die soziologische Verortung des antiken Gnostizismus« (Numen 19, 1972,

104 Wanderradikalismus [270]

3. Daß uns die Wortüberlieferung in relativ ursprünglichem Geiste erhalten blieb, verdanken wir ihrer schriftlichen Fixierung in Logien­quelle und Evangelien. Interessant ist dabei, daß sie uns nur innerhalb der Evarigelienform erhalten blieb, d. h. innerhalb von Darstellungen des Lebens Jesu, die ausnahmslos auf eine vergangene Epoche zurück­schauen und den ethischen Radikalismus der Wortüberlieferung schon aus einer geschichtlichen Distanz betrachten. Vor allem bei Lukas tritt diese Distanz hervor . Zwischen der ursprünglichen sozialen Welt der Jesustradition und der seiner Adressaten empfindet er eine so große Span­nung, daß er zum Evangelium hinzu noch eine Apostelgeschichte schreibt, in der er zeigt, wie das Christentum von Galiläa (oder genauer: von der bekannten Stadt Jerusalem) bis in die großen hellenistischen Städte gedrungen ist 70. Deutlicher noch als die anderen Evangelisten hebt er die Periode des Lebens Jesu als eine besondere Zeit hervor, in der andere ethische Regeln als sonst galten. Deshalb kann er einerseits den ethischen Radikalismus der Worte Jesu am getreuesten bewahren. Andererseits distanziert er sich unmißverständlich vom urchristlichen Wanderradikalismus. In der lukanischen Abschiedsrede widerruft Jesus ausdrücklich seine Gebote für Wandercharismatiker: Die Aussendung ohne Geldbeutel, Tasche und Schuh soll von nun an keine Geltung mehr haben. Jetzt soll man Geld, Tasche und sogar das Schwert zur Hand nehmen. Denn die Zeiten haben sich geändert (Lk 22, 35f). In der Gegenwart bekämpft Lukas die Nachfolger der ersten Wander­charismatiker. Sie sind für ihn falsche Propheten. Es gibt ohnehin nur zwölf legitime Apostel. Das sind die großen Wandermissionare der Frühzeit. Und selbst in dieser Frühzeit sind weniger sie das Urbild vor­bildlichen Christentums, als vielmehr die Jerusalemer Orts gemeinde, von der Lukas ein stark idealisiertes Bild zeichnet. Hier habe jeder seinen Besitz der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Als Beleg dafür kann er aber bezeichnenderweise nur den Barnabas anführen, einen Apostel und Wandercharismatiker. Und so verrät auch er noch das historisch Wahrscheinliche: Konsequente Nachfolge gab es nur bei heimatlos umherschweifenden charismatischen Bettlern.

Verfolgt man die Überlieferung der Worte Jesu im Urchristentum, so stößt man auf drei Sozialformen urchristlichen Glaubens : Wander­radikalismus, Liebespatriarchalismus und gnostischen Radikalismus. In

41-51). Sie trifft jedoch m.E. nicht die Erkenntnis des schichtspezifischen Charakters des antiken Gnostizismus.

70 Die »Stadt« spielt schon im Evangelium eine große Bedeutung: Lukas läßt Jesus in städtischem Milieu auftreten. V gl. dazu HOFFMANN, Logienquelle, 278-280.

[271] Wanderradikalismus 105

ihnen sind jene drei Typen angelegt, deren Geschichte E. Troeltsch durch die ganze Christentumsgeschichte hindurch verfolgt hat: Sekte, Anstaltskirche und Spiritualismus 71. Das Ethos des Wanderradikalismus ist in sektenhaften Bewegungen immer wieder lebendig geworden: in Montanismus, syrischem Wanderasketentum, den mittelalterlichen Bettelmönchen und dem linken Flügel der Reformation. Gnostischer Radikalismus hat sich immer wieder in individualistisch und mystisch eingestellten Konventikeln in und außerhalb der Kirche artikuliert. Dem christlichen Liebespatriarchalismus aber verdanken wir die über­dauernden Institutionen der Kirche. Mit Erfolg und nicht ohne Weisheit hat er den urchristlichen Radikalismus so weit temperiert, daß der christliche Glaube zu einer kollektiv praktikablen Lebensform wurde. In den Auseinandersetzungen des 2.Jahrhunderts hat er sich gegen andere Sozialformen urchristlichen Glaubens durchgesetzt: gegen Mon­tanismus und Gnosis. Er hat definiert, was orthodox, was kanonisch und exegetisch legitim ist. Aber er hat die anderen Traditionen nicht völlig unterdrückt und damit immer wieder »heterodoxen« Strömungen Nah­rung gegeben. Dieser Liebespatriarchalismus hat es immer wieder ver­standen, radikale Strömungen zu assimilieren oder auszuschalten. Letz­teres bekanntlich mit mehr Patriarchalismus als Liebe, genauer unter Anwendung von physischer Gewalt, die das Christentum unwiderruflich kompromittiert hätte, wäre nicht immer wieder aus den Traditionen des urchristlichen Radikalismus der Ruf zur Umkehr laut geworden.

n Vgl. E. TROELTSCH, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, 1912.

[161 ]

5.

"Wir haben alles verlassen" (Me. X. 28)

Nachfolge und soziale Entwurzelung in der jüdisch-palästinischen Gesellschaft des 1. Jahrhunderts n. eh.

Nachfolge war am Anfang konkret. Die Jünger verliessen Wohn­ort und Familie, Besitz und Beruf. Petrus formuliert für alle: "Siehe wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt". Wir können diese Nachfolgeexistenz 1) unter zwei Aspekten betrachten. Unter religiösem Aspekt ist sie Folge einer Begegnung mit dem Heiligen, unter soziologischem Aspekt eine Variante s0zialer Entwurzelung, deren Verbreitung auf eine Krise der jüdisch­palästinischen Gesellschaft hinweist. Während die Texte den ersten Aspekt klar erkennen lassen, muß der zweite mühsam erschlossen werden. Da die neutestamentlichen Texte nur wenig Informationen bieten, sind wir weitgehend auf Analogieschlüsse angewiesen. Als Analogien gelten alle Phänomene sozialer Entwurzelung in der jüdisch-palästinischen Gesellschaft. "Soziale Entwurzelung" wird dabei als Verlassen des angestammten Wohnsitzes bei mehr oder weniger starkem Bruch mit vertrauten Normen verstanden. Der Begriff hat zwei Aspekte: einen lokalen, die Aufgabe des Wohn­sitzes, und einen sozialen, die Änderung von Verhaltensweisen in Richtung auf ein deviantes Verhalten, das von den Regeln des normalen Lebens abweicht. Der Begriff umfaßt ganz oder teilweise Emigranten, Neusiedler, Qumranleute, Räuber, Widerstands­kämpfer, Vagabunden und prophetische Bewegungen. Bei der Analyse interessieren drei Punkte:

I. Die Verbreitung der Phänomene. Dabei folgen wir der theoretischen Prämisse: Je verbreiteter ein soziales Phänomen ist, um so eher bedarf es einer soziologischen Erklärung. Soziale Entwurzelung gibt es überall; erst ihr auffälliger Anstieg in einer Gesellschaft dürfte mit deren spezifischen

1) Vgl. M. HENGEL, "Nachfolge und Charisma", BZNW 34, Berlin 1968, 60: ",Nachfolgen' bedeutet daher primär ganz konkret, ihm auf seiner Wanderschaft folgen und sein unsicheres, ja gefährdetes Schicksal mit ihm teilen". Das erfordert auch einen "Bruch mit Gesetz und Sitte" (S. 9 ff.).

[162J " Wir haben alles verlassen" 107

strukturellen Problemen zusammenhängen. Der Nachweis für die Verbreitung eines Phänomens läßt sich methodologisch durch quantitative Angaben in den Quellen sowie aufgrund ihrer zeitlichen, räumlichen und qualitativen Streuung erbringen: Was in mannigfachen Formen auftritt, tritt oft auch häufig auf.

2. Die Bedingtheit der Phänomene. Dabei liegt die theoretische Prämisse zugrunde, daß es keine nachweisbare soziale prima causa gibt, die alles andere erklärt; vielmehr lassen sich verschiedene untereinander in Wechsel­wirkung stehende Faktoren ökonomischer, ökologischer, politischer und kultureller Art erkennen. Ein Nachweis bestimmter Faktoren kann methodo­logisch durch Aussagen über die Motivation von Verhaltensweisen in den Quellen, durch sachliche Korrelation zwischen Verhalten und Sozialdaten sowie durch chronologische Korrelation zwischen geschichtlichen Ereignissen und bestimmten Verhaltensweisen erbracht werden.

3. Die Verwandtschaft der Phänomene. Als theoretische Prämisse dient der Satz: Je größer die Verwandtschaft zwischen zwei Phänomenen ist, um so eher kann von einem aufs andere geschlossen werden. Über das grund­legende tertium comparationis "soziale Entwurzelung" hinaus muß daher nach weiteren vergleichbaren Zügen in der J esusbewegung und den unter­suchten Phänomenen der Umwelt gefragt werden, also nach vergleichbaren Situationen, Verhaltensweisen, Traditionen und Intentionen 2).

Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Zllllächst werden alle Aussagen über soziale Entwurzelung in der J esusbewegung unter­sucht. Im zweiten Teil werden zu deren Deutung analoge Phäno­mene der Umwelt herangezogen. Der dritte Teil versucht eine Gesamtdeutung sozialer Entwurzelung als anomischen Verhaltens und analysiert Zusammenhänge zwischen urchristlicher N achfolge­existenz und Gesellschaftskrise.

1. SOZIALE ENTWURZELUNG IN DER JESUSBEWEGUNG

I. Ihre Verbreitung: Berufungsgeschichten (Me. i 16 ff.; ii 15 ff.), Nachfolgeworte (Mt. viii 19 ff.; Me. x 28 ff.) und Missionsanwei­sungen (Mt. x 5 ff.) lassen erkennen, daß Angehörige der Jesus­bewegung Haus und Hof verlassen haben, um das heimatlose Leben von Wandercharismatikern zu teilen. Nach der oben ge­gebenen Definition waren sie sozial entwurzelt. Wie weit war dies Verhalten in der Jesusbewegung verbreitet? Wir beginnen mit den zwölf Aposteln 3). Nach Lk. leiteten sie die Jerusalemer Orts­gemeinde (Act. i 12 ff.). Wahrscheinlich zeichnet er hier sein Ideal

2) Zu weiteren grundsätzlichen Problemen vgl. meine Überlegungen in: "Theoretische Probleme religionssoziologischer Forschung und die Analyse des Urchristentums", NZSysThR 16 (1974) 35-56 und: Die soziologische Auswertung religiöser tJberliejerungen, Kairos 17 (1975) 284-299.

3) Vgl. G. KLEIN, "Die zwölf Apostel", FRLANT 77, Göttingen 1961; J. ROLOFF, Apostolat - Verkündigung - Kirche, Gütersloh 1965.

108 " Wir haben alles verlassen" [163]

einer kollegialen Gemeindeleitung. Denn bei seinem ersten Besuch in Jerusalem findet Paulus von der vermeintlichen "Gemeinde­leitung" nur den Petrus (Gal. i I8) 4), bei seinem zweiten Besuch nur die drei "Säulen" (Gal. ii 9). Die anderen zogen wahrscheinlich missionierend und heilend durchs Land; denn das - nicht die Leitung von Gemeinden - wurde ihnen Mc. iii I3 ff. aufgetragen. Selbst Petrus war nicht immer in J erusalem. Wir finden ihn z.B. in Samaria (Act. viii I4), Lydda und Joppe (ix 32 ff.), Cäsarea (x I ff.), Antiochien (Gal. ii II ff.) möglicherweise auch in Karinth (I Cor. I I2) und Rom. (I Clem. v 4). Auch er ist ein Wandercharis­matiker. Der mit ihm verbundene Zwölferkreis verschwindet bald. Wahrscheinlich hat er sich in alle vier Windrichtungen verstreut: sah er doch seine Aufgabe im Zusammenhang mit allen zwölf Stämmen Israels (Mt. xix 28).

Urchristliches Wandercharismatikertum ist aber weder auf die Zwölfe noch auf die Apostel beschränkt. Apostel sind auch Paulus, Barnabas (Act. xiv 4.I4), Andronikus und Junias (Röm. xvi 7). Die Didache nennt jeden Apostel, der sich auf seinen Waüderungen nach der "Lehre des Evangeliums" richtet (Did. xi 3 f.). Die Ein­grenzung des Titels auf die Zwölf (z.B. Lc. vi I3, Apc. xxi I4) wendet sich wohl schon gegen allzu viele herumvagabundierende "Apostel", die im Namen Jesu predigten (vgl. Lc. xxi 8, Apc. ii 2). Ferner werden Wandercharismatiker nicht nur Apostel, sondern auch "Jünger des Herrn" genannt. So bei Papias. Diese Jünger haben Nachfolger, und zwar wiederum wandernde Christen (Frgm. ii 4) 5). Auch in Mt. viii 2I und x 42 läßt sich der Begriff "Jünger" auf Wandercharismatiker beziehen. Dasselbe gilt für "Propheten"

4) Außerdem trifft er den Herrenbruder Jakobus, der aber nicht zu den Zwölfen gehört. Er erscheint auch nicht als Wandercharismatiker, sondern als Sprecher der Jerusalemer Gemeinde (Act. xii 17, xv 13, xxi 18: (;<11. ii 9 ff.; Jos. ant. xx 200; Eus. h.e. ii 23,4 ff.). Sein Konflikt mit Petrus war u.U. durch die verschiedenen Rollen bedingt: Ortsgemeinden mußte mehr auf Ausgleich mit der Umwelt bedacht sein als Wandercharismatiker.

5) Drei Argumente sprechen dafür, daß es sich bei den "Herrenjüngern" und "Presbytern" des Papias um Wandercharismatiker handelt: I. Da die fünf genannten Apostel Wandercharismatiker waren und "Herrenjünger" genannt werden, darf man von ihnen auf die belden Herrenjünger Aristion und Johannes schließen. 2. Sie haben "Nachfolger". Der Begriff legt die Annahme einer "wandernden" Existenz nahe. 3. Diese Nachfolger kamen bei Papias vorbei: d ... 1tOCP7JxOAou87Jxw<; 't"L<; ... ~A8ot, sie gehörten also selbst zu wandernden Gruppen. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß der Begriff "Presbyteros" im III J oh. wahrscheinlich einen wandernden Christen bezeichnet (s.u.).

[164] " Wir haben alles verlassen" 109

(Mt. X 41; Did. xi 3 ff.; Act. xi 27), "Gerechte" (Mt. x 41) und "Lehrer" (Act. xiii I; Did. xiü 2). Die Variation der Titel weist auf die Verbreitung des hinter ihnen stehenden Wandercharismatiker­turns. Gerade Lukas weiß, daß es nicht nur auf die zwölf Apostel begrenzt war. Er berichtet x I ff. von der Aussendung von 70 Mis­sionaren, die sich nach denselben Normen wie die vorher aus­gesandten Zwölfe zu richten haben (ix I ff.). Auch berichtet er von einer Prophetengruppe, die von Palästina nach Antiochien wandert (Act. xi 27 ff.). Unter ihnen ist der Wandercharismatiker Agabus, den wir später in Cäsarea antreffen, wohin er aus Judäa gekommen ist (Act. xxi 10).

Diese Wandercharismatiker neben den Zwölfen waren keine verstreuten Einzelgänger. Es lassen sich zusammengehörende Kreise erkennen. Der Siebenerkreis um Stephanus 6), angeblich zur Lebensmittelverteilung gewählt, bestand aus selbständigen Mis­sionaren (Act. viii 4; xi 19 ff.). Lc. erklärt das mit seiner Ver­treibung aus J erusalem. Aber Stephanus missionierte schon vorher (Act. vi 8 ff.); auch die lokale Mobilität war älteren Datums: Nikolaos kam aus Antiochien (Act. vi 5). Dort existierte ein Fünfer­kreis - weitgehend aus Auswärtigen (Act. xiii I ff.): Barnabas kam aus Zypern (iv 36), Paulus aus Tarsos (xxii 3), Lukios aus der Kyrenaika, Menahem war zusammen mit Herodes Antipas erzogen worden - entweder in Jerusalem oder Rom 7). Nur über Symeon wissen wir nichts. Zwei aus dem Fünferkreis waren nachweislich Wanderprediger: Barnabas und Paulus. Sie werden zur Mission "ausgesondert". Grundsätzlich kamen dazu wohl alle in Frage (Act. xiii 2). Ein weiterer Kreis von Wandercharismatikern hat sich um den Presbyter des III Joh. gesammelt: Der Autor des Briefes deutet eigene Reisetätigkeit an (v. 14), schickt Sendboten mit Empfehlungsschreiben (v. 12) und verteidigt die Existenz­bedingungen urchristlichen Wandercharismatikertums: Aufnahme

8) Vgl. M. HENGEL, "Zwischen Jesus und Paulus", ZThI< 72 (1975) 151-206.

7) Nach ant. xvii 20 wurde Antipas in Rom erzogen ('t'porpcXc; dxo\l). Wahr­scheinlich war Menahem als aU\I't'porpoc; dort bei ihm. H. W. HOEHNER, "Herod Antipas", SNTS 17, Cambridge 1972, 14 vermutet dagegen aufgrund von Act. xiii I, daß Antipas in Palästina erzogen wurde. Die in Act. xiii I

genannten Christen stammen jedoch fast alle aus der Diaspora, wahrschein­lich auch Menahem. Er wäre dann der erste uns bekannte Christ, der in einer Beziehung zu Rom steht.

110 " Wir haben alles verlassen" [165]

und Unterstützung durch ortsansässige Christen (v. 5 ff.) 8). Weitere Wandercharismatiker sind unter den Gegnern des

Paulus zu suchen. Sie kommen z.T. aus Palästina und nennen sich daher "Hebräer" (TI Cor. xi 22), ebenso wie der aus Tiberias stam­mende Diasporajude Alypsios und der aus Cäsarea stammende Makedonis (CIJ 502 370) 9). Weitere Wanderasketen werden in den ps.-klementinischen Briefen ad virgines bezeugt 10). Ferner hat Lukian von Samosata einen urchristlichen Wandercharismatiker zum Gegenstand seines Spottes gemacht (peregr. 16). Wander­charismatikertum war also ein verbreitetes Phänomen im Ur­christentum. Zahlenmäßig waren die Ortsgemeinden gewiß um ein Vielfaches stärker. Das sachliche Gewicht der Wandercharismatiker erhellt jedoch daraus, daß sie m.E. das radikale Ethos der Heimat-. Familien-, Besitz- und Schutzlosigkeit tradiert und geprägt hab,enll),

2. Zur Bedingtheit sozialer Entwurzelung in der Jesusbewegung: Der Aufbruch in die heimatlose Nachfolgeexistenz hat primär religiöse Motive. Seine wichtigste Voraussetzung war der Ruf J esu. Die Texte weisen daneben aber auch auf soziale Bedingungen: Auch der reiche Jüngling wurde vom Ruf in die Nachfolge ge­troffen, sein Reichtum aber hinderte ihn daran, ihm zu folgen (Mc. x 22). Der Ruf J esu: "Kommt her" (3eü-re) richtet sich nicht nur an die Jünger (Mc. i 17), sondern auch an die "Mühseligen und Beladenen" (Mt. xi 28). Gewiß gibt es Unterschiede zwischen dem 3eü-re o,,[crüJ [LOU dort und dem 3eü-re "p6c; [Le hier. Die Bildlichkeit des Rufes in Mt. xi 28 - Joch und Ruhe - impliziert jedoch lokale Bewegung 12). Niemand kann ausschließen, daß nicht auch hier ein Ruf in die Nachfolge vorliegt. Zumindest hat es Nachfolger unter den "Mühseligen und Beladenen" gegeben, z.B. den Bettler Barti-

8) Zur Deutung auf wandernde Missionare vgl. A. v. HARNAcK, "Über den dritten Joh.-Brief", TU XV 3, Berlin 1897; R. BULTMANN, "Die drei Jo­hannesbriefe", KEK 14, Göttingen 1967, 99.

9) CIJ = J. B. FREY, Corpus Inscriptionum Iudaicarum, Rom 1936(52. Zur Bedeutung von "Hebräer" vgl. vor allem M. HENGEL, Zwischen Jesus u. Paulus, 169 ff.

10) Vgl. G. KRETSCHMAR, "Ein Beitrag zur Frage nach dem Ursprung frühchristlicher Askese", ZThK 61 (1964) 27-67.

11) Vgl. meinen Aufsatz: "Wanderradikalismus", ZThK 70 (1973) 245-271; ferner: "Legitimation und Lebensunterhalt", NTS 21 (1975) 192-221.

12) Zur Bildlichkeit vgl. J. B. BAUER, "Das milde Joch und die Ruhe, Matth. II, 28-30", ThZ 17 (1961) 99-106. Das Bild könnte sogar aus dem Berufsleben Jesu stammen. Nach Justin dial. 88 stellt ein Zimmermann (fpo-rpa xat ~uy& her.

[166J "Wir haben alles verlassen" 111

mäus (Me. x 52) oder den Besessenen von Gadara. Dessen Wunsch, Jesus zu folgen, wird zwar abgelehnt; aber dann verkündigt er in der Dekapolis, also in einem Gebiet, das so groß war wie Judäa und Idumäa zusammen. Die Geschichte scheint die Existenz von Wanderpredigern in dieser Region anzudeuten (Me. v 18 H.).

Soziale Motive schimmern in der Geschichte vom wunderbaren Fischzug hindurch. Nach einer Nacht ergebnislosen Fisehens wird Petrus in die Nachfolge gerufen (Lc. v I ff.). Frustration im Beruf und Aufbruch aus der vertrauten Heimat stehen hier in einem gewissen Zusammenhang, auch wenn die Geschichte selbst andere Aussageintentionen hat 13). Fischer gehörten freilich nicht zu den untersten Schichten. Die Zebedaiden verliessen ihren Vater mit Tagelöhnern (Me. i 20). Die Familie konnte fremde Arbeitskräfte bezahlen. Das Nazaräerevangelium macht den Zebedäus dennoch zu einem "armen Fischer" IFrg-ll1_ ")")) 14). Und aus Josephus wissen wir, daß die "Schiffsleute und Besitzlosen" in Tiberias am Anfang des jüdischen Krieges einen Aufstand machten (vita 66). Das Bündnis mit den Armen zeigt, daß die Lage der Schiffsleute - zu denen wohl auch Fischer gehörten - kritisch sein konnte 15).

J esus selbst soll Zimmermann gewesen sein (Me. vi 3). Eine hohe Identifikation mit diesem Handwerk kann kaum vorhanden ge­wesen sein. Es begegnet fast nie in den Gleichnissen als bild­spendender Bereich, hier dominieren landwirtschaftliche Bilder. In der Familie gab es Kleinbauern. Als Verwandte Jesu vor Domitian ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen, erklären sie, "sie besäßen zusammen nur 9.000 Denar, jeder die Hälfte, und zwar, erklärten sie, nicht in Geld, sondern als Wert eines Landgutes von nur 39 Morgen; dieses bewirtschafteten sie mit eigener Hand, um

13) H. KREISSIG, Die sozialen Zusammenhänge des judäischen Krieges, Berlin 1970, 47: "Allein die Vision vom reichen Fischzug, wie sie Armen immer eigen ist und wie sie uns im Fischzug des Petrus begegnet, zeigt, daß übermäßig viel mit Fischen nicht zu verdienen war". In der zur Oberschicht­literatur gehörenden vita des Pythagoras (Porphyrius vita Pyth. 25) liegt der Akzent bei einem Fischwunder nicht mehr auf der Masse der Fische, sondern auf der genauen Vorhersage der Fischzahl.

14) Das Naz.-Ev. setzt die synoptischen Evangelien voraus. Bestand für den Verfasser zwischen Anstellung von Tagelöhnern und Armut kein Wider­spruch? Er betont soziale Motive auch sonst vgl. Frgm_ 10 und 16. Dazu Ph. VIELHAUER in: Hennecke-Schneeme1cher: Neutestamentliche Apokryphen I, Tübingen 1959, 93.

15) Anders S. W. BARON, A social and religious history 01 the Jews I, New York 1952,254: Fischer hatten einen "reputable, if not high social standing".

112 " Wir haben alles verlassen" [167]

die Steuern zu bezahlen und den Lebensbedarf zu erwerben" (Hegesipp in Eus.h.e. iii 20, 2). Es handelt sich um "kleine Leute" (iii 20, 5), Kleinbauern in bescheidenen, fast dürftigen Verhält­nissen. Auch sie gehören nicht zu den untersten Schichten 16); denn Kleinbauern und Fischer besaßen Produktionsmittel im Unter­schied zu besitzlosen Unterschichten: Pächtern, Knechten, Tagelöhnern und Sklaven. Deutlich ist aber, daß sich die Jesus­bewegung nicht aus den Oberschichten rekrutierte. Zwar gab es einige seßhafte Sympathisanten aus der Oberschicht z.B. J ohanna, die Frau des Chuza (Lc. viii 3) und J oseph von Arimathia (Mc. xv 43). Zu den heimatlosen Nachfolgern gehörten aber bezeichnender­weise der kleine Zöllner Levi, nicht der reiche Oberzöllner Zacchäus (Lc. xix I H.), ferner die Zebedaidensöhne und nicht der reiche Jüngling. Was wir über die urchristlichen Wandercharismatiker hören, weist in eine mittlere soziale Schicht, deren Situation wohl kaum allzu gesichert war: Polemik gegen Reiche (Lc. vi 24 H. u.ö.), Zuwendung zu den "Mühseligen und Beladenen" (Mt. xi 28), die Aufnahme armer Bettler (Mc. x 46 H.), Frustrationen im Beruf (Lc. v I H.) widersprechen jeder Kleine-Leute-Idyllik.

II. SOZIALE ENTWURZELUNG IN DER PALÄSTINISCHEN UMWELT

Zur Deutung der spärlichen Auskünfte urchristlicher Quellen müssen wir analoge Phänomene der Umwelt heranziehen. Sie seien vorweg nach sachlichen Beziehungen gruppiert. Einerseits handelt es sich um innerjüdische Erneuerungsbewegungen : Qumran­gemeinde, Widerstandskämpfer, prophetische Bewegungen, an­dererseits um allgemeine Desintegrationserscheinungen, die es überall gibt: Emigranten, Räuber und Vagabunden. Zwischen beiden Gruppen gibt es wiederum sachliche Beziehungen: Emi­granten und Essener verlassen ihren angestammten Wohnort, um an neuem Ort zu siedeln. Bei ihnen dominieren evasive, bei Räubern und Widerstandskämpfern aggressive Verhaltensweisen. Bettler und prophetische Bewegungen haben gemeinsam, daß sie

16) H. KREISSIG, Zusammenhänge, 55 unterscheidet mit Recht Eigentümer von Produktionsmitteln (Großgrundbesitzer, Kleinbauern) und Nichteigen­tümer (Pächter, Tagelöhner, Sklaven). Für die Zuordnung zu den unteren und oberen Schichten ist aber m.E. nicht schon der Besitz von Produktions­mittel, sondern die darauf basierende Verfügungsgewalt über andere Men­schen entscheidend,

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auf Hilfe von anderen hoffen: auf menschliches Almosen oder göttliches Eingreifen; hier dominieren subsiditive Verhaltensweisen. Wir erhalten folgendes Diagramm, dessen Unterscheidungen idealtypischen Charakter haben; die Wirklichkeit ist komplexer:

Dominanz evasiven Verhaltens

Allgemeine Emigranten Desintegrations- Neusiedler erscheinungen

Dominanz aggressiven Verhaltens

Räuber

Innerj üdische Erneuerungs­bewegungen

Qumrangemeinde Widerstands­kämpfer

I. Evasives Verhalten: Emigranten und Neusiedler

Dominanz subsiditiven Verhaltens

Bettler Vagabunden

Prophetische Bewegungen

Emigranten und Neusiedler werden zusammen behandelt: Emi­granten sind Neusiedler im Ausland, Neusiedler dagegen "Emi­granten", die im eigenen Land bleiben.

LI. Verbreitung: In der ganzen damals bekannten Welt gab es Juden (Philo Gai. 28I f.; I Makk. xv I5 ff.; Act. ii 5.9; Strabo bei Jos. ant. xiv II5). Alle zahlenmäßigen Schätzungen stimmen darin überein, daß die Diaspora größer als das palästinische Juden­tum war 17). Ihre Größe geht gewiß auch auf Vermehrung und Konversion zurück, sicher aber auch auf eine umfangreiche Emi­gration. Inschriftlich sind uns zwar nur wenige namentliche Emi­granten bekannt, nämlich Auswanderer aus Sepphoris (CIJ 362), ,Cäsarea (CIJ 370 7I5), Tiberias (CIJ 502; IG V, I Nr. I256) und J erusalem (CIJ 556 749; IG2 11 Nr. 8934) 18); jedoch zeugt die Existenz einer O'uvcxywy~ 'Eßpcxtwv in Rom (CIJ 29I 3I7 5IO 535) und Korinth. (CIJ 7I8) sowie das Verbot jüdischer Einwanderung

17) Vgl. die Überblicke bei S. W. BARON, History I, 170, und M. STERN, "The ]ewish Diaspora", in: CRJNT (= Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum Testamentum) I, I, Assen 1974, II9 H.

18) Daneben gab es eine starke Rückwanderung, Im Corpus von Frey stehen 6 inschriftlich bezeugte Emigranten 16 Rückwanderer gegenüber: aus Ägypten (CI] 897, 918, 920, 928, 930, 934, 1256), Nordafrika (950, 1227), Kleinasien (910, 925, 931, 1414), Italien (1284), Sizilien (? 1399) und Baby­lonien (902). In der Grablege von Beth She'arim sind vor allem syrisch­phönizische Herkunftsorte belegt vgl. M, SCHWABE/B. LIFSHITZ: Beth She' arim Bd. II: The Creek I nscriptions, ] erusalem 1967, ix-xi. Darum ist die Rückwanderung nicht zahlenmäßig stärker gewesen. Im Ausland wird man inschriftlich nicht auf unbekannte jüdische Orte hingewiesen haben. Die erhaltenen Inschriften nennen bezeichnenderweise drei Hauptstädte.

114 " Wir haben alles verlassen" [169]

in Alexandrien durch Claudius (CPJ 153, 96 f.) von stärkeren Emigrationsschüben : Bei einzelnen Emigranten wäre es weder zur Gründung von Emigrantengemeinden noch zu staatlichen Ein­griffen gekommen 19). Mehr wissen wir über den Umfang der Neu­siedlungen. Herodes und seine Söhne haben zwischen ca. 25 v.Ch. und 20 n.Ch. zahlreiche neue Orte gegründet. Oft wurden dabei vorhandene Orte durch Umsiedlung neuer Gruppen vergrößert. In Sebaste sollen es 6.000 neue Bürger gewesen sein (bell. i 403). Ohne diesen Zuzug neuer Bürger sind die Neugründungen Cäsarea (ant. xv 331ff.; bell. i 408ft.), Phasaelis (bell. i 418; ant. xvi 145), Bathyra und Umgebung (ant. xvii 23 ff), Archelais (ant. xvii 340), Antipatris (bell. i 417; ant. xvi 142 f.), Tiberias (ant. xviii 37) usw. nicht zu denken. Um die Zeitenwende muß es ein großes Potential von Menschen gegeben haben, für die eine Existenz auf neuem Boden verlockender war als das Verbleiben im Heimatort.

1.2. Bedingtheit: Emigration und Neusiedlung hatten vier Ursachen: Juden wurden als Söldner, kriegsgefangene Sklaven oder politische Flüchtlinge ins Ausland verschlagen; oder sie wurden von der Aussicht auf bessere Existenzbedingungen angezogen.

1.2.1. Söldner: Die älteste uns bekannte jüdische Militärkolonie in Elephantine existierte schon in persischer Zeit. Die meisten Söldner sind uns jedoch aus hellenistischer Zeit bezeugt 20). In der Römerzeit wird es diese Art von "Emigration" kaum noch gegeben haben. Auch wenn es keine generelle Freistellung der Juden vom Militärdienst gab 21), wird es schon wegen des Kaiserkults wenig jüdische Soldaten im römischen Heer gegeben haben (vgl. jedoch die Witwe eines jüdischen Soldaten in Italien CIJ 640 und das Grab eines Centurio in Jafta CIJ 920). Größere Bedeutung hatte die Ansiedlung von Söldnern im Inland. Herodes siedelte Veteranen in Sebaste (ant. xv 296), Gaba (bell. iii 36; ant. xv 294) und Heshbon

19) Zur Deutung der "Synagoge der Hebräer" auf Emigranten vgl. J. B. FREY, CIJ, lxxvii. Er vermutet, daß sich die Synagoge der "Vernaculi" (im Sinne von Stadträmer) als Reaktion auf einen Einwanderungsschub etwa im 1. Jh. v.Ch. von der Synagoge der Hebräer abgegrenzt hat.

20) Die Ptolemäer siedelten z.B. deportierte Juden in ägyptischen Festun­gen an (Arist. 12 f.; CPJ = V. A. TCHERIKOVERjA. FUKs, Corpus Papyrorum Judaicarum, Cambridge Mass. 1957, Bd. 2, 1960 Nr. 18-32). Die Seleukiden veranlaßten jüdische Militärsiedlungen in Kleinasien (ant. xii 147 ff.; c. Ap. i 176 ff.). Zum jüdischen Söldnerturn ausführlicher M. HENGEL, "Juden­tum und Hellenismus", WUNT 10, Tübingen 1969, 27 ff.

21) Vgl. S. ApPLEBAUM, CRJNT I, I, 458 ff.

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(ant. xv 294) an. Einerseits beugte er damit Unruhen vor - unzu­friedene entlassene Söldner beteiligten sich nach seinem Tod an Aufständen (ant. xvii 270), andererseits demonstrierte er so seine militärische Präsenz in neu erworbenen Gebieten, die gegen "Räu­ber" geschützt werden mußten (ant. xvi 285, xvii 23 H.).

I.2.2. Sklaven: Viele Juden sind als Sklaven ins Ausland ver­kauft worden 22). Auch Herodes versuchte so, Opponenten loszu­werden (ant. xvi I), obwohl das Gesetz den Verkauf von Juden an Heiden verbot. Daher sind die meisten Sklaven Kriegsgefangene fremder Mächte gewesen: des Pompeius (ant. xiv 71; bell. i 154), Gabinius (bell. i 163), Cassius (bell. i 180), Sosius 23) und Varus. Letzterer ließ die Einwohner von Sepphoris als Sklaven verkaufen, weil sie sich dem Aufstand des Judas Galiläus angeschlossen hatten (ant. xvii 289; bell. ii 68). Bis zum jüdischen Krieg, der den Sklaven­markt neu belebte (bell. iii 304 f., 540, vi 418 H., 420, vii 208), hören wir von Josephus nichts mehr über Kriegsgefangene. Eine In­schrift in Neapel aus der Zeit des Claudius oder Nero belegt sie jedoch für die Zwischenzeit (CIJ 556) 24). Bei Neusiedlungen in Palästina werden Sklaven nur an einer Stelle erwähnt: Herodes Antipas brachte nach Tiberias auch "Gesindel", bei dem man z.T. nicht wußte, ob sie frei waren (ant. xviii 37) 25).

1.2.3. Flüchtlinge: Viele Emigranten wichen vor inneren Span­nungen ins Ausland aus. Nach Hekataios flohen viele a~iX T~V E:.V

2:up[~ crTaow nach Ägypten und Phönizien (c. Ap. i 194). Nach

22) Vgl. M. HENGEL, Judentum und Hellenismus, 79f. 23) Vgl. die von Sosius geprägte Münze in E. A. SYDENHAM, The Coinage

oj the Roman Republic, rev. by G. C. Haines, London 1952, 199 NT. 1272: "Military trophy; at base two captives seated (Judaea and Antigonos)". Etwas anders E. M. SMALLWOOD, Philonis Alexandrini Legatio ad Gaium, Leiden 19702, 236.

24) CI] 556: ,,(Cl)audia Aster (H)ierosolyrnitana (ca)ptiva curarn egit. (Tiberius) Claudius Aug(usti) libertus (Mas)culus. Rogo vos fac(ite prae)ter legern ne quis (mi)hi titulum deiciat cu(ra)m agatis. Vixit annis XXV." Die Angst vor heidnischen Inschriften und Motiven erinnert an die Ab­lehnung heidnischer Bilder und Embleme etwa zur Zeit des Pilatus (ant. xviii 55 ff.; Philo Gai. 276 ff.). Nach dem Zeugnis Philos bestand ein großer Teil der römischen ]udenschaft aus Freigelassenen (Gai. 155). Vielleicht besteht hier ein Zusammenhang mit der ~u\lO(ywy1j BEp\lO()():I]~(w\l (CI] 318, 383, 398, 494)·

25) M. AVI-YONAH, "The Foundation of Tiberias", lEJ 1 (1950/1) 160-169, S. 163 nimmt an, die Sklaven seien speziell zur Besiedlung Tiberias frei­gelassen worden. Aber dann hätte es keinen Zweifel über ihren rechtlichen Status geben können. Vielleicht handelte es sich z.T. um entlaufene Sklaven, die sich als Tagelöhner und Vagabunden durchschlugen.

116 "Wir haben alles verlassen" [l71J

Ägypten floh Onias IV. mit vielen Anhängern (Hieron. in Daniel II, I3 f.; PL 25,562). Später verlangten die Römer als Verbündete der Hasmonäer die Auslieferung politischer Flüchtlinge von Ägyp­ten und anderen Staaten des Mittelmeeres (I Makk. xv I6-23). Im I. Jh. n.Ch. gab es eine Emigrationswelle während der Wirren vor Caligulas Tod (40 n.Ch.). Ein im Nov. 4I in Alexandrien veröffent­lichter Erlaß des Claudius verbietet den alexandrinischen Juden ~7t&YEO'eO(~ ~ 7tpOO'dEO'eO(~ &7tO ~up[O((; ~ 'A~Y{l7t"t'ou x.O("t'omMov"t'O(~ 'Iou­aO([ou~ (CPJ I53, 96 f.) 26). Diese Emigranten unterstützten wahr­scheinlich in den antisemitischen Auseinandersetzungen in Alexan­drien die aggressive Haltung jüdischer Unterschichten und durch­kreuzten so die ausgleichende Politik der Aristokratie, wie sie durch Philo vertreten wurde. Wahrscheinlich gehörten sie ebenso zur Unterschicht wie die aufständischen Sikarier, die sich am Ende des jüdischen Krieges nach Ägypten (bell. vii 4IO ff.) und Kyrene (bell. vii 437 ff.) durchschlugen. Einer von ihnen ist ein Weber. Möglicherweise ist auch der in Rom. bezeugte "Zelot" J onios (CIJ 362) ein politischer Flüchtling 27). Es ist jedenfalls bezeich­nend, daß Mt. Joseph als nach Ägypten ziehenden politischen Flüchtling zeichnen kann (Mt. ii I3 ff.). Andere Flüchtlinge ge­hörten zur Oberschicht. Kurz vor Ausbruch des jüdischen Aufstands entzogen sie sich teils den Übergriffen des römischen Prokurators (bell. ii 279), teils den Plünderungen der Aufständischen (ant. xx 256). Für die innerpalästinensischen Umsiedlungen sind Flüchtlinge nicht bezeugt. Das Land war nach dem Tod des Herodes geteilt. Daher ist es denkbar, daß sich manche durch Umzug in ein anderes Territorium Nachstellungen entzogen haben (vgl. Lc. xiii 3I ff.) 28).

I.2+· Mittellose Menschen: Aussichten auf bessere materielle Existenzbedingungen haben gewiß viele zur Emigration bewogen. Für Ägypten wird das ant. xii 9 bezeugt. Ansonsten hören wir kaum von ökonomischen Motiven. Deutlich'sind sie bei inländischen Neusiedlungen. Neusiedler waren materiell begünstigt. In Bathyra

26) Die Deutung des Erlasses geschieht nach V. A. TCHERIKOVER, CP j, I, 67 f., II, 53 f.

27) Man muß dabei zweierlei voraussetzen: 1. Daß "Akone" Transkription von Hebr. "Hakone" ist und als "Zelot" übersetzt werden kann. So J. JUSTER, Les juifs dans l'Empire Romain II, Paris 1914, 229. 2. Daß die Inschrift aus dem 1. Jh. n.Ch. stammt. Sicher ist nur, daß die Katakombe am Monteverde in Rom schon im I. Jh. benutzt worden ist. Vgl. M. HENGEL, Die Zeloten, Leiden 1961, 71.

28) J. B. TYSON, "Jesus and Herod Antipas" , jBL 79 (1960) 239-246, meint, Jesu Reisen außerhalb Galiläas seien z.T. Flucht vor Antipas.

[l72J " Wir haben alles verlassen" 117

und Umgebung genossen sie zu Lebzeiten des Herodes Steuer­freiheit (ant. xvii 27). In Tiberias wurden sie von vielen Ver­pflichtungen befreit und erhielten Land und Häuser (ant. xviii 38), in Sebaste wurde ihnen fruchtbares Land zugewiesen (bell. i 403). Vergleichbare Vergünstigungen sind auch sonst anzunehmen 29). Man kann daher mit A. SCHALIT vermuten, "daß die neuen Siedler· Bauern waren, die in ihren Wohnorten Grund und Boden verloren hatten und, da sie dort nichts zu verlieren hatten, sich bereit­willigst nach dem neuen Gebiet begaben, durch die großen Ver­günstigungen angelockt, die Herodes jedem neuen Siedler ge­währte" 30). Diese Vermutung läßt sich für Tiberias belegen. Dessen Bevölkerung setzte sich nach J osephus aus drei Gruppen zusammen: Zwangsumgesiedelte Untertanen des Antipas, Beamte, die in der nenen Hauptstadt zu wohnen hatten, und &.7t0POL, "arme Leute, die von überall her zusammengebracht worden waren ... selbst solche, die nicht einmal mit Sicherheit Freigeborene waren" (ant. xviii 37) 31). Ein halbes Jh. später machen diese &.7t0POL einen Aufstand (vita 66).

I.3. Verwandtschaft: Emigration und Neusiedlung sind auch für die Geschichte der J esusbewegung von Bedeutung gewesen. Die "Hellenisten" verließen aufgrund von Verfolgungen Palästina (Act. viii 1, xi 19); ebenso Petrus, der nach seiner Inhaftierung durch Agrippa I in Palästina kaum noch sicher war (Act. xii 1 H.). Ökonomische Motive könnten im Zusammenhang mit der großen Hungerkatastrophe unter Claudius (ca. 46/7 n.Ch.) eine Gruppe urchristlicher Propheten über die Grenzen Palästinas hinaus nach Antiochien getrieben haben (Act. xi 27 H.). Möglicherweise gilt das auch für die Konkurrenten des Paulus, die ja z.T. aus Palästina

29) Vergünstigungen gab es auch bei der Ansiedlung von Juden in Klein­asien ant. xvii 147 ff.

30) A. SCHALlT, König Herodes, Berlin 1969, 328. Zur Siedlungspolitik des Herodes vgl. S. 324 ff. Es ist möglich, daß in den Wirren zu Beginn der Herrschaft des Herodes (Parthereinfall und Bürgerkrieg) viele Menschen entwurzelt worden sind.

31) Der Bericht des Josephus über Tiberias ist möglicherweise etwas ten­denziös. Er hat mit dieser Stadt schlechte Erfahrungen gemacht. Er schreibt z.B. daß Tiberias auf unreinem Boden - nämlich über einem Friedhof -errichtet wurde. Derartige Unreinheit war lokal und temporal begrenzt (vgl. ant. xviii 37). Vielleicht handelt es sich um sekundär hochgespielte Vorurteile gegen das "zusammengelaufene Volk" (crUY)(AUaE:~) von Tiberias (ant. xviii 37). Tiberias wurde zwischen 17 und 22 n.Ch. gegründet. So M. AVl-YONAH, Foundation, 163, wahrscheinlich 19/20 n.Ch. So Y. MESHORER, Jewish Coins of the Second Temple Period, Tel-Aviv 1967, 74 f.

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stammten (vgl. II Cor. xi 22). Paulus unterstellt ihnen polemisch materielle Motive (z.B. I Thess. ii 5; Phil. iii I9); und manchmal trifft auch Polemik zu 32). Auf jeden Fall ist die über Palästina hinausgreifende Mission im Zusammenhang mit der jüdischen Emigration überhaupt zu sehen. Umsiedlungen in Palästina haben dagegen eine geringere Rolle gespielt. Einige galiläische Familien sind wohl nach Jerusalem gezogen (Act. i I4; Me. xv 40 f.). Vor Ausbruch des jüdischen Kriegs dürfte die Urgemeinde aus Jerusalem geflohen sein (Eus.h.e. iii 5, 2 f.) 33). Für die Jesusbewegung ist besonders die Besiedlung Tiberias I9/20 n.Ch. aufschlußreich: Sie belegt, daß es etwa zur Zeit der öffentlichen Wirksamkeit Jesu in Galiläa besitzlose, möglicherweise gar heimatlose Menschen gab.

2. Evasives Verhalten: Qumrangemeinde

Als Emigranten verstanden sich auch die Qumranangehörigen. Sie waren aus Juda "ausgezogen" (CD iv 3), weilten "in der Fremde" (CD vi 5) und warteten auf ihre Rückkehr (I QM i 3). Das profane Verhaltensmuster "Emigration" wurde von dieser Gruppe auf­gegriffen und mit religiösem Sinn erfüllt. Sie waren nicht die einzigen. Neben ihnen gab es Eremiten wie den Wüstenasketen Johannes den Täufer (Mt. iii I ff., xi 7 ff.; ant. xviii II6 ff.) und den Eremiten Bannos (vita II f.) 34). Wie die Qumrangemeinde wollten auch sie in der Wüste Gott den Weg bereiten (J es. xl 3; Me. i 3; I QS viii I3 'f.).

2.I. Verbreitung: Josephus (ant. xviii 20) und Philo (prob. 75) geben übereinstimmend die Zahl der Essener mit 4.000 an. Auch wenn man die in Qumran und anderswo lebenden Essener zusammen rechnet, dürfte die Zahl zu hoch gegriffen sein. In Qumran wurden

32) Die Paulusbriefe sind zwischen 50 und 56 n.Ch. entstanden (vgl. Ph. VIELHAUER, Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin 1975, 70 ff., 88 f., 175 passim). Die Hungersnot unter Claudius war in den späten 40er Jahren. Es ist also möglich, daß das Auftreten von Konkurrenten im pauli­nischen Missionsgebiet durch sie mitbedingt war.

33) Der Exodus nach Pella wurde von S. G. F. BRANDON, The Fall of jerusalem and the Christian Church, London 1951, 167-173 m.E. zu Unrecht bestritten. Irgendeine Flucht hat wohl stattgefunden. Vgl. S. SOWERS, "The Circumstances and Recollection of the Pella Flight", ThZ 26 (1970) 305-320 und J. GUNTHER, "The Fate of the Jerusalem Church. The Flight to Pella", ThZ 29 (1973) 81-94·

34) Sie gehören zur Taufbewegung (vgl. J. THOMAS, Le mouvement baptiste en Palestine et Syrie, Gembloux 1935), die gewiß noch sehr viel größer ge­wesen ist; gehörten zu ihr doch Gruppen, von denen wir nur den Namen kennen: Hemerobaptisten und Masbotheer (Eus. h.e. iv 22,7).

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ca. 1.200 Begräbnisplätze gefunden 35). Nimmt man eine Siedlungs­dauer von ca. 200 Jahren und einen durchschnittlichen Genera­tionenwechsel alle 25 Jahre an, so wäre Qumran von ca. I50 Men­schen bewohnt gewesen. Genaues wissen wir nicht. Aufschlußreich ist die Besiedlungsdauer. Da in ihr keine Kinder geboren wurden, rekrutierte sie sich aus Zugezogenen - häufig aus Kindern esseni­scher Familien (I QSa i 6 H.), häufig auch aus Nicht-Essenern (Plin. nato hist. v I5 § 73). Die Fortdauer der Siedlung ist daher schon an sich ein Indiz für die Verbreitung sozialer Entwurzelung in Palästina. .

2.2. Bedingtheit: Über die Motive zum Eintritt in die Gemeinde erfahren wir wenig. Es lassen sich jedoch noch allgemeine Druck­situationen, politische Wirren und ökonomische Motive erkennen bzw. erschließen.

2.2.I. Allgemeine Drucksituationen. Nur der Bericht Plinius d.Ä. geht direkt auf die Motivation zum Eintritt in die Gemeinde ein: "Auf dem westlichen Ufer ziehen sich die Essener so weit zurück, daß sie nicht geschädigt werden: Sie sind ein alleinlebender und in der ganzen Welt vor allen übrigen sonderbarer Menschenschlag. Sie sind ohne Frauen, haben aller Sexualität abgesagt, leben ohne Vermögen und in der Gesell­schaft von Palmen. Tag für Tag wird die Schar der Zuzügler gleichmäßig neu belebt durch Menschen, die sie in ausreichender Zahl aufsuchen: Lebens­müde, die das Schicksal ihren Sitten auf Wellen zutreibt. Auf diese Weise hat sich dieser Menschenstamm, in dem niemand geboren wird - es ist unglaublich - durch Jahrtausende hindurch erhalten. So ist der Lebens­überdruß anderer für jene fruchtbar" (nat. hist. v 15).

Die Perspektive des Textes ist die eines fremden Besuchers: Er überschätzt das Alter der Siedlung, weiß nichts von verheirateten Essenern und sucht eine Erklärung für ihr deviantes Verhalten, das von ihrem religiösem Selbstverständnis absieht 36). Gerade

35) H. BARDTKE, Die Handschriftenfunde am Toten Meer bd. 2: Die Sekte von Qumran, Berlin 1958, 38: Die Toten sind durchschnittlich 30-40 Jahre alt. Nach Josephus wurden dagegen einige Essener über 100 Jahre alt (bell. ii 151).

36) Plinius war kaum Augenzeuge. Sein Besuch in Palästina ist nicht ge­sichert (vgl. M. STERN, CRJNT I, 1,32 f.). Da nur er und Dio Chrysostomos die Essener am Toten Meer lokalisiert (vgl. Synesios von Kyrene, Dion. iii I f.), darf man vielleicht eine schriftliche Quelle annehmen, der Reiseberichte zugrunde liegen: Lokalisierungen gehören zur Gattung des Reiseberichtes ebenso wie die Außenperspektive und "das Verlangen des müden Groß­städters, der sich nach der Natur, den Palmen sehnt" (W. BAUER, "Essener", in: Aufsätze und Kleine Schriften, Tübingen 1967, I-59, S. 6). Ferner dürfen wir annehmen, daß die Quellen des Plinius über Palästina aus dem 1. Jh. n.Ch. stammen. Plinius nennt das von Archelaos gegründete Städtchen Archelais (nat. hist. xiii 44).

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deshalb ist dies Zeugnis für uns so wichtig: Außenstehende hatten den Eindruck daß sich in Qumran gestrandete Menschen zusammen fanden. Welchen Drucksituationen sie sich entzogen, wird nicht gesagt.

2.2.2. Politischer Druck dürfte ein Motiv gewesen sein. Als Indiz dafür diene eine chronologische Korrelation. Die Siedlung wurde 31 v.Ch. durch Erdbeben zerstört und erst während der Regierungszeit des Archelaos (4 v.-6 n.Ch.) wieder aufgebaut -also unmittelbar nach dem "Räuberkrieg" (bell. ii 65), der ganz· Palästina ins Chaos gestürzt hatte. Die Vermutung liegt nahe, daß damals viele entwurzelt worden sind, die jetzt in der Gemeinde Zuflucht suchten, so daß der Gedanke der Wüstensiedlung neuen Auftrieb erhielt. Und das gilt womöglich für alle Unruhen des 1. Jh. n.Ch. Nach Josephus mußten Neueintretende schwören, "sich des Raubes zu enthalten" (bell. ii 142). Der Schwur würde sich erübrigen, hätte es unter Qumrangliedern nicht auch ehemalige Widerstandskämpfer (für J osephus: "Räuber") gegeben 37).

2.2.3. Ökonomischer Druck: Qumranmitglieder folgten bei ihrem Eintritt in die Gemeinde nicht nur einer Druck- sondern einer Zugmotivation. Viele wurden durch den essenischen Pro­duktionskommunismus angezogen: Der Lebensunterhalt wurde gemeinsam erwirtschaftet, der einzelne von der Sorge um ihn entlastet (bell. ii 122, 127; ant. xviii 20; Philo prob. 85 f.). Mußte eine solche Gemeinschaft nicht vor allem Menschen anziehen, die ihren Lebensunterhalt gefährdet sahen? J osephus bezeugt, daß neben Besitzenden auch Besitzlose aufgenommen wurden (ant. xviii 20). Die Aufnahmeregeln (I QS v I-vi 23) setzen freilich durch­gehend eine Besitzübertragung an die Gemeinde voraus. "Besitz­lose" sind hier nicht vorgesehen. Aber man muß nicht gänzlich mittellos sein, um von dem in Qumran praktizierten Armutsideal angezogen zu werden. Dies Armutsidealläßt sich durch die Selbst­bezeichnung "Arme" belegen (I QpHab xi~ 3.6.10; I QM xi 9.13; 4 QpPs 37 ii 8 f., iii 9 f.; I QSb V 21 u.ö.) 38), durch radikalen Be­sitzverzicht (I QS vi 19 f.), Kleidung und Verhaltensstil (bell. ii 126;

37) Der Schwur wirkt zwischen zwei Verpflichtungen zur Geheimhaltung wie eingeschoben (bell. ii 142). Hat Josephus hier etwas eingeschoben, um den harmlosen Charakter der Essener zu unterstreichen?

38) Diese Selbstbezeichnung ist natürlich nur ein Terminus neben anderen vgl. L. E. KECK, "The Poor among the Saints in J ewish Christianity and Qumran", ZNW 57 (1966) 54-78.

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I QS ix 2I ff.) 39), sowie schmucklose Armengräber 40). Es zeigt sich ferner in der Verachtung der Reichtums (bell. ii I22; I QMyst. i IO f.; I QS vi 2; CD viii 5). Natürlich kann solch ein Armutsideal auch von Oberschichtmitgliedern entwickelt und praktiziert werden: Ein radikaler Rollentausch kann dem Leben einen neuen Inhalt geben 41). Der Haß gegen den Reichtum und die ress~p.timenterfüll­ten Phantasien vom großen Gemetzel am Ende d~r Tage legen jedoch den Gedanken nahe, daß viele Menschen hier ihren sozio­ökonomischen Status religiös gedeutet, verklärt, aber auch für schöpferische Impulse fruchtbar gemacht haben. Daneben werden wir mit gutgestellten Mitgliedern rechnen müssen: Der Lehrer der Gerechtigkeit war wahrscheinlich ein entmachteter Aristokrat 42). Im jüdischen Krieg begegnet ein Essäer Johannes an der Spitze der militärischen Hierarchie neben zwei Hohepriestersöhnen und dem Aristokraten Josephus (bell. ii 567). Die Sympathien der Ober­schichtangehörigen Philo und J osephus für die Essener sind un­verkennbar 43). Die Gemeinde war als Kollektiv vermögend. Sie

39) Die Aussage von bell. ii 126, das Erscheinungsbild der Essener gleiche den unter Furcht erzogenen Kindern, wird durch IQS ix 21 ff. bestätigt: Außenstehenden solle man Arbeit und Besitz lassen, ihnen demütig wie Sklaven begegnen, im inneren aber "ewigen Haß ... im Geist des Ver­bergens" gegen sie hegen. Man verhält sich wie Unterdrückte, die nicht die Macht haben, ihren Haß gegen die Unterdrücker öffentlich zu äußern.

40) Die Toten wurden ohne Inschrift und Grabstein, Kleider und Beilagen in einfachen Gräbern beigesetzt. "Derartige Sandgräber waren schon in allen Zeiten und auch in der Zeit von Qumran für die Armen bestimmt" (H. BARDTKE, Handschriftenfunde II, 45).

41) Grundsätzlich wird stimmen, was H. KREISSIG, Zusammenhänge, 51, schreibt: "Die Bezeichnung einer bestimmten Menschengruppe als Arme hat ... immer nur Sinn, wenn zumindest die Mehrheit dieser Gruppe in soziologischer Armut lebt". Dennoch müssen wir auch mit einem Rollen­tausch rechnen. Reiche Bürger wie Petrus Waldus und Franz von Assisi waren auch in der Paupertas-Bewegung des Hochmittelalters führend. Vgl. dazu K. BosL, "Potens und Pauper", in: Frühfarmen der Gesellschaft im mittelalterlichen Eurapa, München 1964, 106-134, S. 123: "Das Bekenntnis zur paupertas und humilitas (abiectio) hat nur für die einen wahren Sinn, die realiter weder pauperes noch humiles sind; die hochmittelalterliche Armutsbewegung ist von den mächtigen und reichen Oberschichten getragen, die sich innerlich dazu genötigt sehen, nachdem die fast magische, ja religiöse Wirkung ihrer Macht und Herrschaft im Zuge der Verchristlichung verblaßte, nun sich als religiöse und ethische Vor- und Leitbilder den Unterschichten darzustellen ... " Könnte das nicht für den Lehrer der Gerechtigkeit und seine Gruppe ebenfalls zutreffen?

42) Vgl. H. STEGEMANN, Die Entstehung der Qumrangemeinde, Diss. Bann 1965 (TyposkIipt 1971).

43) H. KREISSIG, Zusammenhänge, 105 f. bringt die Essener m.E. zu einsei­tig auf den Nenner "Unterschicht" und "Klassenkampf·'. Philo schreibt

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mußte aus wohlverstandenen Interessen an Besitz und Arbeitskraft ihrer Mitglieder interessiert sein. Arbeitsunfähige wurden nicht aufgenommen. Die dafür I QSa ii 3 ff. angegebenen religiösen Gründe haben einen harten ökonomischen Kern: Man brauchte Arbeiter. Gebraucht wurden Handwerker wie Maurer, Steinmetzen, Lederbearbeiter, Töpfer, Schmiede, Bäcker und Drogenhersteller 44).

Ferner landwirtschaftliche Arbeiter: Die Gemeinde kultivierte in ihrer Oase ein drei Kilometer langes Gelände. Philo nennt den Ackerbau noch vor dem Handwerk (prob. 76). Schließlich müssen wir auch gehobene Berufe voraussetzen: Architekten, Verwalter, Schreiber und Schriftgelehrte. Die literarische Produktion der Gemeinde setzt Bildung voraus, und die findet man meist nicht in den alleruntersten Schichten. Es gibt daher m.E. keinen Grund, an der Angabe des J osephus zu zweifeln, daß sich in Qumran Reiche und Besitzlose zusammenfanden (ant. xviii 20). Die straffe inner­gemeindliche Hierarchie spiegelt zudem allzu deutlich die all­gemeine gesellschaftliche Hierarchie, auch wenn die Akzente anders gelegt wurden: An der Spitze standen hier Priester.

2.3. Verwandtschaft: Auch in der J esusbewegung finden wir die Bezeichnung "Arme" (Gal. ii 10; Röm. xv 26) 45), auch hier be­gegnet uns ein ausgesprochenes Armutsethos, das sich in Kleidung (Mt. x 9 f.), Besitzlosigkeit (Mc. x 17 ff.) und Verachtung des Reichtums (Lc. vi 20 H.) ausdrückt. Wir finden zwar keinen Pro­duktionskommunismus, dafür aber einen auf Spenden basierenden ungrundsätzlichen Konsumkommunismus - zumindest die Vision davon (Act. iv 32 ff.) 46). Gewiß sind die Unterschiede groß: Dort

ihnen eine große Fähigkeit zu, sich auch mit tyrannischen Herrschern zu arrangieren (prob. 89 ff.). Die (innergemeindliche ?) Obrigkeit ist für sie von Gott (bell. ii 140)' Ein Essener spielt den Hofpropagandisten für die Herr­schaft des Herodes (ant. xv 373 ff.).

44) Das läßt sich aus dem archäologischen Befind erschließen; so H. BARDTKE, Handschrijtenfunde H, 78. Zur wirtschaftlichen Lage Qumrans vgl. W. R. FARMER, "The Economic Basis of the Qumran Community", ThZ II (1955) 295-308 und 12 (1956) 56-58. Ergänzendes zur Bewässerung findet sich bei L. M. PAKOZDY, "Der wirtschaftliche Hintergrund der Ge­meinschaft von Qumran", in: Qumran-Probleme, hrsg. v. H. Bardtke, Berlin 1963, 167-191.

45) L. E. KECK, "The Poor among the Saints in the New Testament", ZNW 56 (1965) 100-129: Es handelt sich um wirklich "Arme".

46) M. HENGEL, Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche, Stuttgart 1973, 39 ff. nimmt m.E. mit Recht einen gewissen historischen Hintergrund für das lukanische Summarium an.

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eine überdisziplinierte Gemeinde, hier locker organisierte Orts­gruppen, deren wichtigste Autoritäten Wandercharismatiker sind. Die Beziehungen zwischen beiden Phänomenen erlauben jedoch die Vermutung, daß Motive zum Beitritt in die Qumrangemeinde auch Motive zum Beitritt zur J esusbewegung sein konnten. Der soziale Hintergrund könnte hier wie dort vergleichbar sein.

3. Aggressives Verhalten: Räuber

Wid~rstandskämpfer und Kriminelle lassen sich bei J osephus nur schwer unterscheiden; für ihn sind beide "Räuber". Im Zweifels­falle ist m.E. politischer Hintergrund vorauszusetzen. Die meisten Aussagen des J osephus werden daher im nächsten Abschnitt be­handelt. Die Aussagebasis für kriminelle Räuberei wird dadurch sehr schmal. Auch ist zu bedenken, daß manche "Räuber" nur wenig domestizierte Stämme waren. Bei ihnen ist Räuberei kein Phänomen sozialer Entwurzelung, sondern gehört zur allgemeinen Kultur.

3.1. Verbreitung: Räuberei gab es im ganzen römischen Reich 47). Für Ituräa und die Trachonitis wird sie durch Strabo (xvi 2, 18.20) und Josephus (ant. xv 346 ff.) bezeugt. Agrippa 1. oder 11. rühmte sich in einer Inschrift der Bekämpfung von Räubern (OGIS 424). Im NT werden im Samaritergleichnis Räuber vorausgesetzt (Lc. x 30 ff.). Die Essener rechneten mit ihnen und nahmen auf Reisen nur Waffen zum Schutz gegen sie mit (bell. ii 125). Ihre Mitglieder mußten dem Raub abschwören (bell. ii 142). Wie stark die Räuberei verbreitet war, ist nicht mehr feststellbar. Sicher ist es Vorurteil, wenn behauptet wurde, die J udell seien ein Volk von Räubern (Strabo xvi 2, 37; Justinus xl 2, 4; vgl. c. Ap. i 62).

3.2. Bedingtheit: Nur selten hören wir etwas über die Ursachen von Räuberei in Palästina. In den 23 v.eh. erworbenen Gebieten mußte Herodes räuberische Stämme zu Seßhaftigkeit und Ackerbau zwingen (ant. xv 348, xvi 271). Nach ca. 10 Jahren kehrten sie wieder zu ihrem Räuberleben zurück. Denn das seßhafte Leben "gefiel ihnen nicht, auch brachte das Land nicht den Ertrag ihrer Mühen" (ant. xvi 271). Die Erinnerung an den früheren Lebensstil - also kulturelle Traditionen - und wirtschaftliche Not waren hier das Motiv für Räuberei. Oft war gewiß das erste Motiv nicht ge-

(7) Vgl. den Exkurs: "Zum Räuberunwesen in der antiken Welt" bei M. HENGEL, Zeloten, 26-35.

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geben: Ein Fehlschlag bei der Ernte konnte das Anwachsen von Räuberei zur Folge haben (ant. x\iii 274). Dasselbe gilt von poli­tischen Spannungen. Nach Unruhen unter Cumanus (48-52 n.Ch.) verlegten sich einige der Beteiligten "auf das Räuberhandwerk, und so gehörten bald im ganzen Lande Räubereien und unter den Entschlosseneren auch Empörungsversuche zu den alltäglichen Erscheinungen" (bell. ii 238). Da hier zwischen Räuberei und Empörungsversuchen differenziert wird, darf man diese Stelle wohl auch auf normale Räuberei beziehen.

3.3. Verwandtschaft: Zwischen der Jesusbewegung und den Räubern gibt es über das Phänomen sozialer Entwurzelung hinaus keine Verwandtschaft. Vielleicht spielt Jesus auf Räuber an, wenn er auf die "Höhlen der Füchse" hinweist (Mt. viii 20). Höhlen waren Schlupfwinkel für Räuber (OGIS 424, ant. xv 346), aber aucn für Widerstandskämpfer (z.B. bell. iv 512 f.). Falls hier eine An­spielung vorliegt, hätte J esus die Heimatlosigkeit des Menschen­sohns als radikaler bezeichnet als die der Räuber.

4. Aggressives Verhalten: Die Widerstandsbewegung

4.1. Verbreitung: Widerstandskämpfer gegen das herodäische und römische Regime lassen sich über 100 Jahre hinweg belegen. Der folgende überblick zählt die wichtigsten Phänomene auf 48). Uns interessieren dabei zeitliche Streuung und quantitative Größe des Widerstands:

47/46 v.Ch.: Herodes tötet den Räuberhauptmann Hiskia, der eine "große Bande" um sich geschart hat (bell. i 204; ant. xiv 159).

39/38 v.Ch:: Galiläische Räuber bringen Herodes fast eine Niederlage bei (bell. i 304 ff.). Die Höhlen des Landes werden daraufhin "gesäubert" (bell. i 310 ff.; ant. xiv 420 ff.). Trotzdem gibt es noch zwei Aufstände in Galiläa gegen Herodes (bell. i 314 ff., 326; ant. xiv 431 ff., 450).

4/5 v.Ch.: Der "Räuberkrieg" nach dem Tode des.Herodes stürzt das Land ins Chaos. In ihm erscheinen fünf Gruppen: Die Gruppe um Judas Galiläus war "nicht klein" (bell. ii 56); Varus mußte zu ihrer Bekämp­fung einen Teil seines Heeres abzweigen (bell. ii 68; ant. xvii 288 f.). Gegen Simon und seine Anhänger wurden 3.000 herodäische Soldaten, verstärkt um römische Truppen, eingesetzt (ant. xvii 266, 275). Athron­ges kann mit der ihm zugeströmten "großen Menge" (ant. xvii 279) sogar eine römische Kohorte umzingeln. Außerdem beteiligten sich an den Aufständen 2.000 entlassene herodäische Soldaten (ant. xvii 270) und eine weitere Gruppe (ant. xvii 277).

48) Für alles Weitere sei auf M. HENGEL, Zeloten, 318 ff. hingewiesen, der die Geschichte der Widerstandsbewegung sorgfältig beschrieben und analy­siert hat.

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6/7 n.Ch.: Judas Galiläus agitiert gegen den Zensus (ant. xviii 4 ff.; Act. v 37)·

ca. 27 n.Ch.: Zwei "Räuber" werden zusammen mit Jesus gekreuzigt (Mc. x\" 27). der bei seiner Inhaftierung dagegen protestiert, "wie ein Räu­ber" behandelt zu werden (Mc. xiv 48). Kurz zuvor hat es einen Auf­stand gegeben, an dem Barrabas beteiligt war (Mc. xv 0 r

40 n.Ch.: Während der Wirren vor Caligulas Tod - ausgelöst durch dessen Versuch, sein Standbild in den Tempel zn bringen - befürchtet die jüdische Aristokratie, "daß auf die Unterlassung der Aussaat das Räuberwesen folge, weil die Entrichtung von Steuern unmöglich würde" (ant. xviii 274).

44/45 n.Ch.: Cuspius Fadus tötet den Räuberhauptmann Tholomäus, der im südlichen Palästina vor allem Idumäer und Araber drangsalierte. Es gelingt ihm (angeblich), ganz Judäa von "Räubern" zu säubern (ant. xx 5).

46/48 n.Ch.: Tiberius Alexander läßt Simon und Jakob, zwei Söhne des Judas Galiläus, hinrichten.

48/52 n.Ch.: Unter Cumanus überfallen "Räuber" einen kaiserlichen Sklaven auf offener Straße (bell. ii 228 f.). Bei antisamaritanischen Ausschrei­tungen verbindet sich eine aufgebrachte Menge mit dem Räuberführer Dinäus ben Eleazar, "der sich schon viele Jahre im Gebirge herumtrieb" (ant. xx 121). Viele schließen sich den Räubern an, so daß "seit dieser Zeit ganz Judäa voll von Räuberbanden war" (ant. xx 124). Tacitus erwähnt ebenfalls im Zusammenhang mit diesen Unruhen Räuber­banden (ann. xii 54).

52/60 n.Ch.: Felix kreuzigt "unzählige" Räuber und deren Sympathisanten (bell. ii 253). Außerdem nimmt er den Räuberhauptmann Eleazar ben Dinäus, der eine ganze Abteilung (cruv't"cx;Y!1-cx;) von Räubern um sich gesammelt hat, durch List und Wortbruch gefangen (ant. xx 161). Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Unter ihm werden die "Sikarier" sogar in Jerusalem selbst aktiv (ant. xx 165). Auch der Mordanschlag gegen Paulus (Act. xxiii 12 ff.) belegt die Aktivität terroristischer Gruppen in Jerusalem.

Die Zunahme politischen Widerstands bis zum jüdischen Auf­stand braucht hier nicht verfolgt zu werden. Sie ist evident ge­nug 49). Interessanter ist für uns die relative Kontinuität des Wider­stands: Sie wird erstens durch Ansätze zu einer Dynastiebildung in der Familie des Judas Galiläus belegt: Judas selbst war u.U. Sohn des Räuberhauptmanns Hiskia, seine Söhne und Enkel treten 46/48 und 66/73 im Widerstand hervor: neben Simon und Jakob der ermordete Königsprätendent Menahem (bell. ii 448) und Elea­zar, der Verteidiger Masadas (bell. vii 253). Ein zweiter Beleg ist das lange Wirken des Eleazar ben Dinäus. Es umspannt ein, wahr-

49) Die Widerstandsgruppen hatten im jüdischen Krieg natürlich eine außergewöhnliche Größe. Die Zeloten waren 2.400 Mann stark (bell. v 250), die Sikarier in Masada 960 (bell. vii 400). Johannes von Gischala führte 6.000, Simon ben Giora 10.000 Mann (bell. v 248 ff.).

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scheinlich sogar zwei Jahrzehnte. Drittens sei auf das Argument der jüdischen Aristokratie 40 n.Ch. hingewiesen: Daß Steuer­schulden zur "Räuberei" führen, setzt eine langjährige Erfahrung voraus. Schließlich betont J osephus selbst die Kontinuität des Widerstands von Judas Galiläus bis zum jüdischen Aufstand (ant. xviii 6 ff.; bell. vii 253 ff.). Ein Problem bleibt: Aus der uns am meisten interessierenden Zeit zwischen IO und 35 n.Ch. hören wir von J osephus nichts über Widerstandskämpfer. Das kann an den dürftigen Quellen liegen, aber auch daran, daß es zu jener Zeit relativ ruhig war. Tacitus meldet nur: sub Tiberio quies (hist. v 9). Vielleicht ist es kein Zufall, daß die irenische J esusbewegung gerade in dieser Zeit entstand.

4.2. Bedingtheit: Die Widerstandsbewegung hat mannigfache soziale Bedingungen. Neben einer nicht zu unterschätzenden soziokulturellen Widerstandstradition seit den Tagen der Makkab­bäer sind es vor allem: die Konkurrenz einheimischer Machteliten, Furcht vor Strafverfolgung, ökonomische Not. Dabei scheint das ökonomische Motiv das stärkste gewesen zu sein.

4.2.I. Konkurrenz einheimischer Machteliten: Die von Herodes bekämpften galiläischen Räuber dürften hasmonäischen Kreisen nahe gestanden haben, die sich vergeblich dem Aufstieg der Hero­däer entgegen stemmten. Hiskia hatte einflußreiche Sympathi­santen in der Jerusalemer Oberschicht (ant. xiv I68 ff.). Vielleicht trat sogar sein Sohn Judas im "Räuberkrieg" mit dynastischen Ansprüchen hervor 50). Er führt einen Haufen "verzweifelter Männer" (ant. xvii 27I). Wie immer er seine Ansprüche begründete, seine Gefolgschaft dürfte aus outcasts bestanden haben. Andere Führer des Aufstands waren sozial niedriger Herkunft: Simon ein Sklave (ant. xvii 273), Athronges ein Hirt (ant. xvii 278).

4.2.2. Furcht vor Strafverfolgung: Nach antisamaritanischen Übergriffen müssen sich viele Juden der drohenden Strafverfolgung entziehen, indem sie sich der Widerstandsbewegung anschließen (bell. ii 238). Im jüdischen Krieg begegnen in Tarichäa Menschen,

50) W. R. FARMER, "Judas Simon and Athronges" NTS 4 (1958) 147-155, nimmt an daß diese Messiasprätendenten hasmonäischer Abstammung waren. Da J osephus bei Athronges ausdrücklich betont er habe keine be­rühmten Vorfahren (ant. xvii 278) ist es möglich daß die anderen sich auf ihre Abstammung beriefen. Da der herodäische Sklave Simon dafür weniger in Frage kommt bleibt Judas Galiläus, bei dem Josephus den Vater Hiskia ausdrücklich nennt. Dieser Hiskia könnte hoher Abstammung sein.

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die sich infolge ihrer im Frieden begangenen Straftaten dem Krieg zugewandt hatten (bell. iii 542). Sie wurden teils versklavt, teils in einem Hinterhalt niedergemetzelt: "Alle erklärten ihre Frei­lassung für gefährlich; denn als Leute ohne Heimat würden sie sicherlich nicht ruhig bleiben" (bell. iii 533). Heimatlosigkeit war in Palästina das Schicksal vieler Menschen.

4.2.3. Wirtschaftliche Not: Der Widerstand gegen die Römer hatte von vornherein einen ökonomischen Aspekt. Er formierte sich als Opposition gegen die Steuerzahlung. Man argumentierte: Wer den Römern Steuern zahle, erkenne neben Gott andere Herren an. Das radikalisierte erste Gebot war die zentrale Botschaft des Judas Galiläus (ant. xviii 23; bell. ii II8, vii 410), Steuerverweige­rung deren wichtigste Konsequenz. Solche eine Botschaft konnte nur dort entstehen und Resonanz finden, wo Steuern als drückende Last empfunden wurden. Dafür gibt es Belege. Schon Herodes mußte zwei Mal Steuernachlässe gewähren, um sozialen Unruhen vorzubeugen (ant. xv 365, xvi 64). Nach seinem Tod wird sein Nachfolger um Abschaffung bestimmter Steuern angegangen (ant. xvii 205) - ohne Erfolg; denn erst Vitellius erließ die umstrittene Umsatzsteuer für Früchte des Jerusalemer Marktes (ant. xviii 90). Ohne Erfolg blieben auch Klagen über zu hohe Kopfsteuern vor Augustus (ant. xvii 308). Augustus erließ wohl Samarien 1/4 der Steuern, nicht aber den jüdischen Stammprovinzen, da es hier zu Aufständen gekommen war (ant. xvii 319); d.h.: ein Viertel der Steuerlast mußte als Strafe verstanden werden. Oder umgekehrt: Die Steuern hätten um ein Viertel vermindert werden können. Auch nach der Absetzung des Archelaos und einer neuen Steuer­einschätzung durch Quirinius blieben die Steuern hoch: Zur Zeit Jesu baten Syrer und Juden gemeinsam den Kaiser Tiberius um Nachlaß der Steuern (Tac. anno ii 42). Es ist daher wahrscheinlich, daß theologische Argumente gegen die Steuerzahlung deswegen Resonanz fanden (ant. xviii 6), weil die durch die Steuerlast mit­bestimmte wirtschaftliche Situation für viele drückend war. Daher konnten landwirtschaftliche Produktionsschwierigkeiten zu "Räu­berei" führen (ant. xviii 274). Denn verschuldeten Bauern und Pächtern blieb oft keine Alternative als die Flucht zu den Wider­standskämpfern in den Bergen, um sich drohender Verelendung zu entziehen. Aus der Perspektive der Reichen sah das natürlich anders aus. Für sie waren die Widerstandskämpfer Banditen, "die ihr eigenes Vermögen verschleudert" hatten (bell. iv 241). Daran ist

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richtig daß es sich um verarmte Kreise handelte. Daß man auch ohne Verschulden arm werden kann, ist ein Gedanke, der etablierten Kreisen immer fern gelegen hat. Die Widerstandskämpfer wußten ihrerseits sehr gut, wo sie ihre Sympathisanten zu suchen hatten. Am Anfang des jüdischen Kriegs zerstörten sie das Schuldarchiv in J erusalem, "damit sie die Menge der Schuldner gewinnen und die Armen ohne Furcht vor Bestrafung zu einer Erhebung gegen die Reichen anstacheln könnten" (bell. ii 427). J osephus hält diese sozialrevolutionären Züge für das eigentliche Motiv der Wider­standskämpfer, das Verlangen nach nationaler Unabhängigkeit wertet er als ideologische Verbrämung von "Habsucht" ab: "Große Räuberbanden machten fortwährend Überfälle, angeblich um den gemeinsamen Staat wieder aufzurichten, in Wirklichkeit in der Hoffnung auf eigenen Gewinn" (ant. xviii 7, vgl. bell. vii 256, 264) 51). Auch sonst berichtet er von Terroraktionen gigen <ii.e Reichen (bell. ii 265, iv 334 ff.). Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, daß die Widerstandsbewegung ihre Dynamik aus dem sozioökonomischen Verteilungskampf zwischen U nter- und Ober­schicht bezog, ein Verteilungskampf, der sich wahrscheinlich in Hungerszeiten verschärfte 52). Wenigstens können wir hier eine aufschlußreiche chronologische Korrelation feststellen: J osephus datiert das entscheidende Anwachsen des Widerstands in die Zeit des Cumanus (48-52 n.Ch., vgl. ant. xx 124). Nun hatte unter dessen Vorgänger eine große Hungersnot das Land zerrüttet und vielen das Leben gekostet (ant. xx 51, 101; Act. xi 27 ff.). Die anti­samaritanischen Übergriffe unter Cumanus dürften daher als Symptom einer verschärften ökonomischen Situation zu deuten sein: Verzweifelte Menschen, die wenig zu verlieren haben, folgen eher extremen Parolen als gesichert lebende Menschen. Die Flucht vor Strafverfolgung, die damals viele zum Widerstand führte,

61) M. HENGEL Zeloten 46: Es handelt sich "größtenteils um Angehörige der sozial benachteiligten Schichten, die u.a. für die gottgewollte Neu­ordnung der Besitzverhältnisse kämpften ... Vermutlich ist der Vorwurf der Habgier, den ]osephus gegen die Räuber erhebt, von hier her zu ver­stehen". Vgl. ferner ebd. S. 341 f.

52) S. ZEITLIN, The Rise and Fall 0/ the judaean State H, Philadelphia 1967, 269: "It is a phenomenon of economic development that, in such crises, the rich swallow the poor. Many lost their farms and a whole new dass of semi-farmers or tenant farmers came into being. Land tenancy on the royal domain had been common. Now private landlords multiplied."

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dürfte mehr der Anlaß als der eigentliche Grund für das Anwachsen des Widerstand sein 53).

4.3. Verwandtschaft: Trotz aller Gegensätze lassen sich zwischen der J esusbewegung und der Widerstandsbewegung verwandte Züge feststellen. Die Situation der Verschuldung wird auch in der Jesus, bewegung reflektiert: Wir begegnen der Angst vor sozialem Ab­stieg, der Angst vor Schuldgefangenschaft (Mt. v 25, xviii 30) und Schuldversklavung (Mt. xviii 25). Die Schulderlässe des ungetreuen Verwalters werden positiv bewertet und verlieren selbst durch zweifelhafte Mittel nichts an Wert (Lc. xvi I H.). Das Winzergleich­nis spiegelt die rebellische Stimmung unter den Pächtern (?) großer Güter (Me. xii 7) 54). Auch die Antwort auf die Krisensituation ist z.T. vergleichbar. Flucht in die Berge war für Widerstandskämpfer wie für christliche Gruppen ein Weg, der "Drangsal" zu entkommen (Me. xiii I4 ff.), auch wenn Me. xiii nicht zum Widerstand, sondern zum Harren auf den Menschensohn aufruft. Die Bereitschaft zum Verlassen des Wohnortes muß damals über diese Gruppen hinaus verbreitet gewesen sein. Wahrscheinlich ist die Quelle von Me. xiii in den Wirren vor Caligulas Tod entstanden 55). Damals verliessen viele Juden mit ihren ganzen Familien Haus und Hof, um sich den Protest demonstrationen in Ptolemais und Tiberias anzuschließen. Vor dem syrischen Legaten Petronius beteuern sie: "Wir entfernen uns aus den Orten, verlassen Häuser und Besitz, und sind bereit, Güter, Geld und Schätze und unser ganzes Vieh herzugeben. Wir glauben, daß wir sie nicht hergeben, sondern empfangen" (Philo Gai. 232 vgl. 225). Solch eine Aussage erinnert unmittelbar an Me. x 28-30. Wie überhaupt der ethische Rigorismus der synopti­schen Tradition Analogien im Ethos der Widerstandskämpfer hat.

53) Auch im Jahre 40 n.Ch. wurde der politische Widerstand möglicher­weise durch drohende wirtschaftliche Misere verschärft: Nach J osephus hatte es im ganzen Jahr noch nicht geregnet (ant. xviii 285). Aber das könnte ein legendarisches Motiv sein. Der plötzlich einsetzende Regen gilt als Gottes Antwort auf das Einlenken des Petronius (so E. M. SMALLWOOD, Philonis Alexandrini Legatio, 32). Weniger legendarisch ist, daß die Gefahr noch keineswegs vorbei ist.

54) Vgl. zum sozialgeschichtlichen Hintergrund des Gleichnisses M. HEN­GEL, "Das Gleichnis von den Weingärtnern Me. 12, 1-12 im Lichte der Zenonpapyri und der rabbinischen Gleichnisse", ZNW 59 (1968) 1-39·

65) So G. HÖLSCHER, "Der Ursprung der Apokalypse Mrk. 13", ThBL 12

(1933) 194-202. Zustimmend z.B. R. PESCH, Naherwartungen, Düsseldorf 1968, 215-218; L. GASTON, No Stone on Another, SupplNovTest 23, Leiden 1970, 23 ff.

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Martyriumsbereitschaft gehört sowohl zur Nachfolge (Mc. viii 34 f.) wie zum Widerstand: Tapfer ertrugen die Sikarier Folter und Qualen (bell. vii 417 ff.; ant. xviii 23 f.), nur um den Kaiser nicht "Herr" nennen zu müssen 56). Rigoros waren sie auch gegenüber Angehörigen: Mord an Freunden und Verwandten wurde im Dienst der Sache gebilligt (ant. xviii 23). Das erinnert an den Haß von Familienangehörigen, der in der Jesusbewegung zur Bedingung der Nachfolge erhoben wurde (Lc. xiv 26). Die pietätlose Forderung, die Toten ihre Toten begraben zu lassen (Mt. viii 22), hat ihre Analogie in der Praxis der Widerstandskämpfer, überläufer zu töten und ohne Begräbnis liegen zu lassen. Angehörige, die ihre Verwandten beerdigen wollten, wurden selbst hingerichtet und blieben ohne Begräbnis (bell. iv 381 ff.). Die Verwerfung des Reich­tums ist beiden Bewegungen gemeinsam, auch wenn die Konse­quenzen sehr verschieden sind. So verwarf die J esusbewegung den­Mord an dem reichen Sacharja ben Berechja aufs Schärfste (Mt. xxiii 35), die Zeloten feierten ihn dagegen als Heldentat (bell. iv 335 ff.). Trotz diametraler Unterschiede zeigen beide Bewegungen formal vergleichbare Züge 57). Das erklärt sich daraus, daß die Radikalität ihres Ethos hier wie dort Ethos sozial entwurzelter Menschen war.

5. Subsiditives Verhalten: Bettelei und Vagabundentum

Nicht alle Bettler sind sozial entwurzelt. Manche leben in ver­trauter Umgebung. Soziale Entwurzelung liegt erst bei Heimat­losigkeit und (oder) Bruch mit vertrauten Verhaltensweisen vor.

5.1. Verbreitung: Bettler sind im NT bezeugt (Mc. x 46 ff.; Lc. xiv 16 ff.; Joh. ix I ff.; Act. iii 2). Aus institutionellen Rege­lungen können wir erkennen, daß sie ein selbstverständlicher Be­standteil der Gesellschaft waren 58). Pea VIII 7a regelt z.B. die Versorgung wandernder Arme: "Man soll dem Armen, der von Ort zu Ort wandert, nicht weniger geben als einen Brotlaib ... Bleibt

56) M. HENGEL, Nachfolge, 64, vermutet, daß das Bild vom Kreuztragen aus zelotischem Milieu stammen könnte.

57) Daher kann Act. v 35 ff. das Wirken des Judas Galiläus und J esu paral­lelisiert werden. Noch Celsus (Or. c. Cels. ii 12) vergleicht Jesus mit einem cr't"plX"'ly6.; und A-ncr't"IXPXo,;. Vgl. dazu M. HENGEL, Nachfolge, 43.

58) Vgl. S, KRAUSS, Talmudische Archäologie IU, Leipzig 1912 (= Hildes­heim 1966) 63-74; J. JEREMIAS, Jerusalem zur Zeit Jesu, Göttingen 19693, 132-134. H. KREISSIG, Zusammenhänge, 51 ff., wendet sich m.E. mit Recht gegen die Meinung, eine gut organisierte Armenpflege habe die Bettelei attraktiv gemacht.

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er über Nacht, so soll man ihm geben, was zum übernachten nötig ist." Auch die Damaskusschrift sieht die Unterstützung "Heimat­loser" vor (CD xiv I4 f.). Bei manchen Bettlern mochte die Arbeits­unfähigkeit simuliert sein. Pea VIII 9d droht ihnen das simulierte Leiden noch vor ihrem Tod als reales Leiden an 59).

5.2. Bedingtheit. Daß wirtschaftliche Verelendung zur Bettelei führt, ist plausibel. Der von Entlassung bedrohte Verwalter erwägt auch Betteln als (theoretische) Möglichkeit (Lc. xvi 3). Meist wird die Arbeitslosigkeit durch Krankheit und Behinderung bedingt gewesen sein. So bittet im Nazaräerevangelium (Frgm. IO) der Mann mit der gelähmten Hand: "Ich war Maurer und verdiente mit (meinen) Händen (meinen) Lebensunterhalt; ich bitte dich, J esus, daß du mir die Gesundheit wieder herstellst, damit ich nicht schimpflich um Essen betteln muß". Zu den Arbeitsunfähigen gehörten auch "Besessene" 60). So wird der verrückte Unheils­prophet in J erusalem von Spenden ernährt (bell. vi 307). Ähnlich fristeten wohl auch andere psychisch Kranke ihr Leben.

5.3. Verwandtschaft: Auch die urchristlichen Wandercharisma­tiker lebten von Spenden (Mt. x 7 ff.). Ihnen war die Bettelweisheit : "Bittet, 30 wird euch gegeben ... " (Lc. xi 9) gut bekannt. Die Regelung Pea VIII 7a für wandernde Arme erinnert an entsprechen­de Regeln der Didache für Wandercharismatiker (xüi 6): Auch ein "Apostel" erhielt nur ein Brot mit auf dem Weg; in der Regel blieb er nur eine Nacht. Natürlich war die Jesusbewegung keine Bettel­bewegung. Aber sie griff profane Verhaltensmuster des Bettelns auf, variierte sie und interpretierte sie neu: Der radikale Verzicht auf Vorsorge war Ausdruck des Vertrauens auf Gottes Fürsorge (Mt. vi 25 ff.).

59) Für W. GRUND MANN, in: Umwelt des Urchristentums I, Berlin I965, I87, sind das "arbeitsscheue und asoziale Menschen". Er kommt nicht auf den Gedanken, daß simulierte Arbeitsunfähigkeit möglicherweise darauf basiert, daß man keine Arbeit gefunden hat. Derartige Urteile sind auf­schlußreich und zugleich deprimierend.

60) Bedenkenswert ist die Meinung J. KLAUSNERS, Jesus von Nazareth, Berlin I930, 363, der zwischen deviantem Verhalten und gesamtgesell­schaftlicher Situation einen Zusammenhang sieht: "Wir haben schon ge­sehen, wie sich Palästina und besonders Galiläa infolge der dauernden Kriege und Unruhen sowie der furchtbaren Bedrückungen durch Herodes und die Römer mit Kranken und Leidenden, Neurasthenikern und Psycho­pathen füllte. Ebenso vermehrten die großen Wirren und die ihnen folgende ökonomische Not die Zahl der Armen, Herabgekommenen und Arbeitslosen derart, daß in Palästina und besonders Galiläa ... sich Nervenleidende, vor allem hysterische Frauen, und alle Arten psychisch Defekte (Paralytiker, Epileptiker, Idioten und Mattoiden ... ) erschreckend häuften."

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6. Subsiditives Verhalten: Prophetische Bewegungen

6.I. Verbreitung: Prophetische Bewegungen lassen sich von ca 35-75 nachweisen 61). Besonders zahlreich scheinen sie unter Felix (52-60 n.Ch.) gewesen zu sein. Summarisch schreibt Josephus hier von Verführern und Betrügern, "die unter dem Vorwand göttlicher Sendung auf Umwälzung und Aufruhr hinarbeiteten und das Volk zu religiöser Schwärmerei hinzureißen suchten, indem sie es in die Wüste lockten, als ob Gott ihnen dort durch Wunder­zeichen ihre Befreiung ankündigen würde" (bell. ii 258 ff.). Vorher treten nur zwei Propheten auf: ca 37 n.Ch. ein Samaritaner, der die verschollenen Tempelgeräte auf dem Garizim entdecken will (ant. xviii 85), ca 44 n.Ch. Theudas, der eine "sehr große Menge" (ant. xx 97) bzw. 400 Anhänger (Act. \' 36) dazu überredete, ihm zum Jordan zu folgen, wo sich der Fluß wunderbar teilen werde. Unter Felix trat ein Ägypter auf, der die Wiederholung des Jericho­wunders an den Mauern Jerusalems verhieß (ant. xx r69). Nach bell. ii 26r ff. hatte er 30.000, nach Act. xxi 38 f. 4.000 Anhänger. Unter Festus verhieß ein Prophet das Ende aller Übel in der Wüste (ant. xx r88). Und am Ende des jüdischen Krieges lockte der Weber Jonathas in der Kyrenaika "nicht wenige" in die Wüste (bell. vii 437 ff.). Alle Bewegungen wurden von dtm Römern mit Waffengewalt niedergeschlagen.

6.2. Bedingtheit: Motive zum Anschluß an derartige Bewegun­gen können nur erschlossen werden. Sicher ist, daß sie sich aus der Unterschicht rekrutierten. Die Anhänger des Theudas nahmen ihren ganzen Besitz mit zum Jordan; viel kann das nicht gewesen sein (ant. xx 97). Der Ägypter scharte den a"YJ[l.O'nxö~ 7tA~OO~ um sich, also Angehörige des einfachen Volkes (ant. xx r69). Jonathas war Weber. Seine Nachfolger gehörten zu den "Besitzlosen", seine Feinde zur jüdischen Oberschicht (bell. vii 438). Die Verheißung der Beendung aller Not weist in Kreise, die Not erfahren haben (ant. xx r88). Der soziale Hintergrund wird derselbe sein wie bei der Widerstandsbewegung, zumal es zahlreiche Verbindungen zu ihr gibt: Die Anhänger des Ägypters werden Act. xxi 38 f. "Sika­rier" genannt, Jonathas ist selbst Sikarier (bell. vii 438).

6.3. Verwandtschaft: Alle prophetischen Bewegungen haben folgende typische Züge: Ein Prophet kündigt ein durch Gott

61) Vgl. M. HENGEL, Zeloten, 234-25 I; R. MEYER, Der Prophet aus Galiläa, Leipzig 1940.

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gewirktes Wunder an, das in typologischer Beziehung zur israeli­tischen Heilsgeschichte steht. Er fordert auf, ihm an den Ort des erwarteten Wunders zu folgen (~m;creOl:~ ant. xx 97 188; &xOAOUeE~V ant. xx 188). Dort greifen die Römer ein. All das finden wir auch in der J esusbewegung: J esus kündigt einen wunderbaren neuen Tempel an, eine Überbietung des alten Tempels. Er ruft zur Nach­folge auf, zieht an den Ort des erwarteten Wunders und wird von den Römern gekreuzigt. Schon im NT wurde sein Auftreten mit dem des Theudas und des Judas Galiläus parallelisiert (Act. v 36 f.). Das war wohl nicht nur Polemik. Denn die Jesusbewegung selbst muß ihre Mitglieder vor den prophetischen Bewegungen warnen. Sie warnte davor, den Messias in der Wüste zu suchen (Mt. xxiv 26)

und falschen Propheten zu "folgen" (Lc. xvii 23). Muß sie sich nicht von den prophetischen Bewegungen angesprochen gefühlt haben, wenn sie vor ihnen warnen muß? Natürlich sind die Unter­schiede groß: Die nationalen Heilspropheten hofften auf Befreiung von aller Fremdherrschaft. Täufer- und J esusbewegung waren viel stärker Umkehrbewegungen. Sie verlangten Buße angesichts des hereinbrechenden Gerichts. Dieser kritische Zug fehlt - soweit wir sehen können - den nationalen Heilspropheten 62).

III. SOZIALE ENTWURZELUNG UND GESELLSCHAFTSKRISE

Im folgenden wird eine zusammenfassende Deutung sozialer Entwurzelung als anomischen Verhaltens versucht 63). Anomie liegt vor, I. wo Mitglieder einer Gesellschaft ihr Leben nicht mehr nach den Normen ihrer angestammten sozialen Umwelt führen

62) Er findet sich dagegen bei Judas Galiläus vgl. XO(}d~UlV (bell. ii II8)

und öve~IHcrcxc; (bell. ii 433). M. HENGEL, Zeloten, 94, denkt an prophetische Scheltrede, wie wir sie aus der Predigt des Täufers kennen.

63) Der Begriff "Anomie" wurde von E. Durkheim in die Soziologie eingeführt. "Sie drückt einen Zustand aus, in welchem die Individuen nicht mehr in der Lage sind, sich den Normen ihrer Gruppe entsprechend zu verhalten. Dies trifft beispielsweise auf ökonomische Krisen zu, welche Menschen in ganz andere Gruppen versetzt und ihnen damit die bisherige Verhaltenssicherheit nimmt, solange sie nicht die ihrer neuen Gruppen­zugehörigkeit entsprechenden Verhaltensregeln gelernt haben." (W. RÜEGG, Soziologie, Funk-Kolleg 6, Frankfurt 1969, 40). P. BERGER, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, Frankfurt 1973, stellte diesen Begriff in die Mitte seiner Religionstheorie : Religion ist Auseinandersetzung und Über­windung von Anomie. Er bezieht den Begriff auf alle sinn- und werter­schütternden Situationen. Wichtig ist: Die oben angeführten religiösen Erneuerungsbewegungen sind selbst keine anomischen Erscheinungen, sondern knüpfen an anomisches Verhalten an, um Anomie Zu überwinden.

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können, 2. wo sich diese Erscheinung überdurchschnittlich ausbreitet und 3. wo die betroffenen Gruppen Veränderungen ihres Status erfahren haben, die zu einer Erschütterung traditioneller Lebens­weise führte. Waren diese drei Bedingungen in Palästina gegeben?

1. Fast alle Phänomene sozialer Entwurzelung sind mit devian­tem Verhalten verbunden, am wenigsten wohl bei Emigranten und Neusiedlern. Aber auch hier konnte es Verhaltensunsicherheit geben. Als Petrus z.B. nach Antiochien kam, war er unsicher, ob er mit Heidenchristen essen sollte oder nicht (Gal. ii I2 ff.). Der Diasporajude Paulus hat für sein Sch.wanken wenig Verständnis und nennt Heuchelei, was wohl auch Orientierungsschwierigkeit in einer fremden Umgebung war 64).

2. Kaum zu beantworten ist die Frage, ob soziale Entwurzelu:qg überdurchschnittlich in der jüdisch-palästinischen Gesellschaft verbreitet war. Denn wir wissen nicht, was "durchschnittlich" war. Hier kann man sich mit zwei Beobachtungen helfen. Zunächst ist auf die Einschätzung von Zeitgenossen zu verweisen. Josephus beurteilt das Ausmaß von Räuberei und Widerstand als aus­gesprochen ungewöhnlich (z.B. ant. xx I24). Aufsehen erregte das Ausmaß der jüdischen Diaspora (z.B. Strabo bei J os. ant. xiv II5; Sib. iii 27I; I Makk. xv 15 ff.; Philo Gai. 28I ff.). Plinius staunte über die Lebenskraft der Qumrangemeinde (nat. hist. v I5 § 73). Zweitens ist auf die qualitative Variationsbreite des Phänomens "soziale Entwurzelung" hinzuweisen: Emigration, Räuberei und Bettelei gab es in jeder Gesellschaft. Ungewöhnlich ist, daß diese Verhaltensmuster in innerjüdischen Erneuerungsbewegungen mit religiösem Sinn erfüllt, daß Emigration zur Gemeindesiedlung, Räuberei zu religiösem und sozialem Widerstand, Bettelei zum Wandercharismatikertum stilisiert und abgewandelt wurde 65). Wenn deviantes Verhalten zur Basis religiöser Erneuerung wird, dürfte es ein charakteristisches Symptom für den Zustand einer Gesellschaft sein. Die einzige Erneuerungsbewegung im Rahmen normalen Lebens war der Pharisäismus.

64) Vgl. P. BERGER, Dialektik, 49: "So waren für den traditionsbewußten Juden Reisen in Gebiete ohne jüdische Gemeinden nicht nur rituell un­möglich, sondern inhärent anomisch (d.h. die einzige ihm faßbare ,richtige' Lebensweise mit anomischer Desintegration bedrohend)".

65) Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß es auch sonst in der Antike eine schöpferische Interpretation devianten Verhaltens gab - z.B. bei den kynischen Wanderphilosophen. Hier gab es ebenfalls Nachfolge vgl. M. HENGEL, Nachfolge, 27-34.

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3. Anomie wird durch Veränderungen des sozialen Status hervorgerufen. Dabei ist zweierlei wichtig: Es kann sich sowohl um Aufstiegs- als auch um Abstiegsprozesse handeln; angestammte Normen können durch beide Prozesse in Frage gestellt werden. Ferner wird Anomie nicht schon durch die Existenz sozialen Drucks hervorgerufen; in der Geschichte ist das Unerträgliche oft erstaun­lich lange ertragen worden. Menschen werden aktiv, wenn sie Hoffnung auf Verbesserung haben oder Verschlechterung droht; wer Maßstäbe eines besseren Lebens kennt, reagiert sensibler auf sozialen Abstieg als der, der im Elend geboren wurde. Daraus folgt, daß es einfältig wäre, anomisches Verhalten auf eine be­stimmte Schicht zu begrenzen. Alle Schichten können in den Strudel sozialer Veränderung hineingerissen werden. Die Existenz von Oberschicht mitgliedern in den verschiedenen sozial ent­wurzelten Gruppen ist daher kein Argument gegen den Zusammen­hang innerjüdischer Erneuerungsbewegungen mit einer umfassen­den Krise der jüdisch-palästinischen Gesellschaft. So gab es zweifel­los Emigranten aus der Oberschicht. Es gab Aristokraten im Qum­ran. Die Widerstandsführer Hiskia, Judas Galiläus und Johannes von Gischala 66) könnten aus der Oberschicht stammen. In der J esusbewegung begegnet ein Syntrophos des Herodes Antipas (Act. xiii I f.). Bei den meisten dieser Oberschicht angehörigen ist wahrscheinlich, daß sie sich in ihrem Status verschlechtert hatten: Die Emigranten waren politische Flüchtlinge, die Qumranzadokiden eine entmachtete Priestergruppe, die von den Hasmonäern ver­drängt worden war. Mit Hiskias Familie ging es bergab: Sein Sohn Judas erscheint als Anführer einer Schar "verzweifelter Männer" (ant. xvii 27I). Johannes von Gischala mochte aus besseren Kreisen stammen; am Anfang seiner Karriere war er auf jeden Fall arm (bell. ii 585). Menahem könnte in den Sturz seines "Freundes" Antipas 39 n.Ch. hineingezogen worden sein. Abgesehen davon dürfte deutlich geworden sein, daß der größte Teil sozial entwurzel­ter Menschen aus mittleren Schichten stammte. Weniger die in Armut geborenen als die verarmten Menschen machten sich auf,

66) Nach bell. iv 208 ff. besaß ]ohannes das Vertrauen der ]erusalemer Aristokratie; nach vita I92 war er Freund des Aristokraten Simon. Es ist wahrscheinlich, aber nicht ganz sicher, daß er selbst zur Aristokratie ge­hörte. Da er nach bell. ii 585 am Anfang seiner Karriere arm war, könnte man mit G. BAUMBACH, "Zeloten und Sikarier " , ThLZ 90 (I965) 727-74°, Sp. 73I schließen, "daß er zu der durch die hellenistische Wirtschaftsform verarmten Schicht des alten Landadels gehörte".

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um jenseits des normalen Lebens ihr Leben zu fristen oder gar nach Wegen zur Erneuerung der Gesellschaft zu suchen. Bei den Wider­standskämpfern ist das an deutlichsten. Sie rekrutierten sich aus ehemaligen Bauern (ant. xviii 274), Verschuldeten (vgl. bell. i 426 f.) und Verarmten (bell. iv 241). Für Essener und die Jesus­bewegung läßt es sich vermuten; wir finden unter ihnen Hand­werker, Bauern, Fischer. Es gibt nun einige Indizien dafür, daß sich die wirtschaftliche Lage für diese Schicht kleiner Leute im 1. Jh. verschlechtert hat, daß sie von Abstieg bedroht und somit sozialer Anomie ausgesetzt waren 67) :

1. Politische Gründe: Seitdem die Römer Judäa direkt verwalteten, wurde auch die Steuereinziehung von ihnen kontrolliert (vgl. den Steuerver­walter Capito in Philo Gai. 199) und die Steuerpolitik unflexibler. Herodes hatte noch zwei Mal Steuernachlässe gewährt, um sozialen Unruhen vor­zubeugen (ant. xv 365, xvi 64). Die Zahlungen an die Römer hat er viel­leicht vorgestreckt. Jetzt aber mußten Steuererleichterungen im fernen Rom beantragt werden, wo es an Intimität mit den diffizilen Verhältnissen in Palästina fehlte 68). Ob die Bitte um Steuererleichterungen bei Tiberius Erfolg hatte (Tac. anno ii 42), wissen wir nicht. Es ist unwahrscheinlich. Auch hören wir nichts von Steuererleichterungen während der großen Hungerkatastrophe unter Claudius 69). Wahrscheinlich waren die Verhält­nisse in den jüdischen Neusiedlungsgebieten der Batanäa symptomatisch. Zu Lebzeiten des Herodes genossen die Neusiedler völlige Steuerfreiheit. Unter seinem Nachfolger Philippus wurden unbedeutende Abgaben erhoben (ant. xvii 23 ff.). Agrippa 1. und II. "erdrückten sie mit Steuern", wurden aber von den Römern darin noch übertroffen (d~ '1:0 7tOC[L7tOC\l) (ant. xvii 28).

67) Zur ökonomischen Situation in Palästina vgl. F. M. HEICHELHEIM, "Roman Syria", in: T. FRANK (Hrsg.): An Economic Survey oj Ancient Rome IV, Baltimore 1938, 121-257; F. C. GRANT, The Economic Background oj the Gospels, Oxford 1926; J. KLAUSNER, jesus von Nazareth, 231-257; H. KREISSIG, "Die landwirtschaftliche Situation in Palästina vor dem jüdischen Krieg", Acta Antiqua 17 (1969) 223-254; ders.: Zusammenhänge, bes. 17-87; ,D. SPERBER, "Costs of living in Roman Palestine", journ. oj the Econ. and Soc. Hist. oj the Orient 8 (1965) 248-271; 9 (1966) 182-211. Im folgenden wird nicht beabsichtigt, eine Analyse der ökonomischen Situa­tion zu geben. Es wird nur auf Indizien für eine Verschlechterung der Lage für die kleinen Leute im I. Jh. hingewiesen.

68) Es hat allerdings eine Steuererleichterung für J erusalem gegeben, und zwar durch den syrischen Statthalter Vitellius (ant. xviii 90). Ob er dazu von Rom bevollmächtigt war?

69) Nach H. BARDTKE, Handschrijtenjunde II, 72 wurden in Qumran 60 Münzen Agrippa I (37-44 n.Ch.), nur 6 Prokuratorenmünzen aus der Zeit des Claudius (also von 44-54 n.Ch.), dagegen 31 Prokuratorenmünzen und eine Silbermünze aus der Zeit Neros (54-68 n.Ch.) gefunden. Das könnte darauf hinweisen, daß die Qumrangemeinde in der Hungerszeit unter Clau­dius kaum Einnahmen hatte, vielmehr ihr Geld weitgehend ausgeben mußte. Daher die unverhältnismäßig geringe Zahl von Münzen aus jener Zeit. Die Zufälligkeit der Überlieferung gestattet jedoch nur vorsichtige Rückschlüsse.

[192] " Wir haben alles verlassen" 137

Hier haben wir einen Beleg dafür, daß sich die Steuerlast im I. Jh. ver­größert hat. Denn nur die Abgabe von Steuern an Philippus läßt sich mit dem Aufhören der unumgänglichen Anfangsbegünstigungen für Neusiedler erklären.

2. Ökonomische Gründe: Einige Indizien sprechen für eine fortschreitende Besitzkonzentration im I. Jh. Herodes hatte durch Konfiskationen un­geheuer viel Land in seine Hand gebracht (ant. xvii 307) 10). Dieser Besitz wurde nach der Absetzung des Archelaos 6 n.Ch. verkauft (ant. xvii 355, xviii 2). Von den Käufern erfahren wir nichts; aber natürlich kamen nur kapitalkräftige Leute in Frage. Durch diese Transaktionen wurden die ohnehin Besitzenden noch reicher. Nun zeichnen sich große Güter vor kleinen dadurch aus, daß sie weit über den Eigenbedarf produzieren können. Sie bestritten den Export. Das ist z.T. gut belegt. Der Balsamexport lag seit je her in den Händen der Herrscher 11). Die herodäischen Fürsten belieferten die angrenzenden phönizischen Städte mit Getreide (Act. xii 20 ff. vita II9).

Öl wurde nach Syrien ausgeführt (bell. ii 591). Belegbar ist ferner, daß man an Exportgeschäften gut verdienen konnte. J ohannes von Gischala nutzte eine günstige Situation aus und konnte Öl Init 700% Gewinn nach Syrien verkaufen (bell. ii 591). Salome, die Schwester des· Herodes, besaß die fruchtbaren Gebiete um Jamnia und Phasaelis, wo Herodes ca 45 km2

Land hatte bewässern lassen. Aus diesen relativ geringen Gebieten bezog sie Einkünfte von 60 Talenten (ant. xvii 321), während z.B. Herodes Anti­pas aus ganz Galiläa und Peräa "nur" 200 Talente bezog (ant. xvii 318 ff.). Die Großen des Landes hatten zweifellos die ertragreichsten Gebiete an sich gezogen und damit den Export. Dieser erlebte aber im I. Jh. einen ungeheuren Aufschwung. Beleg dafür ist das schnelle Wachsen der erst 10 v.Ch. gegründeten Hafenstadt Cäsarea 12). Der augusteische Frieden war zweifellos dem Handel günstig. Und er begünstigte primär die, die ohnehin schon Besitz hatten. Es ist daher kein Zufall, wenn im Gleichnis von den Talenten der kapitalkräftige Geldverleiher - der zudem Züge des Archelaos trägt - gleichzeitig über gute Auslandsbeziehungen verfügt. Der pessimistischen Sentenz am Ende des Gleichnisses muß nichts hinzuge­fügt werden: "Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat, dem. wird auch das genommen werden, was er hat" (Lc. xix 26).

3. Ökologische Gründe: Die Besitzkonzentration und die zu ihr gehörende Verarmung anderer wurde durch ökologische Krisen verschärft 13). Die meisten bei Josephus bezeugten Hungersnöte fallen freilich ins I. Jh. v.Ch.: eine Dürre (65 v.Ch.), ein Orkan (64 v.Ch.), ein Erdbeben (31 v.Ch.), Seuchen (29 v.Ch.), eine Hungersnot (25 v.Ch.). Jedoch nennt Mc. xiii 8 Erdbeben und Hungersnöte als Zeichen der Zeit. Und für ca 46/47 n.Ch. ist die große Hungersnot unter Claudius bezeugt, wie es überhaupt zu seiner Zeit zu

10) A. SCHALlT, Herodes, 260, nennt ihn den "vielleicht einzigen Groß­grundbesitzer in Judäa und in seinem ganzen Staate". Leider wissen wir das nicht so genau.

11) Vgl. Diodor ii 48, 9; Strabo xvii I, 15; Nach Theophrast hist. plant. ix 6, 1 scheinen schon die persischen Könige die Balsamplantagen besessen zu haben. Antonius verschenkte sie an Kleopatra. Von ihr pachtete sie Hcrod('s (hell. i ~IiI f: anL X\" 96).

12) S. ZEITLIN, Rise and Fall, 268: "The opening of the Port of Caesarea in 10 B.C.E. made a great change in Judaea's economic life".

13) Vgl. die Zusammenstellung bei J. JEREMIAS, Jerusalem, 157-161.

138 " Wir haben alles verlassen" [193]

Versorgungsschwierigkeiten im Reich gekommen ist 74). In diesen Zeiten gerieten die Kleinbauern noch mehr in Verschuldung und Abhängigkeit. Die veränderten politischen Verhältnisse hatten auch hier eher negative Wir­kungen. Herodes hatte in der schlimmen Hungersnot 25 v.Ch. durch Ver­kauf eigenen Besitzes das Schlimmste verhindern können (ant. xv 299-316). Von vergleichbaren staatlichen Hilfsaktionen in der schweren Notzeit unter Claudius hören wir nichts, nur von privaten Initiativen (Act. xi 28; ant. xx 51 ff.). Möglicherweise gab es auch ein Mißverhältnis zwischen der land­wirtschaftlichen Leistungskraft des Landes und der Bevölkerungsgröße. Doch läßt sich diese Vermutung nicht genügend erhärten 76).

Wir haben also Grund zu der Annahme, daß im I. Jh. n.Ch. in Palästina wenige Reiche noch reicher geworden sind, während die kleinen Leute - Kleinbauern, Pächter, Fischer und Handwerker­in Bedrängnis gerieten. In beiden Gruppen waren somit die Be­dingungen für anomisches Verhalten gegeben. Möglicherweise gab es bei den "Aufsteigern" Assimilationstendenzen an die römisch­hellenistische Zivilisation, wie sie für die Herodäer bezeugt sind. Aber das wissen wir nicht. In den bedrohten Unterschichtgruppen reagierte man auf die Situation mit latenter Bereitschaft zu sozialer Entwurzelung - auch bei den seßhaften kleinen Leuten (vgl. Mc. xiii 14 ff.; Philo Gai. 225.232). Viele von ihnen verliessen Haus und Hof. Am sensibelsten dürften vor allem marginale Gruppen auf die gesamtgesellschaftliche Situation reagiert haben, insbe­sondere eine notorisch marginale Gruppe: die J ugehd. J osephus

74) Vgl. E. HAENcHEN, "Die Apostelgeschichte", KEK 3, Göttingen 1961, 55 Anm. 4·

75) F. C. GRANT, Economic Background, 81-87, und S. ZEITLIN, Rise and Fall 269, rechnen mit einer Überbevölkerung. Das ist ein sehr anziehender Gedanke. Aber I. wissen wir nicht die absolute Bevölkerungszahl vgl. die stark abweichenden Schätzungen, die A. BYATT, ,,]osephus and Population Numbers in First Century Palestine", PalExplQuart 105 (1973) 51-60, zu­sammengestellt hat; 2. ist Überbevölkerung immer an den ökonomischen Möglichkeiten des Landes zu messen. Nach B. COLOMB/Y. KEDAR, "Ancient Agriculture in the Galilee Mountains", lE] 21 (1971) 136-140, wäre z.B. 97% des Landes bebaut gewesen und daher eine Bevölkerung von 1 1/2 bis 2 Millionen in Galiläa denkbar. 3. Das beste Indiz für Überbevölkerung ist im Grunde die Verbreitung des Phänomens "sozialer Entwurzelung". D.h. wir müßten die Überbevölkerung aus Phänomenen erschließen, die sie dann wiederum erklären soll. Das ist zwar nicht ganz unmöglich; aber methodolo­gisch nicht optimal. So muß es bei der Vermutung bleiben. Sie hat viel für sich. Eine Analogie bietet die Verbreitung sozialer Entwurzelung im Hoch­mittelalter: "Trotz des starken Drucks, der die mittelalterlichen Menschen seßhaft machen will, ... treibt die einfache demographische Ausdehnun~ eine wachsende Menge Einzelpersonen und Gruppen aus ihrem Heimatland und ihren Lebensbedingungen". So J. LEGOFF, Das Hochmittelalter, Fischer Weltgeschichte 11, Frankfurt 1965, 55.

[194J " Wir haben alles verlassen" 139

betont, daß sie für die Parolen der Widerstandskämpfer auf­geschlossen war (z.B. ant. xviii 10; bell. iv 128). Manche von' ihnen haben sich den Essenern angeschlossen. Die Qumrangräber weisen relativ viele jung Verstorbene auf. Andere folgten der J esus­bewegung, auch wenn wir das nur vermuten können. Das Alter J esu wird bei Lc. iii 23 mit 30 Jahren angegeben. Petrus macht noch' ca 20 Jahre nach seiner Berufung große Reisen bis nach Rom. Der Hetrenbruder Jakobus wurde 62 n.Ch. umgebracht. Ein im johanneischen Kreis bekannter Jünger muß noch sehr lange gelebt haben (loh. xxi 22 f.). Die Zebedaiden verließen einen arbeits-

)

fähigen Vater. Aber all das sind keine sicheren Indizien für die Jugend der urchristlichen Wandercharismatiker und ihrer Sym­pathisanten 76).

Wir fassen die Ergebnisse unserer Überlegungen zusammen: Urchristliche Nachfolgeexistenz wurde nicht nur von religiösen, sondern auch von sozialen Bedingungen geprägt. Wenn urchristliche Wandercharismatiker Haus und Hof verließen, so haben sich einige von ihnen möglicherweise sozialem und ökonomischen Druck entzogen; andere mochten sozialen Druck in den ihnen vertrauten Kreisen registriert haben, ohne von ihm direkt betroffen zu sein. Alle aber griffen beim Verlassen des angestammten Wohnortes vorgegebene Verhaltensmuster sozialer Entwurzelung auf. Nach­weisbar ist deren auffällige Verbreitung in der gesamten Gesell-, schaft. Im Einzelfall konnte sie durch kontingente biographische Gegebenheiten bedingt sein. Ihre Verbreitung aber läßt sich nur durch eine umfassende Gesellschaftskrise erklären, in der neben ökologischen und kulturellen Faktoren vor allem politische und ökonomische Faktoren hervortraten. Von solchen Krisen. sind unmittelbar oft nur wenige Gruppen betroffen; sie strahlen den­noch auf die ganze Gesellschaft aus und bestimmen das allgemeine Klima. Menschen neigen dazu, ihre Umwelt auch dann als krisen­haft zu interpretieren, wenn sie persönlich nicht (oder: noch nicht) tangiert sind. Ihr Verhalten richtet sich nicht nur nach den objek­tiven Gegebenheiten, sondern nach deren subjektiven Inter­pretation 77). Objektiv vorgegeben war ein verschärfter Verteilungs-

76) Ein Gegenbeispiel wäre Menahem (Act. xiii r). Herodes Antipas hat 43 Jahre (4 V·-39 n.Ch.) regiert. Sein Syntrophos muß in den 40er Jahren ca. 60 Jahre ,alt gewesen sein.

77) VgI: das sogenannte "Thomas-Theorem". Es besagt, daß "Menschen ihr Verhalten nicht nur nach den objektiven Gegebenheiten einer Situation ausrichten, sondern auch, und mitunter vorwiegend, nach der Bedeutung,

140 " Wir haben alles verlassen" [195]

kampf zwischen den Schichten. Er bedrohte die kleinen Leute mit Abstieg und machte andere reich. Durch diese Veränderungs­prozesse wurden tradierte Verhaltensweisen, Normen, Werte und Sinndeutungen in Frage gestellt. Die ganze Gesellschaft war von Anomie bedroht. Diese Anomie wurde religiös als Beginn der endzeitlichen Krise gedeutet, als Zerfall von Gesetz (&.vofLtex Mt. xxiv 12), Familie, Liebe und Ordnung, ja als Erschütterung des ganzen Kosmos. Die eschatologische Katastrophenstimmung ist m.E. Interpretation sozialer Anomie. In diese Interpretation ist neben den objektiven Gegebenheiten die soziokulturelle Tradition des Judentums, z.B. die Apokalyptik, eingegangen. Sie ist einerseits Reflex der Krise, andererseits machte sie Kräfte zu ihrer über­windung frei: Der Glaube an eine nahe Wende aller Dinge be­günstigte das Experimentieren mit neuen sozial-abweichenden Lebensformen. Verschiedene religiöse Erneuerungsbewegungen ver­suchten, die anomische Situation durch neue Orientierungen zu überwinden, unter ihnen die Jesusbewegung 78). Sie rekrutierte sich wie die anderen Bewegungen vor allem aus marginalen Gruppen, d.h. aus Gruppen am Rande einer Schicht, die vom Abstieg bedroht waren oder sich unter veränderten Verhältnissen zurechtfinden mußten, aus Außenseitern verschiedener Art, zum Teil wohl auch aus der Jugend. Bei all diesen Gruppen bestand eine Chance für jene abweichenden, oft exzentrischen Lebensformen, die in den innerjüdischen Erneuerungsbewegungen praktiziert wurden, und bei denen allgemein verbreitetes deviantes Verhalten - Emigra­tion, Räuberei und Bettelei - aufgegriffen und schöpferisch modifiziert wurde. Nur die Pharisäer brachten es fertig, religiöse Erneuerung und normale Alltäglichkeit zu versöhnen. Das ist ihre große Leistung. Sie setzten sich noch im I. Jh. n.Ch. durch. Alle anderen Erneuerungsbewegungen scheiterten. Auch die J esus­bewegung. Sie hatte erst außerhalb Palästinas Erfolg, nachdem sie sich unter veränderten Verhältnissen zum hellenistischen Ur-

die diese Situation für sie hat" (K. R. MERToN, "Die Eigendynamik gesell­schaftlicher Voraussagen", in: Logik der Sozialwissenschaften hrsg. v.E. Topitsch, Köln 1967, 144-161, dort S. 145).

78) Es ist m.E. eine der wichtigsten Aufgaben der Religion, den Menschen vor Anomie zu bewahren oder in einer gegebenen anomischen Situation nach neuen Werten, Sinndeutungen und Lebensformen zu suchen. Wenn eine Religion dies Verlangen nach neuen Lebensformen weder aus sich heraus­setzen noch in sich integrieren kann, dann dürfte sie gestorben sein.

[196] " Wir haben alles verlassen" 141

christentum verwandelt hatte. Der ehemalige Pharisäer Paulus spielte dabei eine wesentliche Rolle: Auch dieser Erfolg setzte Anpassung an die normale Alltäglichkeit voraus 79).

79) Abschließend sei wenigstens kurz skizziert, wie sich religiöses Auto­nomieverständnis angesichts der faktischen Bedingtheit von Religion inter­pretieren läßt: 1. Als "relative Autonomie": Die sozialen Faktoren bestim­men nicht die Nachfolgexistenz als solche, sondern als Variante sozialer Entwurzelung. Sie lassen z.B. offen, ob jemand Heiliger oder Krimineller wird. 2. Als "funktionale Autonomie": Ein Verhaltensmuster kann aufgrund ökonomischer Motive Verbreitung finden,' aber dann von Menschen auf­gegriffen werden, die nicht von ökonomischen Motiven bewegt sind, deren Verhalten aber ohne jene ökonomisch bedingten "Vorbilder" und "Analo­gien" nicht denkbar wäre. 3. Als "oppositionelle Autonomie": Divergenzen zwischen autonomen Selbstverständnis und faktischem Bedingungszu­sammenhang sind nicht immer als "falsches Bewußtsein" zu deuten. Auto­nomiebewußtsein, auch wenn es nicht autonom ist, kann in der Abweichung von der Realität eine Bewegung gegen sie zum Ausdruck bringen und z.B. zum Protest gegen jenen Bedingungszusammenhang werden, der dem Zugriff von "Motte und Rost" ausgesetzt ist (Mt. vi 19).

6.

Die Tempelweissagung Jesu

Prophetie im Spannungsfeld von Stadt und Land1

[144J

Jesus wird vor dem Synhedrium beschuldigt, er habe gesagt: "Ich werde diesen mit Händen gemachten Tempel zerstören und innerhalb drei Tagen einen anderen nicht mit Händen gemachten Tempel errichten" (Mark. 14,58). Das Wort bringt zunächst eine ambivalente Haltung gegenüber dem Tempel zum Ausdruck: Der Tempel soll nicht schlechthin verschwinden, er soll einem neuen Platz machen. Es hat ferner für seinen Urheber negative Folgen. Der damit angedeutete geschichtliche Kontext soll im folgenden wei­ter erhellt werden. Erstens wird untersucht, welche soziale Dynamik in jener Verschränkung von Opposition und Identifikation zum Ausdruck kommt, zweitens, welche Auswirkungen die Tempelweissagung hatte. Im Rahmen einer Faktorenanalyse werden gesellschaftliche Einwirkungen auf die über­lieferung untersucht, im Rahmen einer Funktionsanalyse Auswirkungen der überlieferung auf die Gesellschaft. Zur Faktorenanalyse wird die Hypothese vertreten, daß in der Tempelweissagung Spannungen zwischen Stadt und Land, d. h. zwischen Jerusalem und seinem jüdisch besiedelten Hinterland zum Ausdruck kommen2 , zur Funktionsanalyse, daß die Tempelweissagung nicht nur in der Aristokratie, sondern auch im einfachen Volk als Angriff auf den religiösen und materiellen status quo verstanden werden mußte. Keine der beiden Hypothesen setzt die Echtheit der Tempelweissagung voraus. Ihr sozialer Kontext wäre derselbe - unabhängig davon, ob sie von J esus oder ei­nem urchristlichen Propheten formuliert worden ist. Grundlegende Wand­lungen in der Sozialstruktur Palästinas gab es erst nach 70 n. ehr. Dennoch seien einige Argumente für die Echtheit skizziert. U nableitbarkeit aus Juden­tum und Urchristentum gelten dabei als primäre, übereinstimmung mit dem gesamten Wirken J esu als sekundäre Kriterien für Authentizität.

1. Die Tempelweissagung läßt sich nicht aus jüdischen Traditionen abI ei-

1 Die Thesen dieses Aufsatzes habe ich am 28. 5. 75 in Kiel und am 30. 5. 75 in Heidelberg vorgetragen. Meinen Kollegen danke ich für mannigfache Anregung.

2 Die Stadt-Land-Formel vereinfacht die Sozioäkologie Palästinas. Zu unterscheiden sind: hellenistische Stadtstaaten, jüdisch besiedeltes Land, unbesiedelte Wüsten und Gebirge, die jü­dische Metropole. Der sozioäkologische Stadtbegriff ist vom verfassungsrechtlichen Polis-Be­griff zu unterscheiden. Jerusalern war keine Polis, vgl. V. A. TSCHERIKOVER, Was Jerusalern a ,Polis'?: Isr. Expl. Joum. 14 (1964), S. 61-78. Zur Urbanisation Palästinas vgl. A. H. M. Jo­NES, The Urbanization of Palestine: Joum. Rom Stud. 21 (1931), S. 78-85; DERs, The Cities of me Eastem Roman Provinces (1937), S. 227-295.

[144/145J Die Tempelweissagung Jesu 143

ten. Die Kombination von Tempelzerstörung und -erneuerung in einem Wort ist traditionsgeschichtlich singulär3 • Und doch ist sie geschichtlich nicht ohne Vorbild. Denn Herodes I hatte 20/19 v. Chr. den Serubbabelschen Tempel abreißen und einen neuen errichten lassen (Jos Ant 15,380ff). Seit­dem hatte prophetische Phantasie ein Modell, nach dem sie ihre Zukunftsvi­sionen gestalten konnte. Der terminus a quo dürfte damit feststehen.

2. Die Tempelweissagung läßt sich nicht aus dem Urchristentum ableiten. Terminus ad quem ist die Tempelzerstörung 70 n. Chr., denn das Wort ist kein vaticinium ex eventu. Sein positiver Teil, die Errichtung eines neuen Tempels, ging nicht in Erfüllung. Der negative Teil erfüllte sich anders: nicht Jesus, sondern die Römer zerstörten den Tempel4 • Daß ein urchristlicher Prophet vor 70 n. Chr. das Wort formuliert hat, ist unwahrscheinlich. Das Tempelwort wurde umgedeutet. Stephanus spiritualisiert seinen zweiten Teil: Anstatt einer Wiedererrichtung des Tempels kündigt er die Änderung mosaischer Gesetze an (Apg 6,14). Das Joh. spiritualisiert beide Teile: Zer­störung und Wiedererrichtung des Tempels werden auf J esu Tod und Aufer­stehung gedeutet. Das Matth. setzt die ganze Weissagung in den Potentialis: Jesus kann zerstören und wiedererrichten (Matth 26,61). Wahrscheinlich er­folgte diese Umdeutung der Weissagung deshalb, weil sie nicht in Erfüllung gegangen war. Dazu kommen andere Gründe. Den christlichen Gruppen wurde Tempelfeindlichkeit vorgeworfen. Die Tempelweissagung begegnet fast immer im Munde von Gegnern (Mark 14,58; Apg 6,14; Petr Ev 7,26). Die Christen hätten ihren Gegnern freiwillig Munition geliefert, wenn sie das Wort eines ihrer Propheten Jesus in den Mund gelegt hätten.

3 Weissagungen gegen den Tempel sind nie unmittelbar mit der Verheißung eines neuen Tempels verbunden. Äth. Hen. 90,28 f. bezieht sich nicht auf den Tempel, sondern auf} erusalem (vgl. 91,13; 25,5; 89,73). Ich kann hier nur auf die gründliche Untersuchung von L. GASTON, No stone on antoher, = Nov. Test. Supp!. 23 (1970), S. 65-243, verweisen. Gaston hält nur die zweite Hälfte der Weissagung für authentisch. Der erste Teil ist in der Tat zumindest umformu­liert worden. Der Tempelspruch begegnet oft im Munde von Gegnern (Ausnahmen: Joh. 2,19; Thom. Ev. 71). Vermutlich gab man ihm eine Form, die Jesus in Mißkredit bringen konnte. Zu fragen ist, ob die 1. P.Sg. Akt. auf solch eine verleumderische Umformulierung zurückgeht. Denn man konnte Jesus nur anschuldigen, wenn man unterstellte, er wolle die Tempelzerstö­rung aktiv betreiben (etwa durch Brandstiftung u. ä.), nicht aber, wenn er seine Zerstörung im Rahmen der eschatologischen Wende angekündigt hat. Daß Mark. 13 ,2 die 1.P .Sg.Akt. durch die 3.P.Sg.Pass., Joh. 2,19 durch die 2.P.P!. ersetzt, ist zwar auch im Kontext begründet, könnte aber Indiz für eine ursprüngliche Variabilität der überlieferung sein. Vgl. O. BETz, Die Frage nach dem messianischen Bewußtsein Jesu: Nov. Test. 6 (1963), S. 20-48, S. 37 A. 2; F. HAHN, Das Verständnis der Mission im Neuen Testament (1965), S. 29 A. 3. Für Nichtau­thentizität des Tempelworts plädiert E. LINNEMANN, Studien zur Passionsgeschichte (1970), S. 125-127, mit der Begründung, es sei aus dem Judentum nicht ableitbar.

4 Die negative Hälfte der Tempelweissagung wurde in Mark. 13,2 sekundär zum vaticinium ex eventu; sie wurde isoliert, weil nur sie eingetroffen ist. Auch so ist noch die ursprüngliche Prophetie erkennbar: Der Tempel wurde zunächst durch Feuer zerstört (Jos. Bell. 6,228 ff), dann geschliffen (Jos. Bell. 7,1 ff). Ein reines vaticinium ex eventu hätte beide Vorgänge ge­nannt. Anders N. WALTER, Tempelzerstörung und synoptische Apokalypse: Zs. nt. Wiss. 57 (1966), S. 38-49.

144 Die Tempelweissagung Jesu [145/146J

3. Die Tempelweissagung fügt sich gut in den Rahmen des Wirkens J esu. Wort- und Erzähltradition weisen in dieselbe Richtung: Tempelreinigung und -weissagung bringen beide Aggression und Identifikation hinsichtlich des Tempels zum Ausdruck, die Tempelweissagung als prophetisches Wort, die Tempelreinigung als zu ihr gehörende prophetische SymbolhandlungS . Das Wort paßt gut zur Naherwartung Jesu; nur im Rahmen kosmischen Wandels wären Zerstörung und Erneuerung des Tempels denkbar. Schließ­lich fügt sie sich gut in den geschichtlichen Ablauf. Sie motiviert, warum Je­sus und seine Anhänger nach J erusalem zogen - auch andere vergleichbare Propheten des 1. Jh. n. Chr. zogen mit ihren Anhängern an den Ort des von ihnen angekündigten Wunders6 • Sie motiviert ferner, warum die Jünger nach Ostern ihr Zentrum in Jerusalem hatten: Hier erwarteten sie entscheidende eschatologische Ereignisse.

Die folgenden Ausführungen sind jedoch unabhängig vom Problem der Authentizität des Wortes. Denn dieselben sozialen Faktoren können Ge­schichte und Traditionsgeschichte, historische Realität und Phantasie be­stimmen. Soziologische Analyse bezieht I sich auf Typisches, Wiederkehren­des, Strukturelles, also auf das, was für mehrere Personen und Situationen Gültigkeit besitzt, gleichgültig ob es sich um J esus, um urchristliche Prophe­ten oder Gemeinden handelt. Eben darin liegt ihre Grenze. Das Singuläre der Tempelweissagung kann sie nur unzureichend erfassen. Sie erfaßt nur einige Aspekte.

1.

Die Opposition gegen den Tempel ist der Aspekt der Tempelweissagung, der hier am meisten interessiert. Zu zeigen ist, daß diese Opposition vor al­lem in der Landbevölkerung verwurzelt war. Dem scheint die Tatsache zu widersprechen, daß die Landbevölkerung in den Wirren der Jahre 39/40 n. Chr., als Caligula versuchte, sein Standbild im Tempel aufzustellen, eine bis zur Todesbereitschaft gehende Bindung an den Tempel zeigte. Gerade die Bauern verließen damals ihre Äcker, um sich den Protestdemonstrationen anzuschließen. Die Vernachlässigung der Landwirtschaft war so groß, daß man um Ernte und (als Folge davon) um die Steuerzahlungen fürchten mußte (Jos. Ant. 18,274.287). Aber gerade diese gesteigerte Identifikation mit dem Tempel ist die beste Basis für eine entschiedene Opposition: Je heiliger eine Institution ist, um so schärfer wird oft die Kritik an ihrer faktischen Gestalt.

5 So u. a. HAHN (A. 3), S. 29 f; H. SCHÜRMANN, Die Symbolhandlungen Jesu als eschatolo­gische Erfüllungszeichen: Bib. u. Leb. 11 (1970), S. 29-41, 73-78; J. ROLOFF, Das Kerygma und der irdische Jesus (1970), S. 95. In Joh. 2,13-22 sind Tempelweissagung und -reinigung verbunden.

6 Vgl. Theudas (Jos. Ant. 20,97), ein ägyptischer Prophet (Ant. 20,169f; Bell. 2,261ff), ein samaritanischer Prophet (Ant. 18,85ff), Jonathan (Bell. 7,437ff). Dazu R. MEYER, Der Prophet aus Galiläa (1940), S. 82ff; G. THEISSEN, Urchristliche Wundergeschichten (1974), S. 242f.

[146/147J Die Tempelweissagung Jesu 145

Mißt man mit der Elle des Absoluten, so muß sich alle irdische Realität kom­promittieren. Es ist daher kein Widerspruch, wenn wir neben einer hohen Bindung an den Tempel eine energische Opposition finden7 .

Dabei lassen sich idealtypisch a) prophetische und b) programmatische Tempelopposition unterscheiden: Ein Prophet sagt, was mit dem Tempel ge­schehen wird, ein Programm, was mit ihm geschehen soll. Prophetische Op­position ist an eine bestimmte Person gebunden, ein Programm wird von ei­ner Gruppe getragen und ist von einzelnen Gruppengliedern (die z. B. in­folge des Generationenwechsels ein- und ausscheiden können) unabhängig. Daß sich beide Formen der Opposition gegenseitig bedingen, versteht sich von selbst. Nur zum Zwecke der Analyse trennen wir sie.

a) Die verschiedenen Fälleprophetischer Tempelopposition lassen sich un­ter zwei Aspekten vergleichen: Erstens ist nach den Verkündigern von Drohworten gegen den Tempel zu fragen, zweitens nach der Verkündi­gungssituation, d. h. nach den Gelegenheiten, bei denen diese Prophetien verkündigt wurden.

Als Verkündiger eines Drohwortes gegen den Tempel steht J esus nicht all­ein in der jüdischen Religionsgeschichte. Von Micha, U ria und J eremia sind Drohworte erhalten bzw. bezeugt (Mi 3,9ffj Jer 26,20ffj 26,lff). Hinzu kommt aus neutestamentlicher Zeit Jesus, der Sohn des Ananus, dessen Un­heilsprophetie J osephus unter den Vorzeichen der Tempelzerstörung auf­führt (J os Be116,300 ff):

"Ein gewisser Jesus, des Ananus Sohn, ein ungebildeter Landmann, kam vier Jahre vor dem Ausbruch des Krieges ... zu dem Fest, an dem der Sitte gemäß alle Juden Gott zu Ehren Laubhütten in der Nähe des Tempels errichten, und fing da plötzlich an zu rufen:

,Eine Stimme vom Aufgang eine Stimme vom Niedergang, eine Stimme von den vier Winden; I eine Stimme über J erusalem und den Tempel, eine Stimme über Bräutigame und Bräute, eine Stimme über das ganze Volk!'

Tag und Nacht rief er dies, in allen Gassen der Stadt umherlaufend .. "

Der Verrückte setzte sein Wehgeschrei bis zum jüdischen Krieg fort und kam bei der Belagerung J erusalems um. Analogien zum Auftreten J esu sind in fünf Punkten gegeben: 1. im Drohwort gegen den Tempel, 2. in der Ver­kündigungssituation des Festes, 3. in seiner Inhaftierung durch die einhei­mische Aristokratie, 4. in seiner übergabe an die Römer. Hier interessiert

7 V gl. O. CULLMANN, L' opposition contre le temple de J erusalem, motif commun de la theo­logie johannique et du monde ambiant: New Test. Stud. 5 (1959), S. 157-173. Sein Schüler Gaston (A. 3), S. 119ff, 150 ff passim, bringt einen umfassenden überblick über alle tempelkri­tischen Strömungen.

146 Die Tempelweissagung Jesu [147/148J

der fünfte Punkt: Alle fünf gegen den Tempel weissagenden Propheten stammen vom Lande; Micha aus Moreseth (Mi. 1,1), Uria aus KirjathJearim (Jer 26,20), Jeremia aus Anathot (Jer. 1,1), Jesus aus Galiläa. Der Sohn des Ananus wird als ungebildeter Landmann charakterisiert.

Das Bild wird etwas komplizierter, wenn wir weitere Tempelweissagun­gen berücksichtigen, zunächst die des Stephanus. Er könnte aus der Diaspora stammen, da er sich in J erusalem an die dort anwesenden Diasporajuden wendet und einer seiner Anhänger aus Antiochia stammt (Apg 6,5). Auf­schlußreicher ist für uns, daß seine Anhänger nach seinem Tode zunächst auf dem Lande weiter wirken (Apg. 8,1 ff). Waren sie hier sicherer?

Bei der Tempelprophetie Matth. 23 ,37 ff ist der Autor unbekannt8 • Der er­ste Teil besteht aus einem Scheltwort gegen J erusalem, das seine Propheten steinigt. Der zweite droht damit, daß Gott den Tempel verläßt - möglicher­weise als Vorstufe zu seiner Zerstörung. Denn J osephus und Tacitus wissen davon zu berichten, daß vor der Katastrophe eine Stimme im Tempel den Exodus göttlicher Präsenz angekündigt habe (Tac. Hist. V, 13; Jos. Bell. 6,299; 2. Bar. 8,lf.). Beide werten das als Anzeichen der Zerstörung. Wahr­scheinlich gehört die Prophetie in die Zeit vor dem jüdischen Krieg. Auf je­den Fall ist sie aus außerjerusalemer Perspektive gesprochen. Denn die Boten werden nach Jerusalem "gesandt", als kämen sie von anderswo, und die Je­rusalemer werden in der 2. Pers. PI. angeredet. Der Tempel ist "ihr" Haus.

Schließlich muß noch ein um 35 n. ehr. auftretender samaritanischer Pro­phet erwähnt werden9 . Er verheißt seinen Anhängern, sie würden auf dem Garizim die verschollenen Tempelgeräte wiederfinden. Darin liegt natürlich eine Spitze gegen den Jerusalemer Tempel. Auch diese Bewegung hat ihr Zentrum auf dem Lande. Man versammelt sich zum Zug auf den Garizim in dem samaritanischen Dorf Tirathana. Nach J osephus ließ Pilatus die Menge so barbarisch niedermetzeln, daß er mit Erfolg verklagt wurde (Jos.Ant. 18,85-89)1°. Sein Eingreifen zeigt, daß er bei dem Stichwort "Tempel" au­ßerordentlich hellhörig war. I

Wir halten fest: Die prophetische Opposition gegen den Tempel wird vor allem von Menschen getragen, die nicht aus J erusalem selbst stammen, son­dern in der Mehrzahl ländlicher Herkunft sind.

8 Vgl. die gründliche Analyse von O. H. STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten (1967), S. 48-50; 227-239, der den Spruch zwischen 66 und 70 n. Chr. ansetzt. Er könnte natürlich auch älter sein. Wir wissen noch nicht einmal sicher, ob nicht Jesus doch sein Autor ist.

9 Vgl. M. F. COLLINS, The Hidden Vessels in Samaritan Traditions: Joum. Stud. Jud. 3 (1972), S. 97-116. Die Samaritaner glaubten, daß der Taheb, der Messias, die verborgenen Tem­pelgeräte offenbaren werde; J. MAcDoNoLD, The Teology of the Samaritans (1964), S. 365.

10 M. GRANT, The J ews in the Roman World (1973), S. 112, bestreitet, daß die Niedermetze­lung der Samaritaner der entscheidende Grund für die Abberufung des Pilatus gewesen ist. Schwer vorstellbar ist, daß ein Präfekt sein Amt verlor, wenn er drastisch gegen eine bewaffnete Bewegung vorging. Als Vitellius nach der Abberufung des Pilatus in Palästina erschien, beru­higte er zunächst die Gemüter in Judäa und J erusalem. Auch hier hat es wohl Probleme gegeben.

[148] Die Tempelweissagung Jesu 147

Nicht nur die Herkunft vom Land verbindet J esus mit dem gleichnamigen Unglückspropheten. Beide treten bei einem Fest in Jerusalern auf: J esus beim Passa, der Sohn des Ananus beim Laubhüttenfest. Gerade für die großen Fe­ste sind aber Spannungen zwischen Stadt- und Landbevölkerung belegt. Vier Vorfälle seien aufgeführtll. Der erste Vorfall spielt sich nach dem Tode des Herodes (4 v. Chr.) ab. überall brachen damals im Lande Unruhen aus: in Galiläa, Peräa und Judäa (Jos. Ant. 17,269-284). Diese Unruhen griffen auf J erusalem über, als die Landbevölkerung zum Fest in die Stadt strömte. Nach Niederschlagung des Aufstands entschuldigen sich die J erusalemer damit,

"daß das Volk des Festes wegen in Jerusalem so zusammengeströmt sei, und daß der Krieg nicht auf ihren Rat unternommen worden; vielmehr trage lediglich der übermut der Auswärtigen die Schuld daran; sie selbst seien mit den Römern mehr be­lagert gewesen, als daß es ihnen in den Sinn gekommen wäre, die Römer zu belagern" (Jos Ant 17,293).

Natürlich handelt es sich dabei auch um eine Schutzbehauptung. Aber sie hat einen wahren Kern: Die Landbevölkerung war rebellischer als die Stadt12• Darum wurde von da ab an Festtagen die militärische Präsenz der Römer verstärkt, "um etwaige aufrührerische Bewegungen der versammel­ten Menge zu unterdrücken" (Jos. Bell. 2,224). Solche militärische Präsenz hat rebellische Gesinnung jedoch nur unzureichend dämpfen können, wurde vielmehr selbst zur Quelle neuer Querelen, wie ein zweiter Vorfall ein halbes Jahrhundert später (unter Cumanus 48-52 n. Chr.) zeigt:

"Als nämlich das Volk zum Fest der ungesäuerten Brote nach Jerusalem zusam­menströmte, war über der Säulenhalle des Tempels eine römische Kohorte aufge­stellt ... Da zog auf einmal einer der Soldaten seinen Mantel in die Höhe, kehrte mit einer unanständigen Verbeugung den Juden das Gesäß zu und gab einen seiner Stel­lung entsprechenden Laut von sich" (Jos Bell 2,224)13.

Die Provokation löst Unruhen aus. Es kommt zu Steinwürfen. Eine Panik bricht aus. Viele Menschen kommen um. Weitere Unruhen unter Cumanus spielen sich auf dem Lande ab. Vorfälle unter seinem Nachfolger Felix mögen

11 Ein weiterer Vorfall findet sich in Jos. Ant. 17,213f und 20,118ff. Vgl. noch]. BLINZLER, Die Niedermetzelung von Galiläern durch Pilatus: Nov. Test. 2 (1958), S. 24-49.

12 Zu den Unruhen nach dem Tod des Herodes vgl. M. HENGEL, Die Zeloten (1961), S. 331-336. Hengel betont mit Recht die dabei manifest werdenden Spannungen zwischen Stadt und Land (vgl. S. 335). Er hat auch die Vorgeschichte dieser Spannungen erhellt: Das überge­wicht der Stadt gegenüber dem Land hat sich während des allgemeinen ökonomischen Auf­schwungs in hellenistischer Zeit entwickelt; vgl. M. HENGEL, Judentum und Hellenismus (1969). S. 101 f. Noch weiter ging L. FINKELSTEIN, The Pharises. The Sociological Background of their Faith (1938, 19633), der die gesamte jüdische Religionsgeschichte vom Stadt-Land-Kon­flikt her deutete.

13 Bei diesem Furz des Soldaten handelt es sich u. U. um eine verbreitete antijüdische und all­gemeine Verachtungsgeste. Sie begegnet in der Schwätzersatire Horaz': vin tu curtis Iudacis op­pedere (Sat. I, 9, 70) und bezieht sich dort auf Verletzung der Sabbatruhe durch Geschäfte. Für den Hinweis auf Horaz danke ich Prof. Ph. Vielhauer.

148 Die Tempelweissagung Jesu [148/149]

als drittes Beispiel dienen. Felix hatte die Widerstandsbewegung auf dem Lande zwar erfolgreich bekämpft - mit dem Ergebnis jedoch, daß diese nun in der Stadt aktiv wurde14 • Ihr erstes Opfer wurde der Hohepriester Jonathan (Jos. Bell. 2, 256); der Mord war u. U. vom römischen Prokurator bestellt (Ant20,163). Nach dem Gesetz der Serie kam es zu einer Fülle von Morden:

"Da man den Mord ganz ruhig geschehen ließ, kamen in der Folge die Räuber an Festtagen ganz offen zur Stadt, mengten sich unter die Volksmassen und stachen teils die eigenen Feinde, teils I andere nieder, gegen die sie sich für Geld dingen ließen, und das nicht bloß in der Stadt, sondern manchmal auch im Tempel; denn sie waren so verwegen, auch dort zu morden, ohne daß sie meinten, dadurch einen Frevel zu bege­hen" (Jos. Ant. 20,165).

Aufschlußreich ist: Die Widerstandskämpfer haben keinen Respekt vor heiligen Orten und Zeiten. Sie nutzen Feste und Tempel für ihre terroristi­schen Aktivitäten - wahrscheinlich mit gutem Gewissen; denn sie sind über­zeugt, den heiligen Willen Gottes zu vollstrecken. Diese Distanz zum Tem­pel wird auch im letzten Beispiel deutlich. Unter Albinus (62-64/5) drangen Widerstandskämpfer während eines Festes in die Stadt, nahmen den Sekretär des Tempelhüters Eleazar als Geisel mit und erpreß ten so die Freilassung von zehn inhaftierten Genossen (Jos. Ant. 20,208f). Die Nachgiebigkeit der Be­hörden ermunterte zu weiteren Unternehmungen dieser Art:

"Die Räuber suchten jetzt auf jede Weise irgend einen von Ananus' Angehörigen oder Freunden in ihre Gewalt zu bekommen und hielten sie jedes Mal so lange gefan­gen, bis einige Sicarier freigegeben wurden. So wuchs ihre Zahl wieder und mit neuem übermut verwüsteten sie das ganze Land" (Jos. Ant. 20, 210).

Unverkennbar ist, daß die auf dem Lande operierende Widerstandsbewe­gung in der Tempelaristokratie ihren Feind sah15 • Für uns ist entscheidend: Die zu den Festen hereinströmende Landbevölkerung mußte in den Augen der für die Ordnung verantwortlichen Behörden als Sicherheitsrisiko be­trachtet werden, teils weil die Landbevölkerung aufrührerisch war, teils weil die große Menge Unruhestiftern Deckung bot. Latente Spannungen zwi­schen Stadt und Land wurden so an den Festtagen immer wieder manifest.

Das gilt auch für die Passionsgeschichte16 , wobei wir die Frage ausklam­mern können, inwieweit diese Spannungen die Geschichte oder die Tradi­tionsgeschichte bestimmt haben. Hohepriester und Schriftgelehrte waren sich darüber einig, daß Jesus nicht am Fest inhaftiert werden sollte, damit es

14 Dazu vgl. HENGEL (A. 12), Zeloton S. 49 und 357f. 15 Es spricht nichts für die Vermutung, daß die Erpreßten mit den Erpressern konspirierten,

wie G. BAuMBAcH, Jesus von Nazarethim Lichte der jüdischen Gruppenbildung (1971), S. 54, vermutet. Zur Politik der Hohenpriester vgl. noch E. M. SMALLWOOD, High Priests and Poli­tics in Roman Palestine: Journ. Theol. Stud. 13 (1962), S. 14-34.

16 Mit Recht urteilt HENGEL (A. 12), Zeloten, S. 371 A. 1: "Auch für das Verständnis der Passion ist er (sc. der Gegensatz von Stadt und Land) wesentlich." Der vorliegende Aufsatz wurde durch diese Bemerkung angeregt.

[149/150J Die Tempelweissagung Jesu 149

keine Unruhe unter dem Volk gab (Mk 14,2). Mit "Volk" kann nur das zum Fest hereinströmende Landvolk gemeint sein, die Jerusalemer waren ja stän­dig präsent. Offensichtlich fürchtete man, daß Jesus unter der Landbevölke­rung Sympathien besaß. Dazu paßt, daß nach dem Einzugsbericht die zum Fest pilgernden Menschen Jesus mit Hosianna feierten (Mark. 11,9) - nicht die J erusalemer. Seines Leichnams nahm sich J oseph von Arimathia an (Mark. 15,43) - kein Jerusalemer. Für die Aufsichtsorgane war die Jesusbe­wegung nur ein Sonderfall der vom Land nach J erusalem hereingeschleppten Unruhen. Deshalb interessierte man sich vor allem für die Herkunft des Pe­trus und fragte ihn, ob er "zu dem Nazarener Jesus" gehöre (Mk. 14,67). Schon die Tatsache, daß er Galiläer war (Mark. 14,70), machte ihn verdäch­tig. Die Behörden hatten vermutlich einschlägige Erfahrungen. Nach Lk. 13,1-3 war Pilatus gegen galiläische Pilger in Jerusalem vorgegangen17 .1

Unsere erste Hypothese basiert so weit auf zwei Analogieketten: Einer­seits stammen die meisten Träger von Drohungen gegen den Tempel vom Lande, andererseits tritt Jesus mit seinem Wort gegen den Tempel bei einer Gelegenheit an die Öffentlichkeit, in der häufig Spannungen zwischen Stadt und Land manifest wurden.

b) Daß die Tempelopposition J esu eine ihrer Wurzeln in diesen Spannun­gen zwischen Stadt und Land hatte, läßt sich durch einen Blick auf die pro­grammatische Tempelopposition weiter untermauern. Sehen wir von den Sa­maritanern ab, so gab es zwei Gruppen innerhalb des Judentums, die in pro­grammatischer Opposition zum Tempel standen: die Essener und Zeloten (wobei unter "Zeloten" die ganze Freiheitsbewegung verstanden werden soll). So tief auch die Unterschiede zwischen ihnen und der Jesusbewegung sind, so haben doch alle drei Gruppen gemeinsam, daß sie eine Erneuerung des Judentums anstreben, dessen gegenwärtige Gestalt sie kritisieren. Daher die Opposition zum Tempel.

Die Essener lehnten den Opferkult in Jerusalem ab (Jos. Ant. 18,19)18. Wohl schickten sie Weihegeschenke in den Tempel, der Zutritt zum Heilig­tum selbst aber blieb ihnen verwehrt. Was J osephus berichtet, bestätigen die Qumranschriften: Der Tempel wurde als unrein abgelehnt (CD IV, 18; 1 QpHab XII, 7f u. ö.). Niemand sollte ihn betreten (CD VI, 11-14). Ihm wurde die Gemeinde entgegengestellt, die sich als Heiligtum aus Menschen verstand, in dem Gesetzestaten als Rauchopfer dargebracht wurden (4Qflor I,6f) und dessen Aufgabe es sei, für das Land zu sühnen (1QS VIII,6-10 u. ö.). Die Behauptung, der eigentliche Tempel Israels zu sein, sowie die

17 BLlNZLER (A. 11), S. 24-49, datiert den Zwischenfall mit guten Gründen auf ein Passafest. Seine weiteren überlegungen haben den methodischen Mangel, daß sie die Evangelienkomposi­tion zu schnell zur historischen Rekonstruktion heranziehen. Vgl. ferner H. W. HOEHNER, Herod Antipas (1972), S. 175f.

18 Zur Bedeutung des Tempels für Qumran vgl. B. GÄRTNER, The Temple and the Commu­nity in Qumran and the New Testament (1965); G. KLINZING, Die Um deutung des Kultus in der Qumrangemeinde und im Neuen Testament (1971).

150 Die Tempelweissagung fesu [150/151 ]

Deutung der Nathanweissagung auf die Qumrangemeinde (in 4Qflor 1,1-12) haben gewiß polemischen Sinn: Die Qumrangemeinde sollte Ersatz für den verworfenen Tempel sein. Für uns ist wichtig, daß auch diese Tempelopposi­tion außerhalb J erusalems beheimatet war: in einer Wüstenoase sowie bei den im Lande verstreut lebenden Essenern. J osephus schreibt zwar, sie seien in jeder "Stadt" anzutreffen (Jos. Bell. 2,124), aber er nennt häufig die Dörfer Palästinas Städte. Philo berichtet aus der Perspektive der Großstadt Alexand­ria zuverlässiger über die Essener:

, ,Diese bewohnen nur vornehmlich Dörfer und meiden die Städte um der den Städ­ten eigenen Ungebundenheit willen, wohl wissend, daß durch den Umgang - gleich einer Krankheit aus schädlicher Luft - eine für die Seelen unheilbare Berührung er­wächst. Die einen treiben Ackerbau, die andern üben verschiedene friedsame Hand­werke, und so nützen sie sich selbst und den Nächsten" (Philo, Omnis probus 76).

Ähnliche Vorbehalte gegenüber städtischem Leben weiß Philo von den Therapeuten zu berichten (Vit. cont. 19 ff). Dabei muß man in Rechnung stel­len, daß die Sehnsucht des Großstädters nach dem "einfachen Leben" diese Aussagen gefärbt haben könnte.

Hinter den terroristischen Aktionen der Zeloten stand ein religiös-soziales Programm 19. Anfang des jüdischen Krieges führte ihr, ,Eifer" für das Gesetz zu einer Tempelreform. Josephus berichtet, "Räuber", die vom Land in die Stadt hereingekommen seien (Jos. Bell. 4,128), hätten sich die Wahl der Oberpriester angemaßt, alte Familienprivilegien abgeschafft (Bell. 4,147) und seien schließlich zur Wahl eines neuen Hohenpriesters geschritten:

"Zufällig traf nun das Los einen Menschen, an dessen Person das Frevelhafte ihres Beginnens so recht offenkundig wurde, einen gewissen Phannias nämlich, den Sohn Samuels aus dem Dorfe I Aphtha. Abgesehen davon, daß er nicht von Hohenpriestern abstammte, war er auch so ungebildet, daß er nicht einmal wußte, was Hohepriester­turn eigentlich sei. Wider seinen Willen schleppten sie ihn vom Lande herein" (Jos. Bell. 4,155f.).

Es blieb nicht bei dieser Provokation der alten städtischen Aristokratie; sie wurde zum größten Teil umgebracht. Und auch sonst übten die vom Lande kommenden Widerstandskämpfer eine schreckliche Terrorherrschaft über die Stadtbevölkerung aus, die eher zum Ausgleich mit den Römern neigte und daher als unzuverlässig galt. Vier ländliche Gruppen tyrannisierten die Stadt: Galiläer unter der Leitung des Johannes von Gischala (Jos. Bell. 4,121ff 559), Judäer unter Simon, dem Sohn des Gioras (Jos. Bell. 2,652; 4,503), die Tempelzeloten unter Eleazar (Jos. Bell. 4,135ff)20 und die Idu-

19 Dieses religiös-soziale Programm hat HENGEL (A. 12), Zeloten, bes. S. 93-150 klar heraus­gearbeitet.

20 M. SMITH, Zealots and Sicarii, their Origins and Relation: Harv. Theol. Rev. 64 (1971), 1-19, hat S. 15 ff mit Recht die ländliche Herkunft der Tempelzeloten betont, irrt aber, wenn er sie als Exponenten einer "peasant piety" deutet. Die Tempelzeloten waren Priester. So mit Recht M. HENGEL, Zeloten und Sikarier: Josephus-Studien. Festschrift f. o. Michel (1974),

[151/152J Die Tempelweissagung Jesu 151

mäer (J os. Bell. 4,224 ff). Es ist zwar wahrscheinlich, daß zu diesen Gruppen jeweils auch Jerusalemer Stadtbürger gehörten, in der Hauptsache stammten sie jedoch vom Land. Ihr Terror wird nur verständlich, wenn man annimmt, daß sich in ihm ein lang angestauter Haß gegen die Stadt - insbesondere ihre Aristokratie - entlud. Wie bei den Essenern scheint es übrigens auch bei den Zeloten grundsätzliche Vorbehalte gegenüber städtischem Leben gegeben zu haben. Hippolytus berichtet von Zeloten und Sikariern (die er merkwürdi­gerweise als eine Gruppe der Essener betrachtet), sie hätten keine Münze we­gen der auf ihnen befindlichen Bilder angerührt. Außerdem gingen sie "in keine Stadt, damit keiner durch ein Tor schreite, auf dem Bildsäulen ständen" (Hipp. Adv. haer. 9,26). Auch hier finden wir eine grundsätzliche Distanz zur Stadt - genauer: zur hellenistischen Stadt.

Die Tempelopposition Jesu kennt dagegen keine grundsätzliche Distan­zierung gegenüber der Stadt21 • Sie hat auch keinen programmatischen Cha­rakter: Weder ist ein Reformprogramm für den J erusalemer Tempel erkenn­bar noch eine neue Gemeindeorganisation, die beansprucht, der neue Tempel zu seIn.

Prophetische und programmatische Tempelopposition haben jedoch ge­meinsam, daß sie auf dem Lande verwurzelt waren. Das ist belegbar. Beleg­bar ist ferner ein Gegensatz zwischen Stadt und Land, der sich vor allem im politischen Verhalten zeigt. Alle weiteren Schlüsse sind Interpretation. Eine begründete Interpretation ist m. E. der Schluß, daß die im 1. Jahrhundert n. Chr. sichtbar werdende Tempelopposition von den Spannungen zwischen Stadt und Land genährt wurde und daß auch die Tempelweissagung Jesu in dieses Spannungsfeld hineingehört. Es dürfte ja plausibel sein, daß sich Pro­phetie gerade in sozialen Spannungsfeldern entwickelt. Ebenso plausibel ist aber auch, daß sie damit nicht erklärt und "abgeleitet" ist. Soziale Spannun­gen zwischen Völkern, Schichten oder anderen Gruppen gab es immer, nicht immer aber traten Propheten auf. Vielmehr müssen I soziale Situationen im­mer schon im Lichte bestimmter Traditionen gedeutet werden, um hand­lungsbestimmend zu werden22 ; nur so gehen sie in unsere überlieferungen

175-196, S. 195; G. BAuMBAcH, Zeloten undSikarier: Theol. Lit. zeit. 90 (1965), S. 727-740. Dabei ist zu beachten, daß die meisten Priester außerhalb J erusalems ihren Wohnsitz hatten. Ländliche Herkunft und priesterlicher Charakter der Bewegung widersprechen einander nicht.

21 Es gibt einige Worte, die eine Distanz gegenüber urbaner Kultur zeigen: Matth. 11 ,7-9, wo "weiche Kleider" und "königliche Häuser" abgewertet werden; ferner Mark. 13,1, wo die Jün­ger über die Bauten des Tempels staunen. Das erinnert ein wenig an Provinzler, die selten in die Metropole kommen. D. CLAESSENS, Kapitalismus als Kultur (1973), S. 84, hat sehr anschaulich das Staunen eines Dorfbewohners beschrieben, der in eine mittelalterliche Stadt kommt. Er hat "viel zu bewundern: Steinhäuser, viele Häuser (mehr als ,drei nebeneinander' mußte zu dieser Zeit bereits als ,viel' beeindrucken!), gepflasterte Straßen, Glasfenster (Butzenscheiben) in den Häusern, größere Kirchen, sehr viele Menschen ... '"

22 Vgl. R. K. MERToN, Die Eigendynamik gesellschaftlicher Voraussagen: E. Topitsch (Hrsg.), Logik der Sozialwissenschaften (1967), 144-161, S. 145. Er erläutert dort das Tho­mas-Theorem, das besagt, , ,daß Menschen ihr Verhalten nicht nur nach den objektiven Gege-

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ein. Auch die Tempelopposition im römischen Palästina wird erst verständ­lich, wenn man die radikaltheokratische Tradition Israels in Rechnung stellt: das Bewußtsein, daß Gott selbst in Israel als König herrscht. Auch der jüdi­sche Tempelstaat stand in dieser Tradition. Er verstand sich als eine "Theo­kratie" (Jos. Contra Ap. 2,165), war aber de facto eine "Aristokratie" (Jos. Ant. 20,229). Denn Gott herrschte in ihm mittels der J erusalemer Tempelari­stokratie. "Radikaltheokratisch" nennen wir alle Bewegungen, in denen die Herrschaft Gottes gegen ihre theokratischen Vermittler ausgespielt wurde. Radikaltheokratische Bewegungen waren die Essener, Zeloten, die Jesusbe­wegung. Geschichtliche Voraussetzung für das Aufkommen solcher radikal­theokratischer Bewegungen war die Kompromittierung der theokratischen V ermi ttl er .

Zu fragen ist daher in unserem Fall: Wodurch konnte der Tempel im 1. Jahrhundert n. Chr. als so kompromittiert erscheinen, daß verschiedene ra­dikaltheokratische Strömungen in Opposition zu ihm standen. Es sei auf drei mögliche Gründe hingewiesen:

1. Tempelopposition konnte Opposition gegen den Erbauer des Tempels sein. Der Idumäer Herodes war für die Strenggläubigen kein vollwertiger Jude. Ihm fehlte dynastische Legitimität. Seine prorömische Integrationspo­litik mußte ihn verdächtig machen23 . Er war gewiß nicht der ideale Erbauer des jüdischen Heiligtums. Nun hören wir bei Josephus, daß der Plan zum Tempelbau zunächst Unruhe auslöste (Jos. Ant. 15,388), angeblich nur, weil man fürchtete, Herodes würden nach Abriß des alten Tempels die Mittel für den Aufbau fehlen. Könnte hinter dieser Furcht nicht eine sehr viel grund­sätzlichere Ablehnung des herodäischen Tempelbaus stehen?

2. Tempelopposition konnte ferner Opposition gegen den Stil des Bau­werks sein. Sein hellenistischer Stil war Wahrzeichen der vorsichtigen Inter­grationspolitik des Herodes. Sinnfällig wurde sie in jenem goldenen Adler über der Pforte (Jos. Ant. 17,151), dem Symbol des römischen Imperiums, dem Zeichen der Legionen und des Kaisers24 • Er verstieß gegen das Bilder­verbot. Um ihn zu beseitigen, gab es kurz vor dem Tode des Herodes noch eine Verschwörung, die mit der Hinrichtung der Verschwörer endete (Ant. 17,149-167). Nach dem Tode des Herodes aber versammelten sich deren Sympathisanten im Tempel und verlangten von dem designierten Nachfolger Archelaos Rache für die Hinrichtung. Dabei erhielten sie Unterstützung vom Land (Bell. 2,9ff; Ant. 17.213ff). Archelaos mußte mit seiner ganzen Streit­macht eingreifen, um eine Verbindung der vom Land einströmenden Rebel­len mit den im Tempel versammelten Aufrührern zu verhindern.

benheiten einer Situation ausrichten, sondern auch, und mitunter vorwiegend, nach der Bedeu­tung, die diese Situation für sie hat".

23 Zur Problematik des herodäischen Königtums vgl. A. SCHALlT, König Herodes (1969), bes. S. 146 H, 403 H, 483 ff.

24 Zum goldenen Adler vgl. SCHALlT (A. 23), S. 734.

[152/153] Die Tempelweissagung Jesu 153

3. Tempelopposition konnte schließlich auch Opposition gegen die Tem­pelaristokratie sein. Der Unmut der Essener richtete sich nicht zuletzt gegen die nichtzadokidischen hasmonäischen Hohenpriester. Um die Hasmonäer auszuschalten, griff Herodes daher zunächst auf eine legitime hohepriesterli­che Familie zurück a os. Ant. 15,22.40). Bald I aber setzte ernach Gutdünken ein, wen er wollte. Erst die Tempelzeloten besetzten das Hohepriesteramt wieder mit einem Zadokiden25 .

Es gab somit einige sachliche Gründe für eine Opposition gegen den her­odäischen Tempel, Gründe, die sowohl in J erusalem als auch auf dem Lande eine Rolle spielen konnten, auf dem Lande aber wohl nachhaltiger wirksam waren. Denn in der Stadt gab es gute Gründe, sich mit dem herodäischen Tempel abzufinden, ja, sich mit ihm zu identifizieren.

2.

Die Tempelweissagung lief den Interessen des ganzen Jerusalemer Ge­meinwesens allzu sehr entgegen, als daß sie hier nicht auf Ablehnung hätte stoßen müssen.

Der priesterlichen Aristokratie verschaffte der Tempel viele Einkünfte: re­ligiöse Steuern (vor allem Zehnt und Erstlinge), Anteile an den Opfern, unre­gelmäßige Zuwendungen wie Gelübde und Bußen26. Umstritten war deren Verteilung. Kurz vor dem jüdischen Krieg ist es zu heftigen Verteilungs­kämpfen gekommen: Die Hohenpriester sollen den Priestern ihren Anteil am Zehnten mit Gewalt genommen haben, so daß einige ärmere Priester verhun­gerten (Jos. Ant. 20,181.206f)27. Im (städtischen und ländlichen) clerus mi­nor könnte man am ehesten eine latente Tempelopposition vermuten. Jene Zeloten, die sich im reformierten Heiligtum verschanzten, rekrutierten sich wahrscheinlich aus ihm. Materielle Interessen banden jedoch nicht nur die Priesterschaft an den Tempel: Viehhändler , Geldwechsler, Gerber und Schu­ster lebten mehr oder weniger vom Opfer kult. Die vielen Pilger waren auf Dienstleistungen der Bevölkerung angewiesen; ihr Konsum wurde religiös gefordert und gefördert: Neben dem den Priestern zu zahlenden Zehnten verlangte das Gesetz theoretisch einen zweiten Zehnten, den jeder Israelit in Jerusalem verzehren sollte (Deut. 12,11ff). Der brachte den Jerusalemern keine zusätzliche Belastung, ihrem Geschäft aber Vorteile. Ferner gab es un­ter ihnen die Bestrebung, mit Berufung auf die Heiligkeit der Stadt Befreiung

25 Vgl. J. JEREMIAS, Jerusalem zur Zeit Jesu (19693), S. 215-218. 26 Zu den Einkünften vgl. E. SCHÜRER, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu

Christi, 2 (4. Aufl. 1901-1909), S. 301-312; F. C. GRANT, The Economic Background of the Gospels (1926), S. 94-96; Jeremias (A. 25), S. 120-124.

27 A. BücHLER, Der galiläische ,Am-Ha'ares des zweiten Jahrhunderts (1906, Neudr. 1968), führt S. 17 A. 1 diesen Verteilungskampf auf eine "außerordentliche Zunahme der Verzehn­tung" zurück. Wahrscheinlicher ist, daß die Einkünfte knapper geworden waren und daher er­bitterter über ihre Verteilung gestritten wurde.

154 Die Tempelweissagung Jesu [153/154]

von steuerlichen Belastungen zu erreichen. Das zeigt ein angeblicher Erlaß des syrischen Königs Demetrius, der der Stadt J erusalem aufgrund ihrer Heilig­keit u. a. Steuerfreiheit zusicherte (1.Makk. 10,25-45). Das waren natür­lich Wunsch phantasien. Hin und wieder hat man mit solchen Wünschen wohl Erfolg gehabt: Vitellius erließ eine Umsatzsteuer für die auf dem Jeru­salemer Markt verkauften Früchte (Jos. Ant. 18,90; vgl. 17,205). Agrippa I. verzichtete auf eine die Häuser der J erusalemer belastende Vermögenssteuer (Ant. 19,299). Um so mehr wurde das Land herangezogen: Als es vor dem jüdischen Krieg Steuerrückstände gab, wehrt man sich in J erusalem entschie­den gegen eine Belastung der Tempelkasse a os. Bell. 2,293-296); anstatt des­sen ziehen Vertreter der städtischen Aristokratie auf die Dörfer, um dort die Steuerschuld einzutreiben (Bell. 2,405). Falls I sich beide Aktionen auf die­selbe Steuerschuld beziehen, wäre die Differenz der Beträge aufschlußreich: Gessius Florus, der römische Prokurator, forderte 17 Talente, die Aristokra­tie sammelte dagegen 40 Talente ein. Galt die Differenz als "Provision"? F alls es sich um die Steuerschuld verschiedener Jahre handelt, würde die wachsende Summe eine wachsende Unwilligkeit zur Steuerentrichtung an­zeigen. Wie dem auch sei: Die Jerusalemer hatten Vorteile aufgrund der Hei­ligkeit ihrer Stadt, d. h. aufgrund des Tempels. Jede Infragestellung des reli­giösen Status der Stadt mußte daher auch den materiellen Status ihrer Be­wohner in Frage stellen.

Darum ist verständlich, warum man auf jeden Versuch empfindlich rea­gierte, die "Heiligkeit" der Stadt anzutasten. Das ist gerade für die Zeit des Pilatus bezeugt. Dieser hatte versucht, römische Hoheitszeichen heimlich in die Stadt zu schaffen. Er scheiterte jedoch zwei Mal am Widerstand der J eru­salemer (Philo, Leg. adGaium 276ff.; Jos. Ant. 18,55-59)28, selbst dann, als er nur Schilder mit dem Namen des Kaisers innerhalb eines römischen Ver­waltungsgebäudes anbringen wollte. Nach Ablösung des Pilatus ging man mit Forderungen noch weiter: Der syrische Legat Vitellius wurde sogar auf­gefordert, ganz Judäa (also nicht nur Jerusalem) mit römischen Hoheitszei­chen zu verschonen. Vitellius nahm daraufhin einen großen Umweg in Kauf, um im Hinterland seines Feldzugs gegen die Nabatäer Ruhe zu haben (Jos Ant 18,121). Dieser Eiferfür die Heiligkeit Jerusalems war gewiß religiös be­gründet. Es waren religiöse Motive, die Jerusalem Menschen, Geld, Waren und Handel zuführten29 • War die wirtschaftliche Basis Jerusalems aber erst einmal auf der Religion gegründet, so gab es handfeste wirtschaftliche Grün-

28 Zu den beiden Vorfällen vgl. C. H. KRAELING, The Episode of theRoman Standards at Je­rusalem: Harv. Theol. Rev. 35 (1942), S. 263-289; P. L. MAIER, The Episode of the Golden Roman Shields atJ erusalem: ebd. 62 (1969), S. 109-121, der mit Recht zwei verschiedene Ereig­nisse annimmt. S. G. F. BRANDON, Jesus and the Zealots (1967), S. 68ff, sieht in ihnen eine Tendenz zur extensiveren Auslegung des Bilderverbots; S. PEROWNE, The Later Herods (1958), S. 51 ff, einen wachsenden Autoritätsverfall des Pilatus.

29 Vgl. die Ergebnisse von JEREMIAS (A. 25),1-98, S. 41.65.82.84.97. Meine Ausführungen über die soziale und ökonomische Situation Jerusalems stützen sich vor allem auf dies bewun-

[154/155] Die Tempelweissagung Jesu 155

de, jene religiösen Motive zu verstärken, denen Jerusalem seinen Sondersta­tus verdankte. Niemand hat m. E. das Recht, die Frage zu verbieten, ob der religiöse Eifer der J erusalemer grundsätzlich anders zu beurteilen ist als die Aufregung der Epheser, die angesichts der christlichen Predigt um ihre An­denkenindustrie fürchteten (Apg. 19,23ff.). Zusammenhänge, die für heid­nische Kulte bereitwillig zugestanden werden, können beim jüdischen und christlichen Kult nicht apriori ausgeschlossen werden. Das gilt auch für die Tempelweissagung Jesu.

3.

Hier können wir diese Zusammenhänge noch etwas konkreter fassen. Wenn Jesus Zerstörung und Neuerrichtung des Tempels ankündigte, so mußten sich alle die angesprochen fühlen, die am Tempel bauten.

Man baute schon seit 20/19 v. Chr., die äußeren Hallen und der innere Tempel waren schon seit 9/8 v. Chr. fertig. Aber seitdem wurde ständigwei­ter gebaut. Das J oh. nimmt darauf Bezug. Die "Juden" reagieren dort auf die Tempelweissagung mit den Worten: , ,46 I Jahre lang wurde dieser Tempel er­baut, und du willst ihn in drei Tagen errichten?" (Joh. 2,20). Die Wahrheit ist, daß man über 80 Jahre an ihm baute, bis er unter Albinus (62-64 n. Chr.) fertig war. Wie kam es zu dieser langen Bauzeit, zu jenem Mißverhältnis zwi­schen den 10 Jahren, in denen zügig die wichtigsten Bauten errichtet wurden, und weiteren 70 Jahren des Ausbaus30 ? Das Problem wird noch verwickelter, wenn man die Angaben des Josephus über die Zahl der Bauarbeiter betrach­tet. Herodes stellte 11 000 Arbeiter ein; nach 80 Jahren sind daraus 18 000 geworden (Jos. Ant. 15,390; 20,219). Unter der Voraussetzung, daß Jose­phus an beiden Stellen im gleichen Maße übertreibt - und er übertreibt gewiß -, kann man errechnen, daß sich die Zahl der Bauarbeiter um 63,5 % in 80 Jahren erhöht hat - und das trotz Beendigung der extensiven Arbeiten nach 10 Jahren. Des weiteren kann man folgende, allerdings sehr fiktive Rechnung durchführen: Wenn man die Einwohnerzahl J erusalems samt Vororten mit ca. 220 000 ansetzt - so A. Byatt, der den Größenordnungen bei J osephus viel Vertrauen schenkt und somit eine kongeniale Schätzung bietet31 -, so wären am Ende des Tempelbaus 8,2 % aller Jerusalemer Bauarbeiter am Tempel gewesen. Ca. 20 % wären direkt vom Tempelbau abhängig gewesen,

dernswerte Buch. Es zeigt im übrigen, daß soziologische Fragestellungen schon immer Bestand­teil historisch-kritischer Forschung waren.

30 Es hat während des Baus Rückschläge gegeben: vg!. Jos. Ant. 17,260ff; Bel!. 2,49f; S. PEROWNE, Herodes der Große (1957), S. 166.

31 A. BYATT,Josephus and Population Numbers in First Century Palestine: Pa!. Exp!. Quart. 105 (1973), S. 51-60. Meist wird die Einwohnerzahlfür sehr viel geringer gehalten. J. JEREMIAS, Die Einwohnerzahl Jerusalems zur Zeit J esu: Zs. Deutsch. Pa!.-Ver. 66 (1943), S. 24-31, nennt 25-30000, DERs, Jerusalem (A. 25), S. 96, 55-95 000; Finkelstein (A. 12), S. 609, denkt an 75 000.

156 Die Tempelweissagung Jesu [155/156J

wenn man auf j eden Arbeiter zwei bis drei Familienangehörige rechnet. Und damit wäre erst ein Teil der vom Tempel abhängigen Bevölkerung erfaßt. Wie kommt es nun, daß der Tempel seine "Kapazitäten" in diesem Maße auswei­ten konnte? Diese Entwicklung hat einen ökonomischen und einen sozialen Aspekt. Ökonomisch gesehen konnte der Tempel unabhängig von wirt­schaftlichen Gesichtspunkten haushalten. Der Tempelbau wurde aus dem gut ausgestatteten Tempelschatz finanziert (Jos. Bell. 5,187.189; vgl. Tac. Hist V,8), dessen aus der ganzen Diaspora stammende Einkünfte von lokalen Krisen relativ unabhängig waren und durch die lange Friedenszeit seit Augu­stus gewiß zugenommen hatten. Der Tempel akkumulierte auf jeden Fall viel Kapital. Sabinus erbeutete bei seiner Plünderung des Tempelschatzes 400 Ta­lente (Jos. Ant. 17,264). Es war zweifellos ökonomische Klugheit, wenn Herodes dies Kapital wieder produktiv werden ließ. Hinzu kommt die so­ziale Komponente des Tempelbaus. Herodes verschaffte so vielen Menschen Arbeit, vor allem einigen ärmeren Priestern. Unter den 11 000 Tempelarbei­tern befanden sich nämlich 1000 Priester, die mit dem Bau des inneren Tem­pels beauftragt waren. Sie waren arm. Denn Herodes ließ ihnen nicht nur Bau- und Zimmerhandwerk beibringen, sondern auch priesterliche Kleidung verschaffen (Jos. Ant. 15,390). Diese soziale Komponente des Tempelbaus wird bei Einstellung der Arbeiten noch deutlicher:

"Um diese Zeit war der Tempel vollendet. Als das Volk nun die Bauleute, mehr als 18 000 an der Zahl, ohne Arbeit sah, hatte es zu erwarten, daß sie um Verdienst verle­gen sein würden, da sie früher durch die Arbeit am Tempel sich ihren Unterhalt er­worben hatten. Nun wollte man auch aus Furcht vor den Römern kein Geld mehr aufbewahren und deswegen den Tempelschatz zur Befriedigung der Bauleute ver­wenden; denn wenn einer auch nur eine Stunde am Tage gearbeitet hatte, erhielt er den Lohn dafür gleich ausgezahlt. Daher ersuchte man den König, die östliche Halle wie­derherzustellen" Gas. Ant. 20,219f.).

Agrippa II. lehnte diesen Vorschlag ab, aber er gestattete, Straßen zu pfla­stern. Später scheint man dann doch noch neue Bauten am Tempel begonnen zu haben Gos. Bell. I 5,36ff.). Wir können daraus schließen, daß die Tempel­arbeiter eine einflußreiche Gruppe waren. Sie konnten ihre Weiterbeschäfti­gung zum Politikum machen und König Agrippa II. zur Revision eines Be­schlusses bewegen. Sie waren auch darin begünstigt, daß sie sofort bezahlt wurden. Und vermutlich wurden sie gut bezahlt. Aus b. Yoma 38a erfahren wir von streikenden Tempelarbeitern (den Herstellern von Schaubroten und Räucherwerk), die erst nach einer Erhöhung der Löhne um 100 % zur Arbeit zurückkehren. Es waren, ,phantastische Löhne"32. Wichtig ist uns aber nicht

32 So JEREMIAS 6A. 31), S. 28. Eine Tabelle mit allen für die Zeit belegbaren Lohnstufen fin­det sich bei D. SPERBER, Costs of Living in Roman Palestine: Joum. of the Econom. and Soc. Hist. of the Orient 8 (1965), S. 248-271. Er rechnet aufgrund von b. Yoma mit 1,2,2,4 bzw. 4,8 Denar. Das wäre überdurchschnittlich, wenn man z. B. an den einen Denar Tageslohn aus Matth. 20,1-16 denkt.

[156/157J Die Tempelweissagung Jesu 157

nur deren Höhe, sondern die interessenbewußte Konfliktbereitschaft der Tempelarbeiter.

Stellen wir diese Interessen der Tempelarbeiter in Rechnung, so verstehen wir auch die heftigen Reaktionen auf Versuche römischer Präfekten bzw. Prokuratoren, Teile des Tempelschatzes in ihrem Sinne zu verwenden. - So hatte Pilatus den vernünftigen Plan, eine lange Wasserleitung nach J erusalem zu bauen. Das Vorhaben sollte durch die Tempelkasse finanziert werden, was legitim war. Der Plan erregte jedoch den Volkszorn. Es kam zu Aufläu­fen, Zwischenfällen und Toten (Jos. Ant. 18,60-62). Natürlich kann man es nicht beweisen, aber es ist m. E. plausibel, daß vor allem die Tempelarbeiter Grund hatten, sich dem neuen Vorhaben entgegenzusetzen. Sie konnten von der Tempelkasse nur dann ungestört profitieren, wenn aus ihr nur "heilige" Zwecke finanziert wurden33 • - Ein zweiter Vorfall ereignete sich unter Ges­sius Florus (etwa 66 n. Chr.). Als die jüdische Provinz mit dem Tribut in Rückstand war, wollte der Prokurator das fehlende Geld dem Tempelschatz entnehmen" unter dem Vorwand, der Kaiser habe das Geld nötig". Das Volk strömte daraufhin empört in den Tempel, beschimpfte Florus. Einige gingen umher und bettelten um Almosen "für den armen, unglücklichen Florus" (J os. Bell. 2,293 f.). Auch bei diesem Vorfall standen die Interessen aller derer auf dem Spiel, die direkt aus der Tempelkasse bezahlt wurden - insbesondere die der Bauarbeiter, deren Beschäftigung und rasche Entlohnung (nach Ant. 20,219f.) ausdrücklich mit der Furcht vor derartigen römischen" übergrif­fen" begründet wurden.

Wenn also jemand in Jerusalem mit einer Prophetie gegen den Tempel auf­trat und dessen Zerstörung ankündigte, so müssen das diejenigen als Kampf­ansage verstanden haben, die den Tempel mit ihren Händen erbaut hatten und deren sozialer Besitzstand von diesem Tempelbau abhing. Wurde hier nicht die Legitimität ihrer Arbeit grundsätzlich in Frage gestellt? Auch die Weissagung eines wunderbar errichteten neuen Tempels entsprach nicht ih­rer Interessenlage - zumindest nicht die Errichtung eines Tempels, der "nicht mit Händen gemacht ist". Es dürfte nicht schwer gefallen sein, die Tempelweissagung als einen V ersuch hinzustellen, den Tempelbau zu sabo­tieren. Damit aber konnte man an die existenziellen Ängste vieler Menschen in J erusalem appellieren. I

In diesem Zusammenhang muß auf das auffällige Phänomen hingewiesen werden, daß die Anklage gegen J esus zweifach begründet wird, und zwar

33 Es kann nicht die Tempelaristokratie gewesen sein, die sich dem Unternehmen entgegen­setzte. Sie muß der Finanzierung des Aquadukts durch die Tempelkasse zugestimmt haben. Hätte sich Pilatus das Geld gewaltsam verschafft, so hätte er den tabuisierten Tempelbezirk be­treten müssen. Davon würden wir gewiß hören. Außerdem war der Tempel nach Schekalim IV,2 dazu verpflichtet, für die Wasserversorgung der Stadt zu sorgen; vgl. JEREMIAS (A. 25), S. 16f A. 11. Man muß die protestierenden Gruppen daher im Volk suchen, nicht in der Aristokratie. Diese hat möglicherweise Pilatus von der bevorstehenden Demonstration in Kenntnis gesetzt. Wenigstens ist Pilatus gut vorbereitet. Vgl. dazu P. L. MAIER, Pilatus (1970), S. 357.

158 Die Tempelweissagung Jesu [157J

sowohl beim Verhör vor dem Synhedrium als auch in der Kreuzigungsszene. Hier wie dort wird an erster Stelle die Tempelweissagung, an zweiter Stelle der Messiasanspruch Jesu gegen ihn vorgebracht (Mark. 14,57-64; 15,29-32). Die Vorwürfe werden dabei verschiedenen Gruppen zugeschrie­ben: der Vorwurf des Messianitätsanspruchs wird vom Hohenpriester (14,61) bzw. von den Hohepriestern mit den Schriftgelehrten (15,31) erho­ben, der Vorwurf der negativen Tempelweissagung dagegen von anonymen Sprechern, nämlich tines in Mark. 14,57, paraporeuomenoi in 15,29f. Da die Tempelaristokratie in 15,31 mit homoios von den "Vorübergehenden" ab­gehoben wird, dürfen wir als Subjekt der zweiten Anklage einfachere Leute vermuten, die nicht zur Aristokratie gehörten. Diese Differenzierung bewegt sich innerhalb dessen, was aufgrund soziologischer Erwägungen als möglich erscheint: Die Spitzen des Staates interessierten sich primär für den politi­schen Aspekt der J esusbewegung, der mit dem Messianitätsgedanken gege­ben war. Jede messianische Bewegung konnte die Autonomie der von der Aristokratie beherrschten Institutionen in Frage stellen (vgl. Joh. 11,48). Vor Pilatus spielt daher nur der Messianitätsanspruch eine Rolle; von der Tem­pelweissagung hören wir dabei nichts (Mark. 15,1-5). Das einfache Volk war dagegen kaum wegen messianischer Ansprüche oder Erwartungen gegen J e­sus einzunehmen. Hier zog die Angst um Tempel und Tempelbau, die öko­nomisch fundiert war. Auch Stephanus wurde später wegen seiner tempelkri­tischen Äußerungen vom aufgebrachten "Volk" gelyncht (Apg. 7,54ff.)34. Falls etwas Richtiges daran ist, daß die Aristokratie die Menge mit Erfolg ge­gen Jesus aufgehetzt hat (Mark. 15,11), so hätte sie in der Tempelweissagung ein hervorragendes Mittel dazu besessen.

Mit all dem soll nicht gesagt werden, die entsprechenden Passagen seien hi­storisch. Sicher ist nur, daß sie historisch möglich sind. Sicher besteht auch kein Grund zu der verbreiteten Gewißheit, es handle sich weithin um histo­risch ganz unzuverlässige Texte. Aber es sei noch einmal daran erinnert: Die aufgewiesenen strukturellen Faktoren können sowohl auf die Geschichte wie auf die Traditionsgeschichte eingewirkt haben35 .

Die Jesusbewegung hat auf jeden Fall alle mit dem Tempel verbundenen Gruppen gegen sich aufgebracht, Gruppen, die nicht nur zu den obersten Kreisen gehörten. Und so müssen wir vielleicht eine manchem lieb gewor-

34 Zu Stephanus vgl M. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus: Zs. Th. Ki. 72 (1975), S. 151-206, bes. S. 188 ff.

35 Wenn ich hinter manche allzu selbstsichere historische Skepsis ein Fragezeichen setze, so ist das kein Rückfall hinter die Erkenntnisse formgeschichtlicher Methode. Die formgeschicht­liche Skepsis ist durch soziologische überlegungen bestimmt: durch die Annahme eines tradi­tionsprägenden Sitzes im Leben. Wenn ich aufgrund soziologischer Erwägungen hin und wieder zu einem etwas größeren Vertrauen in die Historizität der überlieferungen neige, so bewegt sich meine Argumentation im Rahmen der Formgeschichte.

[157/158] Die Tempelweissagung Jesu 159

dene Vorstellung korrigieren, die Vorstellung, daß J esus nur mit der Tempel­staatsaristokratie und den Römern in Konflikt geraten sei: ein Angehöriger der Unterschicht mit der Oberschicht. Generell sei gesagt, daß sich soziale Konflikte nicht auf Gegensätze zwischen Unter- und Oberschicht reduzie­ren lassen. Dieser fundamentale Gegensatz wird immer wieder von anderen Spannungen überlagert: von interethnischen Aggressionen, von Genera­tionskonflikten, I von der Konkurrenz, zwischenMachtelitenod~r-wieinun­serem Falle - von sozioökologischen Antagonismen zwischen Stadt und Land. Auf Seiten der Stadt treten ja nicht nur die Führer des Volkes auf, son­dern auch einfache Leute. Umgekehrt hat Jesus nicht nur bei der einfachen Landbevölkerung Sympathien, sondern auch bei dem "Ratsherrn" Joseph von Arimathia.

Ich hoffe, mit der vorgelegten Faktoren- und Funktionsanalyse gezeigt zu haben, daß die Tempelweissagung in einem Spannungsfeld tiefgreifender Konflikte steht, daß sie sowohl in ihnen verwurzelt ist als auch in dieses Spannungsfeld hineinwirkt.

Abschließend sei betont, daß die Tempelweissagung ihrer Intention nach den skizzierten sozialen Kontext transzendiert. Denn in ihr wird ja gerade die Sehnsucht nach einem Tempel laut, der unmittelbar von Gott stammt und nicht in das Netz menschlicher Interessen verflochten ist. Es ist die radikal­theokratische Sehnsucht nach Unmittelbarkeit Gottes, die sich in der basi­leia-Verkündigung in politischer Metaphorik, in der Tempelweissagung in kultischer Metaphorik artikuliert hat. Und so begegnet uns in dieser überlie­ferung der fundamentale Doppelcharakter aller religiösen überlieferung36 :

Sie ist durch ihren sozialen Kontext bedingt (meist in sehr viel größerem Maße, als religiöses Selbstverständnis das wahrhaben will), zugleich aber wird in ihr ein "Ruf zur Freiheit" laut - einer Freiheit von aller Fremdbe­stimmung. Und dieser Ruf wird um so eindringlicher vernehmbar, je mehr kritische Analyse ihre reale Abhängigkeit aufdeckt.

36 Der Begriff des "Doppelcharakters" ist von Th. W. AoORNO, Ästhetische Theorie (1970), S. 334-387, übernommen: Nicht nur ästhetische, sondern alle geistigen Phänomene sind sowohl autonom als auch bedingt. Die Analyse der Bedingtheit geistiger Prozesse soll nicht de­ren Autonomiebewußtsein untergraben, sondern Autonomie als oppositionelle Autonomie er­kennbar werden lassen. Diese und andere hermeneutische Konsequenzen einer soziologischen Fragestellung für die Interpretation des Neuen Testaments können hier leider nicht diskutiert werden. Das vorgelegte Beispiel einer soziologischen Analyse kann wahrscheinlich besser als theoretische Erörterungen zeigen, daß soziologische Fragestellungen nur eine Vertiefung histo­risch-kritischer Forschung darstellen. Sie sind kein radikaler Neueinsatz. Bisher ist mir auch noch kein Argument gegen die Legitimität soziologischer Fragestellungen in der Exegese begeg­net, das sich nicht im Grunde gegen eine historisch-kritische Forschung überhaupt richtet. Anti­soziologische Affekte (die man sowohl bei orthodoxen Marxisten wie orthodoxen Christen fin­det) belegen einmal mehr, daß historisch-kritisches Bewußtsein etwas Unwahrscheinliches, kei­neswegs Selbstverständliches ist.

7.

Gewaltverzicht und Feindesliebe (Mt 5,38-48/Lk 6,27-38)

und deren sozialgeschichtlicher Hintergrund'~

Die Forderungen des Gewaltverzichts und der Feindesliebe : "Widersetze dich nicht dem Bösen!" und "Liebet eure Feinde!" stellen unser durch­schnittliches Verhalten radikal in Frage. Es ist daher verständlich, daß diese Forderungen ihrerseits immer wieder in Frage gestellt werden, heute vor al­lem durch ideologiekritische überlegungen. Der Vorwurf lautet: Diese For­derungen fördern eine christliche Konfliktscheu, die sowohl auf psychischer wie auf sozialer Ebene schädliche Auswirkungen hat: Psychisch verhindern sie ein realitätsangepaßtes Durchsetzungsvermögen und die Integration ag­gressiver Impulse, sozial aber kommen sie faktisch den herrschenden Grup­pen zugute; denn Feindesliebe entschärft jene sozialen Spannungen, die de­ren Position in Frage stellen könntei.

Die folgende Untersuchung kann und will die damit angesprochenen weit­reichenden Probleme nicht lösen. Sie möchte sie jedoch historisch erhellen. Sie fragt nach den ursprünglichen Motiven und den historischen Situationen

'f Ausgearbeitete Fassung eines Vortrags vor dem "Almindeligt dansk praestekonvent" in Snoghoj am Lillebe1t, den 15.5.1979. Den Teilnehmern sei herzlich für ihre Anregungen gedankt.

1 Als Beispiel psychologischer Kritik sei auf F. NIETZSCHE: Zur Genealogie der Moral 1,13 (Leipzig 1924, S. 273) hingewiesen: "Wenn die Unterdrückten, Niedergetretenen, Vergewal­tigten aus der rachsüchtigen List der Ohnmacht heraus sich zureden: ,laßt uns anders sein als die Bösen, nämlich gut! Und gut ist jeder, der nicht vergewaltigt, der niemanden verletzt, der nicht angreift, der nicht vergilt, der die Rache Gott übergibt ... - so heißt das, kalt und ohne Vorein­genommenheit angehört, eigentlich nichts weiter als: ,wir Schwachen sind nun einmal schwach; es ist gut, wenn wir nichts tun, wozu wir nicht stark genug sind'; aber dieser herbe Tatbe­stand ... hat sich dank jener Falschmünzerei und Selbstverlogenheit der Ohnmacht in den Prunk der entsagenden stillen abwartenden Tugend gekleidet . . ." Als Beispiel für eine soziolo­gische Kritik verweise ich auf H ADAM: Südafrika. Soziologie einer Rassengesellschaft, ed. suhrkamp 343, Frankfurt 1969, 94, wo das Ethos der Gewaltlosigkeit, das bei den christlich er­zogenen Führern der Schwarzen tief verwurzelt ist, für die Stabilität dieser Rassendiktatur mit­verantwortlich gemacht wird. V gl. ferner MAo TSE-TUNG: Reden auf der Beratung über Fragen der Literatur und Kunst in Yenan. Peking 1961, 49, wo Feindesliebe in der Klassengesellschaft für unmöglich erklärt wird: "Gegenwärtig aber gibt es eine solche Liebe noch nicht. Wir können die Feinde nicht lieben, können die widerwärtigen Erscheinungen in der Gesellschaft nicht lie­ben" (zit. n. H. P. HASENFRATZ: Die Rede von der Auferstehung Jesu Christi FThL 10, Bonn 1975,241).

Gewaltverzicht und Feindesliebe 161

von Feindesliebe und Gewaltverzicht im Urchristentum. Sie will damit nicht die Verantwortung für unser ethisches Handeln auf die Vergangenheit ab­wälzen. Wir haben unser Verhalten selbst zu verantworten. Aber um diese Verantwortung wahrnehmen zu können, müssen wir uns um die größtmög­liche Klarheit über die historischen Hintergründe unserer ethischen Tradi­tionen bemühen.

Die Untersuchung hat zwei Teile. Sie untersucht im ersten Teil die Motiva­tion zu Feindesliebe und Gewaltverzicht, im zweiten Teil deren sozialen Ort. Der erste Teil geht also mehr auf die psychologische Seite der skizzierten Problematik ein, der zweite mehr auf deren soziologische Seite. Beide Aspekte lassen sich jedoch nicht völlig trennen. Vielmehr darf man von vorn­herein vermuten, daß verschiedene Motivationsstrukturen mit verschiedenen Sozialstrukturen zusammenhängen können.

I. Die Motivation zu Feindesliebe und Gewaltverzicht

In den urchristlichen Texten zur Feindesliebe lassen sich vier Motivgrup­pen unterscheiden: 1. ein Imitationsmotiv, die Nachahmung Gottes, 2. ein Abhebungsmotiv, das die überlegenheit über andere Gruppen hervorhebt, 3. ein Gegenseitigkeitsmotiv, das prinzipiell an der Reversibilität menschli­chen Verhaltens festhält und 4. ein eschatologisches Lohnmotiv . Dazu kommen Ansätze zu weiteren Motiven, die jedoch nicht so deutlich hervor­treten. Auch wenn die vier genannten Motivgruppen wohl im Hintergrund aller Texte zu vermuten sind, so werden sie doch in verschiedener Weise ak­zentuiert: Bei Matthäus dominiert das Imitations- und Abhebungsmotiv, bei Lukas das Gegenseitigkeits- und Lohnmotiv.

1. Das Imitationsmotiv

Bei Mt steht die imitatio dei im Zentrum der Motivation zur Feindesliebe. Feindesliebe ist ein souveränes Verhalten, das den Menschen Gott gleich macht. Es erhebt ihn hoch über die Situation hinaus - so hoch, wie die Sonne über gut und böse steht:

"Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet, denn er läßt seine Sonne über Böse und Gute aufgehen und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte." (Mt 5,44-45)

V ergleicht man andere urchristliche Fassungen des Gebotes zur F eindes­liebe, so fällt zweierlei auf: Nur hier begegnet der Begriff "Söhne Gottes" in eindeutig ethischer Fassung. Aufgrund eines ethischen Verhaltens wird man zum Sohn Gottes. Das ist der weisheitliche Sohn-Gottes-Begriff (Sir 4,10 SapSal2,18; 5,5), der letztlich eine Verallgemeinerung des königlichen An­spruchs ist, Sohn Gottes zu sein (Ps 2,7 2.Sam 7,14), nur daß nicht Macht, sondern Weisheit und das Tun des Rechten zum Sohn Gottes machen. Nach

162 Gewaltverzicht und Feindesliebe

wie vor aber hat der Sohn-Gottes-Begriff einen königlichen Klang. Weisheit ist königliche Weisheit, Weisheit des Königs Salomo, unter dessen Name die meisten Weisheitsschriften laufen - eine Weisheit, die königlichen Rang ver­leiht (Prov. 4,8f SapSal6,21)2, wie denn auch der stoische Weise König ist3 .

So kann man wohl sagen: Feindesliebe ist Ausdruck einer königlichen Hal­tung, Zeichen der Söhne Gottes. Anders bei Lukas. Hier ist der Sohn-Got­tes-Begriff nicht ethisch, sondern eschatologisch bestimmt:

". . . und es wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein, denn er selbst ist gnädig über Undankbare und Böse." (Lk 6,35)

Auch die folgenden Sätze bei Lk (6,36ff) denken an das eschatologische Gericht. Bei Mt ist die Gottessohnschaft also Ziel menschlichen Verhaltens, bei Lk ihr Lohn4 • In den späteren Texten, wo von einer imitatio dei die Rede ist, fehlt der Sohn-Gottes-Begriff überhaupt (vgl. Did 1,5 Just Ap 1,15,13 Dial 96,3), obwohl Justin das Sonnengleichnis aufgreift.

Eine zweite Beobachtung bestätigt diese Sonderstellung des Mt. Die imita­tio dei wird bei ihm grundsätzlich verstanden. Es gilt nicht nur, dieses oder jenes Verhalten Gottes nachzuahmen, wenn man Jesus nachfolgen will, vielmehr soll der Christ so vollkommen wie Gott sein - ohne Begrenzung auf ein bestimmtes Verhalten. Die anderen urchristlichen Formulierungen der imitatio dei nennen dagegen ein konkretes Verhalten. Es genügt, wenn wir die verschiedenen Formulierungen nebeneinander stellen:

"Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist." (Mt 5,48)

"Werdet barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist." (Lk 6,36)

"Jedem der dich bittet, gib und verlange es nicht zurück. Denn einem jeden wird der Vater von seinen Gaben geben." (Did 1,5)

"Werdet gütig und barmherzig, wie auch euer Vater gütig und barmherzig ist." (Justin Ap 1,15,13 vgl. Dial 96,3)

Die Verallgemeinerung ist bei Mt sinnvoll. Er stellt die Vollkommenheits­forderung an den Schluß der Antithesenreihe. Dadurch bezieht sich die For­derung nun auf jedes in den sechs Antithesen geforderte Verhalten. Die Anti­thesen veranschaulichen als Ganzes die Edüllung des Gesetzes (Mt 5,17), die bessere Gerechtigkeit (5,20), die geforderte Vollkommenheit (5,48), wobei

2 Durch die Weisheit regieren Könige (Prov 8,15), sie krönt (prov 4,8f), sie lehrt den König, milde zu sein (Aristeas 207). Vgl. BL. MACK: Logos und Sophia. Untersuchungen zur Weis­heitstheologie im hellenistischen Judentum, StUNT 10, Göttingen 1973, 87f. Zum weisheitli­chen Hintergrund der Bergpredigt überhaupt vgl. U. LucK: Die Vollkommenheitsforderung der Bergpredigt, ThEx 150, München 1968.

3 Z. B. Epiktet Diss III,22,72. 4 eH. DIETZFELBINGER: Die Antithesen der Bergpredigt, ThEx 186, München 1975, 46.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 163

eine deutliche Klimax vorliegt: von der überwindung innerer Aggressivität (5,21ff) bis zur übung der Feindesliebe (5,43ff)5.

Feindesliebe bedeutet also bei Mt: Souveränität gegenüber der Situation durch die imitatio dei. Dazu finden sich mannigfache Analogien in der Anti­ke, in denen Wohlwollen und Liebe als Ausdruck innerer überlegenheit ge­wertet werden6 • Seneca zitiert die Meinung: "Si deos, inquit, imitaris, da et ingratis beneficia, nam et sceleratis sol oritur et piratis patent maria" (benef. IV,26,1), um sie dann freilich einzuschränken: Gott kann dem Würdigen manche Gaben nicht zuteil kommen lassen, ohne sie nicht auch automatisch den Unwürdigen mitzuteilen (ben. IV,28,1). Aber grundsätzlich ist der Ge­danke vorhanden: Liebe in der imitatio dei ist ein Akt des überflusses. So ermahnt sich der Kaiser Marc Aurel: "Liebe das Menschengeschlecht - folge Gott" (VII,31), und er schließt in diese Liebe grundsätzlich auch den unan­genehmen, feindlich gesonnenen Menschen ein (II,l). Plinius der Ältere de­finiert sogar: "Das ist Gott, daß ein Sterblicher einem Sterblichen hilft." Deus est mortali iuvare mortalem (Nat. hist. 2,5 §18). Der Aristeasbrief ermahnt den Herrscher zur Nachahmung Gottes (§210), gerade wenn es um Milde (207), Mitleid (208) und Gerechtigkeit (209) geht. Dies königliche Ideal wird im Christentum gewissermaßen auf jeden Menschen bezogen: "Aber wer die Last des Nächsten auf sich nimmt, wer einem anderen, der ärmer ist in dem, worin er besser daran ist, wohltun will, wer von dem, das er von Gott empfangen hat und erhält, dem Bedürftigen zuteilt und für den Empfänger ein Gott wird - der ist ein Nachahmer Gottes." (Diognetbrief 10,6).

All diese Analogien sprechen gegen die These, daß die Forderungen der Gewaltlosigkeit und Feindesliebe Reaktion und Ressentiment gegenüber den Tugenden des Starken darstellen, daß sie aus einer "rachsüchtigen List der Ohnmacht heraus" formuliert seien, welche aristokratische Werte entwertet, weil sie nie an sie heranreichen könnte. Feindesliebe ist anders als F. Nietz­sche es sah, nicht Reaktion des Unterdrückten, sondern Handeln eines über­legenen: Verallgemeinerung einer königlichen Haltung, die auch noch der äußerlich Unterlegene einnehmen kann. Nietzsche, der scharfsinnige Kriti­ker christlicher Ethik, weist selbst daraufhin, wenn er die Utopie einer Fein-

5 Bei Mt steht die Feindesliebe am Ende einer bewußt durchgeführten Kompositon, in der Feldrede leitet sie dagegen die konkreten Gebote ein (Lk 6,27ff). Ähnliches gilt von der Didache (Did 1,3 ff). Immer hat die Feindesliebe eine kompositionell hervorgehobene Stellung. Die Rei­henfolge in Q ist umstritten. Die matthäische Reihenfolge setzen hier voraus: R. BULTMANN: Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 71967,100 und S. SCHULZ: Q. Die Spruch­quelle der Evangelisten, Zürich 1972, 120f. Die lukanische Reihenfolge halten für ursprüngli­cher: H. SCHÜRMANN: Das Lukasevangelium, HThK 111,1, Freiburg 1969, 341-366 und D. LÜHRMANN: Liebet eure Feinde (Lk 6,27-36/Mt 5,39-48), ZThK 69 (1972) 412-438.

6 Vgl. H. KOSMALA: Nachfolge und Nachahmung Gottes I. Im griechischen Denken, ASTI 2 (1963) 38-85, bes. 64,56 f. Nicht zugänglich war mir H. HAAS: Idee und Ideal der Fein­desliebe in der außerchristlichen Welt, Leipzig 1917 und M. WALDMANN: Die Feindesliebe in der antiken Welt und im Christentum, Wien 1902.

164 Gewaltverzicht und Feindesliebe

desliebe des Starken entwirft, die ohne Ressentiment ist: " ... hier allein ist auch das möglich, gesetzt daß es überhaupt auf Erden möglich ist- die eigent­liche ,Liebe zu seinen Feinden'. Wie viel Ehrfurcht vor seinem Feinde hat schon ein vornehmer Mensch! - und eine solche Ehrfurcht ist schon eine Brücke zur Liebe. "7

2. Abhebungsmotiv

Motive zur Feindesliebe und zum Gewaltverzicht liegen nicht nur im Ver­hältnis zu Gott, sondern auch im Verhältnis zu anderen Menschen. Unver­kennbar ist die Abhebung von anderen Gruppen ein wichtiger Antrieb zur Verwirklichung dieser Forderungen. Bei Mt werden dabei Heiden und Zöll­ner genannt:

"Wenn ihr aber die liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die Heiden dasselbe?" (Mt 5,46f)

Mt formuliert aus innerjüdischer Perspektive. "Bruder" meint hier den Volksgenossen8 , Heiden sind alle anderen. Andere Fassungen nennen dage­gen andere Außengruppen: Justin die Prostituierten - sie lieben die, die sie lieben - und die Zöllner, die auf der Rückerstattung ausgeliehenen Geldes be­stehen (Ap 1,15,9.10); Lukas nennt dreimal die "Sünder", die allgemeinste Kategorie, die sich formulieren läßt und die im Grunde mit keiner konkreten sozialen Gruppe identifizierbar ist9 • Bei Lk und Justin handelt es sich dabei um Gruppen, von denen sich auch Heidenchristen abheben können. Das Abhebungsmotiv ist also überall vorhanden. Es tritt jedoch bei Mt besonders deutlich hervor, da er Gewaltverzicht und Feindesliebe in antithetischer Form alttestamentlichen Geboten entgegensetzt. Dadurch betont er den U n­terschied zu der "alten" Gerechtigkeit, den Unterschied zu Pharisäern und Schriftgelehrten (5,20), deren Gesetzesverständnis er hier kritisiertlO • Das

7 F. NIETZSCHE: Zur Genealogie der Moral 1,10, S. 266. 8 Die Abgrenzungen gegen die Zöllner, die ja auch Juden waren, ist kein Gegenargument:

Einmal werden die Brüder in 5,47 den Heiden gegenübergestellt, während die Zöllner eben nicht den Brüdern, sondern "denen, die euch lieben" gegenübergestellt werden. Außerdem lassen sich Zöllner und Heiden leicht assoziieren. Für Brüder = Volksgenosse plädieren H. v. SODEN, ThW 1,145; J. JEREMIAS: Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 71965, 108 A.2. Vorsichtiger J. FRIEDRICH: Gott im Bruder, Stuttgart 1977, 233.

9 K. H. RENGSTORF, ThW 1,332, will "Sünder" und Heiden identifizieren (also wie in Gal 2,15). Die Parallelen bei Lk sprechen jedoch für eine allgemeinere Bedeutungvgl. Lk5,8 7,37.39 13,2 15,1 f.7 18,13 19,7, wo immer von "Sündern" innerhalb des Judentums die Rede ist. Lk wählt möglicherweise bewußt den allgemeineren Ausdruck (so S. SCHULZ, Q, 129f).

10 Vgl. dazu bes. eH. BURCHARD: Versuch, das Thema der Bergpredigt zu finden, in: Jesus

Gewaltverzicht und Feindesliebe 165

Neue hebt sich schroff vom Alten ab; das Alte aber ist soziologisch greifbar in konkreten Gruppen.

Die Abhebung von anderen Gruppen basiert entweder auf dem Verhalten selbst oder auf dessen Konsequenzen. Das Verhalten selbst wird als das "Be­sondere" (Mt 5,47: JtEQLoo6v greift hier deutlich auf JtEQWOEUOn 5,20 zu­rück) oder als das "Neue" (Justin Ap I, 15,9f) vom Verhalten anderer abge­hoben. Die Folgen des abweichenden Verhaltens werden dagegen durch die Begriffe !lw{t6~ (Mt 5,46 Lk 6,35) und xaQL~ (Lk 6,32.33.34 2.Clem 13,4 19nPol2,1 Did 1,3) bezeichnet, wobei !lLo{t6~ eindeutig auf den eschatologi­schen Lohn zielt, xaQL~ jedoch auch als menschliche Anerkennung verstan­den werden kann (s. u.).

Eben diese Suche nach menschlicher Anerkennung ist die Kehrseite des Abhebungsmotivs. Schon sehr früh begegnet die vorweggenommene Reak­tion der Umwelt als Motiv christlichen Verhaltens 11. Schon Mt sagt: "Laßt euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen" (Mt 5,16). Noch direkter ist die Verbindung von Feindesliebe und sozialer Anerkennung in 2.Clem 13,412 :

"Wenn sie von euch hören, daß Gott sagt: ,Ihr habt keinen Dank (XaQLI:;), wenn ihr die liebt, die euch lieben; sondern Dank habt ihr, wenn ihr die Feinde liebt und die, die euch hassen' - wenn sie das hören, werden sie über eure außergewöhnliche Güte staunen; wenn sie aber sehen, daß ihr nicht nur die nicht liebt, die hassen, sondern nicht einmal die, die euch lieben, so wird der Name (der Christen) gelä­stert. "

Und Justin bringt unmittelbar nach dem Gebot des Gewaltverzichts die Aufforderung: "Laßt eure guten Werke vor den Menschen leuchten ... " (Ap 1,16,2). Es ist kein Zufall, daß die Feindesliebe in der frühen Kirche vor allem im apologetischen Schrifttum begegnet, ja, daß sie hier einen neuen "Sitz im Leben" findet. Die Wirkung nach außen war schon früh ein ent­scheidendes Motiv: Wer sich von anderen abhebt, will auch beeindrucken 13.

Dabei verfängt man sich freilich in einem Widerspruch: Wenn Mt die Fein­desliebe schroff dem Verhalten von Pharisäern, Schriftgelehrten, Zöllnern und Heiden entgegensetzt, scheint er ja jene Durchbrechung von 1nnen- und Außengruppe rückgängig zu machen, auf die das Gebot der Feindesliebe zielt. Vielleicht kann die weitere Analyse des sozialgeschichtlichen Hinter-

Christus in Historie und Theologie, Festschrift H. Conzelmann, Tübingen 1975, 409--432, bes. 422ff.

11 w. C. v. UNNIK: Die Rücksicht auf die Reaktion der Nicht-Christen als Motiv in der alt­christlichen Paränese, in: Judentum, Urchristentum, Kirche, Festschrift J. Jeremias, Berlin 1964,221-234.

12 Nach H. KÖSTER: Synoptische überlieferung bei den Apostolischen Vätern, TU 65, Ber­lin 1957, 75-77 ist 2.Clem 13,4 von Lk abhängig, was aber nicht sicher ist (vgl. S. 1l0f).

13 Zur Apologetik als "Sitz im Leben" für das spätere Anführen des Feindesliebegebotes vgl. W. BAUER: Das Gebot der Feindesliebe und die alten Christen, in: Aufsätze und kleine Schrif­ten, Tübingen 1967, 235-252.

166 Gewaltverzicht und Feindesliebe

grundes der Feindesliebe bei Matthäus diesen Widerspruch verständlich ma­chen.

3. Das Gegenseitigkeitsmotiv

Kritiker der Feindesliebe und des Gewaltverzichts nehmen hin und wieder daran Anstoß, daß es sich um ein einseitiges Verhalten handelt: um Liebe, die nicht in der Erwartung von Gegenliebe gegeben wird. Feindesliebe - das ist nach Lukas, wie wenn man Geld verleiht, ohne es jemals zurückzuerlangen. Gerade Lk aber betont eine prinzipielle Gegenseitigkeit - auch bei Feindes­liebe und Gewaltverzicht. Denn diese Gebote stehen bei ihm unter dem V or­zeichen der Goldenen Regel. Während Mt diese Regel in anderem Zusam­menhang bringt (Mt 7,12), steht sie bei Lkin der Mitte einer kleinen Kompo­sition von Jesusworten, bei denen Worte über Feindesliebe und Gewaltver­zicht vorausgehen und folgen:

"Und wie ihr wollt, daß euch die Menschen tun, ebenso sollt auch ihr ihnen tun." (Lk 6,31) 14

Nicht nur die Komposition, auch die sprachliche Formulierung verbindet die Goldene Regel mit ihrem Kontext. Das Stichwort "tun" (:nOLELV) wird nämlich in den Formulierungen zur Feindesliebe ausdrücklich aufgegriffen, gerade an Stellen, die bei Mt fehlen. Nur Lk setzt das Gebot "Liebet eure Feinde!" mit der Formulierung fort: "Tut Gutes denen, die euch hassen!" (KaAö)~ :nOLELtE Lk 6,27). Nur Lk wirft die Frage auf: "Denn wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun (aya'fro:nOLij'tE LOiJ~ aya'fro:nOLoüv'ta~), wel­chen Dank habt ihr? Auch die Sünder tun dasselbe!" (Lk 6,33) Nur Lk wie­derholt: "Aber liebet eure Feinde, tut Gutes (aya'fro:nOLEl'tE) und leiht, ohne etwas zurückzuerwarten." Es ist m. E. deutlich genug: Lk versteht Feindes­liebe und Gewaltverzicht letztlich als Ausdruck der Goldenen Regel, d. h. als Ausdruck einer prinzipiellen Reziprozität menschlichen Verhaltens. Man erwartet im Grunde vom anderen dasselbe Verhalten. Die Gegenseitigkeit ist Hoffnung, aber keine Bedingung oder Berechnung.

Dieses Gegenseitigkeitsmotiv wird bei Lk noch in anderer Weise hervor­gehoben. Dreimal betont er, daß Feindesliebe "Dank" erwartet. Umstritten ist, ob "Dank" hier die Anerkennung Gottes oder der Menschen meintlS ,

14 Wahrscheinlich hat die Goldene Regel schon in Q an diesem Platz gestanden. So auch S. SCHULZ, Q, 121, der ansonsten Mt für ursprünglicher hält.

15 Meist wird an den göttlichen Lohn gedacht vgl. H. CONZELMANN, ThW IX,382; W. GRUNDMANN: Das Evangelium nach Lukas, ThHNT III, Berlin 1969,149. W. C. v. UN­NIK: Die Motivierung der Feindesliebe in Lukas VI,32-35, NovText 8 (1966) 284-300, bes. 295ff sieht richtig, daß die menschliche Gegenleistung zumindest als Bedeutungshintergrund mitgegeben ist: Wenn die Christen nur so handelten wie die Sünder, könnten sie nur menschli­chen Dank erwarten! Was für ein Dank wäre das! Aber es könnte sich auch um verschiedene Ar­ten menschlichen "Danks" handeln: Wenn man einen geliehenen Betrag vollständig zurück-

Gewaltverzicht und Feindesliebe 167

wenn aber die der Menschen, ob es sich um den Dank der unmittelbar Betei­ligten oder eine allgemeine Anerkennung durch Dritte handelt. Für eine Deutung von "Dank" als Lohn Gottes spräche der Austausch von XaQLS; ge­gen I-tw{}6S; bei der Wiederholung des Gebotes zur Feindesliebe (Lk 6,35). "Lohn" meint hier eindeutig eschatologischen Lohn16 • Jedoch könnte die Variation des Wortes ja gerade einen übergang von einem immanenten zu ei­nem transzendenten Lohn andeuten! Für eine Interpretation von "Dank" als Anerkennung durch Menschen spräche:

1) XaQL~ ist terminus technicus für die menschliche Gegenleistung bei Wohltaten in der hellenistischen Literatur: vgl. XaQLv aJtoöLö6vm (Xen. memo 11,2,1.2) oder 6 öQaoa~ 'tilv XaQLV (Thuc. 11,40,4)17.

2) XaQL~ wird in urchristlichen Parallelen zum Gebot der Feindesliebe eher imma­nent als transzendent verstanden. V gl. IgnPol2, 1: "Wenn du gute Schüler liebst, welchen Dank hast du?" ; in Did 1,3 stehen die folgenden zwei Sätze parallel und interpretieren einander: "Welchen Dank habt ihr, wenn ihr die liebt, die euch lie­ben?" und "Liebt aber die, die euch hassen, so werdet ihr keinen Feind haben." Erwartet man hier nicht gerade von denen Dank, die man trotz ihrer Feindschaft liebt?

3) Lk ist mit dem Verständnis von xaQL~ als menschlichem Dank vertraut: "Weiß er (sc. der Hausherr) etwa dem Knechte Dank dafür, daß er getan hat, was ihm befoh­len war?" (Lk 17,9) Diese Parallele entspricht der vorliegenden Thematik: Das, wozu man ohnehin verpflichtet ist, hat keinen Dank zur Folge18 •

Lk denkt zumindest auch an menschlichen Dank. Darauf deutet auch das rro(a: "Was für eine Art von Dank habt ihr?" So kann man wohl kaum von Gottes Gnade sprechen! Nun könnte man einwenden, Lk wolle ja gerade darauf hinaus, daß man auf jede Art von Gegenleistung verzichtet! Darauf scheinen die drei rhetorischen Fragen zu zielen. Aber die möglicherweise von Lk hinzugefügte dritte Frage stellt den Sinn dieser Fragen klar: Es geht dar­um, auf die Erwartung der gleichen Gegenleistung zu verzichten (Lk 6,34). Wer Wohltaten übt, darf nicht mit entsprechenden Wohltaten rechnen. Wer Geld verleiht, nicht mit der Rückerstattung desselben Betrages. Das schließt nicht aus, daß er Dank erntet. Lukas geht es um die Qualität der Reaktion des anderen: Was für eine Art von Dank darf die Feindesliebe erwarten! Er hält an einer prinzipiellen Gegenseitigkeit fest!

Damit steht er nicht allein im Urchristentum. Auch in der Didache werden Goldene Regel, Feindesliebe und Gewaltverzicht kombiniert (1,2-5)19.

zahlt, so wird auch der menschliche Dank von anderer Qualität sein als wenn man auf die Rük­kerstattung ganz verzichtet. V gl. Lk 7,40 ff, wo Lk dieses Problem anhand von zwei Schuldnern erörtert.

16 Kurz vorher (Lk 6,23) ist vom "Lohn im Himmel" die Rede. 17 Vgl. W. C. v. UNNIK: Motivierung, 292ff. 18 1.Petr 2,20 wird zwar der Begriff XUQL<; auf die göttliche Anerkennung bezogen; aber eben

deswegen muß "Dank bei Gott" hinzugefügt werden, weil "Dank" alleine als menschlicher Dank verstanden worden wäre. Vgl. W. C. v. UNNIK: Motivierung, 296.

19 Das gilt unabhängig von der literarkritischen Beurteilung der Stelle. Wahrscheinlich ist Did

168 Gewaltverzicht und Feindesliebe

Feindesliebe zielt auf Gegenseitigkeit, oder vorsichtiger formuliert: darauf, daß der Feind aufhört, ein Feind zu sein20 :

"Was habt ihr für einen Dank, wenn ihr die liebt, die euch lieben? Tun nicht auch die Heiden das? Ihr aber liebet die, die euch hassen. So werdet ihr keine Feinde ha­ben!" (Did 1,3)

Wahrscheinlich wird mit demselben Gegenseitigkeitsmotiv etwas weiter auch der Verzicht auf die Zurückforderung des Darlehens begründet: "Du kannst es auch nicht" (Did 1,4) - nämlich das Geforderte zurückzahlen. Je­doch gibt es hier auch andere Deutungsmöglichkeiten21 .

In ganz anderer Weise wird dagegen bei Mt Gegenseitigkeit und Gewalt-verzicht aufeinander bezogen:

, ,Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, daß ihr dem Bösen nicht widerstehen sollt." (Mt 5,38 f)

Das geforderte neue Verhalten wird in einen schroffen Gegensatz zum ar­chaischen jus talionis gebracht, zur Forderung faktischer Gegenseitigkeit bei der Vergeltung. Dieser nur bei Mt vorliegende Kontrast hebt unwillkürlich den Verzicht auf Gegenseitigkeit hervor. Auch eine neue ideelle Gegenseitig­keit ist nicht in Sicht. Vielmehr orientiert sich das neue Verhalten am Vorbild Gottes, an der Nachahmung seines "asymmetrischen" und einseitigen Ver­haltens gegenüber dem Menschen. Wer einseitig auf Widerstand verzichtet, wer die Feinde liebt und für die Verfolger betet, ahmt Gott nach, der unab­hängig von den Reaktionen der Menschen seine Sonne über Gute und Böse scheinen läßt. Eben dadurch ist er anderen Menschen weit überlegen. Lk be­tont dagegen: Das neue Verhalten zielt auf eine neue (ideelle) Gegenseitig­keit. Man unterscheidet sich dadurch nicht von bestimmten sozial faßbaren Menschengruppen, sondern allgemein von den "Sündern"; Sünder kann aber jeder Mensch sein und werden. Der Durchbrechung faktischer, archai­scher Gegenseitigkeit bei Mt steht bei Lk das Ziel einer neuen, ideellen Ge­genseitigkeit gegenüber.

1,3-2,1 eine Interpolation - sei es durch den Didachisten selbst, sei es durch einen späteren Bear­beiter. Die Goldene Regel wäre aber in jedem Fall Anlaß zur Interpolation gewesen. Die Inter­polationsthese unterstreicht also den Zusammenhang von Goldener Regel und Feindesliebe. Zum literarkritischen Problem vgl. PH. VIELHAUER: Geschichte der urchristlichen Literatur, Berlin 1975, 730, 733 und die dort angegebene Literatur.

20 Dafür gibt es viele Parallelen im Judentum, die A. NISSEN: Gott und der Nächste im anti­ken Judentum, WUNT 15, Tübingen 1974, 312ff aufführt. Vgl. bes. TESTBENJ 4,2f 5,1: "Der gute Mensch hat ja kein finsteres Auge; er hat mit allen Mitgefühl, auch wenn sie Sünder sind. Selbst wenn sie ihm zuleide Böses planen, besiegt er Böses dadurch, daß er Gutes tut ... Seid gut gesinnt, ihr meine Kinder! Dann halten auch die schlechten Menschen mit euch Frieden."

21 Vgl. H. KÖSTER: Synoptische überlieferung, 229; R. KNOPF: Die Lehre der zwölf Apo­stel, HNT Erg.-Bd. I, Tübingen 1920, 9.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 169

4. Das eschatologische Lohnmotiv

Die postulierte Gegenseitigkeit des Verhaltens ist ein Vorgriff: Zur Fein­desliebe gehört, daß man mit dieser Gegenseitigkeit nicht von vornherein rechnen kann, daß sie ein Vorgriff bleiben kann, ohne Echo auf Seiten des an­deren. Hier kommt nun die Vorstellung vom himmlischen Lohn ins Spiel, d. h. die Vorstellung einer eschatologischen Gegenseitigkeit, welche dem Gegenseitigkeitsverlangen auch unabhängig von seiner diesseitigen Erfüllung Rechnung trägt. Immanente und eschatologische Gegenseitigkeit müssen dabei nicht in Gegensatz zueinander stehen. In Sir 12,2 ergänzen sie sich ge­genseitig: "Tue dem Frommen Gutes, und du kannst auf Vergeltung rech­nen; und wenn nicht von ihm, so doch vom Höchsten." Ähnlich geht Lk ohne starken Bruch von der immanenten zur eschatologischen Gegenseitig­keit über; letzteres Motiv betont er weit mehr als Mt, der wohl den Begriff "Lohn" bringt (Mt 5,46), bei dem die Feindesliebe aber als Nachahmung Gottes ihren Wert in sich selbst hat. Lukas ordnet dagegen die imitatio dei anders ein:

"Werdet barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Und richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet! Und verurteilt nicht, so werdet ihr nicht verurteilt! Sprecht frei, so werdet ihr freigesprochen! Gebt, so wird euch gegeben! ... (Lk 6,36ff)22

Ganz offensichtlich steht "werdet barmherzig!" parallel zu "richtet nicht!". Lk denkt nicht nur an die Nachahmung des gegenwärtigen göttli­chen Handelns, sondern an das zukünftige Gerichtshandeln Gottes. Man kann umschreiben: Werdet barmherzig, wie auch euer Vater im eschatologi­schen Gericht barmherzig ist.

Im eschatologischen Gericht wird nach einem jus talionis verfahren. Man kann daher sagen: Bei Lk zielt die Feindesliebe auf ein zukünftiges jus talio­nis, bei Mt wird sie mit dem alten jus talionis konfrontiert. Das Gegenseitig­keitsmotiv bestimmt somit bei Lk sowohl Gegenwart wie Zukunft. Damit steht er nicht allein im Urchristentum. Auch in l.Klem 13,2 werden Erbar­men, Verzeihen und Güte durch ein Gegenseitigkeitsmotiv motiviert23 •

Auch hier wird ans eschatologische Gericht gedacht. Wenn aber mitten in dieser Sammlung von Herrenworten Anklänge an die "Goldene Regel" be­gegnen, so deutet das daraufhin, wie wenig man Zukunft und Gegenwart auseinanderhalten kann:

22 H. SCHÜRMANN: Lukasevangelium, 342-366, trennt diese Worte allzu scharf von den vor­hergehenden Worten zur Feindesliebe. Der Gedanke der imitatio dei, der schon Lk 6,35 vor­liegt, wird aber hier V. 36 wieder aufgegriffen, so daß man von keinem Einschnitt zwischen V. 35 und V. 39 reden kann.

23 Zu l.Klem 13,2 vgl. H. KÖSTER: Synoptische überlieferung, 12-16.

170 Gewaltverzicht und Feindesliebe

"Denn so hat er (d. h. Jesus) gesagt: Erbarmt euch, damit ihr Barmherzigkeit findet! Verzeiht, damit euch verziehen wird! Wie ihr tut, so wird euch getan werden! Wie ihr gebt, so wird euch gegeben werden! Wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden! Wie ihr euch gütig erweist, so wird euch Güte erwiesen werden! Mit demselben Maß, mit dem ihr meßt, wird euch gemessen werden!

Mt bringt die entsprechenden Worte "Richtet nicht, damit ihr nicht ge­richtet werdet!" an anderer Stelle (Mt 7,Hf), losgelöst von den Problemen der Feindesliebe. Im Zusammenhang mit der Feindesliebe spricht er nicht vom eschatologischen Richter, sondern vom Schöpfer und dessen Souveräni­tät über Gute und Böse, dessen Nachahmung unabhängig von den Folgen in sich wertvoll ist. Anders bei Justin, der das matthäische Sonnenbild aufgreift. Er begnügt sich nicht mit dem Imitatio-Motiv, sondern fügt einen Hinweis auf die Konsequenzen im Gericht an:

" ... denn auch den Allherrscher sehen wir als einen, der gütig und barmherzig ist, der seine Sonne aufgehen läßt über Undankbare und Gerechte und regnen läßt über Fromme und Böse, die er alle einmal richten wird, wie er gelehrt hat. " (Dial96,3)

Dieser Hinweis auf das eschatologische Gericht ist sehr aufschlußreich. Justin weist ja nicht nur auf den eschatologischen Lohn hin, sondern auch auf das Gericht über die Undankbaren und Bösen, ein Motiv, das sich sonst häu­fig im Zusammenhang mit Mahnungen zur Vergebungsbereitschaft gegen­über Feinden findet, das aber gerade in den synoptischen Formulierungen zu Gewaltverzicht und Feindesliebe fehlt. Dieses Motiv liegt in zwei Varianten vor: Der Gedanke an Gottes Gericht weckt entweder die Vorstellung von der Bestrafung des Bösen, enthält also eine nach außen, gegen den anderen ge­richtete Aggressivität, oder er erinnert an die eigene Schuld, verstärkt also die im Schuldbewußtsein enthaltene nach innen gewandte Aggressivität. Die er­ste Vorstellung ermöglicht einen eschatologischen Racheaufschub, die zweite schärft das Bewußtsein ein, selbst auf Vergebung angewiesen zu sein24 •

1. Das Motiv des eschatologischen Racheaufschubs findet sich in vergleichbarem Zusammenhang bei Paulus: "Mein ist die Rache, ich werde vergelten, spricht der Herr" (Röm 12,19). Hier wird zweifellos Aggressivität an Gott, ,delegiert". Er über­nimmt den Rachewunsch und entlastet damit den Menschen von aggressivem Druck. Das Motiv ist verbreitet. In Test Gad 6,3ff heißt es: "Wenn jemand gegen dich sün­digt, sprich zu ihm in Frieden, schaffe den Geist des Hasses weg und halte in deiner Seele keine List fest; und wenn er umkehrt und gesteht, vergib ihm .... Ist er aber un-

24 Vgl. zu den folgenden Stellen aus dem Judentum A. NISSEN: Gott und der Nächste, 308ff.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 171

verschämt und beharrt auf seiner Schlechtigkeit, vergib ihm auch so von Herzen und übergib Gott die Vergeltung." Noch deutlicher tritt das Motiv im slHen 50,3 f zu Tage: "Jeden Schlag und jede Wunde und Glut und jedes böse Wort- wenn um des Herrn willen Anfechtung und Wunde auf euch zukommen, erduldet alles um des Herrn willen. Selbst wenn ihr mit hundertfacher Vergeltung vergelten könntet, ver­geltet weder den Nahen noch den Fernen, weil der Herr ein Vergelter ist, und er wird euer Rächer sein am Tage des großen Gerichts, damit ihr nicht hier von Menschen, sondern dort vom Herrn gerächt werdet. "

2. Die andere Variante des Gerichtsrnotivs lautet: Wer sich angesichts des Gerich­tes Gottes seiner Schuld bewußt ist, kann nicht auf der Schuld des anderen Menschen, auch nicht auf der Schuld des Feindes, beharren und insistieren. Ihm droht ja selbst Gottes Strafe:

"Wer sich rächt, wird Rache vom Herrn erhalten, und seine Sünden wird er ihm fest und sicher anrechnen. Erlaß das (dir angetane) Unrecht deinem Nächsten, und alsdann werden, wenn du darum bittest, deine Sünden vergeben werden. Es hält ein Mensch gegen einen (anderen) Menschen den Zorn fest und will vom Herrn Heilung fordern? Mit dem Menschen, der ihm (doch) gleich ist, hat er kein Mitleid und für seine Sünden bittet er? Er selbst, der doch Fleisch ist, hält den Groll fest, wer soll da seine Sünden sühnen?" (Sir 28,1-5)

Beide Motive finden sich auch in den Evangelien. Man denke nur an die Rachephantasien in Mt 10,11-15, wo feindlichen Orten in direktem Wider­spruch zum Gebot der Feindesliebe die eschatologische Strafe angedroht wird: ein Ende, das schlimmer als das Ende Sodoms und Gomorrhas sein soll! Gerade deshalb aber, weil derartige Motive in der Jesusüberlieferung vorhanden sind, muß ihr Fehlen im Zusammenhang mit der Feindesliebe auf­fallen - zumal in der Lk-Fassung, wo man sie aufgrund des Kontextes fast postulieren müßte. Den vorausgehenden Seligpreisungen der Armen, Hun­gernden und Trauernden stehen nämlich jeweils Wehrufe über Reiche, Satte und Lachende gegenüber. Dem entspräche bei der abschließenden Seligprei­sung der Verfolgten ein Wehruf über die Verfolger. Statt dessen finden wir dort einen Weheruf über die, die nicht verfolgt werden: "Weh euch, wenn alle Menschen gut über euch sprechen. Eben dasselbe nämlich haben ihre Vä­ter denPseudopropheten getan!" (Lk 6,26) Das eschatologische Gericht, auf das sich das Wehe bezieht, weckt hier nicht Gedanken an eine Bestrafung der Feinde, sondern kritische Gedanken hinsichtlich des eigenen Verhaltens: Wenn man keine Ablehnung hervorruft, muß man sich falsch verhalten ha­ben! Damit ist zugleich gesagt, daß das zweite Motiv "Selbstkritik als Hem­mung von Aggression und Aggressivität" sehr viel mehr den evangelischen Aussagen entspricht als das erste. Heißt es doch an zentraler Stelle der Berg­predigt: "Und vergib uns unsere Sünden, wie auch wir vergeben unsern

172 Gewaltverzicht und Feindesliebe

Schuldnern!" (Mt 6,12) Ausdrücklich begegnet dieses Motiv jedoch nicht im Zusammenhang mit der Feindesliebe. Und das ist wichtig: Hier dominiert eine positive Motivation: die imitatio dei, die überlegenheit über andere, die Hoffnung auf einen "Dank" und die Erwartung eines eschatologischen Loh­nes. Wir spüren nichts von einer negativen Motivation: einer Angst vor dem Gericht oder einem Drohen mit zukünftigen negativen Konsequenzen. Auch das bestätigt unseren Eindruck: Diese Gebote sind von einem großen, positiv gestimmten Selbstbewußtsein getragen - und sind daher alles andere als ein ressentimentbestimmter Angriff des Schwachen auf die überlegenen.

Zuletzt sei auf zwei Motive hingewiesen, die bei der nächstliegenden anti­ken Parallele zum Gebot der Feindesliebe hervortreten und die nur teilweise eine Entsprechung im Urchristentum haben. Es handelt sich um stoische Aufforderungen zum Wohltun an den Gegnern25 , besonders um Epiktets Ausführungen über den Kyniker:

"er muß sich treten lassen wie ein Hund und unter den Tritten eben die, die ihn tre­ten, auch noch lieben wie ein Vater aller, wie ein Bruder" (diss III,22,54).

Zwei Motive sind hier wichtig: das Motiv der Unabhängigkeit des Stoikers gegenüber äußerem Leid und das Motiv einer Verwandtschaft aller Men­schen. Das Unabhängigkeitsmotiv ist Thema des ganzen Abschnittes über den wahren Kyniker. Er lebt exemplarisch Epiktets Grundgedanken, daß wir uns auf das konzentrieren sollen, worüber wir verfügen können - und uns von dem frei machen sollen, was wir nicht beeinflussen können. Es liegt eben an uns, ob wir uns durch die Schmähungen eines anderen gedemütigt fühlen oder nicht (ench. 20); und wenn uns jemand mißhandelt, sollen wir das als übung zur Förderung innerer Unabhängigkeit auffassen (diss. III,20,9ff). Dieses Motiv einer souveränen inneren Kontrolle findet sich nur zweimal im Urchristentum angedeutet. Der Verzicht auf Gegenwehr setzt eine Beherr­schung innerer aggressiver Impulse voraus:

"Enthalte dich fleischlicher (und leiblicher) Begierden. Wenn dir jemand einen Schlag auf die rechte Backe gibt, biete ihm auch die andere, und du wirst vollkom­men sein." (Did 1,4)

"Dem, der dich auf die Wange schlägt, biete auch die andere, und dem, der dein Hemd nimmt, dem verweigere auch den Mantel nicht. Wer aber zürnt, der ist des Feuers schuldig. Jeden der dich zu einer Meile preßt, begleite zwei ... " (Justin Ap 1,16,1)

25 Neben den angeführten Stellen vgl. Seneca de ira II,32,1 III,34,2 de otio 1,4. Zum Ver­gleich zwischen stoischer "Feindesliebe" und urchristlicher R. BULTMANN: Jesus 1926 =

GTB 17, Gütersloh 31977, 77-84. Bultmanns Deutung der Feindesliebe als Höhepunkt der Selbstüberwindung (5. 79), ist jedoch nicht ganz adäquat: Eben dies Motiv fehlt in den urchrist­lichen Texten. Zur Kritik an Bultmanns Deutung vergleiche die m. E. berechtigten Erwägungen bei L. SCHOTTROFF: Gewaltverzicht und Feindesliebe in der urchristlichen Jesustradition Mt 5,38-48; Lk 6,27-36, in: Jesus in Historie und Theologie, Festschrift H. Conzelmann, Tübin­gen 1975, 197-221.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 173

Durch die Komposition wird hier deutlich gemacht, daß man über die psy­chologischen Voraussetzungen der Feindesliebe und des Verzichtes auf Ge­genwehr reflektiert: Begierde und Zorn müssen dazu beherrscht werden. Das Motiv begegnet nur selten und auch nur andeutungsweise.

Das zweite stoische Motiv steht zum ersten in einer gewissen Spannung: Die Forderung der Unabhängigkeit von allen anderen Menschen wird ausge­glichen durch das Bewußtsein einer tiefen Verbundenheit aller Menschen -auch der feindlichen Menschen. Wie ein Vater und Bruder soll der gepeinigte Kyniker gegenüber seinem Peiniger auftreten. Ausgeprägt begegnet das Mo­tiv bei Marc Aurel:

"Morgens früh zu dir sagen: Ich werde mit einem zudringlichen, undankbaren, frechen, falschen, mißgünstigen, unfreundlichen Menschen zusammentreffen. -Alle diese Eigenschaften haben sie ja, weil sie im unklaren darüber sind, was gut und böse ist, Ich aber, der das Wesen des Guten erkannt hat, daß es schön ist, und des Bösen, daß es häßlich ist, wie auch die Natur des (gegen mich) Fehlenden sel­ber, d. h. daß er mit mir verwandt ist - hat er auch nicht an demselben Blut und Samen mit mir teil, so doch an demselben Geist und an der gleichen göttlichen Ab­kunft - ich kann von keinem von ihnen Schaden erleiden, Denn in Schande kann mich keiner stürzen. Ich kann auch meinem Verwandten nicht zürnen oder ihm feind sein. Denn wir sind zum Zusammenarbeiten bestimmt, wie auch die Füße, die Hände, die Augenlider, die Reihen der oberen und unteren Zähne. Einander entgegenzuarbeiten ist daher wider die Natur. Wir arbeiten uns aber entgegen, wenn wir einander zürnen und uns meiden." (Il,l vgl. ferner IX,27)

Nirgendwo im Urchristentum wird die Feindesliebe durch Berufung auf eine natürliche Verwandtschaft zwischen allen Menschen begründet. Es gibt nur eine Gleichheit vor Gott, der gleichmäßig über Gute und Böse seine Sonne scheinen läßt.

Wir können den ersten Teil nun zusammenfassen: Mt betont eindeutig das imitatio-Motiv. Es schließt eine soziale überlegenheit mit ein. Wer durch imitatio dei "Sohn Gottes" ist, ist damit mehr als die, die nicht "Söhne Got­tes" sind. Insofern hängen Imitationsmotiv und Abhebungsmotiv zusam­men, abgesehen davon, daß die Abhebung von Heiden und Zöllnern, Phari­säern und Schriftgelehrten als "negative" imitatio verstanden werden kann. Nachahmung Gottes bedeutet eben: keine Nachahmung anderer menschli­cher Gruppen. Beide Motive enthalten eine gewisse Asymmetrie, beide sehen den Wert des geforderten Verhaltens in diesem Verhalten selbst.

Anders Lk. Hier spielen die Konsequenzen des Handeins die entschei­dende Rolle. Lk betont dabei deutlich Gegenseitigkeitsmotive: Dank und eschatologischer Lohn, menschliche und göttliche Anerkennung werden als Gegenwert für das geforderte Verhalten erhofft und erwartet. Wer liebt und verzeiht, ist prinzipiell auf ein Echo von Liebe und Verzeihen angewiesen, auch wenn es faktisch oft ausbleibt. Hier bei Lk wird ein Insistieren auf Symmetrie sichtbar. Und es stellt sich nun die Frage, ob hinter diesen ver-

174 Gewaltverzicht und Feindesliebe

schiedenen Motivationsstrukturen verschiedene Sozialstrukturen sichtbar werden.

Il. Der soziale Ort von Feindesliebe und Gewaltverzicht

Was Feindesliebe und Gewaltverzicht bedeuten, läßt sich nicht unabhän­gig von der sozialen Situation bestimmen, in der diese Forderungen geboten und praktiziert werden. Nun ist von vornherein deutlich, daß die matthä­ischen und lukanischen Traditionen in verschiedenen religionsgeschichtli­chen Bereichen beheimatet sind und im Hintergrund zwei verschiedene Ge­rechtigkeitstypen stehen26 : Gerechtigkeit aufgrund eines asymmetrischen Verhältnisses zwischen überlegenem und Unterlegenem - einer iustitia salu­tifera, welche die Hilfe des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren fordert und aus alten orientalischen Traditionen stammt -, und einem okzidentalen Gerechtigkeitstypus, der auf der Herstellung von Symmetrie und Gegensei­tigkeit zwischen Gleichen insistiert: der iustitia distributiva. Beide Typen ba­sieren auf verschiedenen sozialen Erfahrungen: dort auf denen der orientali­schen Monarchie, hier auf denen der hellenistischen Republik27 •

Jedoch ist damit wenig gesagt. In den Synoptikern werden beide Gerech­tigkeitstypen transzendiert: Die asymmetrische Feindesliebe wird nun dem minder Mächtigen zugemutet. Er soll eine Haltung königlicher Souveränität einnehmen und aus dem Bewußtsein innerer überlegenheit verzeihen. Die Tugend des Mächtigen und des Königs, dem Schwachen zu helfen - sie wird nun umgekehrt: Gerade der Verfolgte übernimmt die königliche Rolle des "Sohnes Gottes".

Aber auch das hellenistische Gegenseitigkeitsethos wird modifiziert. Feindesliebe besteht ja gerade darin, daß man die Möglichkeit einer ausblei­benden Gegenseitigkeit unter Menschen in Kauf nimmt. Die einseitige Fein­desliebe wird durch die Goldene Regel nicht etwa eingeschränkt, sondern eher radikalisiert: Die Goldene Regel stellt klar, daß es sich hierbei nicht um ein partikulares Ethos handelt, sondern ein Verhalten, das grundsätzlich von jedem erwartet wird.

Der Hinweis auf zwei verschiedene Gerechtigkeitstypen und deren ver­schiedenen sozialen Hintergrund sagt also wenig aus. Beide Typen werden verbunden und modifiziert. Wir müssen konkreter nach dem Sitz im Leben von Feindesliebe und Gewaltverzicht fragen. Es leuchtet ja unmittelbar ein, daß es ein ethisch relevanter Unterschied ist, ob ein Sieger seinem unterwor­fenen Feind, ,lieben" soll und auf Rache verzichtet oder ob sich ein U nterle­gen er zu dieser Haltung durchringt. L. Schottroff hat in einer grundlegenden

26 Vgl. die Gegenüberstellung bei H. P. HASENFRATZ: Die Rede von der Auferstehung, 'l12-226.

2r Vgl. H. BOLKESTEIN: Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, Utrecht 1939, 418ff.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 175

Arbeit diesen Gedanken konsequent durchgeführt und die antiken Parallelen in einer überzeugenden Typologie angeordnet - einer Typologie, deren un­terscheidendes Kriterium der "Sitz im Leben" ist. Racheverzicht, Mäßigung gegenüber Feinden oder gar freundliches wohlwollendes Verhalten ihnen ge­genüber lassen sich demnach in drei verschiedenen Zusammenhängen fest­stellen28 :

1. Der Unterlegene soll ein Mann ohne Galle sein (äXOAOS;). Er hat - gewiß aus Klugheit - die gegebene Situation zu akzeptieren. Es ist ja oft" wenig dienlich, Unrecht zu rächen" (Sen. de ira II,33,2). Daß die Antike gleichzei­tig die Unterwerfung unter eine Situation als Ausdruck sklavischer Gesin­nung tadeln kann, ist kein Widerspruch: Man unterschied recht offen zwi­schen verschiedenen Verhaltensregeln für Abhängige und Freie (vgl. Sen. de ira II,34,1).

2. Der überlegene verzichtet auf Rache. Im Hinblick darauf schreibt Se­neca: "Nicht nämlich wie es bei Wohltaten ehrenwert ist, Güte mit Güte auf­zuwiegen, so auch Unrecht mit Unrecht. Dort ist sich besiegen zu lassen schimpflich, hier, zu siegen. Ein unmenschliches Wort gibt es, freilich als ge­recht aufgefaßt - Rache. Und Vergeltung unterscheidet sich nicht viel von Unrecht außer durch die Reihenfolge" (de ira II,32,1).

3. Der Philosoph erleidet lieber Unrecht, als daß er Unrecht begeht. Das große Vorbild ist Sokrates (Plato, Kriton 49 Aff). Der Philosoph steht jen­seits der gesellschaftlichen Hierarchie, läßt sich weder eindeutig unten noch oben einordnen. Viele Anekdoten veranschaulichen seine Souveränität ge­genüber Schmähungen:

, ,Sokrates aber, als ihn Aristokrates getreten hatte, vergalt ihm oder tadelte ihn mit nichts anderem, als daß er zu den Vorübergehenden sagte: dieser Mann ist krank an der Krankheit der Maultiere. Platon aber, als ihm einer drohte: ich töte dich, wandte sich und drohte ihm: ich besänftige dich." (Themistios, m:gL agEtii~ 46)29

Wir haben nun zu fragen, wo die urchristlichen Gruppen einzuordnen sind, die hinter Gewaltverzicht und Feindesliebe sichtbar werden. Dabei ist zwischen den matthäischen, den lukanischen Gemeinden sowie den Grup­pen hinter der Logienüberlieferung (einschließlich der Logienquelle) zu un­terscheiden. Abschließend soll dann nach dem historischen J esus gefragt werden.

28 L. SCHOTTROFF: Gewaltverzicht und Feindesliebe, 207-213. Daß ich dieser Arbeit ent­scheidende Anregungen verdanke, sei ausdrücklich betont.

29 Themistios lebte ca. 317-388 n. ehr. Seine Rede "über die Tugend" ist übersetzt von J. GILDEMEISTER undF. BÜCHELER in: Rhein. Museumf. Philologie NF 27, (1872) 438--462, Zitat S. 461. Es handelt sich hierbei um Wiedergabe älterer Anekdoten. Die letzte Anekdote erzählt auch Plutarch (de cohib. ira 14) von Eukleides, Themistios selbst bringt sie an anderer Stelle (7,95a) von Sokrates.

176 Gewaltverzicht und Feindesliebe

1. Die matthäisehen Gemeinden

Mt hat Gewaltverzicht und Feindesliebe nebeneinander gestellt als zwei getrennte, antithetisch formulierte Forderungen. Aber auch bei ihm gehören beide Gebote eng zusammen. Das geht aus dem Aufbau der Antithesenreihe hervor30 . Zweimal begegnet die ausführliche Einleitungsformel : "Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt wurde" (5,21 und 5,33) und gliedert die An­tithesenreihe in zwei gleich große Gruppen, eine Gliederung, die auch durch das einleitende naA.lV in 5,33 unterstrichen wird. In beiden Gruppen gehören die beiden letzten Antithesen formal wie inhaltlich eng zusammen. Beide werden nur durch eine verkürzte Einleitungsformel eingeführt. Beide han­deln von verbundenen Themen: von Ehebruch und Ehescheidung auf der ei­nen Seite, von Gewaltverzicht und Feindesliebe auf der anderen. Man darf daher aus der Selbständigkeit von Gewaltverzicht und Feindesliebe nicht schließen, sie gehörten inhaltlich nicht eng zusammen.

Die Analyse des Aufbaus ist auch in anderer Hinsicht aufschlußreich. Die erste Antithesengruppe ist kasuistisch formuliert: Auf nä~ + Partizip folgt jeweils eine Schulderklärung. Es wird nicht gesagt, was positiv gefordert wird. Es wird nur das verworfene Verhalten festgestellt. Die zweite Antithe­sengruppe ist dagegen apodiktisch formuliert: Das geforderte Verhalten wird mit Hilfe von Infinitiven oder Imperativen positiv beschrieben. Während sich nun die erste Antithesengruppe an alle wendet (nä~), wendet sich die letzte an eine bestimmte Gruppe. Die zweite Person Plural, die außerhalb der Anredeformel "Ich aber sage euch" usw. im ersten Teil nirgendwo begegnet, tritt nun gehäuft auf. Alle Gebote sind entweder als Infinitiv von einem Myw UflLV abhängig (und stehen somit in der 2. Pers. PI.) oder sie werden direkt in der 2. Pers. PI. formuliert (5,44.46.47.485,37). Man darf daraus folgern: Die negativen Schuldfeststellungen gelten für alle. Die positiven Gebote aber wenden sich betont an eine besondere Gruppe!

Unsere Aufgabe ist nun, anhand der matthäischen Besonderheiten die Si­tuation dieser Gruppe zu erhellen: Die Situation der Mt-Gemeinden muß aus jenen Sätzen hervorgehen, die Mt über Lk hinaus bringt, oder aus anderen Zügen, die nur ihn auszeichnen:

a) über Lk hinaus bringt Mt die Forderung: "Dem, der dich zu einer Meile Dienstleistungen nötigt, begleite zwei Meilen!" (Mt 5,41); ayyuQEVElV ist ein aus dem Persischen stammender terminus technicus für erzwungene Dienstleistungen für den Staat. Die einzige Parallele in Mk 15,21 denkt an Soldaten, die den vom Feld kommenden Simon dazu zwingen, J esu Kreuz zu tragen. Ebenfalls von Soldaten spricht Epiktet diss. IV,1,79:

"Deinen ganzen Körper sollst du so wie einen vollgepackten Esel behandeln, so-

30 Vgl. dazu R. GUELICH: The Antithesis of Matthew V,21-48: traditional and/or redactio­nal? NTS22 (1976) 444-457. Ferner: G. STRECKER, Die Antithesen der Bergpredigt (Mt 5,21-48 par), ZNW 69 (1978) 36-72.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 177

lange das möglich und gestattet ist. Wenn aber "Aggareia" ist und ein Soldat ihn nimmt, laß es geschehen, widersetze dich nicht und murre nicht. Sonst bekommst du Schläge und wirst nichtsdestoweniger den Esel verlieren."

Auch die vielen rabbinischen Parallelen31 sprechen für staatliche Zwangs­leistungen. Speziell auf die Römer deutet das Fremdwort !!LALOV, das nur hier im NT begegnet anstelle des sonst üblichen 01;aÖLov32 . All das legt die Ver­mutung nahe: Für die Situation der Mt-Gemeinden waren Zwangsverpflich­tungen durch die Römer (d. h. durch römische Soldaten) ein aktuelles Pro­blem33 •

b) Die vier Beispiele einer gewaltfreien Reaktion auf Unrecht erhalten bei Mt eine gemeinsame Einleitung: "Ihr sollt nicht dem Bösen widerstehen!" (Mt 5,39) Die folgenden Beispiele verlangen freilich mehr als einen Verzicht auf Widerstand. Sie verlangen, daß man dem Gegner jeweils freiwillig mehr zugesteht, als dieser verlangt. Sie fordern ein paradoxes Entgegenkommen. Der Mt-Text deutet dieses "Mehr" an: Nach dem Gebot, auf Widerstand zu verzichten, werden nämlich die folgenden Beispiele durch "aber" (UAA.a) eingeleitet. Die negative Forderung, nicht Widerstand zu leisten, wird durch eine positive ergänzt und übertroffen34 . So ist auch bei Mt nicht einfach an ein passives Sichfügen gedacht. Aber es ist doch charakteristisch, daß er zunächst einmal den Verzicht auf Widerstand nennt35 • Hier darf man wohl fragen: Entspricht das nicht der Lage eines unterworfenen Volkes. Es ist dieselbe Lage, in die Josephus seinen "jüdischen Krieg" (ca. 75-79 n. ehr.) hinein schreibt, um die Juden und alle anderen östlichen Völker vor einem Wider­stand gegen das Römische Reich zu warnen. Seine Gedanken legt er dabei dem Agrippa H. in einer großen Rede vor Ausbruch des Krieges in den Mund:

, ,Man muß nämlich die Obrigkeit zu gewinnen suchen und sie nicht erzürnen.

31 Vgl. P. FIEBIG: ayyaQfuw, ZNW 18 (1917/8) 64-72; DERS.: Jesu Worte über die Feindes­liebe, ThStKr 91 (1918),30-64, dort S. 51ff.

32 V gl. W. BAUER: WB, sv. fA,LJ..LOV. Das Längenmaß o,aliLov findet sich dagegen Mt 14,24 Lk 24,13 Joh 6,19 11,18 Apk 14,20 21,16. Es ist doch auffällig, daß gerade hier ein lateinisches Fremdwort auftaucht.

33 Ich folge hier den wichtigen Ausführungen von P. HOFFMANN in: P. HOFFMANNIV. EID: Jesus von Nazareth und eine christliche Moral, QuDisp 66, Freiburg 1975, 147-167. Er fragt mit Recht S. 158: "Stellen diese Änderungen eine Antwort auf die notvolle Simation nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes dar?"

34 Richtig P. HOFFMANN: S. 159: "Die Sprüche fordern nicht zur Hinnahme auf, sondern­und das macht gerade die Schwierigkeit ihrer Interpretation aus - zu einer paradoxen Aktivität."

35 Der Verzicht auf Widerstand ist nicht auf das juridische Gebiet einzugrenzen (wie eH. BURCHARD: Versuch, 424 A.62 mit Recht betont). Nur einer der konkreten Fälle läßt sich als Rechtsverzicht deuten. überhaupt lassen sich die konkreten Beispiele nicht unter der Formel "Verzicht auf Widerstand" subsumieren; vielmehr wird hier jeweils etwas genannt, was über diesen Verzicht hinausgeht. Daher empfindet man auch das letzte Beispiel, die Aufforderung zu geben, nicht als völlig unpassend, obwohl sie mit einem Verzicht auf Widerstand gegen das (oder den) Böse(n) nichts zu tun hat.

178 Gewaltverzicht und Feindesliebe

Wenn ihr aber die kleinen Vergehen mit heftigen Schmähungen aufbauscht, dann stellt ihr zwar die so Geschmähten vor euch selbst bloß, erreicht aber nur, daß sie euch durch das Unheil, das sie euch bisher nur heimlich und zurückhaltend zufüg­ten, nun offen zugrunde richten. Nichts läßt die Schläge eher aufhören als geduldi­ges Tragen, und das Stillehalten der Opfer führt zu einer Wandlung der Peiniger. Angenommen, die römischen Beamten seien wirklich unerträglich hart, so ist da­mit noch nicht gesagt, daß alle Römer und der Kaiser selbst euch unrecht tun; ge­gen sie aber wollt ihr den Krieg führen." (bell 2,350--352)

Es ist gut denkbar, daß im Hintergrund der matthäischen Aufforderungen, nicht Widerstand zu leisten, dieselbe Situation steht, in die hinein J osephus diese Worte spricht, nur daß Mt nicht nur an ein Stillehalten denkt, sondern an eine paradoxe Reaktion. Die im Hintergrund stehende allgemeine Stim­mung könnte dieselbe sein.

c) Eine weitere Besonderheit des Mt ist die antithetische Formulierung, welche das neue Ethos einem strengen jus talionis und dem Feindeshaß ent­gegensetzt. Auch hier darf man fragen, ob nicht Krieg und Nachkriegszeit genug Anschauungsmaterial für Rachegedanken und Feindeshaß gaben. Und ob nicht dieser Krieg das Vorurteil verbreitete und bestärkte, die Juden haß­ten andere Völker. Wenigstens gibt Tacitus diesem Vorurteil beredten Aus­druck36 :

"Moses, quo sibi in posterum gentem firmaret, novos ritus contrariosque ceteris mortalibus indidit ... Apud ipsos fides obstinata, rnisericordia in promptu, sed adversus omnes alios hostile odium." (hist. V,4 und 5)

Vergleicht man die Mt-Aussagen, so haben sie denselben Tenor: Unterein­ander gilt das Liebesgebot, der Feind aber darf gehaßt werden - und das alles aufgrund des mosaischen Gesetzes. Wenn sich die Mt-Gemeinden hier von den Pharisäern und Schriftgelehrten distanzieren, so distanzieren sie sich gleichzeitig wohl von Vorurteilen, die man einem unterworfenen Volk ent­gegenbrachte.

d) Schließlich sei noch auf die Parallele zwischen Mt 5,44f und 5,9 hinge­wiesen: "Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet!" (5,44f) Dieselbe Verheißung wird in 5,9 mit dem Stichwort "Frieden" verbunden: "Selig sind die Friedensrna­cher , denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. " Hier wie dort liegt der ethisch bestimmte weisheitliche Sohn-Gottes-Begriff zugrunde, einmal als präsentische Größe (5,44f), einmal als eschatologische Gabe (5,9). Wieder stellt sich die Frage, ob man das Eintreten für den Frieden nicht konkret ver­stehen muß: Friedenmachen und Feindesliebe gehören zusammen; beides ist mit dem Sohn-Gottes-Titel verbunden. Sollte der Friede nicht auch den

36 eH. BURCHARD: Versuch, 425 A.65, nimmt an, daß Mt5,44 "unter Einfluß eines nicht ge­rade judenfreundlichen Topos wie Tacitus Hist V 5 formuliert" wurde.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 179

Feinden gelten? Könnte Feindesliebe u. a. bedeuten, daß man in der Zeit nach dem jüdischen Krieg für den Frieden eintritt?31

Die zusammengetragenen vier Beobachtungen erlauben m. E. die An­nahme, daß sich in den Mt-Formulierungen der Feindesliebetradition Erfah­rungen des jüdischen Krieges und der Nachkriegszeit niederschlagen38 . Aus dieser Situation ließen sich alle Besonderheiten gut verstehen, die Mt aufweist - womit nicht gesagt ist, daß es sich jeweils um redaktionell gestaltete Beson­derheiten handelt. Mt gibt vielmehr die Traditionen judenchristlicher Ge­meinden wieder. Und in diesen Gemeinden hat man die Situation eines un­terworfenen und gedemütigten Volkes mit Hilfe der Feindesliebetradition verarbeitet. Die Asymmetrie in der Motivierung von Feindesliebe und Ge­waltlosigkeit, die man bei Mt beobachten kann, hätte dann eine gewisse Ent­sprechung in den realen sozialen Verhältnissen: Auch diese waren asymme­trisch, waren Verhältnisse zwischen Siegern und Unterworfenen. Wichtig ist nun: Die Mt-Traditionen bringen im Gegenzug gegen diese bedrückende Si­tuation das Bewußtsein zum Ausdruck, durch Gewaltlosigkeit und Feindes­liebe über der Situation zu stehen und den Gegnern, den Heiden, überlegen zu sein. Daß man auf diese herabblickt, wird so verständlich: Es ist auch ethisch ein Unterschied, ob man auf die herabblickt, die man ohnehin über­trifft, oder ob der Unterlegene seine Würde dadurch bewahrt, daß er sich dem Sieger innerlich überlegen weiß. Der Gedanke des Gottes, der über Gu­ten und Bösen steht, verbietet es, diese Haltung als Ressentiment zu verdäch­tigen.

Die skizzierte Zuordnung der Mt-Fassung zu einem bestimmten "Sitz im Leben" kann durch weitere Hinweise im Matthäusevangelium unterstützt werden. Die in ihm enthaltenen Traditionen lehnen mit unüberhörbarer Deutlichkeit den jüdischen Aufstand ab: Der Mord der Zeloten an dem rei­chen Jerusalemer Stadtbürger Sacharja ben Baruch wird in Mt 23,35 scharf verurteilt39. Die Aufständischen werden als ;,Mörder" (Mt 22,7) verun-

37 P. FIEBIG: Jesu Worte über die Feindesliebe, 37f, weist mit Recht darauf hin, daß in Mt 5,43-48 an Nationalfeinde gedacht wird: ",Zöllner' und ,Heiden', die hier als Gegenbild ver­wendet werden, waren doch die Nationalfeinde der Juden!" (S. 38) Wenn man nun mit J. Du­PONT: Les Beatitudes IH, Paris 1973, 633-664 die Worte über die Feindesliebe und die Frie­densmacher (Mt 5,43ff und 5,9) aufeinander bezieht, bei der Feindesliebe aber auch an Natio­nalfeinde denkt, so liegt die Folgerung nahe: Auch das Friedenmachen bezieht sich nicht nur auf den privaten Bereich. Es ist mehr als Nächstenliebe und Barmherzigkeit (anders J. DUPONT: 644-654). Deutet darauf nicht der Sohn-Gottes-Titel- also die Verallgemeinerung alter messia­nischer Traditionen? Aufgabe des Königs ist es, Frieden zu schaffen. ELQ1']YOJtOLOC; ist vor allem als Attribut der Mächtigen belegt (W. FOERSTER: ThW II,417f). Diese Aufgabe wird hier allen zugemutet. Vgl. H. WINDISCH: Friedensbringer - Gottessöhne, ZNW 24 (1925) 240-260.

38 Diese These wurde m.W. zum erstenmal von P. HOFFMANN: Jesus von Nazareth, 147-167, bes. 158ff vertreten.

39 Vgl. die Untersuchungen bei O. H. STECK: Israel und das gewaltsame Geschick der Pro­pheten, WMANT 23, Neukirchen 1967, 33-40: Nur die mt Version denkt wohl an den Mord an Sacharja ben Baruch. Lk denkt eher an Sacharja ben Jojada (2.Chr. 24,20-22).

180 Gewaltverzicht und Feindesliebe

glimpft. Umgekehrt ist das Messiasbild des Mt völlig unpolitisch, um nicht zu sagen, ,antizelotisch "40: Der Messias" wird nicht streiten und lärmen und auf den Gassen wird man seine Stimme nicht hören ... " (Mt 12,19f = Jes 42,lff). Er kommt auf einem Esel ohne Gewalt (Mt 21,5 = Sach 9,9). Er ist Davidssohn - aber er zeichnet sich nicht durch politische Ambitionen aus, sondern durch Wunderheilungen (Mt 12,23 9,27 15,22)41. Wie auch immer man es wendet: Die Mt-Traditionen sind in mannigfacher Weise durch die Si­tuation des Judentums nach der Katastrophe von 70 n. ehr. geprägt.

2. Die lukanischen Gemeinden

Wir hatten gesehen: Bei Lk liegt der Akzent auf einer ideellen Gegenseitig­keit, die auch dann zum Maßstab tatsächlichen Verhaltens werden soll, wenn der andere sich nicht an diesen Maßstab hält;42. Gott wird in jedem Fall für ei­nen Ausgleich sorgen. Fragen wir nun nach der sozialen Situation hinter die­ser Variante der Feindesliebetradition, so werden wir von den Lk-Besonder­heiten ausgehen müssen: von der hellenistischen Begrifflichkeit und der von Lk hervorgehobenen Problematik des Geldverleihens.

Auffällig ist, daß Lk die ethischen Forderungen Jesu mit Hilfe von Tradi­tionen und Begriffen der hellenistischen Popularethik zum Ausdruck bringt43 : Die Goldene Regel wurde in der Sophistik im ausgehenden 5. Jh. formuliert, drang im 2. Jh. ins Judentum ein (Aristeas 207; Tobit 4,15) und erscheint bei Mt als Zusammenfassung von" Gesetz und Propheten" (7,12). Lk bringt diese Regel als allgemeine Aussage, nicht als spezifisch jüdische

40 P. HOFFMANN: Jesus von Nazareth, 163: "Matthäus stand offenbar unter dem Eindruck des katastrophalen Scheiterns des messianischen Aufstands gegen Rom und zeichnet darum in bewußtem Kontrast zum zelotischen Messiasideal in seinem Evangelium durchgängig Jesus als den Messias der Demut und Sanftmut, der Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit, der Selbsternied­rigung und Bravheit ... " Hier kann man am ehesten jenes unpolitische Messiasideal finden, auf dessen Traditionen K. BERGER hingewiesen hat: Die königlichen Messiastraditionen des Neuen Testaments, NTS 20 (1973) 1-44; DERS.: Zum Problem der Messianität Jesu, ZThK 71 (1974) 1-30.

41 Vgl. dazu eHR. BURGER: Jesus als Davidssohn, FRLANT 98, Göttingen 1970, 72ff. 42 A. DIHLE: Die Goldene Regel. Eine Einführung in die Geschichte der antiken und früh­

christlichen Vulgärethik, Stud. z. Altertumswissenschaft H. 7, Göttingen 1962, 113 ff weist mit Recht auf eine Spannung zwischen Gegenseitigkeitsethik und Feindesliebe hin. Er will deshalb die Goldene Regel in Lk 6,31 indikativisch interpretieren. Jedoch müßte dann durch entspre­chende Partikel der Gegensatz zu dem imperativischen Kontext hervorgehoben werden. Die Spannung verschwindet jedoch, wenn man festhält: Nicht das faktische Verhalten der anderen, sondern das von ihnen erwartete ideale Verhalten soll Maßstab des eigenen faktischen Verhaltens sein. Daraus würde dann aber folgen: Im Grunde erwartet man auch von den anderen Feindes­liebe, Racheverzicht, und Verzicht auf Rückerstattung. Das aber war nicht von vornherein aus­geschlossen: Man kannte in der Antike sowohl eine graduelle wie eine prinzipielle überwindung des Vergeltungsdenkens, wie A. DIHLE in seiner grundlegenden Studie herausgearbeitet hat (S. 41 ff; S. 61 ff). Die ethische Norm war vorhanden, mochte das faktische Verhalten auch wie überall dahinter zurückbleiben.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 181

Tradition. Es ist natürlich schwer zu entscheiden, ob ihm auch bewußt war, daß es sich um eine allgemeine Regel handelt. Aber wenn überhaupt, dann ist ihm am ehesten dies Bewußtsein zuzutrauen, benutzt er doch auch an ande­rer Stelle bewußt hellenistische Vorstellungen (vgl. die Areopagrede Apg 17,22ff). Vor allem aber bedient er sich gerade im Zusammenhang mit der Feindesliebeforderung der Begriffe hellenistischer Ethik: KaA.&~ JtOLElV und aya'froJtoLElV (6,27.33.35) und xaQL~ (6,32.33.34). Entscheidend ist: Bewußt oder unbewußt appellieren die Lk-Gemeinden an allgemeine Maßstäbe: Das christliche Ethos kann sich mit der Weh messen.

Dazu kommt eine zweite Besonderheit des Lukas: die Betonung des Geld­verleihens44 • Zunächst einmal betont er anders als Mt: ,Jedem, der dich bit­tet, gib!" (Lk 6,30) über Mt hinaus verlangt er, man solle nicht zurückver­langen45 . Ferner geht er an drei Stellen auf das Thema ein, ohne daß sich bei Mt Parallelen fänden. So in der dritten rhetorischen Frage: "Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr zu empfangen hofft, was für einen Dank habt ihr? Leihen nicht auch die Sünder den Sündern, damit sie das Gleiche empfan­gen?" (Lk 6,34) Nach Analogie der ersten beiden rhetorischen Fragen erwar­tet man: Leiht nicht nur denen, die euch leihen! Es steht aber sinngemäß da: Leiht nicht nur denen, von denen ihr hofft, das Geliehene zurückzuerhalten! Hier wird also nicht an ein Leihen auf Gegenseitigkeit gedacht46 • Vielmehr schlägt hier die schlichte Tatsache durch, daß die, die leihen können, selten diejenigen sind, die ihrerseits leihen.

Lk wiederholt die Mahnung zur Feindesliebe 6,35. Trotz der Wiederauf­nahme von 6,27 f wird nicht alles wiederholt: Vom Segnen und vom Beten für die Feinde hören wir nichts. Statt dessen ist wieder vom Geldverleihen die Rede.

Aber nicht genug damit. Noch ein drittes Mal betont er über Mt hinaus dies Problem47. Mt schreibt 7,1 f: "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet

43 Vg!. W. C. v. UNNIK: Motivierung, passim. 44 Zum folgenden vergleiche die wichtigen Ausführungen von W. STEGEMANN in: W. STE­

GEMANN/L. SCHOTTROFF : J esus von Nazareth. Hoffnung der Armen, Urban Tb 639, Stuttgart 1978, 144-148.

45 Beide Abweichungen finden sich jedoch auch in Did 1,5. Es ist aber umstritten, ob man deshalb Abhängigkeit von Lk annehmen darf (H. KÖSTER: Synoptische überlieferung, 230ff) oder auf unabhängige überlieferungsvarianten schließen darf (H. TH. WREGE: Die überliefe­rungsgeschichte der Bergpredigt, WUNT 9, Tübingen 1968, 82-94).

46 Das Motiv eines Leihens auf Gegenseitigkeitläßt sich anderswo belegen; vg!. Sir 29, 1 ff wo dem Leihenden verheißen wird: "So wirst du zu allen Zeiten dessen, was du brauchst, habhaft werden können" (29,3); Athenagoras, supp!. 12,3: "Wenn ihr nämlich die liebt, die euch lieben und denen leiht, die euch leihen, welchen Lohn werdet ihr haben?" Wenn Lk diese vom Kontext her naheliegende Formulierung nicht bringt, so doch, weil er nicht an ein Leihen auf Gegensei­tigkeit denkt. Anders 1. HOWARD MARSHALL: The Gospel of Luke, Exeter 1978. 257-267, bes. 263.

47 Die Umwandlung dieser Stelle geht auf Lk zurück. So richtig W. STEGEMANN: 148. Anders H. SCHÜRMANN: Lk, 363: Mt habe einen einheitlichen Gedanken hergestellt, das Thema des Richtens in den Mittelpunkt gestellt und alles andere weggelassen.

182 Gewaltverzicht und Feindesliebe

werdet. Mit welchem Gericht ihr richtet, mit dem werdet ihr gerichtet wer­den, und mit welchem Maß ihr meßt, mit dem werdet ihr gemessen werden." Hier ist nirgendwo von finanziellen Problemen die Rede. Anders bei Lk. Nach der Forderung, auf das Richten zu verzichten, fährt er fort:

"Laßt frei (als Schuldner) und ihr werdet freigelassen! Gebt, und es wird euch gegeben werden! Ein gutes, vollgedrücktes, gerütteltes, überfließendes Maß

wird man in euren Schoß geben! Denn mit welchem Maß ihr meßt,

mit dem wird euch wieder gemessen werden!" (Lk 6,37f)

Mit vier Attributen hebt Lk das Maß hervor, das man empfangen soll. Dies Maß ist nicht der Gerichtsrnaßstab, sondern Maß für die Erstattung dessen, was man gegeben hat (vgl. die Beziehung von ÖeÖO'tE, öo{h'jOE'tGl und öeöw­mv).

Es kann daher kein Zweifel sein: in den Lk-Gemeinden gehören Feindes­liebe und Geldprobleme eng zusammen. Schon Sir 29,6 sagt, daß der Schuld­ner zum Feind (EX{}Q6~) wird und Flüche und Schmähungen zurückzahlt; Sir 4,3 spricht vom Zorn dessen, dem eine Gabe verweigert wird. Lk denkt also im Gegensatz zu Mt nicht an den "Nationalfeind" . Aber was hier als "Pri­vatfeindschaft" begegnet, ist letztlich Niederschlag sozioökonomischer U n­terschiede. Lk hat bekanntlich eine gewisse Sensibilität für sozioökonomisch bedingte Spannungen. Das zeigen seine Berichte über den Streit zwischen Hellenisten und Hebräern (Apg6,1-6) und die ephesinischen Unruhen (Apg 19,23 ff). Es handelt sich dabei sowohl um innergemeindliche Spannungen wie um Spannungen zwischen Christen und Nichtchristen48 .

Nun ist Lk nicht der einzige, der die Problematik des Geldgebens eng mit den Geboten zur Feindesliebe verknüpft. Eine ähnliche Verbindung findet sich in der Didache49 • Aber hier wird anders betont: Wenn einem etwas ent­rissen wurde, soll man es nicht zurückfordern; man hat ja doch nicht die Macht dazu (1,4). Das weist nicht gerade auf wohlhabende und einflußreiche Menschen. Bei der Aufforderung, jedem Bittenden zu geben, ohne zurück­zuverlangen, liegt der Hauptakzent auf einem kräftigen Wehe gegen die, die ohne Not nehmen, d. h. gegen bettelnde Simulanten. Da es keine Möglich­keit gibt, von ihnen ein Almosen zurückzufordern, wird ihnen um so nach-

48 w. STEGEMANN: 148, grenzt dagegen auf innergemeindliche Beziehungen ein: "Lk bezieht also die Feindesliebe-Forderung auf das wohltätige Verhalten von Christen untereinander." Aber Lk betont ausdrücklich, man solle jedem geben (6,30); das schließt auch den Nichtchristen ein. Er denkt ferner 6,29 an einen Raubüberfall; das ist unter Christen schwer vorstellbar. Lk formuliert das Gebot ganz allgemein. Das schließt jedoch nicht aus, daß ganz konkrete soziale Beziehungen im Hintergrund stehen. Insofern halte ich die sozialgeschichtliche Deutung W. STEGEMANNS für zutreffend: Lk appelliert an die wohlhabenden Christen, in ihren Gemein­den für einen sozialen Ausgleich zu sorgen. Dies Problem mag Lk bewegt haben. Seiner aus­drücklichen Absicht nach formuliert Lk jedoch ganz allgemeine Gebote.

49 Vgl. dazu J. P. AUDET: La Didache. Instructions des Ap6tres, Paris 1958, 268ff.

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drücklicher das eschatologische Gericht angedroht, wo sie alles bis auf den letzten Heller zurückgeben müssen (1,5). Die abschließende Forderung ver­kehrt die verlangte überfließende Freigebigkeit gegenüber einem jeden (1,5) sogar ins Gegenteil: "Laß dein Almosen in deiner Hand schwitzen, bis du weißt, wem du gibst." (1,6) Anders Lk: Er appelliert an Gemeinden, in de­nen sich Menschen Geld ausleihen; sein Problem ist nicht das Almosen an ei­nen Bettler, sondern der Kredit an einen Ärmeren (das Stichwort "leihen" fehlt in der Didache). Lk setzt Menschen voraus, die ausleihen und ausleihen können und die darauf verzichten sollen, zurückzuverlangen 50.

Beide Beobachtungen, die Berufung auf Motive der hellenistischen Gegen­seitigkeitsethik und der Appell an geldspendende und geldausleihende Chri­sten, lassen sich gut kombinieren: Die Lk-Gemeinden repräsentieren ein Christentum, das auch in die höheren Schichten hineinreicht und deswegen der Umwelt mit dem Anspruch prinzipieller Gleichwertigkeit gegenübertre­ten kann. Dieses Selbstbewußtsein prägt das ganze Lk-Werk. Es sei nur auf einen Zug hingewiesen: Das Proömium weist es als ein anspruchsvolles Lite­raturwerk aus, das mit anderen Werken konkurrieren will und daher allge­meine literarische Gepflogenheiten übernimmt. Gleichzeitig ist es einem "ehrwürdigen Theophilus" - wohl einem Oberschichtmitglied - gewid­met51 . Bei Lk liegt also eine ganz andere soziale Situation als bei Mt vor. Hier finden wir nichts mehr von der Problematik eines unterworfenen Volkes. Dem symmetrischen Zug bei der Motivierung der Feindesliebe entspricht bei ihm eine größere soziale Symmetrie im Verhältnis von Christen und Umwelt.

3. Die Träger der Wortüberlieferung

Lk und Mt geben eine gemeinsame Tradition wieder, wahrscheinlich eine schriftliche Quelle, auch wenn sich nicht alle Abweichungen zwischen Lk und Mt als redaktionelle Änderungen begreifen lassen, sondern die Annahme eines Einflusses unabhängiger überlieferungsvarianten nahe liegt52 • Gerade

50 Ob man den Adressatenwechsel in der Feldrede - 6,20 H ist zu den Jüngern, 6,27 H zu allen Hörenden gesprochen - soziologisch auswerten darf, dürfte umstritten bleiben (vgl. W. STEGE­MANNS Deutung, S. 91H, 102,144). Es gibt nämlich eine viel einfachere Erklärung: Die Selig­preisungen wenden sich an die Jünger (Lk 6,20-23), die Weherufe dagegen an die Reichen und Satten (6,24-26). Danach wendet sich Lk wieder den Jüngern zu. Die Reichen und Satten sind doch wohl nicht die rechten Adressaten für die Feindesliebe. Es wäre dann aber zwischen 6,20H und 6,27ff gar kein Adressatenwechsel anzunehmen. Vielmehr wendet sich Lk nach einem Adressatenwechsel v. 24ff wieder den ursprünglichen Adressaten zu.

51 Lk weist mit einem gewissen Stolz darauf, daß auch Oberschichtangehörige zur Gemeinde gehören. Neben Theophilus sind zu nennen: Johanna, die Frau des Chuza, eines Vermögens­verwalters des Herodes Antipas (Lk 8,3), Menahem, dessen Vertrauter (Apg 13,1), der Haupt­mann Cornelius (Apg 10,1 ff), Dionysios, ein athenischer Gerichtsbeisitzer (Apg 17,34) usw. Vgl. M. HENGEL: Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche, Stuttgart 1973, 69.

52 Auf den Streit über die Logienquelle kann hier nicht eingegangen werden. Das stärkste Ar­gument für sie ist nach wie vor die Reihenfolge der Sprüche bei Mt und Lk. Mir ist jedoch rätsel-

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deswegen darf man die Mt und Lk gemeinsame Wortüberlieferung als eine zusammengehörende überlieferungsschicht betrachten, die im Palästina vor dem jüdischen Krieg beheimatet ist. Einerseits ist der semitische Sprachhin­tergrund noch deutlich (daher eine Lokalisierung in Palästina wahrschein­lich), andererseits wird die Tempelzerstörung noch nicht vorausgesetzt (da­her ist eine Datierung vor 70 n. Chr. möglich)53. Zur Erschließung des Sitzes im Leben stehen uns drei Rückschlußverfahren zur Verfügung: ein analyti­sches, ein konstruktives und ein vergleichendes.

a) Das analytische Rückschlußverfahren gewinnt aus den zu untersuchen­den Texten Hinweise auf einen mutmaßlichen Sitz im Leben, der noch vor dem Gebrauch der Texte in den Mt- und Lk-Gemeinden liegt. über Vermu­tungen kommt man dabei vorläufig nicht hinaus. Immerhin weist Lk 6,29 in einen ganz bestimmten Zusammenhang: "Dem, der dich auf die Backe schlägt, halte die andre hin, und dem, der dir den Mantel nimmt, verwehre auch nicht das Hemd!" Hier denkt Lk bekanntlich an einen Raubüberfall: Der Räuber greift zuerst nach dem Mantel, dann nach dem Hemd. Mt, der an einen Rechtsprozeß denkt, hat die umgekehrte Reihenfolge. Ein Raubüber­fall aber findet in der Regel auf offener Straße statt, d. h. Lk hat die Situation des Wandernden und Reisenden vor Augen. Damit dürfte er den traditionel­len Sinn widergeben: Ihm kommt es ja auf ein ganz anderes Problem an, näm­lich auf das Problem des Geldleihens.

Bei Mt könnte man sich fragen, ob die Mahnung: "Wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei!" nicht im Munde wandernder Chri­sten besonders leicht verständlich wird. Es fehlt ja der Hinweis auf Arbeits­tiere, die bei staatlichen Zwangsdiensten eine wichtige Rolle spielten54, bei wandernden Missionaren aber nicht vorausgesetzt werden können. Jedoch ist die Mahnung auch für seßhafte Christen sinnvoll.

Ferner sei auf das Sonnengleichnis hingewiesen. Es erinnert unwillkürlich an ein anderes Naturgleichnis in der J esusüberlieferung: an die Lilien auf dem Felde (Mt 6,25-34). In beiden Fällen wird die Natur zum Vorbild menschli­chen Verhaltens. In beiden Fällen wird ein ursprünglich pessimistisches Bild umgeprägt. Daß die Sonne in gleicher Weise über gute und böse Menschen

haft, wie man ohne den Einfluß unabhängiger überlieferungsvarianten die Abweichungen zwi­schen Mt und Lk erklären will (so wie T. Schramm: Der Markus-Stoff bei Lukas, SNTS 14 Cambridge 1971, den Einfluß von überlieferungsvarianten auf die Lk-Redaktionsarbeit wahr­scheinlich gemacht hat). Noch rätselhafter ist mir, wie man innerhalb der nur sehr hypotheti­schen rekonstruierbaren Logienquelle noch zwischen Tradition und Redaktion unterscheiden will.

53 Das Wort gegen den Tempel Lk 13,34f1Mt23,37f setzt voraus, daß der Tempel noch nicht zerstört ist: Hier wird ja nur angedroht, daß er verlassen wird. Mehr läßt sich aber zur Datierung der Logienquelle nicht sagen. Woher manche wissen wollen, sie sei ca. 50 n. Chr. entstanden, ist mir rätselhaft.

54 Vgl. Epiktetdiss. IV,1,79. P. FIEBIG: Jesu Worte über die Feindesliebe, 52: ",ayyuQELuist gleich Tod': das war unter den Juden ein geläufiger Satz, und zwar bezog er sich auf die requirier­ten Tiere, die von den Römern natürlich nicht verschont wurden."

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scheint, wäre ja eher ein Anlaß zur Resignation angesichts der ethischen Irra­tionalität der Welt, in der Gute und Böse oft gleich behandelt werden55 •

Ebenso ist die Sorglosigkeit der Tiere eher Anlaß zu pessimistischen Betrach­tungen über den Menschen, der sich mühsam sein Brot erwerben mußS6. Beide ursprünglich pessimistischen Bilder werden in der Jesusüberlieferung ins Positive gewendet: Die Nachfolger Jesu dürfen so sorglos wie die Vögel und Lilien sein, die nicht säen, nicht ernten, nicht sammeln, nicht arbeiten und nicht spinnen (Mt 6,26.28). Hier ist nicht von arbeitenden Menschen die Rede; ganz gewiß auch nicht von Arbeitssuchenden57 . Es scheint vielmehr ein Vorrecht der Nachfolgenden zu sein, nicht arbeiten zu müssen, weil Gott sie erhält: weil die Suche nach dem Reich Gottes wichtiger als die Arbeit ist. Es wird also an urchristliche Wandercharismatiker gedacht. Da nun beim Sonnengleichnis eine vergleichbare Umprägung einer eigentlich pessimisti­schen Tradition vorliegt wie in den Bildern von den Lilien und den Vögeln, liegt die Vermutung nahe, daß das mit dem Sonnengleichnis verbundene Ge­bot der Feindesliebe in denselben historischen Zusammenhang gehört wie Mt 5,25ff und seinen Sitz im Leben heimatloser, nicht arbeitender Wander­charismatiker hatte.

b) Das analytische Rückschlußverfahren gibt uns nur eine Vermutung an die Hand. Durch ein konstruktives Rückschlußverfahren kann diese Vermu­tung in eine begründbare These verwandelt werden. Das Gebot der Feindes­liebe stand nämlich in der Mt und Lk vorausgehenden überlieferung in en­gem Zusammenhang mit der letzten Seligpreisung:

"Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und alles Arge wider euch reden um meinetwillen und damit lügen. Freuet euch und frohlocket, weil euer Lohn groß ist in den Himmeln. Denn ebenso haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch gewesen sind." (Mt 5,l1f)

Mt preist diejenigen selig, die verfolgt werden, Lk diejenigen, die gehaßt werden. Entsprechend wird jeweils das Gebot der Feindesliebe formuliert: Mt spricht von denen, die euch verfolgen (ÖLWXELV Mt 5,12 und 5,44), Lk von

55 V gl. P. HOFFMANN : J esus v. Nazareth, 154. Vor allem der Prediger Salomo grübelt über all das Unsinnige, was unter der Sonne geschieht (Pred 1,13 2,11.18.22 usw.).

56 V gl. die rabbinischen Parallelen zu Mt 6,25 ff (Billerbeck 1,435 f): "R. Schimeon b. Eleazar (um 190) sagte: Hast du je in deinem Leben ein wildes Tier oder einen Vogel gesehen, die ein Gewerbe gehabt hätten? Und doch werden sie ernährt ohne quälende Sorgen; und sind sie nicht bloß zu meinem Dienst erschaffen? Und ich bin erschaffen worden, um meinem Schöpfer zu dienen; sollte ich da nicht ernährt werden ohne quälende Sorgen? Allein weil ich meine Taten verderbt habe, habe ich meinen Unterhalt beeinträchtigt" (Quid 4,14). Eine Parallelüberliefe­rung (pQuid 4,66b,38) sagt noch deutlicher: "Und wer hat es mir verursacht, daß ich in Kummer mich ernähre? Antworte: Meine Sünden; weil ich meine Taten verderbt habe, habe ich meinen Unterhalt beeinträchtigt."

57 Anders L. SCHOTTROFF: Jesus von Nazareth - Hoffnung der Armen, 56f. Sie erhellt Mt 6,26 H mit Hilfe des Gleichnisses von den Arbeitssuchenden in Mt 20, 1 H. Aber von Arbeitssuche kann man in Mt 6,25H kaum etwas spüren.

186 Gewaltverzicht und Feindesliebe

denen, die euch hassen (/lLOELV Lk 6,22 und 27). Das Thomasevangelium ver­eint beide Varianten: "Selig ihr, wenn sie euch hassen und euch vedolgen!" (Lg 69) Diese Stichwortübereinstimmung58 - bei Mt über eine lange Strecke hinweg- zeigt, daß in mündlicher oder schriftlicher Tradition hier ein unmit­telbarer Zusammenhang bestand: Feindesliebe ist die Sache derjenigen, die verfolgt und gehaßt wurden! Doch wer sind diese? Wer sind die verfolgten christlichen Propheten, von denen vor allem Mt deutlich spricht59 • Daß hier an die Christen im allgemeinen gedacht sei, ist kaum möglich; der Hinweis auf die Propheten würde sich fast erübrigen60 • Stellt man nun alle Aussagen bei Mt über christliche Propheten und zum Stichwort "verfolgen" zusam­men, so wird eins klar: Es handelt sich in jedem Fall um nicht-seßhafte Wan­dercharismatiker:

"Wer einen Propheten aufnimmt, weil er ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten empfangen." (Mt 10,41)

Hier wird zweifellos an wandernde Propheten gedacht, die man beherber­gen und verpflegen soll. Solche Propheten haben natürlich ihre Vaterstadt und ihr Haus verlassen:

"Ein Prophet ist nirgends verachtet außer in seiner Vaterstadt und in seinem Hau­se." (Mt 13,57)

"Siehe, ich sende deshalb zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte (Lk 11,49: Propheten und Apostel); einige von ihnen werdet ihr töten und kreuzi­gen, und einige von ihnen werdet ihr in euren Synagogen geißeln und von einer Stadt zur anderen verfolgen (öLffi~E'tE)." (Mt 23,34)

Auch Lk bringt hier das Stichwort "vedolgen", obwohl er es nicht als Ver­folgen von Stadt zu Stadt erläutert. Bei Mt ist wieder an wandernde Prophe­ten gedacht, die aufgrund von Verfolgung von Ort zu Ort ziehen müssen.

58 Vgl. D. LÜHRMANN: Liebet eure Feinde, 415. Auch wer eine schriftliche Logienquelle ab­lehnt, kann diesen Stichwortzusammenhang als Zeichen eines Traditionszusammenhangs deu­ten; sind es doch gerade Stichwortverbindungen, die gegen die Existenz einer Logienquelle ein­gewandt wurden (vgl. J. JEREMIAS: Zur Hypothese einer schriftlichen Logienquelle Q, in: Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 90-92).

59 Zum Vergleich beider Fassungen vgl. O. H. STECK: Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, WMANT 23, Neukirchen 1967,20-26; 257-260; J. DUPONT: Les beatitudes I, Louvain 1958, 227-250.

60 O. H. STECK: Israel, 259, argumentiertm. E. richtig: "Warum aber wurde dieser Hinweis auf das entsprechende Prophetengeschick überhaupt gebracht? Handelt es sich einfach um das Geschick der Frommen, der Gemeinde, dann wird er unverständlich; denn einfach für die Frommen ist . . . ja bereits V. 22-23 b eine völlige suffiziente, theologisch unüberbietbare Aus­sage. Wenn man von der Tradition der dtrP A (= die Vorstellungstradition der deuteronomisti­schen Prophetenaussage; G. T.) herkommt, ist die Antwort leicht: die letzte Seligpreisung ist Pa­ränese nicht einfach für leidende Christen als solche, sondern sofern sie als Prediger in Israel wir­ken und in ihrem Wirken am eigenen Volk von Juden schmähliche und verleumderische Abwei­sung erfahren."

Gewaltverzicht und Feindesliebe 187

Ohne daß der Begriff des Propheten begegnet, liegt in Mt 10,23 dieselbe Si­tuation vor:

, , Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere! Denn wahr­lich, ich sage euch: Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt." (Mt 10,23)

Nimmt man noch die Seligpreisung in Mt 5,10 hinzu, so haben wir alle Stellen aufgeführt, in denen von christlichen Propheten oder vom Verfolgen die Rede ist. überall (außer in Mt 5,10-12) wird eine Wanderexistenz christ­licher Propheten vorausgesetzt. Man darf sie daher auch für Mt 5,10-12 postulieren, während die Lukasparallele 6,22f möglicherweise schon mehr auf seßhafte Christen bezogen ist. Nun könnte man einwenden: Dieser Sitz im Leben wird besonders bei Mt deutlich, d. h. in der mt Ausformung der letzten Seligpreisung (Mt 5,11f) und mt Sonderüberlieferung (Mt 10,41 10,23). Jedoch gibt es bei Lk genügend Hinweise auf wandernde Charismati­ker, ja, man hat der These von Wandercharismatikern als den wichtigsten überlieferungsträgern geradezu vorgeworfen, sie stütze sich vor allem auf Lk-Stellen61 - ein unbegründeter Vorwurf; die Aussendungsrede, in der uns die Regeln urchristlicher Wandercharismatiker überliefert sind, findet sich sowohl in Q wie bei Mk (6,7ff), wird wenigstens teilweise in 1.Kor 9 voraus­gesetzt und erscheint z. T. auch im Thomasevangelium - unter deutlichem Hinweis auf wandernde Christen:

"Und wenn ihr hineingeht in irgend ein Land und wandert in den Gegenden und man euch aufnimmt, eßt das, was man euch vorsetzen wird! Die, welche krank sind unter ihnen, heilt!" (Lg 14)

Wandercharismatikertum war ein - in verschiedenen Variationen - weit verbreitetes Phänomen62 • Es ist weder auf die Logienquelle begrenzt noch

61 So w. STEGEMANN: Jesus von Nazareth, 106. Ferner DERS. in einer noch nicht veröffent­lichten, sehr lesenswerten Arbeit: "Wanderradikalismus im Urchristentum. Historische und theologische Auseinandersetzung mit einer interessanten These", die mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurde. In dieser Kritik der Wanderradikalismusthese wird das Phänomen des Wandercharismatikertums selbst nicht bestritten, jedoch auf die Schicht der Logienquelle eingeschränkt und weit stärker ökonomisch erklärt. Inzwischen wurde die Arbeit veröffentlicht in: W. SCHOTTROFFlW. STEGEMANN (Hrsg.): Der Gott der kleinen Leute, Sozialgeschichtliche Auslegungen, Neues Testament (Bd 2), MüncheniGelnhausen 1979, 94-120.

62 Alles weist darauf hin, daß das urchristliche Wandercharismatikertum im syrisch-palästi­nensischen Bereich beheimatet war. Es bildet den sozialen Hintergrund der Logienquelle, die in Palästina anzusiedeln sein dürfte. Deutliche Hinweise in Q sind Mt 10,5ff; 8,18-22; 6,25ff; 10,37 ff (jeweils mit den Lk-Parallelen). Das Matthäusevangelium spricht vom Wandercharisma­tikertum in Sonderüberlieferungen (Mt 10,40--41; 10,23), setzt es also wahrscheinlich auch als ein lebendes Phänomen voraus (So E. SCHWElTZER: Matthäus und seine Gemeinde, SBS 71, Stuttgart 1974, 142ff). In der Didache begegnet es dann wieder unzweideutig als eine gegenwär­tige Erscheinung (Did 10,711,4ff). Nun sind Q, Mt und Did nicht nur durch mannigfache Tra-

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ein literarisch zu deutendes Lk-Idealbild. Was wir über den sozialen Ort der Feindesliebe noch erfahren können - vor deren schriftlichen Fixierung in Mt und Lk - weist auf ein urchristliches Wandercharismatikertum: auf verfolgte Propheten, die ihren Feinden oft von Ort zu Ort ausweichen mußten. Diese Propheten haben von Feindesliebe gesprochen!

c) Durch einen vergleichenden Rückschluß wird das bisherige Ergebnis bestätigt. Die nächste Analogie zum Gebot der Feindesliebe und des Gewalt­verzichtes findet sich in den Ausführungen Epiktets zum Leben des Kynikers (diss III,22). Epiktet spricht zu einem jungen Mann, der sich für dieses Leben interessiert. Er warnt ihn, indem er idealisierend dessen hohe Anforderungen schildert63 :

, ,Bedenke die Sache noch sorgfältiger, erkenne dich selbst, frage die Gottheit, ohne Gott versuche sie nicht! Wenn er dir nämlich rät, so wisse, daß er entweder will, daß du groß wirst oder daß du viele Schläge empfängst. Denn auch das ist ein sehr schöner Zug, der in das Leben des Kynikers gewoben ist: Er muß sich schlagen las­sen wie ein Hund und als Geschlagener die lieben, die ihn schlagen - als ein Vater aller, als Bruder." (diss III,22,53-54)

Epiktet fordert vom Kyniker, daß er ohne Zorn sei (III,22, 13) und sich ge-

ditionen verbunden, sie gehören wahrscheinlich in den palästinensischen bzw. syrischen Raum. Hier ließe sich demnach eine gewisse Kontinuität bis hin zu den pseudoklementinischen Briefen aufweisen (vgl. G. KRETSCHMAR: Ein Beitrag zur Frage nach dem Ursprung frühchristlicher Askese, ZThK 61 (1964) 27-67). Etwas anders sind möglicherweise Mk und Lk zu beurteilen­also die beiden Evangelien, die u. U. eine größere Distanz zum syrisch-palästinensischen Raum haben. Lk distanziert sich 22,35 ff für die Zeit nach J esus von einigen radikal-asketischen Gebo­ten des Wandercharismatikertums und verurteilt dessen Verkündigung vom nahen Gottesreich (Lk 10,9) für diese Zeit als Irrlehre von Propheten, die im Namen J esu auftreten und denen die Gläubigen nichtfolgen sollen (Lk 21 ,8); d. h. die Lk-Sonderüberlieferungen bzw. redaktionelle Änderungen verraten eine kritische Distanz gegenüber dem nach wie vor existierenden Phäno­men bzw. einer Variante dieses Phänomens. Ansonsten aber setzt Lk dessen sozialkritische Tra­ditionen fort, indem er ein idealisierendes Bild von der Vergangenheit zeichnet. Deutliche Hin­weise auf Wandercharismatikertum finden sich auch im Markusevangelium: 1,16 ff 2,14 3,13 ff 6,7-13 9,4110,28-30. Wegen dieser weiten Verbreirung von Traditionen des Wanderradikalis­mus ist es kaum möglich, diese Traditionen ausschließlich redaktionsgeschichtlich auszuwerten, mögen die einzelnen Evangelisten auch besondere Akzente gesetzt haben. Eine Eingrenzung des Phänomens auf Q entspricht nicht der breiten Streuung der Aussagen. Die Kritik an der Wan­derradikalismusthese bei L. SCHOTTRaFF und W. STEGEMANN in: J esus von Nazareth, 54 H, 106 u. ö. nimmt kaum Rücksicht auf die Entwicklung vom historischen Jesus über Q zu Mt und der Didache und verkennt, daß Lk nicht nur ein idealisierendes Bild urchristlicher Wandercharisma­tiker entwirft, sondern sie auch kritisiert.

63 Vgl. auch die idealisierende Schilderung bei THEMISTIOS: über die Tugend kap. 22 (vgl. Anm. 29): "Sie aber gehen zuversichtlich und fröhlich, genießend das Gute, um das sich nicht gemüht die Hände. Denn dort wird nicht der Ton des Aneinanderschlagens des Silbers gehört und nicht glänzt Gold in ihrem Gepäck, und diese Wanderer allein quält nicht die Furcht vor Räubern und die wechselnden Umstände und die Gewalt steigen (sic!) nicht von Burgen auf sie herab. Und wenn sie auch herabsteigen, kehren sie um in Beschämung, daß sie Menschen ange­fallen, die nichts besiegt." Dies gilt als Weg des Antisthenes, Diogenes und Krates (kap. 21).

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genüber Beleidigungen wie ein Stein verhalte: "Keiner schmäht ihn, keiner schlägt ihn, niemand mißhandelt ihn. Seinen Körper hat er zur Verfügung ge­stellt, so daß, wer will, ihn nach Belieben gebrauchen kann" (III,22, 100). Die inhaltlichen Analogien zur Jesusbewegung liegen ebenso auf der Hand wie der vergleichbare Sitz im Leben. Epiktet spricht zweifellos von wirklicher Wanderexistenz (III,22,45ff). Er warnt seinen Gesprächspartner davor, Gastfreundschaft auszunutzen: "Du aber scheinst nur in irgendjemandes Haus für eine Zeit gehen zu wollen, um gesättigt zu werden" (III,22,66), womit ein Stück der prosaischen Wirklichkeit durch Epiktets idealisierende Schilderungen hindurchschimmert (vgl. die Warnungen vor urchristlichen Wandercharismatikern Did XI,3ff). Er macht ferner klar, daß der kynische Wanderphilosoph auf Familie verzichten muß (III,22,67). Dafür aber hat er nun alle Menschen als neue Familie (vgl. Mk 3,34f 10,3064):

"Guter Mann, alle Menschen hat (der Kyniker) zu seinen Kindern gemacht, die Männer hat er als Söhne, die Frauen als Töchter. Zu allem kommt er in dieser Wei­se, für alle sorgt er in dieser Weise. Oder meinst du, daß es aus kleinlichen Motiven heraus geschieht, wenn er die, die ihm begegnen, beschimpft? Wie ein Vater tut er

64 W. STEGEMANN hat in einer noch unveröffentlichten Arbeit (s. Anm. 61) eine alternative Deutung von Mk 10,28-30 vorgeschlagen. Gedacht sei an einen stationären Religionswechsel, nicht an den Wechsel von seßhafter Lebensweise zur Wanderexistenz. Er verweist dazu auf Philo spec. leg. 1,52, wo dazu gemahnt wird, die Proselyten besonders freundlich aufzunehmen: "Da sie . . . Vaterland und Freunde und Verwandte um der Tugend und der Frömmigkeit willen ver­lassen haben, sollen neue Städte und Hausgenossen und Freunde ihnen nicht vorenthalten sein." Tacitus hist V,5 wertet solche Gesinnung als Verstoß gegen die Pflichten gegen die Götter, das Vaterland und die Familie. Nun kennt Philo auch ein wirkliches Verlassen von Haus und Hof: Bei der Schilderung der Unruhen unter Caius erzählt er, wie protestierende Menschen ihre Dör­fer verlassen (leg Gai 225) und erklären: "Wir entfernen uns aus den Städten, verlassen Häuser und Landbesitz, Hausrat, Geld und Schätze und alle andere Habe werden wir freiwillig herbei­bringen; wir meinen, daß wir sie nicht hergeben sondern empfangen." (legGai 232) Sie erklären ferner, daß sie bereit sind, ihre Frauen, Brüder, Schwestern, Söhne und Töchter zu opfern (leg­Gai 234). All das ist konkret gemeint. Das wörtliche Verständnis ist aber auch bei Mk 10,28 f das näh erliegende. Im mkn. Zusammenhang ist ja zweifellos von einer wandernden Gruppe die Rede. Dasselbe gilt von der vormkn. Tradition, da man die Frage des Petrus: "Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt" (V. 28) kaum von der Perikope trennen kann (vgl. die entfernte Parallele Joh 6,66ff). Das Verlassen ist wörtlich gemeint und entspricht nach allem, was wir wissen, auch der historischen Realität. Der zweite Teil des Wortes ist dann insofern "übertragen" zu verstehen, als es sich bei den hundertfältig zurückerstatteten Brüdern, Schwe­stern, Müttern und Vätern von vornherein nicht um leibliche Familienangehörige handeln kann, sondern nur um die familia dei. Daß damit die christlichen Gemeinden gemeint sind bzw. Sym­pathisantengruppen der Jesusbewegung, ist ebenso plausibel wie die Annahme, daß derjenige, der von Ort zu Ort und von Gemeinde zu Gemeinde zieht, eher in den Genuß , ,hundertfältiger" Rückerstattung des Verlassenen kommt als derjenige, der an einem Ort bleibt. Nimmt man hin­zu, daß auch der wandernde kynische Philosoph seine Hörer als seine Familie - als Ersatz für die verlassene Familie - betrachtet (Epiktet diss III,22,81f), so spricht nichts dagegen, auch Mk 10,28f auf Wandercharismatiker zu beziehen (ebenso R. PESCH: Das Markusevangelium II, HThK II,2, Freiburg 1977, 145f), mochten die Leser des Evangeliums in den Gemeinden wohl auch an sich gedacht haben.

190 Gewaltverzicht und Feindesliebe

das, wie ein Bruder und Diener des Zeus, des gemeInsamen Vaters." (I1I,2281-82)65

Bei diesen kynischen Wanderphilosophen läßt sich Lebensform und Bot­schaft nicht trennen: Sie sind von Gott gesandt, um die Menschen über Gutes und Böses zu belehren (111,22,23). Sie tun es nicht zuletzt dadurch, daß sie am eigenen Beispiel zeigen, worin wahre Freiheit und Unabhängigkeit be­steht (111,22,45ff). Und eben dadurch haben sie teil an der Souveränität Got­tes (III,22,95 w~ IAEtEXffiV 'tfj~ aQxfj~ wü ~L6~). Für die urchristlichen Wan­dercharismatiker gilt Vergleichbares : Schon ihre Lebensform ist ein Zeichen der Freiheit. Botschaft und Lebensform lassen sich hier nicht trennen66 •

Ordnet man das Gebot der Feindesliebe und des Gewaltverzichts aufgrund der drei durchgeführten Rückschlußverfahren dem urchristlichen Wander­charismatikertum zu, so löst sich ein Rätsel: Daß nämlich diese Gebote - ab­gesehen von der noch ganz unter dem Einfluß von Wandercharismatikern stehenden Didache - in der alten Kirche vor allem im apologetischen Schrift­tum begegnen67, ja, daß hier ihr literarischer "Sitz im Leben" zu suchen ist. Wie W. Bauer nachgewiesen hat67 , steht diesen Stellen eine relativ große Zu­rückhaltung, ja widerstrebende Aussagen in Schriften gegenüber, die für den innergemeindlichen Gebrauch bestimmt sind. Nach außen ziert man sich wohl mit diesem Gebot, das dem Vorwurf des Menschenhasses entgegenwir­ken konnte. Wendet man es aber einmal nach innen an, so kommt man zu recht kritischen Urteilen wie in 2.Clem 13,4. D. h. das Gebot war in der Frühzeit unter Wandercharismatikern lebendig, erhielt dann aber in den lo­kalen Orts gemeinden einen neuen Sitz im Leben, der sehr viel literarischer war: eine apologetische Funktion, mit der man antichristlichen Vorurteilen entgegentrat. Dieser Funktionswandel beginnt möglicherweise schon in den Evangelien, wenn Mt sich vom Vergeltungs denken und Feindeshaß des Alten

65 Die Stelle beleuchtet natürlich auch wichtige Unterschiede zwischen urchristlichen Wan­dercharismatikern und kynischen Wanderphilosophen: Die Kritik, ja Schmähung der Entge­genkommenden ist offensichtlich typisch für diese Wanderphilosophen vg!. Epiktet III,22,10, wo deutlich die prosaische Wirklichkeit zu Tage kommt. Auch ist bezeichnend, daß sich der Wanderphilosoph die überlegene Rolle des Vaters zuschreibt. In der Jesusüberlieferung heißt es dagegen: Nennt niemanden Vater auf Erden (Mt 23,9).

66 Wandercharismatiker und Ortsgemeinden stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander. Die Ansicht, daß die "nicht wandernde Mehrheit der Bevölkerung" mit dem Ethos der Wandercharismatiker nichts anfangen könne, die mir L. SCHOTTROFF : J esus von Nazareth, 67, zuschreibt, habe ich nirgendwo im Hinblick auf die palästinensischen Verhältnisse geäußert - auch nicht an den Stellen aus meinen Aufsätzen, auf die L. SCHOTTROFF hinweist. Hier liegt ein Mißverständnis vor.

67 Justin Ap 1,15,9-13 1,16,1-2 DiaI35.85. 96; Aristides 15,5 vg!. 17,3; Athenagoras leg 11,1 12,3; Theoph. ad Auto!. III,14; Diognet 5,11 5,156,6; Tertullian Ap 31.37. Vg!. dazu W. BAU­ER: Das Gebot der Feindesliebe, bes. 242. Er vermutet dort auch schon: "Möglicherweise hat ihre Brauchbarkeit für die Verteidigung der neuen Religion der Feindesliebe schon in denlukani­sehen Schriften ihren verhältnismäßig hervorragenden Platz verschafft." Jedoch kündigt sich die Entwicklung zum apologetischen Topos in den Evangelien erst zögernd an.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 191

Testamentes (und d. h. doch auch von dem in der öffentlichen Meinung ver­unglimpften Judentum) distanzieren will. Oder wenn Lk das Gebot so for­muliert, daß es hellenistischer Gegenseitigkeitsethik formal entgegenkommt.

Der ursprüngliche Sitz im Leben aber ist für die Beurteilung von Feindes­liebe und Gewaltverzicht von großer Bedeutung. Der seßhafte Christ geriete durch Nachgeben gegenüber seinem Feind in immer größere Abhängigkeit. Er muß ja damit rechnen, ihm immer wieder neu zu begegnen. Nachgeben bedeutet hier oft: zur Fortsetzung von übervorteilung und Zurücksetzung aufzufordern. Der Verzicht auf Widerstand erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß sich übergriffe wiederholen. Dennoch steht auch vor ihm die große For­derung, seinen Feind zu lieben. Sie kann der wandernde Charismatiker viel überzeugender verwirklichen. Er ist wirklich frei. Er kann den Ort seiner Niederlage und Demütigung verlassen. Er darf damit rechnen, daß er seinem Gegner nicht mehr begegnet. Indem er weiterzieht, kann er seine Unabhän­gigkeit und Freiheit wahren. Der Preis für diese Freiheit ist eine rigorose As­kese: ein Leben am Rande des Existenzminimums. Der Gewinn aber ist groß. Der Wandercharismatiker verwirklicht auch stellvertretend für seine Freunde in den lokalen Gemeinden jene Feindesliebe, die den Menschen mit Gottes Liebe verbindet.

4. Zur historischen Entstehungssituation

Wenn man für eine überlieferung einen Sitz im Leben gefunden hat, hat man damit nichts über ihre Entstehung ausgesagt, sondern über ihre Funk­tion. Beides ist zu scheiden. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine überlieferung nicht von Jesus stammt, erhöht sich um so mehr, je größer der Gegensatz zwischen dem nachgewiesenen Sitz im Leben und J esu Verkündigung her­vortritt. Läßt sich solch ein Gegensatz nicht feststellen, ja, läßt sich der ge­fundene Sitz im Leben nur erklären, wenn man ihn letztlich auf J esus zurück­führt, so spricht nichts dagegen, einer überlieferung Authentizität zuzu­sprechen. Und das ist hier der Fall: Urchristliches Wandercharismatikertum steht nicht im Gegensatz zu J esu Wirken, sondern wurde durch dessen Ruf in die Nachfolge gegründet und durch sein Wanderleben urbildlich verwirk­licht. Es gibt nun keinen Grund, den Ruf in die Nachfolge Jesus abzuspre­chen68 . Wahrscheinlich war dieser Ruf von vornherein mit einer Beteiligung der Berufenen an der Mission J esu verbunden. Nur so läßt sich der geforderte schroffe Bruch mit der Familie - gegen die elementarsten ethischen Grund­sätze (Mt 8,22) - rechtfertigen, d. h. nur dann, wenn die Berufenen mit einer

68 M. HENGEL: Nachfolge und Charisma, BZNW 34, Berlin 1968, weist nach, daß der Nach­folgegedanke weder aus dem Judentum ableitbar ist - besonders das rabbinische Lehrer-Schü­ler-Verhältnis ist ganz anders strukturiert - noch aus dem Urchristentum: Dem Erhöhten kann man nicht im wörtlichen Sinne "nachfolgen".

192 Gewaltverzicht und Feindesliebe

Aufgabe betraut wurden, die wichtiger als alles andere in der Welt war69 • J e­sus hat also durch seinen Ruf in die Nachfolge das urchristliche Wandercha­rismatikertum gegründet. Wenn Feindesliebe und Gewaltverzicht den Geist dieses Wandercharismatikertums atmen, so ist das letztlich Jesu Geist1°.

Wir können aber noch weiter fragen: Feindesliebe und Gewaltverzicht (insbesondere letzterer) passen ausgezeichnet in die zeitgeschichtliche Situa­tion J esu. Zum Gewaltverzicht finden wir zwei datierbare Analogien: die er­ste aus dem Jahre 26/27 n. Chr., die andere aus dem Jahre 39 n. Chr. Zwi­schen diesen beiden Daten liegt die Zeit des öffentlichen Wirkens J esu. Die Analogien zeigen: Die Idee des Gewaltverzichtes lag zumindest in der Luft­gerade damals. Denn bald schon verschärften sich die Spannungen zwischen Römern und Juden, Widerstandsbewegung und Aristokratie und förderten mehr und mehr eine Bereitschaft zu Krieg und Gewalt. Doch nun zu den Analogien:

Als Pilatus im Jahre 26 n. Chr. seine neue Stellung als Präfekt von Judäa antrat, wurde er bald mit einem für seine neue Umgebung typischen Problem konfrontiert, ein Problem, das er offensichtlich weit unterschätzt hatte. Er unternahm nämlich heimlich einen Versuch, Kaiserbilder nach J erusalem hineinzubringen71, Kaiserbilder, die als Götzenbilder galten, abgesehen da­von, daß Bilder ohnehin verboten waren. Die Jerusalemer Bevölkerung war aufgebracht. Hier lag wohl eine bewußte Provokation vor, die von Anfang an zeigen sollte, wer der Stärkere war. Pilatus hielt sich damals in seiner Resi­denz in Cäsarea auf. Josephus erzählt nun, daß die Juden nach Cäsarea strömten, den Palast des Pilatus umringten und dort fünf Tage und Nächte ununterbrochen auf ihren Knieen lagen, ohne sich wegzubewegen. Nach fünf Tagen ließ Pilatus sie in ein Stadion kommen, wo er sich auf einen Rich­terstuhl setzte. Alle erwarteten, daß er nun die umstrittene Frage entscheiden würde. Statt dessen ließ er die demonstrierenden Juden von drei Reihen Sol­daten umringen und versuchte sie unter Druck zu setzen. Sie aber weigerten sich trotzdem, die Kaiserbilder zu tolerieren. Pilatus eskalierte: Er drohte, sie zu töten, und ließ die Soldaten die Schwerter ziehen:

"Die Juden aber warfen sich wie auf Verabredung hin dichtgedrängt auf den Bo­den, boten ihren Nacken dar und schrien, sie seien eher bereit zu sterben, als daß sie die väterlichen Gesetze überträten. Zutiefst erstaunt über die Glut ihrer Fröm­migkeit gab Pilatus den Befehl, die Feldzeichen sofort aus Jerusalem zu entfer­nen." (bell 2,174) Der gewaltlose Widerstand der Juden war erfolgreich. Selbst die mächti-

69 Vgl. M. BENGEL: Nachfolge, 82ff. 70 Zur historischen Echtheitsfrage vgl. die bedenkenswerten Ausführungen bei D. LÜHR­

MANN: Liebet eure Feinde, 427--436. 71 Vgl. die Berichte ant. 18,55-59; bell 2,169-174. Dazu E. SCHÜRER: Geschichte des jüdi­

schen Volkes im Zeitalter Jesu Christi I, Leipzig 51920, 489; M. STERN, in: S. SAFRAI/M. -STERN: The Jewish People in the First Century I, Assen 1974, 351.

Gewaltverzicht und Feindesliebe 193

gen Römer erwiesen sich als verwundbar. Das mußte auf die damaligen Zeit­genossen einen gewaltigen Eindruck machen. Eben in jener Zeit (oder kurze Zeit später) aber trat Jesus öffentlich auf und lehrte: Biete dem Feind freiwil­lig die Backe, wenn er dich schlägt! Wie mußte dies Wort damals verstanden werden? Zweifellos so, daß hier eben jenes Verhaltensprinzip formuliert wurde, das auch der Demonstration gegen Pilatus zugrunde lag: Man bietet in paradoxem Gegensatz zu gängigen Reaktionsweisen freiwillig eine ver­wundbare Stelle in der Hoffnung, es möge der Gegner zur Besinnung kom­men72 • Was aber dort im Rahmen eines politisch-religiösen Konfliktes auf­trat, wird bei J esus ganz allgemein formuliert, so daß seine Verhaltensregel derartige Konflikte wohl einschließen kann, aber darüber hinaus gilt. Es soll hier keineswegs behauptet werden, Jesus sei von den geschilderten Ereignis­sen in Cäsarea beeinflußt gewesen. Das ist wohl möglich, läßt sich aber nicht beweisen. Wohl aber kann behauptet werden, daß die Zeitgenossen Jesu es nicht von vornherein als einen unsinnigen Gedanken ablehnen mußten, den Gegner durch demonstrative Wehrlosigkeit "außer Gefecht zu setzen". Diese Verhaltensstrategie war erfolgreich. Erfolgreiches Verhalten aber pflegt nachgeahmt zu werden. Es bestimmt oft auf sehr indirekte Weise unser geistiges Klima. Es beeinflußt die Meinung der Menschen über das, was sinn­voll und sinnlos ist. Es hat Nachwirkungen.

Das zeigen auch die späteren Ereignisse unter Gaius Caligula. Gaius hatte den wahnsinnigen Plan, sein Standbild im Jerusalemer Tempel aufzustellen. Wieder handelte es sich um die übertretung eines religiösen Gebots durch die Römer. Wieder setzten die Juden die schon einmal erprobte Konfliktstrate­gie ein. Der syrische Statthalter Petronius war mit der Errichtung der Statue beauftragt. Er zögerte jedoch. Wieder strömte das Volk zum Statthalter. Und wieder drohte der Statthalter mit Gewalt. Petronius fragte die Juden:

'" Wollt ihr also', sagte Petronius, ,mit dem Kaiser Krieg führen, ohne an seine Rü­stungen und an eure Ohnmacht zu denken?' Sie aber entgegneten: ,Wir wollen ganz und gar keinen Krieg führen, sondern lieber sterben, als dem Gesetz entgegen handeln', und bei diesen Worten warfen sie sich zur Erde, boten ihren Nacken dar und erklärten sich bereit, denselben Augenblick zu sterben. So fuhren sie vierzig

72 Die Hoffnung, der andere möge zur Besinnung kommen, wird in der Jesusüberlieferung nicht direkt zum Ausdruck gebracht, wohl aber indirekt durch die Komposition: Bei Lk durch die angefügte Goldene Regel. Aber schon die Kombination der Worte in der Logienüberliefe­rung zeigt, daß man nicht an einfaches Nachgeben gedacht hat. Die Aufforderung zum Geben (Mt 5,42) hat man oft als ein unpassendes Logion ausgeschieden, weil es nicht vom Verzicht auf Widerstand spricht, sondern vom Beschenken des anderen. Wenn aber die Jesusbewegung die Worte vom Gewaltverzicht immer schon so verstanden hat, daß der andere verändert werden soll, wird der logische Bruch zwischen Mt 5,40-41 und 42 geringer: Jemanden beschenken heißt ja; sein Dasein in irgendeiner Weise verändern. Die Komposition der Worte wäre also nicht ganz unsinnig, wenn auch der Gewaltverzicht darauf zielt, etwas beim anderen zu verändern. (Eine Il­lustration bietet im übrigen Joh 8,1 ff, wo Jesus dazu auffordert, die schutzlose Ehebrecherin zu steinigen, wo aber eben deswegen alle zur Besinnung kommen.)

194 Gewaltverzicht und Feindesliebe

Tage lang fort, ohne das Land zu bestellen, obschon es Saatzeitwar, und sie blieben fest bei ihren Worten und dem Entschluß, eher zu sterben, als die Bildsäule auf­richten zu sehen." (ant 18,27lf vgl. bell 2,195-198)

Petronius war so sehr von der Opferbereitschaft der Juden beeindruckt, daß er schließlich förmlich um Rücknahme des Befehls bat. Zum Glück wurde Gaius Caligula getötet, bevor sich der Konflikt weiter zuspitzen konnte. Das alles geschah 39/40 n. Chr., ca. 13 Jahre nach den Ereignissen zur Zeit des Pilatus. Man darf damit rechnen, daß in diesen Jahren der Ge­danke eines gewaltlosen Widerstandes lebendig war, gerade zu dieser Zeit. Es kann doch kein Zufall sein, daß Tacitus im Hinblick auf Palästina schreibt: "sub Tiberio quies" (hist V, 9)73. Obwohl wir wissen, daß keine vollständige Ruhe herrschte, müssen die Spannungen damals geringer gewesen sein als zuvor und später: Man denke an die Entstehung der Widerstandsbewegung nach der Einführung der direkten römischen Verwaltung 6 n. Chr. und die wachsenden Spannungen nach dem Tode Agrippa I. (44 n. Chr.) unter Cu­manus. Wenn überhaupt ein Zeitpunkt im damaligen von sozialen und politi­schen Spannungen geprägten Palästina der Verkündigung der Gewaltlosig­keit günstig war, so war es die Zeit Jesu.

Falls diese zeitgeschichtliche Einordnung von Jesu Worten zum Gewalt­verzicht richtig ist, wird man in einem Punkt unser Bild von J esus korrigieren müssen: Oft wird seine Verkündigung des Gewaltverzichts allzu einseitig in einem Gegensatz zu seiner Zeit gesehen74; das ist gewiß nicht falsch. Jesu Verkündigung war eine Alternative zum "zelotischen" Widerstand und zu den essenischenPhantasien vom zukünftigen großen Krieg (1 QM). Aber Je­sus und seine Bewegung stehen nicht isoliert im Judentum: Es gab noch an­dere Kräfte, die auf eine gewaltlose Lösung von Konflikten hinarbeiteten. Und diese Kräfte sind nicht nur bei einer kollaborationsverdächtigen Aristo­kratie zu suchen (bei den Ereignissen unter Gaius Caligula hat man nicht den Eindruck, daß die Aristokratie die demonstrierende Menge völlig in der Hand hat)7s. Man wird vielmehr den zum Ausgleich neigenden Kräften so

73 Vgl. richtig P. W. BARNETT: ,Under Tiberius all was quiet', NTS 21 (1974/5) 564-571: " ... by comparison with what happend later it was a quiet period, broken only by those inci­dents we have noted." (5. 571) Diese Zwischenfälle werden aber allzu sehr verharmlost. Barnett identifiziert S. 568 drei Unruhen unter Pilatus: dessen übergriff auf den Tempelschatz (bell 2,175-177; ant 18,60-62), die Niedermetzelung der Galiläer (Lk 13,lf), den Aufstand, in den Barnabas verwickelt war (Mk 15,6-7). Das ist kaum möglich. Trotz dieser Spannungen aber gab es eine Hoffnung, ohne Gewaltanwendung Probleme lösen zu können; sonst wäre schon 39/40 n. ehr. der jüdische Krieg ausgebrochen.

74 Z. B. bei M. HENGEL: Victory over Violence, London 1975, 71-85, wo Hengel mit vollem Recht die Meinung zurückweist, Jesus sei eine Art Kryptozelot gewesen.

75 Es spricht einiges für die These, daß die Jesusbewegung zur "Friedenspartei" gehörte (so P. HOFFMANN: Studien zur Theologie der Logienquelle, NtlAbh 8, Münster 1972, 74-78; 332). Nur darf man natürlich diese "Friedenspartei" nicht auf die Aristokratie eingrenzen oder mit einer organisierten, sozial homogenen "Partei" rechnen. Gemeint ist nur, daß die Jesusbe­wegung zu den Kräften gehörte, die eher den Frieden als den Krieg gefördert haben - und unter-

Gewaltverzicht und Feindesliebe 195

wenig Kollaboration mit den Römern nachsagen können wie Jesus, der als politischer Verbrecher von den Römern hingerichtet wurde und dessen frie­densfördernde Ansichten zur Gewaltlosigkeit Pilatus wohl kaum beein­druckt haben dürften, falls er sie überhaupt kannte: Pilatus hatte an eigenem Leib erfahren, daß von Gewaltlosigkeit eine große Macht ausgehen kann, die nicht weniger politisch gefährlich werden kann wie gewalttätiger Wider­stand.

Gerade bei Jesus finden sich ja jene drei Verhaltensmuster, deren Kombi­nation jeder Macht gefährlich werden können: 1. den Mut zur öffentlichen Kritik (und eine entsprechende Resonanz), 2. die Bereitschaft zu provokato­rischen Handlungen, durch die bestehende Regeln kompromittiert werden und 3. eine demonstrative Wehrlosigkeit. J esus hat diese Verhaltenselemente so wenig zu einer systematischen Strategie gewaltloser Konfliktlösung aus­gebaut wie jene Zeitgenossen, die Pilatus zur Zurücknahme einer Maßnahme zwangen. Aber von ihm her wurde immer wieder ein Verhalten inspiriert, das sich weder dem Stärkeren beugt noch zur Gewalt greift. Und hier wird der einzige Weg sichtbar, der bleibt, wenn man sowohl von der Dringlichkeit sozialer Veränderungen überzeugt ist wie von der Notwendigkeit, den Frie­den im Inneren und Äußeren zu wahren.

Wir können nun zusammenfassen. Jesus formulierte das Gebot der Fein­desliebe und des Gewaltverzichts zu einer Zeit, als seine Forderungen auf fruchtbaren Boden fallen konnten: Gewaltlose Konfliktstrategien hatten sich gegenüber den Römern als wirkungsvoll erwiesen. Jedoch geht Jesu Forde­rung weit über jede konkrete Situation hinaus. Sie ist allgemein. Sie nimmt keine Rücksicht auf Effektivität und Nichteffektivität. Sie verlangt nicht nur Gewaltverzicht, sondern die Liebe des Feindes ohne Einschränkung. Gerade weil sie allgemein und apodiktisch formuliert war, konnte sie immer wieder aktualisiert werden. Jesu Nachfolger, vagabundierende Wandercharismati­ker, haben sein Gebot auf ihre Situation beziehen können; die verfolgten Propheten befreiten sich so vom Haß gegen die Verfolger. Die hinter dem Matthäusevangelium stehenden Gemeinden aktualisieren das Gebot in der Zeit nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes, um als äußerlich Besiegte innerlich überlegen den Siegern entgegentreten zu können. Die Lk-Gemeinden assoziieren Feindesliebe mit Konflikten zwischen Geldge­bern und Schuldnern. Im 2. Jh. n. Chr. wird das Gebot zum apologetischen Argument, das einer mißtrauischen öffentlichkeit versichern soll, die Chri­sten seien frei von sektiererischem Menschenhaß. Die Mannigfaltigkeit der konkreten sozialen Zusammenhänge, in denen das Gebot der Feindesliebe und des Gewaltverzichtes steht, zeigt: Diese Gebote lassen sich nicht auf ein

legen sind. Die Verurteilung des zelotischen Mordes an Sacharja (Mt 23,35) ergreift eindeutig Partei gegen die Aufständischen und ihren militanten Kern in Jerusalem. Kritisch zur These P. HOFFMANNS: L. SCHOTTROFF: Jesus von Nazareth, SOf.

196 Gewaltverzicht und Feindesliebe

bestimmtes Gebiet einschränken. Es werden sowohl ökonomische, politi­sche wie religiöse Feinde angesprochen. Es werden private und soziale Span­nungen sichtbar, Verfolgungen von Minoritäten und die Unterdrückung der Mehrheit eines Volkes. In allen Situationen gilt das Gebot der Feindesliebe. Es ist allgemein.

Es ist jedoch noch in einem anderen Sinne allgemein. Es formuliert auf un­erhört klare und eindringliche Weise, was in den Gedanken der Völker im­mer wieder ansatzweise begegnet: das Bemühen, Vergeltung und Haß zu überwinden. Schon die babylonische Weisheit mahnt: "An deinem Widersa­cher handele nicht böse. Wer dir Böse tut, dem vergilt mit Gutem. "76 Ägyp­tische Weisheitssprüche weisen in dieselbe Richtung: "übe keine Vergel­tung, damit Gott dir nicht das Unrecht vergelte" oder: "Ein Frommer vergilt kein Unrecht, auf daß auch ihm nicht vergolten werde. "77 Ein chinesischer Weiser formuliert: "Vergilt Groll mit Tugend !"78 Die jüdische Spruchweis­heit des Alten Testaments fordert die überwindung des V ergeltungsgedan­kens: "Wenn dein Feind hungert, so speise ihn, dürstet ihn, so gib ihm zu trinken." (Prov 25,21)79

An zwei Stellen aber kommt die überwindung des Vergeltungsgedankens klar zum Durchbruch und wird prinzipiell formuliert: in der griechischen Philosophie und bei Jesus - auf der Schwelle zwischen Judentum und Christentum8o • Fehlt auch bei Plato noch die positive Forderung den Wider­sacher zu lieben, so findet sie sich doch bei Epiktet (diss. III,22,54). In allen Fällen wird eine nur graduelle überwindung des Vergeltungsdenkens durch eine prinzipielle Aufhebung ersetzt. Vergeltung wird nicht nur gemildert, weil sie unabsehbare Folgen hat, weil die Berücksichtigung der Motive eine Handlung in neuem Licht erscheinen läßt, weil man selber auf Racheverzicht angewiesen ist. Vergeltung wird apodiktisch ausgeschlossen: Es ist besser, Unrecht zu leiden als zu tun (vgl. Platon, Kriton 49aff; Gorgias 474bff; Poli­teia 332e ff). Und das gilt ebenso unbedingt wie das Gebot der Feindesliebe und des Gewaltverzichtes. Diese Parallelität ist von großer theologischer Be­deutung. Man sollte dagegen nicht einwenden, daß der gesamte Hintergrund

76 H. GRESSMANN: Altorientalische Texte zum Alten Testament, Berlin/Leipzig 21926,292 Spruch Nr. 21 und 22.

77 W. v. BISSING: Altägyptische Lebensweisheit, Zürich 1955,116 = Pap. Insinger (Das de­motische Weisheitsbuch des Phibis) kap. 23.

78 LAOTSE: Tao-te king, Reclam UB Nr. 6798/98a, S. 94 (= kap. 63). Andere übersetzung: "Vergilt Feindschaft mit Wohltun".

79 Vgl. Provo 24,1724,29; Sir 28,1-7; Ps.-Phokylides 140-142. 80 Die im folgenden getroffene Unterscheidung zwischen gradueller und prinzipieller über­

windung des Vergeltungsgedankens stammt von A. DIHLE: Die Goldene Regel, 41 ff. "Z weimal ist diese grundsätzliche überwindung des Vergeltungsdenkens in dem uns angehenden geogra­phisch-geschichtlichen Bereich auf verschiedene Weise vollzogen worden: In der platonischen Philosophie durch die Bestimmung des Seinscharakters von Gut und Böse und im N euen Testa­ment mit der Lehre, daß der empirische Mensch unter den besonderen Bedingungen einer escha­tologischen Existenz lebe." (5. 60)

Gewaltverzicht und Feindesliebe 197

hier wie dort verschieden ist. Die Unterschiede zwischen platonischer, stoi­scher und urchristlicher Wirklichkeitsdeutung sind zweifellos groß; aber sie sind nicht größer als Unterschiede zwischen dem Deutungshorizont eines modernen Christen und den urchristlichen überzeugungen. Wer es grund­sätzlich für legitim, ja für geboten hält, urchristliche Inhalte in einem moder­nen Rahmen neu zu deuten, kann eine mögliche übersetzung von urchristli­cher zu stoischer Begrifflichkeit nicht von vornherein als illegitim ablehnen; ja, er wird vielleicht den stoischen Gedanken einer tiefgehenden Verwandt­schaft aller Menschen als eine Bereicherung seines ethischen und religiösen Bewußtseins sich aneignen können.

Das unbestreitbare Phänomen aber, daß eine Offenbarungsreligion zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie eine religiös engagierte Philosophie sollte zu denken geben. Stellt sich hier nicht die Frage, ob nicht beides grundsätz­lich aufeinander angewiesen ist: der Widerspruch philosophischen Denkens gegen gängige Verhaltensweisen auf der einen und der Widerspruch der Of­fenbarung auf der anderen Seite. Es scheint so zu sein, daß wir wohl der Vi­sion einer überwindung der Vergeltung in der Feindesliebe fähig sind. Je mehr wir aber von ihr ergriffen sind, je mehr wir sie als bindende Verpflich­tung erkennen, um so mehr verstricken wir uns in eine ausweglose Problema­tik: Messen wir uns an diesen neuen Maßstäben, so müssen wir uns entweder verachten oder die Maßstäbe leugnen, es sei denn, es gibt die Erfahrung der Gnade.

III. Paulus

[l92J

8.

Legitimation und Lebensunterhalt: ein Beitrag zur Soziologie urchristlicher

Missionare

Herrn Prof. D. Ph. Vielhauer zum 60. Geburtstag zum 3. Dezember 1974

Als niemand ahnen konnte, daß die urchristliche Bewegung einmal die ganze Kultur verwandeln und gestalten sollte, waren ihre Missionare nicht die angesehenen Gründer des Christentums, sondern heimatlos vaga­bundierende Propagandisten ohne Erwerb und Wohnsitz. Sie verkörperten eine Form sozial-abweichenden Verhaltens, das sich grundlegenden Normen und Notwendigkeiten der Gesellschaft entzogen hatte; man denke an die Nachfolgegebote der Heimat- und Besitz-, Schutz- und Familienlosigkeit. Sie predigten und lebten so eine Freiheit gegenüber grundlegenden sozialen Verpflichtungen, die nur für den praktizierbar ist, der sich den stabilisieren­den und domestizierenden Wirkungen kontinuierlichen Arbeitslebens entzogen hat - nicht durch Privilegien des Besitzes, sondern durch die asketische Armut einer ungesicherten Randexistenz, die dem Leben kynischer Wanderphilosophen vergleichbar ist.1 Nun ist aber auch der größte Asket auf Lebensunterhalt angewiesen. Wenn er selbst nicht arbeitet, heißt das: Er ist auf andere Menschen angewiesen, die für ihn arbeiten. Er bleibt so auf handfeste Weise an diese Welt gebunden, mag er sich auch sonst noch so sehr von ihr distanzieren. Die Frage des Lebensunterhalts rührt daher an die Wurzeln seiner geistigen Existenz, sie berührt die Glaubwürdigkeit seiner exponierten Lebensweise. Es ist daher sicherlich kein Zufall, daß diese Frage in den Anweisungen an urchristliche Wanderprediger einen breiten Raum einnimmt (vgl. die Aussendungsrede Lc. x. 3 ff. parr.), daß sie in den Ge­meinderegeln für den Umgang mit wandernden Charismatikern dominiert (Mt. x. 40-2; Did. xi) und zu einem zentralen Thema in den Auseinander­setzungenzwischenkonkurrierenden Wanderpredigern werden konnte (I Cor. ix; II Cor. x-xiii): Die soziale Legitimität der wandernden Prediger hängt in der Tat weitgehend davon ab, wie sie sich ihren Lebensunterhalt verschaffen.

1 Vgl. meinen Aufsatz: 'Wanderradikalismus. Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worten Jem im Urchristentum', Z. Th.K. 70 (1973), 245-271. Im folgenden werden die dort geäußerten Gedanken fortgeführt.

202 Legitimation und Lebensunterhalt [193]

Im folgenden soll nun die These vertreten werden, daß es zwei Typen urchristlicher Wanderprediger gab, die man als Wandercharismatiker und Gemeindeorganisatoren unterscheiden kann, wobei der ausschlaggebende Unterschied eine verschiedene Haltung zur Frage des Lebensunterhalts ist. Der erste Typos entstand unter den sozialen Bedingungen des palästinen·si­schen Bereichs, der zweite, vertreten durch Paulus und Barnabas, beim Übergang der Mission in den hellenistischen Bereich. Beide Typen wirken nebeneinander, geraten aber z. B. in Korinth in Konflikt.

A. DIE WANDERCHARISMATIKER

Die J esusbewegung war eine innerjüdische Erneuerungsbewegung, die sich an alle jüdischen Gemeinden wandte, aber ursprünglich keine vom Juden­tum getrennte Gruppen bilden wollte. Es ist daher mißverständlich, von urchristlichen Gemeinden in der frühesten Zeit zu reden. Träger dessen, was sich später als 'Christentum' verselbständigte, waren vielmehr wandernde Missionare, Apostel und Propheten, die sich auf kleine Sympathisanten­gruppen in verschiedenen Orten stützen konnten. Sie stellten nicht die einzige innerjüdische Erneuerungsbewegung dar, die sich durch ein stark sozial-abweichendes Verhalten auszeichnete. Wer damals seine bisherige soziale Existenz aufgab, um eine andere Lebensform zu ergreifen, stand vor vielen Möglichkeiten: Er konnte Bettler, Räuber, Guerilla, Essener - oder eben Apostel, Prophet und Missionar werden. Und manchmal war er wohl Verschiedenes nacheinander wie Simon der Zelot (Lc. vi. 15).1 Nun gab es Räuber und Bettler überall. Daß aber Bewegungen, die von außen als Räuberei und Bettelei angesehen werden konnten, zum Träger religiöser und sozialer Erneuerung einer ganzen Gesellschaft werden, ist außergewöhnlich.2

Und diese außergewöhnliche Bedeutung sozial-abweichenden Verhaltens in der damaligen palästinensischen Gesellschaft steht zweifellos in Zusam­menhang mit jener tiefgreifenden sozialen Krise, die sich im jüdischen Krieg explosiven Ausdruck verschaffte. Wir können hier diese Krise nicht im einzelnen analysieren und heben nur einige Faktoren heraus, die für Entstehung und Gestaltung urchristlichen Wandercharismatikertums von Bedeutung sind.

(a) Soziopolitische Faktoren. Es ist in Palästina nicht gelungen, verschiedene

1 In Mt. x. 4 und Mc. iii. 18 steht zwar 'Kanaanäer', wasjedoch wörtliche Übersetzung von 'ha kannai' (der Eiferer, der Zelot) sein dürfte. Diese Variation des Beinamens läßt sich zudem eher aus , Zelot' ableiten als umgekehrt' Zealot' aus' Kanaanäer': Eine Verbindung der Jesusbewegung mit den Zeloten war nach dem jüdischen Krieg gewiß inopportun. Vgl. J. Klausner, }esus von Nazareth (Berlin, '930), S. 277.

• Sozial abweichendes Verhalten gibt es in jeder Gesellschaft und ist eine völlig 'normale' Erschei­nung; nur absoluter Zwang könnte es unterbinden. Erst ein ungewöhnlicher Anstieg sozial abweichen­den Verhaltens kann als Symptom sozialer Desorganisation und 'Anomie' gewertet werden. Vgl. R. König, Art. 'Anomie', in: Fischer-Lexikon Soziologie (Frankfurt, '958), S. 17-25. Zur zentralen Bedeutung des Begriffs AnOInie für die Religionssoziologie vgl. P. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschqft. Elemente ein ... soziologischen Theorie (Frankfurt, 1973).

[194] Legitimation und Lebensunterhalt 203

Herrschaftsstrukturen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Auf der einen Seite standen' westliche' politische Strukturen, auf denen das römische Reich beruhte: die Polis, die sich nur in den hellenisierten Städten am Mittelmeer und im Ostjordanland durchgesetzt hat, l und die römische Provinzialverwaltung, die immer wieder durch die Herrschaft einheimischer , Könige' abgelöst wurde.2 Auf der anderen Seite standen zwei' einheimische' Herrschaftsformen : die Theokratie, d. h. die Herrschaft einer einheimischen Priester- (und Laien -) Aristokratie, 3 und die Monarchie der Hasmonäer und Herodäer, die sowohl zur Aristokratie als auch zum Volk in Spannung stand.4

Es soll hier nicht nach den Gründen gefragt werden, warum es nicht gelang, diese Herrschaftsstrukturen zur 9rundlage einer stabilen politischen Ordnung zu machen, warum also die Integration der jüdisch-palästinensi­schen Gesellschaft in das römische Reich mißlang. Unübersehbar ist ja, daß sie mißlang. Der jüdische Krieg beweist es. Symptomatisch für dies Mißlingen sind aber schon die seit den\. Anfang des Jahrhunderts aufkom­menden radikaltheokratischen Bewegungen, die unter Rückgriff auf alte Traditionen den Ersatz aller Herrschaftsformen durch die Herrschaft Gottes proklamierten. Diese radikaltheokratischen Bewegungen konnten in akti­vistisch-Iegalistischer Gestalt auftreten (als zelotische Guerillakämpfer),5 aber auch in der Gestalt schwärmerischer messianischer Propheten, die auf ein wunderbares Eingreifen Gottes warteten.6 Die J esus bewegung läßt sich als ihr quietistischer Flügel charakterisieren. Im Zentrum stand hier die nahe 'Herrschaft Gottes', die ohne Gewalttat, auf wunderbare Weise kommen sollte und sich schon jetzt in Exorzismen und Heilungen ankündigte (vgl. Lc. x. 8 f., xi. 20).

(b) Soziorikonomische Faktoren. Für das Scheitern der politischen Stabili-

1 Zu den Stadtrepubliken in Palästina vgl. A. H. M.Jones, 'The urbanization of Palestine', Rom. Siud. XXI (1931), S. 78-85; ders.: The Cities ofthe Eutern Romanprovinces (Oxford, 1937), S. 248 ff. A. Alt, 'Hellenistische Städte und Domänen in Galiläa', Galiläische Probleme 3, in: Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, Bd. 1I (München, 1953), S. 384-95. V. A. Tcherikover, 'WasJerusalem a "Polis"?', Israel Exploration Journal XlV (1964), S. 61-78. Weitere Literatur bei M. Hengel, Judentum und Hellenismus, W.U.N. T. 10 (Tübingen, 1-969), S. 42 A. 146.

• Die Instabilität der sozialen und politischen Situation wird durch den häufigen Wechsel der Verfassung belegt: Von 63-40 v. Ch. unterstand J udäa, Galiläa und Peräa der römischen Provin­zialverwaltung. In dieser Zeit wird zwei Mal eine Änderung der Verhältnisse herbeigefiihrt, 57 v. Ch. durch Gabinius, 47 v. Ch. durch Caesar. Von 40 v. Ch. bis 6 n. Ch. herrschen einheimische Monarchen, 6 n. Ch.-41 n. Ch. römische Statthalter, 41-4 n. Ch. wieder ein einheimischer Monarch, dann wieder Statthalter. Nur in Galiläa halten sich einheimische Fürsten von 40 v. Ch. bis 44 n. Ch.

• J.Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu (Göttingen, 3I969), S. 166 ff., hat die Institutionen und Lebensgewohnheiten dieser theokratischen Kreise analysiert.

• Die Probleme der jüdischen Monarchie analysiert A. Schalit, König Herodes, Studia Judaica 4 (Berlin, 1969}, bes. S. 146 ff., 298 ff. Ders.: 'Herodes und seine Nachfolger', Kontexte, rn (1966), S·34-42.

• M. Hengd, Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I bis 70 n. Chr. (Leiden, 1961).

• M. Hengel, Zeloten, S. 235 ff. Diese messianischen Propheten sind m. E. jedoch Härker von den Zeloten zu unterscheiden. Letztere be.aßen ein religiöses und soziales Programm, das unabhängig von bestimmten Messiasprätendenten weitergeführt werden konnte. Die Bewegungen der messiani­schen Propheten zerfallen dagegen mit dem Tod der Anführer. Vgl. noch R. Meyer, Der Prophet aus Galiläa (Leipzig, I940 = Darmstadt, 1970).

204 Legitimation und Lebensunterhalt [195]

sierung des Landes und die damit zusammenhängende Entstehung radikaltheokratischer Bewegungen sind sozioökonomische Faktoren mitver­antwortlich. Einige Hinweise sprechen dafür, daß die religiös inspirierten Formen sozial-abweichenden Verhaitens vor allem in den unter sozialem und ökonomischen Druck leidenden Schichten und Gruppen Verbreitung fanden. l So berichtet Plinius d. Ä. von den Essenern, daß sie vor allem lebensmüde 'Flüchtlinge' aufnähmen, die 'durch die Widrigkeit des Schicksals gezwungen wurden, sich ihrer Lebensweise anzupassen' (hist. nato V. 17. 4). Bei den Zeloten läßt sich eine ausgesprochen sozialrevolutionäre Programmatik erkennen: Sie gruppierten sich im Widerstand gegen die systematische Steuerveranlagung durch die Römer, versprachen die Auf­hebung der Verschuldungen und zerstörten die Archive mit Schuldver­schreibungen (bell. H. 427). In der Jesusbewegung läßt sich eine scharfe Kritik des Reichtums feststellen. Man weiß, daß es den Reichen schwer fällt, sich ihr anzuschließen: Vor der Aufforderung zur heimatlosen Nach­folgeexistenz schrickt der' reiche Jüngling' zurück (Mc. x. 17 ff.). Es wäre jedoch falsch, die Entstehung sozial-abweichenden Verhaltens deshalb nur in den untersten Schichten zu suchen. Sozialer und ökonomischer Druck kann in allen Schichten empfunden werden, ja, er wird dort am intensivsten empfunden, wo die Möglichkeit eines 'besseren' Lebens bekannt ist und sozialer Absteig als Möglichkeit droht. Unter den Desperados aller Zeiten finden sich immer wieder Söhne 'gutgestellter ' Familien.2 Und auch den urchristlichen Wandercharismatikern gehörten nicht nur Mitglieder der ärmsten Schichten an: Der Vater der Zebedaiden kann immerhin neben seinen beiden Söhnen angemietete Arbeiter beschäftigen (Mc. i.20). Sozioökonomischer Druck ist also gewiß kein ausschließlich schichtspe­zifisches Phänomen. Er kann die ganze Gesellschaft verunsichern, mag er auch die untersten Schichten am härtesten treffen. Auf jeden Fall hat er meist gesamtgesellschaftliche Ursachen, wobei hier offen bleiben kann, was auf die Zerrüttung des Landes durch Herodes den Großen,3 was auf doppelte Besteuerung durch Staat und Priesteraristokratie,4 was auf Konzentration von Landbesitz in den Händen weniger (oft ausländischer) Gutsbesitzer, was auf Ernteausfälle und Dürrezeiten zurückgeht.5 Im Rahmen unseres Themas interessiert ein anderes Phänomen: Daß die wichtigsten religiös

1 So auchJ. Klausner, Jesus von Nazareth, S. 253: 'Die Arbeitslosen wurden entweder Bettler, die immer mehr herunterkamen, unter schwerem seelischen Druck standen, nur noch auf ein Wunder hofften und von denen die Schwächeren die Straßen der Städte und Dörfer mit ihrer frömmelnden Bettelei füllten, während die Stärkeren das Land mit Raub, Mord und Aufruhr beunruhigten und in Höhlen, Wüsten oder Felsklüften hausten.'

2 Mit Hinweis auf einige besser gestellte Christen kann man kaum die Annahme widerlegen, die Jesusbewegung sei aus sozialen Widersprüchen hervorgegangen. Gegen R. Schumacher, Die soziale Lage der Christen im apostolischen Zeitalter (Paderborn, 1924).

3 So vor allem J. Klausner, Jesus von Nazareth, S. 179 ff. Vgl. jedoch A. Schalit, König Herodes, S. 322-8.

• Darauf weist vor allem F. C. Grant, The Economic Background if the Gospels (Oxford, 1926), S. 87-110. 5 Eine Zusammenstellung der Notzeiten findet sich bei J.Jeremias, Jerusalem, S. 137 ff.

[196] Legitimation und Lebensunterhalt 205

inspirierten Strömungen sozial-abweichenden Verhaltens 111 Palästina das Problem des Lebensunterhalts in non-konformistischer Weise zu lösen wußten: Die Qumrangemeinde lebte getrennt von der Gesellschaft in einer Produktionsgemeinschaft, in der es keinen privaten Besitz gab.1 Die Zeloten verschafften sich gewaltsam ihren Anteil an den Produkten des Landes. Wurde bei ihnen das weit verbreitete Räuberwesen auf die Höhe einer religiös-sozialen Programmatik gehoben,2 so in der Jesusbewegung das nicht minder verbreitete Bettelwesen. Erwarteten doch ihre Missionare, als 'Lohn' für Predigt und Heilungen Unterkunft und Unterhalt zu finden (Lc. x. 7 ff.). Sehr viel konkrete Güter hatten sie nicht zu bieten. Nicht jeder war zu heilen; und die Predigt bestand aus Worten. Ein synoptischer Spruch verspricht dem, der sie aufnimmt, himmlischen Lohn (Mt. x. 40-2), m. a. W.: die Unterstützung geschah a fond perdu. Das war zwar keine gewöhnliche, aber es war charismatische Bettelei, die darauf vertraute, daß Gott seine Missionäre schon erhalten werde (Mt. vi. 25 ff.).

(c) Sozioökologische Faktoren. Auch die Auseinandersetzung einer Gesell­schaft mit ihrer natürlichen Umwelt und ihre soziale Gestaltung ist für Entstehung und Ausformung sozial-abweichenden Verhaltens zu berücksich­tigen. Falls sich die hin und wieder geäußerte Vermutung bestätigen ließe, daß das damalige Palästina überbevölkert war,3 wäre auch dies ein Faktor bei der Entstehung der Jesusbewegung. Wer mit den Lebensmöglichkeiten im Lande unzufrieden war, konnte emigrieren - die erstaunliche Größe der Diaspora wird z. T. auch auf Emigration zurückgehen - er konnte sich den Zeloten oder den Essenern anschließen oder christlicher Wandercharis­matiker werden. Die besonderen Umweltverhaltnisse sind bei dieser ver­schiedenen Gestaltung sozial-abweichenden Verhaltens zu berücksichtigen: Die Zeloten sind ohne ihre Schlupfwinkel in den Bergen so wenig denkbar wie die Qumrangemeinde ohne die Oase Ain Faskha in der Wüste oder die Täuferbewegung ohne den Jordanfluß. Ein charakteristischer Zug der Jesusbewegung ist es, daß sie in der ländlichen Welt (oder besser: Hinterwelt) des besiedelten Palästinas verwurzelt ist.' Die Bilderwelt ihrer Gleichnisse ist ländlich.5 Das Ethos der Heimatlosigkeit wird durch Vergleich mit Füchsen,

1 V gl. w. R. Farmer, 'The economic basis of the Qumran community', Th.Z. XI (1955), 295-308 ; XII (1956), 56--8. L. M. Pakozdy: 'Der wirtschaftliche Hintergrund der Gemeinschaft von Qumran " in: Q.umran-Probleme, hrsg. v. H. Bardtke (Berlin, 1963), S. 167-91.

• M. Hengel, Zeloten, S. 26--35, gibt einen Überblick über das allgemein verbreitete Räuberwesen und stellt die Zeloten so in einen allgemeineren Rahmen, ohne ihre charakteristischen Merkmale zu vernachlässigen.

• Vgl. F. C. Grant, Economic Background, S. 81-7; M. Hengel, Judentum und Hellenismus, S. 30, 92. Einen Überblick über die Debatte über die Bevölkerungsdichte des damaligen Palästinas gibt S. W. Baron, A Social and Religious History ofthe Jews (New York, 1952), S. 370-2.

• Vgl. A. Deißmann, Licht vom Osten (Tübingen, 41923), S. 210; ders.: Das Urchristentum und die unteren Schichten (Göttingen, 21908), S. 23 ff.; A. N. Sherwin-White, Roman Sociery and Roman Law in the Xew Testament (Oxford, 1963), S. 120-43; E. A.Judge, Christliche Gruppen in nichtchristlicher Gesellschaft (Wuppertal, 1964), S. 7-17.

• M. D. Goulder, 'Characteristics of the parables in the several gospels', J.Th.Se. XIX (1968), 51-69, sieht nur in den markinischen Gleichnissen die dörflich-natürliche Welt vorausgesetzt,

206 Legitimation und Lebensunterhalt [197J

Vögeln und Lilien entfaltet (Mt. viii. 20, vi. 25-34). Die Geschichte vom Ährenraufen zeigt, wie sich wandernde Charismatiker in ländlicher Gegend selbst behelfen können (Me. ii. 23-8). Überhaupt setzen die Normen urchrist­lichen Wandercharismatikertums ländliches Milieu voraus: Lc. x. 8 f. ist zwar von' Städten' die Rede. Aber abgesehen davon, daß in den Synoptikern kleine Orte oft unzutreffend 'Städte' genannt werden, dürften die hier gemeinten Orte nicht sehr groß gewesen sein: Für die Ablehnung der Wandermissionare wird im Gericht die ganze Stadt verantwortlich gemacht. Wie Sodom und Gomorrha wird sie bestraft. Will man nicht den Gedanken einer archaischen Kollektivhaftung vorausgesetzt finden, so muß die ganze Stadt zumindest Kenntnis von den Wandercharismatikern erhalten haben. Aufschlußreich ist auch hier die Weisung zum Lebensunterhalt: Wer überhaupt keine Vorsorge trifft, ohne Geld und Proviant loszieht, rechnet damit, daß er am Abend wieder bei Sympathisanten Unterkunft findet. Die großen Städte lagen meist weiter als eine Tagewanderung entfernt. Noch die Didache mahnt, einem Apostel nur ein Brot zu geben EWS 00 aVAlcrefj -bis zur nächsten Übernachtung (xi. 6 f.). Immer sind hier nicht allzu weit voneinander entfernt liegende Dörfer vorausgesetzt.1

(d) Soziokulturelle Faktoren. Die verschiedenen religiös inspirierten Formen sozial-abweichenden Verhaltens sind - ebenso wie die stärker in die Gesell­schaft integrierte Bewegung der Pharisäer - als verschiedene Versuche zu begreifen, die kulturelle Identität der jüdischen Gesellschaft angesichts politischer Unterwerfung und drohendem Verlust religiöser und kultureller Eigenständigkeit zu bewahren.2 Inbegriff dieser Eigenständigkeit war jener Komplex von Traditionen, Normen und Institutionen, den wir das' Gesetz' nennen. Die verschiedenen Gruppierungen und Bewegungen innerhalb der jüdischen Gesellschaft des I. Jhdt. n. Ch. lassen sich daher als verschiedene Versuche verstehen, diesem Gesetz Geltung zu verschaffen, sei es durch interpretierende Anpassung an die mannigfaltigen und veränderten Lebens­situationen (Pharisäer), durch konsequente Realisierung des Gesetzes in einer von der Gesellschaft getrennten, überdisziplinierten Gemeinschaft (Qumran) oder durch politische Verwirklichung des radikalisierten ersten Gebots einschließlic;h terroristischer Gewalttaten gegenüber Gesetzesübertre-

besonders bei Lk träten verstärkt städtische Züge auf. Jedoch spielen auch viele Gleichnisse des lukanischen Sonder.!rUts in ländlichem '"'Milieu, z. B. Lc. x. 30--7; xiii. 6-g; xvi. 1<>8; xvii. 7-10. Diese Verwurzelung der 'Gleichnisse in der bäuerlichen Welt ist um so bemerkenswerter als J esus selbst HandWerker gewesen ist: Bilaer aus diesem Bereich fehlen weitgehend.

1 Was W. Bauer, 'Jesus der Galiläer', in: A,!!sätze und kleine Schriften (Tübingen, Ig67), S. gl-108, für Jesus herausgearbeitet hat, wird auch für die frühe Jesmbewegung gelten. Er macht darauf aufmerksam, 'daß Jesus in den Städten von Anfang an keinen Boden zu fassen imstande war. Nazareth will nichts von ihm wissen, Chorazin, Bethsaida und Kapernaum lehnen ihn ab. Von Sephoris, Tiberias, Gaba und Tarichea jedoch schweigt die Tradition überhaupt.' (S. 106).

• Die Jesusbewegung gehört datnit zu jenem Typos messianischer Bewegungen, die aus einer Konfrontation zweier Kulturen entstehen und in denen es um die Wahrung des Selbstwertgefühls gegenüber der politisch überlegenen Kultur geht. Vgl. W. E. Mühlmann, Chiliasmus und Nativismus (Berlin, I g6 I); R. Linton: 'Nativistische Bewegungen', in: Religionsethnologie, hrsg. v. C. A. Schmitz (Frankfurt, Ig64), S. 3g0--403.

[198] Legitimation und Lebensunterhalt 207

tern (Zeloten).1 Immer liegt eine Verschärfung des Gesetzes vor.2 Indem man aber so auf die Konfrontation mit einer politisch überlegenen Fremdkttltur durch Verschärfung der für die jüdische Gesellschaft charakteristischen Normen reagierte, stellte man gleichzeitig gegen seinen Willen die religiöse­kulturelle Eirtheit dieser Gesellschaft in Frage: Denn die verschärften Nor­men konnten immer nur von einem kleinen Teil der Gesellschaft realisiert werden; der andere Teil mußte sich notwendigerweise kompromittieren und an sozialer Achtung verlieren, sei es als' am-ha-arez', als Volk vom Lande, das das Gesetz nicht kennt, oder als' Kinder der Finsternis', die in die Irre gegangen waren. Der Versuch, die kulturelle-religiöse Identität durch Betonung und Verschärfung des Gesetzes zu wahren, führte so gerade zum Verlust dieser Identität: Es gab nun mehrere Gruppen, die alle beanspruch­ten, allein das wahre Israel darzustellen.

Mit dem Auftreten des Täufers und der Jesusbewegung setzte eine durch diesen inneren Widerspruch herausgeforderte Gegenbewegung ein. Wie in den anderen Erneuerungsbewegungen liegt auch hier eine Gesetzesver­schärfung vor; aber sie führt nicht zur Verurteilung der anderen, sondern zum vernichtenden Urteil über alle und schafft so eine neue Solidarität: die Solidarität derer, die auf Gnade angewiesen sind. Solch einer Bewegung mußte es zunächst völlig fern liegen, sich von den anderen Gruppen der Gesellschaft abzugrenzen und sich gesondert zu organisieren. Hier wurde jeder akzeptiert. Es ist kein Zufall, daß man besonders bei den· sozial Deklassierten Anklang fand, gerade bei denen, die sich durch ihre Lebens­praxis gegenüber dem Gesetz kompromittieren mußten: den Zöllnern und Prostituierten, aber auch den anderen' Sündern', d. h. allen anderen, die den Normen der jüdischen Gesellschaft nicht gerecht werden konnten.

Für die Frage des Lebensunterhalts ist das sehr wichtig. Anders als Qumrangemeinde und Zeloten vertrauten die Träger der Jesusbewegung darauf, von den Adressaten ihrer Botschaft freiwillig unterstützt zu werden. Ihr Vertrauen auf Gott, der seine Charismatiker schon nicht umkommen läßt (Mt. vi. 25 ff.), war ja konkret Vertrauen auf die Gesellschaft, in der sie immer wieder Menschen finden würden, die motiviert waren, sie zu unter­stützen(Mt. x. 40-2). Unterstützt wurden sie z. B. von den Zöllnern, die durch ihre Stellung in einem das Land ausbeutenden Steuersystem kom­promittiert waren. Wie Jesus selbst werden auch die ihm nachfolgenden

1 Auch die Sadduzäer lassen sich von diesem Anliegen her verstehen: Sie wollen die Institutionen der jüdischen Theokratie wahren, von denen sie als Mitglieder der Oberschicht profitieren. Zum soziologischen Hintergrund der verschiedenen Strömungen in der jüdi,ch-palästinensischen Gesell­schaft vgl. P. Alfaric, Die sozialen Ursprünge des Christentums hrsg. v. G. Pätsch und M. Robbe (Dannstadt-Berlin, 1963), S. 43-75. Auf ihm basiert die marxistische Deutung bei M. Robbe, Der Ursprung des Christentums (Leipzig-Jena, 1967), S. 57-71. Daß die Essener in ihrer Eigenständig­keit gegenüber der J esusbewegung verkannt werden, ist bei beiden ein gravierender Fehler.

2 Richtig M. Henge!, Zeloten, S. 233 f: J esusbewegung, Pharisäer und Zeloten lassen sich in gleicher Weise vom 'Motiv der eschatologischen Toraverschärfung' her deuten. Vgl. die eingehende Untersuchung dieses Phänomens bei H. Braun, SPäijüdisch-häretischer und frühchristlicher Radikalismus, B.H.Th. XXIV (Tübingen, 1957).

208 Legitimation und Lebensunterhalt [199]

Wanderscharismatiker mit ihnen gegessen und getrunken haben (Mt. xi. 19, Me. ii. 15 ff.), genauer: Sie werden sich von ihnen bewirtet haben lassen. Es ist ferner kein Zufall, daß die einzige durch ihren Sozialstatus näher charak­terisierte Gönnerin der jungen Bewegung, Johanna, die Frau'des Chusa, mit einem herodäischen Verwaltungsbeamten verheiratet ist (Lc. viii. 3).1 Sie gehörte gewiß nicht zu den im Volk beliebtesten Kreisen. Ihre ausdrück­liche Hervorhebung läßt freilich darauf schließen, daß Gönner aus diesen ge­hobenen Schichten eher die Ausnahme waren.

Ihr Vertrauen, Lebensunterhalt zu finden, war noch in anderer und fundamentalerer Weise begründet: EIS OVOIlCX 'ITPOcpi]TOV, Ol1<cxiov oder Ilcx61lTOV wurde ihnen Unterkunft und Unterhalt gewährt (Mt. x. 40-2) -nicht weil sie an sich zu den Bedürftigen und Armen gehört hätten, sondern weil sie in besonderem Verhältnis zu Gott standen. Wir nannten dies charismatische Bettelei. Solche 'Bettelei' konnte sich aber auf dieselbe Motivation zu ihrer Unterstützung berufen wie die gewöhnliche Bettelei: auf eine Armutsfrömmigkeit, derzufolge die Armen in besonderer Weise von Gott der Wohltat anderer empfohlen waren: 'Hat nicht Gott die, welche vor der Welt arm sind, erwählt .. .' (Jac. ii. 5). H. Bolkestein hat in seinem Werk über 'Wohltätigkeit und Armenpfiege im vorchristlichen Altertum' gezeigt,2 wie diese Armutsfrömmigkeit mit den besonderen politischen und sozialen Strukturen des Orients zusammenhängt und sowohl in Ägypten als auch in Palästina verbreitet war: Im Rahmen der demokratischen und republikanischen Institutionen Griechenlands und Roms gab es nur Wohl­tätigkeit gegenüber der Allgemeinheit, dessen Adressat somit jeder Bürger war. Wo dagegen die unteren Schichten ganz auf die' Gerechtigkeit' der oberen Schichten angewiesen waren, wurde Gerechtigkeit zum Erbarmen und zur Gnade. Besonders in Israel konnte der Arme als jemand gelten, der in beson­derem Maße Gottes Schutz anvertraut war. Hier konnte Jesus die Armen selig preisen (Lc. vi. 20). Hier konnte der Begriff' Arme' zum Ehrentitel religiöser Gruppen werden.3 Hier war es daher möglich, daß urchristliche Wandercharismatiker durch demonstrative Armut sich als' Gesandte' Gottes auswiesen und Unterstützung empfingen. Die Motivation zu ihrer Unter­stützung war unter diesen soziokulturellen Bedingungen late-nt vorhanden.

1 Ihre Hervorhebung Dei Lukas entspricht dessen Tendenz, das Urchristentum mit Frauen aus den oberen Schichten in Verbindung zu bringen vgl. M. Hengel, 'Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen', in: Abraham unser Vater, Festschrift für O. Michel (Leiden, '963), S. 243-56, bes. S. 245 f.

2 H. Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpfiege im vorchristlichen Altertum (Groningen, 1967 = Utrecht, 1939).

• Die These von K. Holl, Der Kirchenbegrijf des Paulus in seinem Verhältnis zu dem der Urgemeinde, Gesammelte Aufsätze II (Tübingen, 1928), S. 44-67, daß 'die Armen' ein ekklesiologischer Titel der Urgemeinde war, wurde von L. E. Keck, 'Thc poor among the saints in the New Testament', Z.N. W. LVI (1965), 100-37, ders.: 'The poor among the saints in Jewish Christianity and Qumran', Z.N. W. LVII (1966), 54-68 einer kritischen Prüfung unterzogen - mit negativem Ergebnis. Jedoch sollte man nicht bestreiten, daß' Armut' hier kein rein soziologischer Begriff ist, sondern die religiöse Deutung des sozialen Sachverhalts immer mit~chwingt.

[200] Legitimation und Lebensunterhalt 209

Entstehung und Gestalt der primär von Wandercharismatikern getragenen Jesusbewegung stehen zweifellos in Zusammenhang mit den politischen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Bedingungen und Wider­sprüchen der jüdisch-palästinensischen Gesellschaft des I. Jhdt. n. Ch. Dieser Zusammenhang rechtfertigt keineswegs die Reduktion dieser Bewegung auf ihre sozialen Bedingungen: Zeloten und Essener etwa zeigen, daß angesichts derselben Bedingungen auch andere Antworten möglich waren. Es handelt sich um Versuche, unter den gegebenen Bedingungen das Leben sinnvoll zu gestalten, auch wenn dabei die herrschende Lebensform radikalisiert, transzendiert oder in Frage gestellt wird. Ohne dies Verlangen nach einem sinnvollen menschlichen sozialen Leben lassen sich die verschie­denen religiös inspirierten Strömungen sozial abweichenden Verhaltens in Palästina nicht verstehen. Wer Haus und Hof, Frau und Kinder verließ, um als Wandercharismatiker durch die Lande zu vagabundieren, wurde nicht nur vom Druck sozialer Widersprüche getrieben, sondern folgte der Ver­heißung eines neuen Lebens. Er folgte einem Ruf. Beides läßt sich freilich nicht trennen.

B. DIE GEMEINDEORGANISATOREN

Die in der J esusbewegung begonnene Relativierung des Gesetzes mußte früh oder später die Abgrenzung zwischen Heiden und Juden relativieren. Denn die Grenzen des Gesetzes waren auch Grenzen des Judentums. Anders als der hellenistische Reformversuch des beginnenden 2. Jhdt. v. Ch.1 war dies eine Überwindung der kulturellen Grenzen zwischen Juden und Heiden nicht von außen, sondern von innen, aus dem Zentrum des Judentums selbst heraus, dessen universalistische Tendenz hier zum Zuge kam. Hellenistische Judenchristen sprachen als erste auch die Heiden an (Act. xi. 20). Protago­nisten der hellenistischen Mission aber wurden Barnabas und Paulus. Sie begannen mit einer planmäßigen Mission hellenistischer Mittelmeerstädte. Beide verzichteten übereinstimmend auf ihr' Unterhaltsprivileg , (I Cor. ix. 6).2 Inwiefern hängt dieser Verzicht mit den veränderten sozialen Be­dingungen ihrer Mission zusammen? Lassen sich noch weitere Eigentümlich­keiten der pln. Mission damit in Zusammenhang bringen?

(a) Soziopolitische Faktoren. Die hellenistische Mission wirkte fast aus-

1 V gl. die ausführliche AnalYEe der sozialen und religiösen Aspekte dieses Reformversuchs bei M. Hengel, Judentum und Hellenismus (1969). Mit Recht schreibt er abschließend über das Urchristen­turn: 'Hier wurde nun wirklich - allerdings in ganz anderer Weise als bei dem Reformversuch nach 175 v. Chr.-das Tor zu den "Völkern" aufgestoßen' (S. 569).

2 H. Conzelmann, Geschichte des Urchristentums (Göttingen, 1971), S. 140 f. vermutet wohl mit Recht, daß Barnabas in diesem Punkt der Lehrmeister des Paulus war. Nach soziologischen Gründen für diese Entscheidung fragt auch G. Dautzenberg, 'Der Verzicht auf das apostolische Unterhalts­recht. Eine exegetische Untersuchung zu 1 Kor. 9', Bib. 50 (1969), S. 212-32. Die Auskunft, Paulus habe sich an untere Schichten gewandt, die er nicht habe belasten wollen, ist eine.sehr unbefriedi­gende Erklärung: Paulus hat sich zweifellos auch an Mitglieder höherer Schichten gewandt (s. u.). Soziologische Aspekte fehlen völlig bei Ch. Maurer: 'Grund und Grenze apostolischer Freiheit. Exegetisch-theologische Studie zu I. Korinther 9', in: Antwort. K. Barth zum 70. Geburtstag (Zürich,

1956), S. 630-41.

210 Legitimation und Lebensunterhalt [201]

schließlich in Städten mit republikanischer Verfassung, die der imperialen Macht Roms untergeordnet waren, aber auch von ihr gefördert wurden:1

Urbanisierung und Romanisierung bzw. Hellenisierung gingen Hand in Hand. Es fehlten hier jene strukturellen Widersprüche, welche die politische Struktur Palästinas kennzeichneten. Daher ist es nicht erstaunlich, wenn das radikal theokratische Moment der urchristlichen Bewegung völlig zurück­tritt. Die Reich-Gottes-Verkündigung, welche die Predigt palästinensischer Wandercharismatiker kennzeichnete (Lc. x. 9), fehlt bei Paulus fast ganz. Der ßmYlAEia-Begriff begegnet nur vier Mal. Die politische Struktur wird vorbehaltlos akzeptiert (Röm. xiii. I ff.). Als tarsischer und römischer Bürger ist Paulus in die das römische Reich tragenden politischen Strukturen voll integriert. 2

(b) Sozioäkonomische Faktoren. Während Palästina im 1. Jhdt. unter erhöhtem ökonomischen Druck stand, erlebte die städtische Mittelmeerwelt damals eine wirtschaftliche Blütezeit.3 Man mußte nicht zur allerobersten Schicht gehören, um einen gewissen Wohlstand zu erringen. Das Urchristen­tum drang hier sehr früh in höhere Schichten, umfaßte einige, wenn auch wenige 'Gebildete, Mächtige und Hochgeborene' (I Cor. i. 26 ff.). Paulus und Barnabas sind selbst ein Beispiel dafür: Paulus war zwar nur 'Textil­handwerker', besaß aber tarsisches und römisches Bürgerrecht. Da aus einer Rede des Dio Chrysostomos an die Tarser (ar. xxx. 21-3) hervorgeht, daß den tarsischen Textilarbeitern generell das Bürgerrecht vorenthalten wurde, dürfen wir schließen, daß Paulus einen ungewöhnlich privilegierten Status besaß.4 Der Status des Barnabas wird durch sein Spende an die Jerusalemer Gemeinde belegt (Act. iv. 36): Sie muß ungewöhnlich groß gewesen sein. Sonst hätte man sie nicht der Erinnerung für wert gehalten. Man denke ferner an die wohlhabenden 'Gottesfürchtigen': den Hauptmann von Caesarea, die Purpurhändlerin Lydia oder an die Feststellung des Statthalters von Bithynien, daß das Christentum Mitglieder aller Schichten umfasse (Plinius epist. x. 96. 9). Charakteristisch für diese sozial stark geschichteten Gemeinden ist ein familiärer Liebespatriarchalismus, der starken Wert auf den Gehorsam von Frauen, Kindern und Sklaven legt und für den afamiliären ethischen Radikalismus der synoptischen Tradition wenig Raum läßt.5

1 Vgl. A. H. M.]ones, The Cities ... , passim; E. A.]udge, Christliche Gruppen, S. 17 ff. 2 Welche Schwierigkeiten aus einer 'Königsreichs'-Verkündigung folgen konnten, beleuchtet

Act. xvii. 7. 3 N. Brockmeyer: Sozialgeschichte der Antike (Stuttgart, 1972), S. IIO: 'Die weitgehende Urbani­

sierung des Reiches bewirkte während der frühen und hohen Kaiserzeit eine kulturelle und zivilisa­torische Entwicklung, wie sie für die Antike einmalig war und erst in der Neuzeit wieder erreicht wurde.'

• Vgl. W. Bienert, Die Arbeit nach der Lehre der Bibel (Stuttgart, 1954), S. 302 ff. 5 Das Fehlen der synoptischen Überlieferung in der Briefliteratur ist m. E. auch durch eine

soziologische Überlieferungsschwelle bedingt, die die Verbreitung der in Palästina entstandenen Traditionen in die städtische Mitte1meerwe1t erschwerte. Nimmt man alle vVorte zusammen, die (a) radikaltheokratisches Gedankengut aufweisen, also alles Worte vom Reich Gottes, (b) vom afamiliären ethischen Radikalismus palästinensischen Wandercharismatikertums geprägt sind oder

[202] Legitimation und Lebensunterhalt 211

Charismatische Bettelei war hier unangebracht. Die Hausväter werden an anderem interessiert gewesen sein: 'Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen' (II Thess. iii. 10), so heißt es in einem aus diesen Gemeinden stam­menden Brief, der sich für seine Mahnung ausdrücklich auf das Vorbild des Paulus beruft. Wir können diesen Begründungszusammenhang auch in die andere Richtung lesen: Weil der auf Solidität Wert legende Hauspatriarcha­lismus wenig Verständnis für vagabundierende charismatische Bettler hatte, konnte es angebracht erscheinen, daß Barnabas und Paulus als solide arbeitende Menschen auftraten.!

Damit ist jedoch nicht viel gesagt. Bekanntlich haben auch andere Missionare in den paulinischen Gemeinden Aufnahme gefunden, die sich unterstützen ließen. Entscheidender als der sozioökonomische Status der Adressaten dürfte der Status der Missionare gewesen sein: Paulus war Handwerker, die 'übrigen Apostel, die Brüder J esu und Kephas' (I Cor. ix. 4) wohl eher Fischer (wie Kephas) ,oder Bauern. Man denke an die Herrenbrüder, die nach Hegesipp (Euseb. hist. eee!. iii. 18. 4 - 20. 7) als vermeintliche Messiasprätendenten vor Domitian geführt und nach ihrem Vermögen gefragt werden:

Sie erklärten, sie besäßen zusammen nur 9000 Denare, jeder die Hälfte, und zwar, erklärten sie, nicht in Geld, sondern als Wert eines Landgutes von nur 39 Morgen; dieses bewirtschafteten sie mit eigener Hand, um die Steuern zu bezahlen und den Lebensbedarf zu erwerben. Darauf haben sie ihm ihre Hände gezeigt und als Beweis für ihre Handarbeit auf die Härte ihres Körpers und die Schwielen hingewiesen, die sich durch ihre ständige Arbeit an den Händen gebildet hatten. (19· 2-3)

Es leuchtet wohl unmittelbar em, daß Fischer und Bauern als Wander­prediger ihren Erwerb aufgeben mußten, wollten sie in ländlichen Gegenden missionieren. Äcker und Seen kann man nicht mit sich herumführen, wohl aber etwas Handwerkszeug. Der Fischer Petrus besteht notgedrungen auf seinem 'Unterhaltsprivileg', der Handwerker Paulus kann daraufverzichten.2

(c) an kulturelle (u.a. sprachliche) Bedingungen dieses Raumes gebunden sind, so bleibt nicht viel übrig. Keineswegs kann man das Fehlen der Überlieferung auf eine persönliche Entscheidung des Paulus zurückfuhren. Das betonen mit Recht W. Schmithals, 'Paulus und der historische Jesus', Z.N. W. LID (1962), 145-60; H. W. Kuhn, 'Der irdische Jesus bei Paulus als traditionsgeschichtliches und theologisches Problem', Z.Th.K. LXVII (1970), S. 295-320.

1 Natürlich gab es auch in Palästina einen Patriarchalismus des Hauses. Aber er hat nicht die Jesusbewegung geprägt. Prägend waren hier wandernde Charismatiker. In den Städten wurden dagegen sehr bald die ortsansässigen Christen zum entscheidenden Träger des Urchristentums. Die Gemeinden waren hier viel größer, entwickelten eigene Autoritätsstrukturen, während die kleinen Sympatlllsantengruppen Palästinas (vgl. Mt. xviii. 20) viel mehr von wandernden Autoritäten abhängig waren.

• Natürlich konnte sich auch der Fischer anheuern lassen (vgl. Me. i. 20). Aber die palästinensi­sehen Wandercharismatiker wirkten zunächst in ländlichem Gebiet (vgl. Mt. x. 5 f.). Außerdem läßt ~ich die Arbeit auf dem Meer nur sehr schwer mit missionarischen Intentionen verbinden, während Handwerksarbeit viel mehr Gelegenheit zur Kommunikation gibt. M. Weber, 'Religions­soziologie', in: Wirtschaft und Gesellschaft (Tübingen, 31947), S. 293, nennt den 'wandernden Hand werksburschen ' den charakteristischen Träger des Urchristentums.

212 Legitimation und Lebensunterhalt [203J

(c) Sozioäkologische Faktoren. Der Übergang von einer ländlichen Bewegung zur Mission der städtischen Welt brachte es mit sich, daß die Entfernungen größer wurden. Paulus hat sich, so scheint es, nur von Stadt zu Stadt bewegt, in den ländlichen Dörfern aber kaum missioniert. Das wird z. T. daran liegen, daß hier die alten Volkssprachen lebendig geblieben waren, während in den Städten Griechisch verstanden wurde.1 Für Griechenland selbst würde das freilich nicht zutreffen. Hinzu kommt wohl, daß Paulus selbst in städtischer Kultur verankert war. Städte sind für ihn repräsentativ für die ganze Welt: Korinth für Achaia (I Cor. xvi. 15), Ephesus für Asien (xvi. 19). Wer nun so wie Paulus von Stadt zu Stadt reisen wollte, um die damals bekannte Welt zu missionieren, konnte den in den Aussel!-dungsreden gebotenen radikalen Verzicht auf Planung und Vorsorge nicht realisieren. Schiffsreisen wollten bezahlt sein. Wenn man ohne Mittel dastand, konnte man in den Städten nur schwer zur 'Selbsthilfe' schreiten: Ährenraufen war hier unmöglich. Barna­bas und Paulus brauchten darum Geld, uni ihre Mission durchzuführen. Daß sie sich ihre Mittel nicht (oder nicht nur) von den Gemeinden beschaff­ten, sondern durch eigene Arbeit, war durchaus im Sinne charismatischer Askese, auch wenn sie damit gegen den Wortlaut der Normen für Wander­charismatiker verstießen.

Es gab freilich auch andere Möglichkeiten,. die Mission an die neuen Verhältnisse anzupassen. Das zeigen die mit Paulus und Barnabas konkurrie­renden Missionare, die sich von den Gemeinden unterhalten ließen. Auch sie standen vor dem Problem, große Entfernungen überbrücken zu müssen. Sie taten es mit Hilfe der in II Cor. iii. 1 erwähnten 'Empfehlungsschreiben'. Diese sind jedoch nur nützlich, wenn man einen Adressaten hat. Daher suchten sie vor allem schon existierende Gemeinden auf. Überall, wo Paulus eine Gemeinde gegründet hatte, tauchten wenig später mit verblüffender Regelmäßigkeit andere Wanderprediger auf. Man kann nur vermuten, daß sie sich die Reise zwischen den Städten von den Gemeinden bezahlen ließen. Noch die Didache sieht vor, daß man einem Missionar Unterstützung bis zur Ankunft im nächsten Ort geben soll (xi: 6). Derartige Bestimmungen ließen sich ausweiten. Paulus und Barnabas aber, die neue Gemeinden gründen wollten, wäre mit Empfehlungsschreiben wenig gedient gewesen.

(d) Soziokulturelle Faktoren. Während sich die palästinischen Wandercha­rismatiker an das ganze Volk wandten und auf eine latent vorhandene Motivation zu ihrer Unterstützung rechnen konnten, verstanden sich Barnabas und Paulus als Heidenmissionare, die die Grenzen ihres Volkes überschritten. Einerseits wandten sie sich so an Menschen mit ihnen fremden Traditionen, Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten; sie stießen in Neuland vor, und schon deswegen empfahl es sich, finanziell unabhängig zu bleiben. Andererseits mußten sie mit Konflikten mit ihren Volksgenossen

1 Vgl. K. Holl: 'Das Fortleben der Volkssprachen in Kleinasien in nachchristlicher Zeit', in: Gesammelte Aufsätze, S. 238-48.

[204] Legitimation und Lebensunterhalt 213

rechnen (vgl. etwa Act. xiii. 50). Die Chance, von ihnen unterstützt zu werden, wurde damit freilich drastisch reduziert.

Nun gab es in der hellenistischen Welt den Typos des kynischen Wander­predigers. Paulus und Barnabas waren gebildet genug, um antizipieren zu können, welchen sozialen Kategorien man sie zurechnen wün~.e: Man würde in ihnen im Lande herumvagabundierende 'Philosophen' sehen. Unter diesen gab es natürlich ernsthafte Menschen, aber auch Gaukler und Betrüger.1 Ais ein Kriterium zu ihrer Unterscheidung bot sich nun die Stellung zum Geld an: Daß der wahre Weise kein Geld für seine Weisheit nimmt, war ein bekannter Topos seit Sokrates, dessen sich auch Paulus in 11 Cor. x-xiii bedient: Indem er seinen Konkurrenten Geldgier unterstellt (vgl. auch 11 Cor. ii. 17), rückt er sie automatisch in die Reihe jener Sophisten, gegen die sich die wahren Weisen schon immer ausgesprochen hatten.2 Aber auch positiv werden von Paulus in diesem Zusammenhang die Topoi kynischer Wanderphilosophen verwende~ Wie sie beansprucht er für sich eine EAEv6Epia (I Cor. ix. 1 vgl. Epiktet. Diss.ill,22,48). Er beansprucht wie sie, 'autark' zu sein: 'Ich habe es gelernt, in der Lage, in der ich bin, selbstgenügsam zu sein (cnJT<XPKTlS ElvaI)' (Phil. iv. II). Die Anknüpfung an die philosphische Tradition der alJTapKia des Weisen ist unübersehbar. Auch Sokrates galt als cnJTapKTlS Kai O"EIlv6S (Diog. Laert. II. 24).

Das Abweichen von den Normen urchristlichen Wandercharismatiker­turns bei Barnabas und Paulus steht mit großer Wahrscheinlichkeit in Zusammenhang mit den veränderten sozioökonomischen, -ökologischen und -kulturellen Bedingungen, welche die Mission in der städtischen hellenisti­schen Welt vorfand. Zusammenhang ist nicht Determination: Andere Missionare haben sich unter denselben Bedingungen anders verhalten. Außerdem müssen wir annehmen, daß der Unterhaltsverzicht sachlich begründet war, nicht nur 'kausal' bedingt, sondern intentional gewollt war. Es handelt sich ja um eine sinnvolle Anpassung tradierter Normen an veränderte Verhältnisse. Dahinter steht ein überlegter missionarischer Wille. Der Unterhaltsverzicht ist eiriem umfassenderen Ziel untergeordnet, daher auch nicht grundsätzlich: Zwar macht Paulus in I Cor. ix. 15-18 fast sein Heil davon abhängig, daß er keinen Lohn für sein Evangelium nimmt. Aber das hindert ihn nicht daran, aus makedonischen Gemeinden Unterstützung anzunehmen (Phil. iv. 10-20, 11 Cor. xi. 9). Der Verzicht geschah konkreter Bedingungen wegen, um eine in Neuland vorstoßende Mission möglichst effektiv zu gestalten. Wo diese Bedingungen nicht gegeben sind (z. B. bei schon gegründeten Gemeinden), kann er rückgängig gemacht werden - aber gerade dann betont Paulus seine grundsätzliche Freiheit und Unabhängig­keit, seine Autarkie (Phil. iv. 11). Paulus vertritt damit einen Typus des

1 In I Thess. ii. 1-12 grenzt sich Paulus wahrscheinlich von derartigen Gestalten ab. Der Hinweis auf seine Handwerkstätigkeit fehlt nicht (ii. 9). Zum Ethos der kynischen Wanderphilosophen und -bettler vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit, S. 212 f .

. • Vgl. H. D. Betz, Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition (Tübingen, 1972), S. 100-17.

214 Legitimation und Lebensunterhalt [205]

Missionars, der sich als zielstrebiger' Gemeindeorganisator ' charakterisieren läßt, der Neuland gewinnen will, vom Judentum getrennte selbständige Gruppen gründet, anstatt schon bestehende Sympathisantengruppen 'abzugrasen'. Er hat sich vorgenommen, so die ganze 'Welt' bis Spanien hin zu missionieren. Alle Überlegungen sind diesem großen Werk untergeordnet.

C. DER KONFLIKT ZWISCHEN WANDERCHARISMATIKERN

UND GEMEINDEORGANISATOREN

Der Konflikt zwischen Paulus und anderen konkurrierenden Missionaren in Korinth geht nicht auf persönliche Animositäten zu~ück. Es ist ein Konflikt zwischen verschiedenen Typen von Missionaren. Dieser Konflkt weist Züge auf, die unabhängig von den beteiligten Personen sind: Ob Paulus sich im I Cor. mit Anhängern des Petrus und Apollos oder im II Cor. mit neu eingetroffenen Missionaren auseinandersetzt, immer muß er sich gegen den Vorwurf verteidigen, er lasse sich nicht wie ein richtiger Apostel von den Gemeinden unterhalten (I Cor. ix. 3 ff., II Cor. xi. 7 ff., xii. 13). Unab­hängig davon daß seine Konkurrenten untereinander wahrscheinlich sehr verschiedene theologische Anschauungen vertraten, hatten sie gemeinsam, daß sie das apostolische Unterhaltsrecht in Anspruch nahmen. Und unab­hängig davon, daß Paulus seinen Unterhaltsverzicht mit einem gafl?: persönlich auferlegten 'Schicksal' (I Cor. ix. 16) begründet, teilt er dies Schicksal mit Barnabas, also jenem Missionar, mit dem er die Missionierung der städtischen Mittelmeerwelt in Angriff genommen hat (Act. xiii. I ff.) und von dem ihn wohl auch theologische Meinungsverschiedenheiten getrennt haben (Ga!. ii. 13). Trotz Variation von Situation, Personen, Theologie treffen im I Cor. und II Cor. zwei Typen von Missionaren zusammen, die sich hinsichtlich ihrer Stellung zum Unterhaltsrecht unter­schieden.

Damit sollen die Unterschiede der Situation zwischen beiden Briefen keineswegs geleugnet werden. Geht man nicht von theologischen Vorstellungen aus, sondern von den sozialen Rollen der hier wie dort in Interaktion tretenden Gruppen und Personen, so muß die Frage, ob Paulus im I Gor. und 11 Gor. dieselbe 'Front' bekämpft, differenziert beantwortet werden: Im I Gor., wendet er sich nicht primär gegen seine missionarischen Konkurrenten, sondern deren Anhänger in Korinth (I Gor. i-iv). Die Gegner im 11 Gor. sind dagegen wandernde Missionare, die in Korinth keineswegs seßhaft werden wollen, lassen sie sich doch von den Korinthern Empfehlungsschreiben geben (11 Gor. iii. I). Es ist methodisch unzulässig, Aussagen über die ortsansässigen 'Gnostiker' in Korinth (I Gor. viii-xi. I) zur Interpretation von Stellen im 11 Gor. heranzuziehen, die sich auf wandernde Gharismatiker beziehen. Vergleichbar sind jeweils für sich I. Aussagen über Gruppen in der korinthischen Ortsgemeinde im I und 11 Gor., 2. Aussagen

[206] Legitimation und Lebensunterhalt 215

über Wandermissionare in beiden Briefen.1 Dabei ist natürlich in Rechnung zu stellen, daß ortsansässige Gruppen die Meinungen wandernder Missionare wider­spiegeln, aber auch umgekehrt, daß diese wandernden Missionare im Lichte der ortsansässigen Christen gesehen werden.2

Der Streit der Missionare und ihrer Anhänger hat die Legitimität des Apostels zum Gegenstand. Zur Analyse dieses Streites unterscheiden wir drei Legitimationsformen. Der Missionar muß in jedem Fall seinen Lebens­stil (und die:: Frage seines Lebensunterhalts) in eine besondere Beziehung zu göttlichen Geboten, Geschehnissen und Gestalten bringen. Dabei kann er entweder seine Existenz, seine Herkunft oder sein Werk in den Vordergrund stellen. Wir unterschieden daher eine charismatische Legitimation auf Grund eines in besonderer Weise qualifizierten Lebensstils, eine traditionelle Legitimation durch Herkunft (durch übernommene Aufträge und Tradi­tionen) und eine funktionale Legitimation durch geleistete und noch zu leistende Arbeit. Diese verschiedenen Legtimationsweisen treten meist kombiniert auf, stellen jedoch praktikable Kategorien dar, um das Selbst­verständnis der in Korinth konkurrierenden Missionare auf seine typischen Züge hin zu untersuchen. Für die Rekonstruktion dieses Selbstverständnisses sind wir weithin auf die Aussagen des Paulus angewiesen. Seine Objektivität bei der Wiedergabe der Aussagen anderer muß bezweifelt werden: Wer· seine Konkurrenten als Lügenapostel und Satansdiener maßlos diffamiert und meint, das ewige Gericht über sie antizipieren zu müssen (II Cor. xi. 14 f.), der wird viele Dinge verzerrt gesehen haben. Da aber immer wieder die Frage des Lebensunterhalts auftaucht, können wir noch weitere Text heranziehen, um zu rekonstruieren, welche Gedanken und Einstellungen ursprünglich mit dem umstrittenen Unterhaltsrecht verbunden waren, und um zu überprüfen, inwiefern diese Gedanken und Einstellungen hinter der Polemik des Paulus noch sichtbar werden.

(a) Charismatische Legitimation. In der synoptischen Aussendungsrede wird dem urchristlichen Missionar eine demonstrative Askese auferlegt: Er darf nicht die geringste Vorsorge für sein Leben treffen, sondern hat so unmittelbar auf die Gnade Gottes zu vertrauen wie die Vögel und Lilien auf dem Felde. Vorsorge ist Mißtrauen gegen Gottes Gnade. Er untersteht einem Gebot zu charismatischer Armut. Liest man in diesem Lichte die Ausführungen des Paulus in I Cor. ix über sein 'Unterhaltsrecht', so wird seine höchst merk­würdige Argumentation verständlich. Merkwürdig an ihr ist nämlich, daß er sein Unterhaltsrecht so ausführlich begründen muß, obwohl er in Korinth doch gerade wegen Verzichts auf dies Unterhaltsrecht angegriffen wurde.

1 W. Schmithals, Die Gnosis in Korinth (Göttingen, 31969), sieht im I und 11 Cor. dieselbe Front bekämpft. Das ist nicht ganz falsch: Die 'Gnostiker' im I Cor. und die Anhänger dt'r neu eingetrof­fenen Wanderprediger könnten durchaus zu denselben Kreisen gehört haben. Ebenso gehören die Wanderprediger im I und 11 Cor. einem vergleichbaren soziologischen Typos zu.

• Vgl. die methodologischen Erwägungen von C. K. Barrett, 'Christianity at Corinth', Bull. J. ~vlands Library XLVI (1963/4), 269-S7, S. 287 und ders. : ' Paul's Opponents in 11 Corinthians " N. T.S. XVII (1971), 233-54, S. 251.

216 Legitimation und Lebensunterhalt [207J

Er führt zunächst die allgemeine Erfahrung an, daß niemand ohne Lohn arbeitet; das sei menschlich gesprochen (ix. 8), das geoffenbarte Gesetz bestätige jedoch diesen Anspruch: Dem dreschenden Ochsen soll man das Maul nicht verbinden. 'Ochse' sei hier allegorisch auf die Apostel hin auszulegen (ix. 9-I I). Aber auch dies Argument ist offensichtlich noch nicht ausreichend. In ix. I3 beruft sich Paulus zusätzlich auf das allgemeine Vorrecht der Priester an den Opfergaben, um schließlich ein aus der synop­tischen Tradition stammendes Jesuswort zu zitieren (ix .. I4). Warum begründet er so ausführlich das Unterhaltsprivileg? Warum diese Häufung von Argumenten in einer Sache, in der er sich mit den Korinthern einig ist? Nicht die Inanspruchnahme des Privilegs steht ja zur Debatte, sondern der Verzicht darauf!l Man muß das J esuswort genau lesen. Es lautet: 'So hat denn der Herr denen, die das Evangelium predigen, beJohlen, vom Evangelium zu leben' (ix. I4). Auch in der paulinischen Variation des Wortes ist nicht von einem Privileg des Apostels die Rede, sondern von einer Pflicht, nicht von einem Gebot an die Gemeinden, ihre Missionare zu unterhalten, sondern von der Verpflichtung der Missionare zu charismatischer Armut, d. h. einer Armut, die auf reguläres Betteln verzichtet, sich aber - im Vertrauen auf den eigenen religiösen und sozialen Status als 'Apostel', 'Prophet' usw. -von unplanbaren Spenden anderer abhängig macht. Der Verzicht des Paulus auf das Unterhaltsprivileg kann daher auch ganz anders betrachtet werden: Es kann ihm der Vorwurf gemacht werden, er habe sich dem Gebot charis­matischer Armut entzogen, und beweise durch seine Handwerkstätigkeit ein Mißtrauen in die Gnade Gottes, der seinen Missionar auch materiell erhalten werde. Er sei durch seine Handwerksarbeit gebunden, er sei unfrei und kein richtiger Apostel (ix. I); denn er verstieße gegen die von Jesus selbst gesetzte Norm urchristlichen Wandercharismatikertums. Paulus bemüht sich demgegenüber nachzuweisen, daß das Gebot zu charismatischer Armut in Wirklichkeit ein Privileg des Missionars ist. Dazu aber muß er das J esuswort umdeuten - mit Hilfe allgemeiner Erfahrung und Exegese des Alten Testaments.2 So wie der Priester durch seine Anteile an den Opfergaben privilegiert sei, so habe auch der Herr befohlen: o\hwS Kai 6 KUPIOS 5IETa~Ev ... (ix. I4). Durch diese Einleitung stellt er freilich den ursprünglichen Sinn des Herrenwortes auf den Kopf, mag er es auch ansonsten sinngemäß wieder­geben: So (O\hws), nach Analogie alttestamentlicher Privilegien, wollte das Herrenwort ganz gewiß nicht verstanden sein. Unsere Annahme, Paulus sei vorgeworfen worden, er habe gegen die Normen urchristlichen Wander­charismatikertums verstoßen, nicht aber auf ein Privileg verzichtet, läßt sich nun an Hand dreier Instanzen nachprüfen. Zu überprüfen ist I., ob Paulus

1 W. Schmithals, Gnosis, S. 215 f. A. 2 hat das Problem gesehen: 'So verteidigt man sich aber niemals gegen Vorwürfe, die gerade davon ausgehen, daß der Apostel dies Recht hat.' Er schließt daraus zu Unrecht, man habe Paulus sein Apostelrecht gar nicht bestritten.

2 Häufig sieht man darin freilich eine kunstvolle Steigerung von Argumenten. Vgl. die Diskussion bd W. Schrage, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese (Gütersloh, 1961), S. 234f.

[208] Legitimation und Lebensunterhalt 217

Vorwürfe gemacht worden sind, die in diese Richtung zielen, 2. ob das Selbstverständnis seiner Konkurrenten davon bestimmt war, daß sie die Normen urchristlichen Wandercharismatikertums erfüllten, 3. ob sich die Verteidigung des Paulus auch an anderen Stellen als Antwort auf derartige Vorwürfe verstehen läßt.

I. Vorwürfe gegen Paulus: Der Ausruf 'Bin ich nicht frei? Bin ich kein Apostel?' (I Cor. ix. 1) läßt auf entsprechende Vorwürfe schließen, hinter denen Gedanken stehen könnten, die ihre Analogie in der populären Philo­sophie haben. Auch der kynische Wanderprediger, der sich von der Sorge um Besitz, FaInilie und Lebensunterhalt frei gemacht hat, gilt als 'frei' und 'gesandt'. Epiktet diskutiert die Frage, ob man mit dieser kynischen Lebensweise glücklich werden könne, und er antwortet:

Seht da, Gott hat euch den gesandt, der es euch durch die Tat beweisen kann, daß es möglich ist! Alles jenes habe ich nicht, ich liege auf der Erde, ich habe kein Weib, keine Kinder, keinen kleinen Palast, sondern nur Erde und Himmel und ein einziges großes Mäntelchen. Und doch Wa.s fehlt mir? Bin ich nicht frei von Sorgen, ohne Furcht, bin ich nicht frei? (Diss. ID,22 46-8)

Auch der kynische Wanderprediger weiß sich also als von Gott gesandt und frei. Auch er kümmert sich nicht um seinen Lebensunterhalt und lebt von einer 'gehobenen' Bettelei. Wenn man Paulus den Vorwurf gemacht hat, er sei nicht frei, so könnte an seine Handwerksarbeit gedacht sein. Diese kann als etwas Unfreies gelten: ßavavO"ia fj60s cmo,pE1TE1 EAEV6EPOV (Plato, leg. 141 e).l

In II Cor. x. 2 begegnet ferner der Vorwurf, Paulus wandle nach dem Fleische (Ka.O: O"apKa), er streite nach dem Fleische.2 Auch damit könnte schlicht gemeint sein, er sorge sich durch seine Handwerksarbeit allzu sehr um irdische Dinge. Er vertraue zu wenig auf Christus. Zu beachten ist, daß der Terminus 'streiten' (0"'PaLEvE0"6al) nur in I Cor. ix. 7 wiederkehrt. Paulus fragt dort: 'Wer kämpft (O"Tpa'EvEI) denn um eigenen Lohn? Paulus betont nun, dies sei menschlich gesprochen (KaLO: äv6pc..mov ix. 8). Was

1 Zur Diskreditierung der Handwerkstätigkeit in der Antike vgl. H. Bolkestein, Wohltätigkeit, S. 191 ff., 332 ff., der mit Recht klar stellt, daß die abwertenden Urteile aus der oberen, von Hand­werksarbeit befreiten Schicht stammen. Die manuell tätigen unteren Schichten werden sich selbst nicht so negativ beurteilt haben: Das Urteil des Sokrates über Handwerksarbeit ist sehr viel positiver als das seines aristokratischen Schülers Plato. Vgl. ferner F. v. d. Ven, Sozialgeschichte der Arbeit, Bd I, Antike und Frühmittelalter (München, 197 I).

• Dieser Vorwurf ist sehr urnrätselt: (I) R. Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen (Stuttgart, 31927 = Darmstadt, 1966), S. 361, meint, die von Paulus angegriffenen Parteien gäben dessen Vorwurf zurück, ihr Streit verriete sarkisches Wesen (I Cor. iü. 1-3): Paulus stifte selber Streit und wandle daher sarkisch. (2) H. D. Betz, Der Apostel Paulus, S. 96: In Paulus hause ein Satansengel (11 Cor. xii. 7), der die Krankheit des Paulus hervorrufe. Daher wandle er im Fleische. (3) Meist denkt man sehr allgemein an unlautere, nicht christliche Motive. So H. Lietzmann, An die Korinther I/Il, H.N.T. 9 (Tübingen, 1949), S. 140. Etwas konkreter ist H. Windisch, Der zweite Korintherbrief (Gättingen, '1924), S. 295: Paulus werde für einen Goeten gehalten. So auch D. Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief, W.M.A.N.T. I I (Neu1.irchen, 1964), S. 232 A. 13. (4) W. Schmithals, Gnosis, S. 155 f. will 'nach dem Fleische' in rein mythischem Sinne verstehen: Paulus sei kein Pneumatiker, sondern Sarkiker im Sinne des gnostischen Ursprungsmythos.

218 Legitimation und Lebensunterhalt [209]

aber' menschlich' gesprochen ist, wäre das nicht auch menschlich gehandelt: KCXTO: av6pcuTrov und KCXTO: cr6:PKCX entsprechen einander. Paulus versichert in 11 Gor. x. 4 weiter, die Waffen seines Streites seien nicht 'fleischlich' (crCXpKIK6:). Das erinnert an I Gor. ix. 11: Dort wird der Lebensunterhalt als 'die fleischlichen Angelegenheiten' (TO: crCXPKIK6:) bezeichnet. Die Bezieh­ungen zu I Gor. ix gehen noch weiter: In 11 Gor. x. 8 kommt Paulus auf seine 'Vollmacht' (E~ovcrlcx) zu-sprechen, die ihm der Herr zum Erbauen und nicht zum Zerstören der Gemeinde gegeben hat. Damit dürfte in unserem Zusammenhang auch die 'Vollmacht zu essen und zu trinken' (I Gor. ix. 5) gemeint sein (vgl. E~ovcrlcx ix. 5, 6, 16, 18), also der Anspruch auf Unterhalt durch die Gemeinde. Schließlich sei angemerkt, daß 'Voll­macht' (E~ovcrlcx) an beiden Stellen in Zusammenhang mit dem Begriff des 'Ruhms' (KCXVXT]~CX ix. 15, 16) bzw. des 'Sich-Rühmens' (11 Gor. x. 8) begegnet.1 Hat man vielleicht daran Anstoß genommen, daß sich Paulus ausgerechnet seines Rechtsverzichts 'rühmte' - also seines Verstoßes gegen die Normen urchristlichen Wandercharismatikertums?

Ganz gewiß hat man Paulus nicht nur allgemein abgelehnt, sondern ihm einen konkreten Vorwurf gemacht, der ihn als Apostel unmöglich machte. Immerwenn er auf die Überapostel zu sprechen kommt (11 Gor. xi. 5, xii. 11), kommt er im darauf folgenden Kontext auf seinen Unterhaltsverzicht zu sprechen,2 und zwar so, daß er sich dabei gegen denY orwurf einer konkreten Verfehlung, einer o:~cxPTlcx bzw. 6:01KICX, verteidigt: 'Oder habe ich eine Verfehlung (o:~cxPTlcxv) begangen, als ich mich selbst erniedrigte, damit ihr erhöht werdet, damit ich euch umsonst das Evangelium Gottes verkündete' (xi. 7) bzw.: 'Worin seid ihr hinter anderen Gemeinden zurückgeblieben, wenn nicht darin, daß ich euch nicht zur Last gefallen bin. Vergebt mir diese Ungerechtigkeit (6:01KICXV)' (xii. 13). Das Stichwort Cx~cxPTlcx könnte aus der korinthischen Gemeinde stammen. Paulus bezeichnet mit diesem Wort meist die umfassende Sündenmacht, nicht das einzelne Vergehen. Vorausgesetzt ist eine konkrete Norm. Und die Überapostel zeichnen sich wahrscheinlich dadurch aus, daß sie diese Norm übermäßig erfüllen: die Verpflichtung zu charismatischer Armut.

Schon im I Gor. setzt Paulus konkrete Vorwürfe voraus, wenn er schreibt: 'Mir ist völlig gleichgültig, ob ich von euch oder sonst einem menschlichen (Gerichts)-tag beurteilt werde. Ich beurteile (6:vcxKplvcu) mich nicht einmal selbst. Ich bin mir ja keiner Sache bewußt, aber damit bin ich noch nicht gerechtfertigt. Sondern der mich beurteilt, ist der Herr' (I Gor. iv. 3 f.). Auch hier steht die apostolische Eigenschaft des Paulus als' Diener Ghristi' und' Verwalter der Geheimnisse Gottes' (iv. 1) zur Debatte. Auch hier wird er mit anderen Aposteln verglichen (iii. 22 f., iv. 6 ff.). Gedacht ist wohl

1 Vgl. C. K. Barrett, 'Paul's Opponents,' S. 246. 2 C. K. Barrett, ' Paul's Opponents,' S. 246: Das Thema des Unterhaltsverzichts folgt immer' almost

immediately upon Pau!'s emphatic assertion that he does not fall short of 01 \tITEpAlav c'mOa-rOAO\ '.

[210] Legitimation und Lebensunterhalt 219

nicht an ein reguläres Gerichtsverfahren - Ttl-lEpa, Gerichtstag, könnte Meta­pher sein -, wohl aber an eine Situation, die einer formalen Anklage ver­gleichbar war, an ein konkretes avaKpivEIV. All diese Momente finden wir in I Cor. ix. I ff. wieder. Wenn Paulus schreibt: 'Dies ist meine Verteidigung (aTToi\oyia) gegenüber denen, die mich beurteilen (avaKpivov(jiv)' (ix. 3), so denkt er an den konkreten Vorwurf, er sei kein richtiger Apostel, weil er sich von der Sorge um seinen Lebensunterhalt bestimmen ließe (ix. I ff.). Das Stichwort ' Sich-Verteidigen' (aTToi\oYEi<J6a!) fällt dann noch einmal im II Cor. xii. 19, nachdem sich Paulus wegen seiner' Ungerechtigkeit' verteidigt hat, daß er sich nicht von den Korinthern unterhalten ließ. Es kann m. E. kaum ein Zweifel daran bestehen, daß immer eine konkrete Norm hinter Anklage und Verteidigung steht: die Verpflichtung zu charismatischer Askese, das 'Unterhaltsprivileg'.

2. Das Selbstverständnis der Konkurrenten: Paulus nimmt in II Cor. x. 7 auf das Selbstverständnis seiner Konkurrenten Bezug: Diese vertrauen darauf, Christus anzugehören (XPI<JTOV Eival). Eine aufschlußreiche Parallele zu dem viel umrätselten XPI<JTOV Eiva! findet sich in einer Mahnung zur Bewirtung urchristlicher Wandercharismatiker: 'Denn wer euch einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr Christi angehört (ÖTI XPI<JTOV E<JTE) , wahrlich ich sage euch, daß er seinen Lohn nicht dahin hat' (Mc. ix. 41). Wanderprediger gelten als Angehörige Christi. Deswegen werden sie bewirtet. Sie können darauf vertrauen, Christus anzugehören, d. h. als Missionare Christi Menschen zu finden, die ihnen Unterkunft und Unter­halt gewähren. So können sie sich ganz ihrem Auftrag widmen, ohne durch andere Sorgen abgelenkt zu werden. Wenn Paulus nun den Vorwurf, er wandle 'nach dem Fleische' zusammen mit der Behauptung zurückweist, nur seine Konkurrenten vertrauten auf Christus (wandelten also' nach dem Geiste'), so darf man das eine durch das andere erhellen: Der Vorwurf gegen Paulus lautete, er denke zu viel an seine materielle Existenz, anstatt sie ausschließlich von seiner Zugehörigkeit zu Christus abhängig zu machen.

Das vermutete Selbstverständnis der Konkurrenten läßt sich noch aus weiteren Stellen belegen. Nach II Cor. xi. 23 behaupten sie, OI<:l:KOVOI XPI<JTOV zu sein, womit sachlich dasselbe gemeint sein dürfte wie mit XPI<JTOV EIVa!.l Als' Diener Gottes' beschreibt auch Epiktet die kynischen Wanderprediger. Er fragt,

ob nicht der Kyniker frei von jeder Ablenk~ng sein müsse, ganz der ol<XKovla TOV 6eov gewidmet, fähig, die Menschen aufzusuchen, ungebunden von privaten Verpflichtungen und nicht verflochten in Beziehungen, bei deren Verletzung er nicht länger die Rolle eines rechtschaffenen und braven (Mannes) wahren könnte, während ihre Pflege den Boten (ayyei\os) und Kundschafter und Herold (Kiipv~) der Götter vernichten müßte.' (Diss. III. 22. 69)

1 Zum folgenden vgl. D. Georgi, Gegner, S. 31-8.

220 Legitimation und Lebensunterhalt [211]

Auch der aus allen alltäglichen Verpflichtungen entlassene Kyniker lebt aus einem Vertrauen auf Gottes Gnade: 'Sollte Gott so seine eigenen Geschöpfe, seine 810:KOV01, seine Zeugen vernachlässigen? .. ' (Diss. III. 26, 28). Auch er lebt ganz aus Gottes Willen: 'Ich will lieber immer nur das, was gerade geschieht. Denn ich erachte das, was Gott will, für besser als das, was ich will. Ich bin ihm zugetan als sein 810:KOVOS und sein Gefolgsmann (äKOAov6os). Mein Wählen ist eins mit ihn, mein Wünschen ist eins mit ihm, kurz: mein Wollen ist eins mit ihm'. (Diss. IV. 7,20). Auch hier begegnet uns ein hochstehendes Ethos der Unabhängigkeit von irdischen Notwendigkeiten auf Grund eines unbedingten Vertrauens in Gottes Willen. Die aus Palästina stammende Bewegung urchristlichen Wandercharismatikertums konnte im griechischen Bereich an das Ethos kynischer Wanderprediger anknüpfen. Dies Ethos wurde auch in der korinthischen Gemeinde geschätzt: Die Häufung populärphilosophischer Topoi in II Qor. x-xiii erklärt sich vielleicht SO.1

Während der Begriff' Diener' für die in den Synoptikern vorausgesetzten Wandercharismatiker nicht belegt ist, begegnet hier eine andere Selbst­bezeichnung der korinthischen Konkurrenten des Paulus: epYO:Tat (II Cor. xi. 13).2 'Arbeiter' sind nach der Aussendungsrede die urchristlichen Wan­dermissionare unter einem ganz bestimmten Aspekt: 'Der Arbeiter ist seiner Speise wert' (Mt. x. IO, Lc. x. 7). Zwar hat er das Evangelium umsonst anzubieten (Mt. ix. 9), aber es versteht sich von selbst, daß ihm dafür Unterkunft und Unterhalt gewährt wird. Ähnlich werden die vermeintlichen 'Lügenapostel ' und 'Satansdiener ' (II Cor. xi. 13) in Korinth gedacht haben.3

3. Die Verteidigung des Paulus: Hier interessieren nur Argumente, durch die Paulus sich eine charismatische Legitimation zuschreibt. Wir hatten schon gesehen, daß er die Verpflichtung zur charismatischen Wanderaskese zu einem Privileg uminterpretiert (I Cor. ix. 7 ff.). Entsprechend kann er seinen Verstoß gegen die apostolischen Normep. als Verzicht auf ein Privileg deuten. Wichtig ist dabei, daß Paulus diesen Verzicht nicht nur im ethischen Sinne verstanden wissen will, so richtig es ist, daß er auch als Vorbild für das Verhalten der Starken in Korinth dienen soll; seine Argumentation zielt vielmehr darauf hin, diesen Rechtsverzicht als ein ihn persönlich auszeichnendes göttliches Geschick darzustellen, als eine besondere religiöse Qualifikation - als ein Charisma: Gott selbst hat ihn zum Verstoß gegen die üblichen Normen urchristlichen Wandercharismatikertums genötigt.4 Er

1 Vgl. die gründliche Untersuchung dieser Topoi bei H. D. Betz, Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition (1972). 2 Vgl. D. Georgi, Gegner, S. 49-51.

• Daß man zwischen Lügen- und Überaposteln differenzieren müsse und letztere in Jerusalem ansässig seien-so E. Käsemann: 'Die Legitimität des Apostels', Z.N.W. XLI (1942), 33-71 und C. K. Barrett, Pau!'s Opponents, S. 252 ff. -, ist m. E. unwahrscheinlich. Vgl. R. Buhmann, Exegetische Probleme des zweiten Korintherbriifes (Darmstadt, 1963), S. 20--30.

• Vgl. E. Käsemann, 'Eine paulinische Variation des "Amor [ati"', Z. Th.K. LVI (1959), 138-54 = Exegetische Versuche und Besinnungen, II (Göttingen, 1964),223-39. Ganz kann man zwar die ethische

[212J Legitimation und Lebensunterhalt 221

kann gar nicht anders. Ein heiliger Zwang liegt auf ihm. Er ist ein Gezeich­neter (I Cor. ix. 15-18). Eben damit erfülle er aber das Gebot Christi, sei EVVOIlOS XPlCYTOO (ix. 2 I) und nicht ein Übertreter des 'Gesetzes' Christi. Das Gebot hatte ja den Sinn, daß sich der Wandercharismatiker ganz der Mission widmen kann, daß es der Evangeliumspredigt dient. Eben dies kann auch Paulus für sein Verhalten beanspruchen. Wenn er als Freier den Unfreien ein Unfreier, den Schwachen ein Schwacher wurde, so tat er es nur um der Evangeliumsverkündigung willen. Ihr ordnet er alles unter (I Cor. ix. 19 ff.). Mag er auch gegen den Buchstaben des Gebotes verstoßen, so sei er doch nicht weniger EVVOIlOS XPlCYTOO (ix. 2 I). In Korinth hat diese Argumen­tation offensichtlich nicht überzeugt. Im 11 Cor. erscheinen die alten Vorwürfe wieder. Aufschlußreich ist, wie Paulus jetzt auf den Vorwurf reagiert, er sei kein' Diener Christi', d. h. er setze sich nicht voll dem Risiko apostolischer Existenz aus. Aufgebracht ruft er aus: 'Diener Christi sind sie? In Tollheit rede ich: Ich noch mehr! In Mühen viel reichlicher, in Gefäng­nissen viel reichlicher, in Schlägen übermäßig, in Todesnöten oftmals ... ' (11 Cor. ix. 23 ff.). Und nun folgt ein beeindruckender Peristasenkatalog, in dem Paulus alle Risiken aufzählt, die er auf sich genommen hat. Niemand kann danach bezweifeln, daß er nicht ständig seine irdische Existenz aufs Spiel gesetzt hat (die cy6:p~), um seine Aufgabe als Missionar zu erfüllen. Aufschlußreich ist, daß er in einem vergleichbaren Peristasenkatalog in I Cor. iv. 9-13 seine Handwerkstätigkeit noch unter seinen Mühen aufzählt (iv. 12). In 11 Cor. xi. 23 ff. fehlt dieser wichtige Punkt - wohl nicht zufällig. Gerade er diente ja zur Begründung des Vorwurfs, er lebe 'nach dem Fleische' und nicht ausschließlich für und vom Evangelium. Es wäre unklug gewesen, den Anklagepunkt noch einmal als Argument der Verteidigung zu nennen.

Insgesamt ist die Argumentation des Paulus sehr verständlich. De facto war die Verpflichtung zu charismatischer Askese oft ein Privileg und sie wurde es immer mehr, je mehr urchristliche Gemeinden entstanden. Der Verzicht auf dies 'Privileg' rilOchte gegen den Buchtstaben des Jesuswortes verstoßen, aber er entspricht seinem Geist. Verständlich ist aber auch die Haltung der Gegenseite. Paulus verstieß eindeutig gegen die Norm. Seine Konkurrenten waren kaum die 'Lügenapostel, trügerischen Arbeiter und Satansdiener' (11 Cor. xi. 13), als die Paulus sie verunglimpft: Es waren normale urchristliche Missionare, die sich mehr an die Regeln für Wand er­charismatiker hielten als Paulus. Daß auch sie von ihnen abwichen, zeigen die Empfehlungsschreiben. Das führt zum nächsten Punkt:

(b) Traditionelle Legitimation. Die Konkurrenten haben neben ihrer charis­matischen Legitimation, wie es scheint an zweiter Stelle, ihre traditionelle Legitimation hervorgehoben. Sie nannten sich 'Hebräer, Israeliten, Same

Deutung nicht ablehnen; jedoch will Paulus an erster Stelle zeigen, daß der Unterhaltsverzicht ein von Gott auferlegtes Schicksal ist.

222 Legitimation und Lebensunterhalt [213]

Abrahams' (11 Cor. xi. 22). Daß PaulusJude war, wird in Korinth bekannt gewesen sein. Hebräer, Israelit und Same Abrahams war er auch. Es konnte sich nur um die Frage handeln, ob er ein 'echter' Hebräer, Israelit und Abrahamssohn war.1 Schon die Häufung dieser Bezeichnungen zeigt, daß man nicht jeden Juden meinte, sondern Juden in spezifischem Sinne. Hier mußte Paulus ein Defizit aufweisen. Es wird bekannt gewesen sein, daß er Diasporajude war, aus Tarsos stammte und das römische Bürgerrecht besaß. Sein gespanntes Verhältnis zum Judentum konnte auch nicht verborgen bleiben. Hinsichtlich der Nähe zum palästinensischen Judentum war er­abgesehen von der räumlichen Entfernung - den in Korinth lebenden Juden vergleichbar. Römisches und tarsisches Bürgerrecht wiesen sogar auf einen hohen Grad von Integration in die nicht jüdische Gesellschaft. In irgendeiner Weise wird man ihn als einen dem Judentum entfremdeten Juden hingestellt haben. Es ist daher auch wahrscheinlich, daß seine Gegner nicht Diaspora­juden gewesen sind, sondern aus Palästina kamen, Vertreter jenes Landes, in dem Jesus selbst gelebt hatte.2 Möglicherweise trifft der Vorwurf des Paulus, sie verkündigten einen anderen Jesus (11 Cor. xi. 4) eine Christo­logie, die den synoptischen Traditionen nahe stand, zumal er 11 Cor. v. 16 versichert, er wolle von Christus nichts 'nach dem Fleische' wissen. Zu­mindest Traditionen, die der Aussendungsrede nahe standen, dürften bei seinen Konkurrenten lebendig gewesen sein.3

1 Vgl. zur Frage D. Georgi, Gegner, S. 51-82. • Für die soziologische Analyse der Gegner des Paulus ist weniger entscheidend, ob es sich um

Judenchristen oder hellenistische Judenchristen handelt. Es ist sogar nicht einmal entscheidend, ob sie persönlich aus Palästina stammen. Entscheidend ist nur, daß sie den in Palästina entstandenen Typos des Urchristlichen Wandercharismatikers vertreten. Unabhängig davon ist ihre palästinensi­sclle Herkwüt walrrscheinlich - so E. Käsemann, Legitimität, S. 33-71; C. K. Barrett, Paul's Opponents, S. 251. Selbst die Exegeten, die an hellenistische Judenchristen denken, rechnen mit einer palästinensischen Herkunft: D. Georgi, Gegner, S. 58; G. Friedrich, 'Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief', in: Abraham unser Vater (Leiden/Köln, 1963), S. 181-215. W. SchInithals, Gnosis, S. 274-7 bestreitet die palästinensische Herkunft.

• Wenig überzeugend ist die Annahme, es handle sich um eine 6eio,-o:viJp-Christologie, die der Christologie der synoptischen Wundergeschichten entspräche. Diese These wird seit D. Georgi, Gegner, S. 213 ff. häufig vertreten u. a. von G. Bornkamm, Die Vorgeschichte des sogenannten zweiten Korintherbriefes (S.B. Heidelberg, 1961), S. 15 f.; G. Friedrich, Gegner, 181 ff.; H. W. Kuhn, Der irdische J esus bei Paulus, 295-320:

(I) Das Vollbringen von Wundern durch die Missionare (11 Cor. xii. 12) läßt keinen Rückschluß auf eine 6eiO>-av,;p-Christologie zu: In der Logienquelle werden den Missionaren Wunder aufgetragen (Lc. x. 9), obwohl in ihr keinerlei 6eiO>-o:viJp-Christologie vertreten wird. Die Versuchungsgeschichte zeigt sogar eine gewisse Distanz zu solch einer Christologie (Lc. iv. I ff.).

(2) Auch aus der Erwähnung des 'anderenJesus' (11 Cor. xi. 4) läßt sich nicht auf eine 6eio,­o:viJp-Christologie schließen. Paulus verknüpft damit den Vorwurf, daß die Korinther eine solche Predigt' aushielten'. Dieser Vorwurf begegnet nun auch II Cor. xi. 20: Die Korinther' halten aus' die Inanspruchnahme von Privilegien durch die Gegner. Paulus hat die Gemeinde dagegen nicht belastet (xi. 9). Mit Recht schließt C. K. Barrett, Paul's Opponents, S. 242: 'In the foreground stands the ethical test ofbehaviour that is or is not consistent with the Gospel- a test which the Corinthians had oInitted to apply.'

(3) Die Suche nach einer 50KII1'; TOO ~v Ellol AaAoOVTo, XPICTrOO (xiii. 3) weist eher auf eine Rede im· Ich-Stil, wie sie uns aus der Logienüberlieferung und dem JohEv bekannt ist. Die Gegner sind primär Träger des Wortes, der Predigt (xi. 4).

Vom Problem der Christologie der konkurrierenden Wanderprediger ist die Frage zu trennen, wie sie sich selbst verstanden haben. Es gibt m. E. auch hier keinen Anhaltspunkt für ein Selbstver-

[214] Legitimation und Lebensunterhalt 223

Noch in einem zweiten Punkt haben sich die Konkurrenten des Paulus auf eine traditionelle Legitimationi5erufen: Sie kamen mit Empfehlungsschreiben und ließen sich von der korinthischen Gemeinde Empfehlungsschreiben geben (II Cor. iii. I). Sie traten also immer auch als Abgesandte einer bestimmten Gemeinde auf. Paulus tat dies nicht. Ursprünglich war er wohl zusammen mit Barnabas Abgesandter der antiochenischen Gemeinde gewesen (Act. xiii. I ff.). In seinen Briefen spielen diese Beziehungen zur antiochenischen Gemeinde keine Rolle mehr. Es könnte zum Zerwürfnis gekommen sein. Hatte sich Paulus doch von Barnabas getrennt und damit wohl auch von seiner ursprünglichen Heimatgemeinde (vgl. Gal. ii. 13).

Zu den Empfehlungsschreiben paßt der Vorwurf des Paulus, seine Konkurrenten würden in fremdes Arbeitsgebiet eindringen. Briefe setzen einen Adressaten voraus. Auch wenn es sich um allgemein adressierte Empfehlungsschreiben gehandelt hat, so sind so doch nur nützlich, wenn sich jemand durch sie angesprochen fühlt. Mit Empfehlungsschreiben kann ein Missionar eo ipso nur in fremdes Arbeitsgebiet eindringen. Einerseits war das gewiß nicht im Sinne der ursprünglichen Normen des Wandercharis­matikertums: Ob man durch Geld oder Empfehlungen vorsorgt, läuft in der Praxis aufs Gleiche hinaus. Andererseits ist aber zu bedenken, daß die Wandercharismatiker in Palästina gar nicht neue Gemeinden gründen wollten. Sie wandten sich an die' verlorenen Schafe Israels' (Mt. x. 6).

(c) Funktionale Legitimation. Paulus ist sich sehr wohl bewußt, daß er hin­sichtlich seiner funktionalen Legitimation allen Konkurrenten überlegen ist: 'Mehr als alle habe ich gearbeitet' (I Cor. xv. 10). Und wenn er hinzufügt: 'Nicht ich aber, sondern die Gnade Gottes in mir' (xv. 10), so äußert sich hier eine sehr selbstbewußte 'Demut'. Wo immer Paulus angegriffen wird, verweist er auf sein 'Werk'. Dies weist ihn als legitimen Apostel aus: 'Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? Wenn ich auch anderen nicht Apostel bin, so bin ich es doch euch: Ihr seid das Siegel meines Apostolats im Herrn' (I Cor. ix. I f.). Ähnlich argumentiert er angesichts der Empfehlungsschreiben in II Cor. iii. 2: 'Unser Empfehlungsschreiben seid ihr, eingeschrieben in unserem Herzen, bekannt und gelesen von allen Menschen'. Es ist konsequent, wenn er den Verzicht auf sein 'Unterhalts­recht' primär funktional begründet: Er habe keine Unterstützung angenom­men, 'damit wir niemandem einen Anstoß geben am Evangelium Christi' (I Cor. ix. 12). Welcher Anstoß gemeint ist, geht aus I Thess. ii. 5 hervor: Paulus will den Verdacht vermeiden, er wirke EV TIp0<pO:CJ"El TIAEovE~las, er 'verhökere' das Evangelium wie es andere tun (II Cor. ii. 17). Daher

ständnis der Gegner als SEiOI ä:vopes. Eher könnte man an das Ethos kynischer Wanderphilosophe denken. Es ist m. E. unzweckmäßig, den geios-avr,p-Begriff so weit auszudehnen, daß er a uc diese Propagandisten umfaßt, wie überhaupt dieser Begriffsehr wenig präzis ist. Vgl. den Überblick bei M. Smith, 'Prolegomena to a Discussion of Aretalogies, Divine Men, the Gospels and Jesus', ].B.L. xc (1971), 174-99: Von Augustus bis zum Eremiten Antonius werden die verschiedensten Typen hier zusammengefaßt.

224 Legitimation und Lebensunterhalt [215J

arbeitet er Tag und Nacht (I Thess. ii. 9). Mit seinem Unterhaltsverzicht will er möglichst viele retten (I Cor. ix. 23). Das ist sein Anteil am Evange­lium. Auf seinen materiellen Anteil hat er verzichtet, nicht aber auf den Anteil seines Erfolgs. Sein Lohn liegt in den Geretteten und nicht im Lebensunterhalt: Das crVYKOIVWVOS ylyvecr6al von I Cor. ix. 23 entspricht genau dem Tc{) 6vcrlacrTT)plC}> crvIJIJEpl3ecr6aJ von ix. I3.

Daß für Paulus die funktionale Legitimation ausschlaggebend ist, geht am deutlichsten aus II Cor. x. I2-I8 hervor. Hier redet er expressis verbis von dem Maßstab, der ihm von Gott gesetzt worden ist, von einem IJETpOV TOV Kav6vos (x. I3), also einer Norm, an der er sein Verhalten orientiert und durch deren Erfüllung er sich legitimiert weiß. In ihr sieht er seinen Ruhm begründet. Inhalt dieser Norm ist zunächst: E<pIKEcr6al axPI Kai VIJWV, d. h. mit der Mission erfolgreich bis zu den Korinthern zu gelangen. Sein Auftrag reicht aber noch weiter. Er hofft entsprechend seinem Maßstab (KaTO: TOV Kav6va TJlJwv) noch übermäßig groß zu werden, nämlich 'über euch hinaus das Evangelium zu verkündigen' (x. I6). Sein Kanon ist also die Missionie­rung der ganzen heidnischen Welt (vgl. Gal. ii. 9, i. I6). Seinen Konkurrenten wirft er dagegen vor, sie würden sich an sich selber rühmen (II Cor. x. I2). Auch hier setzt er einen' Maßstab' voraus: Die Vermutung liegt nahe, daß seine Konkurrenten sich an den überliefertenJesusworten zur vita apostolica als dem Maßstab ihres Verhaltens orientieren. Das KaTO: TO IJETpOV TOV Kav6vos entspräche dann dem KaTO: TO 56YIJa TOV EvaYYEAlov (Did. xi. 3), dessen Inhalt die Verpflichtung des Apostels zur charismatischen Askese ist; er darf nur mit dem Nötigsten bewirtet werden (Did. xi. 4-6). Dies S6YIJa TOV EvaYYEAlov bezieht sich auf den Lebensstil, nicht auf das Werk des Apostels. Wer sich durch die Normen seines Lebensstils zu legitimieren versucht, kann durchaus den Vorwurf erhalten, daß er sich an sich selbst messe - nämlich an den normativen Merkmalen seiner vita apostolica.

Natürlich haben sich auch die Konkurrenten des Paulus auf 'Werke' berufen. Paulus muß ausdrücklich betonen: 'Die Zeichen des Apostels wurden unter euch gewirkt in aller Geduld, durch Zeichen, Wunder und Machttaten' (II Cor. xii. I2). Wahrscheinlich muß er sich gegen ent­sprechende Vorwürfe zur Wehr setzen, er habe keine Zeichen getan.1 Seine Konkurrenten waren möglicherweise hierin überlegen. Nach der synopti­schen Aussendungsrede gehören Wunder grundsätzlich zum Missionar (Mt. x. 8), auch sonst gelten sie als Zeichen des Apostels (Mc. iii. 15, xvi. I5 ff.). Auch Paulus hat Wunder getan - man müßte ihn denn in II Cor. xii. I2 der Lüge bezichtigen-aber er sieht sie im Zusammenhang mit seinem missionarischen Werk, wie aus Röm. xv. I8 f. hervorgeht:

1 Man muß freilich auch mit der Möglichkeit rechnen, daß es sich nicht um einen Topos der konkurrierenden Wanderprediger sondern der ortsansässigen korinthischen Gemeinde handelt, die nach Kriterien zur Beurteilung der Missionare sucht: so c. K. Barrett, Paul's Opponents, S.245·

[216] Legitimation und Lebensunterhalt 225

Denn ich werde nicht wagen, von etwas zu reden, was nicht Christus durch mich gewirkt hat, um die Heiden zum Gehorsam zu bringen durch Wort und Tat, in Kraft von Zeichen und Wundern, in Kraft des Heiligen Geistes, so daß ich von Jerusalem und ringsherum bis nach Illyrien das Evangelium von Christus voll­ständig erfüllt habe.

Sein Werk ist die Mission der Heiden. Von anderen, nicht auf diese Aufgabe bezogene Wunder spricht er nur in Torheit (II Cor. xii. 1 ff.). Er legitimiert sich nicht durch sie, sondern durch sein missionarisches Werk. Es ist be­denkenswert, daß ausgerechnet der Apostel, der wie sonst kein anderer jede Legitimation aus Werken ablehnte, sich in einer konkreten Situation dezi­diert durch sein Werk zu legitimieren versucht.1

Als Ergebnis sei festgehalten : Die Konkurrenten des Paulus beriefen sich auf eine charismatische Legitimation, die sie durch eine traditionelle unter­stützten. Paulus vertritt dagegen eine andere Form apostolischer Legitimität, eine funktionale, die er mit Elementen einer charismatischen verbindet­wobei er gerade sein charismatisches Defizit, seine 'Schwäche' als Zeichen seiner apostolischen Existenz hervorhebt. Diese beiden Legitimationsformen stehen in Zusammenhang mit verschiedenen Weisen, den Lebensunterhalt zu bestreiten: Für den Gemeindeorganisator ist auch diese Frage einer effektiven Mission untergeordnet. Für den Wandercharismatiker hat die Orientierung an den Normen der vita apostolica ein Eigengewicht. Der Konflikt zwischen diesen beiden Typen von Missionaren wird etwa so verlaufen sein: In Korinth eingetroffene Wandercharismatiker bean­spruchten, von der Gemeinde unterhalten zu werden. Diese reagierte zunächst mit dem Hinweis: Unser Apostel Paulus hat keine derartigen Ansprüche erhoben. Als Antwort konnten die Wandercharismatiker zu ihrer Rechtfertigung auf das J esuswort weisen. Hinsichtlich des Paulus aber blieben zwei Möglichkeiten: Entweder mußten sie ihn zu ihrem Lebensstil bekehren oder ihm die Apostolizität absprechen. Möglicherweise ist auch das erstere versucht worden. Wenigstens versichert Paulus: 'Was ich aber tue (sc. nämlich auf meinen Unterhaltsanspruch verzichten), das werde ich auch zukünftig tun, um denen den Anlaß zu nehmen, die nach einem Anlaß suchen, daß sie in dem, worin sie sich rühmen, erfunden werden wie wir auch' (II Cor. xi. 12).2 Zunächst hat man jedoch wohl die Apostolizität des Paulus bestritten - nicht aus persönlicher Bosheit, sondern aus Selbstverteidi­gung. Würde sich Paulus mit seiner Auffassung einer vita apostolica all-

1 E. Käsemann, Legitimität, S. 59 f. polemisiert gegen die Auffassung, Paulu. legitimiere sich aus seinen Werken. Es ist richtig, daß Paulus alles der Gnade Gottes zuschreibt, daß er seinen Beitrag nur' in Torheit' rühmt. Er rechtfertigt sich dennoch aus Leistungen - Leistungen Gottes durch ihn. Der Hinweis auf die Gnade Gottes ist keine Einschränkung des kaum noch zu überbietenden Selbst­bewußtseins Paulus, des Verkünders der einzigartigen, absoluten Wahrheit an die ganze Welt, sie ist eher eine Hypertrophie dieses Selbstbewußtseins: Er rühmt sich in der Tat els 'Ta IXIJE'Tpa (11 Cor. x. 13). Falls dahinter ein Vorwurf der Gegner steck.t, so sollte man doch nicht apriori ausschließen daß auch einmal die Gegner des Paulus eine zutreffende Beobachtung gemacht haben.

• Vgl. H. D. Betz, Der Apostel Paulus, S. 102.

226 Legitimation und Lebensunterhalt [217J

gemein durchsetzen, so wäre es um die materielle Basis urchristlichen Wandercharismatikertums geschehen gewesen. Wer hätte, nachdem er ca. 20

Jahre lang vom Erwerbsdruck befreit war - wenn auch unter extremen Bedingungen -, wieder arbeiten mögen oder können? Die theologische Frage der Legitimität des Apostels ist unlöslich mit der materiellen Frage des Lebensunterhalts verbunden. Gewiß stand einmal hinter der Entscheidung zum Wandercharismattkertum ein religiöses Motiv. Aber mit der einmal getroffenen Entscheidung hatte man Lebensbedingungen gewählt, von denen man nun wiederum abhängig war, abhängig auch in seiner theologi­schen Argumentation. Paulus hatte durch seine materielle Unabhängigkeit zweifellos auch einen breiteren Spielraum für seine theologische Argu­mentation.

EXKURS: ZUR SOZIOLOGISCHEN STRUKTUR DER

PARTEIEN IN KORINTH

Der Streit zwischen den konkurrierenden Missionaren bliebe unverständlich, wenn man nicht ihre Wirkungen auf die Gemeinde untersucht. Paulus wendet sich ja in beiden Briefen unmittelbar an die Gemeinde. Die Ursache des Konflikts lag ja darin, daß verschiedene Missionare Einfluß auf die Gemeinde gewonnen hatten, l Gruppierungen und Streitigkeiten verursachten. Die Missionare selbst zogen weiter: Apollos ist zur Zeit der Abfassung des 1 Gor. nicht mehr in Korinth (I Gor. xvi. 12). Die Missionare des 11 Gor. lassen sich Empfehlungsschrei­ben für ihre Weiterreise geben (11 Gor. iii. 1). Sie hinterließen Probleme, die auch in der korinthischen Gemeinde selbst ihre Ursache gehabt haben müssen. Wie kam es zu den innergemeindlichen Gruppierungen?2

1 Ob Petms in Korinth war, ist nicht sicher; vgl. C. K. Barrett, 'Cephas and Corinth', in: Abraham unser Vater (Leiden, 1963), S. 1-12. Zumindest sind aber in Korinth Missionare gewesen, die sich auf Petrus beriefen.

2 Umstritten ist die Existenz einer Christuspartei vgl. den Forschungsbericht bei W. Schmithals, Gnosis, S. 110 fl::

(I) Sie wird in I Clem xlvii. 3 nicht erwähnt. Daraus geht aber allenfalls hervor, daß schon der Verfasser des I Clemensbriefes sei es beim Interpretieren des I Cor., sei es in seiner Argumentation gegenüber der korinthischen Gemeinde nichts mit einer 'Christuspartei ' anfangen konnte.

(2) Sie wird in I Cor. iii. 22 übergangen. Nun werden hier Paulus, Apollos und Kephas der Gemeinde untergeordnet, die Gemeinde aber wiederum Christus unterstellt. Die Stelle läßt sich auch unter Voraussetzung einer Christuspartei gut verstehen: Nicht nur einige, alle gehören zu Christus.

(3) Die Argumentation' Ist denn Christus geteilt?' kann nicht gegen eine Christuspartei gerichtet sein. Wenn aber das ey'" 6E XPICTTOV der paulinischen Argumentation ungelegen kommt, so ist um so mehr damit zu rechnen, daß Paulus es nicht selbst einführt: Nicht die Partei, wohl aber die Parole muß in Korinth vorhanden gewesen sein.

(4) Sofern die Taufbindung die Parteien charakterisiert, müssen diese als sehr heterogene Gruppen verstanden werden: Petms, Apollos und Paulus haben vielleicht bzw. sicher in Korinth getauft. Die 'Christuspartei ' könnte nichts Analoges aufweisen. Entweder handelt es sich gar nicht um eine Partei oder um eine Gruppe, die sich bewußt dem Parteienwesen entgegensetzt: also um die Parole einiger Christen.

Paulus setzt auf jeden Fall eine Christusparole in Korinth voraus und würde sich eine Blöße geben, wenn er hier wissentlich einen unzutreffenden Sachverhalt unterstellt. Entscheidend scheint mir nun die Frage zu sein, wer diese Parole geäußert hat. Hier darf man m. E. II Cor. x. 7 heran­ziehen: Es handelt sich nicht um eine Parole ortsansässiger Christen, sondern (wenigstens ursprüng­lich) um eine Parole der Wandermissionare (vgl. Me. ix. 41): Die Apostel sind Stellvertreter Christi, gehören ilim an. Die korinthischen Parteien wußten sich jeweils einem Apostel verbunden und

[218] Legitimation und Lebensunterhalt 227

Paulus selbst führt sie offensichtlich auf eine besondere Bindung zwischen Täufer und Getauften zurück. Um den Widersinn einer' Pauluspartei' darzulegen, versichert er ausdrücklich, er habe nur wenige in Korinth getauft (I Cor. i. 12-17). Meist wird angenommen, die korinthischen Gruppen hätten sich in einer mysteri­enhaften Beziehung zu ihren Aposteln gewußt.1 Diese Deutung könnte richtig sein, schließt jedoch eine weiter gehende Analyse nicht aus. Gesichert ist zudem nur, daß sich die Gruppierungen in einem besonderen Verhältnis zu ihrem Apostel wußten. Wer trat aber in einer Gemeinde in ein besonderes Verhältnis zu umherziehenden Aposteln? An erster Stelle doch wohl diejenigen, die den Missio­naren Unterkunft und Unterhalt boten. Die in Frage stehenden Beziehungen dürften daher nicht ausschließlich 'mysterienhaft' gewesen sein; sie haben wohl eine handfeste materielle Basis. Wenn nun einige Gemeindeglieder 'ihren' Missio­nar priesen, was taten sie anders, als ihre eigene Uneigennützigkeit zu preisen. Niemand wollte natürlich sein Geld für einen Missionar zweiter Klasse ausgegeben haben. Daher hielt man jeweils den Missionar für den bedeutendsten, den man selbst unterstützt hatte (und von dem man gewiß auch theologisch beeinflußt war). War aber der Missionar bedeutend, so durften sich auch seine Anhänger in der Gemeinde für bedeutend halten. Der Streit zwischen den verschiedenen Parteien könnte daher ein Gerangel um die innergemeindliche Prestigeskala gewesen sein. Paulus sieht seine Ursache darin, daß sich die Korinther überein­ander 'aufblähen' (I Cor. iv. 6).

Können wir noch etwas über den soziologischen Hintergrund dieser Kämpfe um das innergemeindliche Prestige sagen? Zumindest läßt sich eine Vermutung anstellen: Die Protagonisten der jeweiligen Parteien dürften zu den Christen aus den oberen Schichten gehört haben, zu den wenigen 'Weisen, Einflußreichen und Hochgeborenen', die Paulüs in der Gemeinde voraussetzt (I Co~. i. 26). Folgende Gründe sprechen für diese Annahme:

(1) Wir kennen die Namen derer, die Paulus selbst getauft hat und wohl zu seiner Partei gehört haben, da Paulus Taufbindung und Parteizugehörigkeit in Ver­bindung bringt. Sie sind gewiß keine armen Leute gewesen: Krispus war vor seinem Übertritt zum Christentum Synagogenvorsteher2 (Apg. xviii. 8 f.). Sein Übertritt hat viele beeindruckt; er muß ein angesehener Mann gewesen sein. Gaius begegnet uns Röm. xvi. 23 als' Gastgeber des Paulus und der ganzen Gemeinde'. Er verfügt also über größere Räume. In seinem Haus schreibt Tertius den Römerbrief, woraus man schließen kann, daß Dienstleistungen dieser Art in diesem Haus nichts Ungewöhnliche& sind. Stephanas hat sich nach I Cor. xvi. 15-18 dem 'Dienst an den Heiligen' gewidmet; er sucht Paulus in Ephesus mit zwei Familienangehörigen (oder Sklaven) auf. Paulus hat sich offensichtlich darauf beschränkt, einige einflußreiche und wichtige Gemeindeglieder zu taufen. Auf sie kommt es ihm im Zusammenhang mit dem Parteienstreit auf jeden Fall an: Interessanterweise erwähnt er die Mitglieder des Stephanashauses nicht namentlich, obwohl er sie getauft hat. Ihm kommt es nur auf das Familienober-

mittels dieses Apostels auch mit Christus. In I Cor. iii. 22 f. kehrt Paulus dies Verhältnis um: Alle Apostel gehören der Gemeinde, diese aber gehört (unmittelbar) zu Christus.

1 Vgl. U. Wi1ckens, Weisheit und Torheit (Tübingen, 1959), S. 12. Sehr bedenkenswerte Gegen­argumente bringt W. Schmithals, Gnosis, S. 374-6.

2 Den sozialen Status der in Korinth hervortretenden Christen habe ich in: 'Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde. Ein Beitrag zur Soziologie des hellenistischen Urchristentums', erscheint in Z.N. W. (1974), analysiert.

228 Legitimation und Lebensunterhalt [219]

haupt an. Die entscheidenden Leute der 'Pauluspartei' hatten einen relativ gehobenen Sozialstatus inne. Ein Analogieschluß auf die anderen' Parteien' liegt nahe, wenn man ein zweites Argument hinzunimmt.

(2) Zu den von Paulus namentlich hervorgehobenen Anhängern gehört auch Gaius, bei dem Paulus später wohnt (Röm. xvi. 23)' Die konkurrierenden Missio­nare forderten nun mehr als Unterkunft. Sie forderten Unterhalt. Sie waren also erst recht auf etwas begüterte Christen angewiesen: Ihre Gastgeber mußten über genügend Raum verfügen und über den eigenen Bedarf hinaus finanziellen Spielraum haben. Das gilt besonder dann, wenn sich die anderen Missionare auch noch die Weiterreise bezahlen ließen: Wo hätten sie sonst ohne eigene Arbeit Proviant und Geld hernehmen können ? War aber einmal ein angesehener 'Ha us­besitzer'l zum Apollos- oder Petrusanhänger geworden, so konnte sein Haus zum Treffpunkt und Zentrum kleinerer Gruppen in der Gemeinde werden. Zwar kommt die Gemeinde nach wie vor an einem Ort zusammen (I Cor. xi. 20); aber in Röm. xvi. 23 betont Paulus, daß Gaius Gastgeber der ganzen Gemeinde sei, woraus man indirekt erschließen kann, daß es anderswo Häuser gab, in denen nur ein Teil der Gemeinde zusammenkam.

(3) Wenn der Konflikt zwischen den Anhängern verschiedener Apostel ein Streit um den Prestigerang in der Gemeinde ist, der vorwiegend von den Christen mit gehobenen Sozialstatus ausgetragen wurde, wird die Gedankenführung in I Cor. i-iv verständlicher, vor allem der Übergang vom Thema 'Schismata' (i. ra-I7) zum Thema der Kreuzespredigt (i. 18 ff.). Aus der Kreuzespredigt folgert Paulus eine Umwertung aller Maßstäbe sozialen Ranges. Gott hat gerade das Nichtige, Prestigelose und Schwache erwählt. Die Gemeinde kommt zum größten Teil aus jenen Schichten, die in der Welt, d. h. innerhalb der antiken Gesellschaft, ohne Ansehen sind. In der Parteienfrage sind die wenigen 'Weisen, Einflußreichen und Hochgeborenen' (i. 26) die Adressaten des Paulus. Und wenn er in I Cor. iv. 9-13 seine eigene soziale Situation mit der der Korinther kontras­tiert - genauer mit derjenigen der 'klugen', der 'starken' und 'angesehenen' Korinther (iv. ro) - so führt er wohl nicht zufällig auch seine Handwerksarbeit auf, als gebe es unter den angeredeten Korinthern Christen, die sich nicht mit eigenen Händen ihren Lebensunterhalt verdienen mußten. Wie aus dem Kontext (I Cor. iii. 18 - iv. 9) hervorgeht, sind die für die Parteibildungen Verant­wortlichen angeredet.

(4) In I Cor. ix verbindet Paulus seinen Appell an die Starken zum Rechtsver­zicht mit einer Verteidigung gegen Angriffe wegen seines Verzichts auf das Unterhaltsrecht. Auch hier muß er sich gegen ihn abwertende Vergleiche mit anderen Aposteln wehren: Er bringt hier jene Apologie (ix. 3), die ihm angesichts eines' menschlichen Gerichtstages' (iv. 3) leicht fällt. Die Vorwürfe werden von Mitgliedern der anderen Parteien erhoben worden sein. Falls nun der Vorwurf, er sei auf Grund seiner Handwerksarbeit unfrei (I Cor. ix. I) aus ihren Reihen gekommen ist, so wird man dabei kaum an Leute denken können, die sich damit selbst der Unfreiheit bezichtigt hätten. Daß gleichzeitig die Starken angeredet sind, spricht ebenfalls für unsere These: Diese gehörten wahrscheinlich den höheren Schichten an.

1 Für die Existenz von Hausbesitzern könnte I Cor. xi. 22 sprechen. Ihre Bedeutung für den Aufbau der Gemeinden hat F. V. Filson, 'The Significance of the Early House Churches', ].B.L. LVIII (1939),105-12, herausgearbeitet.

[220J Legitimation und Lebensunterhalt 229

(5) Die Informanten des Paulus hinsichtlich des Parteienstreits sind' Leute der Chloe'. Der Gemeindebrief hat kaum Hinweise auf den Parteienstreit enthalten. Nun dürfte dieser Gemeindebrief von Leuten verfaßt worden sein, die eine gewisse (Halb-) Bildung aufweisen. In ihm klingen populärphilosophische Topoi an (I Cor. viii. I, x. 23). Die mündlichen Nachrichten scheinen dagegen von Leuten überbracht worden zu sein, welche die korinthischen Gemeindeprobleme aus einer Perspektive' von unten' sehen. Sowohl in I Cor. i. I2 ff. wie xi. I7-34 stellt sich Paulus dezidiert auf die Seite von Gemeindegliedern aus unteren Schichten, auf die Seite der einflußlosen und wenig geachteten Christen (i. 26 ff.) und derer, die 'nichts haben' (xi. 22). Wahrscheinlich sind ihm die Probleme auch von Gemeinde­glieder geschildert worden, die selbst zu den unteren Schichten gehörten, zumindest aber die Sachlage aus dieser Perspektive sehen konnten. Was den Parteienstreit angeht, so können wir aus dem Namen der Informanten (' die der Chloe' i. I I) sogar erschließen, daß es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Sklaven gehandelt hat: Familienangehörige hätten sich nach dem Vater genannt, auch wenn er verstorben wäre. Der Parteienstreit ist von diesen Leuten offensichtlich negativ beurteilt worden - kein Wunder, falls es sich um eine Angelegenheit einiger angesehener Gemeindeglieder gehandelt hat, die um den größten Einfluß in der Gemeinde konkurrierten.

Im 11 Cor. hören wir nichts mehr vom Streit der Parteien. Hier scheinen viel­mehr fast alle Korinther gemeinsam gegen Paulus Stellung zu nehmen. In der Struktur ist der neue Streit aber vergleichbar: Die Stellungnahme gegen Paulus resultiert aus der Schätzung der neu eingetroffenen 'Überapostel'. Diese werden kaum bei denen untergekrochen sein, die beim korinthischen Herrenmahl als 'Nicht-Habende' dastehen (I Cor. xi. I7 ff.). Ihre Anhänger sind gewiß nicht die Ungebildesten gewesen: Briefe wissen sie zu schätzen, an Auftreten und Rhetorik des Paulus erheben sie gewisse Ansprüche (11 Cor. x. ro). Paulus argumentiert ihnen gegenüber mit einer Fülle populärphilosophischer Anspielungen, die nicht jeder verstanden haben wird.

Alle Beobachtungen zusammen erlauben die begründete Vermutung, daß die Protagonisten der Parteien in Korinth Mitglieder höherer Schichten waren. Natürlich hatten sie jeweils Anhänger auch in den unteren Schichten. Der Hochgestellte ist oft auch meinungsbildend für andere. Ursache des Streites ist der Wunsch, sich über den anderen' aufzublähen '(I Cor. iv. 6). Diesen Wunsch dürfen wir mit einiger Wahrscheinlichkeit bei den wenigen 'Weisen, Einfluß­reichen und Hochgeborenen' (I Cor. i. 26, iv. IO) voraussetzen.

Wir fassen das Ergebnis zusammen: In Korinth sind zwei verschiedene Typen urchristlicher Wanderprediger in Konflikt geraten, die sich als Wandercharismatiker und Gemeindeorganisatoren unterscheiden lassen. Anlaß des Konflikts war die verschiedene Stellung zur charismatischen Armut des Wanderpredigers, zum 'Unterhaltsanspruch' an die Gemeinden. Die Konkurrenten des Paulus repräsentieren einen Typos, der im palästi­nensischen Bereich wurzelt und vom Ethos der Aussendungsrede bestimmt ist. Barnabas und Paulus vertreten dagegen einen Typos, der in hellenistisch­städtischem Bereich verankert ist und den Erfordernissen der Anfangsmission in diesem Bereich entspricht. Sozioökologische, -ökonomische und -kultu-

230 Legitimation und Lebensunterhalt [221]

relle Faktoren haben bei ihnen zu einer Änderung der vita apostolica und ihrer Normen geführt, insbesondere zum 'Unterhaltsverzicht'. Sekundär sind in die von ihnen erschlossenen Missionsgebiete Vertreter des anderen Typs eingedrungen, der dabei ebenfalls Änderungen unterworfen war. In Korinth konnte ihr Konflikt deshalb die ganze Gemeinde erfassen, weil er sich mit schichtspezifischen Unterschieden und Spannungen in der korinthi­schen Gemeinde überlagerte. Man darf über diesem Konflikt zweier Typen urchristlicher Wanderprediger jedoch nicht vergessen, daß beide im Grunde zum selben Typ sozialen Verhaltens gehören: Beide verkörpern eine spezifische Form religiös inspirierten sozial-abweichenden Verhaltens. Hier wie dort handelt es sich um Außenseiter. Diese Tatsache gehört auch zum Selbstbild des Paulus: Er ordnet sich um untersten Ende der sozialen Prestigeskala ein, ja, stellt sich im Grunde außerhalb der ganzen Gesellschaft, wenn er sich als 'Kehricht der Welt' und 'Abschaum aller' (I Cor. iv. 13) bezeichnet. Darin ist er vielleicht seinem Konkurrenten Petrus vergleichbar: Dessen Beiname 'Barjona' könnte so viel wie 'outlaw' bedeuten.1

All diese Menschen hatten ihre bisherige soziale Welt verlassen. Eine große religiöse Unruhe, die ohne Zweifel in Zusammenhang mit den Kon­flikten der damaligen Gesellschaft steht, trieb sie auf die Straße, machte sie zu vagabundierenden Wanderpredigern, zu Außenseitern und 'outlaws'. Hier, am Rande der Gesellschaft, suchten sie in oft exzentrischen Einsichten, Visionen, Dichtungen und Handlungen nach einer neuen Lebensform. Sie wußten sich als' Salz der Erde'. Und in der Tat waren sie das cor inquietum einer von Konflikten bestimmten Gesellschaft, waren sie der' Geist geistloser Zustände' (K. Marx),2 Geist von Gruppen, über die sonst die Weltgeschichte mit Schweigen hinweggegangen ist. Aus ihrem Studium darf man wohl dies lernen: Wenn eine Religion aufhört, das cor inquietum einer Gesellschaft zu sein, wenn in ihr nicht mehr das Verlangen nach neuen Lebensformen lebendig ist, wenn sie zum Ungeist geistloser und geistlicher Zustände wird, dann dürfte die Vermutung einiges für sich haben, daß sie erloschen ist. Dann kann sie auch keine interpretatorische Kunst zum Leben erwecken. Dann stellt sich aber um so mehr die Frage: 'Wenn aber das Salz stumpf geworden ist, womit soll man dann salzen?' (Mt. v. 13)'

1 Vgl. M. Hengel, Zeloten, S. 57. • 'Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie " in: Frühschriften, hrsg. v. S. Landshut

(Stuttgart, 1964), S. 208.

[232]

9.

Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde

Ein Beitrag zur Soziologie des hellenistischen Urchristentums

Welchen Schichten gehörten die Christen der hellenistischen Gemeinden außerhalb Palästinas an? Zu dieser Frage gibt es ver­schiedene Stellungnahmen. Nach A. Deissmann war das Urchristen­tum eine von den unteren Schichten getragene Bewegung: »Nur weil das Neue Testament, menschlich geredet, hervorgegangen ist nicht aus der matten, resignierten Kultur eiher abgelebten Oberschicht, ... , sondern aus der unverbrauchten und durch die Gegenwart und Zukunft des Göttlichen gestählten Kraft von unten (Matth 11 25f. 1 Kor 1 26-31),

nur deshalb konnte es das Buch der Menschheit werden«l. Entgegen­gesetzt lautet das Urteil von E. A. ]udge: »Die Christen also waren, wenn man die Korinther als einigermaßen typisch ansehen kann, nicht nur keine sozial unterdrückte Schicht, sondern das in ihnen vorherr­schende Element stammte aus der selbstbewußten sozialen Ober­schicht der Großstädte«2. Beide Urteile berufen sich auf die Zusammen­setzung der korinthischen Gemeinde, beide lassen sich daher durch eine soziologische Auswertung aller Nachrichten über diese Gemeinde überprüfen. Beide Urteile sind wahrscheinlich berechtigt. Denn - diese These soll im folgenden vertreten werden - die korinthische Gemeinde ist durch eine innere soziale Schichtung charakterisiert: Einigen tonangebenden Gemeindegliedern aus der Oberschicht steht die große Zahl von Christen aus den unteren Schichten gegenüber. Diese innere Schichtung ist nicht zufällig, sondern hat strukturelle Gründe. Die soziale Zusammensetzung der korinthischen Gemeinde dürfte daher für die hellenistischen Gemeinden überhaupt charakte­ristisch sein. Um diese These zu begründen, ist zunächst eine syste­matische Auswertung aller Aussagen über die korinthische Gemeinde notwendig, und zwar 1. von Aussagen über die ganze Gemeinde,

1 A. Deissmann, Licht vom Osten, Tübingen 41923, 115. 2 Christliche Gruppen in nichtchristlicher Gesellschaft. Die Sozialstruktur christ­

licher Gruppen im ersten Jahrhundert, Neue Studienreihe 4, Wuppertall964, 59. J udge betont allerdings, daß im Gefolge der höheren Schichten auch Mitglieder der unteren Schichten in die christliche Gemeinde kamen. Vgl. ferner R. Knopf, über die soziale Zusammensetzung der ältesten heidenchristlichen Gemeinden, ZThK 10, 1900, 325-347; E. v. Dobschütz, Die urchristlichen Gemeinden, Leipzig 1902,19; J. Weiss, Der erste Korintherbrief, Göttingen 1910, XVI.

232 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [233]

2. von Aussagen über einzelne Gemeindeglieder, 3. von Aussagen über Teile der Gemeinde. In einem zweiten Teil muß das Ergebnis gedeutet werden. Hier ist nach den strukturellen Gründen zu fragen, welche die innere Schichtung der korinthischen Gemeinde verständlich machen, sei es, daß diese in der sozialen Struktur der Stadt Korinth begründet sind, sei es, daß sie sich aus der Struktur paulinischer Mission ergeben. Abschließend soll kurz die Bedeutung sozialer Schichtung für Ge­schichte und Selbstverständnis des Urchristentums erörtert und Ar­beitshypothesen für weitere religions soziologische Forschungen skiz­ziert werden.

I. Soziologische Auswertung von Aussagen über die korinthische Gemeinde

A. Aussagen über die ganze Gemeinde

Paulus hat die soziale Zusammensetzung der korinthischen Ge­meinde mit eigenen Worten geschildert:

»Sehet doch nur eure Berufung an, ihr Brüder: Nicht viele Weise nach dem Fleische, nicht viele Mächtige, nicht viele Leute von vornehmer Geburt (sind beru­fen), sondern was vor der Welt töricht ist, hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache, und was vor der Welt schwach ist, hat Gott erwählt, damit er das Starke zuschanden mache, und was vor der \Velt niedriggeboren und was ver­achtet ist, hat Gott erwählt, das, was nichts gilt, damit er das, was gilt, zunichte mache, auf daß sich kein Fleisch vor Gott rühme(, (1 Kor 126-29).

Auf den ersten Blick scheint diese Stelle die romantische Vorstel­lung eines proletaroiden Urchristentums zu bestätigen, einer religiösen Bewegung unterer Schichten. Aber analysieren wir die Stelle genauer. Paulus nennt drei Kategorien von Menschen: Weise, Mächtige und Leute von vornehmer Geburt. Mit den Worten »Weise« und »Mächtige« greift er auf vorhergehende Gedanken über Weisheit und Torheit, Macht und Schwäche zurück. Mit euyeveis bringt er ein neues Moment ins Spiel, nämlich eine spezifisch soziologische Kategorie, die er in besonderem Maße hervorhebt. Denn bei der Wiederholung des Ge­dankens in v. 27f. setzt er den euyeveis nicht nur das »Niedriggeborene« entgegen, sondern verstärkt diesen Gegensatz euyeveis - äyevfj durch zwei weitere Bestimmungen: TC: E~ovBeVT)~.lIivcx und TC: IlTJ OVTCX. So richtig es ist, daß durch diese Bestimmungen soziale Sachverhalte in theologischem Licht gesehen werden3, so wenig lassen sich die sozio-

3 Unverkennbar ist, daß Paulus hier den Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts auf einen sozialen Sachverhalt anwendet. Zur creatio ex nihilo vgl. 2 Makk 7 28;

Philo op. mundi 81; spec. leg. IV, 187; Bar Apk (syr) 21 4f.; Herrn mand I, 1 Herrn vis I, 1, 6; 2 Clem 18: EKaAEO"Ev yap ';I-lO:S, OVK ÖVTas Kat ti6eAllO"EV EK I-lf} ÖVTOS elval ';I-lO:S. Der Unterschied von I-l'; und 1-l1l5ev ist wenig relevant vgl. 1 Kor 1122 mit 2 Kor 610.

[234] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 233

logischen Implikationen dieser Begriffe leugnen4• »Nichtigkeit«, OVOEVfeX, ist u. a. ein Topos aus der Philosophenverspottung5 : Der wahre Weise Sokrates gilt als )>nichtig« (Plato, Phaidr. 234 E, Theait. 176 C). In seiner Nachfolge steht Epiktet, wenn er das Urteil anderer über ihn antizipiert, er sei )>nichts(<: ovoev Tjv 0 , ElT1K'TllTOS (Epikt. Diss. III, 9, 14 vgl. IV, 8, 25, Ench. 24, 1). Wenn Paulus schreibt, daß die, die von der Gesellschaft, vorn Kocrl-lOS (1 Kor 128), für nichts geachtet werden, in Wirklichkeit Vertreter wahrer Weisheit seien, die in Christus verkörpert sei, so gibt er damit innerhalb griechischen Sprachbereichs auch Aufschluß über den sozialen Rang der Angeredeten in den Augen anderer. Noch deutlicher wird dies durch die hinzugesetzte Apposition Ta: IJTJ OVTO. Bei Euripides klagt Hekuba über der Götter Handeln, das die Hohen erniedrigt und die Niedriggeborenen erhöht: opw Ta: TWV ßEWV, WS Ta: I-lev lTVpyOVS' ave.:> Ta: 1J1l0ev OVTO, Ta: ~E OOKOVVT' CrnWAEcrOV und Andromache bekräftigt in ihrer Antwort: . . . Ta 0' EVYEves Eis OOVAOV TlKEI, IJET0I30Aa:S TO\o:crOE EXOV (Tr. 612ff.). Dieser Gegensatz von 1-l1l0ev WV und EVYEVES begegnet ebenfalls bei Sophokles (Ai. 1094-7) OVK av ... ßOVlJo:cr<X1IJ' ETI, ÖS 1J1l0ev wv yovoimv Ete' OI-l0PTO:VEI, oe' oi OOKOVVTES EVYEVEiS lTE<pUKEV<X1. Da nun der hier belegte Sprachgebrauch von 1-l1l0EV im Sinne eines Urteils über sozialen Rang auch im helle­nistischen Judentum belegt ist (Philo de virt. 173f.), dürfen wir auch für Paulus annehmen, daß Ta: IJTJ OVTO ein soziologisches Bedeutungs­moment enthält, zumal es in Gegensatz zu EVYEVEiS steht. Die letzte der drei aufgezählten Kategorien (Weise, Mächtige, Hochgeborene) hat also eindeutig soziologischen Sinn. Da gerade dies Glied der Auf­zählung über die Stichworte des vorhergehenden Kontextes hinaus­greift, wird man schließen dürfen, daß Paulus in dem neuen Abschnitt (1 Kor 126fr.) einen sozialen Sachverhalt vor Augen hat und wahr­scheinlich auch die ersten Kategorien soziologisch verstanden wissen will: Mächtige wären dann Leute mit Einfluß, Weise Angehörige gebildeter Schichten, nämlich »Weise nach irdis.chen Maßstäben«, bei denen Weisheit auch Zeichen sozialen Status ist. Hätte Paulus hier nicht auch an soziologische Kriterien gedacht, hätte er die drei Kate­gorien kaum nebeneinanderstellen können und ihnen insgesamt die Erwählung des Nichtseienden, des I-lTJ WV, entgegensetzen können. Zu­dem kann auch Philo Starke, Mächtige und Verständige in ähnlicher Weise verbinden, wenn er schreibt (de somniis 155): »Entstehen nicht immer wieder Herrscher aus Privatleuten, Privatleute aus Herrschern, Arme aus Reichen, und aus Armen Besitzer von viel Vermögen, Ange-

4 V gl. J. Bohatec, Inhalt und Reihenfolge der, Schlagworte der Erlösungsreligion'

in 1 Kor 126-31, ThZ 4, 1948, 252-271.

5 Zu diesem Topos ausführlich H. D. Betz, Der Apostel Paulus und die sokratische Tradition, BHTh 45, Tübingen 1972, 123-130.

234 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [235J

sehene aus Nichtbeachteten, die Berühmtesten aus Ruhmlosen, Starke (iCY)(vpoi) aus Schwachen (6:cr6eveis), Mächtige (5VVCXTOi) aus Machtlosen, Verständige (cruvEToi) aus Törichten und die Klügsten aus Unklugen? « Über die soziologischen Implikationen von 1 Kor 126-29 kann m. E. kein Zweifel bestehen.

Wenn Paulus nun sagt, es gebe nicht viele Weise, Einflußreiche und Vornehme in der korinthischen Gemeinde, so steht ja eins fest: daß es einige gegeben hat. Schon Origenes wandte das gegen die Mei­nung des Celsus ein, im Christentum fände sich nur niedriges Volk zu­sammen6 • Mag nun ihr zahlenmäßiger Anteil gering gewesen sein, ihr sachliches Gewicht muß um so größer eingeschätzt werden. Paulus hielte es sonst kaum für nötig, einen großen Teil seines Briefes der Auseinandersetzung mit ihrer Weisheit zu widmen. Er könnte sie auch nicht mit der ganzen Gemeinde identifizieren, wenn er schreibt: »Wir sind töricht um Christi willen, ihr aber seid klug in Christus; wir sind schwach, ihr aber seid stark; ihr seid geehrt, wir aber verachtet« (lKor 410). Hier finden wir wieder die drei Kategorien, wenn auch in modifizier­ter Terminologie : Weise, Mächtige und Geachtete. Wieder haben sie auch soziologischen Sinn. Denn Paulus kontrastiert seine Situation mit der korinthischen durch Begriffe, denen man kaum soziologische Impli­kationen abstreiten kann: Er, Paulus, arbeite mit seinen Händen, leide Hunger, habe keine bleibende Wohnstätte, werde verfolgt; er sei »Kehricht der Welt« und »Abschaum aller« (411-13)7. Paulus ordnet sich hier am untersten Ende sozialer Prestigeskala ein; die Korinther aber sieht er ganz oben. Dabei redet er die ganze Gemeinde an: Ihr seid klug, stark, geachtet, obwohl er vorher erst festgestellt hat, es gäbe >>nicht viele« Weise, Mächtige und Angesehene. Daraus läßt sich nur schließen: Das >>nicht viele« besagt nicht viel. Paulus will in 1 Kor 126ff. nicht die Bedeutung von Gemeindegliedern höherer Schichten bestreiten, sondern tritt eher deren allzu stark entwickeltem Statusbewußtsein entgegen. Natürlich hat er recht: Diese Vertreter höherer Schichten waren eine Minorität in der Gemeinde, aber, wie es scheint, eine dominierende Minorität. Wenigstens lassen sich eine Reihe der aktiv in Erscheinung tretenden korinthischen Gemeinde­glieder ihnen zurechnen.

B. Aussagen über einzelne Gemeindeglieder

Bei der Auswertung von Aussagen über einzelne Personen ist Vorsicht geboten. Apokryphe Legenden haben schon immer mehr von

8 Or. c. Cels. III, 48. 7 TIepIKa66:PIlCXTCX wird wie in Philo de virt. 174 K6:6cxPllcx in soziologischem Sinne zu

verstehen sein. Die Bedeutung »Sühnopfer« ist erst in späteren Quellen belegt. Vgl. H. Conzelmann, Der erste Brief an die Korinther, Göttingen 1969, 109 Anm.49.

[236] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 235

den im NT erwähnten Personen wissen wollen als im NT steht. Mo­deme Exegese sollte diese Tendenz nicht fortsetzen, sondern ihre (durchaus berechtigte) Neugier methodischen Kriterien unterwerfen. Als Kriterien für einen gehobenen Sozialstatus dienen im folgenden Aussagen über Ämter, )Häuser«, Dienstleistungen für die Gemeinde und Reisen. Die beiden ersten Kriterien betreffen die Stellung, die beiden letzten Tätigkeiten. Jedes Kriterium wirft spezifische Probleme auf.

1. Die Erwähnung von Amtern

Aus Act 188 erfahren wir, daß Krispus, einer der ersten Christen, Synagogenvorsteher der jüdischen Gemeinde war. Sein übertritt zum Christentum war für die Gemeindegründung wahrscheinlich von großer Bedeutung: Er löst eine Welle von übertritten aus ()Und viele Korinther, als sie es hörten, wurden gläubig und ließen sich taufen« Act 18 8). Paulus erwähnt ihn in 1 Kor 114 an erster Stelle unter den wenigen von ihm getauften Gemeindegliedern, sagt jedoch nichts über seine ehemalige Stellung in der Synagoge.

Der Synagogenvorsteher8 war Leiter des jüdischen Gottesdienstes, nicht Vorsteher der Gemeinde überhaupt. Er regelte Schriftlesung und Ansprachen (vgL Act 1314, wo jedoch mehrere Synagogen­vorsteher begegnen). In unserem Zusammenhang ist besonders wich­tig, daß er für das Synagogengebäude zu sorgen hatte9 • Da dessen Instandhaltung Geld kostete, empfahl es sich, einen begüterten Mann mit diesem Amt zu betrauen, der gegebenenfalls in der Lage war, durch eigene Spenden die Gemeindekasse aufzufüllen. Dies wird durch eine Reihe von Inschriften bestätigt, auf denen Synagogenvorsteher ihre Aufwendungen für die jüdischen Gottesdienstgebäude verewigt haben. Ein Theodoros hat in Aegina (also nicht weit von Korinth) vier Jahre lang eine Synagoge von Grund auf neu gebaut, allerdings mit Geldern aus Synagogenbesitz und Kollekten, wie er ausdrücklich feststellt (Frey Nr. 722 = CIG 9894; IG = Inscriptiones Graecae, Berlin 1873ff. IV 190). Aber auch EK TWV iS 1c.v V, d. h. aus eigenen Mitteln,

B Zum Amt des Synagogenvorstehers vgl. E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes Bd. II, Leipzig 41907, 509-512, und J. B. Frey, Corpus Inscriptionum Iudaicarum I, Rom 1963, XCVII-XCIX (im folgenden zitiert als: Frey). Daß Sosthenes als Archisynagoge die Klage der jüdischen Gemeinde vor dem Pro­curator Gallio vertritt (Act 1817), ist merkwürdig: Das wäre eher Aufgabe der ÖPXOVTES gewesen. Vielleicht war er es in Personalunion.

9 Daß in Korinth eine Synagoge existierte, geht aus einer Inschrift hervor (vgl. B. D. Meritt, Greek Inscriptions. Corinth, Results of Excavations conducted by the American School of Classical Studies at Athens VIII, 1, Cambridge 1931, Nr. 111; im folgenden: zitiert als: Meritt). Der Stil der Inschrift weist jedoch in spätere Zeit (vgl. Meritt, 79).

236 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [237J

haben Synagogenvorsteher Ausbesserungen vorgenommen: in Porto (Frey Nr. 548) und Akmonia (Frey Nr. 766). Auch eine Inschrift in Side (Frey Nr. 781) ist wahrscheinlich so zu deuten: Ein epPOVT1OT1lS TTlS ayIWTem,S TIPWTTjS O"vvaywyfjs hat hier Ausbesserungen vorge­nommen. Am bekanntesten ist wohl die Inschrift des Theodotos in Jerusalem (Frey Nr. 1404; vgl. A. Deissmann, a. a. 0., 378-380):

»Theodotos des Vettenos Sohn, Priester und Synagogenvorsteher, Sohn eines Synagogenvorstehers, Enkel eines Synagogenvorstehers, erbaute die(se) Synagoge zur Vorlesung des Geset~es und zulI). Unterricht in den Geboten, ebenso auch das Fremdenhaus und die Kammern und die Wasseranlagen für die (Pilger) aus der Fremde, die eine Herberge brauchen. Den Grundstein dazu hatten gelegt seine Väter und die Ältesten und Simonides.«

Daß die Archisynagogen angesehene Menschen waren - auch über den Kreis der jüdischen Gemeinde hinaus -, kann man einer Grabinschrift eines Staphylos aus Rom entnehmen (Frey Nr. 265 = E. Diehl, Inscriptiones latinae christianae veteres, Berlin 1925-31, Nr. 4886): »Staj(f)ylo arc(h)onti et archisynagogo honoribus om­nibus ju(n)ctus restituta coniux benemerenti jecit. 'Ev Eipi}v1J iJ KOl(JT]O"IS O"OV(~. Die Wendung »omnibus honoribus functus(~ begegnet oft auf Grabinschriften und sagt, daß der Verstorbene angesehene Ämter im Munizipium, in der Kolonie, der Polis oder einem Verein inne gehabt hapo. Ein großer Teil der von Archisynagogen überlieferten Inschriften hebt demnach hervor, daß sich die Inhaber dieser Ämter durch Ini­tiative und Spenden um die jüdische Gemeinde verdient gemacht haben. Sie waren gewiß nicht die ärmsten Mitglieder der Gemeinde. Auch von dem korinthischen Archisynagogen Krispus dürfen wir an­nehmen, daß er einen gehobenen Sozialstatus inne hatte. So erklärt sich, daß seine Bekehrung auf andere Menschen großen Eindruck machtell.

Viel umstrittener ist der Status des am Schluß des Römerbriefs als OiKOVO(JOS TfjS TIOAEWS grüßenden Erastos (1623): War er Inhaber eines hohen städtischen Amtes, in das man ihn gewählt hatte - oder war er nur ein kleiner, in der Finanzverwaltung tätiger Mann, wo­möglich ein Sklave, der Eigentum der Stadt war: ein arcarius rei publicae (Die Vulgata übersetzt mit arcarius civitatis)l2? Das Problem muß auf drei Ebenen diskutiert werden. Zunächst sind alle ntl Aus­sagen auszuwerten, dann außerntl Parallelen, entscheidend ist aber die Analyse der inschriftlich belegten korinthischen Ämter.

10 Vgl. Frey, 187.

U Vgl. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, MeyerK 131961, 472. 12 Für die letztere Möglichkeit plädiert H. J. Cadbury, Erastus of Corinth, JBL 50,

1931, 42-58. Der Genitiv T1lS rr6Aews wäre in diesem Fall wahrscheinlich als Geni­tivus possessionis aufzufassen.

[238] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 237

a) Die neutestamentlichen Aussagen

Der Begriff OiKOVOIlOS begegnet in Gal 42 neben hrhpo'ß'os, in 1 Kor 41 neben v'ß'T]pe-rT]S; über den Sozialstatus eines OIKOVOIlOS geht daraus wenig hervor: Er steht im Dienste eines anderen (des Vaters bzw. Christi), aber ist mit großen Vollmachten ausgestattet. Wichtiger ist eine andere Beobachtung. Nur in Röm 1623 nennt Paulus den weltlichen Status eines Gemeindegliedes. Daß der von ihm erwähnte Krispus Archisynagoge war, wissen wir nur aus Act; ebenso, daß Aquila und Priscilla von einem Handwerksbetrieb lebten (Act 183). Nur bei Sklaven spielt Paulus in summarischer Weise auf den Sozialstatus an: vgl. TOVs EK TOOV 'AplCTTOßOVAOV (Röm 1610, dazu 1611 Phil 422). Außerdem hebt er hin und wieder hervor, wenn ein Gemeindeglied jüdischer Abstammung ist. Ansonsten interessieren ihn allein Ver­dienste innerhalb der Gemeinde. Allein bei Erastos weicht er von dieser »Regel"« ab. Wollte er hier dessen abhängigen Status betonen, so wäre das nicht sehr taktvoll, zudem vorher Gaius erwähnt wird, der wohlhabend genug ist, um sein Haus für Paulus und die ganze Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Wenn schon ausnahms­weise einmal der weltliche Rang eines Gemeindegliedes genannt wird, so ist wahr­scheinlicher, daß es sich um einen erwähnenswerten, relativ hohen Rang handelt.

Ein Erastos wird noch zweimal im NT erwähnt. In 2 Tim 420 schreibt ein deuteropaulinischer Verfasser: »Erastos blieb in Korinth«. Erastos gilt hier als Reise­begleiter des Paulus wie in Act 19 ~2: Paulus schickt Erastos zusammen mit Timo­theus nach Makedonien, um dann selbst über Makedonien nach Achaia (d. h. doch wohl: nach Korinth) und Jerusalem zu reisen. Die Identität' dieser »Erastoi« ist natürlich nicht sicher, ja man könnte argumentieren, es habe im pln Missionsfeld mehrere Erastoi gegeben und daher müsse Paulus sie durch einen Zusatz in Röm 16 23 unterscheiden; Paulus selbst erwähnt jedoch nirgends einen zweiten Erastos. Für die Identität der drei »Erastoi« spricht zudem, daß immer eine Verbindung zu Korinth gegeben ist. Falls Erastos einmal in Ephesus war (wie Act 1922 voraussetzt), wäre ferner sein Gruß in Röm 1628 durchaus angebracht; das letzte Kapitel des Römer­briefs ist ja möglicherweise an die ephesinische Gemeinde adressiert gewesen. Für unser Problem folgt: Ein auf Reisen befindlicher Erastos kann kaum ein Sklave gewesen sein; und wenn seine Reisen Legende sein sollten, so ist doch unwahrschein­lich, daß sich solche Legenden an einen Sklaven knüpfen13•

Innerhalb des ntl Befunds bleibt als stärkstes Argument für einen niedrigen Sozialstatus des Erastos die übersetzung der Vulgata: »arcarius civitatis« meint in der Tat einen untergeordneten Finanzverwalter, meist einen Sklaven. Diese über­setzung könnte jedoch von 1 Kor 126ff. beeinflußt sein. Danach erwartet man unter den Gemeindegliedern zunächst keinen höheren städtischen Beamten. Darüber hinaus ist der spezifisch lateinische Sprachgebrauch zu berücksichtigen: Die Römer haben den griechischen Begriff OIKOVOIlOS hin und wieder übernommen, aber ihn für die unteren Chargen reserviert14• Das führt zum nächsten Punkt.

13 H. J. Cadbury, a. a. 0., 42ff., identifiziert einerseits die drei im NT genannten Erastoi, behauptet aber andererseits, Erastos sei wahrscheinlich ein Sklave gewesen. Man kann m. E. nicht beides zugleich annehmen.

14 So U. Wilcken, Griechische Ostraka aus Aegypten und Nubien. Ein Beitrag zur antiken Wirtschaftsgeschichte Bd. I, München 1899 = Amsterdam 1970, 499: »Die alten rein griechischen Titel haben sich nur bei den niederen Chargen erhalten, die unter den KpchlO"TOI standen, so die olKoVOIlOI ... «. Das gilt zunächst jedoch

238 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [239]

b) Der allgemeine Sprachgebrauch

Die Bedeutung des Wortes O!K0110j.10S variiert geographisch und zeitlich. In seinen epigraphischen Untersuchungen zum O!K0110j.10S kommt P. Landvogt15 zu dem Ergebnis, daß dieser Begriff in hellenistischer Zeit (und später) ein hochstehen­des Amt bezeichnen kann, sei es einen königlichen Beamten oder ein Wahlamt in den hellenistischen Städten. In unserem Zusammenhang interessieren nur die letzteren Belege, die vor allem aus dem westlichen Kleinasien stammen. Auch die Wendung O!K0110j.10S Ti;s 'lTOAec.:lS ist hier mehrfach belegt:

Philadelphia (Landvogt, 26f.): Ein Ti;s 'lTOAec.:lS O!K0110j.10S stellt eine Stele auf. Die Inschrift stammt aus der Kaiserzeit.

Smyrna (BM = The Collection of Ancierit Greek Inscriptions in the British Museum, London 1874-1916 III, 2448 und 469; Landvogt, 28f.): Ende des~. Jh. v. Chr. bringt der O!K0110j.10S zusammen lnit Priestern ein Opfer dar, für das er das Geld bereitstellt. Er hat ein hohes Amt inne. Für die rölnische Zeit ist in Ephesus ein Taj.1ias bezeugt (BM III 636).

Magnesia (0. Kern, Inschriften von Magnesia, 1900 Nr. 98. 99. 100. 101. 103. 97.94.89.12; Landvogt, S. 31-36): Hier besteht im 2. Jh. v. Chr. ein Kollegium von O!K0110j.101 lnit kultischen und politischen Pflichten. Es verwaltet die städtischen Finanzen.

Priene (F. J. W. Hiller v. Gaertringen, Inschriften von Priene, Berlin 1906, Nr. 6.18. 83. 99.108.117.119.107.115; Landvogt, 36-44): Vom 4. bis ins 1. Jh. v. Chr. ist hier ein jährlich zu wählender OiK0110j.10S Ti;s 'lTOAec.:lS (so in Nr. 83. 99. 108. 109.117.115) belegt. Er verwaltet die Stadtfinanzen zusamm~n lnit dem l1ec.:l'lTolT]S, dem Verwalter der Tempelkasse, und übernimmt im 1. Jh. v. Chr. auch dessen Funktionen.

Aphrodisia (CIG 2811; Landvogt, 44): Ein OiK0110j.10S des Rates der Stadt verwaltet dessen Kasse. Die Inschrift stammt aus rölnischer Zeit.

Stratonicea (CIG 2717; Landvogt, 44): Zur Zeit des Kaisers Valerian (3. Jh.n. Chr.) fragt ein O!K0110j.10S im Auftrag der Stadt die Götter, ob heranrückende Barbaren die Stadt zerstören werden. Auch hier muß es sich um einen hohen städti­schen Beamten handeln.

Hierapolis (W. Judeich, Altertümer von Hierapolis, 1898, Nr. 34; Inscrip­tiones Graecae ad res Romanas pertinentes, Paris, 1906ff. (= IGRom) 813; Land­vogt, 47): Zwei O!K0110j.101 Ti;s 'lTOAec.:lS sorgen für die Aufstellung einer Säule zu Ehren des Provinzialstatthalters - also aus rölnischer Zeit.

für Ägypten. Vgl. Strabo XVII, 1, 12 (über Ägypten): 'lTapE'lTOl1Tal Be TOVT01S cmeAeV6epoi Kaiaapos Kai O!K0110j.101, llEi~c.:l Kai EAclTrc.:l 'lTe'lTlO"TEVj.1E1101 'lTpclyj.1aTa. Die Stelle zeigt, daß jedoch u. U. auch gehobenere Aufgaben dem O!K0110j.10S anvertraut waren.

15 Epigraphische Untersuchungen über den O!K0110j.10S. Ein Beitrag zum ~~ll~nisti­schen Beamtenwesen, Diss. Straßburg 1908. Die relevanten Inschriften stammen fast alle aus Kleinasien. Ich habe keine Inschriften finden können, die das Bild wesentlich verändern und trage hier nur einige kleinasiatische Inschriften nach, aus denen jedoch nie eindeutig hervorgeht, ob es sich um städtische Beamte bzw. öffentliche Funktionen handelt: Monumenta Asiae Minoris Antiqua, Manchester, 1928ff. = MAMA VII, 1 VIII, :1:36. 386. 399.

[240] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 239

Aus einem unbekannten Ort in Phrygien ist das Gelübde eines OIKOVOI-lOC; TijC;

lToi\eooc; an die Göttermutter erhalten (CIG 6837; Landvogt, 48). Apollonia (Sylloge Inscriptionum Graecorum ed. W. Dittenberger, Leipzig

1898-1905,2. Auf!. = SIG2 545; Landvogt, 49): OIKOVOI-lOI, wahrscheinlich ein Kol­legium von Beamten, bestreiten die Kosten für eine Inschriftenstele (2. Jh. v. Chr.).

Der Begriff OIKOVOI-lOC; (TTjC; lToi\eooc;) bezeichnet in diesen Belegen eine gehobene Stellung. Es sind Beamte, die über Finanzen verfügen, Säulen aufstellen usw., in den einzelnen Städten jedoch verschiedene Kompetenzen haben. Es handelt sich nicht um die Kassenverwalter schlechthin. Neben ihnen steht häufig der Tcxl-licxc;. Ihr Verhältnis charakterisiert P. Landvogt S016: "Die Verschiedenheit bestand nach den festen Funktionen des Tcxl-licxC; und dem Namen OIKOVOI-lOC; zu schließen notwendig darin, daß a) der Tcxl-licxC; reiner Kassenbeamter war, der nur mit dem baren Gelde, wie es ein- und ausging, zu tun hatte; b) der OIKOVOI-lOC; ein Verwaltungsbeamter war, der mit dem gegenständlichen Besitze des Staates zu tun hatte, mit Grundstücken, kostbaren Geräten usw., also Funktionen vereinigte, die z. B. in Athen und in anderen Staaten auf die verschiedensten Beamten verteilt waren. Da der OIKOVOI-lOC; in der für ihn charakteristischen Stellung als Verwaltungsbeamter stark in die Finanzverwal­tung hineingezogen wurde, verschlingt denn leicht sein Amt das des Tcxl-licxC;, der ja z. T. nur auszahlte, was durch die Verfügung des OIKOVOI-lOC; einkam. So kann der OIKOVOI-lOC; an die Stelle des Tcxl-licxC; treten, tat es aber nicht durchgehend.« Das Amt des OIKOVOI-lOC; ist für die römische Zeit gut bezeugt (in Philadelphia, Smyrna, Aphro­disia, Stratonicea, Hierapolis; die Inschriften aus Priene stehen der Kaiserzeit nicht mehr fern). Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir ein ähnliches Amt in Korinth anneh­men dürfen.

Dennoch können wir daraus noch nicht auf einen gehobenen Sozialstatus des Erastos schließen. Denn es gab neben den genannten O!KOVOI-lOI (TijC; lToi\eoos) andere, die nachweislich (oder wahrscheinlich) Sklaven bzw. Freigelassene waren. Aus Nicomedien ist die Grabinschrift eines zwar wohlhabenden, aber ehemals unfreien OIKOVOI-lOC; Gajus Tryphon erhalten (CIG 3777; Landvogt, 26). Aus Kos stammen zwei Inschriften, bei denen ein OIKOVOI-lOC; TOOV Kcboov lToi\eooc; (W. R. PatonfE. L. Hicks, The Inscriptions of Cos 1891, Nr. 310; Landvogt, 24 vgl. CIG 2512) ohne Angabe des Vaters genannt wird und auch kein jährlich neu zur Wahl stehendes Amt bekleidet. Wahrscheinlich sind seine Inhaber Sklaven oder Freigelassene. Die Inschriften stammen aus der späteren Kaiserzeit. Der Name des Vaters fehlt auch in einer In­

schrift aus Chalcedon (CIG3793; Landvogt, 26): L'l.IOVVO"IOS, OIKOVOI-lOC; Ko:i\XTj60vioov,

und in Philadelphia (IGRom 1630). In einem Beamtenverzeichnis aus Sparta (CIG 1276; Landvogt, 23) wird ein C!>1i\06eO"lTOTOC; OIKOVOI-lOC; genannt, der in CIG 1239 als Sklave charakterisiert wird (vgl. ferner den Namen). Aus dem Sprachgebrauch allein läßt sich also für Röm 1623 kein eindeutiges Ergebnis ableiten. Die geographisch nächste Inschrift aus Sparta kennt einen Sklaven als OIKOVOI-lOS in städtischen Dien­sten17• Bevor man von dort auf die korinthischen Verhältnisse schließt, ist jedoch zu bedenken: Korinth ist eine römische Kolonie, deren politische Verhältnisse nicht mit den einer gewöhnlichen griechischen Stadt zu vergleichen sind. Andererseits stammt Paulus aus der kleinasiatischen Stadt Tarsos und hat sich lange gerade in dem Teil Kleinasiens aufgehalten, für den der OIKOVOI-lOC; als ein hochstehendes Amt bezeugt ist.

16 A. a. 0., 21. 17 Daher will H. J. Cadbury, a. a. 0., 49, die kleinasiatischen Parallelen ausschalten.

240 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [241]

Falls Röm 16 an die ephesinische Gemeinde adressiert ist, liegt es ohnehin nahe, daß Paulus den dort gebräuchlichen Sprachgebrauch18 übernimmt und möglicherweise ein in Korinth mit lateinischem Namen charakterisiertes Amt durch ein griechisches Äquivalent wiedergibt. Zwar ist der OiKOVOIlOS in Ephesus nur für das 4. Jh. v. Chr. bezeugt, dafür finden sich aber für die spätere Zeit in den unmittelbaren Nachbar­städten Magnesia (2. Jh. v. Chr.), Priene (1. Jh. v. Chr.), Smyrna (2./3. Jh. n. Chr.) Belege. Bleibt die Frage: Gab es ein Amt in Korinth, das Paulus mit dem Begriff OiKOVOIlOS meint und dessen Inhaber wahrscheinlich gehobenen Sozialstatus war?

c) Ämter in Korinth

Korinth war eine zweisprachige Kolonie: Caesar siedelte in ihr römische Frei­gelassene an19. Von Anfang an müssen auch Griechen zu ihr gehört haben: Ausgra­bungen zeigen, daß die Stadt nicht völlig zerstört war. Die Verfassung ist also rö­misch, die Amtssprache lateinisch20. Erst in der Zeit Hadrians überwiegen griechi­sche Inschriften. Für unser Problem ist diese Zweisprachigkeit natürlich besonders wichtig: Während die lateinischen Amtsbezeichnungen offiziell festgelegt waren, darf man u. U. für die griechischen Äquivalente einen flexibleren Sprachgebrauch erwarten.

An der Spitze der Kolonie (deren Verfassung nicht wesentlich von der eines municipiums abwich)21 standen jährlich zu wählende Duumviri22 und alle fünf

18 Vgl. auch W. A. McDonald, Archaeology and St. Paul's Joumeys in Greek Lands, Part III: Corinth, The Biblical Archaeologist 5, 1942, 36-48, der wohl das klein­asiatische Amt des OIKOVOIlOS im Auge hat, wenn er argumentiert: »The argument that oikonomos is translated arcarius in the Vulgata and that the arcarius in Ro­man cities was usually of servile origin, while the aedile was of higher social standing, loses its point when we take into account the fact that oikonomos to an easterner like Paul might denote one of very similar social position to a Roman aedile« (46 Anm. 2).

19 Zu den politischen Zielen der Kolonisationspolitik Caesars vgl. F. Vittinghoff, Römische Kolonisation und Bürgerrechtspolitik unter Caesar und Augustus, AAMz 1951, Nr. 14. Zu Korinth dort S. 85-87. Vgl. ferner A. H. M. Jones, The Greek City from Alexander to Justinian, Oxford 1940, 61-64.

20 Vgl. dazu die sorgfältigen Überlegungen bei J. H. Kent, The Inscriptions 1926-1950. Corinth, Results of Excavations VIII, 3, Princeton 1966, 18-19 (im fol­genden zitiert als: Kent). Aus der Zeit von Augustus bis Trajan sind bei Kent vier griechische Inschriften veröffentlicht (davon lassen sich zwei nicht sicher datieren), dagegen 101 lateinische Inschriften (nicht sicher datierbar sind hier 43). In der Zeit Hadrians bis Gallienus lassen sich dagegen nur 17 lateinische Inschriften nachweisen (5 sind hier nicht sicher datierbar) gegenüber 35 griechischen In­schriften (13 sind hier nicht sicher datierbar). Die lateinische Sprache hat sich gewiß auch deshalb durchsetzen und erhalten können, weil Korinth seit 27 v. Chr. Provinzialhauptstadt von Achaia war.

21 Vgl. W. Liebenam, Städteverwaltung im römischen Kaiserreich, Leipzig 1900, 460f., F. Vittinghoff, a. a. 0., 41-43: Der Unterschied zwischen Kolonie und Municipium lag zunächst in der Tatsache, daß es sich um römische Gründungen handelt, danach aber weniger in der rechtlichen Struktur als im verschiedenen Grad von Ansehen: Als Kolonie gehörte man zum »staatstragenden« römischen

[242] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 241

Jahre die besondel-s wichtigen Duumviri quinquennalis, deren Aufgabe die Durch­führung eines Zensus war_ Da (1TpaTTlYos lTEv-raETTlP1KOs diesem Duumvir quin­quennalis entspricht (Meritt Nr_ 86_ 81), können wir das viermal erhaltene O'TpaTTly6S (Kent Nr_ 371. 468; Meritt Nr_ 95_ 110) als Duumvir deuten. In der Tat entspricht das griech.ische Amt des crTpaTTly6s dem des Duumvir; Aufgaben sind: Einberufung von Rat und Volksversammlung, Vorsitz bei Sitzungen und Wahlen wie überhaupt die Interessenvertretung der Stadt. Teils aus Inschriften, teils aus Münzen kennen wir die Namen einer Reihe korinthischer Duumviri: 50/51 n. Chr., also zur Zeit der christlichen Gemeindegründung, waren ein Cn. Publicius Regulus und L. Paconius Flam(inius) Duumviri (Edwards Nr.51-53). 52/53 n. Chr. waren es Ti. Claudius Dinippus und Ti. Claudius Anaxilas (West Nr. 54) - was aber nicht ganz sicher ist23•

Nach dem Duumviri sind die angesehensten Beamten die zwei Ädilen24, die zusammen mit den Duumviri manchmal Quattuorviri genannt werden. Ihre Auf­gaben sind: Erhaltung und überwachung öffentlicher Plätze und Bauten, Getreide­versorgung und Abhaltung von Spielen. Für die isthmischen Spiele gab es in Korinth jedoch eigens einen tAgonotheten« (so auch in den lat. Inschriften), ein Posten von großem Prestige. Bei Versorgungsschwierigkeiten wurde außerdem ein curator annonae (griechisch: elTlIlEATlT";S EV6uv{as vgl. Meritt Nr. 76. 94) gewählt. In normalen Zeiten war aber auch das Aufgabe des Aedilen. Dies Amt ist in unserem' Zusammen­hang von großer Bedeutung. Denn ausgerechnet ein Erastus ist als korinthischer Aedil bezeugt. Die Inschrift wurde 1929 gefunden und ließ sich durch Funde aus dem Jahr 1928 und 1947 ergänzen25 • Die Rekonstruktion von Kent (Nr.232) lautet: [praenomen nomen] Erastus pro aedilit[at]e s(ua) p(ecunia) stravit

Volk. Vorrechte sind vor allem Kolonien zugute gekommen. Daher haben sich wohl Municipien darum beworben, Kolonien zu werden, nicht aber umgekehrt Kolonien darum, Municipium zu werden. Vgl. zur Kolonie ferner E. Kornemann, Art. coloniae, PW 7, Sp. 511-588. Die politische Struktur Korinths wird zusam­menfassend bei J. H. Kent, a. a. 0., 23ff., besprochen.

22 Zu den Duumviri vgl. W. Liebenam, a. a. 0., 250ff., zu den entsprechenden crTpa­TTlyoi, 289 f.

23 Vgl. A. B. 'West, Latin Inscriptions. Corinth, Results of Excavations, VIII, 2, Cambridge 1931,31-35 (im folgenden zitiert als: West). Anders Kent, 25, der an C. Julius Laconis f. Spartiaticus denkt.

24 Vgl. W. Liebenam, a_ a. 0., 263-265; Kubitschek: Art. Aedilis, PW I, Sp. 448-464; Kent, 27.

26 Zur Diskussion um die Erastusinschrift vgl. F. J. M. de Waele, Mededeelingen v. h. Nederland. histor. Institut de Rom 9,1929,40-48; Ders., Die Korinthischen Ausgrabungen 1928-1929, Gn 6, 1930, 52-57, dort S. 54 wird der inschriftlich bezeugte Erastus mit dem Christen Erastos identifiziert. In seiner Rezension von Rhys Carpenter, Ancient Corinth 1933, Gn 10, 1934, 223-230, widerruft de Waele seine Meinung (dort S. 226). Vgl. ferner A. G. Roos, De titulo quodam la­tino corinthi nuper reperto, Mnemosyne 58, 1930, 160-165. Ausführlich disku­tiert H. J. Cadbury, Erastus of Corinth, JBL 50, 1931, 42-58, die Identität der bei den Erastoi mit negativem Ergebnis. Anders dagegen W. A. McDonald, Archaeology and St. Paul's J ourney in Greek III, BiblArch 5, 1942, 36-48 (dort S. 46 Anm. 2), O. Broneer, Corinth. Center of St. Pauls Missionary Work in Greece, BiblArch 14, 1951, 78-96; Kent, 99f. und 27.

242 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [243]

Übersetzt: » ••• Erastus hat diese Pflasterung als Gegenleistung für seine "Wahl ins Aedilenamt auf seine Kosten gelegt. « Die Inschrift war ursprünglich auf zwei Platten dieser Bodenpflasterung angebracht, die jedoch in der Mitte des 2. Jh. n. Chr. erneut verwendet wurden. Es ist unwahrscheinlich, daß der auf ihnen erwähnte Erastus kurz vorher gelebt hat. Solange er bekannt war, wäre es allzu pietätlos gewesen, das Andenken an seine Verdienste zu zerstören. Eher denkbar ist, daß seine Pflasterung aus irgend welchen Gründen erneuert oder beseitigt werden mußte - was auch nur nach einem längeren Zeitabstand denkbar ist. Man kommt also ungefähr in die Mitte des 1. Jh. n. Chr., in die Gründungszeit der korinthischen Gemeinde26•

Es gibt nun berechtigte Bedenken gegen eine Identifizierung des Christen Erastos mit dem Aedilen Erastus. Die entscheiden~e Frage ist, ob OIKOVO~OS TfjS

TIOAEWS (Röm 1623) sprachlich und sachlich dem korinthischen ,)Aedilen« entspricht. Gewöhnlich wird »aedilis« im Griechischen durch ö:yopavo~os wiedergegeben27 •

Gerade für Korinth ist eine solche Wiedergabe belegbar: ca. 170 n. Chr. läßt ein Priscus, von dem uns mehrere Inschriften überliefert sind (Kent Nr. 199-201. 306; IG IV 203) für seine Wahl zum Aedilen (VTIEP ö:yopavo~ias) Gebäude des isthmischen Heiligtums wieder herstellen (IG IV 203), ebenso wie Erastus ein Jahrhundert vorher pro aedilitate Straßen oder Plätze pflastern ließ. Warum schreibt Paulus nicht ö:yopavo~os, wenn er von dem Aedilen Erastos grüßen lassen will ? Zwar könnte man einwenden, daß der griechische Titel ö:yopavo~os in Korinth erst für die 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr. belegt ist, nachdem die Amtssprache schon längere Zeit Griechisch gewesen zu sein scheint. Da nun im 1. Jh. n. Chr. die offizielle Amts­sprache eindeutig Latein war, ist nicht sicher, daß schon damals dem »aedilis« der

ö:yopavo~os entsprach. Jedoch bleibt das Argument, daß gewöhnlich ö:yopavo~9S die Übersetzung für ,wedilis« ist.

Man könnte ferner argumentieren: Für Paulus sei weniger der korinthische Sprachgebrauch ausschlaggebend als sein eigener, durch kleinasiatische Erfahrungen geprägter Begriffsschatz28• Aber auch dies Argument ist nicht stichhaltig: Denn der ö:yopavo~os ist auch ein in kleinasiatischen Städten bekanntes Amt, auch d"ort, wo ein OIKOVO~OS (TfjS TIOAEWS) bezeugt ist, also in Philadelphia (IGRom Nr. 1631. 1637. 1640), Smyrna (IGRom Nr. 1438) und Hierapolis (IGRom Nr. 810. 818. 820). Dazu kommen eine Fülle weiterer kleinasiatischer Städte z. B. Akmonia (IGRom Nr. 664. 667.668), Thyatira (IGRom Nr. 1210. 1244. 1248. 1260. 1266. 1267), Pergamon (IGRom Nr. 362. 461. 477) USW. 29 • Der Kleinasiat Paulus hätte das Amt des äyopa­VO~OS zumindest ebenso gut kennen können wie das des alKovo~OS TfjS TIOAEWS.

Die sprachlichen Argumente treffen jedoch nur einen Aspekt des Problems. Es ist auch zu fragen, ob das korinthische Aedilenamt etwa sachlich so zu bestimmen ist, daß es in der Tat durch OIKOVO~OS wiedergegeben werden konnte. Diese Meinung vertritt Kent: ,)Corinth was a unique colony in that she controlled the management of games which were internationally famous. She therefore administered the Isth­mi~,n festivals by means of a completely separate set of officials, and the Corinthian

26 Dieses Datum (mear the middle of the first century after Christ«) nimmt auch Kent, 100, allerdings ohne Begründung, an.

27 Vgl. H. J. Cadbury, a. a. 0., 64. 28 So W. A. McDonald, a. a. 0., 46 Anm. 2. 29 Ygl. ferner (auch zu den anderen Ämtern) die von VI. Liebenam, a. a. 0., 639ff.,

zusammengestellten Belegstellen.

[244J Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 243

aediles, thus relieved of all responsibility for public entertainment, were in effect confined in their activities to local economic matters. It is possibly for this reason that St. Paul does not use the customary word ayopavollOS to describe a Corinthian aedile, but caUs hirn OIKOVOIlOS (Romans, XVI, 23).«30 Aber auch dies Argument ist nicht stichhaltig: Den Agonotheten gibt es nicht nur in Korinth, sondern z. B. auch in Akmonia (CIG 3858), Aphrodisias (CIG 2766. 2812. 2785. 2789), Ephesus (CIG 2961 b. 2987b) und in vielen anderen Städten31. Korinth war nur dadurch ausge­zeichnet, daß es international bekannte Spiele durchführte, nicht dadurch, daß es einen besonderen Posten für Spiele gab. Abgesehen davon waren die Aedilen nicht auf »local economic matters« beschränkt. Die Aufsicht über die öffentlichen Plätze und ihre Erhaltung war ihre vornehmste Aufgabe; und durch diese Aufgabe prägten sie sich dem öffentlichen Bewußtsein ein.

Wägt man die Argumente gegeneinander ab, so kann man zwar eine Gleich­setzung des OIKOVOIlOS Tfis TrOi\ECilS mit dem korinthischen Aedilenamt nicht absolut ausschließen; ohne Schwierigkeit läßt sie sich aber nicht durchführen.

In der bisherigen Debatte über die Identität des Christen Erastos mit dem inschriftlich erwähnten Erastus ist ein wichtiger Aspekt noch nicht berücksichtigt worden: Der Aedil wird jeweils auf ein Jahr gewählt. Es wäre nun ein Zufall, wenn Erastos gerade in dem Jahre Aedil war, in dem Paulus in Korinth den Römerbrief abfaßte. Entscheidend ist nun, daß die meisten in kommunale Ämter Gewählten vorher andere Ämter innehatten. Es ist kaum denkbar, daß man die Führung der Stadt (der Aedil gehörte zu den Quattuorviri, der komunalen Spitze) Männern anvertraute, die sich nicht vorher in bescheideneren Ämtern bewährt hatten: Der OIKOVOlloS Tfis TrOi\ECilS ist daher m. E. mit großer Wahrscheinlichkeit entweder grie­chisches Äquivalent für ein »lateinisches« Amt oder ein auch im damaligen Korinth griechisch genanntes Amt, das man vor dem Aedilenamt inne hatte.

Für die erste Möglichkeit kommt der Quaestor32 in Frage. Die bei den Quaestoren waren juristisch zwar den Aedilen gleichgestellt, jedoch galt die Aedilität als vor­nehmer33, was verständlich ist: Der Kassenverwalter hat es in puncto Ansehen schwerer als derjenige, der öffentliche Bauten durchführen konnte. Daß es in Korinth nicht anders gewesen ist, kann man daraus erschließen, daß uns die Namen von 11 Aedilen erhalten sind, dazu die Namen von fünf Ehrenaedilen, abgesehen von jenen Inschriften, bei denen der Name verlorengegangen ist34• Das Amt des muni­cipialen Quaestors wird dagegen nur drei (vier) Mal erwähnt (West Nr. 104a; Kent Nr. 168. 170. In Kent Nr. 119 könnte der Provinzialquaestor gemeint sein). Und bei diesen drei Inschriften wiederum ist bezeichnend, daß es nur als ein Glied im cursus honorum begegnet. In West Nr. 104a folgen aufeinander die Ämter: Quattuorvir, Quaestor, Argyrotam(ias). In Kent Nr. 168 folgen nacheinander: Quaestor, Aedil, Duumvir, Duumvir quinquennalis, Agonothet. In Kent Nr. 170 ist uns vielleicht die »Karriere« des aus Plutarch (Quaest. Conv. VIII, 4, 1-4 IX, 5, 1-2) bekannten Antonius Sospes erhalten: Er war Quaestor, Militärtribun, wiederholt Agonothet, schließlich Duumvir. Die Regel war, daß man im cursus honorum zunächst die nie-

30 A. a. 0., 27. 31 Vgl. auch W. Liebenam, a. a. 0., 542-545. 32 Vgl. ebd., 265f. 269. 298. 328ff. 33 Ebd., 269.

34 Vgl. die Zusammenstellung bei Kent, 27f.

244 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [245]

drigen Chargen bekleidete35• Aber es gibt viele abweichende Reihenfolgen. tQuaestor« steht zweimal am Anfang eines cursus honorum (wobei jedoch der fragmentarische Charakter der Inschriften zu berücksichtigen ist). Ein andermal steht er neben dem Aedil (denn in West Nr. 104a nennt sich offensichtlich ein Aedil stolz Quattuorvir; wäre er Duumvir gewesen, hätte er das gewiß nicht verschwiegen; auch die danach bekleideten Posten sprechen für diese Deutung: Quaestor und ä:PYVPoTa~ias sind beides mit Verwaltung und Kassenführung beauftragte Posten.) Wir können daraus entnehmen: Viele Duumviren waren vorher Aedilen gewesen, viele Aedilen Quaesto­ren, viele Quaestoren hatten zuvor wiederum ein anderes Amt inne. Aber nur bei einer außergewöhnlichen Laufbahn oder bei außerordentlichem Stolz wurde der ganze cursus honorum aufgezählt. Auch der Aedil Erastus hat ziemlich sicher vorher ein niedrigeres Amt bekleidet, möglicherweise das des Quaestors.

Daraus ergibt sich die Frage: Könnte das Quaestorenamt etwa das Äquivalent für oiKovo~oS Tiis 1TO;\Ec.:lS sein? Auch hier gibt es ein sprachliches Problem. Die ge­wöhnliche Entsprechung für & Quaestor« ist Ta~las. Dieser Begriff ist jedoch für unsere Zeit nicht belegt. In Meritt Nr. 5 ist Ta~ias inschriftlich nach Analogien aus anderen Inschriften erschlossen. Diese Inschrift stammt jedoch aus der griechischen Zeit. In Meritt Nr. 106 ist die griechische Inschrift über einer verwischten lateinischen Inschrift angebracht, stammt also aus späterer Zeit. Nur das Amt des ä:PyvpoTa~ias ist belegt, steht aber neben dem Quaestorenamt36• Nun wissen wir, daß der oiKovo~oS in den kleinasiatischen Städten zunächst neben dem Ta~las stand, hin und wieder aber seine Funktionen übernahm. Angesichts des (inoffiziellen) griechischen Sprach­gebrauchs in Korinth, bei dem Variationen in den griechischen Bezeichnungen nicht ausgeschlossen sind, sowie der kleinasiatischen Herkunft des Paulus ist es also denk­bar, daß dem in Röm 1626 genannten Amt des OIKOVO~OS Tiis 1TO;\Ec.:lS das Quaestoren­amt entsprach.

35 W. Liebenam, a. a. 0., 269, zitiert Dig. L, 4, 11: &ut gradatim honores deferan­tur, edicto, et, ut a minoribus ad maiores perveniatur, epistola divi Pii ad Titianum exprimitur«. Zu dEm Variationen der Reihenfolge von Ämtern vgl. ebd. 269 Anm. 5. Weitere Beispiele für korinthische &Karrieren« finden sich zahlreich bei Kent. Vgl. Nr. 150: Agonothet, zweimal Duovir, zweimal pro Duumviri (= Prä­fekt), Nr. 152: Praefectus fabrorum, Priester des Jupiter, Aedil ehrenh~lber, Duovir, Duovir quinquennalis, Agonothet., Nr.153: Aedil, Praefectus iure dicundo, Duovir, Duovir quinquennalis, Agonothet, Nr. 154: Aedil, Praefectus iure dicundo, Duovir, pontifex, Agonothet, Nr. 156: Augur, Praefectus fabrorum, Aedil, Duovir, Priester, Isagogeus, Agonothet, Nr. 158: Duovir, Duovir quinqu., Augur, Priester, Militätribun, Praefectus fabrorum, Curator' annonae 3mal, Agonothet, Nr. 166: Aedil ehrenhalber, Duovir, Agonothet, Duovir quinquennalis. Vgl. ferner Nr. 160-163.

36 Zum Ö:PyvpoTa~ias vgl. J.Oehler, PW 2, Sp.802. Eine Zusammenstellung von Belegen findet sich bei W. Liebenam, a. a. 0., 565. Seine Funktionen beschreibt West, 85: &The argyrotamias was probably the official called curator Kalendarii in municipalities located in Latin speaking provinces. His functions werde dif­ferenciated from those of the quaestor (Ta~ias) by the fact that in his charge were the productive funds of the community. He collected rents and other charges, loaned money, kept appropriate records, examined and listed the securities offered, and in other ways managed the endowments of the city('.

[246] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 245

Jedoch müssen wir uns auf diese Möglichkeit nicht festlegen. Korinth hatte als finanzielles und kommerzielles Zentrum Griechenlands gewiß eine Fülle von Ämtern, die mit Verwaltungs- und Abrechnungsaufgaben beschäftigt waren. Es ist möglich, daß die niedrigeren Ämter schon sehr früh griechische Namen trugen. In West Nr.

104a war uns auf einer lateinischen Inschrift ein »argyrotamias« begegnet. Vielleicht hat es auch einen »oekonomos« gegeben.

Erastos hätte dann im Jahre der Abfassung des Römerbriefes das noch nicht zu den Spitzenpositionen gehörende Amt eines OiKOVOIlOS TfjS lTOi\EWS (vielleicht das des Quaestors) bekleidet, später wurde er zum Aedilen gewählt. Gegen seine Identität mit dem Christen Erastos sprechen meines Erachtens keine entscheidenden Argumente. Der Name Erastos ist inschriftlich und literarisch für Korinth sonst nirgend­wo belegt, eine Verwechslung also unwahrscheinlicher als bei anderen Namen. Wir dürfen annehmen, daß Erastos zu den OU lToi\i\oi 8UVCXTOi gehörte. Um zum Aedilen gewählt zu werden, mußte er Vollbürger sein - und das heißt in einer römischen Kolonie: römischer Bürger. Seine Spende für die Öffentlichkeit zeigt, daß er einen gewissen Reich­tum sein eigen nannte. Es ist durchaus möglich, daß er Freigelassener war (er nennt in der Inschrift nicht seinen Vater). Nimmt man hinzu, daß er einen griechischen Namen hat, so dürfen wir uns ihn vielleicht als einen erfolgreichen Menschen vorstellen, der bis in die Reihe der Honoratioren (mit vorwiegend lateinischer Herkunft) aufgestiegen ist.

2. Die Erwähnung von )}Häusern«

>}Häuser« geben zwar keinen Aufschluß über den öffentlichen Sta­tus, wohl aber über die privaten Verhältnisse. Von zwei Korinthern wird ausdrücklich gesagt, ihr >}Haus« sei mit ihnen zum Glauben ge­kommen oder getauft worden: von Krispus (Act 18 8) und Stephanas (1 Kor 116 vgl. 1614fL). Läßt sich daraus erschließen, daß sie eventuell auch Sklaven besaßen? A. Strobel hat dies auf Grund der römischen Rechtsterminologie bestritten37 : OIKOS entspreche dem lateinischen >}domus«, d. h. den verwandtschaftlich verbundenen und rechtsfähigen Gliedern einer Familie. Im Gegensatz dazu umfasse familia Sklaven und Sachwerte. So das römische Recht. Für das NT kann dessen Sprachgebrauch jedoch nur auf Grund eines dreifachen Rückschlusses aufschlußreich sein: einem Rückschluß von juridischer auf nicht­juridische Sprache, von lateinischen auf griechische Wortinhalte und vom allgemein-antiken auf den jüdisch-christlichen Sprachgebrauch.

37 Der Begriff des ,Hauses' im griechischen und römischen Privatrecht, ZNW 56, 1965, 91-100. Vgl. die Zusammenfassung S. 99f.: I) ••• Der Oikos wird in diesen Texten ausschließlich als Verband (= Familie) von allein rechtsfähigen, erwach­senen, verwandten Personen vorgestellt, wobei Recht und Handlungsfähigkeit in der Person des Hausvaters vereinigt sind. «

246 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [247]

Daß römische Rechtsterminologie für Paulus maßgebend sei, darf man bezweifeln, zumal diese Terminologie selbst nicht eindeutig ist. Ulpian (Dig. XXXIX, 4, 12, 2) definiert ausdrücklich: »tamiliae autem appellatione hic servilem tamiliam contineri sciendum est.«, d. h. er setzt vorau", daß »familia« nicht eo ipso die Sklavenschaft umfaßt38•

Wir können also selbst im juridischen Bereich nicht mit einem streng festgelegte:1 Sprachgebrauch rechnen, wieviel weniger dann aber im alltäglichen Sprachgebrauch.

Problematisch ist ferner der Rückschluß von lateinischen auf griechische Wortinhalte : Wortinhalte werden durch das ganze Feld sinnverwandter Begriffe konstituiert. Dem Gegenüber von domus und familia entspricht aber auf griechischer Seite keine entsprechende sprachliche Opposition. Vielmehr mußten die Griechen <pO:I.11AIO: als Fremdwort übernehmen (Bulletin de Correspondance Hellenique, Paris 14, 1891, 370; Inscr. Cos 141,1; IGRom IV, 1454). Eben damit zeigen sie, daß ihr Begriff oiKosjoiKio: nicht durch ein griechisches Wort eingegrenzt wird, das dem lateinischen »familia« entspricht. Das zeigt auch die Definition des Aristoteles: OiKio: oe TeAElos EK OOVAWV Ko:i EAEv6epwv (Pol. I, 2, 1). Interessant ist, daß Aristoteles ausdrücklich von einem »vollständigen« Haus spricht, als kenne er einen engeren Sprachgebrauch. Erwägenswert ist in der Tat, ob nicht manchmal die Betonung des »ganzen« Hauses ausdrücklich die Sklaven mit einbe­ziehen will (etwa Act 18 8).

Schließlich darf man nicht apriori einen spezifischen jüdischen oder christlichen Sprachgebrauch ausschließen. In christlichen In­schriften bedeutet »familia« hin und wieder auch »Familie« in unserem Sinne39. Auf einem Grabstein lesen wir: » ... haec bona familiis, mater pia, sedula coniux, hic corpus posuit ... « (Diehl Nr. 190; vgl. Nr. 168). Hier dient »familia« als übergreifender Begriff für Kinder und Ehe­mann. Sollte nicht eine neue Einstellung zu Sklaven sich auch sprach­lich niederschlagen können, so daß sie viel selbstverständlicher zum »Haus« gezählt werden und umgekehrt »familia« weniger fest mit den Sklaven verbunden wurde? Schließlich nannten sich alle Christen

38 Zur J)familia« der Sklaven vgl. F. Bömer, Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom I, AAMz 1957 Nr. 7, 57ff. Zur Wortgeschichte von familia und domus bringt er S. 65 Anm. 1 einige gegen Strobel sprechende Argumente. Wenig überzeugend sind allerdings seine Belege dafür, daß domus hin und wieder auch die Sklaven umfassen kann. Aus CIL III 7380 (= InscriIJ­tiones Latinae selectae, ed. H. Dessau, Berlin 1892-1916, 5682) geht das m. E. nicht hervor: » ••• populo et familiai Caesaris ... * meint hier das untertänige Volk, das ausnahmsweise familia Caesaris genannt wird, weil es in diesem Falle wirklich »Privatbesitz« des Kaisers war (vgl. Dessau, z. St.). Auch CIL 9023 und Dessau 1091 ändern m. E. nichts.

39 So F. Bömer, a. a. 0., 65 Anm. 1.

[248] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 247

»Brüder« und das könnte - zumindest sprachlich - einige Folgen gehabt haben.

Angesichts dieses Sachverhalts muß der urchristliche Sprachge­brauch selbst den Ausschlag geben. Wer gehört hier zum »Haus«? Auffällig ist zunächst, daß Kinder manchmal eigens neben dem »Haus« genannt werden (IgnPol 82 Herrn mand 12,3,6 Herrn sim 5,3,9 1 Tim 3 12). Gehören sie deshalb nicht zum Haus? Grundsätzlich kann man das kaum behaupten4o : Seinem »Haus« gut vorstehen heißt: gehorsame Kinder haben (1 Tim 3 4). Und wenn wir in einer jüdischen Inschrift lesen: 'TOV olKov Kat 'TEKVa 'TEKvc.uv (Frey Nr. 765), so ist klar, daß die Kinder selbst zum Haus gehören. Ihre besondere Erwähnung sagt wenig. Mit demselben Argument müßte man auch die Frauen vom Hause ausschließen: &:O'1T6:Sollat 'TOVS olKovs 'TWV &:OEA<pWV 1l0V O'vv YVVa\~t Kat 'TEKVOtS (IgnSm 131). Diakone sollen Mann einer Frau sein, ihren Kindern gut vorstehen Kat 'TWV iofc.uv olKc.uv (1 Tim 312). Natür­lich gehören Frauen zum Haus. Eine Witwe wird etwa gegrüßt: »mit ihrem ganzen Hause und ihren Kindern« (IgnPol 82). Die Hervor­hebung von Frauen und Kindern sagt nicht, daß sie im Begriff des Hauses nicht enthalten sind, sie setzt vielmehr voraus, daß es sinnvoll ist, die Familienglieder besonders zu betonen, d. h. sie werden gegen einen als selbstverständlich geltenden Hintergrund abgehoben. Zu diesem könnten nur weitere Verwandte gehören - oder Diener und Sklaven. Da letztere nie eigens neben dem »Haus« erwähnt werden, darf man annehmen, daß sie den als selbstverständlich angesehenen Hintergrund bilden, von dem Kinder und Frauen hin und wieder abge­hoben werden. Nicht zufällig heißen Sklaven und Diener OiKE'Tat (Röm 144 1 Petr 218 Lk 613). Nicht zufällig werden sie in den soge­nannten Haustafeln neben Frauen und Kindern angeredet, während andere Verwandte hier keine Rolle spielen, ja, diese Zusammenstellung von Frauen, Kindern und Sklaven ist so gut belegt (Kol 3 18 ff. Eph 522ff.), daß man sie wahrscheinlich auch in 1 Tim 312 voraussetzen darf: »Die Diakone sollen jeder Mann nur einer Frau sein, den Kindern gut vorstehend und ihren eigenen Häusern« (d. h. der Dienerschaft)41.

40 Die Frage, ob zu den Häusern Kinder gehören, wurde innerhalb der Kontroverse um die Kindertaufe heftig diskutiert. Für den Einschluß von Kindern plädiert J. Jeremias z. B. in: Nochmals: Die Anfänge der Kindertaufe, ThEx 101, Mün­chen 1962. Dagegen wendet sich K. Aland, Die Säuglingstaafe im NT und in der Alten Kirche, ThEx 86, München 21963; vgl. ferner P. Weigand, Zur sogenannten ,Oikosformel', NovTest 6, 1963, 49-74. Vorsichtig abwägend urteilt G. Delling, Zur Taufe von ,Häusern' im Urchristentum, NovTest 7, 1965, 285-311. Die von ihm zusammengestellten Belege werden hier nicht noch einmal wiederholt.

41 Auch nach G. Delling, a. a. 0., 294, liegt hier der weitere Begriff vor, der »außer den genannten TEKVO: entweder Verwandte oder insbesondere auch Dienerschaft

oder beides einschließt«.

248 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [249J

In unserem Zusammenhang ist besonders der lk und pln Sprach­gebrauch wichtig. Fünfmal erwähnt Lk in Act »Häuser«, die geschlos­sen zum Christentum übergetreten sind: das Haus des Centurionen von Caesarea (102 1114), der Purpurhändlerin Lydia in Philippi (1615), des Kerkermeisters in Philippi (1631) und des Synagogenvorstehers Krispus in Korinth (188). Kann es ein Zufall sein, daß nur bei relativ »etablierten« Christen solche Häuser erwähnt werden? Bei dem Cen­turionen und der Purpurhändlerin ist der gehobene Sozialstatus evi­dent. Darüber hinaus läßt sich für Act 102 und 1114 der Einschluß von Sklaven in den Begriff des »Hauses« wahrscheinlich mache:q..per Centurio ist eucyeßTjs ... CYuv TICXVTi T~ OIK<f> mhov (102). Seine Vision erzählt er »zweien seiner Sklaven und einem frommen Soldaten von seinen Meldern« (107). Gewiß will Lk nicht sagen, die beiden Sklaven seien nicht fromm, während der Soldat zu den Gottesfürchtigen gehört habe - als hätte der Centurio ungläubigen Sklaven seine Vision anver­traut; vielmehr ist das Prädikat eucyeßiJs erst deshalb bei dem Soldaten notwendig, weil die Diener schon durch 102 als Gottesfürchtige charakterisiert sind: Sie gehören zum gottesfürchtigen Haus; aus­drücklich wird dort betont: » ... mit seinem ganzen Haus«. Auch bei der Purpurhändlerin in Philippi ist die Zugehörigkeit von Sklaven zu ihrem Haus möglich: Die christlichen Missionare treffen am Fluß »Frauen«. Auch die Purpurhändlerin Lydia hört dort (mehrmals?) die Apostel und wird »mit ihrem Haus« getauft. A. Strobel hält es für unwahrscheinlich, daß Sklaven anwesend waren42. Wahrscheinlich ist m. E. das Gegenteil: Wenn es nur eben ging, ließen sich wohlhabende Frauen außerhalb ihres Hauses von Sklaven und Sklavinnen begleiten. Lk hat, wenn er bestimmte Häuser hervorhebt, wahrscheinlich immer auch an Sklaven und Diener gedacht, also auch bei Krispus (Act 18 8 )43.

Paulus spricht vom OIKOS (1 Kor 116) und der oiKla (1615) des Stephanas. Wie man sieht, sind OIKOS und oiKla hier synonym. Zu­mindest an einer Stelle meint er mit diesen Begriffen auch Sklaven: Denn oi EK TTlS Kalcyapos oiKlas (Phil4 22) sind gewiß nicht Familien­angehörige des Kaisers. Daß der an Philemon zurückgesandte Sklave Onesimus künftig wieder zur KaT' OiKOV CYOV EKKAllCYla gehört (Phlm 2), dürfte ebenfalls selbstverständlich sein. Somit ist durchaus möglich, daß auch das Haus des Stephanas Sklaven umfaßt. Es müssen nicht unbedingt Fortunatus und Achaicus sein.

Die Erwähnung von Häusern ist gewiß kein ganz sicheres Krite­rium für einen gehobenen Sozialstatus, aber doch ein wahrscheinliches,

42 A. a. 0., 99.

43 So auch G. Delling, a. a. 0., 299: .)Sklaven darf man vermuten im Hause des Kornelius, der Lydia, des Gefängnisvorstehers in Philippi (Act. X 2, XVI 15,31); genannt werden sie für das des ßoeJ"lAIKOS von Kapernaum (Joh. iV 53, s; v. 51).«

[250J Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 249

zumal dann, wenn andere Kriterien in dieselbe Richtung weisen: Krispus ist schon durch sein Amt als Synagogenvorsteher als ange­sehener Mann ausgewiesen. Von Stephanas hören wir, er habe sich dem Dienst an der Gemeinde gewidmet (1 Kor 1615). Damit kommen wir zum nächsten Kriterium.

3. Die Erwähnung von Dienstleistungen

Ein OICXKOveiv, OI<XKOVOS EIVC(\ bzw. eine olCXKovlo wird der Phoibe aus Kenchreae, dem Stephanas und seinem Haus sowie - im Zu­sammenhang mit der Jerusalemer Kollekte - der ganzen Gemeinde zugeschrieben (vgl. 1 Kor 8 4 9 1. 12 Röm 15 31). Bei der Kollekte handelt es sich eindeutig um materielle Aufwendungen, für die beiden anderen Fälle ist es wahrscheinlich. Stephanas und sein Haus hat sich dem Dienst an den Heiligen gewidmet: Eis olCXKovlov Tois <XylOls (1 Kor 1615). Ebenso ist die Gemeinde zur Kollektensammlung verpflichtet: TfjS olCXKovlos TfjS Eis TOVS aYlovs (2 Kor 84). Von der sprachlichen Parallele darf man mit einiger Wahrscheinlichkeit auf eine sachliche Entsprechung schließen. Weiter heißt es: Stephanas und seine Be­gleiter hätten das VO""TEPllJ.lO der Korinther bei Paulus aufgefüllt (avETTATJpc.vO"OV 1 Kor 1617). Eben diese Wendung begegnet auch im Philipperbrief: Epaphroditos hat Paulus eine materielle Unterstüt­zung gebracht, er ist AEITOVPYCS TfjS XPE10S (Phil 225; vgl. 410-20). Bei Paulus wurde er krank und hat somit sein Leben aufs Spiel gesetzt ivo aVOrrAllpWO"1J TC VJ.lOOV VO""TEPllJ.lO TfjS rrpcs J.lE A.eITovPy10S (Phil 2 30). Genauso wie im 1 Kor 1617 ist von »eurem Mangel« die Rede, obwohl es sich nach nächstliegendem Verständnis der Sachlage zunächst um einen Mangel des Paulus handelt. Aber solche Paradoxien sind Paulus geläufig. Da VO"TEPllJ.lO auch noch im Zusammenhang mit der Kollekten­frage begegnet (2 Kor 814 912), legt sich die Annahme nahe, daß Paulus in Ephesus durch Stephanas eine materielle Unterstützung erhielt. Zwar schreibt Paulus im 2 Kor 119, er habe sich von nieman­dem in Karinth unterstützen lassen, aber er fügt ausdrücklich hinzu: »als ich bei euch war«, woraus man fast schließen könnte, er habe sich außerhalb von Karinth durchaus von Korinthern unterstützen lassen. Wir müssen jedoch auch mit der Möglichkeit rechnen, daß dies nicht der Fall war: Nach 1 Kor 1618 haben Stephanas und seine Begleiter »den Geist« des Paulus und der Korinther beruhigt - das klingt weni­ger nach materiellen Gaben.

Phoibe wird in Röm 161 OI<XKOVOS TfjS EK1<AllO"lOS der korinthischen Hafenstadt Kenchreae genannt. Sie hat Paulus und vielen anderen beigestanden (162). Deswegen soll man ihr auch in der angeredeten Gemeinde beistehen EV c:;l O:v vJ.lOOV XPTJS1J rrp6:YJ.laTt: »in welcher Sache sie auch immer eurer bedarf«. Schon der Begriff rrpiXyJ.lo bedeutet

250 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [251]

häufig »Geschäft« im ökonomischen Sinne, der verallgemeinernde Relativsatz läßt erst recht durchblicken, daß es hierbei nicht nur um Gemeindeangelegenheiten geht. Wenigstens läßt sich der Satz auch als Empfehlung verstehen, der Phoibe in »irdischen« Geschäften beizu­stehen. Diese Unterstützung soll Gegenleistung für Dienste der Phoibe an Paulus und anderen sein. Daraus folgt: es handelt sich bei diesen Diensten auch um »irdische« Dinge, um O'O:PKtK6:.

Jedoch müssen wir auch bei diesen Argumenten einschränken: Aus den Stichworten otCXKoveiv oder Ot6:Kovos können wir keineswegs mit Sicherheit auf einen gehobenen Sozialstatus schließen: »Diene­rinnen« haben sich vielleicht in den christlichen Gemeinden auch Sklaven nennen können. Plinius verhört zwei von ihnen auf der Folter, um über den exzentrischen »Aberglauben« der Christen näheren Auf­schluß zu erhalten: »ex duabus. ancillis, quae ministrae dicebantur« (epist. X, 96). Die Art des Verhörs läßt auf Unfreie schließen (obwohl auch das nicht ganz sicher ist)44. Ebenfalls nicht sicher ist, daß dem lateinischen minister ein griechisches ol6:KovoS entsprochen hat. Für unser Problem sind diese Erwägungen jedoch nicht entscheidend: Für die Korinther Phoibe und Stephanas können wir uns noch auf weitere Kriterien stützen: Beide begegnen uns auf Reisen.

Dienstleistungen für Paulus und die Gemeinde sind aus Korinth nicht nur von Phoibe und Stephanas bekannt, auch wenn sie nur b,ei diesen beiden olCXKovio: genannt werden. Schon die Beherbergung des Paulus ist ein Dienst. Und wir kennen mindestens vier korinthische Christen, bei denen Paulus gewohnt hat: Gaius, Aquila und Priscilla und Titius Iustus. Den Römerbrief schreibt Paulus im Hause des Gaius, des ~evos IlOU Ko:l öATjs Tfls EKKATjO'io:s (Röm 1623). Dieser Gaius gehört zu den wenigen, die Paulus selbst getauft hat. Seine »Dienste« entsprechen denen des Philemon: Auch in dessen Haus trifft sich eine Gemeinde, die EKKATjO'io: KaT' olKOV (Phlm 2); zugleich wohnt Paulus dort, wenigstens bestellt er ein Zimmer im voraus (Phlm 22). Daß dem Philemon ein Sklave entläuft, spricht zwar nicht unbedingt für dessen Reichtum, gewiß aber nicht gegen ihn; Paulus läßt jedoch bei seinem Angebot, den durch Onesimus entstandenen Schaden zu ersetzen, deut­lich durchblicken, daß dies ernsthaft gar nicht in Betracht kommt. Man hat den Eindruck, daß Philemon durch seinen entlaufenen Sklaven nicht allzu sehr geschädigt wurde. Zurück zu Gaius: Interes­sant ist hier, daß nicht von einer »Hausgemeinde« (wie Phlm 2) geredet wird, sondern von der »ganzen Gemeinde«. Daraus könnte man schlies­sen, daß sich die Gemeinde auch noch an anderen Stellen, aber nur teilweise, traf. Die Christen aus Kenchreae werden sich etwa bei der Phoibe getroffen haben. Die ganze Gemeinde trifft sich auf jeden Fall

44 Vgl. F. Bömer. a. a. 0., 13.

[252] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 251

bei Gaius. Und das setzt voraus, daß er einen genügend großen Raum zur Verfügung hat45. Die Gemeinde in Korinth war groß, sie war ein ÄO:os TIoMs (Act 18 10). Wir können schon daraus auf einen gehobenen Sozialstatus des Gaius schließen. Hinzu kommen die im Hause ver­kehrenden Personen: Tertius schreibt hier den Römerbrief. Das sieht so aus, als sei man in diesem Haus gewohnt gewesen, daß andere Ar­beiten ausführten. Auch scheinen Kontakte zum })Stadtkämmerer« Erastos zu bestehen, der ganz am Schluß des Römerbriefes grüßen läßt, als sei er eben vorbeigekommen: Der Gruß wirkt etwas nachgetragen.

Am Beginn seiner Mission hat Paulus bei Aquila und Priscilla46

gewohnt, einem jüdischen Ehepaar, das kurz vorher auf Grund des Edikts von Claudius Rom hatte verlassen müssen. Unvermögend werden sie kaum gewesen sein: In Ephesus scharen sie später eine })Hausgemeinde« um sich (1 Kor 1619 Röm 163); nach Act 1826 findet Apollos bei ihnen gastliche Aufnahme und wird von ihnen an die korinthische Gemeinde weiter empfohlen. Warum sie Korinth so bald wieder verlassen haben, läßt sich nur vermuten. Es ist möglich, daß dabei geschäftliche Gründe eine Rolle spielten. Auffallend ist nämlich, daß Paulus ihr Haus in Korinth verläßt, nachdem er durch eine Spende aus Makedonien (Act 18 5 vg1. 2 Kor 11 8) in die Lage gesetzt ist, sich ganz der Mission zu widmen. Daß er aufhÖrt zu arbeiten, ist verständlich. Warum aber bleibt er nicht weiter bei Aquila und Pris­cilla? Ein Streit ist ausgeschlossen. Das Verhältnis ist später immer sehr gut. Der Grund liegt wohl in der Lage des Hauses. Denn Paulus zieht zu Titius Iustus, von dessen Haus ausdrücklich gesagt wird, es habe an die Synagoge angegrenzt. Die jüdische Synagoge ist bisher durch Ausgrabungen noch nicht entdeckt worden. Wohl aber hat man in der Nähe der Agora eine Inschrift })Synagoge der Hebräer« gefunden47,

woraus man schließen kann, daß sie wahrscheinlich eine recht zentrale Lage hatte, so daß sie auch wegen ihrer Lage für die pln Mission günstig war. Was aber die Mission fördert und hemmt, dürfte auch für welt­liche Geschäfte gelten: Die Ausgrabungen haben gezeigt, daß rund um die Agora die Boutiquen der einzelnen Handwerker lagen. Hier war das Geschäftszentrum. Es ist daher möglich, daß die Neuankömmlinge Aquila und Priscilla in Korinth keinen für sie günstigen Ort für ihren

45 Vgl. F. v. Filson, The Significance of the Early House Churches, JBL 58, 1939. 105-112. Die in Dura-Europo::> erbaute christliche Kirche befand sich über einem Privathaus, dessen Größe zeigt, daß es das Haus eines begüterten Christen gewesen ist. Wahrscheinlich hatten sich die Christen zunächst bei ihm ver~ammelt, und sein Haus wurde darum später zur Kirche umgebaut. VgL E. Dillkler, Art. Dura­Europos, RGG3 II, Sp. 290-292.

46 Zu deren Situation vgl. W. Bienert, Die Arbeit nach der Lehre der Bibel. Eine Grundlegung evangelischer Sozialethik, Stuttgart 1954. B10f.

47 Meritt Nr. 111.

252 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [253]

Handwerksbetrieb finden konnten. Gewiß ist das nur eine Vermutung, aber sie ist geeignet, der Vorstellung entgegenzutreten, Paulus habe in einer der ausgegrabenen Boutiquen an der Agora als »Angestellter« im Betrieb des Aquila und der Priscilla gearbeitet.

Der dritte Gastgeber des Paulus ist Titius Iustus. E. Haenchen vermutet, daß sein Haus - abgesehen von der Lage - Vorzüge bot. Anders als im Handwerksbetrieb von Aquila und Priscilla habe sich Paulus hier den ganzen Tag ungestört unterhalten können, habe also ein eigenes Zimmer gehabt. Davon steht freilich nichts da. Wir wissen es nicht48 • Über den Sozialstatus des Titius Iustus erhalten wir keinen Aufschluß. Man kann nur vermuten, daß er nicht geringer gewesen ist als der Aquilas und Priscillas: Paulus wird kaum jemanden in Anspruch genommen haben, der dadurch mehr belastet worden wäre als diese. Das Gegenteil ist wahrscheinlich.

Auch die Dienstleistungen für Mission und Gemeinde sind gewiß kein sicheres Kriterium. Man darf die Opferfreudigkeit der neuen Gemeinden nicht unterschätzen. Jedoch sind sie immer dann ein gutes Kriterium, wenn die Dienstleistungen unabhängig von der persön­lichen Opferbereitschaft gewisse Voraussetzungen einschließen (so bei Gaius). Oder wenn weitere Kriterien hinzutreten: Phoibe, Aquila und Priscilla sowie Stephanas haben Reisen gemacht. Stephanas stand ferner einem »Haus« vor.

4. Die Erwähnung von Reisen

Auf »Reisen« begegnen wir vielen Korinthern: Aquila und Pris­cilla (Röm 163 1 Kor 1619 Act 1818f.), Phoibe (Röm 16lf.), Erastus (Act 1922), Stephanas mit Achaicus und Fortunatus (1 Kor 1615-18), Leute der Chloe (1 Kor 111). Dazu kommt vielleicht ein Sosthenes (1 Kor 11), falls er mit dem korinthischen Synagogenvorsteher glei­chen Namens (Act 18 17) identisch ist. Bei Phoibe ist eine Reise nach Rom nicht ausgeschlossen. Ansonsten handelt es sich um Verkehr zwischen Ephesus und Korinth. Mit Rückschlüssen auf den Sozial­status der Reisenden muß man natürlich vorsichtig sein: Geschäfts­reisen können auch von Abhängigen unternommen werden; es kann sich um einfache Matrosen handeln, Begleiter von Höhergestellten usw. Die Leute der Chloe etwa könnten Sklaven oder Freigelassene

48 E. Haenchen, a. a. 0., 476. F. J. de Waele: Les antiquites de la Grece Corinthe et Saint Paul, Paris 1961, 94 (im folgenden: de Waele, Corinth), sieht in Titius rustus einen reichen Römer. Woher er das weiß, verrät er leider nicht. Die Über­siedlung in sein Haus könnte übrigens auch dadurch motiviert worden sein, daß Titius rustus ein Einheimischer war und sich von hier aus besser Beziehungen zu anderen Korinthern anknüpfen ließen, während Aquila und Priscilla als eben Zugewanderte kein geeignetes »Kommunikationszentrum« bieten konnten.

[254] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 253

gewesen sein. Auch hier sind wir immer auf zu~ätzliche Nachrichten und auf Kombinationen mehrerer Kriterien angewiesen. Solche zu­sätzlichen Kriterien sind jedoch immer gegeben und fehlen nur bei den Leuten der Chloe. Wir dürfen vermuten, daß zumindest einige ko­rinthische Christen Kaufleute waren. Andere, wie Aquila und Priscilla, haben ihren Wohnsitz aus geschäftlichen Gründen vielleicht verlegt. Möglicherweise waren aber auch einige so unabhängig von Erwerbs­notwendigkeiten, daß sie Zeit und Geld in Reisen investieren konnten: Paulus setzt schlicht voraus, daß die koriIl:!hische Gewei@e ihß

, Kollekte selbstnaeh Je'rusll.letn bringen kailn (1 Kor 1(3). Wenn a;;:ch die Reisen allein kein sicheres Kriterium sind, so ist doch ihre Häufung bemerkenswert: Von 17 namentlich genannten Personen (oder Per­sonenkreisen) sehen wir neun auf Reisen49• Das kann unmöglich ein Zufall sein.

Nachdem wir eine Reihe von korinthischen Christen mit gehobe­nem Sozialstatus ausfindig gemacht haben, stellt sich um so mehr die Frage: Sind uns auch die Namen von den vielen »Einflußlosen und Niedriggeborenen« erhalten? Das Ergebnis ist spärlich. Bei den Be­gleitern des Stephanas ist zwar nicht ausgeschlossen, daß es sich um Sklaven handelt50. Eine Schwierigkeit für diese Annahme besteht jedoch darin, daß Paulus die Gemeinde mahnt, sich ihnen unterzu­ordnen51. Er bezieht diese Aufforderung zwar allgemein auf jeden, der »mitarbeitet und sich abmüht« (1 Kor 1616), nennt den Achaicus und Fortunatus erst nach dieser Aufforderung - aber dennoch müssen wir ernsthaft damit rechnen, daß es sich um Familienangehörige han­delt.

Bei Tertius könnte man vermuten, er sei ein »Schreibsklave« (Röm 1622). Aber das ist eine bloße Vermutung. Aus dem späten 3. Jh. ist uns die Grabinschrift eines ope6ypcxq>os Nikias erhalten (Kent Nr. 305): » ... als bester Schreiber erwies ich mich im Heer (oder: im Wettstreit ?), für ein Brautgemach tauschte ich jedoch ein Grab ein«52. Sklave war er gewiß nicht. Er nennt seinen Vater und hat

49 Reisen kostet auch Geld. Darum waren die kaiserlichen diplomata so sehr begehrt, wie wir aus Plin. epist. X, 45. 46 erschließen können. Selbst der wohlhabende ~linius d. J., Statthalter in Bithynien, verschaffte seiner Frau illegitim kaiser­liche Diplomata, als sie beim Tode ihres Großvaters aus Kleinasien nach Rom zurückkehren wollte. Trajan, der Kaiser, hat es seinem Freund verziehen (Plir.. epist. 120f.).

50 Nach J. Weiss, a. a. 0., 386, sind Fortunatus und Achaicus Frei"elassenennamen. Das besagt jedoch überhaupt nichts in einer Kolonie, die durch Freigelassene gegründet wurde. 51 So A. Strobel, a. a. 0., 99.

52 De Wae1e, Corinthe, 101, nimmt sogar eine Schule von Orthographoi an Diese Interpretation basiert auf der übersetzung von crrpaTi)al durch .Wettstreit«. Anders Kent, 119.

254 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [255]

kurz vor der Heirat gestanden, als er starb. Auch wenn es sich um eine sehr viel spätere Inschrift handelt, so regt sie doch die Vermutung an, Tertius könne ein vergleichbarer op66ypCXqlOS gewesen sein, der den Römerbrief EV Kupi~ schrieb (womit er andeutet, daß er Briefe auch EV crcxpKi geschrieben hat). Vielleicht soll das EV Kupi~ andeuten, daß er es für Paulus umsonst gemacht hat. Es ist also keineswegs gesagt, daß Tertius zum unteren Proletariat usw. gehört hat: Vielleicht war er ein in der staatlichen Provinzialverwaltung beschäftigter Schreiber.

Als Vertreter unterer Schichten bleiben die Leute der Chloe. Frei­lich ist umstritten, ob sie überhaupt aus Korinth stammen. Denn am Schluß des Briefes übergeht sie Paulus. Daraus folgt aber nur, daß sie bei Abfassung des Briefes nicht mehr bei Paulus waren. Aus Ephesus stammen sie kaum - wenn man annimmt, daß Röm 16 eine Grußliste enthält, die an Ephesus adressiert war. Denn dort fehlen sie, obwohl zwei Sklavengruppen in ihr erwähnt werden. Auf jeden Fall waren sie in. Korinth bekannt. Paulus muß sie nicht »vorstellen<<. Und auf Grund ihrer Informationen erhebt er schwerwiegende Vorwürfe gegen die Gemeinde. Wer aber waren die »Leute der Chloe« ? Es gibt hier drei mögliche Interpretationen.

Es könnte sich um Familienangehörige handeln. Oi Xi\6T]S ent­spräche etwa oi TOU ZEßE8cxiou (loh 212). Ähnlich bringt man die Zu­gehörigkeit der Frau zum Mann zum Ausdruck (Joh 1925 Mk 1540 Mt 16). Jedoch ergibt sich hier eine Schwierigkeit: Familien werden nach dem Vater benannt. Chloe ist eine Frau. Falls sie Witwe war, würden sich ihre Söhne weiterhin nach dem Vater nennen. Ja umge­kehrt: die Mutter würde sogar nach ihrem Sohn genannt werden kön­nen (vgl. »Maria die des Joses« Mk 1547 mit Maria, der »Mütter des Joses« Mk 1540). Daß auch Paulus zu einem an der männlichen Linie orientierten Sprachgebrauch neigt, zeigt Röm 1613, wo er Rufus und »seine und meine Mutter« grüßt. Wir können für die »Leute der Chloe« m. E. ziemlich sicher ausschließen, daß es sich um Söhne oder Familien­angehörige der Chloe gehandelt hat.

Wahrscheinlich ist, daß Paulus Angehörige des Hauses im weite­ren Sinne meint. Das gilt auch für die nächste ntl Parallele. In Act 1633 ist oi atrrou crnCXVTES gleichbedeutend mit olKOS (1631). Darin sind natürlich Familienangehörige eingeschlossen. Jedoch wird ausdrück­lich betont, daß es sich um das ganze Haus handelt (1633.34). Wahr­scheinlich liegt der weitere Begriff des Hauses vor, der auch Diener und Sklaven umschließt. Innerhalb der pln Briefe selbst bilden sum­marisch angeredete Sklavengruppen (Röm 1610. 11 Phi14 22) die näch­ste Parallele. Daß Paulus dabei jeweils EK mit Genitiv schreibt, ist verständlich: Nicht alle Sklaven oder Freigelassene des Aristobul, Narzissus und des Kaisers waren Christen. Paulus grüßt ausdrücklich TOUS EK TWV NcxPKicrcrou TOUS OVTCXS EV Kupi~ (d. h. sofern sie Christen

[256J Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 255

sind). Wahrscheinlich sind auch oi XAOT]S Sklaven oder Abhängige53. Ihr Besuch in Ephesus hat offensichtlich ganz andere Qualität als der des Stephanas: Dieser kommt zu Paulus, überbringt Nachrichten, viel­leicht sogar den Gemeindebrief, und ist möglicherweise auch deswegen nach Korinth gereist. Wenn Paulus die Leute der Chloe nicht mehr erwähnt, für ihren Besuch nicht dankt, so könnte das darin begründet sein, daß sie nur gelegentlich bei der Verfolgung ganz anderer Ziele Ephesus berührt haben. Aber das sind natürlich nur Vermutungen. Falls die Chloeleute jedoch Repräsentanten unterer Schichten sind, wäre verständlich, warum Paulus gerade in Antwort auf ihre Nach­richten betont, es gebe nicht viele Weise, Mächtige und Hochgeborene in Korinth (1 Kor 126).

Unwahrscheinlich ist dagegen eine dritte peutung54• Da oi XAOT]S parallel zu Gruppierungen um verschiedene Missionare und zu eyw BE XPIO"TOV steht, vermutet F. R. Hitchcock in ihnen Mitglieder eines Mysterienvereins : XAOT] ist in der Tat als Beiname der Demeter belegt, und in Korinth gab es einen Demeterkult; aber es ist ganz unwahr­scheinlich, daß Paulus aus solchen Quellen kommende Nachrichten gegen eine christliche Gemeinde ausspielt. Er würde dann ja selbst in gewisser Weise Heiden zu Richtern in Gemeindeangelegenheiten ein­setzen, was er 1 Kor 6 4 apodiktisch verwirft. Außerdem würden q.us solchen Quellen kommende Vorwürfe bei den Korinthern kaum etwas ausrichten.

Wir können nun einen Überblick über unser Wissen von den namentlich genannten Christen in Korinth geben. Abgesehen von den Leuten der Chloe sind uns (maximal) 16 Namen überliefert. Jedoch ist nicht immer sicher, ob die Genannten aus Korinth stammen: Lukios (Röm 1621) wird häufig mit Lukas identifiziert; Lukas ist eine Koseform von Lukios. Ebenso vermutet man in Sosipatros (Röm 16 21) den Act 204 genannten Reisebegleiter Sopatros aus Beröa. Sosthenes, der im Präskript des Korintherbriefes neben Paulus steht, wäre nur dann als Korinther zu betrachten, wenn er mit dem Synagogenvorste­her Sosthenes aus Act 1817 identisch ist, was keineswegs sicher ist.

Achaicus: 1 Kor 1617, Begleiter des Stephanas. Aquila: Röm 163 Act 182. 18. 26 1 Kor 1619; Hausgemeinde,

kleiner Handwerksbetrieb, Reisen, Unterstützung des Apostels.

53 Es könnte sich auch um Freigelassene handeln. Aber auch dann wäre eher der Name eines patronus zu erwarten: »Liberti einer Frau nehmen das nomen und praenomen des Vaters ihrer patrona an« (so J. Marquardt, Das Privatleben der Römer, Hdb. d. röm. Altertümer v. J. Marquardt und Th. Mommsen VII, 1, Leipzig 21886, 22).

54 F. R. Hitchcock, Who are ,the people of ehloe' in 1 Cor. 111? JThSt 25. 1923. 163-167.

256

Erastos:

Fortuna tus : Gaius:

Jason: Krispus:

Lukius: Priscilla: Phoibe:

Quartus Sosipatros Sosthenes Stephanas:

Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [257J

Röm 1623; Finanzbeamter der Stadt, der wahr­scheinlich später zum Aedilen gewählt wurde und wegen dieser Wahl eine Stiftung macht, Reisen. 1 Kor 1617; Begleiter des Stephanas. Röm 1623 1 Kor 114; sein Haus dient der ganzen Gemeinde und Paulus. Beziehungen zu Erastos? Röm 1621. 1 Kor 114 Act 18 1; Synagogenvorsteher, steht einem )}Haus« vor, sein Übertritt zum Christentum beein­druckt andere. Röm 1621. siehe unter Aquila. Röm 16lf.; Dienstleistungen für Paulus und die Gemeinde, Reisen. Röm 1623. Röm 1621. 1 Kor 11 Act 1817? Synagogenvorsteher, Reisen. 1 Kor 116 1615; steht einem Haus vor, Dienstlei­stungen für die Gemeinde, Reisen.

Titius Iustus: Act 187; Beherbergung des Paulus. Tertius: Röm 1622; Schreiber. Leute der Chloe: 1 Kor 111.

Von den 17 aufgeführten Personen (bzw. einer Personengruppe ) gehören nach den oben diskutierten Kriterien neun zu den gehobenen Schichten. Dafür sprechen in drei Fällen übereinstimmend drei Kri­terien (Haus, Dienstleistungen, Reisen bei Aquila, Priscilla und Ste­phanas), in vier Fällen zwei Kriterien (Amt und Reisen bei Erastos und Sosthenes, Amt und )}Haus« bei Krispus, Dienstleistungen und Reisen bei Phoibe), in zwei Fällen ein Kriterium (Dienstleistungen bei Gaius und Titius Iustus, die ihrem Charakter nach aber ziemlich sicher auf einen gewissen Wohlstand schließen lassen). Von diesen neun Personen stammt möglicherweise Sosthenes nicht aus Korinth. Ihnen steht nur eine kleine Gruppe gegenüber, bei der ein geringer Sozial­status wahrscheinlich ist: die Leute der Chloe. Möglich ist der bei Achaicus, Fortunatus und Tertius, jedoch keineswegs sicher. Offen bleibt der Sozialstatus von Jason, Ludus und Sosipatros, wobei wir bei den beiden zuletzt Genannten nicht einmal sicher sind, ob sie der korinthischen Gemeinde angehörten. Das Ergebnis ist ganz eindeutig: Der größte Teil der namentlich genannten Korinther hat wahrschein­lich einen gehobenen Sozialstatus. Man braucht deswegen die Aussage des Paulus nicht in Zweifel zu ziehen, daß »nicht viele« Korinther den· höheren Schichten angehören (1 Kor 1 26). Denn es ist verständlich, daß in den Briefen vor allem die entscheidenden Leute namentlich

[258] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 257

genannt werden, die die Kommunikation mit Paulus aufrechterhalten (also sich Reisen erlauben können) und in der Gemeinde Einfluß haben. Wir dürfen daher schließen: Die aktivsten und wichtigsten Gemeinde­glieder gehörten mit großer Wahrscheinlichkeit zu den ov "IToi\i\oi O"oepoi, 8VVCXTOi und EVYEVEiS. Die unteren Schichten treten in der ko­rinthischen Korrespondenz kaum als Einzelpersonen auf. Um so wich­tiger ist die Analyse von Aussagen über Teile der Gemeinde.

C. Aussagen über Teile der Gemeinde

1. Am aufschlußreichsten sind hier zweifellos die beim Herren­mahl hervortretenden Gruppierungen55 : Einige Christen bringen hier offensichtlich ein »eigenes« Mahl mit, während andere nichts haben, 1..lT] EXOVTES sind (1 Kor 1122) und hungern. Wenn nun Paulus die erste Gruppe fragt: »Habt ihr denn keine Häuser, um zu essen und zu trin­ken ? «, so liegt die Frage nahe: Wer hat denn da in Korinth Häuser gehabt? Wollte Paulus nur sagen, jeder solle bei sich essen, läge die Formulierung EV oil<'tl (1134 1435) oder mxp' ECXVTc;> (162) näher. Außerdem würde er sich so sehr mißverständlich ausgedrückt haben, als wollte er den »Hungernden« empfehlen, sich doch zu Hause satt­zuessen - ein zynischer Ratschlag wäre das. Die Frage des Paulus richtet sich jedoch nur an die, die genug zu essen und zu trinken haben. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß in oil<lcxs EXElV der Gedanke des »Hausbesitzens« mitschwingt. Sicher ist es freilich nicht. Sicher ist nur, daß beim Herrenmahl soziale Unterschiede hervortreten: eine Spaltung zwischen Habenden und Nichthabenden.

2. Es gibt ferner direkte Aussagen zu materiellen und finanziellen Leistungen der Korinther. Bei der Aufforderung zur Kollekte56 stellt Paulus deutlich Unterschiede in den finanziellen Möglichkeiten des einzelnen in Rechnung. Jeder solle am Sabbat zurücklege~, was er kann (1 Kor 162). Daß einige korinthische Christen über größere Mittel verfügt haben, geht m. E. aus dem Streit um das Unterhalts­recht des Apostels hervor. Wir erfahren da, daß die Korinther viele Missionare offensichtlich bewirtet haben: Apollos, Petrus (bzw. Mis­sionare, die sich auf ihn beriefen), ferner die im 2 Kor auftauchenden Gegner des Paulus, die überapostel (2 Kor 115). Nun ist solche Be-

55 Daß die in 1 Kor 11 hervortretenden Spannungen Spannungen zwischen reicheren und ärmeren Christen sind, wird im allgemeinen nicht bestritten: vgl. z. B. J. Weiss, a. a. 0., 293; G. Bornkamm, Herrenmahl und Kirche bei Paulus, ZThK 53, 1956, 312ff., (= Studien zu Antike und Urchristentum, Ges. Aufsätze H, München 1963, 138-176, bes. S. 142. 144); E. v. Dobschütz, a. a. 0., 19.

56 Auch E. v. Dobschütz, a. a. 0., 19, nennt die Kollekte als Argument dafür, daß keine unbeträchtliche Zahl von wohlhabenden Christen der korinthischen Ge­meinde angehört haben.

258 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [259]

wirtung auch bei bescheidenen Verhältnissen denkbar, wenn man eine überdurchschnittliche Opferbereitschaft in Rechnung stellt. Wer sich darüber hinaus aber noch den Luxus erlaubt, anderen Missionaren vorzuwerfen, sie nähmen keine materielle Unterstützung an, und wer diesen Vorwurf nicht nur einmal, sondern wiederholt erhebt (1 Kor 91ff. 2 Kor 10-13), der muß schon einen bescheidenen Reichtum sein eigen nennen. Es ist offensichtlich auch nicht die ganze Gemeinde, die diesen Vorwurf erhebt. In 1 Kor 9 3 verteidigt sich Paulus nur vor einigen: Tois EI-lE aVCXKpivovcYlv. Man darf m. E. vermuten - aber das soll hier nicht ausgeführt werden -, daß die Wortführer der korinthi­schen Parteien, d. h. die Protagonisten unter den Anhängern anderer Missionare, zu den gehobenen Schichten gehörten.

3. Aus 1 Kor 61-11 hören wir von Prozessen korinthischer Christen untereinander. Gegenstand dieser Prozesse sind ß1WT1K6:, wahrschein­lich Vermögensangelegenheiten oder Angelegenheiten des Erwerbs57•

Diese werden kaum von denen geführt, die kein Vermögen haben. Man muß dabei in Rechnung stellen, daß Leute mit gehobenem Sozial­status generell ein größeres Vertrauen darin haben, vor Gericht Recht zu bekommen bzw. ihre Rechtsauffassung durchzusetzen, zumal sie gute Anwälte bezahlen58 und kompliziertere Rechtslagen besser über­schauen konnten. Vielleicht spielt Paulus auf den Sozialstatus der prozessierenden Christen an59, wenn er ironisch fragt: »SO ist denn unter euch kein Weiser, der zwischen seinem Bruder richten könnte ?« (1 Kor 6 5) Wer sich für »weise« hält, sollte zumindest weise genug sein, Streit zu schlichten.

57 Vgl. F. Preisigke, Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden, Berlin 1925 Bd. I, Sp. 270. Ferner: Epiktet, Diss. I, 26,1-7.

58 Bei Rechtsanwälten gab es ursprünglich kein ausgehandeltes Honorar. Aber Claudius bestimmte, daß auch Rechtsanwälte ein Honorar beanspruchen konnten (Tac. anno XI, 7,8). Vgl. U. E. Paoli, Das Leben im alten Rom, BernJMünchen 21961, 219-235.

59 A. Stein, Wo trugen die korinthischen Christen ihre Rechtshändel aus? ZNW 59, 1968, 86-90, meint, die Prozesse hätten vor jüdischen Richtern stattgefunden. Er faßt Kaei~€lv juridisch. Im röm. Rechtsprozeß werde der Richter nicht »einge­setzt~. Paulus geht aber davon aus, daß die Gemeinde grundsätzlich keinem Rich­ter unterworfen ist. Dann kann man »einsetzen« auch in weiterem Sinne fassen: Indem die Christen Richter .aufsuchen. machen sie diese erst (für sich) zu Richtern. Beim Erscheinen vor dem Richter war es für die Parteien wichtig, daß sie mit möglichst vielen einflußreichen Freunden vor Gericht erschienen (U. E. Paoli, a. a. 0., 231). J. Bohatec, Inhalt und Reihenfolge, ThZ4, 1948, 252-271, meint, reichere Christen hätten sozial .Schwächere« vor Gericht gebracht. Aber darüber erfahren wir nichts. Richtig ist aber, was E. v. Dobschütz, a. a. 0., 19, bemerkt: »Prozesse über Vermögenssachen sind sicher nicht von Sklaven und armen Schif­fern geführt worden«.

[260] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 259

4. »Weisheit« und »Erkenntnis« werden von Paulus und den Ko­rinthern gewiß theologisch verstanden: als erlösendes Offenbarungs­wissen. Das schließt jedoch nicht aus, daß die »Weisen« auch in ganz alltäglichem Sinne gebildet sind. In der Religionsgeschichte läßt sich häufig beobachten, daß gerade gebildete Schichten für die Vorstellung vom erlösenden Wissen zugänglich sind60. In Korinth könnte es so etwas wie eine intellektuelle Schwärmerei für die erlösende Weisheit aus dem Osten gegeben haben, jene Schwärmerei, die man ja oft bei gebildeten und vermeintlich gebildeten Menschen beobachten kann. Vielleicht betont Paulus deswegen, daß diese Weisheit allen Völkern, östlichen wie westlichen, Juden wie Griechen, Ärgernis und Torheit ist (1 Kor 122). Nun gibt es in der Tat konkrete Hinweise darauf, daß die Korinther nicht ohne durchschnittliche Bildung waren. Das zeigen die im 1 Kor anklingenden populärphilosophischen Parolen: »Der Weise ist König«, »Dem Weisen gehört alles«, »Erkenntnis macht frei«61. Das zeigt aber auch die Apologie des Paulus in 2 Kor 10-13, die voll von populärphilosophischen Topoi ist und deren Kenntnis bei den Adres­saten voraussetzt62. Wenn nun mit solchen »philosophischen« Parolen wie »Wir alle haben Erkenntnis« (1 Kor 8 1) Skrupel gegenüber der Teilnahme an heidnischen Feiern beiseite gewischt werden, so deutet das auf einen bestimmten Sitz im Leben solcher Parolen: Der Stadt­kämmerer Erastos (und erst recht der Aedil) hätte sein kommunales Amt gleich zur Verfügung stellen können, hätte er grundsätzlich Ein­ladungen zu Festen ausgeschlagen, bei denen heidnische Riten und geweihtes Opferfleisch unvermeidlich waren63. Die »liberale« Haltung in der Götzenopferfleischfrage dürfte in den höheren Schichten zu suchen sein, die strengere in den unteren - doch kann diese Frage hier nicht ausdiskutiert werden. Es genügt in unserem Zusammenhang die Erkenntnis, daß »\Veise« und andere sich in Korinth gegenüberstehen, wobei die »Weisen« und »Gnostiker« eher in den höheren Schichten zu suchen sind. 60 Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 31947, 286ff. 61 So H. Conzelmann, a. a. 0., 30 Anm. 114. Einen Überblick über die Stellen im

1 Kor, in denen man Zitate des Gemeindebriefes vermutet hat, gibt J. C. Hurd, The Origin Gf 1 Corinthians, London 1965, 68.

62 Zu diesen Topoi vgl. H. D. Betz, Der Apostel Paulus und die sokratische Tradi­tion, Tübingen 1972.

63 In den Anm. 35 genannten korinthischen »Ämterlaufbahnen« finden sich auch aus­gesprochen heidnisch-religiöse Ämtcr: Vgl. Kent Nr. 152. 154. 156. 158. Wer in Korinth eine kommunale Laufbahn anstrebte, wird sich kaum von heidnischen Riten und Feiern öffentlich distanziert haben können. F. J. M. de Waele, Die Korinthischen Ausgrabungen 1928-1929, Gn 6, 1930, 54 vermutet denn auch etwas phantasievoll, daß Erastos »sein Amt und seine Freigebigkeit ausgeübt haben muß in der Zeit Neros, vielleicht um Feindseligkeiten seiner religiösen Über­zeugungen zufolge vorzubeugen. «

260 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [261J

5. Die Mahnung an Sklaven (1 Kor 721ft) zeigt, daß auch Sklaven zur Gemeinde gehörten (vgl. 1 Kor 12 13) - möglicherweise als An­hang eines christlichen Herrn, möglicherweise aber auch unabhängig davon. Denn die vorausgehende Mahnung zur Mischehe (1 Kor 78ff.) setzt voraus, daß Christen in heidnischen Häusern leben und die christ­liche Gemeinde nicht eine Vereinigung von mehreren geschlossenen Hausgemeinschaften ist.

Die Analyse von Aussagen über Teile der Gemeinde bestätigt die Annahme einer innergemeindlichen sozialen Schichtung. Wie bei den namentlich bekannten korinthischen Christen treten auch hier die Angehörigen höherer Schichten deutlicher hervor: Die )}Weisen« ge­winnen im 1 Kor mehr Profil als die Schwachen, denen Einsicht und Erkenntnis mangelt. Die Reichen, die ein lOlOV OEhTVOV zur Verfügung haben, werden nachdrücklicher angesprochen als die 1-1" EXOVTES. Und während wir die Kritik am Lebensstil des Paulus noch erkennen kön­nen, bleiben diejenigen stumm, die seinem Unterhaltsverzicht zu­stimmten. Auch hier erweisen sich die Gruppen, in denen wir Angehö­rige höherer Schichten vermuten dürfen, als aktiver. Aber deutlich heben sie sich von anderen, im Hintergrund bleibenden Gruppen ab, die nach 1 Kor 1 26 in der Mehrzahl sind. Diese in der korinthischen Gemeinde feststellbare soziale Schichtung hat strukfurelle Gründe, die sowohl in der sozialen Struktur der Stadt Korinth als auch in der Mission des Paulus begründet sind.

I I. Soziologische Deutung des Befunds

A. Die soziale Struktur der Stadt Korinth

Cäsar gründete 44 v. Chr. das 146 zerstörte Korinth als römische Kolonie neu64• Er siedelte vor allem Freigelassene an, jedoch nicht ausschließlich: ETI01KOVS TIEI-I\fJOVTOS TOU chrEAEV6EP1KOU YEVOVS TIAElcrTovs (Strabo VIII, 6, 23). Auch Veteranen waren wahrscheinlich darunter. Jedenfalls wa;::en e~. römi~~he Bjirger: Eine Kolonie besaß ja per definitionem das römische Bürgerrecht. Das römische Element war daher stark vertreten, auch wenn unter den Freigelassenen z. B. auch griechische Sklaven gewesen sein könnten. Es ist gewiß kein Zufall, wenn von 17 überlieferten Namen korinthischer Christen acht latei­nisch sind: Aquila, Fortunatus, Gaius, Lucius, Priscilla, Quartus,

64 Einen kurzen überblick über die Geschichte Korinths an Hand der Ausgrabungen gibt F. J. de Waele, Corinthe et Saint Paul, Paris 1961. Zum römischen Korinth vgl. dort 85-103. Zur politischen und wirtschaftlichen Situation des römischen Korinths vgl. ausführlicher Kent, 17-31. Auch bei U. Kahrstedt, Das wirt­schaftliche Gesicht Griechenlands in der Kaiserzeit. Kleinstadt, Villa und Domäne, Dissertationes Bernenses I, 7, Bern 1954, 116f., wird kurz die wirtschaftliche Situ­ation Korinths skizziert.

[262J Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 261

Titius Iustus, Tertius, was freilich über die ethnische Herkunft nicht viel sagt; Aquila und Priscilla waren bekanntlich Juden. Diese bildeten neben Römern und Griechen eine dritte Bevölkerungsgruppe (vgl. West Nr. 111; Philo LegGai 281f.; Act 18 lff.). Nach Apuleius (Met. XI) gab es im 2. Jh. n. ehr. einen Isiskult in Korinth. Vielleicht fand der Alexandriner Apollos schon im 1. Jh. ägyptische Landsleute in Korinth. Für die Gemeindegründung ist vor allem wichtig, daß die Stadt keine Kontinuität in ihrer Tradition hatte. Was in Korinth vor­handen war, war nicht älter als 100 Jahre: Verfassung, Bauten, Fa­milien, Kulte. Viele Familien waren in dieser Zeit sozial aufgestiegen: Großväter und Urgroßväter waren möglicherweise noch Sklaven gewesen. Eine solche Stadt öffnet sich leichter neuen Bestrebungen65•

Und es ist vorstellbar, daß sich hier auch relativ )etablierte« Kreise für neue Gedanken gewinnen ließen. Denn die )meuen« Korinther lebten im Zentrum eines Landes, dessen Kultur schon damals ein )Mythos« war. Aber sie lebten nicht in dieser Kultur. Mochten sie in vieler Hinsicht an die griechischen Traditionen anknüpfen, die latei­nische Sprache der Inschriften und der Bau eines Amphitheaters zeigen, wie ungriechisch z. T. ihr Lebensstil war. Eine derartige Situa­tion ist gerade für Schichten verunsichernd, bei denen (wirkliche oder vermeintliche) Bildung zum Sozialstatus gehört. Vielleicht öffneten sich einige ihrer Angehörige eben deswegen für die neue Weisheit aus dem Osten, in der sie alle Ansprüche von Weisheit und Erkenntnis erfüllt sahen66 • Es ist gewiß kein Zufall, daß Paulus in der traditions­bewußten Stadt Athen nach Act 17 keinen Erfolg hatte, aber in Ko­rinth ))Viel Volk« für den christlichen Glauben gewann: In einer neu­gegründeten, kulturell sehr heterogenen Stadt entsteht eher das Ver­langen nach einer neuen sozialen und kulturellen Identität, als in dem etablierten Kulturzentrum Athen.

Die korinthischen Bürger waren nicht nur sozial gestiegen. Auch wirtschaftlich hatte die Stadt einen schnellen Aufschwung genom­men67 • Das zeigen die Ausgrabungen. Die ältesten Häuser sind'noch

65 So O. Broneer, Corinth, BiblArch 14, 1951, 78: ») ••• the new city could be expected to be more receptive to novel religious beliefs than a place like Athens with her unbroken cultural history of several thousand years, Perhaps even more important was the fact that many visitors came to the great cosmopolitan city on the Isth­mus and some of his most faithful followers in his future missionary work were, like the apostle himself, foreigners in the city«.

66 Mit einer entsprechenden Propaganda scheinen die Gegner des Paulus im 2 Kor Erfolg gehabt zu haben. Vgl. D. Georgi, Die Gegner des Paulus im 2. Korinther­brief. Studien zur religiösen Propaganda in der Spätantike, WMANT 11, Neu­kirchen 1964, 51 ff.

6? Die zeitgenössischen Klagen über den Niedergang der griechischen Städte treffen auf Korinth gewiß nicht zu. Es handelt sich hier doch wohl um einen Topos, der

262 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [263]

recht schlicht gebaut, die späteren Gebäude aber großzügig angelegt. Korinthische Bürger haben gerade im 1. Jh. eine große Bautätigkeit gezeigt, Gebäude und Einrichtungen gestiftet. Von 27 inschriftlich belegten Fällen fallen 17 allein in die Zeit von Augustus bis Nero6S• Da die Spender außerhalb Korinths in den meisten Fällen nicht belegt sind, darf man annehmen, daß einheimische Bürger selbst für die Aus­stattung ihrer Stadt sorgten. Auch der Christ Erastos hat sich wahr­scheinlich hier ausgezeichnet.

Ein unverkennbares Zeichen wirtschaftlichen Aufschwungs ist die erneute übernahme der isthmischen Spiele durch die Stadt Korinth zwischen 7 v. Chr. und 3 n. Chr. Seit der Zerstörung des alten Korinths waren diese Spiele in Sikyon durchgeführt worden. Die als Organi­satoren und Leiter der Spiele gewählten Agonotheten (von denen man eine finanzielle Förderung der Spiele erwartete) scheinen alle Ko­rinther gewesen zu sein. Diese Spiele zogen viele Menschen an: Dio Chrysostomos (or. 37, 8) nennt den 6EWPOV, den Festbesucher, an zweiter Stelle nach dem Kaufmann - und deutet damit schon die enge Verbindung von Spielen und wirtschaftlicher Tätigkeit an.

Der Reichtum Korinths basierte zweifellos vor allem auf dem Han­deI: 6 5E KOP1V6oS &<pVE1CS \lEV AeYETCX1 510 TC E\l1TOP10V schreibt Strabo (VIII 6, 20). Korinth galt als »große und reiche Stadt« (Strabo VIII 6, 23). Dies Zeugnis aus der Zeit um die Zeitenwende herum wird für das 2. Jh n. Chr. durch eine Rede des Ailios Aristeides ergänzt, der Korinth als kommerzielles Zentrum Griechenlands preist (Ael. Arist. or. XLVI, 22ff.). Mit Recht nennt Dio Chrysostomos (or. 37,8) den »Kaufmann« an erster Stelle der Besucher Korinths. Es paßt daher ins allgemeine Bild Korinths, wenn wir die häufigen Reisen christlicher Gemeindeglieder u. a. auf geschäftliche Verbindungen zurückführen69.

Ein zweiter Faktor des korinthischen Reichtums waren die vom Handel nicht zu trennenden Finanzgeschäfte. Plutarch (mor. 831 A) nennt drei Bankzentren in Griechenland: Patrae, Korinth und Athen70•

aus dem Vergleich der gegenwärtigen Lage Griechenlands mit der Erinnerung an seine große Vergangenheit entstand. SO J. A. D. Larsen, Roman Greece, in: _-\n Economic Survey of Ancient Rome IV, ed. T. Frank, Baltimore 1938, 465.

68 v gl. die Liste bei Kent, 21. 69 Die handelsgeographische Lage Korinths läßt sich durch Münzfunde erhellen (vgl.

K. N. Edwards, Coins 1896-1929, Corinth, Results of excavations VI, Cambridge 1933, und U. Kahr€tedt, a. a. 0., 116): Von 892 Münzen sind 39% nicht lokaler Herkunft: 630 stammen aus dem Westen, 77 aus der Argolis, 66 aus dem Pelo­ponnes, 51 aus Mittel- und Nordgriechenland, 28 aus dem Orient. Die besondere politische und wirtschaftliche Bindung Korinths an den Westen läßt diese Stadt als den geeignetsten Ort erscheinen, um von hier die Mission des Westens vorzu-

_- bereiten und Verbindung zur römischen Gemeinde aufzunehmen (Röm 1524). 70 Vgl. J. A. D. Larsen, a. a. 0., ~59-498, 472.

[264] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 263

Als dritter Faktor ist handwerkliche Produktion in Rechnung zu stellen. Strabo hebt die korinthischen TExvoS TOS 01l1.l10UPYIKO:S aus­drücklich hervor (VIII 6, 23). Zwar war die Metallverarbeitung zu­rückgegangen (Strabo VIII 6, 23), aber korinthisches Erz, eine beson­dere Bronzelegierung, war nach wie vor begehrt: Als Beispiel für die Habsucht der weltbeherrschenden Römer nennt Petron (sat. 119) u. a. den Soldaten, der das korinthische Erz preist - es muß also noch zu jener Zeit berühmt gewesen sein. Das untergegangene griechische Korinth war vor allem durch seine Töpferarbeit berühmt gewesen. Aber auch das neue Karinth erlebte einen Aufschwung der Handwerks­tätigkeit : Gegen Ende des 1. Jh. n. Chr. werden Lampen in steigendem Maße wieder expartiert71•

Schließlich ist als vierter Faktor für das Aufblühen Karinths die staatliche Verwaltung zu nennen: Seit 27 v. Chr. war Korinth Sitz des Statthalters van Achaia. Auch deswegen kamen viele nach Ka­rinth. Dio Chrysostamos nennt den TIPEO'ßUTT]S an dritter Stelle (ar. 37,8); und da er ihn van dem 01EPX0I.lEVOS unterscheidet, dürfen wir annehmen, daß die Provinzialverwaltung hin und wieder Ziel solcher »Gesandten«war. Schreiber wie der Christ Tertius (Röm 1623), wurden in der staatlichen Verwaltung gewiß gesucht.

Es ist denkbar, daß sich in solch einer aufstreb~nden Stadt die Schichten sehr viel deutlicher voneinander abheben als anderswo, wo es seit eh und je bestimmte wohlhabende Familien und arme Kreise gibt. Für das 2. Jh. n. Chr. bezeugt der Rhetor Alciphron (epist. III, 24) einen scharfen Gegensatz der Schichten: OVK ETI EIO'fjA60v EIs TI]V KOpIV60v. Eyvc.uv yop EV ßPOXEi TTJV ßOEAUpfov TWV EKEiO'E TIAovO'lc.uv Koi TTJV TIEVT]Tc.uV &eAI0TT]TO. Eine verschiedene Gruppen und Schichten um­fassende Gemeinschaft wie die christliche Gemeinde in Korinth war mit großer Wahrscheinlichkeit schon durch ihre innere Schichtung vor besondere Probleme sozialer Integration gestellt.

B. Soziale Bedingungen paulinischer Mission

Wenn Paulus genau weiß, daß der größte Teil der korinthischen Christen aus den unteren Schichten stammt, so ist es um so auffälliger, daß alle von ihm selbst getauften Christen zu den höheren Schichten gehört haben: Krispus, Gaius und Stephanas. Sie müssen für die pln Mission besonders wichtig gewesen sein. Oder umgekehrt: bei ihnen ist sie auf fruchtbaren Boden gefallen. Und dafür gibt es einen in der Mission des Paulus liegenden soziologischen Grund. Nach der Apostel­geschichte, die in diesem Punkt glaubwürdig sein dürfte, wandte sich Paulus zunächst an die Juden, dann an die Heiden72, oder genauer: an

71 Vgl. U. Kahrstedt, a. a. 0., 116. 72 R. Liechtenhan, Paulus als ]udenmissionar, ]udaica 2, 1946, 56-70.

264 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [265J

die gottesfürchtigen Heiden, die mit Glauben und Ethos des Juden­tums sympathisierten, ohne voll zum Judentum überzutreten und sich beschneiden zu lassen: die O"EßOI-lEVOI oder q>oßovl-levOi 'TOV Beov. Von der korinthischen Mission erzählt die Apostelgeschichte, Paulus habe nach seiner Ablehnung in der dortigen Synagoge erklärt: »Von jetzt an werde ich zu den Heiden gehen«. Dann heißt es weiter: »Und er ging von dort weg und kam in das Haus eines Mannes namens Titius Iustus, eines Gottesfürchtigen O"eßOI-lEVoV 'TOV Beov «(Act 187). Das war wahrscheinlich kein unbemittelter Mann. Denn man hat mit guten Gründen gerade in den Kreisen der »Gottesfürchtigen « begüterte Menschen vermutet. Grund, den vollen Beitritt zur jüdischen Gemei!lde nicht zu tun - trotz innerer Zustimmung zum jüdischen Glauben-, hatten ja gerade diejenigen, deren Tätigkeit und Sozialstatus gesell­schaftliche Beziehungen zur heidnischen Welt implizierten, die sie als Juden nur mit Mühe hätten aufrechthalten können73. Man denke an die drastische Beschränkung des »Heiratsmarktes « oder Speisetabus. Cmgekehrt konnte es für sozial tiefer Stehende ein wirklicher Vorteil sein, wenn sie voll zum Judentum konvertierten, also Proselyten wur­den. Diese Vermutung kann sich auf die in Italien gefundenen In­schriften des Diasporajudentums stützen, auch wenn die Zufälligkeit der Überlieferung deren Auswertung erschwert74. Insgesamt liegen 731 Inschriften vor. Acht beziehen sich auf Proselyten, sieben (vielleicht auch acht) auf »Gottesfürchtige«. Unter den Proselyten finden wir zwei Sklaven und ein Adoptivkind, unter den Gottesfürchtigen keinen Sklaven, dafür einen römischen Ritter, ein Status, der bekanntlich mit der Vermögenshöhe zusammenhängt75. K. G. Kuhn und H. Stege­mann haben daraus geschlossen: »Unter den ,Gottesfürchtigen' in der jüdisch-hellenistischen Diaspora war der Anteil der sozial Besser­gestellten wesentlich größer als unter den Proselyten, die zum größten Teil aus niedrigeren Volksschichten (z. B. Sklaven) kamen «76. Der Leser des NT kann das bestätigen. Gottesfürchtige treten hier hin und wieder als Förderer jüdischer und christlicher Gemeinden auf. Man denke an die Purpurhändlerin in Philippi (Act 1614ff.), an den Haupt­mann von Kapernaum - die lk Fassung gibt hier zumindest einen typischen Zug wieder; vgl. Lk 7 5: Der fromme Hauptmann hat sogar

73 So vor allem H. Gülzow, Christentum und Sklaverei in den ersten drei Jahrhun­derten, Bonn 1969,12-15.22-28. Weitere Argumente für die Aufgeschlossenheit der Gottesfürchtigen für das Christentum finden sich bei F. V. Filson, 112.

74 Das folgende nach K. G. KuhnjH. Stegemann, Proselyten, PW Suppl. IX, Sp.

1248-1283. 75 Ritter konnte nur sein, wer 400000 Sesterzen sein eigen nannte. Daß sich unter

den inschriftlich bezeugten Proselyten mehr Frauen, nämlich fünf, als unter den Gottesfürchtigen (vier) finden, paßt ins Bild.

76\. a. 0., Sp. 12GGf.

[266] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 265

eine Synagoge erbauen lassen - und an den Zenturionen von Cäsarea (Act 10 1 ff.). Gerade sie zeigen sich für das Christentum aufgeschlossen.

Die Gründe liegen auf der Hand: Die »Gottesfürchtigen « hatten schon gegenüber ihren heimischen Traditionen und Religionen Selb­ständigkeit gezeigt77• Sie standen zwischen verschiedenen kulturellen Bereichen und waren daher besonders empfänglich für den christlichen Glauben, der ethnische und kulturelle Grenzen überschritt und eine Identität unabhängig von überkommenen Traditionen verleihen konnte. Dies konnte das Judentum nicht: Hier waren sie nicht voll gleichberechtigt78• Das Christentum, besonders in seiner paulinischen Form, bot ihnen die Möglichkeit, sich zum Monotheismus und einem hochstehenden Ethos zu bekennen und zugleich volle religiöse Gleich­berechtigung zu erlangen - ohne Beschneidung, ohne Ritualgebote, ohne Beschränkungen, die sich für ihren sozialen Status negativ aus­wirken konnten.

Auch der Konflikt zwischen Juden- und Christentum wird so ver­ständlicher: Warb die christliche Mission doch gerade die heidnischen Gönner des Judentums ab. Nach dem Bericht von Act wird Paulus von den korinthischen Juden vor dem Statthalter Gallio verklagt79•

Der Anklagepunkt lautet: Paulus überrede die Menschen, gegen das Gesetz Gott zu fürchten: cre!3ecr601 TOV 6eov steht dort (1813), also eine mit dem terminus technicus cre!3o~evol TOV 6eov sprachlich und inhalt­lich identische Formulierung, nur in anderer Verbalform. Man darf wohl so verstehen: Paulus lehre einen Weg, cre!3o~evos TÖV 6eov zu werden unter Außerachtlassung der rechtlichen Bestimmungen und Vorbehalte, ohne Verpflichtung auf das Gesetz. Für den gebildeten Juden hieß das: Paulus verkaufe ein Judentum zu herabgesetzten Preisen. Und auch sonst mußte es für die jüdische Diasporagemeinde bitter sein80, daß er damit bei den Gottesfürchtigen Erfolg hatte, nicht nur wegen der Spenden, die jetzt der christlichen Gemeinde zugute kamen, sondern vor allem wegen der Angewiesenheit der jüdischen Minorität auf Fürsprache und Anerkennung in einer fremden heidni­schen Welt, die voll von antijüdischen Vorurteilen war.

Strukturelle Gründe für den Anteil höherer Schichten in den pln Gemeinden sind nicht nur auf Seiten der Adressaten pln Mission zu suchen, sondern auch auf Seiten des Missionars. Paulus kam selbst

.; Das betont F. V. Filson, a. a. 0., 112. 78 Vgl. R. Liechtenhan, a. a. 0., 64; H. Kasting, Die Anfänge der urchristlichen Mis­

sion, München 1969, 26 . • 9 Das ßfi~cx (lat. rostra) des Statthalters wurde auf der korinthischen Agora frei­

gelegt (vgl. F. J. de Waele, Corinthe, 95). Inzwischen wurde auch eine Inschrift gefunden (Kent Nr. 322), welche die Deutung der archäologischen Funde auf das ßfi~cx bestätigt (vgl. Act 1816).

60 Vgl. H. Gülzow, a. a. 0., 24.

266 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [267]

aus gehobenen Schichten81. Von seinem Beruf her war er zwar nur ein einfacher Handwerker, wahrscheinlich " ein Zelttuchmacher aus Tarsos, jedoch war er sowohl Bürger dieser Stadt als auch römischer Bürger (Act 2139 2218)82. Das ist um so bemerkenswerter, als die Textil­handwerker von Tarsos normalerweise weder das eine noch das andere damals gewesen sind, wie aus einer Rede des Dio Chrysostomos (or. 34,21-23) hervorgeht83 :

.Abgesehen aber vom Ratskollegium und vom Bürgervolk, den Jünglingen und den Greisen, gibt es eine nicht geringe Menge, die gewissermaßen außerhalb des Staatswesens steht. Diese nennt man gewöhriIich Leineweber (AIVOVpyOVs). Bald werden sie beschwert und man hält sie für eine übermäßige Menge und gibt ihnen die Schuld für Unruhe und Unordnung; bald aber behandelt man sie als einen Bestandteil des Staatswesens und hält sie hoch in Ehren. Wenn ihr diese für schädlich und Anstifter von Aufruhr und Verwirrung haltet, wäre es absolut notwendig, sie auszuweisen und zu den Volksversammlungen nicht zuzulassen. Wenn ihr sie aber in gewisser Beziehung für Bürger haltet, nicht nur weil sie (hier) ihren Wohnsitz haben, sondern auch weil sie meist hier geboren sind und keinen anderen Staat haben, so dürft ihr sie auch gewiß nicht verachten und von euch absondern. Jetzt aber haben sie, weil sie verachtet werden und als Fremdlinge gelten. am Wohlergehen des Gemeinwesens kein Interesse ... Was heißt du uns "nun zu tun? Diese alle als Bürger einzutragen und als diesen gleichwürdig, sie zudem nicht zu schmähen noch wegzustoßen sondern als einen Teil von euch selbst anzusehen, was sie auch sind«.

Die Familie des Paulus hatte also erreicht, was für die meisten Textilhandwerker in Tarsos umstritten war: das volle Bürgerrecht dieser Stadt. Darüber hinaus aber besaß sie noch das römische Bürger­recht und hatte so zweifellos einen privilegierten Status. Es ist ver­ständlich, daß Paulus Menschen ansprechen konnte, die einen ihm vergleichbaren sozialen Status besaßen. Daß er römischer Bürger war, konnte ihm vielleicht in der römischen Kolonie Korinth hin und wieder einen gewissen Vorschuß an Achtung verleihen: Rechtlich war er den Bürgern Korinths gleichgestellt.

Schließlich ist auf praktische Erfordernisse der Mission hinzu­weisen: Zwar war Paulus durch seine Handwerksarbeit relativ unab­hängig. Aber für seine Missionstätigkeit war er auf Wohnung und Räume für Gemeindeversammlungen angewiesen84 : Größere Versamm-

81 Vgl. E. A. Judge, a. a. 0., 56ff. 82 Th. Mommsen, Die Rechtsverhältnisse des Apostels Paulus, ZNW 2,1901,81-96;

G. Kehnscherper, Der Apostel Paulus als römischer Bürger, in: TU 87 = Studia Evangelica H, Berlin 1964, 411-440. Zur berechtigten Kritik an Kehnscherper vgl. O. Kuss, Paulus. Die Rolle des Apostels in der theologischen Entwicklung der Urkirche, Auslegung und Verkündigung IH, Regensburg 1971. 40 Anm. 2.

83 Vgl. dazu W. Bienert, a. a. 0., 302ff. 84 Das betont vor allem F. V. Filson. a. a. 0., 111. Er zieht daraus den m. E. richtigen

Schluß: »The apostolic church was more nearly a cross section of society than we have sometimes thought.«

[268] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 267

lungsräume aber konnten nur die halbwegs Begüterten zur Verfügung stellen.

Damit sind einige strukturelle Gründe genannt, warum Paulus in Korinth (und anderswo) Mitglieder höherer Schichten für das Christen­tum gewinnen konnte. Das ändert nichts daran, daß in" der korinthi­schen Gemeinde die meisten Christen aus unteren Schichten stammten. Einige kamen wahrscheinlich im »Gefolge « eines sozial Höherstehen­den: als Familienmitglieder, Diener und Sklaven. Jedoch läßt sich die innere soziale Schichtung der korinthischen Gemeinde nicht ausschließ­lich darauf zurückführen85. So setzt die Mahnung an »Mischehen« (1 Kor 7 8ff.) voraus, daß die Grenzen zwischen Christentum und Hei­den- bzw. Judentum mitten durch Häuser und Familien laufen, daß sie Ehegatten, Eltern und Kinder trennen konnten. Auch die Mahnung an Sklaven (1 Kor 721 ff.) läßt nicht erkennen, daß sie sich nur an Sklaven christlicher Herren richtet: Anders als in den Deuteropaulinen (vgl. Kol 3 18 ff. Eph 5 22 ff.) oder im Philemonbrief erhalten z. B. die Herren keine Mahnungen für den Umgang mit Sklaven. Schließlich widerspricht 1 Kor 1120-34 der These, die innergemeindliche Schich­tung der Gemeinde sei vorwiegend auf soziale Statusunterschiede innerhalb christlicher Häuser zurückzuführen: Hier wird deutlich vorausgesetzt, daß verschiedene Häuser verschiedenen Sozialstatus haben. Die Reichen sollen ihr »eigenes Essen« zu Hause zu sich nehmen (1122.34). Es ist kaum anzunehmen, daß die I-Itl EXOVTES (1122) ihre Hausgenossen gewesen sind; sonst hätte sich das Problem des Verhält­nisses von Habenden und Nichthabenden in den Häusern nur wieder­holt.

Als Ergebnis sei festgehalten : Das hellenistische Urchristentum ist weder eine proletarische Bewegung unterer Schichten gewesen, noch eine Angelegenheit gehobener Schichten. Charakteristisch für seine soziale Struktur ist vielmehr, daß es verschiedene Schichten um­faßte - und damit verschiedene Interessen, Gewohnheiten, Selbst­verständlichkeiten. Mit Recht hat E. A. Judge betont: »)Diese Ver­schmelzung so verschiedener Interessen hob die Christen aus der Masse der anderen privaten Verbände heraus, die im allgemeinen sozial und wirtschaftlich so homogen wie möglich gebildet wurden. Ein solcher Zustand führte natürlich zu beständigen Differenzen unter den Chri­sten ... «86. Diese Differenzen (die m. E. gerade in Korinth sehr auf­schlußreich sind) sollen hier nicht untersucht werden. Abschließend ist jedoch kurz das Ergebnis der soziologischen Analyse von Nach­richten über die korinthische Gemeinde in den geschichtlichen Rahmen der Entwicklung von Christentum und antiker Gesellschaft einzu-

B5 Dazu neigt E. A. ]udge, a. a. 0., 59. B6 Ebd.

268 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [269J

ordnen, auch wenn dabei nicht mehr als einige Arbeitshypothesen für die weitere Forschung skizziert werden können.

Die hellenistischen Gemeinden repräsentieren ein fortgeschrittenes Entwicklungsstadium des Urchristentums. Die ältesten Gemeinden sind im palästinensischen Bereich zu suchen. Der Übergang des Chri­stentums von der ländlich strukturierten Welt Palästinas in die städ­tisch-hellenistische Kultur des Mittelmeerraumes brachte wahrschein­lich mit sich, daß es auch in höhere Schichten drang, Die Selbstbe­zeichnung der Urgemeinde als 1TTwxo1 (Gal 210 Röm 1526) dürfte nicht nur ein »rein religiöses« Selbstverständnis zum Ausdruck bringen, sondern in handfestem Sinne zu verstehen sein: Paulus wenigstens sammelt seine Kollekte für die »Armen« in Jerusalem im Bewußtsein, reale Hilfe zu leisten (vgl. Röm 15 27 2 Kor 9 12). Die nach J erusalem übergesiedelten galiläischen Fischer und Bauern z. B. werden in der Tat arm gewesen sein; hatten sie doch mit ihrer galiläischen Heimat auch ihre Erwerbsmöglichkeiten aufgegeben. Und es ist m. E. durch­aus glaubhaft, daß es zwischen den in J erusalem lebenden, aus der Diaspora stammenden (vermutlich besser gestellten) Juden und den »einheimischen« in der Urgemeinde Konflikte gab, die durch materielle Fragen verschärft wurden (Act 61-6). Die Geschichte des Urchristen­tums war also schon in der ersten Generation durch einen tiefgreifen­den sozialen Wandel bestimmt, in dem sich wichtige soziokulturelle, sozioökologische und sozioökonomische Faktoren veränderten, nämlich durch einen Prozeß der Hellenisierung, Urbanisierung und einen Auf·· stieg auch in höhere Schichten. Stellt man dies in Rechnung, so kann es kaum als Zufall erscheinen, daß die hellenistischen Gemeinden die aus einer ganz anderen sozialen Welt stammenden palästinensischen Traditionen nur zögernd rezipierten. Paulus kennt bekanntlich nur wenige Herrenworte. Und selbst wenn er mehr gekannt hätte - der ethische Radikalismus der Jesusüberlieferung, ihr Ethos der Familien-, Besitz-, und Heimatlosigkeit, hätte in den von ihm gegründeten Ge­meinden keinen Lebensraum gehabt. In diesen Gemeinden entstand vielmehr ein von der synoptischen Tradition deutlich unterschiedenes Ethos: das des urchristlichen Liebespatriarchalismus87 , wie es uns besonders in den Deuteropaulinen und Pastoralen entgegentritt, aber schon bei Paulus vorliegt (vgl. etwa 1 Kor 7 21ff. 11 3-16). Dieser Liebes­patriarchalismus nimmt die sozialen Unterschiede als gegeben hin, mildert sie jedoch durch die Verpflichtung zu Rücksichtsnahme und

87 Der Begriff des ,)Liebespatriarchalismus« stammt sachlich von E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Ges. Schriften Bd. 1, Tübin­gen 1923, 67-83. Es ist der christliche Patriarchalismus, der durch die Wärme der Liebesidee seine besondere Färbung erhält (S.67). Seine Grundidee ist die ,>der willigen Akzeptierung der gegebenen Ungleichheiten und ihrer Fl"uchtbar­machung für die ethischen Werte der persönlichen Aufeinanderbeziehung« (S. 68).

[270] Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 269

Liebe, eine Verpflichtung, die gerade gegenüber dem sozial Stärkeren geltend gemacht wird, während vom sozial Schwächeren Unterord­nung, Treue und Achtung verlangt werden. Aus welchen geistesge­schichtlichen Quellen sich auch immer dies Ethos speist: Mit diesem Ethos bewältigte ein großer Teil des hellenistischen Urchristentums die Aufgabe, die sozialen Beziehungen einer Gemeinschaft zu gestalten, die einerseits von ihren Gliedern ein hohes Maß an Solidarität und Brüderlichkeit verlangte, andererseits aber sehr verschiedene Schichten umfaßte. Dieser urchristliche Liebespatriarchalismus hat mit seinem temperierten sozialen Konservatismus das Christentum nachhaltig geprägt. Er hat sich im 2. Jh n. Chr. gegen Montanismus und Gnosis durchgesetzt. Er hat die grundlegenden Normen der Kirche geschaffen, überdauernde Institutionen gebildet, Organisationsprobleme gelöst und das Christentum für die Aufnahme großer Massen vorbereitet. Seine geschichtliche Wirksamkeit ist nicht zuletzt darin begründet, daß er Mitglieder verschiedener Schichten integrieren konnte: Mit­glieder höherer Schichten konnten hier in führenden Stellungen ein reiches Betätigungsfeld finden, so daß es dem antiken Christentum wahrhaftig nicht an profilierten Führungsgestalten gefehlt hat - be­ginnend mit Paulus. Aber auch die unteren Schichten fanden hier eine Heimat: nämlich grundsätzliche Gleichberechtigung vor Gott, Soli­darität und Hilfe in den konkreten Problemen des Lebens - nicht zuletzt durch jene Christen, die eine gesellschaftlich gehobene Position innehatten. Christliche Brüderlichkeit hätte sich in sozial homogenen Gruppen wahrscheinlich radikaler durchführen lassen. Aber das i"t auch viel leichter, als etwas Brüderlichkeit in sozial stark geschichteten Gemeinschaften zu realisieren. Hier bot der urchristliche Liebes­patriarchalismus eine realistische Lösung.

Dieser Liebespatriarchalismus hat in der spätantiken Gesellschaft auch gesamtgesellschaftliche Bedeutung gewonnen. Er bot ein neues :Muster zur Bewältigung und Gestaltung sozialer Beziehungen gegen­über der griechisch-römischen Antike88• Diese versuchte ihre sozialen Integrationsprobleme durch die großartige Vision gleichberechtigter Bürger zu lösen: Um diese Gleichberechtigung wurde in politisch­sozialen Konflikten gestritten. Durch Ausdehnung dieser Gleichbe­rechtigung auf eine größere Zahl von Menschen versuchte man immer wieder, soziale Spannungen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Ein Beispiel haben wir oben genannt: Die Empfehlung Dio Chrysosto­mos' an die Tarser (or. 34, 21ff.), allen Textilhandwerkern das Bürger­recht zu verleihen, um sozialen Konflikten vorzubeugen. Ein anderes

88 Für diesen Wandel ist das Buch von H. Bolkestein, Wohltätigkeit und Armen-pflege im vorchristlichen Altertum, Utrecht 1939 = Groningen 1967, dessen Be­deutung weit über das durch den Titel fixierte Thema hinausgeht, sehr aufschluß­reich. Vgl. vor allem die soziologische Deutung dieses Wandels S. 438-484.

270 Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde [271]

Beispiel ist die schrittweise Ausdehnung des römischen Bürgerrechts bis zum Edikt des Caracalla 217 n. Chr., das der ganzen Reichsbevölke­rung das römische Bürgerrecht verlieh89• Die bürgerliche Gleichbe­rechtigung war jedoch immer eine eingeschränkte: Nicht nur Sklaven, auch Metöken und Fremde blieben ausgeschlossen. Und neben der Tendenz, das römische Bürgerrecht auf die ganze Reichsbevölkerung auszudehnen, steht im gleichen Zeitalter die Tendenz, neue rechtliche Unterschiede zu fixieren, so z. B. seit Hadrian die Einführung von Abstufungen im Strafrecht. Vor allem aber führte die politisch-soziale Entwicklung, besonders durch die große Krise des 3. Jh. n. Chr.90,

zur Verarmung der Massen und zu einer beginnenden »Feudalisierung« der höheren Schichten und entzog damit dem sozialen Integrations­muster der bürgerlichen Gleichberechtigung seine soziale Basis: eine breite Schicht städtischen Bürgertums, das sich seiner Rechte wie seiner Pflichten bewußt ist. Wahrscheinlich führte nicht zuletzt seine Schwächung zum übergang der aufgeklärten Monarchie des 2. Jh. n. Chr. zum absolutistischen Dominat des 4. Jh n. Chr., zu jenem verhängnisvollen Zirkel von wachsendem militärischen Druck an den Grenzen des Reiches zur Erhöhung sozialen Drucks im Inneren und einer daraus resultierenden fortschreitenden Schwierigkeit, dem äuße:­ren Druck mit Energie widerstehen zu können. Bei solchen tiefgreifend gewandelten sozialen Verhältnissen konnte die spät antike Gesellschaft ein neues soziales Integrationsmuster übemehmen91, das sich in kleinen

89 Zum Problem vgl. F. Vittinghoff, Römische Kolonisation und Bürgerrechts­politik unter Caesar und Augustus, 1951.

90 Zu die.,er Krise vgl. M. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich H, Leipzig 1931, 143ff., F. MilIar, Das Römische Reich und seine Nachbarn. Die Mittelmeerwelt im Altertum IV, Fischer Weltgeschichte 8, Frank­furt 1966, 214-249.

91 Auch H. Bolkestein, a. a. 0., 483f., stellt die Wandlung von der auf der Gleich­berechtigung aller Bürger basierenden <jl\Acxv&poonicx zur caritas in den geschicht­lichen Zusammenhang der sozialen und politischen Krise des 3. Jh.: Die Ein­schränkung der <j>IAcxv&poonlcx zur <j>IAorrrooxicx .)war eine unvermeidliche Folge der gewaltigen Verarmung, die seit dem IH. Jahrhundert in der Menschheit immer weiter um sich griff. In diesen schweren Zeiten hat die christliche Kirche die Auf­gabe übernommen, durch Predigung der caritas und Organisation der Armen­pflege, den Notleidenden, die der Staat ihrem Schicksal überlassen hatte, wohl­tätige Unterstützung zu gewähr~n und so als Trösterin zu wirken am Sterbebett einer untergehenden Welt, in der zum ersten Mal das Elend die Massen ergriffen hatte.« (S. 484). Vgl. ferner F. G. Maier, Die Verwandlung der Mittelmeerwelt, Fischer Weltgeschichte 9, Frankfurt 1968, 97, der die Bedeutung des Dienst­pflichtgedankens für die aus dem 3. Jh. verändert hervorgehende Gesellschaft hervorhebt: .)Die Rolle der Kirche in der Prägung des Sozialverhaltens und damit auch im gesellschaftlichen Umformungsprozeß war wesentlich passiv ... Sie hat vielmehr zur Anerkennung des in der neuen Gesellschaft allgegenwärtigen Dienst-

[272J Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde 271

religiösen Gemeinschaften des römischen Reiches entwickelt hatte: den christlichen Liebespatriarchalismus, in dem die Gleichberechti­gung zwar grundsätzlich auf alle ausgedehnt wurde, auf Frauen, Fremde und Sklaven - in Christus gibt es >>nicht Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie, weder Mann noch Frau. Ihr alle seid eins in Christus Jesus« (Gal 328), aber zugleich verinnerlicht wurde: Sie gilt »in Christus«. Im politisch-sozialen Bereich werden schichtbedingte Unterschiede grundsätzlich hingenommen, bejaht, ja sogar religiös legitimiert. Es wird nicht mehr um gleiche Rechte gestritten, wohl aber um eine durch Rücksicht, Fürsorge und Verantwortungsbewußt­sein charakterisierte Gestaltung der Beziehung zwischen den Mit­gliedern verschiedener Schichten. Auch unter den erschwerten gesell­schaftlichen Bedingungen der ausgehenden Antike, in einer Zeit wachsenden sozialen Drucks, fand man so eine neue Form sozialer Integration, die in den stärker werdenden Abhängigkeiten die Chance für eine gewisse Menschlichkeit offenhielt und gleichzeitig den Gedan­ken grundsätzlicher Gleichberechtigung festhielt. Konstantin konnte mit seiner Religionspolitik nur deshalb Erfolg haben, weil der christ­liche Liebespatriarchalismus als eine schöpferische Antwort auf tief­greifende soziale Veränderungen auch über die kleine christliche Mino­rität hinaus wirksam werden konnte. Er entsprach den veränderten Verhältnissen. Mag man heute das soziale Gl'UIldmuster des urchrist­lichen Liebespatriarchalismus als unzureichend ansehen, um unsere sozialen Beziehungen zu gestalten, so sollte man ihm doch historisch Gerechtigkeit widerfahren lassen: Er ist ein menschlicher Versuch, soziale Beziehungen zu gestalten. Er hat andere Sozialformen und ethi­sche Traditionen des Christentums nie völlig unterdrückt: den ethi­schen Radikalismus der synoptischen Tradition und die Vision einer geistlichen Gemeinschaft von Brüdern und Freunden, die allein durch das Liebesgebot verbunden sind, im JohEv. Der aus der antiken Polis stammende Gedanke bürgerlicher Gleichberechtigung konnte sich immer wieder mit solchen ethischen Traditionen verbinden, ja, er konnte sie vertiefen, so daß die Grundforderungen von Freiheit und Gleichheit für alle Menschen erhoben wurden und zu ihnen die spezi­fisch christliche Forderung von Brüderlichkeit trat. An dieser Vertie­fung der antiken demokratischen Traditionen, die sich unserem ethi­schen und politischen Bewußtsein unwiderruflich eingeprägt hat, dürfte das Christentum nicht unbeteiligt sein.

pflichtgedankens entscheidend beigetragen und damit die Befestigung der beste­henden Autoritäten und Abhängigkeitsverhältnisse indirekt erheblich gefördert.« (S. 97) H. Bolkestein und F. G. Maier sehen das hier als »Liebespatriarchalismus« charakterisierte Sozialverhalten von zwei Seiten: Es bedeutet einmal Fürsorge­pflicht des sozial Stärkeren für den Schwächeren, von der anderen Seite aber Dienstpflicht für den Schwächeren.

[155J

10.

Die Starken und Schwachen in Karinth

Soziologische Analyse eines theologischen Streites

Soziologische Analyse untersucht menschliches Sozialverhalten hinsicht­lich typischer Züge und überindividueller Bedingungen. Sie interessiert sich für das Typische, Normale, für das, was für viele Individuen und viele Situa­tionen zutrifft. Die überlieferungen der Vergangenheit halten jedoch primär das Außergewöhnliche und Einmalige fest. Daher ist ihre soziologische Auswertung oft so schwierig, wenn nicht unmöglich. Zu den außergewöhn­lichen und einmaligen Ereignissen aber, von denen wir Kenntnis erhalten, gehören auch Konflikte, in denen verschiedene Gewohnheiten sozialer Gruppen aufeinander prallen. Das Ungewöhnliche beleuchtet hier gerade das Gewöhnliche, der dramatische Konflikt das Banale. Wenn überhaupt, so er­halten wir durch ihre Analyse Aufschluß über den sozialen Hintergrund un­serer überlieferungen.

Auch der Streit zwischen Schwachen und Starken in der korinthischen Gemeinde hat verschiedene Gewohnheiten zum Gegenstand: Die Schwa­chen mieden jedes "Götzenopferfleisch", da rituelle Handlungen bei keiner Schlachtung ausgeschlossen waren. Die Starken beriefen sich auf ihre "Er­kenntnis", daß es nur einen Gott gibt, keine Götzen und also auch kein "Götzenopferfleisch" (1.Kor 8,4ff). Paulus argumentiert differenziert. Er unterscheidet Kultmahle in offiziellem Rahmen (8,10) von Mahlzeiten in pri­vaten Häusern (1O,25ff). Sein Urteil über offizielle Kultmahle im Tempel ist zwar nicht ganz einheitlich, in der Tendenz aber eindeutig. So legt er in 8,10 ff einen generellen Verzicht auf das von ihm unbestrittene Recht nahe, in di­stanzierter reservatio mentalis an Tempelmahlzeiten teilzunehmen. In 10,1-22 hält er sie darüber hinaus für grundsätzlich unvereinbar mit dem christlichen Herrenmahl. Hinter dieser Akzentverlagerung könnte folgende Situation stehen: Jeder, der zunächst passiv, d. h. als Eingeladener, an heid­nischen Kultmahlen teilnahm, stand bald vor dem Problem, ob er nicht zu ei­ner Gegeneinladung in ähnlicher Form verpflichtet war. Damit wurde er aber selbst zum Initiator des "Götzendienstes". Doch können wir dies Problem offen lassen. Unverkennbar ist auf jeden Fall, daß Paulus von 10,23ff ab das Problem privater Mahlzeiten behandelt, sei es den Fall, daß man im eigenen Haus auf dem Markt gekauftes Fleisch ißt- ein völlig unproblematischer Fall (1O,25f), sei es den Fall, daß man bei Einladungen in fremde Häuser Fleisch vorgesetzt bekommt (10,27ff). Bedenken hat Paulus hier nur, wenn aus-

[155/156] Die Starken und Schwachen in Karinth 273

drücklich auf den "heiligen" Charakter des Fleisches hingewiesen wird. Im Tempel verstünde es sich von selbst, daß nur geweihtes Fleisch angeboten wird. Es muß sich also um eine Mahlzeit in privatem Rahmen handeln. Man kann sagen, Paulus unterscheide ansatzweise zwischen öffentlichem und pri­vatem Verhalten und mache seine StelI lungnahme vom sozialen Kontext des Verhaltens abhängig. Er argumentiert eher mit den Schwachen, wo der Fleischgenuß offiziellen Charakter annimmt (sei es durch den Ort des Mahls oder die Formel "Das ist heiliges Fleisch"). Er argumentiert eher mit den Starken, wo es sich um ein privates Problem handelt.

Unsere Aufgabe besteht darin, die Gründe für das entgegengesetzte Ver­halten von Starken und Schwachen zu analysieren. Es ist zweifellos richtig, nach theologischen Gründen zu suchen, d. h. verschiedenes Verhalten auf verschiedene überzeugungen hinsichtlich Mensch, Welt und Gott zurück­zuführen. Aber das schließt eine soziologische Analyse nicht aus. überzeu­gungen und Vorstellungen werden meist erst dann wirksam, wenn soziale Gruppen ihnen verhaltensprägende Kraft verleihen. Zudem werden bei die­sem Konflikt soziale Beziehungen ja direkt thematisiert. Mahlzeiten sind eine wichtige Form sozialer Kommunikation, Essensgewohnheiten oft sozial be­dingt. Es kann daher m. E. keinen Streit darüber geben, ob man diesen Kon­flikt soziologisch interpretieren kann oder darf. Es kann nur einen Streit dar­über geben, wie er soziologisch zu interpretieren sei, d. h. welche sozialen Faktoren man für diesen Konflikt verantwortlich macht: allein verhaltensbe­stimmende Traditionen ehemals jüdischer oder heidnischer Gruppen oder schichtspezifische Gewohnheiten und Einstellungen. Daß unabhängig davon das Urteil über die Bedeutung soziologischer Analysen für die Erhellung des Sinngehaltes theologischer Texte stark divergieren wird, versteht sich von selbst: Die soziologische Analyse eines theologischen Streites bedeutet m. E. keine Reduktion dieses Streites auf soziale Faktoren.

I. Soziokulturelle Faktoren

Die Exegese denkt weitgehend in der Alternative: Entweder sind die Schwachen Juden- oder Heidenchristen1 . Paulus selbst scheint das Problem als ein allgemeineres gesehen zu haben. Stellt er doch sein Verhalten als Vor-

1 Einen überblick über die Meinungen geben M. RAUER, Die ,Schwachen' in Korinth und Rom nach den Paulusbriefen (BSt 21,2.3), 1923, 36ff; K. MALY, Mündige Gemeinde, 1967, 96--99. Meist sieht man in den Schwachen auf Grund von 1.Kor 8,7 Heidenchristen. Für Juden­christen plädieren jedoch u. a. L. BATELAAN, De Sterken en Zwakken in de Kerk van Korinthe, Wageningen 1942, 21-26; M. COUNE, Le probleme des idolothytes et l'education de la syneide­sis, RSR 51,1963,497-534; W. TH. SAWYER, The Problem of meat sacrificed to Idols in the Co­rinthian Church, The Southern Baptist Theo!. Seminary 1968 (nach Dissertation Abstracts 29,4-6, 1968/9, Nr. 1285-A). H. CONZELMANN, Der erste Brief an die Korinther, 1969, 175, gehört zu den wenigen Exegeten, die sich von der Alternative Juden- oder Heidenchristen frei gemacht haben.

274 Die Starken und Schwachen in Karinth [156/157]

bild für die geforderte Rücksichtnahme auf die Schwachen hin, ohne daß er sein Verhalten auf eine bestimmte Volksgruppe eingrenzt: Er sei den Juden ein Jude geworden, den Gesetz I losen ein Gesetzloser usw. (9,19-22). Nun könnte das eine Verallgemeinerung sein, die den konkreten Kontext bewußt überschreitet. Aber am Ende seiner Ausführungen zum Götzenopferfleisch spricht Paulus noch einmal die Starken mit den Worten an: "Werdet unan­stößig für Juden und Griechen und für die Gemeinde Gottes" (10,32). Wenn Juden und Heiden Anstoß nehmen können, so könnten auch die Anstoß nehmenden schwachen Christen ehemalige Juden und Heiden gewesen sein. Auch andere Hinweise sprechen nicht dafür, daß die Schwachen eine eth­nisch und soziokulturell homogene Gruppe waren. Einige Schwache waren sicher Heidenchristen. Denn gleichgültig, ob man in 8,7 01JVY\1tELU oder 01JV­

HÖijOH liest, es wird in jedem Fall vorausgesetzt, daß einige "bis jetzt" Göt­zenopferfleisch essen. Aus 8,10 ist dagegen eher das Gegenteil zu erschlie­ßen. Wenn Gefahr besteht, daß jemand zum Essen von Götzenopferfleisch durch das Verhalten eines Starken verführt wird, so liegt die Annahme nahe, daß er zur Zeit nicht Götzenopferfleisch ißt, wohl aber in Versuchung steht, es zu essen. In 8,10 wird zum Essen verleitet, in 8,7 wird es als Faktum vor­ausgesetzt. Natürlich gibt es Harmonisierungsmöglichkeiten. Aber es könnte durchaus verschiedene Typen von Schwachen gegeben haben: einen heidenchristlichen Typos, der schon immer geweihtes Fleisch aß, aber nach der Bekehrung zum Christentum dabei ein schlechtes Gewissen bekam, und einen judenchristlichen Typos, der sich schon immer des rituell geschlachte­ten Fleisches enthielt, aber nach seiner Bekehrung die ungewohnte Freiheit von einschränkenden Ritualgeboten nur mit schlechtem Gewissen glaubte nutzen zu dürfen.

Schließlich sei darauf hingewiesen, daß sich ein Teil der korinthischen Christen gar nicht in die Alternative Juden- oder Heidenchristen einordnen läß t, nämlich die ehemaligen, , Gottesfürchtigen", also Heiden, die schon vor ihrer Bekehrung mit dem Judentum sympathisierten, aber den vollen über­tritt zum Judentum nicht vollzogen, möglicherweise gerade wegen ein­schränkender Ritualgebote wie dem Verbot von geweihtem Fleisch. Für diese Gottesfürchtigen bot das paulinische Christentum ein "entschränktes Judentum"2. Gerade in Korinth werden sie für die Christengemeinde von großer Bedeutung gewesen sein: Das Haus eines "Gottesfürchtigen" ist für Paulus Basis einer erfolgreichen Missionsarbeit (Apg 18,7f). Vielleicht be­fanden sich gerade sie unter den Starken.

Soziokulturelle Gewohnheiten, Traditionen und Einstellungen verschie­dener Volksgruppen werden für das Verhalten gegenüber geweihtem Fleisch

2 Der Begriff stammt von A. v. HARNACK, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, 19062 , 1 ff. Zu den Gottesfürchtigen vg!. K. G. KUHN/H. STE­GEMANN, Art. Proselyten, PW Supp!. IX, Sp. 1248-1283: Sie hatten zu einem guten Teil geho­benen Sozialstatus, was auch für die Starken zu vermuten ist (s. u.).

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gewiß von Bedeutung gewesen sein, aber es ist I denkbar, daß verschiedene kulturelle Traditionen zu einem ähnlichen Verhalten führten. Es ist daher nach weiteren Faktoren zu suchen3 .

II. Sozioökonomische Faktoren

Paulus selbst legt den Gedanken nahe, daß die Schwachen in den unteren Schichten zu suchen sind. Es kann kaum ein Zufall sein, daß schon die ersten Kapitel des Korintherbriefes einen Gegensatz von Starken und Schwachen thematisieren und diesen Gegensatz mit der Sozialstruktur der korinthischen Gemeinde in Verbindung bringen, Paulus stellt 1 ,26ff fest, es gebe nicht viele "Weise, Einflußreiche, Hochgeborene" in ihr - Ollvm:o( nennt er die Ein­flußreichen, wie er die Starken Röm 15,1 nennt -, und fährt dann fort: " ... sondern das Schwache der Welt hat Gott erwählt, damit er das Starke beschäme." Will er nicht schon hier sagen: Gerade die Schwachen, die zuge­gebenermaßen ohne Weisheit sind, gerade sie habe Gott erwählt? Und wenn er in 4,10 den Korinthern entgegenhält: "Wir sind schwach, ihr aber stark", so könnte schon hier die Solidarität des Paulus mit den Schwachen in Korinth anklingen. Denn im Zusammenhang mit der Götzenopferfleischfrage wider­holt er ausdrücklich, daß er den Schwachen ein Schwacher geworden ist (9,22). Der 1. Korintherbrief legt also selbst die Hypothese nahe, daß die so­zial Schwachen von 1,26f mit den Schwachen gegenüber geweihtem Fleisch z. T. identisch sind. Diese Hypothese läßt sich nur dadurch überprüfen, daß in dem noch erkennbaren Verhalten von Starken und Schwachen nach schichtspezifischen Merkmalen gesucht wird, also nach Verhaltenszügen, die mit Besitz, Beruf und Bildung zusammenhängen und auf einen gehobenen oder niedrigen Sozialstatus weisen.

1. Schichtspezifische Merkmale in der Ernährungsweise

Man kann hier von der etwas banalen Vermutung ausgehen, daß wohlha­bende Menschen damals wie heute mehr Fleisch essen konnten als andere. Unser Urteil über antike Speisegewohnheiten dürfen wir nicht den literari-

3 Häufig wird angenommen, die Schwachen seien die Kephaspartei gewesen, die das Apostel­dekret in Korinth habe verbindlich machen wollen: T. W. MANsoN, The Corinthian Corres­pondance I, in: Studies in the Gospels and Epistles, Manchester 1962, 190-209, bes. 200; C. K. BARRETT, Things Sacrificed to Idols NTS 11, 1964/5, 138-153, dort 146; DERS., Cephas and Co­rinth, in: Abraham unser Vater, Festschrift für o. Michel, Leiden 1963,1-12, dort 7f. Auf die Erwähnung des Petrus in I.Kor 9,5 kann man sich nicht dafür berufen: Petrus verzichtet nicht auf seine Vollmacht. Gerade die Starken hätten sich auf ihn berufen können. Wenn sich l.Kor 8-10 an dieselben Adressaten in Korinth wendet, haben vielleicht gerade den Starken naheste­hende Kreise den Pettus und andere Apostel gegen Paulus ausgespielt. Es ist aber müßig, die Schwachen mit einer der in 1,12 genannten Parteien zu identifizieren. Ihre Ängtlichkeit paßt nicht zum Selbstbewußtsein irgendeiner "Partei" - so RAUER, 67; CONZELMANN, 175.

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schen Schilderungen großer Gastmähler entnehmen I (Petronius, sat. 52 ff;J u­venal, sat. 5; Martial, Epigr. III,60), als seien diese Gelage für den einfachen Menschen typisch gewesen4 • Man muß bedenken, daß die meisten Zeugnisse Produkte einer schmalen Oberschicht und ihres Anhangs sind und daß selbst hier Fleisch nicht unbedingt zum festlichen Essen gehört. Als Plinius d. J. von seinem Freunde Septicius mit einem vorbereiteten Essen sitzen gelassen wird, hält er ihm in einem Beschwerdebrief die ihm entgangenen Genüsse vor: Salat, Schnecken, Eier usw. - von Fleisch ist nicht die Rede (epist. I,15). Nun lebte Plinius sehr bescheiden und blieb vielleicht deshalb auf seinem Es­sen sitzen; denn er deutet diskret an, daß sein Freund wohl ein besseres Essen seiner Speise vorgezogen hat.

über die Speisegewohnheiten des einfachen Mannes können wir aus ande­ren Quellen erfahren. Griechische Städte kannten ebenso wie Rom eine öf­fentliche LebensmittelversorgungS . Diese Versorgung umfaßte Getreide, nicht Fleisch. Das gilt ebenso für die öffentliche Lebensmittelversorgung in Samos (SIG3 976) wie für die frumentationes in Rom, die seit Gaius Gracchus gesetzlich geregelt waren. Erst Septimius Severus (193-211 n. Chr.) ließ zum Getreide eine tägliche Olration hinzufügen und Aurelian (270-275 n. Chr.) erweiterte die staatliche Lebensmittelversorgung dadurch, daß er Schweine­fleisch und Wein zu herabgesetzten Preisen verkaufen ließ. Ein römischer Bürger mit niedrigem Sozialstatus hat wahrscheinlich nicht viel mehr zur Verfügung gehabt, als ihm von Staats wegen zukam.

In Griechenland ernährte sich die breite Masse der Bevölkerung haupt­sächlich mit Mehlspeise: mit aus Gerstenmehl gekochtem Brei (O)"cpLLa) und aus Weizenmehl gebackenem Brot (ag'Ws;). Daß GL'WS; und aAcpLLa schlicht "Unterhalt" bedeuten können, spricht für sich. Aus Delos erfahren wir zu­dem, daß drei Steinmetzen von ihrem Monatslohn von 30 Drachmen allein 19 Drachmen und 4 Obolen für Gerstenmehl ausgaben, also fast zwei Drittel ih­rer Einkünfte6 . Für weitere Speise blieb da nicht viel übrig.

Dasselbe gilt für römische Verhältnisse. Aus Berichten, daß Soldaten nur im Ausnahmefall Fleisch aßen (wenn kein Getreide vorhanden war), läßt sich schließen, daß im Normalfall Fleisch nicht zu ihrer Nahrung gehörte: "ipse exercitusque ... per inopiam et labores fatiscebant, carne pecudum propul­sari famem coacti" (Tac. anno 14,24, I" ... usque eo ut complures dies fru-

4 M. RosTovTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt II, 1955,941: "Brot und Fisch, dazu Olivenöl und Wein bildeten im Altertum die Grundbestand­teile der Volksnahrung, und zwar für die reichen Leute ebenso wie für die armen." Anders H. BLUMNER, Die römischen Privataltertümer, in: HAW VI,2,2, 1911, 173.

5 Vgl. dazu H. BOLKESTEIN, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, Utrecht 1939 = Groningen 1967, 251-267, 364-378; F. MILLAR, Das Römische Reich und seine Nachbarn (Fischer Weltgeschichte 8), 1966,24.

6 BCH 1890, 481, zit. nach BOLKESTEIN, 251 f. Zu den Lebensmittelpreisen auf Delos vgl. J. A. o. LARsEN, Roman Greece, in: T. FRANK (Hrsg.), An Economic Survey of Ancient Rome IV, Baltimore 1938,259-498, dort 379ff.

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mento milites caruerint et pecore exlonginquoribus vicis adacto extremam famem sustentarent" (Caesar bell. ga .. 7,17). H. Bolkestein urteilt: "Die große Masse lebte in Italien ebenso wie in Griechenland hauptsächlich von Mehlkost, in älterer Zeit von Brei (puls), später von gebackenem Brot. "7

Für den Zusammenhang von Sozialstatus und Speisegewohnheit ist ferner b. Hullin 84a aufschlußreich: "Wenn jemand eine Mine besitzt, soll er für seine Schüssel eine Litra Kräuter kaufen, wer 10 Minen besitzt, eine Litra Fi­sche, wer 50 Minen besitzt, eine Litra Fleisch. Nur wenn er 100 Minen be­sitzt, soll er sich jeden Tag einen Topf aufsetzen lassen. - Wie oft jene? - Von einem Vorabend des Sabbats bis zum anderen (d. h. nur einmal in der W 0-

che). " Wenn nun in der korinthischen Christengemeinde das Problem des

Fleischessens zu einem zentralen Streitpunkt zwischen verschiedenen Grup­pen wurde, so wird dieser Konflikt kaum durch das Verhalten von Christen mit niedrigem Sozialstatus ausgelöst worden sein: Wer ohnehin kaum Fleisch ißt, kann auch durch Essen von geweihtem Fleisch kaum Anstoß erregen8 .

üb man alles auf dem Markt gekaufte Fleisch verzehren dürfe (10,25), ist für denjenigen eine rein theoretische Frage, dem ohnehin das Geld fehlt, sich auf dem Markt Fleisch zu besorgen. Sofern der Konflikt seinen Anlaß in privaten Mahlzeiten hatte, läßt er sich durch die Speisegewohnheiten verschiedener Schichten erklären. Diese Fälle (10,25ff) bilden jedoch nicht das eigentliche Problem. Am meisten beschäftigt sich Paulus zweifellos mit dem Problem kultischer Mahlzeiten mit offiziellem Rahmen. Die Sachlage wird dadurch komplizierter.

Aus 8,7 können wir entnehmen, daß die Schwachen durchaus Fleisch aßen, wenn auch mit schlechtem Gewissen. Nach 8,10ff ist es für sie eine ernsthafte Versuchung, in kultischem Rahmen Fleisch zu essen. In der Tat ist in kultischem Rahmen stattfindender Fleischgenuß ein Problem aller Bürger und Einwohner einer Stadt - unabhängig von ihrem Sozialstatus : An den öf­fentlichen Feiern konnten alle teilnehmen. Auch die unteren Schichten hatten hier eine Chance, Fleisch zu essen. Skizzieren wir kurz die verschiedenen Anlässe:

1. In Griechenland und Rom gab es bei außerordentlichen Begebenheiten öffentli­che Fleischverteilungen an alle Bürger9 : bei Siegesfeiern (Plut. De I mPtr. 11; Suet. Caes. 38), Leichenfeiern (Liv. VIII,22,2.4 XXXIX,46,2 XLI, 28,11), wie überhaupt

7 BOLKESTEIN, 365. BARRETT, Things sacrificed, 145, weist noch auf Caesar bell. civ. III, 47: Danach ist Fleisch sehr begehrt unter Soldaten.

8 Den schichtspezifischen Charakter des Fleischproblems in der korinthischen Gemeinde se­hen auch BARRETT, Things sacrificed 146 und A. EHRHARDT, Social Problems in the Early Church, in: The Framework of the New Testament Stories, Manchester 1964, 275-312, dort 280f. Beide setzen allerdings voraus, die korinthische Gemeinde sei sozial homogen gewesen. Vgl. dagegen meinen Aufsatz: Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde, ZNW 65, 1974, 232-272.

9 Vgl. W. EISENHUT, Art. visceratio, PW II, 17, Sp. 351-353; P. STENGEL, Die griechischen

278 Die Starken und Schwachen in Korinth [161]

Cicero die Fleischverteilungen zu den öffentlichen beneficientia zählt, mit denen Pri­vatpersonen die Gunst der öffentlichkeit für sich zu gewinnen suchten (Cic. de off. 1I,52ff) - etwa bei Bewerbungen um ein kommunales Amt.

2. Neben solchen unregelmäßigen Anlässen gab es Stiftungen öffentlicher Opfer­mahle für bestimmte Tage, oft für einen begrenzten Personenkreis, oft jedoch auch für alle Bürger und Bewohner einer Stadt. Xenophon stiftete z. B. in Scillus ein Fest und bestimmte ausdrücklich: J'taV'tE~ OL J'toAi'tm 'KaL J'tQ6OXCOQOL ä.VÖQE~ 'KaL yiivm­'KE~ IlE'tEiJ(.ov Tii~ EOQTii~ (Anab. V.,3,7ff). Alle erhalten Mehl, Brot, Wein und Fleisch. Eine Stiftungsurkunde aus Amorgos aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. sieht vor, daß nicht nur alle Bürger, sondern auch alle Paröken, Fremde, Römer und Frauen (!) mit Fleisch zu bewirten seien (IG XII,515)1°.

3. Dauerhafter als Stiftungen waren die großen religiösen Feste, bei denen es oft Fleischverteilungen gab, die durch den Staat bzw. Spenden einzelner wohlhabender Bürger an die Allgemeinheit getragen wurden. Fleischverteilungen gab es z. B. in Athen bei den Dionysien und den Panathenäen. Hat es vielleicht bei den internationa­len isthmischen Festspielen öffentliche Opfermahle gegebenll?

4. Eine weitere Möglichkeit zu feierlich-kultischem Fleischgenuß bot sich in den vielen Vereinen, die in ihren Satzungen bestimmte Feste vorsahen. Jedoch ist fraglich, ob hier die unteren Schichten immer zu Fleischgenuß kamen. Denn das auch Sklaven umfassende Collegium von Lanuvium (136 n. Chr.) sieht für die sechs im Jahr zu fei­erndenFestekeinFleisch vor (CIL XIV 2112 = Dessau 7212): Es gibt nur Wein, Brot und Sardellen12•

5. Schließlich konnte man auch auf Grund privater Einladung in einen Tempel gela­den werden. Bekannt sind die in Oxyrrhynchos gefundenen Einladungen z. B.: "Chairemon lädt dich zum Mahl ein an die Tafel des Herrn Serapis ins Serapeum, morgen d. h. am 15ten, von 9 Uhr an" (PapOx 1,110). Ob man sich solche Einladun­gen unter armen Leuten leisten konnte, dürfte allerdings fraglich sein.

Als Ergebnis ist festzuhalten: Mitglieder unterer Schichten aßen im alltäg­lichen Leben kaum Fleisch 13. Sie waren hier weitgehend auf die öffentlichen

Kultusaltertümer, in: HAW V,3, 19203 , 106ff. Zu den beneficientia bei Cicero vgl. BOLKE­STEIN, 314ff.

10 Vgl. B. LAUM, Stiftungen in der griechischen und römischen Antike, 2Bde., 1914. Die Ur­kunde aus Amorgos findet sich Bd. II Nr. 50. Ihr detaillierter Bericht über den Ablauf eines Fe­stes ist sehr aufschlußreich. Zu den Stiftungen vgl. ferner BOLKESTEIN, 233f.

11 Vgl. o. BRONEER, The Apostle Paul and the Isthmian Games, BiblArch 25, 1962, 1-31; DERS., Paul and the Pagan Cults at Isthmia, HThR 64,1971,169-187. Leider lassen sich keine Fleischverteilungen belegen.

12 Die Vereinssatzung ist abgedruckt bei LIETZMANN, An die Korinther I/II, in: HNT IX, 19494 , 91-93. V gl. zu ihr J. CARCOPINO, Das Alltagsleben im Alten Rom zur Blütezeit des Kai­sertums, 1950, 423f.

13 Daß auch Christen aus unteren Schichten Fleisch kauften, könnte man aus Plinius epist. X,96,10 erschließen: Auf Grund des sich ausbreitenden Christentums scheint das Fleisch der Opfertiere keinen Absatz zu finden. Jedoch ist zu bedenken: 1. Plinius betont ausdrücklich, daß das Christentum Menschen aus allen Schichten umfaßt (X,96,9). Nur die kaufkräftigeren Chri­sten haben evtl. den Fleischmarkt gefährden können. 2. Die einheimische priesterliche Aristo­kratie wird die Absatzschwierigkeiten entsprechend ihren Interessen gewaltig übertrieben ha­ben. Plinius kann hier kein Problem mehr feststellen. Unwahrscheinlich ist die Vermutung von EHRHARDT, 282ff, die Christen hätten den antiken Fleischmarkt ernsthaft gefährdet.

[161/162J Die Starken und Schwachen in Karinth 279

Fleischverteilungen angewiesen, die immer in festlichem I Rahmen veranstal­tet wurden. Religiöse Feste waren auch die Gemeinschaftsmahle der Collegi­en. Sie kannten also Fleisch fast ausschließlich als Bestandteil heidnisch-reli­giöser Feiern. Fleischgenuß und Götzendienst mußte für sie daher viel enger zusammengehören als für Mitglieder höherer Schichten, die auch alltags Fleisch zu essen gewohnt waren. Für den kleinen Mann war Fleisch wirklich etwas "Besonderes". Es gehörte zu einer vom Alltag abgehobenen heiligen Zeit. Es hatte "numinosen" Charakter.

Der übertritt zum Christentum brachte für Juden- und Heidenchristen aus den unteren Schichten in gleicher Weise Schwierigkeiten mit sich: Den ehemaligen Heiden mußte es schwer fallen, Fleisch unabhängig von seinem rituellen Rahmen als etwas ganz Natürliches anzusehen, während sie zu­gleich in erhöhter Versuchung standen, sich wenigstens das bißchen Fleisch­genuß nicht entgehen zu lassen, das ihnen heidnische Feste mit Stiftungen bo­ten. Sie aßen also weiterhin Fleisch - taten es jedoch mit schlechtem Gewissen (8,7). Ehemalige Juden aber waren durch den übertritt von den Einschrän­kungen des Judentums befreit. Mußte es nicht verlockend sein, jetzt endlich an den öffentlichen Fleischverteilungen zu partizipieren (8,10)? Aber es wird für sie nicht leicht gewesen sein, die negative Tabuisierung des Fleisches ab­zubauen, hatten sie doch in Vergangenheit und Gegenwart wenig Gelegen­heit, sich nicht-rituell geschlachtetes Fleisch zu kaufen. Umgekehrt dürfen wir die "vorurteilslosere" Haltung der Starken in den höheren Schichten su­chen: Wer häufig sowohl positive wie negative Tabuisierung durch Fleisches­sen unterlaufen kann, der dürfte Ängste vor dämonischer Infektion in dem Maße verlieren, wie er Fleischgenuß ohne Schaden überstanden hat.

2. Schichtspezifische Merkmale in den Geselligkeitsformen

Einladungen zu Opfermahlen dienten zunächst der Kommunikation. Fa­milien, Vereine und Städte fanden sich hier zusammen und stellten ihre Zu­sammengehörigkeit feierlich dar. Dieser gesellige Aspekt tritt besonders schön bei Aelios Aristeides hervor:

, , Und ferner feiern auch die Menschen mit diesem Gott allein in besonderer Weise die Opfergemeinschaft im wahren Sinne des Wortes: Sie laden ihn zum Mahl, geben ihm als Tischherrn und Gastgeber den besten Platz, so daß dieser, während an den an­deren Festmahlen bald der, bald jener Gott teilnimmt, gleicherweise bei allen die eh­rende Krone bedeutet, indem er als Symposiarch waltet inmitten derer, die sich in sei­nem Namen versammeln. Wie nach Homer Athene selbst die Spende aus goß und zu­gleich die einzelnen Bitten erfüllte, so ist dieser Gott Spendegeber und Spendeemp­fänger in einem, ist zum Jubelfest Kommender und zugleich die Festteilnehmer zu sich Ladender, unter seiner Führung tanzen sie ohne Furcht vor Schaden den Festes­reigen, und mit den Kränzen nehmen sie auch den wahren Frohsinn nach Hause mit und antworten in der Wiederkehr der Strophe mit einer Gegeneinladung" (or. 45,27).

280 Die Starken und Schwachen in Karinth [162/163]

Wie man sieht, handelt es sich um harmlose Geselligkeiten, um die "Par­tys" der Antike. Der Hinweis auf Gegeneinladungen am Schluß I zeigt die Verbindung mit den üblichen geselligen und gesellschaftlichen Verpflichtun­gen. Einschränkungen auf dem Gebiete des "Götzenopferfleisches" waren Kommunikationsschranken. Mit ihnen war das Problem des Verhältnisses der Christen zur antiken Gesellschaft aufgeworfen. Ursprünglich hatte die Debatte auch bei diesem allgemeineren Problem eingesetzt und sich erst se­kundär auf die Frage des Fleischessens verschoben. In 5,9 erwähnt Paulus ei­nen verlorengegangenen Brief an die Korinther14 , in dem er vor dem Kontakt mit Hurern, Habsüchtigen, Schelmen und Götzendienern gewarnt hat. Das muß so verstanden worden sein, als wolle er jeden Kontakt mit Nichtchristen unterbinden; wenigstens korrigiert er sich: Er meine nicht den Kontakt zu Nichtchristen außerhalb der Gemeinde, sondern zu Sündern in ihr. Das Ver­hältnis zu Außenstehenden soll nicht eingeschränkt werden. Dies Verhältnis kann sich nicht auf flüchtige Kontakte beschränkt haben. Dem Verbot, mit christlichen Sündern Kontakt zu haben, fügt er nämlich hinzu, man solle nicht einmal mit ihnen essen. Daraus geht indirekt hervor, daß die zugestan­denen Kontakte mit Nichtchristen gemeinsame Mahlzeiten einschlossen. Schon hier begegnen also die Probleme von 1.Kor 8-10, jedoch in etwas an­derer Beleuchtung: Der religiöse Aspekt der gemeinsamen Mahlzeiten wird zwar berührt, der Kontakt mit Götzendienern aber erst an vierter Stelle ge­nannt als Sonderfall sozialer Kontakte zur Welt überhaupt. Wenn in l.Kor 8-10 dieser soziale Aspekt verblaßt ist, so liegt das daran, daß sich die De­batte auf einen Punkt konzentriert hat, der theologischer Argumentation am leichtesten zugänglich war: das Problem des Götzenopferfleisches.

Bei einem Konflikt in dieser Frage liegt m. E. auf der Hand, auf welcher Seite die begüterten Christen stehen mußten: Erastos, der "Stadtkämmerer" (Röm 16,23), hätte sein öffentliches Amt gleich zur Verfügung stellen kön­nen, hätte er alle Einladungen ausgeschlagen, bei denen "geweihtes Fleisch" zu erwarten war. Falls er mit dem inschriftlich bezeugten Ädilen Erastus identisch ist15 , also sich irgend wann einmal zum Aufseher über jene öffentli­chen Plätze und Gebäude hat wählen lassen, wo Götzenopferfleisch verkauft wurde, so hat er wohl kaum eine reservierte Haltung gegenüber, ,geweihtem Fleisch" demonstrieren können. Er wäre für sein Amt völlig untauglich ge­wesen.

Der Zusammenhang zwischen gehobenem Sozialstatus und "Götzen­dienst" ist der urchristlichen Paränese nicht verborgen geblieben. Nicht zu-

14 Dazu vgl. N. A. DAHL, Der Epheserbrief und der verlorene erste Brief des Paulus an die Korinther, in: Abraham unser Vater, Leiden 1963, 65-77; J. C. HURD, The Origin of 1 Corin­thian, London 1965, 213-239.

15 Vgl. H. J. CADBURY, Erastus of Corinth, JBL 50,1931,42-58. Seine Einwände gegen eine Identifizierung lassen sich m. E. entkräften. Für sie plädiert zuletzt H. J. KENT, The Inscrip­tions. Corinth (Results of Excavations 8,3), Princeton 1966, 27,99ff.

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fällig wird das spezifische Laster des Reichen, die JtAEovESla, das Mehr-ha­ben-wollen, eng mit dem Götzendienst verbunden, ja mit ihm identifiziert (Ko13,6; Eph 5,5; vgl. l.Kor 5,10f). Diese Nähe von Reichtum und Götzen­dienst hat auch soziale Gründe: Wer reich werden will und reich ist, muß den Kontakt mit Heiden suchen und pflegen. Im Polykarpbrief wird das klar zum Ausdruck gebracht: , ,Hält sich einer von der Habsucht nicht fern, so wird er vom Götzendienst befleckt und gleichsam inmitten der Heiden gerichtet werden ... " (2.Philll,2). Der Habsüchtige steht "inter gentes". Er hat zahlreiche Sozialkontakte zur heidnischen Welt: Der Hirt des Hermas wirft den Reichen vor, sie lebten mit den Heiden zusammen (sim VIII,9,1). Er kreidet ihnen "heidnische Freundschaften" an (mand X,1,4). Mochte es in Korinth auch nur wenige "Einflußreiche und Hochgeborene" (1,26) geben, so dürfen wir doch am ehesten unter ihnen jene "Gnostiker" suchen, die in ihren Kontakten zur heidnischen Welt wenig Rücksicht auf die Skrupel ihrer einfachen christlichen Brüder nahmen und nehmen konnten.

Man könnte einwenden, daß nach 10,27ff schwache und starke Christen gemein­sam in Sozialkontakte zu heidnischen Gastgebern traten. Der Hinweis auf das "hei­lige Fleisch" kann jedoch von keinem Christen kommen; so kann nur ein Heide rituell geschlachtetes Fleisch bezeichnen. Die Rücksicht auf sein Gewissen wird ja auch ganz anders motiviert als die Rücksicht auf das Gewissen des christlichen Bruders in 8, 10ff. So wird sein Gewissen nie als "schwach" bezeichnet, was voraussetzt, daß es hinter für ihn geltenden Normen zurückgeblieben ist. Es wird nur vom "Gewissen" gere­det. Und während in 8,11-13 der Tod Christi als Motiv für den Rechtsverzicht aus Liebe beschworen wird, fehlt diese spezifisch christliche Motivation in 1 0,27-30 völ­lig. Es wird also nicht vorausgesetzt, daß sich schwache und starke Christen beim sel­ben Gastmahl zusammenfinden.

Öffentliche und berufliche Verpflichtungen führten dazu, daß die Chri­sten mit gehobenem Sozialstatus wohl mehr in die heidnische Gesellschaft in­tegriert waren als die Christen aus kleinen Verhältnissen. Man könnte nun freilich fragen, ob nicht auch Angehörige unterer Schichten motiviert waren, ihren heidnischen Vereinen weiterhin anzugehören, um an ihren Festen teil­nehmen zu können. Paulus setzt ja voraus, daß auch Schwache Götzenopfer­fleisch aßen. Hier ist jedoch zu bedenken, daß viele dieser Vereine nicht viel Besseres als das christliche Herrenmahl bieten konnten, also Brot und Wein, wobei die Christen sehr viel häufiger zu gemeinsamen Mahlzeiten zusam­menkamen als etwa die Mitglieder des oben erwähnten Collegiums von La­nuvium, das sechs bescheidene Festessen im Jahr veranstaltete. Die unteren Schichten fanden in der Gemeinde völligen Ersatz für das, was sie anderswo aufgaben, ja sie fanden noch mehr: Während die antiken Vereine sozial weit­gehend homogen waren 16, erhielten sie in der Gemeinde Anschluß an Hö-

16 V gl. E. A. JUDGE, Christliche Gruppen in nichtchristlicher Gesellschaft. Die Sozialstruk­tur christlicher Gruppen im ersten Jahrhundert, 1964, 59; F. BÖMER, Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom IV (AAMz 10), 1963,236-241.

282 Die Starken und Schwachen in Karinth [164/165]

herstehen.de, die ihre Mittel in den Dienst der I Gemeinde und damit auch in den Dienst der sozial Schwächeren stellen konnten. Wir werden auch deswe­gen die Schwachen eher in den unteren Schichten suchen müssen: Wer mit seinen" weltlichen" Beziehungen nicht viel zu verlieren hat, ist eher geneigt, sich von ihnen frei zu machen. Dabei kann sich in deren negative Beurteilung durchaus etwas Ressentiment mischen: Wer die Welt dämonisiert und tabui­siert, verrät ja eben durch die massive Gegensteuerung seiner überzeugun­gen, wie sehr er im Grunde von ihr angezogen wird.

3. Schichtspezifische Merkmale in den Legitimationsformen

Die Starken begründen ihr Verhalten mit ihrer" Gnosis". Einige ihrer Ar­gumente scheint Paulus aufzugreifen17 : "Wir alle haben Erkenntnis" (8,1); "Es gibt keine Götzen" (8,4); "Es gibt nur einen Gott" (8,4); "Alles ist er­laubt" (10,23). Möglicherweise stammt von ihnen der Begriff des "schwa­chen Gewissens" (8,7.10.12) und das Argument: "Die Speise dem Bauch, und der Bauch der Speise" (6,13). In all diesen Argumenten ist der Wille zu einer auf "Erkenntnis" beruhenden überwindung überholter religiöser Bin­dungen unverkennbar. Und wenn man den korinthischen "Gnostikern" auch keineswegs die spekulativen Phantasien späterer Gnostiker unterstellen darf, so können die Parallelen zu ihnen doch nicht übergangen werden. Denn für eine vergleichbare "liberale" Haltung gegenüber dem Götzenopferfleisch gibt es innerhalb des Christentums nur bei gnostischen Gruppen Analogien, die im folgenden aufgeführt seien 18:

über Gnostiker überhaupt schreibt Justin Dial. 35,1: "Aber wie ich in Erfahrung gebracht habe, genießen viele von denen, welche erklären, Jesus anzuerkennen, und welche Christen genannt werden, den Götzen geopferte Speisen, ohne zu behaupten, irgendwelchen Schaden davon zu haben ... 35,6 ... von jenen heißen die einen Marcianer, andere Valentinianer, andere Basilidianer, andere Satornilianer ... "

Zu den Valentinianern vgl. Irenäus adv. haer. 1,6,3: "Darum tun auch die Voll­kommensten unter ihnen alles, was verboten ist, ohne Scheu ... Denn sie essen das Opferfleisch bedenkenlos und zu jedem zu Ehren der Götzen veranstalteten Festver­gnügen stellen sie sich als erste ein, wie auch einige von ihnen nicht einmal die Schau der Tierhetzen und menschenmörderischen Gladiatorenkämpfe meiden, die bei Gott und den Menschen verhaßt sind. Sie sagen auch, wenn sie den Lüsten des Fleisches unmäßig dienen, daß sie, was des Fleisches ist, dem Fleisch, und was des Geistes ist, dem Geist wiedergeben."

Zu den Basilidianern vgl. Irenäus adv. haer. 1,24,5: "Sie verachten aber auch das Götzenopfer und halten es für nichts, sondern genießen es ohne irgendeine Angst; sie

17 HURD, 68, gibt eine übersicht über die von verschiedenen Exegeten als Zitate des Gemein­debriefes vermuteten Stellen.

18 Vgl. W. SCHMITHALS, Die Gnosis in Korinth (FRLANT 48), 1965,212-217,336. EHR­HARDT, 277 f führt als Beleg noch ThomEv 14 und ein Mani-Fragment an. ThomEv 14 enthält je­doch keinen Hinweis auf Fleisch.

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genießen auch die anderen (Götzen-)Feste und alles, was Begierde heißt" (vgl. Euseb. hist. eccl. IV, 7,7). Von Basilides und Karpokrates ausgehende Gruppen nennt Ire­näus adv. haer. 1,28,2: "Wieder I andere ... lehrten Weibergemeinschaft und viel weiberei; auch um die Teilnahme an den Opfermahlzeiten der Heiden kümmere sich Gott nicht."

Zu den Nikolaiten vgl. Apk 2,14f; 2,6; Hippolyt adv. haer. VII,36. Irenäus adv. haer. 1,26,3 schreibt über sie: "Ihr Leben ist zügellos. Sie lehren, es habe nichts zu be­deuten, wenn man ehebreche oder von den Götzenopfern esse ... "

über Simonianer schreibt Origines c. Cels. VI,ll: "Nirgends in der Welt aber fin­den sich jetzt noch Simonianer, obwohl Simon, um einen größeren Anhang zu gewin­nen, seine Jünger von der Todesgefahr, die man die Christen zu wählen lehrte, da­durch befreite, daß er sie anwies, den Götzendienst als etwas Gleichgültiges zu be­trachten. "

Von sehr viel späteren libertinistischen Gnostikern berichtet Epiphanius panar. XXVI,9,2: "Und was wir essen, Fleisch, Gemüse, Brot oder etwas anderes, damit erweisen wir den Geschöpfen eine Wohltat, indem wir von allem die Seele sammeln und sie mit uns in das Himmlische tragen. Darum essen sie alles Fleisch und sagen, sie tun das, damit wir uns unserer Art erbarmen."

Man darf aus diesen Texten natürlich nicht schließen, Essen von Götzen­opferfleisch sei bei allen gnostischen Gruppen vorauszusetzen. Es gab auch asketische Strömungen (vgl. Iren. adv. haer. 1,24,2; Tert. adv. haer. 1,14). Essen von Götzenopferfleisch ist nicht das typische, sondern ein typisches Verhalten von Gnostikern. Das orthodoxe Christentum lehnte relativ ge­schlossen den Genuß von geweihtem Fleisch ab19 . Das bestätigt gerade der einzige Beleg verbotenen Fleischgenusses bei nicht-gnostischen Gruppen: Lukian berichtet von Peregrinus, er sei als christlicher Charismatiker bei ei­nem Verstoß gegen die Speisegebote ertappt worden: "Dann verbrach er auch etwas gegen diese - man sah, glaub ich, ihn etwas bei ihnen Verbotenes essen - ... " (de morte Peregr. 16), daraufhin habe er jeden Einfluß in den Christengemeinden verloren und sei zum Kynismus konvertiert. Es bleibt also dabei: Eine liberale Haltung zum Götzenopferfleisch gab es nur bei gno­stischen Christen.

Nun sind die Beziehungen zwischen der "Gnosis" in Korinth und dem christlichen Gnostizismus des 2. Jahrhunderts n. Chr. mit Recht umstritten. Ein direkter Zusammenhang liegt kaum vor. Um so mehr stellt sich das Pro­blem, wie die zweifellos vorhandenen Analogien zu deuten sind. Die Aus­kunft, es handle sich in Korinth um einen beginnenden Gnostizismus, ist für sich genommen unbefriedigend. Anfänge des Gnostizismus ließen sich noch weiter vordatieren, wenn man darunter das erste Auftauchen von Vorstel­lungen versteht, die dann später in den gnostischen Systemen eine Rolle spie­len. Zum entwicklungsgeschichtlichen muß ein soziologisch-struktureller Gesichtspunkt treten: Analogien zwischen korinthischer Gnosis und späte-

19 Vg!. Apg 15,10.29; 21,25; Did 6,3ff; Minucius Felix, Octavius 30; Tert. Apo!. 9; Euseb hist. ecc!. V,1,26; Ps. Clern. Rec. 4,36; Horn. 7,4.8; Horn. 8,19.23.

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rem Gnostizismus könnten darauf zurückzuführen sein, daß hier wie dort eine typische Umformung christlichen Glaubens bei dessen Aufstieg in hö­here Schichten vorliegt. Rückschlüsse vom Gnostizismus auf die I korinthi­sche Gnosis hätten sich dann auf jene Züge zu beschränken, die sich aus einer vergleichbaren sozialen Situation ergeben können: Intellektuelles Niveau, Erkenntnissoteriologie, elitäres Bewußtsein innerhalb der Gemeinde ver­bunden mit Kontaktfreudigkeit zur heidnischen Welt. Problematische An­nahmen über die Vorstellungen der korinthischen Gnostiker können so un­berücksichtigt bleiben20 •

a) Die gnostischen Gedankensysteme erfordern ein hohes intellektuelles Niveau. Ihre Spekulationen sind voll skurriler Systematik und Logik und dürften schon des­wegen dem einfachen Volk nicht zugänglich gewesen sein. Sie wurden in vielen Bü­chern niedergelegt, die an 2ahl möglicherweise die orthodoxen Schriften des 2. Jahr­hunderts weit übertroffen haben21 . Gerade Basilides gilt als fruchtbarer Schriftsteller: Er soll einPsalmbuch (Kanon Muratori 83f), ein Evangelium (Orig. horn. Lc. 1) und 24 Bücher Evangelienauslegung (Euseb hist. eccl. IV,7,7)j eIern. Alex. Strom. IV, 12,1) geschrieben haben. Von den Valentinianern sind mehr Schriften als von allen anderen gnostischen Gruppen erhalten. Die enorme gnostische Bücherproduktion läßt sich nur in relativ gut gestellten Kreisen denken - man denke an den reichen Va­lentinianer Ambrosius, der Origines sieben Stenographen zur Verfügung stellen konnte, dalnit dessen Vorlesungen aufgezeichnet und publiziert werden konnten (Eu­seb hist. eccl. VI,18,1j 23,1-2). Die korinthischen Gnostiker haben zwar keine Bü­cher produziert, aber sie bedienen sich des schriftlichen Mediums. Der Gemeinde­brief ist ganz von ihrem Standpunkt her verlaßt. Ihre Argumente setzen ein gewisses intellektuelles Niveau voraus.

b) Ein schichtspezifisches Moment kann auch die Erkenntnissoteriologie sein, das Vertrauen auf die heilsvermittelnde Macht des Erkennens. Wo die Erlösung weniger durch das Handeln einer Gottheit zustande kommt, sondern durch den inneren Vor­gang der "Erkenntnis", dürfte auch die der Erlösungssehnsucht zugrundeliegende Not weniger in materiellen Verhältnissen liegen. M. Weber hat diesen Typos von Er­lösungshoffnung den höheren Schichten zugeschrieben: , ,Der Erfolg der Propaganda der Erlösungskulte und der philosophischen Erlösungslehre in den vornehmen Laienkreisen des Späthellenen- und des Römertums geht parallel der endgültigen Abwendung dieser Schichten von politischer Betätigung. "22 Wo gebildete Schichten die Welt nicht mehr handelnd gestalten wollen oder können, transzendieren sie die Welt häufig um so radikaler durch Gedanken: Der übergang vom Unheil zum Heil

20 Zur Problematik der korinthischen Gnosis vgl. zuletzt R. McL. WILSON, How Gnostic were the Corinthians?, NTS 19, 1972,65--74. Auf einen Rückschluß aus mythischen Vorstellun­gen stützt sich H. G. KIPPENBERG, Versuch einer soziologischen Verortung des antiken Gnosti­zismus, Numen 17, 1970,211-231. Zur Kritik an ibm P. MUNZ, The Problem of "Die soziologi­sche Verortung des antiken Gnostizismus", Numen 19,1972,41-51. Daß die Gnosis in den hö­heren Schichten beheimatet ist, hat Kippenberg auf jeden Fall richtig gesehen.

21 Vgl. W. BAUER, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum (BHTh 10), 19642 , 150-197.

22 M. WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, in: Grundriß der Sozialökonomik, 3. Abt., 1947\ 289, wo er auch auf die "gnostischen Mysterien" zu sprechen kommt.

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erscheint dann als "wahre Erkenntnis". Nun gibt es darüber hinaus vergleichbare Züge zwischen der "Erkenntnis" im Gnostizismus und der Gnosis in Korinth. Hier bedeutet Erkenntnis: Die Nichtigkeit der Götzen zu erkennen, d. h. die mythisch ge­steigerten Appellqualitäten dieser Welt ihres Verpflichtungsgehaltes zu be I rauben, ein Stück der Welt zu entzaubern. Im späteren Gnostizismus wird diese Erkenntnis radi­kalisiert: Auch der alttestamentliche Schöpfergott wird als ein mythisches Wesen ent­larvt, auf das diese Welt ihre einschränkenden Gebote und Verbote zurückführt.

c ) Wer sich über die, , Welt" erhaben weiß, weiß sich konkret über die erhaben, die ihr verhaftet sind. Die in vielen gnostischen Schriften begegnenden Unterscheidungen der Menschen in drei Klassen, vor allem die Differenzierung der Christen in Pistiker und Gnostiker, verraten ein schroff elitäres Bewußtsein gnostischer Kreise: Die nor­malen Christen gelten als Menschen zweiten Ranges. In solchen Abstufungen spiegelt sich möglicherweise die innere Schichtung hellenistischer Christengemeinden, in de­nen sich - wie z. B. in Rom23 - häufig die Christen oberer Schichten als Gnostiker vom christlichen Volk abhoben. Ansätze zu solch einer innergemeindlichen Differen­zierung gab es auch in Korinth. Auch hier wird zwischen Starken und Schwachen un­terschieden, ja es begegnet schon die Terminologie "Pneumatikoi" und "Sarkikoi" (3,1). Auch hier versuchen sich einige Christen auf Grund von" Weisheit" und "Er­kenntnis" von anderen Christen minderen Ranges zu unterscheiden.

d) Schließlich ist die relativ große Aufgeschlossenheit der Gnostiker für die antike Kultur zu nennen. Man denke z. B. an die übernahme heidnischer Mythologie und Literatur bei den Naassenern (Hipp. haer. V,6,3-11,1). Viele moralische Vorwürfe der Kirchenväter treffen im Grunde nur damals übliches Verhalten: Gnostiker nah­men an den Vergnügungen ihrer Zeit teil, an Festen, Theateraufführungen, Gesellig­keiten. Viele waren in der Sexualmoral nicht strenger als die Zeit. Man warnte vor ge­suchtem Märtyrertum. Gerade bei Valentinian und Basilides selbst läßt sich die Ernsthaftigkeit und sympathische Differenziertheit ihrer ethischen Anschauungen jedoch nicht leugnen. Mir Recht urteilt C. Andresen : "Diese Menschen gehörten ge­sellschaftlichen Schichten an, die für gewöhnlich nicht den Weg in die frühkatholi­schen Gemeinden fanden. Das Fluidum einer gewissen Liberalität, das die engen Schranken einer um ihre eigenen Traditionen besorgten Gemeindefrömmigkeit durchbricht, erfüllt die Zeugnisse valentinianischer und basilidianischer Gnosis. "24

Gerade für diese Gruppen ist aber das Essen von Götzenopferfleisch bezeugt. Es paßt zu ihrer liberalen Haltung. Es ist ein Zeichen einer größeren sozialen Integration in die damalige Gesellschaft, die sich mit einer radikalen "theoretischen" Kritik an die­ser Welt durchaus vertragen kann. Man verwirft theoretisch die Welt, um praktisch in ihr zu profitieren: Das ist der übliche Verbalradikalismus besserer Kreise.

Der christliche Gnostizismus des 2. Jahrhunderts dürfte zu einem großen

23 Vgl. H. LANGERBECK, Zur Auseinandersetzung von Theologie und Gemeindeglauben in der römischen Gemeinde in den Jabren 135-165, in: Aufsätze zur Gnosis (AAG 3,96), 1967, 167-179. Für die römische Gemeinde ist das Essen von Götzenopferfleisch durch die Valenti­nianer belegt, die erst später aus der Gemeinde ausschieden (Iren. adv. haer. 1,6,3). Die Polemik des Hermas gegen die Reichen hat womöglich auch ihnen gegolten. Für die erste Hälfte des 2. Jhdt. liegen die Probleme also ähnlich wie in Korinth. Sollte der dortige Streit zwischen Starken und Schwachen im 1. Jhdt. nicht auch einen ähnlichen Hintergrund wie in Korinth haben - trotz verschiedener Argumente?

24 C. ANDREsEN , Die Kirchen der alten Christenheit, 1971, 103 f.

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Teil Theologie der oberen Schichten gewesen sein. Wenn man deshalb auch nicht in allen gnostischen Gruppen Christen mit gehobenem Sozialstatus an­nehmen kann, so doch in jenen Gruppen, für die das Essen von Götzenopfer­fleisch bezeugt ist: für Valentinianer I und Basilidianer. Ein Rückschluß auf die korinthische Gnosis ist durchaus erlaubt. Denn er stützt sich nicht auf übereinstimmungen in erschlossenen mythischen Vorstellungen, sondern auf die oben genannten vier Kriterien: Auch bei den korinthischen Gnosti­kern finden wir eine gewisse Bildung, eine große Bedeutung von Erkenntnis und Weisheit für Ethos und Erlösung, ein innergemeindliches elitäres Selbst­bewußtsein verbunden mit einer großen Liberalität im Umgang mit der heid­nischen Weh. Alle diese Charakteristika weisen hier wie dort auf einen geho­benen Sozialstatus.

Was so durch Analogieschluß wahrscheinlich wird, ist auch unabhängig davon plausibel: Lag es nicht nahe, daß sich die sozial Höherstehenden in schichtbedingten Konflikten auf ihre überlegene Einsicht beriefen? Waren sie es doch auch sonst gewohnt, gegen den kleinen Mann ihre bessere Einsicht auszuspielen! Umgekehrt sind abergläubische Vorstellungen, die den Kon­takt zu anderen Menschen erschweren, eher bei dem beschränkten Erfah­rungshorizont unterer Schichten zu vermuten als bei jenen, die auf Grund ih­res Sozialstatus über einen weiteren Horizont verfügten.

4. Schichtspezifische Merkmale in den Kommunikationsformen

Der 1. Korintherbrief ist selbst ein soziales Faktum, Zeugnis einer Kom­munikation zwischen Paulus und der Gemeinde. Wir können daraus zu­nächst etwas über die Position der an dieser Kommunikation Beteiligten in der Gemeinde entnehmen, indirekt aber auch einige Hinweise auf ihre Posi­tion in der Gesellschaft überhaupt. Aufschlußreich sind drei Sachverhalte: Informanten des Paulus, seine Adressaten und seine Kritiker.

Paulus wird über das Problem durch einen Gemeindebrief informiert, der deutlich vom Standpunkt der Starken formuliert ist. Andere Meinungen werden nicht wiedergegeben; die Parole: "Wir haben alle Erkenntnis" (8,1) läßt dazu wenig Raum. Die Verfasser schreiben in dem Bewußtsein, die Ge­meinde repräsentieren zu können. Sie bilden die tonangebenden Kreise. Pau­lus wird hier aus einer Perspektive "von oben" informiert. Es kann kaum ein Zufall sein, daß er dagegen auf mündlichem Wege (1,11; 11,18) über Pro­bleme der korinthischen Gemeinde informiert wird, die er aus einer Perspek­tive "von unten" sieht (1 ,26ff; 11 ,20ff). Sollten die verschiedenen Informa­tionswege schichtspezifischen Charakter haben?

Interessant ist nun, daß Paulus auch seine Antwort fast ausschließlich an die Starken adressiert. Fast alle Stellen, in denen die zweite Person begegnet, sind an sie gerichtet; vgl. etwa: "Sehet zu, daß eure Vollmacht nicht für die Schwachen zum Anstoß wird" (8,9; vgl. 8,10.11; 10,15.31). Mit M. Rauer

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darf man daraus schließen, daß die Schwachen keine führende Stellung in der Gemeinde hatten25 .1

Aufschlußreich ist ferner, daß Paulus in seinen an die Starken adressierten Ausführungen einen langen Exkurs einschiebt (9,1-27), in dem er zwei Gruppen vor Augen zu haben scheint: einerseits einige Kritiker, die ihn we­gen seines Unterhalts verzichts angreifen (9,3), andererseits die Starken, de­nen er seinen Unterhaltsverzicht als Vorbild hinstellt. Liegt da die Annahme nicht nahe, daß Kritiker und Adressaten teilweise identisch sind? Die Kriti­ker, die Paulus vorwerfen, er nähme keine materielle Unterstützung von ih­nen, werden nun kaum zu den materiell Unbemittelten gehört haben. Sie un­terhalten gleichzeitig andere Missionare. Wenn diese Kritiker des Paulus we­nigstens z. T. mit den Starken identisch sind, so bestätigt das ihre soziologi­sche Ortsbestimmung: Der Verzicht auf materielle Privilegien wirkt als Bei­spiel in einem Appell viel überzeugender, wenn sich dieser Appell an mate­riell Privilegierte wendet.

Alle Beobachtungen über Ernährungs-, Geselligkeits-, Legitimations- und Kommunikationsformen weisen darauf, daß die Starken wahrscheinlich zu den wenigen "Weisen, Mächtigen und Hochgeborenen" (1,26) gehören. Ihre vorurteilslosere Haltung hat primär ihren sozialen Ort in den höheren Schichten. Natürlich wird sich ihre Haltung darüber hinaus verbreitet haben. Gerade die Christen mit höherem Sozialstatus werden eine größere Hausge­meinschaft hinter sich gehabt haben. Gerade sie werden meinungsbildende Personen gewesen sein. Aber sie haben nicht alle für ihre Haltung gewinnen können. Es gab die Schwachen, bei denen heidnische wie jüdische Traditio­nen nachwirken mochten. Zur Wirksamkeit aber konnten diese wohl erst deshalb kommen, weil sie ein schichtspezifisches Verhalten unterstützten.

Zum Schluß sei auf die Stellungnahme des Paulus zum Streit zwischen Starken und Schwachen eingegangen: Für die moderne Exegese war es immer ein gewisser Anstoß, daß Paulus den aufgeklärten Standpunkt der Starken nicht konsequenz durchführt, obwohl er ihm zunächst grundsätzlich zu­stimmt. Verstehen wir seine Argumentation - möglicherweise auch jenseits des ihr innewohnenden Selbstverständnisses - als Plädoyer für die Rück­sichtnahme höherer Schichten auf die geringeren, so erscheint die vermeintli­che Inkonsequenz des Paulus als durchaus konsequent: Denn die Umwer­tung aller Maßstäbe sozialen Ranges und sozialer Dominanz - einschließlich der Dominanz der höheren "Erkenntnis" und "Weisheit" - geht für Paulus aus der Kreuzespredigt unmittelbar hervor (1,18ff). Dabei muß man heute freilich betonen, daß diese Umwertung keine "revolutionierenden" Folgen im sozialen Bereich hat: Die aus Liebe gebotene Anpassung der Gewohnhei­ten höherer Schichten an die der unteren läßt diese verschiedenen Gewohn­heiten bestehen, mildert nur ihren Gegensatz. Die faktischen Statusprivile-

2S RAUER, 67.

288 Die Starken und Schwachen in Karinth [170/171 ]

gien der höheren Schichten bleiben gewahrt: Private Mahlzeiten mit geweih­tem Fleisch bleiben grundsätzlich erlaubt (10,23ff). Und auch die Teilnahme an kultischen Mahlzeiten wird nicht grundsätzlich verbaut: Es darf nur kein Schwacher I dadurch irritiert werden. Es muß sich also alles in einem sehr "ex­klusiven" Kreis abspielen. Gerade jene Möglichkeiten, die ohnehin mehr von Mitgliedern höherer Schichten wahrgenommen werden können, stehen ih­nen weiterhin offen. Die Normen für die christliche Gemeinschaft werden zwar mit Nachdruck vertreten. Aber es wird zweifellos die Gefahr sichtbar, daß die Höhergestellten de facto mehr Möglichkeiten haben, sich ihren ein­schränkenden Auswirkungen zu entziehen als die unteren Schichten. Diese haben - wenn man an die materielle Seite des Problems denkt - das N achse­hen. Denn gerade die offiziellen kultischen Feste, wo jeder das Verhalten des anderen kontrollieren kann, werden vom Verbot des Götzendienstes betrof­fen, also jene Gelegenheiten, bei denen auch die kleinen Leute zu etwas Fleischgenuß kommen konnten. Die Lösung des Paulus ist ein Komprorniß. Er wird den Wünschen (oder Voreingenommenheiten) der Schwachen ebenso gerecht wie den Erkenntnissen (und sozialen Privilegien) der Starken. Gerade deswegen ist er realistisch und praktikabel. Vergleichbar ist die Lö­sung des in l.Kor 11,17ff begegnenden Konflikts: Privat können sich die rei­chen Christen an ihrem "eigenen" Mahl satt essen (11,33-34), in der Ge­meinde aber sollen sie sich mit dem Herrenmahl, mit Brot und Wein der Ge­meinschaft, begnügen.

Es handelt sich dabei um Lösungen, die für den Liebespatriarchalismus der paulinischen Briefe charakteristisch sind. Dieser Liebespatriarchalismus26

läßt soziale Ungleichheiten bestehen, durchdringt sie aber mit einem Geist der Rücksichtnahme, der Achtung und der persönlichen Fürsorge. Die Rücksichtnahme auf das fremde Gewissen, auch wenn es "schwach" ist und überholten Normen folgt, gehört zweifellos zu den sympathischsten Zügen dieses Liebespatriarchalismus. Man möchte sie auch dann nicht missen, wenn man den paulinischen Liebespatriarchalismus nicht als die Lösung unserer sozialen Probleme ansieht. Kritisch zu fragen wäre freilich, ob sich Liebe und Erkenntnis nicht verbinden können, ohne die Erkenntnis einzuschränken. War es nur Zynismus, wenn einige Starke in Korinth u. U. der Meinung wa­ren, durch ihr Beispiel auch die schwächeren Brüder zu "erbauen" (8,10)? Konnten sie nicht mit sehr gutem Gewissen der Meinung sein, daß sich die unteren Schichten ihre ohnehin begrenzten Lebensmöglichkeiten nicht auch noch durch religiöse Skrupel beschneiden lassen sollten? Wir hören im Streit zwischen Paulus und den "Gnostikern" weitgehend nur die eine Seite. Das sollte jeden zur Vorsicht mahnen, der den" Gnostikern" pauschal unsoziales

26 Die Charakterisierung dieses Liebespatriarchalismus durch E. TRoELTscH, Die Sozialleh­ren der christlichen Kirchen und Gruppen, Ges. Schriften I, 1923,67-83, ist m. E. nach wie vor treffend. Der Terminus, ,Liebespatriarchalismus" findet sich zwar dort nicht, ist der Sache nach aber vorhanden.

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Verhalten unterstellt. Wir wissen nicht genau, wie sie argumentiert haben. Das ihnen nicht sehr fern stehende spätere gnostische Philippusevangelium nimmt auf jeden Fall eine Verhältnis bestimmung von Liebe und Erkenntnis vor, I in der weder die Erkenntnis durch die Liebe noch die Liebe durch Er­kenntnis kompromittiert wird: "Die Liebe aber erbaut. Wer aber frei gewor­den ist durch die Erkenntnis, ist Sklave wegen der Liebe zu denen, die die Freiheit der Erkenntnis noch nicht aufnehmen konnten. Die Erkenntnis aber macht tauglich, indem sie bewirkt, daß sie frei werden" (PhEv 110). Viel­leicht hat Paulus im Grundsatz nicht sehr viel anders gedacht. Vielleicht wa­ren sogar die korinthischen Gnostiker seine besten "Schüler". Wir sollten ihn nicht tadeln, weil er von diesem Grundsatz abgeht: Er wurde gegen sozial Schwache ausgespielt. Und in diesem Kontext kann man auf seinem Recht so bestehen, daß man sich eben dadurch ins Unrecht setzt.

11.

Soziale Integration und sakramentales Handeln

Eine Analyse von 1 Cor. XI 17-34

[179]

In den letzten Jahren ist hin und wieder ein gewisses Unbehagen an der geisteswissenschaftlichen Interpretation überlieferter Texte zutage getreten. Dies Unbehagen richtet sich nicht gegen einzelne Ergebnisse. Es richtet sich gegen eine hermeneutische Grund­haltung, Vergangenheit so zu interpretieren, wie sie sich selbst verstanden hat. In verschiedenen Variationen wird daher heute die Forderung erhoben, überlieferten Sinn nicht nur zu entfalten, sondern ihn mit seiner realen Bestimmtheit zu konfrontieren, die Forderung also, den Konflikt zwischen Selbst auslegung der Ver­gangenheit und ihrer kritischen Analyse bewußt zu machen 1). Man erhofft sich davon nicht zuletzt, auch gegenüber den Selbst­auslegungen der Gegenwart größere Freiheit zu gewinnen.

Das gegenwärtige Interesse an soziologischen Fragen bei der Interpretation überlieferter Texte ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Es kann in der ntl. Exegese an die zentrale Einsicht klassischer Formgeschichte anknüpfen, daß Texte einen "Sitz im Leben" haben, daß ihre Formen von sozialen Beziehungen geprägt" sind. Diese Einsicht kann kritisch weiter entwickelt werden: Grundsätzlich ist in Rechnung zu stellen, daß die sozialen Be­ziehungen, welche überlieferte Texte prägten, immer nur gebrochen in den verstehbaren Sinn dieser Texte eingegangen sind, daß diese Beziehungen auch von anderer Art sein können; als sie sich in den Texten selbst interpretieren. UnteJ: Berücksichtigung dieser Möglichkeit sollen im folgenden die Streitigkeiten beim Herrenmahl analysiert werden, zu denen Paulus in I Cor. xi I7 ff. Stellung nimmt.

1) P. RICOEUR: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud, Frankfurt 1969, hat diesen "hermeneutischen Konflikt" am Beispiel psychoanalytischer Interpretation überlieferter religiöser Texte vor Augen geführt. Deren soziologische Analyse führt zu einem vergleichbaren hermeneutischen Konflikt.

[180] Soziale Integration und sakramentales Handeln 291

Die Aufmerksamkeit der Exegese richtet sich hauptsächlich auf die theologischen Aspekte dieser Syaltungen. Man ist uneins darüber, ob das Herrenmahl zu einer gewöhnlichen Mahlzeit profaniert worden sei 1), ob spiritualisierende Gnostiker ihre Unabhängigkeit von Äußerlichkeiten demonstrieren wollten 2), ob massive Sakramentalisten seinen verpflichtenden Charakter suspendierten 3) . .Dnerklärt bleIbt, warum Paulus sich über diese theologischen Motive ausschweigt, warum er die Exegese hier völlig im Dunkeln tappen läßt? Nur die sozialen Ursachen des Konflikts treten deutlicher hervor. Daher dürfte es sinnvoll sein, die These zu vertreten., daß dieser Konflikt einen sozialen Hinter­grund hat und verständlicher wird, wenn man seine sozialen Bedingungen mit den theologischen Argumenten von I Cor. xi I7 ff. konfrontiert.

Die urchristlichen hellenistischen Gemeinden waren nicht nur rechtlich von anderer Struktur als die Vereine der Umwelt 4); sie waren es auch hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung. Die antiken Vereine waren sozial weitgehend homogen. Religiöse Vereine erscheinen dabei in noch größerem Maße als Ausdruck schichtspezifischer Geselligkeitsformen als die durch gleiche Tätig-

1) So z.B. J. WEISS: Der erste Korintherbrief, Göttingen 1910, S. 283: Die Korinther waren "gegen den religiösen Charakter der Mahlzeit" gleich­gültig. E. V. DOBscHüTz: Die urchristlichen Gemeinden. Sittengeschichtliche Bilder. Leipzig 1902, S. 24: "Man behandelt es als gemeine Mahlzeit".

2) W. SCHMITHALS: Die Gnosis in Korinth, FRLANT N.F. 48, Göttingen 21965, S. 237-243, bes. S. 244.

3) H. v. SODEN: Sakrament und Ethik bei Paulus, in: Urchristentum und Geschichte, Tübingen 1951, S. 239-275 = Das Paulusbild in der neueren deutschen Forschung, Darmstadt 1964, S. 338-379, bes. S. 364 ff. G. BORN­KAMM: Herrenmahl und Kirche bei Paulus, in: Studien zu Antike und Urchristentum, Ges. Aufsätze II, München 1963, S. 138-176.

4) Diese Frage wurde i~ vorigen Jahrhundert vor allem von G. HEINRICI aufgeworfen: Die Christengemeinde Karinths und die religiösen Genossenschaften der Griechen, ZWTh 19 (1876) S. 465-562. Ders.: Zum genossenschaftlichen Charakter der paulinischen Christengemeinden, ThStKr 54 (1881) S. 505-524. Zusammengefaßt wurde die Diskussion von J. WEISS, Korintherbrief, S. XX-XXIX, mit dem Ergebnis, "daß die christliche Gemeinde in Korinth in dieser Anfangszeit auf Außenstehende wohl den Eindruck eines 6tomo<; gemacht haben kann; andererseits hat sie aber doch auch den jüdischen Diasporagemeinden ähnlich gesehen". (S. XXIV f.). Wie stark der hellenistische Vereinsgedanke jedoch auch in jüdischen Traditionen wirksam werden konnte, zeigen Analogien zwischen Qumran­gemeinde und antiken Vereinen vgl. H. BARDTKE: Der gegenwärtige Stand der Erforschung der in Palästina neu gefundenen hebräischen Handschriften. Die Rechtsstellung der Qumran-Gemeinde, ThLZ 86 (1961) Sp. 93-104.

292 Soziale Integration und sakramentales Handeln [181 ]

keiten verbundenen Berufsgruppen, in denen Glieder verschiedenen sozialen Status zusammenfinden konnten, z.B. reiche und weniger reiche Kaufleute 1). Demgegenüber weisen die hellenistischen urchristlichen Gemeinden, wie sie uns in Karinth und Rom ent­gegentreten, eine starke innere soziale Schichtung auf 2). In Korinth gab es wenige, aber offensichtlich dominierende "Weise, Mächtige und Leute von vornehmer Abstammung" (I Cor. i 26), denen die Mehrzahl der aus unteren Schichten stammenden Gemeindegliedern gegenüberstand. Eine so strukturierte Gemeinschaft steht vor der schwierigen Aufgabe, verschiedene schichtspezifische Selbstver­ständlichkeiten, Erwartungen, Interessen auszugleichen. Es ist daher von vornherein nicht ausgeschlossen, daß auch bei theo­logischen Streitigkeiten die innere soziale Schichtung der Gemeinde als ein Faktor in Rechnung zu stellen ist, daß die verschiedenen Gemeindekonflikte also auch sozial bedingt sind. Umgekehrt ist zu erwarten, daß viele theologische Gedanken der an diesen Kon­flikten Beteiligten eine Intention zum Ausdruck bringen, soziale Beziehungen zu gestalten bzw. jenseits der ihnen immanenten Intentionen soziale Funktionen haben. Wir können daher die Analyse von I. Cor. xi 17 ff. von zwei Seiten angehen: Einmal von der Seite der noch erkennbaren sozialen Bedingungen, dann von der Seite der sozialen Intentionen. Beide Betrachtungsweisen sind legitim, aber auch beide zusammen analysieren den Text nur unter (inem bestimmten Aspekt und erheben nicht den An­spruch, ihn erschöpfend auszulegen.

1) Vgl. F. BÖMER: Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom. iv, AbhMainz 1963 Nr. 10, S. 236-241: "Bei ins­besondere kaufmännisch organisierten Gruppen ist vielfach ein Avancement aufgrund wirtschaftlicher Erfolge leichter möglich als bei religiösen Gemein­schaften, die ihrem Wesen nach stärker in der Tradition verhaftet sind und wo - in der Antike - das Vorbild der staatlichen Kulte ebenfalls eine konservative Wirkung ausübte". (S. 240)

2) E. A. JUDGE: Christliche Gruppen in nichtchristlicher Gesellschaft. Die Sozialstruktur christlicher Gruppen im ersten J ahrhundert, Neue Studienreihe 4, Wuppertal 1964, S. 59: "Diese Verschmelzung so verschie­dener Interessen hob die Christen aus der Masse der anderen privaten Verbände heraus, die im allgemeinen sozial und wirtschaftlich so homogen wie möglich gebildet wurden. Ein solcher Zustand führte natürlich zu be­ständigen Differenzen unter den Christen ... " Zur sozialen Schichtung in den Gemeinden vgl. ferner R. KNOPF: Ueber die soziale Zusammensetzung der ältesten heidenchristlichen Gemeinden, ZThK 10 (1900) S. 325-347. H. GÜLZOW: Christentum und Sklaverei in den ersten drei Jahrhunderten, Bonn 1969. Die Sozialstruktur der korinthischen Gemeinde habe ich in einem anderen Aufsatz behandelt.

[182] Soziale Integration und sakramentales Handeln

I. DIE SOZIALEN BEDINGPNGEN DES KONFLIKTS IN

I COR. XI 17-34

293

Die Analyse von sozialen Bedingungen menschlichen Verhaltens setzt voraus, daß dies Verhalten möglichst genau beschrieben werden kann. Aber schon hier bleibt Vieles im 1!nklaren. Vier Fragen sind zu beantworten:

1. Gab es verschiedene Gruppierungen beim Herrenmahl, oder handelt es sich um einen Konflikt einiger Individualisten mit der Gemeinschaft?

2. Gab es einen zeitlich verschiedenen Beginn des Mahles und in welcher zeitlichen Reihenfolge sind die in I Cor. xi 17 H. erwähn­ten Akte erfolgt?

3. Gab es quantitativ verschiedene Portionen beim Mahl? Oder gab es

4. ein qualitativ verschiedenes Mahl für verschiedene Gruppen? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen auch zeitgenössische Texte herangezogen werden, um besser erkennen zu können, welches Verhalten damals denkbar war.

1. Verschiedene Gruppientngen beim Herrenmahl.

Der Konflikt beim Herrenmahl zeigt sich darin, daß "es umnög­lich ist, das Herrenmahl zu essen, weil jeder sein eigenes Mahl beim Essen vorwegnimmt" (I Cor. xi 21). Der Satz könnte so ver­standen werden, als sei übertriebener Individualismus Ursache der Streitigkeiten, als habe jeder für sich gegessen. Paulus redet jedoch nicht nur von einzelnen Christen, er spricht von O"X[O"fLIlC"t"Ot

und OttpsO"eLC:;; und das klingt so, als setze er nicht ein Nebeneinander von Individualisten, sondern Gruppenbildungen voraus. Den Begriff O"XLO"fLOt hatte er schon I Cor. i IO auf derartige Gruppen­bildungen angewandt. Der Plural O"X[O"fLOtTOt läßt aber offen, wie viele Gruppen beim Herrenmahl untereinander in Streit gerieten. Erst aus I Cor. xi 22 ist zu erschließen, daß sich zwei Gruppen gegenüberstehen: einerseits die fL~ ~xoV't"ec:;, die kein Essen haben, und andererseits diejenigen, die über ein 'l8LOV 8eL7tVOV verfügen. Eine Deutung auf "Individualisten" ist damit freilich nicht ausge­schlossen 1). Sie kann sich auf die Worte eXOtO"Toc:; und 'l8wv stützen.

1) Vgl. z.B. H. CONZELMANN: Der erste Brief an die Korinther, Göttingen 1969, S. 228: Hinter den "Gruppenbildungen" wird nach Conzelmann eine "theologische Haltung sichtbar ... , ein individualistischer Pneumatismus, der zum Zusammenschluß um Parteihäupter führt".

294 Soziale Integration und sakramentales Handeln [183]

Daß ein jeder (e:XtlO""t'oc;) sein eigenes Mahl einnimmt, darf nicht gepreßt werden: "Jeder" ist offensichtlich nicht gemeint, denn es gibt einige, die "nichts haben". Genausowenig ist in I Cor. xiv 26 gemeint, daß jedes (e:XtlO""t'oc;) Gemeindeglied im Gottesdienst einen Psalm, eine Lehre, eine Offenbarung, eine Zungenrede hat -sonst wäre es überflüssig, für diejenigen ein Wort einzulegen, die keine manifesten pneumatischen Gaben besitzen (I Cor. xii 4 ff.) 1). Dennoch spricht Paulus von "jedem" Christen. Dasselbe gilt von I Cor. i 12; es ist hier keineswegs sicher, daß sich jedes Glied (e:xaO""t'oc;) der korinthischen Gemeinde einer der dort genann­ten Parteien zurechnete. Wenn also e:XtlO""t'oc; yocp "t'o ~aLOV ad7tvov 7tPOAtl!Lß&.VE" EV "t'4'> <ptlydv auf ein individualistisches Verhalten schließen ließe, so wäre es in jedem Falle doch ein Verhalten, das sich auf eine bestimmte Gruppe beschränkt.

Der Begriff '~aLOV aEL7tVOV ist zunächst aus seinem Gegensatz zum XUPLtlXOV aEL7tVOV zu bestimmen: '~aLOC; und XUPLtlXOC; bezeichnen Eigentumsverhältnisse, so wie XUPLtlXOC; Myoc; und ~aLOC; Myoc; kaiserliche und private Kasse bezeichnen können (OGIS 669) 2). "IaLOv erinnert zudem an die stereotype inschriftliche Wendung EX "t'ii:/V La[CUV (vgl. z.B. J. B. FREY: Corpus Inscript. Iudaicarum Nr. 548, 766), mit der zum Ausdruck gebracht wird, daß der mit einer Inschrift versehene Gegenstand aus eigenen Mitteln gestiftet wurde. Das '~aLOV aEL7tVOV wäre dann zunächst das von einzelnen Christen mitgebrachte Mahl. Wenn einige Christen kein '~aLOV ad7tvo'.l haben, so ist daraus zu entnehmen, daß nicht alle zum Herrenmahl beitrugen, sondern die reicheren Christen Ex "t'WV La[C,)V für alle sorgten 3). Die Einsetzungsworte haben in diesem Zusammenhang

1) Ebenso darf 7t(iv'l"e:~ in I Cor. xiv 23 nicht wörtlich genommen werden. Vgl. H. GREEVEN: Propheten, Lehrer, Vorsteher bei Paulus. Zur Frage der ,Ämter' im Urchristentum ZNW 44 (1952/3) S. 1-43, vgl. S. 6.

2) Vgl. A. DEISSMANN: Licht vom Osten, Tübingen 41923, S. 304 fi. Im ptolemäischen Ägypten gab es ein besonderes Amt des "Ideologen", der die königliche Privatkasse zu verwalten hatte. Die römische Verwaltung übernahm dies Amt. Vgl. J. MARQuARDT: Römische Staatsverwaltung 11, Leipzig 21884, S. 311 Anm. I und die dort aufgeführten inschriftlichen Belege.

3) E. V. DOBscHüTz, Gemeinden, S. 50: "Jeder brachte - abweichend von der Sitte der griechischen Vereine, bei denen die Kosten des Mahles aus der Vereinskasse oder von einzelnen Mitgliedern bestritten wurden­seinen Anteil mit, aber es war so gedacht, dass alles zusammengethan und dann gleichmäßig verteilt werden sollte; der Herr selbst, dem die Gaben dargebracht waren, sollte so gleichsam als Gastgeber erscheinen (XUPL!XXOV

8e:i:1tvov, I II, 20)". Aber es haben doch wohl nicht alle zum Mahle beitragen

[184] Soziale Integration und sakramentales Handeln 295

gewiß auch den Sinn, private Spenden in Gemeinschaftseigentum zu überführen. Denn die Worte: "Das ist mein Leib für euch", wenn sie über den Brotspenden gesprochen wurden, bedeuteten ja praktisch: Dies Brot ist für euch alle da. Das EX -r&v tötc.uv stam­mende Brot wurde so öffentlich als Eigentum des Herrn, als xup~cxxov Öe:L7tVOV, deklariert 1). Es wäre dann verständlich, warum Paulus noch einmal ausdrücklich die Herrenworte zitiert.

Das Adjektiv '~öwc; wird noch eine zweite Bedeutungsnuance umfassen: Es charakterisiert nicht nur die Speise als "Privat­besitz", sondern auch eine bestimmte Art, die Speise zu verzehren. So tadelt Eratosthenes (FGrHist 241 fgm. 16) eine cruvo[x~cx, weil hier jeder den verteilten Trank aus einem eigenen mitgebrachten Gefäß trinkt: xcxt E~ 1ö[cxc; EXCXcr-rOC; ACXYUVOU 7tCXP' w)-r&v <pepov-rsc; 7tt VOUO"L v. Dasselbe Problem wird von Plutarch in einem Tischgespräch behandelt: Soll man jedem eigene Portionen geben oder sollen alle aus einem Becher trinken und sich vom selben Fleischstück nehmen?

"Als ich zu Hause der erste Archont war, waren die meisten Gastmähler (-r:wv 3e:t7tvwv) Essen mit Portionen, bei denen von den Opfern einem jeden ein Teil zugeteilt wurde. Einigen gefiel das ganz hervorragend, andere aber tadelten es als gemeinschaftswidrig (&XQ~VWV'Yl-r:Qv) und vulgär und meinten, man müsse mit meinem Amtswechsel zu der gewohnten Form der Mahlzeiten zurückkehren. "Denn nicht um zu essen oder zu trinken", sagte Hagias, "sondern um zusammenzutrinken und zu essen, laden wir uns meiner Meinung nach ein; diese Verteilung des Fleisches in Portionen zerstört aber die Gemeinschaft (XQLVWV[IX) und führt zu vielen Gastmählern und vielen Teilnehmern, von denen niemand Tischgenosse eines anderen ist, wie wenn ein jeder vom Tische des Metzgers nach Gewicht seinen Teil nimmt und sich selbst vorsetzt. Denn was besteht schon ein Unterschied zwischen dem, was die Demophontiden mit Orest gemacht haben sollen: einem jeden der Eingeladenen einen Becher, eine mit Wein gefüllte Kanne

können, wie J. WEISS, Korintherbrief, S. 293, betont: "Wohlhabendere Mitglieder brachten reichlichere Vorräte mit, die dazu bestimmt waren, gespendet zu werden, damit auch die Armen, die nichts hatten, mit daran Teil haben konnten".

1) Auch bei heidnischen Opfermahlzeiten geschah eine Übereignung der Spenden vgl. den Sarapishymnus des Aelios Aristeides § 27: "Sie laden ihn (sc. Sarapis) zum Mahl, geben ihm als Tischherrn und Gastgeber den besten Platz .... So ist dieser Gott Spendegeber und Spendeempfänger in einem." Dazu schreibt A. HÖFLER: Der Sarapishymnus des Aelios Aris­teides, Tübinger Beitr. z. Altertumswissenschaft XXVII, Stuttgart/Berlin 1935, S. 96: "Der Sarapisgläubige ladet seine Bekannten ein zum Mahle. Er bringt die Speisen als Opfer zum Tempel, weiht sie dem Gotte und erhält sie als Gabe des Gottes wieder zurück, vielleicht nach Abzug des für Sarapis und seine Priester bestimmten Anteils. Dann findet das Mahl statt, und Sarapis ist somit Gast und G~o+<)'"her in "inpm"

296 Soziale Integration und sakramentales Handeln [185J

und einen eigenen (tIHlXv) Tisch vorzusetzen und sie anzuweisen zu trinken, ohne auf die anderen zu achten - und dem, was jetzt geschieht, daß man nämlich einem jeden Fleisch und Brot wie aus seiner eigenen Krippe vorsetzt und ihn gut bewirtet, außer daß es für uns keinen Zwang zum Schweigen gibt wie bei denen, die Orest bewirteten". (Quaest. conv. II, 10, I)

Der Standpunkt des Hagias wird später (H, 10, 2) noch einmal in einem Satz zusammengefaßt : 'An' ihtou 't'o '~awv ECl"t'LV, &7tOAAU't'OtL

't'o XOLVOV. Wir sehen, auch anderswo wird das Verhältnis von ~awv ad7tvov zum xowov ad7tvov diskutiert. Es entspräche guter griechi­scher Tradition, hier bei strittigen Fragen dem Gemeinschafts­gedanken den Vorrang zu geben. Man denke an das xowa: 't'a 't'WV

<p[ACUV (Plat. Phaidr. 279 C). Aber die griechischen Gastmähler setzen eine gewisse soziale Homogeneität voraus - abgesehen davon, daß die römische Kolonie Korinth kulturell sehr stark von nicht-griechischen Traditionen geprägt war. Probleme griechi­scher Gastmähler, wie sie bei Plutarch diskutiert werden, sind in der Tat Probleme im Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft: Problem ist hier nicht das Verhältnis von Gruppen, sondern das Verhalten einzelner. Gerade das ist aber in Korinth wohl anders gewesen.

Die erste und zweite Bedeutungsnuance von ~aLOV müssen zusammen gesehen werden: Ein Teil der korinthischen Gemeinde bringt Ex 't'WV ta[cuv Speise zur Gemeindeversammlung und ißt diese, wenigstens zum Teil, als raLOV aE~7tVOV. Mag dies Verhalfen "indivi­dualistische" Züge haben, so ist es doch das individualistische Verhalten einer bestimmten Gruppe, das gerade als solches u. U. schichtspezifisch ist. Die ihr Privatmahl essenden Christen haben wahrscheinlich einen gehobenen sozialen Status, nicht nur, weil sie im Unterschied zu anderen Christen für sich und andere Speise mitbringen konnten. Ihre soziale Position geht auch aus der Frage des Paulus hervor: "Habt ihr denn keine Häuser, um zu essen und zu trinken?" Das klingt doch so, als hätten einige Christen in Korinth Häuser besessen. Wollte Paulus nur sagen, jeder solle bei sich essen, so läge die Formulierung EV OrXC]l (1. Cor. xi 34 xiv 35) oder 7t!XP' EIXU1'OU (xvi 2) näher. Seine Frage kann sich nur an einen Teil der korinthischen Christen richten, sein Ratschlag, zu Hause zu essen und zu trinken '(xi 34) sich nur an die wenden, die zu essen und zu trinken haben. Bei denen, die nichts haben, wäre es ein kaum vorstellbarer Zynismus, ihnen zu raten, zu Hause zu speisen -

[186] Soziale Integration und sakramentales Handeln 297

man hätte gleich raten können: Hungert doch zu Hause 1). \Venn nun den korinthischen Adressaten beim Lesen des Briefes evident sein sollte, wer mit der Frage in V. 22 angeredet sei, muß in dieser Frage selbst ein Charakteristikum der gemeinten Gruppe enthalten sein, das sie als halbwegs gut gestellte Gruppe auswies. Und dazu kommt nur obdlXi:; I!.xz~v in Frage. Es ist daher wahrscheinlich, wenn auch nicht ganz sicher, daß in dieser Wendung der Gedanke des Hausbesitzens mitschwingt. Außerdem wissen wir, daß einige korinthische Christen über "Häuser" verfügen konnten: Gaius ist ~evo~ fLOU xotl öP:IJ~ '"t"~c; Ex.XA"Y)crtlX~ (Röm. xvi 23), Titius Iustus beherbergt Paulus bei sich (Act. xviii 7).

Man darf annehmen, daß der Konflikt. beim Herrenmahl ein Konflikt zwischen armen und reichen Christen ist. Anlaß des Konflikts war ein besonderes Verhalten der Reichen: Sie nahmen wohl an dem von ihnen ermöglichten Gemeinschaftsmahl teil, aßen aber wohl für sich - möglicherweise räumlich getrennt von den anderen und an einem eigenen Tisch 2). Jedoch erfahren wir über die Art und Weise, wie sich ihre "Privatmahlzeit" vollzog, nicht sehr viel.

2. Verschiedener Beginn des Essens

Probleme hat es offensichtlich beim Beginn des Herrenmahls gegeben. Paulus mahnt, man solle aufeinander warten (r Cor. xi 33). Außerdem könnte man v 2r so deuten, als nähme jeder sein eigenes Mahl "vorweg" (npoAlXfLß&vm). Beide Stellen lassen sich jedoch nicht ohne \Veiteres auf einen Nenner bringen: Während es nach v 33 so aussieht, als habe man mit dem Gemeinschaftsmahl vor-

1) Auf den niedrigen Sozial status der [L'~ ~XOV't"E~ hat man auch oft aus I Cor. xi 33 geschlossen: Weil sie zu spät zum Mahl kommen, können sie über ihre Zeit nicht frei verfügt haben. So H. LIETZMANN: An die Korinther 1/11, HNT 9, Tübingen 4 1949, S. 59; G. BORNKAMM, Herrenmahl und Kirche, S. 142 und H. CONZELMANN, Korintherbrief, S. 230 Anm. 26.

2) Vgl. J. WEISS, korintherbrief, S. 293: "Daß die Mitglieder gruppen­weise, etwa an einzelnen Tischen beisammen saßen, wird sich nicht haben vermeiden lassen. Es sollte dabei aber eine verletzende Absonderung sowohl der Cliquen als der Wohlhabenden von den Armen vermieden werden". Eine solche gruppenweise Trennung läßt sich natürlich nur ver­muten. Dafür spricht: I. Die korinthische Gemeinde war sehr groß (Act. xv1ii 10) 2. Es gibt eine altkirchliche Abbildung von Abendmahlsfeiern, bei der verschiedene Gruppen zusammenaßen. Vgl. Tafel 9 bei H. LIETZ­MANN: Petrus und Paulus in Rom, B~rJin/Leipzig 21927. Hier ist jedoch nicht sicher, daß es sich nicht um eine Darstellung der wunderbaren Speisung handelt.

298 Soziale Integration und sakramentales Handeln [187]

zeitig begonnen, so daß später Kommende zu kurz kamen 1), legt v 21 den Gedanken nahe, einige Christen hätten mit ihrem Privatmahl schon vorher begonnen, das Gemeinschaftsessen sei erst später gefolgt. In diesem Falle wären die später Kommenden weniger benachteiligt. Nun ist I Cor. xi 21 eine Feststellung, v 33 eine Mahnung. Für eine Rekonstruktion des Sachverhalts ist im Konfliktfalle schon deswegen v 21 der Vorzug zu geben, zumal v 33 auch dann eine sinnvolle Mahnung wäre, wenn sie an diejenigen adressiert sein sollte, die ihr Privatmahl vorwegnahmen. Auf jeden Fall war der Beginn des Herrenmahls nicht "geregelt".

Das Herrenmahl wird nun durch die Brotworte eröffnet, durch die "private" Spenden der Gemeinschaft übereignet wurden. Solange die Einsetzungsworte nicht gesprochen wurden, waren die mitgebrachten Speisen "privates Eigentum". Es konnte .so lange nur private Mahlzeiten geben. Ein äußerer Grund für den Konflikt beim Herrenmahl könnte also darin liegen, daß es in den korinthischen Gottesdiensten keine verbindliche Ordnung gab bzw. niemanden, der eine Ordnung durchzusetzen imstande war 2). Es gab zu viel cX.X()('t"IXO"'t"IXO"[()( (I Cor. xiv 33).

Nun wird häufig angenommen, es habe in Korinth ohnehin eine reguläre Sättigungsmahlzeit vor dem kultischen Mahl gegeben. Die in den Einsetzungsworten festgelegte Reihenfolge (Brotwort, öd7tvov, Kelchwort) gebe einen nicht mehr praktizierten Zustand wieder 3). Die Streitigkeiten hätten danach daraus resultiert,

1) Eine ganz andere Deutung von 1 Cor. xi 33 f geben A. EHRHARDT: Sakrament und Leiden EvTh 7 (1947/8) S. 99-115 und H. W. BARTSCH: Der korinthische Mißbrauch des Abendmahls. Zur Situation und Struktur von 1 Korinther 8-11, in: Entmythologisierende Auslegung. Aufsätze aus den Jahren 1940-1960, Hamburg 1962, S. 169-183, bes. S. 182. Danach handelt es sich bei den in V. 33 thematisierten Zusammenkünften nicht um Gemeindeszusammenkiinfte, sondern Privatmähler einzelner, zu denen die ärmeren Christen miteingeladen werden sollten. Man solle auf sie warten. Aber es ist ganz unwahrscheinlich, daß "zusammenkommen" und "essen" in V. 20 und 33 etwas Verschiedenes meinen. Von den Privatmählern in Häusern ist zudem erst im folgenden Vers die Rede.

2) E. v. DOBscHüTz, Gemeinden, S. 50 f, führt die Probleme beim Herren­mahl darauf zurück, daß in der Gemeindeversammlung eine leitende Auto­rität gefehlt habe. Paulus oder Apollos, die solch eine Autorität hätten ausüben können, waren abwesend.

3) G. BORNKAMM, Herrenmahl und Kirche, S. 155, nimmt an, [Le:T~ T6

ikmv'ijmxL sei für Paulus "nur noch eine altertümliche liturgische Formel". Ebenso urteilt P. NEUENZEIT: Das Herrenmahl. Studien zur Paulinischen Eucharistieauffassung, StANT I, München 1960, S. 71 f. H. CONZELMANN, Korintherbrief, S. 234.

[188] Soziale Integration und sakramentales Handeln 299

daß emlge Christen zu spät zum Sättigungsmahl kamen und für sie nichts mehr übrig blieb. Die hier vorausgesetzte Reihen­folge Sättigungsmahl - Herrenmahl ist jedoch unwahrschein­lich.

Es ist m.E. undenkbar, daß Paulus eine heilige kultische Formel zitiert, ausdrücklich versichert, so und nicht anders habe er sie empfangen und zugleich stillschweigend erwartet, man werde sich nicht an ihren Wortlaut halten. Diese Formel setzt ein Mahl zwischen Brot- und Kelchwort voraus; der Kelch wird fLE't"OC 't"o

öEmv~ac)(L gereicht (I Cor. xi 25). Wenn es schon beim Gottesdienst in Korinth Unordnung gab, so hätte Paulus diese nur noch ver­größert. Will er etwas Ordnung schaffen, so kann er doch unmöglich überholte Weisungen wiederholen: Die aXIX't"M't"lJ.a[1J. (I Cor. xiv 33) wäre vollkommen gewesen.

Die von P. NEUENZEIT zusammengestellten Argumente für ein reguläres Sättigungsmahl vor der Eucharistie in Karinth können kaum überzeugen 1):

I) Wenn in 1 Cor. x 16 Becher und Brot eng verbunden werden, so folgt daraus keineswegs, sie seien nach dem Mahle zusammen gereicht worden. Schließlich stellt Paulus in 1 Cor. x 16 sogar die gewohnte Reihenfolge (Brot/Kelch) um, so daß wir dieser Stelle kaum etwas über die wirklich praktizierte Reihenfolge entnehmen können.

2) Auch aus 1 Cor. xi 21 folgt für ein gemeinschaftliches Sättigungsmahl vor dem Herrenmahl nichts: Nur von vorweggenommenen tlhlX 3e:i:rrvlX ist die Rede, nicht von einem KOLVOV 3e:i:7t\lov. NEUENZEIT argumentiert: "Würde die Brothandlung noch am Beginn der Feier gestanden haben, so hätten die später Kommenden nur an der Bechereucharistie teilnehmen können. Einen solchen Ausschluß der Armen von der Broteucharistie würde Paulus scharf tadeln" 2). Das Argument ist richtig: Die Broteucharistie stand nicht am Anfang, jedoch nicht nach einem von Paulus gebilligten allgemeinen Sättigungsmahl, sondern nach dem von ihm mißbilligten privaten Mahl.

3) In I Cor. xi 34 bahne "sich bereits die völlige Trennung von Sättigungs­mahl und Eucharistie an", lautet ein weiteres Argument. Vom Gemeinschafts mahl getrennte werden jedoch nur die privaten Mahlzeiten.

4) Aus Act. xx 7 ff, Mc xiv 17-21 und Joh. vi 52 kann man nicht auf die Reihenfolge der Mahlfeier in Korinth schließen, auch dann nicht, wenn man aus diesen Stellen eine Folge von gemeinschaftlichem Sättigungsmahl und kultischer Eucharistie erschließen könnte.

Die reichen Christen aßen die von ihnen mitgebrachte Speise nicht nur separat, es scheint so, als hätten sie auch schon vor der gemeinschaftlichen Mahlzeit damit begonnen 3). Aber auch damit

1) P. NEUENZEIT, Herrenmahl, S. 71 f. 2) P. NEUENZEIT, Herrenmahl, S. 7I. 3) Sehr anschaulich schildert G. BORNKAMM, Herrenmahl und Kirche,

S. 144, die möglichen Gründe für das vorgezogene Mahl. Bis die Armen

300 Soziale Integration und sakramentales Handeln [189J

ist die Besonderheit ihres Verhaltens noch nicht adäquat be­schrieben. Das private Mahl scheint nicht nur eine vorgezogene Mahlzeit gewesen zu sein. Das führt zum nächsten Punkt:

3. Verschiedene Mengen von Speise und Trank

Zunächst weisen einige Indizien darauf hin, daß die tilL()( ile~7tv()(

während des Herrenmahls weiter gegangen sind. Paulus formuliert: "Ein jeder nimmt sein eigenes Mahl beim Essen ein", 7tPOA()(fLß&­

veLV muß nicht nur "vorwegnehmen" heißen, sondern kann auch "einnehmen" bedeuten 1). Die Doppelung von "Mahl" und "Essen", von ilE~7tVOV und tp()(YE~V ist kaum rein pleonastisch: <p()(ye~v greift vielmehr auf das XUPLCY.XOV ild7tvOV <pCY.ydv des Vordersatzes zurück und entspricht dem dc; TO <pCY.ydv in v 33. An beiden Stellen ist das Herrenmahl gemeint. Das eigene Mahl geschieht ev Tc{> <p()(ye~v,

"während des Herrenmahls", und nicht nur vor seinem eigentlichen Beginn. V. 21 schließt diese Deutung zumindest nicht aus.

Es könnte demnach so gewesen sein, als hätte man durch die Einsetzungsworte nicht alle vorhandene Speise der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt, sondern weiterhin einen besonderen Anteil für sich "privat" beansprucht: Die Reicheren haben u. U. so größere Portionen zur Verfügung gehabt als die anderen. Auf ein solches - zum Herrenmahl hinzukommendes Essen - weist auch die Warnung des Paulus 1 Cor. xi 29: "Denn wer (unwürdig) ißt und trinkt, ißt und trinkt sich selbst das Gericht, wenn er den Leib nicht unterscheidet" (fL~ ilL()(Xp[vwv TO cr(;)fL()(). Das läßt sich am ehesten so deuten: Beim Herrenmahl unterscheiden

kamen, "konnte man ja wohl getrost mit Essen und Trinken in der Tisch­gemeinschaft mit Familienglieder, Fremden und Standesgenossen die Zeit verbringen. Jeder kann sich die sehr verständlichen Gründe, die dabei eine Rolle gespielt haben mägen, vorstellen: die sehr menschliche Neigung zu einer Geselligkeit des Unter-Sieh-Seins; die Abneigung gegen die Peinlich­keiten, wenn Reiche und Arme, Freie und Sklaven leibhaftig an einem Tische sitzen -leibhaftige Tischgemeinschaft ist ja eben noch etwas anderes als Almosen aus der Distanz; die Sorge, daß einem die ,Stimmung' verdorben werden kann für den Empfang des Sakraments durch solches peinliche Auf-den-Leib-Rücken der Armen. Alles d.as wird zu dem ,Vorwegnehmen' der eigenen Mahlzeit geführt haben". (S. 144).

1) In der Stele des Apellas (ca. 160 n. eh.) begegnet 7tPOAQ(fLßcXve~v ohne erkennbare zeitliche Bedeutung (IG IV2 126, SIG3 1170). Vgl. J. H. MouLToN/ G. MILLIGAN: The Vocabulary of the Greek Testament, London 21963. S. 542. Zur Stele vgl. ferner R. HERZOG: Die Wunderheilungen von Epi­dauros. Philol. Suppl. XXII, 3. Leipzig 1931, S. 43 ff. Er vermutet hier einen medizinischen Ausdruck.

[190] Soziale Integration und sakramentales Handeln 301

emlge nicht die zum Herrenmahl gehörende Speise und ihr 'l3LOV 3e:~7tvov. Einige haben mehr zur Verfügung als die anderen.

Eine größere Zuteilung für diejenigen, die durch ihre Spenden das Gemeinschaftsmahl erst ermöglichten, ist keineswegs undenk­bar. Auch die antiken Vereine machten bei ihren Zuteilungen Differenzierungen. Sie kannten "materielle Zuwendungen an bestimmte Mitglieder, zunächst in Form grösserer Anteile an den Sporteln für die Beamten und Bediensteten. Die Höhe dieser grösseren Anteile schwankt zwischen 1-1-, 2-, 3fach, daher die Bezeichnungen sesquiplicarii, duplicarii, triplicarii für die ver­schiedenen Beamtenkategorien" 1). Als Beispiel dafür sei das auch Sklaven umfassende Kollegium in Lanuvium (136 n. Ch.) 2) angeführt, das laut Satzung festlegte (CIL XIV 2II2 = Dessau 7212) "ut quisquis quinquennalitatem gesserit integro, ei ob honorem partes sesquiplas ex Oluni re dari" , d.h. wer fünf Jahre ohne Beanstandung sein Amt inne hatte, erhielt bei Festen und Auszahlungen anderthalbfach so viel wie die anderen. Es gab ferner besondere Zuteilungen z.B. für die auf Lebenszeit dienenden Hilfsbeamten, den Sekretär und den Ausläufer. Die normale Portion bei Festen bestand aus etwas Brot, vier Sardellen und einer Amphore Wein. Es soll nun keineswegs behauptet werden, daß es in der korinthischen Gemeinde eine ähnliche Regelung gegeben hätte. Im Gegenteil: Im Unterschied zu anderen antiken Vereinen gab es hier offensichtlich keine formelle Regelungen, keine Satzung, keine Ordnung, mit deren Hilfe man von vornherein Konflikten vorbeugen konnte. Es war nicht festgelegt, wer besondere Verdienste hatte. Die Vereinssatzungen sind hier nur an einem Punkt von Bedeutung: Man nahm offensichtlich nicht den gering­sten Anstoß daran, wenn um die Gemeinschaft verdiente Mitglieder mehr Zuteilungen erhielten als andere, ja man hielt derartige Ungleichheiten für recht und billig. Hatten aber nicht die reichen Christen in Korinth unbestreitbare Verdienste um die Gemein­schaft? 3) Sie stellten Räume für das Gemeinschaftsmahl zur

1) E. KORNEMANN : Art. Collegium, PW 7, Sp. 380-480, Sp. 441. 2) Der Text der Vereinssatzung ist abgedruckt in den Beilagen zu H.

LIETZMANN: An die Korinther, S. 91-93. 3) Daß Verdienste um die Gemeinschaft auch im Urchristentum dazu

führte, daß einigen eine besondere Autorität zukam, zeigt die Empfehlung des Stephanas 1 Cor. xvi 15 f: "Wir beobachten hier die im Leben häufige Erscheinung, daß Personen, die für die Gemeinschaft etwas tun, eben dadurch in eine natürliche Autoritätsstellung hineinwachsen" - so J.

302 Soziale Integration und sakramentales Handeln [191]

Verfügung. Sie ermöglichten durch ihre Spenden erst das Gemein­schaftsmahl für alle. \Venn sie ein tihov aE~7tVOV zu sich nahmen -über das allgemeine Mahl hinaus, orientierten sie sich vielleicht nur an einem damals anerkannten Verhaltensmuster. Die Vereins­satzungen hatten gegenüber dem "charismatisch" - ungeregelten Gemeindeleben der Korinther immerhin den Vorzug, daß sie auch den Bediensteten eine Chance gaben, sich durch besondere Hilfs­dienste auszuzeichnen. \Vo alles dem freien Walten des "Geistes" überlassen bleibt, setzen sich die durch ihren Status Bevorzugten noch viel deutlicher durch.

Die reichen Christen hätten dann nicht nur für sich gegessen und vor dem regulären Herrenmahl begonnen, sondern auch mehr zur Verfügung gehabt. Auf die größere Quantität des raLOV a~~7tVOV

spielt Paulus wohl an, wenn er schreibt: "Der eine hungert, der andere ist trunken" (I Cor. xi 21). Aber auch die Annahme ver­schiedener Mengen an Speise und Trank macht den Konflikt beim Herrenmahl noch nicht verständlich. Paulus hätte in diesem Falle doch wohl mahnen müssen, alles gleichmäßig zu verteilen. Er empfiehlt aber, das "PrivatrnahI" zu Hause abzuhalten. Man sollte ihm nicht vorschnell den Sarkasmus unterstellen: Wer genug hat, soll zu Hause speisen. Beim Herrenmahl sei es nicht so schlimm, wenn einige hungern; Hauptsache sei, daß ihnen nicht allzusehr beWlißt wird, wie viel besser andere Gemeindeglieder hier dran sind. Solange man nur verschiedene Mengen an Speise für die reichen und armen Christen annimmt, muß der paulinische Lösungsvorschlag merkwürdig erscheinen. '

4. Verschiedene Qualitäten des Mahls

Die Weisung des Paulus, das 'laLOV aE~7tVOV zu Hause zu essen, wird verständlicher, wenn man annimmt, daß es Besseres als nur Brot und Wein umfaßte, nämlich darüber hinaus eine Zukost, wie sie damals üblich war: EO'IHouO'L fL€V YcXP alj 7tcX.V'tEi:; E7tt 'tijl O't't'Cp

6~ov, IhOtv 7tOtp?i (Xen. memo 111, 14, 2). Selbst das bescheidene· Collegium von Lanuvium, das Mitglieder der untersten Schichten umfaßte, sieht vor, daß man zu Brot und Wein hinzu Fisch ißt. Es liegt nahe, daß sich auch in der korinthischen Gemeinde einige Christen nicht mit Brot und Wein begnügten. Wenn es sich aber

WEISS, Korintherbrief, S. XXVI. Der Gedanke, daß Inhaber christlicher Ämter auch materiell privilegiert werden, ist auch im Urchristentum vor­handen: I Cor. ix; I Tim. v 17; Did. xiii 3.

[192] Soziale Integration und sakramentales Handeln 303

so verhielt, so konnte Paulus aus einem sehr einfachen Grund nicht dazu auffordern, auch diese Zuspeise zu verteilen: Denn von ihr war in den Einsetzungsworten nicht die Rede. Und diese Einsetzungsworte sind ihm ohne Zweifel heilig und unumstößlich. Sie aber sahen nur Brot und Wein vor.

Heilig und unumstößlich werden sie aber auch der korinthischen Gemeinde gewesen sein: hi ihrem Brief beteuert sie ausdrücklich, die von Paulus erhaltenen Überlieferungen zu befolgen. Paulus nimmt darauf in I Cor. xi 2 Bezug und lobt die Gemeinde deswegen. Ironisch kommt er darauf in unserem Zusammenhang noch einmal zu sprechen: "Soll ich euch loben (sc. weil ihr Privat- und Herren­mahl unterscheidet)? In diesem Punkte lobe ich euch nicht?" (xi 23) Man könnte darauf schließen, daß man in Korinth auch in der Frage des Herrenmahls meinte, die Überlieferungen des Paulus getreu einzuhalten. Man konnte so argumentieren: Weil die Einsetzungsworte nur eine Verteilung von Brot und Wein vorsahen, konnte alles andere als "Privatrnahi" deklariert werden. Formal hielt man sich also an die Überlieferung. An den Buch­staben hielt man sich. Sollte sie Paulus deswegen loben?

Eine so "spitzfindige" Auslegung der Herrenmahlüberlieferung ist gar nicht so spitzfindig, betrachtet man sie im Rahmen damals verbreiteter Gewohnheiten. Für einige Korinther wird der Gedanke eines nach Qualität abgestuften Essens bei Gemeinschaftsmählern mit Menschen unterschiedlichen Sozialstatus gar nicht so fremd gewesen sein. Denn diese Praxis ist für die damalige Zeit gut bezeugt 1). Wenn wir nur die Kritik an dieser Sitte hören, so ist das nicht verwunderlich: Wer mit einem Brauch einverstanden war, hatte wenig Grund, sich dazu zu äußern. Interessanterweise ist uns die Kritik aus verschiedener Perspektive überliefert: Bei Plinius d.]. führt das humane Taktgefühl eines Angehörigen der Oberschicht zur Kritik, bei Martial und ]uvenal spricht sich dagegen das verletzte Selbstwertgefühl dessen aus, der unter der Zurücksetzung beim Essen leidet. Plinius schreibt:

"Es wäre umständlich, weiter auszuholen, und es ist auch gleichgültig, wie ich als ein ganz Fernstehender dazu gekommen bin, bei einem - wie er sich selbst dünkte - sauberen, haushälterischen, - wie mir schien­schmutzigen und dazu noch verschwenderischen Manne zu Gaste zu sein. Denn sich und einigen wenigen setzte er allerhand Delikatessen vor, den

1) Vgl. J. CARCOPINO: Das Alltagsleben im Alten Rom zur Blütezeit des Kaisertums, Wiesbaden 1950, S. 417 f.

304 Soziale Integration und sakramentales Handeln [193]

übrigen billiges Zeug und in kleinen Portiönchen. Auch den Wein llatte er in kleinen Fläschchen in drei Sorten aufgetragen, nicM, damit man die Möglichkeit habe zu wählen, sondern man nicht ablehnen könne, eine für sich und uns, eine andere für die geringeren Freunde - er macht nämlich Rangunterschiede bei seinen Freundschaften -, eine dritte für seine und unsere Freigelassenen.

Mein Tischnachbar bemerkte das und fragte mich, ob ich es für richtig hielt. "Nein" sagte ich. - "Also wie hältst Du es damit?" - "Ich setze allen dasselbe vor, denn zum Essen lade ich ein, nicht zum Bemäkeln, und mit wem ich Tisch und Polster teile, den stelle ich in jeder Hinsicht mit mir auf die gleiche Stufe." - "Auch die Freigelassenen?" - "Ja, denn dann sehe ich in ihnen Tischgenossen, nicht Freigelassene". - Darauf er: "Das kommt Dir teuer zu stehen!" - "Keineswegs" - "Wieso nicht?" -"Weil nicht meine Freigelassenen dasselbe trinken wie ich, sondern ich dasselbe wie sie." ... (Plin. epist. H, 6).

Interessant ist, daß der "Lösungsvorschlag" des Plinius in einem Punkte dem des Paulus vergleichbar ist: Der Höherstehende soll sich in seinen Essensgewohnheiten bei Gemeinschaftsmahlen dem sozial Schwächeren anpassen. Liest man dagegen die Kritik "von unten" bei Martial und Juvenal, so zielt diese verständlicher­weise daraufhin, den sozial Schwächeren dem Höhergestellten gleichzustellen:

Da du zum Mahl mich lädst, seit ich kein Geld mehr erhalte, warum gibt man mir nicht eben das Mahl wie dir selbst?

Du nimmst Austern für dich, die Lucriner Wasser genährt hat: ich saug Miesmuschel nur, schneid mir den Mund dran entzwei.

Du hast die Champignons: ich erhalte für mich nur den Saupilz. Mit der Butte hast du's, ich nur mit Brachsen zu tun.

Goldgelb liegt die Taube vor dir mit mächtigen Keulen: mir wird die Elster serviert, die in dem Käfig verstarb.

Ponticus, speis ich mit dir, was muß ich dann ohne dich speisen? Daß es die Sportel nicht gibt, nütze mir! Essen wir gleich!

(Mart. epigr. IH, 60).

Martial kann sich an anderer Stelle noch bitterer ausdrücken und den vor allen Augen seine soziale Überlegenheit demonstrieren­den "Gastgeber" verwünschen:

Sage mir, bist du verrückt? Wo die Schar der Geladenen zuschaut, schlingst du, Caecilian, Pilze für dich ganz allein.

Was nur soll ich dir wünschen, was Wanst und Kehle verdienen? Iß einen Pilz von der Art, wie ihn einst Claudius aß.

(Mart. epigr. I, 20 vgl. ferner IV, 85 VI, II X, 49)

Juvenal hat das Gastmahl des Virro ausführlich beschrieben (Sat. V): Während sich der Gastgeber selbst mit guten, alten Weinen, zartem Brot, fetter Leber und allerhand Leckerbissen bedient, müssen die Gäste sich mit einem herben Wein, schimme-

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ligem Brot, nach Lampenöl stinkendem Kohl, verdächtigen Pilzen, einer alten Henne und verdorbenen Äpfeln begnügen. Dabei gibt es dann auch noch unter den Eingeladenen handgreif­lichen Streit.

Die aufgeführten Zeugnisse stammen alle aus lateinischen Schriftstellern - gerade deshalb sind sie aber zur Erhellung der korinthischen Situation wertvoll. Denn das Korinth des I Jh. n. Ch. war eine römische Neugründung. Die offizielle Sprache war Latein. Die meisten Inschriften aus dieser Zeit sind in Latein abgefaßt. Und mochte man auch in vieler Hinsicht an die alten griechischen Traditionen anknüpfen - so führte man wieder die isthmischen Spiele aus -, so zeigt doch der Bau eines Amphi­theaters, wie stark der römische, ungriechische Einfluß war 1). Die korinthische Gemeinde umfaßte zudem mit hoher \Vahrschein­lichkeit auch Menschen lateinischer Abstammung. Unter 17 überlieferten Namen korinthischer Christen finden sich 8 lateini­sche: Aquila, Fortunatus, Gaius, Lucius, Priscilla, Quartus, Titius Iustus, Tertius. Einer von ihnen, Gaius, ist sogar nach Röm. xvi 23 "Gastgeber der ganzen Gemeinde", was den Gedanken nahe legt, daß u.a. in seinem Hause Gemeinschaftsessen stattfanden. Auch hier soll nun nicht behauptet werden, daß die geschilderten römi­schen (Un-) Sitten als solche in der korinthischen Gemeinde ver­breitet gewesen wären. Die zitierten Stellen sollen nur als Beleg dafür dienen, daß es damals Verhaltensmuster gab, nach denen man bei einem Gemeinschaftsessen die eingeladenen Gäste nach ihrem Sozialstatus verschieden bewirtete: Freigelassene und Klienten dienten dem Gastgeber als Hintergrund dazu, um seine Macht als Patron zu demonstrieren. Natürlich handelt es sich bei den von Plinius, Martial und Juvenal geschilderten Gastmählern um private Gastmähler - aber als solche konnten auch die Gemein­schaftsmähler der korinthischen Gemeinde erscheinen: Gaius gilt als Gastgeber der Gemeinde, als hätte er sie gewissermaßen in sein Haus eingeladen. Diejenigen, die durch ihre Spenden das Gemeinschaftsmahl ermöglichten, traten in der Tat wie private Gastgeber auf, wie Patronen, die die von ihnen abhängigen Klienten unterstützten.

1) Zur kulturellen Situation des römischen Korinths vgl. H. J. KENT: Corinth viii 3. The Inscriptions 1926-1950, Results of Excavations, Princeton 1966, S. 17-31. F. J. DE WAELE: Corinthe et Saint Paul, Paris 1961. O. BRONEER: Corinth. Center of St. Pauls Missionary Work in Greece, BiblArch 14 (195 1) S. 78-96.

306 Soziale Integration und sakramentales Handeln [195]

Wir können also mit einiger Wahrscheinlichkeit schliessen, daß es bei den Gemeindezusammenkünften in Karinth über das gemeinschaftliche XUP~IXXOV 3d7tvOV hinaus noch für einige ein 'L3LOV 3d7tvOV gab, das über Brot und \Vein hinaus eine Zuspeise enthielt. Als zusätzliche Speise kommen in Frage: Gebäck, Fisch, Fleisch. Wahrscheinlich ist m.E., daß u.a. auch Fleisch gegessen wurde, Fleisch v,rar in Korinth offensichtlich eine Speise, die bei Einladungen vorgesetzt wurde. Das geht gerade aus dem I Cor. hervor: Folgt man einer Einladung, so ist damit zu rechnen, daß der Gastgeber Fleisch vorsetzt (I Cor. x 28). Auch Plutarch setzt voraus, daß bei Gemeinschaftsmählern Fleisch gegessen wurde (Quaest. conv. II, IO, I). Aus I Cor. xi I7 ff geht selbst nur so viel hervor, daß das Charakteristikum des 'l3~ov 3z~7tvOV im Bereich der festen Speisen liegt: "Wer (sc. Brot und Wein) ißt und trinkt, ißt und trinkt sich selbst das Gericht, wenn er dabei den Leib nicht unterscheidet" (I Cor. xi 29). Interessanterweise heißt es nicht: " ... , wenn er nicht Leib und Blut unterscheidet", sondern nur: fl.~ 3~IXXPLV(uV ,,0 a6.lfl.IX. D.h. das Problem lag beim "Leib Jesu", beim Brot, also bei der festen Speise 1). Die Gefahr bestand darin, daß man es von einer anderen Art von a6.lfl.1X nicht unterschie<:l. Es scheint mir nicht ausgeschlossen zu sein, daß hier eine Anspielung auf die awfl.IX"1X von Tieren vorliegt (vgl. Jak. iii 3).

Wenn man die Möglichkeit einräumt, daß einige korinthischen Christen als 'l3LOV 3e:L7tVOV hin und wieder auch Fleisch aßen, so liegt eine weiterführende Hypothese nahe, die hier nur kurz skizziert sein soll: Daß nämlich I Cor. x I4-22 und xi I7 ff. dasselbe Problem aus verschiedener Perspektive behandeln: das Problem der Fleisch­nahrung bei den Gemeindezusammenkünften 2). An beiden Stellen geht es ja um das Problem, ob das Herrenmahl mit einer weiteren

1) Die konkrete Deutung auf die Unterscheidung von Speisen ist noch immer die wahrscheinlichste. So auch H. LIETZMANN, An die Korinther, S. 59. Anders J. MOFFATT: Discerning the Body, ET 30 (1918/19) S. 19-23; W. G. KÜMMEL im Anhang zu H. LIETZMANN, An die Korinther, S. 186; A. EHRHARDT, Sakrament und Leiden, EvTh 7 (1947/8) 99-II5. Gewiß assoziert Paulus bei GrolLet auch die Bedeutung "Leib Christi", da aber im Satz von "Essen und Trinken" die Rede ist, ist zunächst doch wohl der Gegenstand des Essens gemeint. Unwahrscheinlich ist die Ubersetzung A. EHRHARDTS: "Wer ißt und trinkt, ißt und trinkt für sich die Verurteilung, indem er für seine Person keine Ausnahme macht".

2) H. W. BARTscH: Der korinthische Mißbrauch des Abendmahls, in: Entmythologisierende Auslegung 1962, S. 169-183, hat vielleicht recht, wenn er in I Cor. viii-x und xi 17 ff dasselbe Problem behandelt sieht. Das verbindende Glied ist jedoch kaum in der Enthaltsamkeit zu suchen.

[196] Soziale Integration und sakramentales Handeln 307

Mahlzeit unvereinbar ist: dort handelt es sich um das daWA06u70'i,

hier um das '~awv ac:~7t'iO'i. Es könnte sein, daß beides z.T. identisch ist: Man konnte bei keinem Fleisch in Korinth absolut ausschließen, daß es nicht rituell "vorbelastet" war. Jedes gekaufte Fleisch konnte "Götzenopferfleisch" sein, möglicherweise auch das von einigen Christen beim Herrenmahl verzehrte Fleisch. Die Trag­fähigkeit dieser Hypothese hängt von einer Exegese von r Cor. viii-x ab, die den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würde. Daher sei diese Hypothese nur als eine Möglichkeit notiert. Sie wird in der weiteren Argumentation nicht vorausgesetzt.

Das rekonstruierte Verhalten derjenigen Christen, die bei .den Gemeindezusammenkünften ein "eigenes Mahl" verzehrten, sei noch einmal zusammenfassend beschrieben: Einige reichere Christen ermöglichten durch ihre Spenden das Gemeinschaftsmahl, das für alle Brot und Wein vorsah. Durch die Herrenworte wurden diese Spenden als Eigentum des Herrn deklariert und der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Neben diesem Gemeinschaftsessen konnte deshalb ein "eigenes Mahl" stattfinden, weil der Beginn des Herren­mahls nicht geregelt war und bis zu diesem Beginn (d.h. bis zu den Einsetzungsworten) die mitgebrachten Spenden privates Eigentum waren, vor allem aber deswegen, weil die reicheren Christen über Brot und Wein hinaus noch eine Zukost aßen, deren· Verteilung an die Gemeinschaft in den Einsetzungsworten gar nicht vorgesehen war.

Dies Verhalten rief Kritik hervor. Das eigentliche Problem lag wohl darin, daß die reicheren Christen vor aller Augen de­monstrierten, vvie sehr die anderen von ihnen abhängig waren, wie sehr sie auf die Spenden der Höherstehenden angewiesen waren. Unterschiede in der Speise sind ein relativ zeitloses Statussymbol von Reichtum. Weniger gut Gestellte erfahren hier ihre soziale Inferiorität an elementarer Stelle. Ihnen wird vor Augen geführt, daß sie in der sozialen Rangskala unten stehen. Und so etwas muß ein die Gemeinschaft zerstörendes Gefühl des Zurückgesetzt­seins hervorrufen. Man denke nur an die verbale Aggressivität des Martial, der als Klient Höhergestellter nur ein Gastfreund zweiter Klasse war. Paulus erhebt mit Recht den Vorwurf gegen die reichen Christen: "Verachtet ihr denn die Gemeinde Gottes und beschämt diejenigen, die nichts haben" (r Cor. xi 22). Die Gründe für den Konflikt beim Herrenmahl liegen somit weder auf rein materieller noch rein theologischer Ebene. Die Gründe

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sind "or .:illern sozialer Art: Es sir:d Probleme einer sozial geschich -teten Gemeinde, in der das xUP~Q(xov 3e:L7tVOV der Gemeinschaft zum '~3w'J 3d7tvOV des Standes zu werden drohte und das Herren­mahl, anstatt die Einheit des Leibes Christi zu begründen und darzustellen, zum Anlaß· genommen wird, soziale Unterschiede zu demonstrieren.

~Ian darf nun nicht in den Fehler verfallen, den Reichen morali­sierende Von\-ürfe zu machen. Historische und soziologische Analysen lassen wohl jeden in solchen Wertungen ,-orsichtiger werden. Ehe man die reichen Christen pauschal verurteilt, bedenke man:

a) Die Gemeindeversammlungen fanden wahrscheinlich in den Privathäusern der besser gestellten Christen statt 1). Sie wurden durch ihre Spenden ermöglicht. Selbst wenn sie es nicht gewollt hätten, demonstrierten sie so ihren Sozialstatus---:- ganz unabhängig von der konkreten Gestalt des Herrenmahles.

b) Die reicheren Christen luden nicht nur die Gemeinde ein, sondern zugleich immer auch einige Standesgenossen, die der Gemeinde angehörten. Im Verkehr christlicher Standesgenossen untereinander aber konnten ja nicht auf einmal alle Erwartungen an Aufmerksamkeit und Aufwendung suspendiert ·werden, die man im geselligen Verkehr außerhalb der Gemeinde für selbst­verständlich hielt. Zu diesen Erwartungen gehörte z.B., daß es bei Einladungen auch Fleisch zu essen gab (I Cor. x 27 f). Die an einen bestimmten Sozialstatus geknüpften Erwartungen haben ein Eigengewicht gegenüber persönlichen Einstellungen. Wenn Gaius, um ein Beispiel zu konstruieren, in seinem Haus die Gemeinde bewirtete, bewirtete er immer auch einige, die zu den wenigen "Weisen, Einflußreichen und Hochgeborenen" (I Cor. i 26) ge­hörten. Es lag nahe, daß man sich gegenseitij bevorzugt behandelte.

c) Für die Ausschließung der anderen Christen vom "eigenen Mahl" konnten sich die reicheren Christen formal auf die Abend­mahlsparadosis berufen: Diese sah nur die Verteilung von Brot und ·Wein vor. Alles, was darüber ging, konnte als "eigenes Mahl" deklariert werden.

d) Außerdem konnte man sich an Verhaltensschemata der "LTmwelt orientieren, die eine Zurücksetzung anderer beim Gemein­schaftsessen nicht als etwas ganz und gar Unmögliches erscheinen

1) Vgl. F. V. FILSON: The Significance af the Early Hause Churches, JBL 58 (1939) S. 105-112.

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lassen: Vereine legten in ihren Satzungen eine Bevorzugung derer bei Festrnählern fest, die sich besondere Verdienste erworben hatten. Einflußreiche römische Patrone behandelten bei ihren Gastmählern Klienten und Freigelassene als Gastfreunde zweiLn Ranges.

Wahrscheinlich hatten die reicheren Christen gar kein schlechtes GevYissen bei der ganzen Sache. Eher werden sie im Bewußtsein gelebt haben, in großzügiger Weise auch die ärmeren Christen durch ein gespendetes Mahl zu unterstützen. Der Konflikt wurzelt darin, daß ihr die sozialen Unterschiede herausstellendes Verhalten mit dem konsequenten Gemeinschaftsgedanken kollidierte, wie er in der christlichen Tradition, aber auch in griechischen Über­lieferungen vorhanden war: ::\fan denke an die Diskussion über die Gemeinschaft beim Mahl bei Plutarch (Quaest. conv. II, IO), an die vom Gemeinschaftsgedanken her argumentierende Kritik des Plinius an der Zurücksetzung von Mahlgenossen (epist. II, 6), an das xo~vO: TO: TWV cp[AWV (Plat. Phaidr. 279C vgl. Diod. 5, 9, 4 J ambl. vit Pyth 30, r68 Porphyr. vit Pyth 20). Wie sehr urchristliche und griechische Tradition sich hier verbinden konnten, zeigt die idealisierende Schilderung der Urgemeinde durch Lukas (Act. ii 44). Der Konflikt wäre dann als Konflikt zwischen verschiedenen Verhaltensmustern zu verstehen, die beide als sozial fundierte Erwartung an die reicheren Christen herangetragen wurden, einem Konflikt zwischen schichtspezifischen Erwartungen und den Normen einer Liebesgemeinschaft, die Menschen verschiedener Schichten umfassen will. Auch wenn wir nicht in allem die konkrete Gestalt rekonstruieren können, die dieser Rollenkonflikt ange­nommen hat, so dürfte doch so viel deutlich geworden sein: Daß dieser Konflikt in der Struktur christlicher Gemeinden angelegt ist; in einer Gruppe mit innerer sozialer Schichtung, die sich durch Spenden gegenseitig unterstützt, haben diejenigen, die besonders viel spenden können, ein natürliches Übergewicht - auch wenn das dem Selbstverständnis dieser Gruppen nicht entspricht.

Zur Erhellung der sozialen Seite des Konflikts gehört noch eine letzte Beobachtung: Die Gemeindeglieder aus höheren Schichten erscheinen in den Ausführungen des Paulus in wenig vorteilhaftem Licht. Die Konflikte werden nicht aus ihrer Perspektive gesehen. Aufschlußreich ist da, daß Paulus seine Information nicht dem Gemeindebrief der Korinther entnimmt 1). Man darf vermuten,

1) Das Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Information wurde mit Recht von J. C. HURD: The Origin of 1 Corinthians, London 1965,

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daß dieser Brief von Gemeindegliedern aus den höheren Schichten verfaßt worden ist. Darauf weisen einige populärphilosophische Topoi, die in ihm mit großer Wahrscheinlichkeit gestanden haben 1). Man darf nicht erwarten. daß die Verfasser über sich selbst etwas Nachteiliges verbreitet haben. Das müssen schon andere getan haben. Paulus hat mündlich von Spaltungen beim Herrenmahl "gehört" (I Cor. xi 18). Er distanziert sich vorsichtig von seinen Informanten: Nur teilweise will er den Nachrichten Glauben schenken. Das ist vielleicht Diplomatie 2). Ebenso, daß er unmittel­bar darauf die grundsätzliche Legitimität von Spaltungen betont, als würde er den Nachrichten nur glauben, sofern sie von legitimen Konflikten zu berichten wüßten, also von Konflikten, die zur Erprobung der Gemeinde unvermeidlich seien (xi 19). In der Sache muß sich nämlich Paulus ziemlich sicher gewesen sein. "Vir wissen natürlich nicht, von wem er informiert wurde. Möglicherweise waren es die Leute der Chloe, bei denen es sich um Abhängige handeln könnte, die den Namen ihrer Herrin führen 3). Diese hätten dann nicht nur über die Parteistreitigkeiten zwischen den Anhängern verschiedener Apostel berichtet, sondern auch über die Konflikte beim Herrenmahl. Die Wiederkehr des Begriffs crxtG"[1.()( in beiden Zusammenhängen könnte so verständlich werden. Ebenso die Tatsache, daß Paulus in I Cor. i 18 ff. und xi 17 ff. die korinthischen Probleme aus einer Perspektive "von unten" betrachtet. Weniger in Frage kommt Stephanus: Man kann nicht

und N. A. D. DAHL: Paul and the Church at Corinth according to I Corin­thians i 10-iv, 21, in: Christian History and Interpretation. Studies presented to J. Knox, Cambridge 1967, S. 313-335, bes. S. 323 ff. bei der Auslegung grundsätzlich in Rechnung gestellt. Einigkeit besteht darin, daß der Brief günstigere Nachrichten über die korinthische Gemeinde enthielt, während die mündlichen Nachrichten die Korinther in einem schlechteren Licht erscheinen lassen.

1) J. C. HURD, Origin, S. 65-74. II4-209 bespricht ausführlich den Gemeindebrief. S. 67 f findet sich eine Tabelle mit allen Stellen, in denen man Zitate bzw. Topoi des verloren gegangenen Gemeindebriefes vermutet hat. H. CONZELMANN, Korintherbrief, S. 30 Anm. 114, nimmt Topoi wie: "Der 'Weise ist König", "Dem '\leisen gehört alles", "Erkenntnis macht frei" an.

2) Anders H. LIETZMANN, An die Korinther, S. 56: "Manches aus dem Bericht hält also Paulus für übertrieben".

3) Familieangehörige würden sich, auch wenn der Vater gestorben ist, nach dem Vater nennen. Ganz unwahrscheinlich ist m.E. die Deutung F. R. HITCHCOCKS: Who are 'the people of Chloe' in 1 Cor. i II, JThSt 25 (1923) S. 163-167. Es handle sich um Mysten der Demeter, die hin und wieder den Beinamen "Chloe" hat.

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jemanden so entschieden empfehlen (I Cor. xvi 15 H.) und gleich­zeitig andeuten, man glaube seinen Nachrichten nur "teilweise". Doch können es auch andere sein, denen Paulus seine Informationen verdankt. Auf jeden Fall sind ihm die Probleme aus einer Perspek­tive~von unten beigebracht worden. Und möglicherweise berührt der Gemeindebrief dieselben Probleme beim Thema "Götzen­opferfleisch" - jetzt jedoch aus einer ganz anderen Perspektive 1).

II. DIE SOZIALEN INTENTIONEN VON I COR. XI 17-34

Die Gedanken des Paulus in I Cor. xi 17 H. setzen nicht nur bestimmte soziale Bedingungen in der korinthischen Gemeinde voraus, sie bringen vor allem auch soziale Intentionen zum Aus­druck, einen Willen, zwischenmenschliche Beziehungen in einem bestimmten Sinne zu gestalten. Die Ausführungen des Paulus münden ja nicht' zufällig in eine sehr konkrete Anweisung für das Verhalten der korinthischen Gemeinde: Paulus will das Problem der "eigenen Mahlzeit" dadurch lösen, daß er sie in die einzelnen Häuser verweist. In seinem Haus mag jeder essen und trinken, wie er es für richtig hält. Damit wäre in der Tat der Rollenkonflikt, in dem die reicheren Christen standen, entschärft: In ihren vier Wänden sollen sie sich entsprechend den Normen ihrer sozialen Schicht verhalten; beim Herrenmahl aber haben die Normen der Gemeinde absoluten Vorrang. Das ist gewiß ein Komprorniß. Konsequenter im Sinne des Gemeinschaftsgedankens wäre es gewesen, ,die gleichmäßige Verteilung der "eigenen Mahlzeit" zu verlangen. Aber dieser Komprorniß, der die schichtspezifischen Unterschiede einfach anerkennt, aber ihre Manifestation abmildert, entspricht der Struktur einer sozial geschichteten Gemeinde, die den Reichen - auch entgegen ihren eigenen Intentionen­einen gewissen Vorrang einräumen mußte. Innerhalb einer solchen Gemeinschaft ist der von Paulus vorgeschlagene Komprorniß

1) Zu einer literarkritischen Herauslösung von 1 Cor. xi 2-34 aus dem vorliegenden Korintherbrief und seiner Zuordnung zu dem in 1 Cor. v 9 erwähnten Brief des Paulus besteht m,E, kein zwingender Grund, im Gegen­teil: 1. 1 Cor. xi I und 2 sind eng verbunden, Die Mahnung, Nachahmung des Paulus zu betreiben und das Lob, die Gemeinde befolge alle von Paulus empfangenen Überlieferungen, lassen sich kaum voneinander trennen, 2. 1 Cor. iv 34 setzt dieselbe Situation wie 1 Cor. iv 19 voraus, nämlich daß Paulus bald nach Korinth kommen werde, so daß man 1 Cor. i-iv und xi kaum verschiedenen Briefen zuteilen kann, Weiteres zum literarkritischen Problem bei W. G. KÜMMEL: Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 1964, S, 203-206.

312 Soziale Integration und sakramentales Handeln [201]

realistisch und praktikabel. Er ist ein gutes Beispiel für das in den paulinischen Gemeinden sich herausbildende Ethos urchristlichen Liebespatriarchalismus, das uns am reinsten in den Haustafeln der Deuteropaulinen entgegentritt (Col. iii 18 H. Eph. v 22).

Dieser Kompromiß ist aber das Ergebnis von Gedanken, die auf ganz anderer Ebene liegen 1). Schon die Analyse des Konflikts ist bei Paulus zwar mit "soziologischen" Erkenntnissen durchsetzt, aber geschieht zentral auf theologischer Ebene. Für ihn gehören die korinthischen Konflikte zur eschatologischen Erprobung der Gemeinde (xi 19) Die sozialen Spannungen zwischen reichen und armen Christen v;erden hier in eine über die alltägliche Welt hinausgehende symbolische Welt transponiert 2), sie sind Teil eines eschatologischen Dramas und gehören zur Scheidung von Gerechten und Ungerechten in einer zu Ende gehenden "Velt. Ebenso steht im Zentrum des paulinischen Lösungsvorschlags nicht die pragmatische Anweisung, zu Hause zu essen, sondern der A pell an den Sinngehalt des Herrenmahls : Das Bundesopfer der Gemeinschaft wird hier als zukünftiger Weltenherrscher proklamiert. Das Verhalten gegenüber dem seinen Tod vergegen­\\Tärtigenden Mahl ist Maßstab zukünftigen Gerichts. Wer das Herrenmahl unwürdig genießt, verfällt dem Tod. Das Sakrament erscheint hier als eine tabuierte Zone, in der Normverletzung unabsehbares Unheil nach sich zieht. Paulus belegt es mit Krank­heits- und Todesfällen in der Gemeinde. Die soziologische Analyse der Bedingungen des in 1 Cor. xi 17 ff. vorausgesetzten Konflikts und seine Interpretation im Selbstverständnis der an ihm direkt oder indirekt Beteiligten widersprechen einander. Es tut sich hier

') J. WE1SS: Das Urchristentum, Göttingen 1917, S. 509 f. sieht in der Verbindung sakramentaler und sozialer Gedanken mit Recht das Haupt­problem der Stelle. "Die ganze Ausführung 11, 20-34 ist, äußerlich betrach­tet, von zwei verschiedenen Richtpunktenbeherrscht, v 20-22, 33-34 von dem sozialen, v 23-32 von dem sakramentalen, so daß interpolationssüchtige Kritiker sogar auf den Gedanken verfallen können, diese Versgruppe (23-32) auszuscheiden. Und in der Tat ist es nicht ganzklar ausgesprochen, inwiefern die Berufung auf die Herrenworte und die Erklärung des Sinnes der Feier dazu dienen soll, die korinthische Unsitte zu bekämpfen. In dieser Frage liegt das eigentliche Problem der Stelle".

2) Zum Begriff der "symbolischen Welt" vgl. 'vV. E. MÜHLMANN: Umrisse und Probleme einer Kuloturanthropologie, in: W. E. MÜHLMANN: Homo Creator, 'vViesbaden 1962, S. 107-129, abgedruckt in: VV. E. MÜHLMANN/ E. W. MÜLLER: Kulturanthropologie, Köln/Berlin 1966, S. 15-49. Ferner P. BERGER jTH. LUCKMANN: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklich­keit, Frankfurt 1969.

[202] Soziale Integration und sakramentales Handeln 313

ein hermeneutischer Konflikt auf. Und es ist besser, sich diesen bewußt zu machen als ihn zu verschleiern. Sonst würde man verkennen, daß die Intention des Paulus keineswegs (oder allenfalls am Rande) darin liegt, soziale Konflikte zu regulieren. Seine Intentionen liegen auf anderer Ebene. Die soziale Realität wird interpretierend in eine symbolische Welt transformiert, in der arme und reiche Christen wohl eine Rolle spielen, aber im Rahmen eines Dramas, dessen Hauptspieler Gott und das Bundesopfer, Sakrament und vergehende Welt sind; die soziale Realität wird gedeutet, gesteigert, transzendiert. Aber all diese Deutungen und Steigerungen stehen - auch über ihre eigene Intention hinaus­in einem funktionalen Zusammenhang mit dieser sozialen Realität. Das sei am Beispiel des Herrenmahls gezeigt, das im Zentrum der paulinischen Ausführungen steht.

Der Sinn des Herrenmahls läßt sich nicht auf eine Formel bringen; wohl aber lassen sich verschiedene Sinnmomente von­einander abheben: der Gedanke des Elements, des Opfers und des Gerichts. Jeder dieser Gedanken hat eine soziale Funktion.

Die Elemente sind für Paulus mehr als zeichenhafte Darstel­lungen: Brot und Wein sind im Herrenmahl etwas Besonderes geworden. Sie müssen von anderer Speise unterschieden werden. Sie haben "numinose" Qualität. Beachtet man sie nicht, so drohen Krankheit und Tod 1). An diesen Gedanken des numinos qualifi­zierten Elements knüpft Paulus in I Cor. x I6 eine soziale Intention: "Weil alle von einem Brote (essen), sind alle ein Leib". Und das heißt ganz realistisch : Weil alle Teile desselben Elements zu sich genommen haben, werden sie zu einer Einheit, in der sie sich so nahe kommen wie Glieder desselben Leibes, als seien die leiblichen Grenzen zwischen den Menschen durchbrochen. Über die Verwand­lung von Brot und Wein in qualifizierte Elemente mag man dog­matisch in verschiedenen Variationen spekulieren, auf jeden Fall geschieht eine Verwandlung sozialer Beziehungen: Aus einer

1) Die katholische Exegese kann - aus verständlichen Gründen - über den Sakramentsgedanken des Paulus viel vorurteilsloser urteilen als die protestantische. Vgl. O. Kuss: Paulus. Die Rolle des Apostels in der theo­logischen Entwicklung der Urkirche, Auslegung und Verkündigung UI, Regensburg 1971, S. 416: "die Speise - Essen und Trinken - ist wunder­hafte, kraftgeladene, in dieses konkrete Leben massiv hineinwirkende Speise, und dem Heil, das der ,würdig' Speisende gewinnt, steht drohend gegenüber das Unheil, das unweigerlich den ,unwürdig' Speisenden heim­sucht".

314 Soziale Integration und sakramentales Handeln [203]

Vielzahl von Menschen soll eine Einheit werden. Und diese Verwand­lung wird auf der Ebene des Elementes dargestellt: Brot wird zum Leib Christi, Wein zum Blut des neuen Bundes.

Auch der Opfergedanke enthält eine Darstellung sozialer Dyna­mik, jedoch stellt er sie nicht auf der Ebene dinglicher Elemente dar, sondern belebter Wesen. Das Sühnopfer ist eine Bewältigung sozialer Spannungen; der Sündenbock nimmt das nicht Verarbeitete mit sich. Es gibt wohl kaum eine Gemeinschaft, die nicht auf Kosten von Sündenböcken zusammen fände. Der Zusammen­schluß unter den Menschen \vird stärker, wenn sich die Aggressionen auf ein gemeinsames Objekt richten können. Der "neue Bund in meinem Blute" (r Cor. xi 25) ist nicht anders begründet. Die Sünde aller wird auf einen übertragen. Der zwischen Menschen latente Tötungswunsch wird an eiriem aktualisiert - stellvertretend für andere. Das Neue im christlichen Opfergedanken ist, daß der stellvertretend geopferte Sündenbock nicht aus der Gemein­schaft ausgeschlossen und in die Wüste geschickt wird; er wird zum Weltenherrn gemacht und als letzter Maßstab anerkannt 1).

Dem Gedanken des Gerichts 2) liegt keine dingliche, "organische", sondern eine soziale Metaphorik zugrunde: Das Opfer wird zum Richter, der Ohnmächtige zum Weltenherrn. Und auch hier mag man lange darüber nachgrübeln, was denn an der Erwartung eines eschatologischen Richters "wirklich" dran sei; unabhängig davon läßt sich leicht erkennen, daß hier der Verpflichtungsgehalt der neuen sozialen Beziehungen eingeprägt wird. Der Normverletzung entsprechen eschatologische Strafen. In der symbolisch gedeuteten und verwandelten sozialen vVelt erscheinen' auch die Sanktionen in gesteigerter Gestalt. Schon vorgekommene Todes- und Krank­heitsfälle werden in diese gedeutete Welt integriert.

Die verschiedenen "Bilder" (Element, Opfer und Gericht) lassen sich nicht streng voneinander trennen. Sie gehen ineinander über. Immer bringen sie auch eine soziale Dyriamik zum Ausdruck, die sie auf dinglicher, "organischer" oqer sozialer Ebene darstellen.

1) Das hat bekanntlich die christliche Kirche nicht daran gehindert, immer wieder nach Sündenböcken zu suchen. Und dennoch sollte man nicht ausschließen, daß im urchristlichen Opfergedanken ein Versuch vorliegt, den "Sündenbockkomplex" zu überwinden. Der Sinngehalt des Neuen Testaments geht über das hinaus, was von ihm realisiert wurde.

2) Dieser Gedanke wurde vor allem von E. KÄsE MANN : Anliegen und Eigenart der paulinischen Abendmahlslehre, Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1960, S. 11-34, herausgearbeitet.

[204] Soziale Integration und sakramentales Handeln 315

Für Paulus freilich sind es mehr als Bilder. Es sind Realitäten. :\Ian muß sich hier von jenem "philologischen Kulturprotestantis­mus" frei machen, dem der massive Sakramentalismus des Paulus zu "primitiv" ist. Wenn hier etwas primitiv ist, so wäre weniger der massive Sakramentalismus des Paulus hervorzuheben, als die noch massivere Neigung des Menschen, innerhalb einer Gemeinschaft seinen Dominanzbedürfnissen Geltung zu verschaffen. Sakramen­tale Handlungen sind dramatische Darstellungen sozialer Prozesse, was immer sie sonst noch sein mägen: "Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi ?" Die sakramen­tale Handlung des Henenmahls ist symbolischer Vollzug sozialer Integration: Aus vielen Menschen wird eine Einheit. Zwischen­menschliche Spannungen werden im Opfer dargestellt und über­wunden. Sanktionen werden eingeschärft. Diese soziale Dynamik stellt sich in sinnlich wahrnehmbaren Handlungen dar. Die Ge­meinschaft hat hier einen Außenhalt.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die sozialgeschichtliche Bedeutung sakramentaler Integration hier zu würdigen. Nach W. E. MÜHLMANN war sie ein wichtiges Element in der Entstehung eines die Schichten überschreitenden Solidaritätsgefühls 1) :

. .In Europa erwuchs das Bürgertum aus der Überlieferung der antiken Polis in Verbindung mit der christlichen Gemeindereligiosität, die ihrerseits ideell in der Gemeinschaft der Eucharistie wurzelt. Ein derartiges Konzept ist z.B. jedem korrekten Hindu völlig unverständlich, weil ihm der Gedanke einer Speisegemeinschaft mit einem Kastenfremden ein Greuel ist. Selbst ein so aufgeklärter Mann wie Gandhi hat erklärt, Tisch- und Heiratsgemeinschaft seien zur Förderung des Geistes der Demokratie unwesentlich, Essen und Trinken hätten überhaupt keine soziale, sondern nur physische Bedeutung. Gandhi beweist damit nur, daß er die historische Bedeutung des Abendmahls für die Integrierung eines alle rituellen uhd kastenartigen Grenzen über­schreitenden Gemeinschaftsgefühls im Abendlande nicht kennt".

Ob diese weit ausgreifende These richtig ist, kann hkr nicht entschieden werden. Für die korinthische Gemeinde aber trifft sie zu: Paulus rückt hier angesichts' schichtbedingter sozialer Konflikte das Sakrament in den Mittelpunkt, um eine größere soziale Integration herzustellen'. Auch wenn die mit dem Herren­mahl verbundenen Sinngehalte jede söziale Realität übersteigen und transzendieren, so sind sie doch funktional in diese Realität eingebettet. Das Sakrament erscheint so in anderem Licht, als es

1) \V. E. MÜHLMANN: Okzident und Orient, in: Homo Creator, Wiesbaden Ig62, S. 409-448, dort S. 411.

316 Soziale Integration und sakramentales Handeln [205J

theologischem Selbstverständnis entspricht. Gerade das aber ist Ziel soziologischer Betrachtungsweise. Mit Recht schrieb schon E. TROELTSCH 1): "Wer sich mit soziologischen Studien und mit der Literatur über Soziologie beschäftigt hat, gewinnt dadurch unzweifelhaft eine neue Einstellung auf alle historischen Dinge und auch auf die im geschichtlichen Leben erwachsenden objektiven Kulturwerte. Alles rückt in ein etwas anderes Licht sowohl des kausalen Verständnisses als der Auffassung von Normen und Werten." Worin besteht nun dies neue Licht? Daß übeflieferte Texte auf soziale Situationen eingehen, ist ja nichts Neues. Eine soziologische Betrachtungsweise trägt gewiß dazu bei, diese Situa­tionen besser zu erfassen. Aber letztlich geht es nicht nur um soziale Faktoren, mit denen sich die damaligen Menschen konfrontiert sahen, sondern jene Faktoren, von denen sie im Rücken ihrer Intentionen bestimmt wurden. Literatursoziologie ist somit eine Exegese xoc"t'!X: cr,xpxoc. Was für Paulus anstößig ist, daß die Korinther "Menschen" sind (I Cor. iii 4), daß sie crocpx~xol sind (iii 3), ist für sie selbstverständlicher Ausgangspunkt. In der Tat: Es ging hier sehr menschlich zu.

Zwischen dem Selbstverständnis urchristlicher Gemeinden als einer eschatologischen Liebesgemeinschaft und ihren Streitigkeiten besteht zweifellos ein Widerspruch. Und man kann nun die Realität gegen das Selbstverständnis ausspielen und hier unrealistische Überschwänglichkeiten sehen. Oder man kann mit der Radikalität urchristlichen Selbstverständnisses die Realitäten kritisieren. Man wird in beide Richtungen vorsichtiger, wenn einem bewußt wird, daß die Konflikte zwischen reichen und armen Christen in Korinth strukturell angelegt sind. Eine Liebesgemeinschaft wäre in einer sozial homogenen Gruppe gewiß leichter und kon­sequenter zu praktizieren als in Gruppen mit innerer sozialer Schichtung. Wer durch alle Schichten hindurch "Brüderlichkeit" 2)

1) E. TROELTSCH: Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, Ges. Schriften Bd. 4, hrsg. v. H. BARON, Tübingen 1925, S. 705.

2) Vgl. F. BÖMER: Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom. i, AbhMainz I957, S. 179 f.: "Konsequent auf religiösem Gebiete verfochten hat den Gedanken der religiösen Brüderlichkeit offensichtlich allein das Christentum, das die Voraussetzungen dafür nicht im geistigen Gut der Antike vorfand, sondern aus dem Judentum mitbrachte. Im NT ist diese Vorstellung bereits Gemeingut der neuen Weltreligion, und es gibt keine antike Glaubensgemeinschaft, in der die Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen so früh und so konsequent vertreten worden ist wie hier".

[206] Soziale Integration und sakramentales Handeln 317

will, muß Konflikte in Kauf nehmen, die aus dem Zusammentreffen schicht spezifischer Selbstverständlichkeiten, Erwartungen, Normen und Interessen resultieren: 3E~ O(tPEcrE~C; d\lo(~ sagt Paulus, aber das soziologische 3d ist von anderer Qualität als das eschatologische 3E~ in I Cor. xi I9, und die reale Bestimmtheit dieser Aussage ist von ihrer theologischen Intention zu unterscheiden. Reale Bestimmtheit und theologische Intention lassen sich jedoch nicht auseinanderdividieren : Sie sind im funktionalen Kontext sozialen Handeins verbunden.

12.

Christologie und soziale Erfahrung

Wissenssoziologische Aspekte paulinischer Christologie

Soziologische Untersuchungen zum Urchristentum geraten oft gegen ihre Absicht in den Verdacht, sie würden religiösen Glauben auf nicht­religiöse Faktoren zurückführen. Dieser Verdacht wird vor allem gegen­über wissenssoziologischen Untersuchungen erhoben l . Diese gehen davon aus, daß religiöse Uberzeugungen erst im Kontext bestimmter sozialer Strukturen plausibel werden bzw. daß verschiedene soziale Strukturen die Auswahl und Aneignung religiöser Überzeugungen beeinflussen. Sie unter­suchen die soziale "Plausibilitätsstruktur" bzw. "Plausibilitätsbasis" reli­giöser Überzeugungen2 , d. h. alle sozialen Bedingungen und Faktoren, die eine Überzeugung als evident erscheinen lassen. Dabei kommen sowohl die auf die Religion einwirkenden gesellschaftlichen Bedingungen in Blick wie die Wirkung religiöser Überzeugungen auf die soziale Realität. Denn keine Gesellschaft ist ganz statisch. Jede verändert sich; und in jeder finden verändernde Prozesse statt. Wenn nun religiöse Vorstellungen ihre Plausi­bilitätsbasis in sozialen Veränderungen haben, so kann niemand genau abwägen, inwieweit religiöse Vorstellungen Ausdruck oder Motor solcher Veränderungen sind, inwiefern sie von ihnen bedingt sind und inwiefern sie auf sie einwirken. Feststellbar ist immer nur die Wechselwirkung zwischen Religion und Gesellschaft, die meist allen Versuchen spottet, einen be­stimmten Aspekt zur prima causa des sozialen und religiösen Geschehens zu "ernennen".

1 Zu grundsätzlichen Problemen wissenssoziologischer Untersuchungen zum Neuen Testa­ment vg!. K. BERGER: Wissenssoziologie und Exegese des Neuen Testaments, Kairos 19 (1977) 124-133; ders.: Exegese des Neuen Testaments, UTB 658, Heidelberg 1977, 8. Kap. Soziologische Fragen, 218-241. Zum Problem des Reduktionismus findet sich dort das treffende Diktum von L. L. SCHÜCKING: "Der Schlamm bringt nicht den Aal hervor, wie AristoteIes meinte, aber die Auffassung, wo kein Schlamm, da auch kein Aal, käme der Wahrheit schon näher." (ebd. S. 218).

2 Der Begriff "Plausibilitätsstruktur" stammt von P. BERGER: Auf den Spuren der Angel, Frankfurt 1970 (eng!. 1969), 57ff. Wenn im folgenden der Begriff "Plausibilitätsbasis" vorgezogen wird, so um deutlich zu machen, daß Plausibilität religiöser Vorstellungen nicht etwa von deren inneren Struktur alleine abhängt, sondern von nicht-religiösen Faktoren bedingt ist. Eben das meint der Terminus "Plausibilitätsstruktur" bei P. BERGER. Daß mit dem Begriff "Plausibilitätsbasis" kein Reduktionismus verbunden ist, sollte nicht eigens betont werden müssen: Die Basis eines Hauses ist nicht dessen Ursache. Und "Plausibilität" ist nicht mit Wahrheit identisch.

Christologie und soziale Erfahrung 319

Die sich verändernde Gesellschaft kann aus verschiedenem mikro- bzw. makrosoziologischen Blickwinkel betrachtet werden:

1. Rollenanalysen fragen nach Verhaltensmustern und Positionen von Trägern religiöser Überzeugungen und nach der Wechselwirkung zwischen Rollen und Überzeugungen. Ein Beispiel für eine wissens soziologische These auf dieser Ebene der Betrachtung wäre die Annahme, daß die Menschensohnchristologie ihren "Sitz im Leben" heimatloser Wandercha­rismatiker hatte, die wie der Menschensohn souverän über den Normen der Gesellschaft standen, zugleich aber von ihr" verworfen" wurden 3 •

2. Gruppen- und Institutionsanalysen untersuchen umfassendere soziale Einheiten. Sie analysieren sie als ein Netzwerk von Rollen und Positionen und bestimmen ihr Verhältnis zu anderen Gruppen und Institutionen. Auch hier gibt es oft eine Korrespondenz zwischen sozialen Bewegungen, Gemeinden und Kirchen und den jeweiligen religiösen Überzeugungen. Beispiel für eine wissenssoziologische Untersuchung auf dieser Ebene ist J. H. ELLIOTTS soziologische Exegese des 1. Petrusbriefes: Struktur und Funktion des antiken "Hauses" sind die Plausibilitätsbasis für die Theologie des 1. Petr. 4•

3. Die Gesellschaftsanalyse umfaßt das gesamtgesellschaftliche System: seine Stratifikation, sein Konfliktpotential, seine Mobilitätschancen und Legitimationsprobleme. Man darf vermuten, daß die religiösen Bewegun­gen, die sich in der ganzen Gesellschaft ausbreiten, Aspekte der Gesamtge­sellschaft zur Plausibilitätsbasis haben. Zu diesen gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Bewegungen gehört auch das antike Christentum.

Damit sind wir bei dem interessantesten Problem einer Soziologie des Urchristentums: Inwiefern hat der urchristliche Glaube Aspekte der anti­ken Gesamtgesellschaft zur Plausibilitätsbasis? Die folgenden Überlegun­gen sind ein Versuch, anhand der paulinischen Christologie zu zeigen, daß es eine Korrelation zwischen gesamtgesellschaftlichen Veränderungspro­zessen und urchristlichem Glauben gab. Da es sich hierbei nicht um Korrelationen zwischen statischen Sozialstrukturen und religiösen Inhalten handelt, sondern um Zusammenhänge zwischen sozialen Veränderungen und Glaubensakten, wird das Problem des soziologischen "Reduktio­nis)nus" m. E. von vornherein entschärft. Denn der Ausdruck sozialer Veränderungen im menschlichen Bewußtsein wirkt immer auch auf diese Veränderungen zurück - und sei es nur in der Weise, daß der soziale Prozeß verstärkt und gefördert wird.

Gegenstand der Untersuchung ist die paulinische Christologie, genauer: zwei christologische Bilder. Paulus stellt Christus einerseits als Herrn dar,

3 Diese These habe ich in: Soziologie der Jesusbewegung, TEH 194, München 1977, 26ff skizzien.

4 J. H. ELLIOTI: AHorne for the Horneless. A Sociological Exegesis of 1 Peter. Its Situation and Strategy, Philadelphia 1981

320 Christologie und soziale Erfahrung

der freiwillig die Position des Sklaven übernommen hat, andererseits als "mystischen Leib", an dem alle Christen partizipieren. Wir nennen diese beiden Christologien Positions- und Partizipationschristologies.

Die Positionschristologie interpretiert das Christusgeschehen nach Ana­logie eines radikalen sozialen Positionswechsels. Sie arbeitet mit "sozio­morphen Bildern". Christus ist Sklave und Herr, Gerichteter und Richter, als Feind betrachtete Gestalt und Versöhner. Er nimmt nacheinander komplementäre Rollen ein, die sich hierarchisch einander zuordnen lassen. Der Herr ist "mehr" als der Sklave, der Richter steht über dem Gerichteten, der Versöhner ist (meist) der Überlegene. Was im Leben unmöglich ist-, daß ein Mensch beide Rollen im Hinblick auf denselben menschlichen Partner einnimmt -, das wird in christologischen Bildern als wirkliches Geschehen dargestellt: Der Sklave wird zum Herrn, der Verurteilte zum Weltenrichter, der von Menschen Angefeindete zum Versöhner.

Die Partizipationschristologie arbeitet dagegen mit "physiomorphen" Metaphern. Wir beschränken uns hier auf das Bild vom Leib, eine in der Antike verbreitete Metapher für soziale Einheiten, besonders für den Staat. Dieses Bild ist im Bewußtsein der Gemeinden mehr als eine Metapher: Denn die Gemeinde ist nicht irgend ein "Leib", sondern der Leib Christi, der als Auferstandener in wunderbarer Weise in der Gemeinschaft gegen­wärtig ist. Sakramentale Riten gliedern in diesen Leib ein: "In einen Leib sind wir hinein getauft, sei es Juden oder Griechen, sei es Sklaven oder Freie" (1.Kor 12,13). Das Abendmahl verbindet durch das Essen vom selben Brot: "Weil es ein Brot ist, sind wir die Vielen ein Leib" (1.Kor 10,17). Auch dieses christologische Bild greift über das Leben hinaus. Wohl finden überall Integrationsprozesse statt; aber niemand kann einem anderen Menschen auf Dauer so verbunden sein wie ein Glied in einem umfassende­ren Organismus.

Obwohl die Bilder der Positions- und Partizipationschristologien die soziale Realität transzendieren, wurden sie doch in ganz bestimmten sozia­len Kontexten plausibel. Welche Plausibilitätsbasis hatten sie in der antiken Ges ellschaft?

A. Die Positionschristologie und ihre Plausibilitätsbasis

Wenn der Sohn Gottes zum Sklaven erniedrigt wird, um dann zum Herrn über alle Mächte aufzusteigen, so erinnert das unwillkürlich an soziale Mobilitätsprozesse, an Auf- und Abwärtsbewegungen, die es ja nicht nur in der symbolischen Welt urchristlichen Glaubens gab, sondern

5 Die Unterscheidung von zwei Gruppen christologischer Bilder, die hier Positions- und Partizipationschristologie genannt werden, habe ich näher begründet in: Soteriologische Symbolik in den paulinischen Schriften. Ein strukturalistischer Beitrag, KuD 20 (1974) 282-304

Christologie und soziale Erfahrung 321

auch - in nicht so extremer Form - in der Gesellschaft. Der Gedanke liegt nahe, daß reale Auf- und Abstiegsprozesse die Plausibilitätsbasis für den Glauben an den erhöhten und erniedrigten Herrn boten, auch wenn das Verhältnis von sozialer Realität und religiöser Symbolik mit dem Begriff "Entsprechung" nur unzulänglich umschrieben wird.

Was wissen wir über soziale Mobilität im römischen Reich der Prinzi­patszeit6 ? Zunächst einmal müssen wir uns hüten, moderne Erfahrungen sozialer Mobilität in die Antike zurückzuprojizieren. Die Möglichkeiten des Aufstiegs waren begrenzt. Jedoch waren sie größer als in anderen Zeiten: Soziale Mobilität ist an Städte gebunden. Mit dem Aufblühen der mediterranen Poliskultur im Hellenismus und im römischen Reich dürften auch die Chancen für Aufstiegsprozesse gewachsen sein.

Solch ein Aufstieg zog sich über mehrere Generationen hinweg: Der Sklave konnte freigelassen werden. Er hatte als libertus immer noch einen Makel. Schon sein Sohn aber konnte in die städtische Aristokratie der Dekurionen aufrücken. Musterbeispiel einer Familiengeschichte in aufstei­gender Linie waren die Vitellier: Sie stammten nach Sueton von einem Freigelassenen ab, der Schuster geworden war (Suet. vit 2,1 ff). Dessen Sohn erwarb sich ein Vermögen, aufgrund dessen die Enkel in den Ritter­stand aufgenommen wurden. Die Urenkel waren Senatoren - einer von ihnen setzte als syrischer Legat den Präfekten von J udäa und Samarien, Pontius Pilatus, ab. Sein Sohn wurde sogar kurzfristig Kaiser (69 n. Chr.). Gewiß gab es auch Blitzkarrieren, aber sie waren die Ausnahme: Pertinax wurde als Sohn eines Freigelassenen Ritter, Senator und endlich Kaiser - als Nachfolger des Commodus 193 n. Chr. regierte er drei Monate.

Es gab also begrenzte Aufstiegschancen. Wie oft sie realisiert wurden, ist weniger wichtig. Entscheidend ist, daß die Erwartungen der Menschen davon geprägt werden konnten, daß jeder in seinem Leben einen Schritt "nach oben" tun konnte. Für Sklaven war das zur Prinzipatszeit in den Städten fast die Regel: Sie durften damit rechnen, mit ca. 30 Jahren, oft aber auch schon früher, freigelassen zu werden.

Entscheidend ist nicht schon die Tatsache von Aufstiegschancen. Ent­scheidend ist die Dynamik des Aufstiegs. Gewiß war persönliche Tüchtig­keit ein wichtiger Faktor. Aber viel wichtiger als in modernen Gesellschaf­ten war die Loyalität gegenüber einem Herrn. Man verdankte seinen Aufstieg seinem Herrn, sei es, daß man an dessen Aufstieg teilnahm, sei es, daß man von ihm gefördert wurde, sei es, daß man einen neuen, ranghöhe-

6 Vgl. G. ALFÖLDY: Römische Sozialgeschichte, Wiesbaden 21979,83-138, bes. 133ff; H. W. PLEKET: Sociale Stratifie en Sociale Mobiliteit in de Romeinse Keizertijd, Tijdschrift voor Geschiedenis 84 (1971) 215-251; H. CASTRITIUS: Die Gesellschaftsordnung der römischen Kaiserzeit und das Problem der sozialen Mobilität, Mitteilungen der TU Braunschweig 8 (1973) 38-45; K. HOPKINS: Elite Mobility in the Roman Empire, in: M. I. Finley (ed.), Studies in Ancient Society, London 1974, 103 -120.

322 Christologie und soziale Erfahrung

ren Herrn erhielt. Aufstieg war Lohn für persönliche und persongebundene Loyalität. Man kann daher von einer "Aufstiegsloyalität" sprechen, auch wenn sich die Dynamik sozialer Mobilität nicht nur aus ihr heraus erklärt. Da m. E. diese Aufstiegsloyalität für ein Verständnis urchristlicher Christo­logie entscheidend ist, sei sie an einigen Beispielen belegt.

1. Ein Sklave konnte selbst dann sozial aufsteigen, wenn er ein Sklave blieb 7. Sein Prestige hing vom Prestige seines Herrn ab. Wurde er an einen bedeutenderen Herrn verkauft, so verbesserte sich sein Status. Als Sklave des Kaisers, d. h. als Mitglied der familia Caesaris, konnte er an Rang und Einfluß sogar seinen ehemaligen Herrn übertreffen, wie die Erzählung des Epiktet von einem Sklaven seines ehemaligen Herrn Epaphroditos zeigt:

"Epaphroditos besaß einen Schuster, der nichts taugte, so daß er ihn als Sklaven verkaufte. Da wurde dieser durch eine seltsame Fügung von einem hohen kaiserlichen Beamten gekauft und dadurch auch Schuster des Kaisers. Da hättest du sehen sollen, wie ihn Epaphroditos poussierte! "Wie geht es dem trefflichen Felicio?" "Ich liebe dich!" Und wenn uns dann jemand fragte: "Was macht der Herr?", dann hieß es: "Er hat mit Felicio eine Konferenz!" - Ja, aber - hatte er ihn denn nicht als unbrauchbar verkauft? Wer hat ihn denn so plötzlich zu Verstand kommen lassen?" (Epikt diss 1,19,19-22)

2. Eines der verbreitetsten Phänomene sozialer Aufwärtsmobilität war die Freilassung von Sklaven8 • Die meisten Sklaven in den Städten durften sich Hoffnung auf sie machen. Die Freilassung, die in den meisten Fällen vor dem 35. Lebensjahr geschah, war nicht mit völliger Freiheit gleichbe­deutend; vielmehr blieb der libertus weiterhin in einem Abhängigkeitsver­hältnis zu seinem Patron, dem er zu bestimmten Leistungen (operae) verpflichtet war und dessen Klientel er vermehrte. Freilassungen lagen daher durchaus im Interesse der Herren: Die Aussicht auf Freilassung bei loyalem Verhalten motivierte die Sklaven in ihrem Sinne. Sie profitierten von der Arbeit und Unterstützung des libertus. Man kann daher sagen: Dies System war "nur eine raffiniertere Form der Ausbeutung als die Sklaverei ohne Freilassung"9. Aber das System war wirksam: Es band die Sklaven an die Herren und entschärfte mögliche soziale Konflikte, indem es den entrechteten Sklaven nicht alle Hoffnungen nahm. Zur Zeit Neros diskutierte man im Senat, ob man die Verpflichtung des libertus gegenüber

7 P. R. V. WEAVER: Social Mobility in the Early Roman Empire: The Evidence of the Imperial Freedmen and Slaves, in: M. I. Finley (ed.), Studies in Ancient Society, London 1974, 121-140. Unter den Kaisersklaven gab es wiederum eine klare Hierarchie. Die in der Regierung Tätigen standen natürlich an der Spitze.

8 Vgl. G. ALFÖDY: Die Freilassung von Sklaven und die Struktur der Sklaverei in der römischen Kaiserzeit, Rivista Storica deli' Antichita 2 (1972) 97-128 = H. Schneider (ed.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der römischen Kaiserzeit, WdF 552, Darmstadt 1981, 336-371.

9 So G. ALFÖLDY, Römische Sozialgeschichte(s.o. Anm. 6),125.

Christologie und soziale Erfahrung 323

seinem Patron nicht durch Androhung von Sanktionen verschärfen sollte. Die eine Seite argumentierte:

Es sei "keine harte Zumutung für die Freigelassenen, durch die gleiche Fügsam­keit (obsequium) die Freiheit zu behalten, durch die sie sie erreicht hätten: dagegen würden offenkundige Übeltäter verdientermaßen in den Sklavenstand zurückverwiesen, damit durch Furcht in Schranken gehalten werde, wen Wohl­taten nicht hätten wandeln können." (Tac ann XIII, 26,3)

Die Gegenseite warnte vor einer Rückversetzung von Freigelassenen in den Sklavenstand und argumentierte mit der gesamtgesellschaftlichen Be­deutung der Freigelassenen:

"Denn weit verbreitet sei der Stand der Freigelassenen. Aus ihnen setzten sich in der Regel die Tribus, die Dekurien, die Bediensteten der Oberbeamten und Priester, auch Kohorten in Rom zusammen, und die meisten Ritter und sehr viele Senatoren leiteten ihre Abkunft nirgends anders her: wenn man die Freigelasse­nen aussondere, werde sich deutlich der Mangel an Freigeborenen zeigen." (Tac ann XIII, 27,1)

Die Debatte, bei der sich die zuletzt zitierte Meinung durchsetzte, zeigt: Das Freilassungssystem war auf Loyalität aufgebaut und ein wichtiger Faktor generationsübergreifender Mobilität. Auch hier hatte ein libertus große Vorteile, wenn sein Herr einen hohen Status besaß: Als libertus eines römischen Bürgers erhielt er in der Regel das römische Bürgerrecht, als libertus eines Peregrinen blieb auch er ein "peregrinus".

3. Auch der freie Bürger konnte durch Loyalität gegenüber einem Mächtigeren seinen Status verbessern: Er konnte Klient eines angesehenen Patrons werden, was beide Seiten zu gegenseitigen Diensten verpflichtete. So erbittet Plinius d.]. von Trajan für drei seiner Klienten die Vollbürger­schaft (das quiritische Recht):

"Herr, Valerius Paulinus hat mir unter Umgehung seines Sohnes Paulinus das Patronat über seine Freigelassenen latinischen Rechts hinterlassen, und ich bitte Dich, zunächst dreien von ihnen das quiritische Recht zu verleihen. Ich fürchte nämlich, es könnte unbescheiden sein, für alle gleichzeitig Deine Gnade anzuru­fen, die ich um so maßvoller in Anspruch nehmen muß, je ausgiebiger ich sie erfahre. Die Namen derer, für die ich bitte, sind: C. Valerius Astraeus, C. Valerius Dionysius und C. Valerius Aper." (Plin. d.]. ep. X, 104)

4. Schließlich ist noch das Militär als ein wichtiger Mobilitätsfaktor zu nennen 10. Ein Provinziale konnte durch 25jährige Dienstzeit mit seiner Entlassung das römische Bürgerrecht erlangen. Einfache Soldaten konnten

10 Vgl. B. DOBSON: The Centurionate and Social Mobility during the Principate, in: Recherehes sur les structures sociales dans l'antiquite classique, Paris 1970, 99-116; ders.: The Significance of the Centurion and ,Primipilaris' in the Roman Army and Administration, ANRW II, 1, Berlin 1974, 392-434.

324 Christologie und soziale Erfahrung

Centurionen werden und in der sorgfältig ausgedachten Hierarchie der Centurionen bis zum primipilus aufrücken und auf diesem Wege ritterli­chen Rang erreichen. Gewiß waren diese Möglichkeiten beschränkt: In der Mitte des 2. Jahrhunderts gab es ca. 2000 Centurionen! Aber selbst der einfache Soldat konnte sozial durch seinen Militärdienst Fortschritte ma­chen: Als Veteran genoß er bescheidene Privilegien (die immunitas) und erhielt Geld oder Land als Lohn. Man kann daher sagen: "Die größte und für die meisten einzige Chance, den Status zu verbessern, hatte der römi­sche Bürger, wenn er sich für eine Legion oder andere ,Bürgertruppe' rekrutieren ließ. "11

Loyalität gegenüber dem Herrn, dem Patron und dem Kaiser (als dem Oberbefehlshaber des Heeres) war zweifellos ein wichtiger Mobilitätsfak­tor in der römisch-hellenistischen Gesellschaft. Die einfachen Leute erleb­ten immer wieder an sich und anderen: Chancen des Fortschritts für den einzelnen gab es nur, wenn man einen guten Herrn hatte oder einen besseren Herrn bekam. Aufstieg war Lohn für Loyalität. Diese Loyalität basierte auf Gegenseitigkeit: Wer reich und mächtig war, hatte die Pflicht, sich für die von ihm Abhängigen und für die Allgemeinheit einzusetzen. Eine erstaunliche "Stiftermentalität" ermöglichte es den Stadtgemeinden, trotz bescheidener öffentlicher Einnahmen die kommunalen Aufgaben zu bewältigen.

Strukturen sozialer Realität kehren oft in symbolisch gesteigerter Form in der Religion wieder. Was in der Realität nur ansatzweise entwickelt ist und vielen Einschränkungen unterliegt, kann sich in der symbolisch gedeu­teten "Welt" der Religion viel ungehinderter entfalten. Die real erfahrene Aufstiegsloyalität der Gesellschaft formt unwillkürlich Grundstrukturen religiösen Erlebens und Denkens. Wer Christ wurde, erhielt einen neuen Herrn, der mehr als alle anderen Herren war. Vorher war er Sklave der Sünde gewesen, jetzt war er ein Sklave des mächtigsten Herrn (Röm 5,16). Vorher war er den Mächten der Welt unterworfen, jetzt war er ein mündiger "Sohn" (GaI4,1-6). Vorher war er ein Knecht von Menschen, jetzt war er ein "Freigelassener Christi", der teuer erkauft war (1.Kor 7,21ff). Als miles Christi kämpfte er für seinen Herrn (2.Kor 10,4-6). Die aus der realen Aufstiegsmobilität stammenden Metaphern religiösen Glau­bens weisen auf einen sachlichen Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Religion: Soziale Aufstiegsloyalität war die Plausibilitätsbasis des Glaubens an den erhöhten Herrn. Dabei griff die religiöse Symbolik weit über die Realität hinaus, was an vier Zügen gezeigt sei.

Der Glaube an den erhöhten Herrn war ein Angebot von Aufstiegsloyali­tät für jeden - ohne Rücksicht auf seinen vorfindlichen Status in der

11 F. VITTINGHOFF: Soziale Struktur und politisches System der hohen römischen Kaiser­zeit, HZ 230 (1980) 30-55, dort S. 38.

Christologie und soziale Erfahrung 325

Gesellschaft. In Christus gab es "weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie, weder Mann noch Frau" (vgl. GaI3,28). Die Bindung an Christus gab selbst dem Allerniedrigsten eine Chance. Denn das Chri­stusgeschehen stellte einen alle Erfahrung sprengenden Aufstiegsprozeß dar: Der Hingerichtete wurde Weltenherr, der Verurteilte göttlicher Rich­ter, der Sündenbock Hoherpriester!

Ein zweiter Unterschied zwischen Gesellschaft und Religion betrifft den Stellenwert persönlicher Tüchtigkeit. In der Antike spielte persönliche Leistung nicht jene beherrschende Rolle wie in der Neuzeit (bzw. im neuzeitlichen Bewußtsein). Aber ganz ohne persönliche virtus gab es kaum Aufstiegschancen, mochte persönliche Loyalität im Zweifelsfalle auch den Ausschlag geben. In diese Situation hinein spricht die Rechtfertigungsbot­schaft des Paulus. Seine Botschaft ist radikal: Werke und Leistungen entscheiden überhaupt nicht über den Status vor Gott, sondern allein die nLaw;, d. h. allein die Loyalität gegenüber dem gekreuzigten Herrn, der jetzt alle Herren übertrifft.

Ein drittes Merkmal des Glaubens ist die Radikalisierung von "Statusdis­sonanz"12. Status dissonanz ist ein Ergebnis von Mobilitätsprozessen: Der­selbe Mensch kann in verschiedener Hinsicht verschieden hoch eingestuft werden: Felicio stand als Kaisersklave unter seinem ehemaligen Herrn Epaphroditos, als Kaisersklave und Mitglied der familia Caesaris war er ihm überlegen. Da die Antike noch viel mehr als moderne Gesellschaften an den vorgegebenen Grenzen von Herkunft und Personenrechtsstatus festhielt, gleichzeitig aber eine generationsübergreifende Mobilität zuließ, geriet fast jeder in irgendeiner Hinsicht in "Statusdissonanz" . Diese real erfahrene Statusdissonanz ist die Plausibilitätsbasis für den Glauben daran, daß Christus vor Gott und der Welt einen diametral entgegengesetzten Status hatte: Der eingeborene Sohn Gottes war in der Welt ein "Sklave", der den schmachvollen Kreuzigungstod erlitt (PhiI2,6ff). Er nahm die größtmögli­che Statusdissonanz auf sich. Schließlich sei auf eine letzte Besonderheit des urchristlichen Glaubens hingewiesen. Die realen Aufstiegschancen waren generationenübergreifend. Innerhalb einer Lebensspanne konnte jeder hof­fen, wenigstens einen Schritt voran zu kommen: Der abhängige Sohn konnte hoffen, mit dem Tod des Vaters frei zu werden. Der Sklave konnte die Fre'ilassung erhoffen. Der libertus konnte ökonomisch aufsteigen und Angehöriger der Augustalengenossenschaften werden. Sein Sohn konnte Dekurio werden. Der Peregrine (oder Latiner) konnte das römische Bür-

12 Zum Begriff "Statusdissonanz" vgl. P. R. C. WEAVER, Social Mobility (s. o. Anm. 7), 122, 125, 129f. W. A. MEEKS: The First Urban Christians. The Social World of the Apostle Paul, New Haven 1983, bes. 70ff vermutet wohl mit Recht, daß sich in den hellenistischen urchristlichen Gemeinden viele Personen mit "Statusdissonanz" fanden, was er als Zeichen von Aufwärtsmobilität deutet (S. 73).

326 Christologie und soziale Erfahrung

gerrecht erlangen 13. Der urchtistliche Glaube aber war ein Angebot von Aufstiegsloyalität, die mit einem Schritt alles schenkte: Mit der Taufe war der Christ "Sohn Gottes", Freigelassener und Soldat Christi, Bürger der himmlischen Polis!

Fassen wir zusammen: Reale Aufstiegsprozesse in der römisch-hellenisti­schen Gesellschaft sind die Plausibilitätsbasis für die paulinische Positions­christologie. Der Glaube an den erhöhten Herrn ist ein Angebot von Aufstiegsloyalität für alle. Er verlangt nur Loyalität, nicht Werke und Leistungen. Er führt in radikale Statusdissonanz : Die Position des Christen vor der Welt und vor Gott können einander diametral entgegengesetzt sein. Er schenkt in einem Akt, was sonst das unwahrscheinliche Ergebnis eines generationsübergreifenden Prozesses ist.

B. Die Partizipationschristologie und ihre Plausibilitätsbasis

Die folgenden Untersuchungen beschränken sich auf eine Metapher der Partizipationschristologie: das Bild vom Leib und seinen Gliedern. Dies Bild ist ein in der Antike verbreitetes Bild für das politische Gemeinwesen 14.

Es begegnet vor allem bei Mahnungen zur sozialen Eintracht in Situationen, in denen Stadtstaaten von inneren Konflikten bedroht sind (vgl. die Fabel des Menenius Agrippa Liv II,32)1s. Das Bild konnte dann in hellenistischer Zeit seinen Umfang ausweiten: Die mehrere Völker und Kulturen überla­gernden hellenistischen Reiche gaben dem Kosmopolitismus ein reales Fundament. Alle Menschen konnten als Glieder eines kosmischen Gemein­wesens betrachtet werden, gleichgültig welchem Staate und Volke sie angehörten. In diesem Sinne finden wir die Leib-Metaphorik in der uns interessierenden römisch-hellenistischen Zeit vor allem in der Stoa, einer in der imperialen Herrschaftselite vorherrschenden Philosophie. Einige der Autoren, bei denen wir das kosmopolitische Leib- und -Glieder-Bild finden, gehören selbst zu dieser Herrschaftselite16.

Das gilt für Cicero, dem es gelungen war, vom Ritterstand in den Senat aufzusteigen. Für ihn gehören alle Menschen, nicht nur die Bürger des eigenen Staates zu einem die ganze Menschheit umfassenden Leib (de off. III,19-20; fin III,19,64). Seneca hatte denselben Status wie Cicero; auch er stieg vom Ritter- in den Senatorenstand auf. Nach 54 n. Chr. war er zusammen mit Burrus der mächtigste Mann im römischen Reich. Er

13 Vgl. zu dieser schrittweisen Aufwärtsmobilität F. VITTINGHOFF, Soziale Struktur (s. o. Anm. 11),52 und G. ALFÖLDY, Römische Sozialgeschichte (s.o. Anm. 6), 134f.

14 Einen Überblick gibt H. SCHLIER: Art. Corpus Christi, RAC III (1957) 437-453; E. SCHWEIZER: Art. aW!lu, ThW VII (1964) 1024-1091.

15 W. NESTLE: Die Fabel des Menenius Agrippa, Klio 21 (1927) 350-360 .. 16 Die wichtigsten Texte sind bei A. WIKENHAUSEN: Die Kirche als mystischer Leib Christi

nach dem Apostel Paulus, Münster 1940, 130-143 gesammelt und übersetzt.

Christologie und soziale Erfahrung 327

beschwört mehrmals mit eindringlichen Worten die enge Verbundenheit aller Menschen: "Wie zwischen allen Gliedern ein Mitgefühl stattfindet, weil dem Einzelnen an der Erhaltung des Ganzen gelegen ist, so sollten die Menschen jeden Einzelnen schonen, weil wir ja zur Gemeinschaft geboren sind" (de ira Il,31,7). Alle sind "Glieder eines großen Körpers" (vgl. Sen. ep. 95,51 f 92,30). Mark Aurel war Kaiser. Er entnimmt der Leib-Metapho­rik den Gedanken, daß wir alle zur Zusammenarbeit bestimmt sind (Il,1,3). Die Zusammengehörigkeit aller Menschen als Glieder eines Leibes ist für ihn Grundlage der Liebe zu den Menschen (VIl,13). Nur der Freigelassene Epiktet, der hin und wieder das Bild vom Leib und den Gliedern in kosmischem Sinne benutzt (vgl. diss Il,5,24ff 10,3 f) gehört nicht zur imperialen Oberschicht. Jedoch verdanken wir es seinem Schüler Arrian, einem später bis in den Senat aufgestiegenen Beamten und General, daß uns seine Gespräche erhalten wurden. Seine Lehre fand - wie überhaupt die stoische Philosphie - Resonanz in der Herrschaftselite des römischen Reiches.

Die kosmopolitische Leib-Metaphorik stoischer Philosophie hat m. E. eine klar erkennbare Plausibilitätsbasis in der römisch-hellenistischen Ge­sellschaft. Das römische Reich war keine homogene Gesellschaft, sondern eher eine Vereinigung verschiedener "Gesellschaften", über die sich eine einheitliche politische Suprastruktur geschoben hatte17• Die Prinzipatszeit zeichnet sich dadurch aus, daß es gelang, die provinzialen Aristokratien immer mehr in die imperiale Oberschicht zu integrieren oder eng an sie zu binden. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der Kaiser, der durch Verleihung von Privilegien die entscheidenden Leute der städtischen Ari­stokratien bzw. die wenigen Klientelfürsten (wie die Herodäer) durch persönliche Loyalität an sich band. Das stoische Bild vom kosmopoliti­schen "Leib" der Menschheit hat seinen "Sitz im Leben" in der Oberschicht der Dekurionen, Ritter und Senatoren. In ihr erfuhr man konkret einen vom Prinzip at geförderten kosmopolitischen Integrationsprozeß, der die Grenzen von Völkern und Kulturen überschritt18•

17 So F. VITTINGHOFF, Soziale Struktur (s. o. Anm. 11), 30: "Denn in dem Weltreich existierten unübersehbar viele, unterschiedlich aufgebaute Gesellschaften als ethnokulturelle Einheiten" und "Die römische Gesellschaft ... war in den Außenländern nur gleichsam eine Suprastruktur" (5. 30).

18 Die relative Integration der Oberschicht wird von G. ALFÖLDY: Die römische Gesell­schaft - Struktur und Eigenart, Gymnasium 83 (1976) 1-25 betont: Die Stabilität der römischen Gesellschaft basiert darauf, "daß die führenden Schichten der ehemals Fremden in die Oberschichten der römischen Gesellschaft integriert werden konnten" (5.20). Kritik daran übt K. CHRIST: Grundfragen der römischen Sozialstruktur, in: Studien zur antiken Sozialgeschichte, FS F. Vittinghoff, Köln/Wien 1980, 197-228, dort S. 215: Er nimmt an, daß die Dekurionen lokal orientiert blieben und nur Senatoren und Ritter die vom Kaiser kontrollierte imperiale Oberschicht bildeten. Jedoch ist es gelungen, die Dekurionen der Städte loyal an diese imperiale Oberschicht zu binden: Rom trat als Protektor der stadtrepubli­kanischen Institutionen auf.

328 Christologie und soziale Erfahrung

Dieser Zusammenhang zwischen der (kosmo-) politischen Leib-Meta­phorik und der Integration einer Herrschaftselite durch das Prinzip at wird in den Texten direkt angesprochen: Der Kaiser wird zum Haupt des Staatskörpers und zum Garanten seines Zusammenhalts. So redet Seneca Nero an:

"Erzählt und verbreitet wird die Güte Deines Geistes nach und nach im ganzen Körper des Reiches (imperii corpus), und vieles wird nach deiner Ähnlichkeit geformtwerden. Vom Haupt (a capito) stammt der gute Gesundheitszustand." (Sen dem II,2,1)

An anderer Stelle sagt er an denselben Adressaten gewandt: tu animus rei publicae tuae es, illa corpus tuum (dem 1,5,1). Vergleichbare Aussagen über Kaiser und römisches Reich finden sich bei Tacitus (ann 1,12,3 und 13,4), Curtius (hist X,9,1ff) und Plutarch (Galba 4). Der Kaiser ist der entscheidende Integrationsfaktor, "da ohne ihr Haupt die Glieder (sc. gemeint sind die Provinzen) vor Zwietracht erzittern würden" (Curt X,9).

Die römisch-hellenistische Herrschaftselite, in der die (kosmo-)politische Leibmetaphorik ihren "Sitz im Leben" hatte, stand dem Urchristentum ablehnend gegenüber. Für die römischen Senatoren und Legaten Tacitus (ann XV, 44) und Plinius d.J. handelt es sich beim christlichen Glauben um Aberglauben: nihil aliud inveni quam superstition em pravam, immodicam (Plin. ep. X,96,8). Daß auch im Urchristentum eine vergleichbare Leib­Metaphorik begegnet, widerspricht auf den ersten Blick der Annahme, diese Metaphorik habe eine Plausibilitätsbasis in der Oberschicht. Schaut man näher hin, so findet diese Annahme eine Bestätigung: Das paulinische Bild vom Leib Christi unterscheidet sich nämlich deutlich von der kosmo­politischen Leib-Metaphorik.

1. Das stoische Bild vom Leib und seinen Gliedern ist kosmopolitisch. Es umfaßt alle Menschen. Ihre Einheit ist vorgegeben. Das Urchristentum schränkt dagegen das Bild auf kleine urchristliche Gruppen ein. In ihnen kommt nicht die schon immer vorhandene Verwandtschaft zwischen den Menschen zum Vorschein, sondern es entsteht eine vorher noch nicht dagewesene Verbindung durch Taufe und Abendmahl. Die Taufe verbindet "Juden und Heiden, Sklaven und Freie" (1.Kor 12,13). Das Abendmahl führt Arme und Reiche zusammen (1.Kor 11,17ff).

2. In den außerneutestamentlichen Belegen erscheinen entweder alle Glieder als gleichwertig oder sie werden einem dominierenden Glied (dem Magen, dem Kopf) untergeordnet (vgl. Liv II,32). Auch bei Paulus nimmt ein Glied eine besondere Stellung ein, jedoch nicht das mächtigste Glied, sondern das schwächste. Die Rücksichtsnahme auf dies schwächste Glied wird zum Kriterium für die Einheit des Leibes.

Diese beiden Züge entsprechen der spezifischen Plausibilitätsstruktur des Urchristentums. Während nämlich die Oberschichten in einem durch das Prinzip at geförderten Integrationsprozeß standen, fehlte es in den Unter-

Christologie und soziale Erfahrung 329

und Mittelschichten an vergleichbaren Integrationsprozessen. Hier standen die einzelnen sozialen Gruppen in einem unterschiedlichen Loyalitätsver­hältnis zu Mitgliedern der Oberschicht - als Sklaven, Freigelassene und Klienten -, aber es gab kein Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit zwi­schen den verschiedenen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Interessen19.

Nur in den kleinen Randgruppen urchristlicher Gruppen zeigen sich erste Ansätze dazu. Es ist daher verständlich, wenn das Bild vom Leib und seinen Gliedern im Urchristentum auf kleine Gruppen eingeschränkt wird und eine noch nicht vorhandene, im Entstehen begriffene neue Einheit darstellt.

Diese neue soziale Einheit wird nicht durch Loyalität gegenüber dem Kaiser hergestellt, sondern durch Loyalität gegenüber einem ganz anderen Herrn, der von den staatlichen Mächten hingerichtet worden war. Sie wird auch nicht durch die objektiv-funktionalen Bedürfnisse der Herrschaftsaus­übung gefördert, sondern hat einen gemeinsamen Bezugspunkt bei den Opfern solcher Herrschaft: beim schwächsten Glied. Der leidende Mit­mensch tritt im Bild an die Stelle dessen, der das stärkste Glied ist und die Integration des ganzen Körpers garantiert (1.Kor 12,22 ff).

Parallel zur Integration der Herrschaftselite vollzog sich im Reich in kleinen Randgruppen ein Integrationsprozeß unter denen, die nicht an der Herrschaft partizipierten. Solange die Oberschichten genügend Kohärenz besaßen und die uneinheitlichen Gruppierungen der Unterschicht an sich binden konnten, blieb die alternativ zur Oberschicht sich vollziehende Integrationsbewegung des Urchristentums ein Randgruppenphänomen. Die große Krise des 3. Jahrhunderts veränderte jedoch die Gesellschafts­struktur. Die Oberschichten zerfielen: Senat, Dekurionen und Militär standen sich fremd und mißtrauisch gegenüber. Die Unterschichten wur­den dagegen vereinheitlicht20• Es verschwanden die alten Unterschiede zwischen Sklaven, Freigelassenen und Freien. Ist es ein Zufall, daß erst jetzt das Christentum zur führenden geistigen Kraft werden konnte?

Fassen wir zusammen: Die paulinische Positions- und Partizipations­christologie hat eine soziale Plausibilitätsbasis in Mobilitäts- und Integra­tionsprozessen der römisch-hellenistischen Gesellschaft21• Struktur und Dynamik der Gesellschaft prägen die Formen religiösen Erlebens und Denkens. Zugleich aber transzendiert religiöser Glaube die Gesellschaft: Der Glaube an den erhöhten Herrn bot Aufstiegsloyalität für alle, auch für

19 So G. ALFÖLDY, Römische Sozialgeschichte (s.o. Anm. 6).135. 20 Vgl. G. ALFÖLDY, Römische Sozialgeschichte (s.o. Anm. 6), 153ff. Er betont, daß die

"Unterschichten eine immer einheitlichere Struktur aufwiesen" (S. 158). 21 H. Gülzow hat unabhängig von mir die These eines Zusammenhangs zwischen sozialer

Mobilität in der römischen Gesellschaft und der Verbreitung neuer (orientalischer) Kulte entwickelt und der "Patristischen Arbeitsgemeinschaft" am 4. 1. 1983 in Heidelberg vorgetra­gen. Es handelt sich dabei m. E. um hochinteressante Thesen.

330 Christologie und soziale Erfahrung

die Geringsten. Die Eingliederung in den Leib Christi bot Integration für alle - auch für die unteren Schichten, die in weit geringerem Maße an ökumenischen Integrationsprozessen teilhatten als die Oberschicht.

Die hier vorgelegte wissenssoziologische Analyse beansprucht nicht, die paulinische Christologie erschöpfend zu behandeln. Sie erfaßt nicht einmal unter wissenssoziologischem Aspekt alle Zusammenhänge. Es sei hier nur angedeutet, daß die urchristliche Christologie nicht nur in Korrelation zu Mobilitäts- und Integrations steht, sondern unverkennbare Zusammenhän­ge mit sozialen Konflikten sichtbar werden läßt: Die Kreuzigung ist in sich Ausdruck eines Konflikts mit der herrschenden Schicht. Und es ließen sich noch weitere Aspekte nennen.

Hier sei nur abschließend auf die hermeneutische Bedeutung solcher Untersuchungen hingewiesen. In der römischen Gesellschaft gab es einen unmittelbar erlebbaren Zuwachs an Freiheit und Verhaltensmöglichkeiten, wenn man einen besseren Herrn erhielt. Aufstiegsloyalität erhöhte den Status. Ganz anders muß ein moderner Zeitgenosse solche persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse erleben. Er sieht immer wieder, daß Leistungs­und Durchsetzungswillen - oft sogar mit etwas Illoyalität gegenüber Vor­gesetzten und Kollegen verbunden - zu Laufbahnen mit "aufsteigender Linie" führen. De facto spielt zwar die Abhängigkeit von Vorgesetzten eine große Rolle, aber man verhält sich zu dieser Abhängigkeit ambivalent. Sie wird nicht ruhig bejaht, sondern führt nicht selten zu großen emotionalen Problemen22. Anders gesagt: Der moderne Mensch kann gar nicht verste­hen, warum es so befreiend sein soll, einen neuen Herrn zu bekommen. Er argwöhnt hinter diesem Angebot der christlichen Predigt eine drohende "autoritäre" Abhängigkeit. Und er hat manchmal nicht einmal so Unrecht: Die Verkündigung eines "Machtwechsels" als Erlösung kann im modernen Kontext Ausdruck einer autoritären Absicht sein, welche die eigentlichen Intentionen des urchristlichen Glaubens eher verdeckt als zum Ausdruck bringt.

Deswegen ist dem modernen Menschen die Positions christologie nicht unzugänglich: Sehnt er sich doch nach einer Gesellschaft, in welcher der Höchststehende die niedrigste Position einnehmen kann und der Niedrigste die höchststehende Position und in der sich die Solidarität aller Menschen am schwächsten Glied der Gesellschaft bewährt. Es gibt bislang keine derartige Gesellschaft - es sei denn in der symbolischen Welt der Religion. Wer den religiösen Symbolen Wirklichkeitsgehalt zuspricht, wird in ande­rer Weise nach solch einer Gesellschaft Ausschau halten als derjenige, für den sie leere Träume darstellen.

22 Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht auch in der Antike das Verhältnis zu den "Herren" sehr ambivalent sein konnte. Juvenal und Martial geben der Stimmung selbstbewußter und intelligenter Klienten beredten Ausdruck, die von ihren Patronen demütigend behandelt werden.

Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums

von Gerd Theißen

unter Mitarbeit von Ulrich Scholz

Die hier vorgelegte Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums kann nur einen Bruchteil der exegetischen Literatur zu sozialgeschichtlich relevanten Themen (z.B. zu den urchristlichen Ämtern) aufführen. Möglichst vollständig wurden dagegen Veröffentlichungen gesammelt, die sich selbst als sozialgeschichtlich oder sozio­logisch verstehen. Die Bibliographie umfaßt einen systematischen Teil, in dem nur Auto­ren und Jahreszahl genannt werden, und einen alphabetischen Teil, mit dessen Hilfe die vollständigen Literaturangaben gewonnen werden können. Dem Seminar für Alte Ge­schichte an der Universität Heidelberg danke ich für Einsicht in seine bibliographische Kartei zur Antiken Sozialgeschichte, insbesondere Herrn Dr. Krause für Unterstützung und Beratung. Herr Ulrich Scholz, stud. phil. et theol., hat als wissenschaftliche Hilfskraft beim Sammeln der Literatur für die 3. Auflage mitgearbeitet und viel Zeit und Mühe investiert, wofür ihm hier gedankt sei. Die Abkürzungen entsprechen S. Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin 1974 = TRE Abkürzungsverzeichnis, Berlin 1976 (mit Ergänzungen).

1. Systematische Bibliographie

Überblick:

1. Allgemeines zur Sozialgeschichte des Urchristentums 1.1. Forschungsgeschichte und -überblick 1.2. Allgemeine methodische und theoretische Fragen 1.3. Gesamtdarstellungen und Sammelbände 1.4. Übergreifende Beiträge zum ganzen Urchristentum.

2. Die soziale Bedingtheit urchristlicher Gruppen durch gesamtgesellschaftliche Faktoren 2.1. Sozioökologische Faktoren: Stadt und Land 2.2. Sozioökonomische Faktoren: Arbeit, Besitz und Geld (s. auch 3.5) 2.3. Soziopolitische Faktoren: Staat, Krieg und Frieden

3. Die soziale Zusammensetzung urchristlicher Gruppen 3.1. Status, Rolle und Schichtzugehörigkeit der ersten Christen 3.2. Frauen im Urchristentum 3.3. Kindheit und Jugend im Urchristentum 3.4. Sklaven im Urchristentum 3.5. Arme und Reiche im Urchristentum

332 Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums

4. Die soziale Steuerung urchristlicher Gruppen 4.1. Ethische und rechtliche Gruppennormen 4.2. Gruppensanktionen 4.3. Leitungsfunktionen in urchristlichen Gruppen 4.4. Apostel und Missionare 4.5. Propheten und Lehrer 4.6. Bischöfe und Diakone 4.7. Presbyter

5. Die soziale Identität urchristlicher Gruppen 5.1. Hausgemeinschaft und Hausgemeinde 5.2. Verein und Kultgenossenschaft 5.3. Schule 5.4. Sekte und Schisma 5.5. Beurteilung des Urchristentums von außen

6. Der soziale Hintergrund urchristlicher Überzeugungen (Wissenssoziologie) 6.1. Christologie und J esusbilder 6.2. Soteriologie und Anthropologie 6.3. Sakrament und Gottesdienst 6.4. Apokalyptik und Eschatologie 6.5. Gnosis

7. Sozialformen urchristlichen Glaubens 7.1. Jesus und Jesusbewegung 7.2. Die Urgemeinde (Gütergemeinschaft) 7.3. Die Gemeinde des Matthäusevangeliums 7.4. Die Gemeinde des Markusevangeliums 7.5. Die Gemeinde des Lukasevangeliums 7.6. Johanneisches Urchristentum 7.7. Paulinisches Urchristentum: Römerbrief - 1./2. Korintherbrief - Galaterbrief-

Philemonbrief - Deuteropaulinen 7.8. Die Gemeinde des 1. Petrusbriefes 7.9. Die Gemeinde des Jakobusbriefes 7.10. Johannesapokalypse 7.11. Weitere Entwicklungen (2. Jahrhundert)

8. Die soziale Umwelt urchristlicher Gruppen 8.1. Die jüdische Umwelt 8.2. Die römisch-hellenistische Umwelt

1. Allgemeines zur Sozialgeschichte des Urchristentums

1.1. Forschungsgeschichte und -überblick

Baasland, E. 1984 - Best, T. F. 1983 - Gager, J. G. 1979 - Harrington, D. J. 1980-Hynes, W. J. 1981- Kowalinski, P. 1972 - Kümmel, W. G. 1985; 1987 a; 1987b -Harris,

Systematsehe Bibliographie 333

O. G. 1984-Mosala, LJ. 1986-Norelli, E.1987-0siek,C. 1984a-Richter,P.J.1984-Riesner, R. 1986 - Schütz, J. H. 1982 - Scroggs, R. 1980 - Segalla, G. 1982 - Stasiewski, B. 1960 - Stevens on, E. 1979 - Theissen, G. 1979 c - Tidball, D. 1985 - Venetz, H. J. 1985-Winling, R. 1981

1.2. Allgemeine methodische und theoretische Fragen

Aguirre, R. 1985 - Belo, F. 1980 - Berger, K. 1977a; 1977b - Best, T. F. 1983 -Bindemann, W. 1981 - Bonsen, J.!Wever, T. 1979 - Brooten, B. J. 1984 - Cahill, M. 1984 - Clevenot, M. 1976 - Crüsemann, F. 1983 - Edwards, O. C. 1983 - Elliott, J. H. 1986-Füssel, K. 1979 - Gager, J. G. 1982 b - Gewalt, D. 1971 - Gjesing, L. O. 1980 - Göll, H. P. 1985 - Gottwald, N. K. 1983 a; 1983 b - Hallbäck, G. 1982 - Heddendorf, R. 1983 -Herzog, W. R. 1983 - Hindson, E. E. 1984 - Isenberg, S. R. 1980 - Jones, P. 1986-Lochhead, D. 1983 - Malina, B. J. 1982; 1983; 1986c - Michiels, R. 1980 - Neyrey, J. H. 1986 - Noorda, S. J. 1979 - Oster, R. 1982 - Pilch, J. J. 1988 - Remus, H. E. 1982 - Rodd, C. S. 1981 - Rohrbaugh, R. L. 1984; 1987 - Rostagno, S. 1983 - Rowland, C. 1985 -Schenk, W. 1985 - Scroggs, R. 1986 - Smith, J. Z. 1975 - Theissen, G. 1974b; 1975a­Tillborg, S. van 1978 - Villiers, P. G. R. 1984 - Weir, J. E. 1982 - Yamauchi, E. 1984

1.3. Gesamtdarstellungen und Sammelbände

Alfaric, P. 1959 = 1963 - Becker, J. 1987 a - Blank, J. 1982 - Case, S. J. 1923; 1934 -Dobschütz, E. v. 1902 - Engels, F. 1894/5 - Gager, J. G. 1975 - Grant, R. M. 1977-Gülzow, H. 1974 - Hammann, A. 1985 - Harnack, A. v. 1902 - Hili, C. 1972 - Judge, E. A. 1960; 1984 - Kautsky, K. 1908 - Kee, H. C. 1980- Lohmeyer, E. 1921- Malherbe,A. 1977 - Malina, B. J. 1981- Mayer, A. 1983 - Meeks, W. A. 1979b - Moxnes, H. 1987-Robbe, M. 1967 - Robertson, A. 1962 - Sanders, E. P. (ed.) 1980 - Schottroff L.I Stegemann, W. 1979 b - Schluchter, W. 1985 a - Stambaugh, J. E.!Balch, D. L. 1986 -Theissen 1979 a - Tidball, D. 1983 - Troeltsch, E. 1912.

1.4. Übergreifende Beiträge zum ganzen Urchristentum

Casalis, G. 1985 - Dibelius. M. 1953 - Eckert, J. 1987 - Ehrhardt, A. 1964 - Eisenstadt, S. N. 1985 - Frend, W. H. C. 1983; 1985 - Greeven, H. 1965 - Günther, R. 1987 - Judge, E. A. 1980 - Kreissig, H. 1977 - Lieu, J. M. 1987 - Lindemann, A. 1985 - MacMullen, R. 1986 - Malina, J. B. 1978; 1986 d - Messelken, K. 1977 - Ranowitsch, A. B. 1932 -Riesner, R. 1977 - Rowland, C. 1988 - Schleich, Th. 1982 - Schottroff, L. 1985 c -Schumacher, R. 1924 - Seidensticker, Ph. 1958/9 - Sherwin-White, A. N. 1969 - Theis­sen, G. 1988a; 1988d- Voster, W. S. 1987- Wernik, M.1975

334 Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums

2. Die soziale Bedingtheit urchristlicher Gruppen durch gesamtgesellschaftliche Faktoren

2.1. Sozioäkologische Faktoren: Stadt und Land

Bailey, K. E. 1976. 1980-Bauer, W. 1927 -Frend, W. H.C. 1979; 1980-Meeks, W. A. 1980 - Schöllgen, G. 1985 - Stegemann, W. 1979a- Theissen, G. 1976

2.2. Sozioäkonomische Faktoren: Arbeit, Besitz und Geld (s. auch 3.5)

ArgeIl G. 1976 - Bienert, W. 1954; 1961 - Bogaert, R. 1976 - Bornhäuser, K. 1936 -Dickey, S. 1928 - Drexhage, H.J. 1981; 1986 - Ehrhardt, A. 1964 - Grant, F. C. 1926; 1956- Green, H. A.1985-Hauck, F. 1921; 1950-Hengel, M.1986-Hyldahl, N. 1974-Klafkowski, M. 1971- Lee, C. L. 1971- MerkeI, H. 1982 - Mott, S. 1987 - Murchie, D. 1978 - Oakman, D. E. 1986 - PlankI, W. 1953 - Pytel, J. 1982 - Schelkle, K. H. 1978-Schottroff, L./Schottroff, W. 1983 - Schröder, H. 1979 - Ste. Croix, G. E. M. 1975 -Stöger, A. 1977-Stritzky, M. B. v. 1983- Theissen, G. 1977b- Wieling, H.1983

2.3. Soziopolitische Faktoren: Staat, Krieg und Frieden

Aland, K. 1979 - Bammel, E./Moule, C. F. D. 1984 - Barraclough, R. 1979 - Bilde, P. 1979 - Bindemann, W. 1981- Blackbum, J. R. 1986 - Brown, J. P. 1983 - Cullmann, O. 1956; 1970 - Dibelius, M. 1942 - Eckert, J. 1987 - Helgeland, J./Daly, R. J./Bums, J. P. 1985 - Hengel, M. 1970; 1971a; 1971b - Klein, R. 1971 - Kümmel, W. G. 1987b­Lemonon, J. P. 1981 - Limbeck, M. 1982 - Mikat, P. 1979 - Molthagen, J. 1970 -Plümacher, E. 1987 - Schirmer, D. (ed.) 1932- Schöllgen, G. 1982- Schottroff, L. 1984a­Schrage, W. 1971 - Sordi, M. 1986 - Stegemann, W. 1982 - Walaskay, P. W. 1983 -Wengst, K. 1986

3. Die soziale Zusammensetzung urchristlicher Gruppen

3.1. Status, Rolle und Schichtzugehärigkeit der ersten Christen

Blasi, A. J. 1986 - Buchanan, G. W. 1964/5 - Clark, G. 1985 - Deissmann, A. 1908-Eck, W. 1971 - Funk, A. 1981- Gager, J. G. 1971 - Grimm, B. 1975 - Hasenclever, J. 1882 - Hock, R. F. 1979; 1980 - Judge, E. A. 1982 - Knopf, R. 1900- Kreissig, H. 1967-Norris, F. W. 1979 - Rohrbaugh, R. L. 1984 - Sänger, D. 1985 - Schöllgen, G. 1988-Schottroff, L. 1985c - Schumacher, R. 1924 - Smith, R. H. 1980 - Theissen, G. 1974a; 1988- Vogt,J. 1975- Wuellner, W. 1973; 1978

Systematsehe Bibliographie 335

3.2. Frauen im Urchristentum

Balch, D. L. 1981 - Bartchy, S. 1977 = 1982 - Beydon, F. 1986 - Blank, J. 1983-Brooten, B. J. 1980; 1982; 1983; 1985 - Cameron, A. 1980 - Cancik, H. 1972 - Clark, G. 1982 - Clark, S. B. 1980 - Dautzenberg, G.lMerklein, H.lMüller, K. 1983 a - Daries, S. L. 1980- Dautzenberg, G. 1983 b - Delling, G. 1931- Dutile, G. 1980 - Friedman, T. 1987-Gerstenberger, E.lSchrage, W. 1980 - Graham, R. W. 1983 - Harris, K. 1984 - Heine, S. 1986 - Hoffmann, R. J. 1983 - Howard, J. K. 1983 - Humphreys, S. C. 1983 - Ide, A. F. 1984 - Kähler, E. 1987 - Kopas, J. 1986 - Kraemer, R. S. 1980 - Küchler, M. 1986-LaPorte, J. 1982 - Leipoldt, J. 1954 - Leslie, W. 1976 - Lohfink, G. 1980 - Love, S. L. 1987 - MacHaffie, B. J. 1986 - Meeks, W. A. 1974 - Müller, K. 1983 - Nortje, S. J. 1986-Padgett, A. 1987 - Payne, P. B. 1981- Perkins, P. 1988 - Richardson, P. 1986 - Ringeling, H. 1983 - Schottroff, L. 1980; 1982; 1985 b - Schüssler-Fiorenza, E. 1978; 1983; 1986 a­Sigountos, J. G.lShank, M. 1983 - Southwell, M. 1973 - Stendahl, K. 1966 - Thraede, K. 1972; 1977; 1987 - Thuren,J. 1980- Thyen, H. 1978 - Weiser, A. 1983- Witherington, B. 1984a; 1984b; 1988-Zscharnack, L.1902.

3.3. Kindheit und Jugend im Urchristentum

Aland, K. 1967 - BIomenkamp, P. 1966 - Gorman, M. J. 1982 - Haufe, G. 1979-Lindemann, A. 1983 - Spicq, C. 1969 - Stegemann, W. 1980 - Szlaga, J. 1980

3.4. Sklaven im Urchristentum

Bartchy, S. 1973 - Bellen, H. 1963 - Coleman-Norton, P. R. 1951- Corcoran, G. 1980 - Gayer, R. 1976 - Gülzow, H. 1969 - Herrmann, E./Brockmeyer, N. 1983 - Kehnscher­per, G. 1957 - Lampe, P. 1985 a; 1985 b - Lappas, J. 1954 - Laub, F. 1982 - Lechler, G. V. 1877/8-Lührmann, D. 1975 - Lyall, F. 1970/1-Mahon,J. R. 1974-0siek, C. 1984b­Pietri, Ch. 1979 - Schulz, S. 1972 - St. Croix, G. E. M. 1975 - Steinmann, A. 1922 -Stuhlmacher, P. 1975 - Teichmüller, E. 1894 - Vogt, J. 1980; 1983 - Zahn, Th. 1879

3.5. Arme und Reiche im Urchristentum

Bammel, E. 1959 - Bolkestein, H. 1939 - Countryman, L. W. 1980 - Degenhardt, H. J. 1965 - Dibelius, M. 1964 - Frei, F. 1985 - Hamann, A.lRichter, S. 1964 - Hauschild, W. D. 1979 - Hoyt, T. 1980 - Karris, R. J. 1978 - Keck, L. E. 1965; 1966; 1979 - Lohse, E. 1981 - Malina, B. J. 1986a; 1987 - Maynard-Reid, P. U. 1987 - Mealand, D. L. 1980-Nickelsburg, G. E. 1979 - Noack, B. 1964 - Osiek, C. 1983 - Pilgrim, W. E. 1981-Schmidt, Th. E. 1987 - Schmithals, W. 1975 - Seccombe, D. P. 1982 - Shurden, R. M. 1970 - Soares-Prabhu, G. M. 1985 - Stegemann, W. 1981

336 Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums

4. Die soziale Steuerung urchristlicher Gruppen

4.1. Ethische und rechtliche Gruppennormen

Dihle, A. 1966 - Doel, A.v.d. 1986 - Duncan, M. Derrett, J. 1985 - Greeven, H. 1935-Keck, L. E. 1974 - Kraus, G. 1982 - Leipoldt, J. 1952 - -Lohse, E. 1988 - Meeks, W. A. 1986 - Preisker, H. 1933 - Schottroff, L. 1975 - Schrage, W. 1982 a; 1982 b - Schulz, S. 1987-Stegemann, W. 1987b- Theissen, G. 1979b- Wengst, K.1987

4.2. Gruppensanktionen

Doscocil, W. 1958; 1969 - Forkman, G. 1972 - Harvey, A. E. 1985 - Meeks, W. A. 1979a-Ruef,J. S. 1960

4.3. Leitungsfunktionen in urchristlichen Gruppen

Bendix, R. 1985 - Brockhaus, U. 1972 - Campenhausen, H.v. 1953 - Harnack, A.v. 1884 - Holmberg, B. 1978; 1980 - Ide, A. F. 1984 - Johnson, L. T. 1983 - Kertelge, K. 1977 - Kirk,J. A. 1972/3 - Käsemann, E. 1960- Kümmel, W. G.1987a- Rohde,J. 1976-RoloH, J. 1978 - Schütz, J. H. 1974; 1975 - Schweizer, E. 1959 - Schluchter, W. 1985

4.4. Apostel und Missionare

Ellis, E. E. 1970/1- Hock, R. F. 1979; 1980 - Lampe, P. 1985a- Ollrog, W. H. 1979-Theissen, G. 1974/5

4.5. Propheten und Lehrer

Aune, D. E. 1983 - Dautzenberg, G. 1975 - Greeven, H. 1952 - Hill, D. 1979 -Paganopoulos, 1. 1977 - Riesner, R. 1981 - Schürmann, H. 1977 - Wanke, J. 1978-Zimmermann, A. 1984

4.6. Bischöfe und Diakone

Adam,A.1957-Brown,R.E.1980-Hainz,J.1972-Jay,E.1981-Kalsbach,A.1957 - Klauser, Th. 1957 - Lohfink, G. 1980 - Lohse, E. 1980 - Malina, J. B. 1978 - Pagels, E. H. 1976/8 - Schöllgen, G. 1986

4.7. Presbyter

Bornkamm, G. 1959 - Harvey, A. E. 1974 - Jay, E. 1981- Meier, J. P. 1973 - Michaelis, W. 1953 - Michl, J. 1973

Systematsehe Bibliographie 337

5. Die soziale Identität urchristlicher Gruppen

5.1. Hausgemeinschaft und Hausgemeinde

Balch, D. L. 1988 - Banks, R. 1980 - Bieritz, K. H./ Kähler, Ch. 1985 - Coyle, J. K. 1981 - Dassmann, E./ Schöllgen, G. 1986 - Elliott, J. H. 1984 - Filson, F. V. 1939-Gnilka, J. 1983 - Herzog, W. R. 1981 - Klauck, H. J. 1981 a; 1981 b; 1982 b - Lampe, P. 1982 - Laub, F. 1986 - Lorenz, Th. 1987 - Lührmann, D. 1980 - Thraede, K. 1980 -Vogler, W. 1982- White, L. M.1987

5.2. Verein und Kultgenossenschaft

Barton, S. C./Horsley, G. H.R. 1981 - Heinrici, G. 1876; 1881 - Herrmann, P./ Waszink, J. H./Colpe, C./Kötting, B. 1978 - Sampley, J. P. 1977; 1980 - Seidensticker, Ph. 1958/9

5.3. Schule

Conzelmann, H. 1965/6 - Culpepper, R. A. 1974 - Judge, E. A. 1960/1 - Riesner, R. 1981 - Stendahl, K. 1954 - Wilken, R. L. 1971

5.4. Sekte und Schisma

Flusser, D. 1980 - Hummel, R. 1963 - Markus, R. A. 1980 - Scroggs, R. 1975 - Stanley, J. E. 1984- Theissen, G. 1988c- WiefeI, W. 1979- Wilson, S.G.1986

5.5. Beurteilung des Urchristentums von außen

Lührmann, D. 1986 - Vogt, J. 1975 - Vittinghoff F. 1984 - Wilken, R. L. 1984

6. Der soziale Hintergrund urchristlicher Überzeugungen (Wissenssoziologie )

6 .1. Christologie und] esusbilder

Barton, S. 1982; 1984 - Belo, F. 1974 - Clevenot, M. 1976 - Ebertz, M. N. 1987-Georgi, D. 1976- Kippenberg, H. G. 1987 - Klerk,J. C. de/Schnell, C. W. 1987 - Malina, B. J./Neyrey, J. H. 1988 -Meeks, W. A. 1972- Theissen, G. 1983 b - Wengst, K.1981

338 Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums

6.2. Soteriologie und Anthropologie

Dahl, N. A. 1964 = 1977- Gager,J. G. 1982a-Heiligenthal, R. 1984-Jacobson, G. R. 1981- Malina,J. B. 1979 - Moxnes, H. 1983 - Schottroff, L. 1979b - Theissen, G.1983 a

6.3. Sakrament und Gottesdienst

Smith, D. E. 1980- Theissen, G. 1974c; 1975b; 1988e- Wiefel, W.1972

6.4. Apokalyptik und Eschatologie

Aune, D. E. 1981- Ernst,J. 1977 - Gager,J. G. 1982- Hengel, M. 1983 - Isenberg, S. R. 1974 - Lampe, P. 1981 - Meeks, W. A. 1979c = 1983 - Müller, U. B. 1987 -Nickelsburg, G. W.E. 1983 - Wilder, A. N. 1961

6.5. Gnosis

Green, H. A. 1977; 1985 -Hoffmann, R.J. 1983 - Kippenberg, H. G. 1970; 1981; 1983 - Koffmane, G. 1881- Kraft, H. 1950-Mendelson, E. M. 1967 -Munz, P. 1972-Pagels, E. H. 1979- Pokorny, P. 1973; 1984-Rudolph, K. 1977 - Scholten, C. 1988 -Stroumsa, G. G. 1985

7. Sozialformen urchristlichen Glaubens

7.1. Jesus undJesusbewegung

Ben-Chorin, S. 1985 - Blackburn, J. R. 1986 - Borg, M. J. 1984 - Buchanan, G. W. 1964/5 - Burchard, Ch. 1987 - Cullmann, O. 1970 - Downing, F. G. 1987; 1988; 1988/9 Fischer, K. M. 1972 - Ebertz, M. N. 1987 - Egger, W. 1980 - Hengel, M. 1968; 1970-Hollenbach, P. W. 1981; 1985 - Jüchen, A.v. 1981- Kern, W. 1982 - Kippenberg, H. G. 1987 - Kipper, J. B. 1978 - Klerk, J. c. de/Schnell, C. W. 1987 - Kretschmar, G. 1964-Kuhn, H. W. 1980 - Lemonon, J. P. 1981 - Limbeck, M. 1982 - Lohfink, G. 1982-Malina, B. J. 1984 -Manns, F. 1978 - Oakman, D. E. 1986 - Pixley, G. V. 1983 -Riches, J. 1980 - Riesner, R. 1981 - Schottroff, L.lStegemann, W. 1978a - Schottroff L. 1978; 1985a - Schürmann, H. 1960 - Smith, D. 1985 - Snyder, G. F. 1980 - Stegemann, W. 1979b - Stenger, W. 1986 - Theissen, G. 1973; 1976; 1977a; 1977b; 1989

7.2. Die Urgemeinde (Gütergemeinschaft)

Baumbach, G. 1982 - Behm, J. 1920 - Brakemeier, G. 1988 - Colpe, C. 1987 - Hyldahl, N. 1974 - Klauck, H. J. 1982a - Lake, K. 1933 - Mealand, D. L. 1977 - Miranda, J. P. 1982 - Mönning, B. H. 1978 - Reicke, B. 1957 - Stöger, A. 1977 - Wacht, M. 1986 -Walter, N. 1983 - Wilckens, U. 1969

Systematsehe Bibliographie 339

7.3. Die Gemeinde des Matthäusevangeliums

Brooks, S. H. 1987 - Künzel, G. 1978 - La Verdieres, E. A./Thompson, W. G. 1976-Larsen, B./Larsen, J. 1976 - Malina, B. J./Neyrey, J. H. 1988 - Manns, F. 1980 (Mt 20,1-16) - Riches, J. K. 1983; 1987 - Schottroff, L. 1979 a (Mt 20,1 -16) - Schweizer, E. 1974 - Stalder, K. 1983 - Stendahl, K. 1954 - Thysman, R. 1974

7.4. Die Gemeinde des Markusevangeliums

Belo, F. 1974 - Clevenot, M. 1976 - Hallbäck, G. 1982 (Mk 2,1-12) - Karris, R. J. 1978 - Kee, H. C. 1977; 1984 - Klerk, J. c. de/Schnell, C. W. 1987 - Pilch, J. J. 1985 - Riches, J. 1987 - Robbins, V. K. 1984 - Schenk, W. 1985 - Theissen, G. 1984 (Mk 7,24-30)­Watson, F. 1985 - Wilde, J. 1977.1978

7.5. Die Gemeinde des Lukasevangeliums

Barraclough, R. 1979 - Beydon, F. 1986- Cassidy, R. J./ Scharper, P. J. 1983 - Cassidy, R. J. 1987 - Degenhardt, H. J. 1965 - Esler, P. F. 1987 - Girardet, G. 1978 - Juel, D. 1981 (Apg 2) - Karris, R. J. 1979 - Kopas,J. 1986 - Kraybill, D. B./Sweetland, D. M. 1983 - La Verdieres, E. A./Thompson, W. G. 1976 - Lang, B. 1982 (Lk 10,4b)- Larsen, B./Larsen, J. 1976 - Mönning, B. H. 1978 - Nickelsburg, G. E. 1979 - Osborne, G. R. 1978-Pilgrim, W. E. 1981 - Riches, J. K. 1987 - Ruef, J. 1960 (Apg 5,1-11) - Schottroff, L./ Stegemann, W. 1978a - Schmithals, W. 1975 - Seccombe, D. P. 1982 - Stegemann, W. 1982 - Swartley, W. M. 1983 - Theriault, J.-Y. 1974 - Walaskay, P. W. 1983

7.6. ] ohanneisches Urchristentum

Barrett, C. K. 1986; 1987 - Brown, R. E. 1979 - Culpepper, R. A. 1974 - Klerk, J. C. de/Schnell, C. W. 1987 - Kragerud, A. 1959 - Malina, B. J. 1985 - Meeks, W. A. 1972-Miller, J. W. 1976 - Nortje, S. J. 1986 - Onuki, T. 1982 - Rebell, W. 1987 - Renner, G. L. 1982- Schottroff, L. 1984 b - Taeger,J. W. 1987 - Theissen, G. 1988b- Wengst, K. 1981-Wiefel, W. 1979- Woll, D. B. 1981

7.7. Paulinisches Urchristentum

Agouridis, S. 1982 - Banks, R. 1980 - Barton, S. 1982; 1984 - Becker, J. 1987b - Clark, G. 1985 - Coleman-Norton, P. R. 1951 - Elliott, J. H. 1985 - Ellis, E. E. 1970/1 -Gallagher, E. V. 1984 - Gager, J. G. 1985 - Gayer R. 1976 - Harrington, D. J. 1987 -Heinrici, G. 1881- Hock, R. F. 1978; 1979; 1980 - Holmberg, B. 1978; 1980 - Judge, E. A. 1972; 1974; 1982; 1984 - Klaiber, W. 1982 - Lampe, P. 1987b - Legrand, L. 1981 -Lyall, F. 1970/1 - MacDonald, Y. M. 1988 - Malina, B. J. 1986b - Meeks, W. A. 1982; 1983; 1985 - Ollrog, W. H. 1979 - Rebell, W. 1986 - Sampley, J. P. 1977 - Schöllgen, G. 1988 - Schottroff, L. 1985b - Schütz, J. H. 1975 - Sigountos, J. G./Shank, M. 1983 -Stegemann, W. 1985; 1987a- Stowers, S. K. 1984 - Synnes, M. 1979 - Theissen, G. 1982; 1983 - Watson, F. 1986 - Wuellner, W. 1973; 1978 - Ziesler, J. A. 1981 - Römerbrief:

340 Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums

Bindemann, W. 1981 (Röm 13,1-7) - Lafon, G. 1987 (Röm 4,13-16) - Lampe, P. 1987 (Röm 16) - Richardson, P. 1986 (Röm 16) - Schottroff, L. 1979b - 1./2. Korintherbrief: Dewey, A. J. 1985 (2Kor 10) - Engberg-Pedersen, T. 1987 - Heinrici, G. 1876 - Klauck, H. J. 1985 - MarshalI, Ph. 1987 - Rebell, W. 1988 (1Kor 14,24 f.) - Sänger, D. 1985 (1Kor 1,26) - Schreiber, A. 1977 - Smith, D. E. 1980 - Theissen, G. 1974a; 1974b; 1974/5; 1975b - Wuellner, W. 1973 (lKor 1,26) - Galatherbrief: Heiligenthai, R. 1984 - Phile­monbrief: Elliott, J. H. 1984 - Lampe,P. 1985 b - Peterson, N. R. 1985 - Stuhlmacher, P. 1975 - Deuteropaulinen: Lampe, P./ Luz, U. 1987 - Lips, H. von 1979 - MacDonald, Y. M. 1988 - Padgett 1987 (!Tim 2,8-15) - Russel, R. 1987 - Schwartz, R. 1983 - Verner, D. C. 1981

7.8. Die Gemeinde des 1. Petrusbriefs

Balch, D. L. 1986 - Brox, N. 1977 - Elliott, J. H. 1981; 1986 b - Goldstein, H. 1975-Goppelt, L. 1976 - Michl, J. 1973 - Schröger, F. 1976 - Spörri, T. 1925

7.9. Die Gemeinde desjakobusbriefs

Burchard, Ch. 1980 - Noack, B. 1964 - Maynard-Reid, P. U. 1987 - Wanke, J. 1978-Zimmermann, A. 1984

7.10. j ohannesapokalypse

Aune, D. E. 1981 - Collins, Y. A. 1981 - Lampe, P. 1981 - O'Donovan, O. 1986-Schüssler-Fiorenza, E. 1986 b - Stanley, J. E. 1984 - Thompson, L. 1986

7.11. Weitere Entwicklungen (2. jahrhundert)

Davies, S. L. 1980 - Frend, W. H. C. 1985 - Grant, R. M. 1980 - Hammann, A. 1985-Lampe, P. 1987a (Rom) - Malina, B. J. 1978b (Ignatius v. Antiochien) - Meeks, W. A./ Wilken, R. L. 1978 (Antiochien) - Osiek, C. 1982 (Hirt des Hermas)- Schöllgen, G. 1984 (Karthago) - Wilken, R. L. 1970 (Apologeten)

8. Die soziale Umwelt urchristlicher Gruppen

8.1. Die jüdische Umwelt

Alt, A. 1953 - Applebaum, S. 1974; 1976a; 1976 b; 1976c - Baron, S. 1937 = 21952-Bauer, W. 1927 - Baumbach, G. 1971 - Ben-David, A. 1969; 1974 - Bösen, W. 1985-Brooten, B. J. 1982; 1988 - Brunt, P. A. 1977 - Buehler, W. W. 1974 - Derrett, J. D. M. 1982 - Dommershausen, W. 1977 - Farmer, W. R. 1955 - Finkelstein, L. 1938 - Freyne, S. 1980a; 1980b; 1981- Goodman, M. 1983 - Guevara, H. 1985 - Hengel, M. 1961; 1968; 1969 - Herz, D. J. 1928 - Herzfeld, L. 1879 - Hoehner, H. W. 1972 - Hollenbach, P. 1979

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Deuteronomium 12,11 ff 153

2. Samuel 7,14 161

1. Könige 19,9ff 4824

Jesaja 42,1 ff 180

Jeremia 1,1 146 26,1 ff 145 26,20 146 26,20ff 145

Amos 7,15 4824

Micha 1,1 146

Sapientia Salomonis 2,18 161 5,5 161 6,21 162

Tobit 4,15 180

J esus Sirach 4,3 182 4,10 161 12,2 169

Stellenregister

f. Altes Testament

3,9ff 145 7,6 8415

Sacharja 9,9 180 13,3 8415

Proverbien 4,8f 1622, 162 8,15 1622

24,29 19579

25,21 195

Qohelet 1,13 18555

2,11 18555

2,18 18555

2,22 18555

2. Chronik 24,20-22 17939

II. Apokryphen zum Alten Testament

28,1-5 28,1-7 29,1 ff 29,6

171 19579

18146

182

1. Makkabäerbuch 10,25-45 154 15,15ff 113,134 15,16-23 116

2. Makkabäerbuch 7,18 232

372

Aristeas brief 207 208 209 210

1622, 163, 180 163 163 163

Syrischer Baruch 8,lf 146 21,4f 2323

70,6 8415

4. Esra 6,24 8415

Äthiopischer Henoch 9,13 1433

25,5 1433

89,73 1433

99,5 8415

100,2 8415

Sektenregel (I QS) 5,1-6,23 120 6,2 121 8,6-10 149 8,13f 118 9,21 ff 121

Gemeinschaftsregel (I QSa) 1,6ff 119 2,3ff 122

Damaskusschrift (CD) 4,3 118 4,18 149 6,5 118 6,11-14 149 8,5 121 14,14f 131

Kriegsrolle (I QM) I QM 194

Stellenregister

111. Pseudepigraphen

Slawischer Henoch 50,3f 171

Jubiläen 23,16 8415

Pseudo-Phokylides 140-142 19579

Sibyllinen 3,271 134

Testamente der XII Patriarchen Testament Gad 16,3ff 170

Testament Benjamin 4,2f 168120

5,1 168120

IV. Qumranschriften

1,3 118 9,9 120 9,113 120

Habakukkommentar (I QpHab) 12,3 120 12,6 120 12,7 149 12,10 120

Kommentar zu Psalm 37 (4 Qp Ps 37) 2,8f 120 3,9f 120

Segenssprüche (I QSb) 5,21 120

Florilegium (4Q flor) 1,1-12 150 1,6f 149

Stellenregister 373

V. Jüdisch-hellenistische Schriftsteller

Josephus Antiquitates J udaicae 17,273 126 2,261 ff 1446 17,274 136 12,9 116 17,275 124 12,147ff 11420 17,277 124 14,71 115 17,278 126 14,115 134 17,288f 124 14,159 124 17,289 115 14,168ff 126 17,293 147 14,420ff 124 17,307 137 14,43lff 124 17,308 127 14,450 124 17,318ff 137 15,22 153 17,319 127 15,40 153 17,321 137 15,96 13771 17,340 114 15,294 114,115 17,355 137 15,299-316 138 18,1-25 37 15,340ff 123 18,2 137 15,341 ff 114 18,4ff 125 15,346 124 18,6 127 15,348 123 18,6ff 126 15,365 127, 136 18,7 128 15,373ff 12243 18,10 139 15,380ff 143 18,16 4721

15,388 152 18,20 118, 120, 122, 124 15,390 155, 156 18,23 127 16,1 115 18,23f 130 16,64 127, 136 18,37 114, 115, 117 16,142f 114 18,38 117 16,145 114 18,55ff 154, 15524, 19271

16,271 123 18,60ff 157, 19473

16,64 127, 136 18,85 132 17,20 1097 18,85ff 1446, 146 17,23ff 114, 115 18,90 13668 , 154 17,27 117 18,121 154 17,28 136 18,252 38 17,149-167 152 18,271 f 194 17,151 152 18,274 69,124,125,127,144 17,205 127, 154 18,284 144 17,213f 14711 18,285 12953

17,213ff 152 18,290 127 17,260ff 15530 19,295 154 17,264 156 20,5 125 17,266 124 20,51 128 17,269-284 147 20,51 ff 138 17,270 115,124 20,97 132, 133, 1446

17,271 126, 135 20,101 128

374 Stellen register

20,121 125 2,228f 125 20,124 125, 128, 134 2,238 124, 126 20,161 125 2,253 125 20,163 148 2,256 148 20,165 148 2,258ff 132 20,169 132 2,261 ff 132, 1446

20,181 153 2,279 116 20,188 132, 133 2,293f 154, 157 20,201 40 2,350-352 178 20,206f 153 2,405 154 20,208f 148 2,408 69 20,210 148 2,427 128, 204 20,219 155 2,433 13362

20,219f 156, 157 2,448 125 20,256 116 2,567 121 20,263 44 2,585 135

2,591 137 De bello judaico 2,652 150 1,154 115 3,36 114 1,163 115 3,304f 115 1,180 115 3,533 127 1,204 124 3,540 115 1,304ff 124 3,542 127 1,314ff 124 4,121 ff 150 1,326 124 4,128 139, 150 1,361 f 13771 4,135ff 150 1,403 114, 117 4,147 150 1,408ff 114 4,155f 150 1,417 114 4,208ff 13566

1,418 114 4,224ff 151 1,426f 136 4,241 127, 136 2,9ff 152 4,334ff 128 2,17 192 4,335ff 130 2,49f 15530 4,381 ff 130 2,52 124 4,503 150 2,65 120 4,512 124 2,68 115, 124 4,559 150 2,118 127, 13362 5,187 156 2,122 120, 121 5,189 156 2,125 123 5,248ff 12549

2,126 120, 121 39 5,250 12549

2,127 120 6,228ff 1434

2,140 12243 6,299 146 2,142 120, 123 6,300ff 145 2,151 11935 6,307 131 2,1(,2 4721 6,418ff 115 2,175-177 19473 6,420ff 115 2,195-198 194 7,1 ff 1434

2,224 147 7,208 115 7,253 125

7,253ff 126 7,256 128 7,264 128 7,400 12549

7,410 127 7,410 116 7,417ff 130 7,437ff 116, 1446, 132 7,438 132

Vita 11f 118 60 111 66 117 119 137 192 13566

Contra Apionem 1,62 123 1,176ff 11420

1,194 115 2,165 152

Philo von Alexandrien Legatio ad Gaium 155 11524

199 136

Talmud bl:f ullin 84a bPea 8,7a bPea 8,9d bQidduschin

277 130,131 131

4,4 18556

Stellen register

225 232 234 276ff 281f 281ff

129, 138, 189 129, 138, 18964

18964

11524, 154 113 134

De specialibus legibus 4,187 2323

Quod omnis probus liber siu 76 122, 150 85f 120 89ff 12243

De opificio mundi 81 2323

De vita contemplativa 19ff 150

De virtutibus 173f 233 174 2347

De somniis 155 233

VI. Rabbinische Schriften

pQidduschin 4,66b 18556

VII. Antike nichtchristliche Autoren

Aelios Aristeides Orationes 45,27 279 46,22ff 262

Alkiphron Epistulae 3,24 263

Aristoteles Politica 1,2,1 246

Apuleius Metamorphoseis 11 261

375

376 Stellenregister

C. Iulius Caesar 3,22,53 188 De bello gallico 3,22,54 188, 195 7,17 277 3,22,66 189

3,22,67 189 De bello civili 3,22,69 219 3,47 2777 3,22,81 18964

3,22,81 f 190 Cicero 3,22,100 189 De officiis 3,26,28 220 3,19f 326 4,1,79 176f,18454

4,7,20 220 De finibus 4,8,25 233 3,19,64 326

Epiktet Q. Curtius Rufus Enchiridion Historia Alexandri 20 172 10,9,1 ff 328 24,1 233

Diodorus Siculus Euripides BibIiotheke Troades 2,48,9 13771 612ff 233 5,9,4 309

Horaz Diogenes Laertius Saturae Vitae philosophorum 1,9,70 147 2,24 213 6,13 9337 JambIichus

De vita Pythagorae Dio Chrysostomos 30, 168 309 Orationes 30,21-23 39, 210 Juvenal 34,21ff 269 Saturae 34,21-23 266 5 276,304 37,8 262,263

Livius Epiktet Ab urbe condita Dissertationes 2,32 326, 328 1,19,19ff 322 8,22,24 277 1,26,1-7 25857 39,46,2 277 2,5,24ff 327 41,28,11 277 2,10,3f 327 3,9,4 233 Lukian 3,22 19 De morte Peregrini 3,22,10 19065 16 110, 283 3,22,13 188 3,22,23 190 MarkAurel 3,22,45ff 189, 190 2,1,3 163, 173, 327 3,22,46-48 90,217 7,13 327 3,22,48 213 7,31 163

9,27 173

Stellenregister 377

Martialis 10,104 323 Epigrammata 10,120f 25349

1,20 304 3,60 276,304 Plutarch 4,2 304 Demetrios 4,85 304 11 277 10,49 304

Galba Petronius 4 328 Satirae 52ff 276 Moralia 119 263 831A 262

Plato Quaestiones convivales Gorgias 2,10 309 474 bff 195 2,10,1 296,306

8,4,1-4 243 Kriton 9,5,1-2 243 491ff 175, 195

De cohib. ira Leges 14 17529

141e 217 281f 261 Porphyrius

Vita Pythagorae Phaidros 20 309 234e 233 25 111 13

279c 296,309 Seneca

Politeia De beneficiis 332 eH 195 4,26,1 163

4,28,1 163 Theaitetos 7,31 161 176c 233

De clementia Plinius d. Ä. 1,5,1 328 N aturalis historia 2,2,1 328 2,7,18 163 5,15,73 119,134 Epistulae ad Lucilium 5,17,4 204 92,30 327 13,44 119 95,51f 327

Plinius d. J. De ira Epistulae 2,31,7 327 1,15 276 2,32,1 17225, 175 2,6 304,309 2,32,2 175 10,45,46 25349 2,33,2 175 10,96 37, 39, 65, 69, 100, 250 3,34,2 17225

10,96,8 328 10,96,9 210, 27813 De otio 10,96,10 27813 144 17225

378 Stellenregister

Sophokles 14,24 276 Aias 1094-7 233 15,44 328

Strabo Historiae Geographika 5,4-5 178 7,6,23 263 5,5 18964

8,6,20 262 5,8 156 8,6,23 260,262 5,9 194 16,2,18 123 16,2,20 123 Themistios 16,2,37 123 JtEQL aQE't~~ 17,1,12 23814 7,95a 175 17,1,15 13771 21 18863

22 18863

Sueton 46 175 Vitae Caesarum Caesar 38 277 Theophrastos Vitellius Historia plantarum 2,lff 321 9,6,1 13771

Synesios von K yrene Thukydides Dion 2,40,4 167 3,lf 11936

Xenophon Tacitus Memorabilia Annales 2,2,1 167 1,12,3 328 2,2,2 167 1,13,4 328 3,14,2 302 2,42 127, 136 11,7,8 25858 Anabasis 12,54 125 5,3,7ff 278 13,26,3 323 13,27,1 323

VIII. Neutestamentliche Schriften

Matthäus 5,11 8414,97, 185, 187 1,6 254 5,12 185 2,13ff 116 5,13 230 2,16 4824 5,17 162 3,1 ff 118 5,20 162, 164, 165 5,3 32 5,21 ff 163, 176 5,5 32 5,22 42 5,9 178, 179 5,25f 46, 129, 185 5,10 187 5,33 176 5,10-12 187

Stellen register 379

5,37 176 11,19 208 5,38-48 160ff 11,20-24 40 5,38f 168 11,28 110, 112 5,39 177 12,19f 180 5,39-44 92 12,23 180 5,40-41 193 13,57 180 5,41 176 14,24 17732

5,42 193 15,21 176 5,43ff 163, 17937 15,22 180 5,44-45 161 15,24 101 63

5,44 176, 177, 185 18,15-17 42 5,46 164, 165, 169, 176 18,20 100, 211 1

5,48 162, 176 18,23ff 46 6,12 172 18,25 129 6,19-21 85 18,30 129 6,19 141 79 19,2 8413

6,25ff 85, 131, 184, 185, 187,205, 19,11f 32,43 206, 207 19,12 84

6,33 94 20,1 ff 46, 15632, 18547

7,lff 170, 181 21,5 180 7,12 166 21,32 32 7,22 88 22,1-13 30 8,11 ff 32 22,7 179 8,14 37 23,2f 101 64

8,18-22 18762 23,27ff 146 8,19ff 107 23,34 186 8,20 83, 130,206 23,35 130, 179, 19535

8,21 108 23,37f 18453

8,22 84, 130, 191 24,12 140 9,9 220 24,26 133 9,27 180 26,61 143 10,4 2021 28,19 1436

10,5f 82 10,5ff 43, 82, 101, 107, 211 Markus 10,6 223 1,3 118 10,7 87,88 1,14 28 10,8 94, 224 1,16ff 37, 4824, 107, 18862

10,9f 122 1,17 110 10,10 82, 87, 220 1,20 37,111,204,2112

10,11-15 171 2,14 18862

10,14 87, 88 2,15ff 28, 207, 208 10,15 94 2,25f 9547

10,17 101 2,27 73 10,21 8415 3,13ff 108, 18862

10,23 96, 187 3,15 224 10,37ff 187 3,18 2021

10,40ff 88, 201, 205, 207, 208 3,28 8926

10,40-41 13, 88, 187 3,34f 189 10,41 109, 186, 187 3,35 84 11,7ff 118, 15121 4,25 41,98

380 Stellenregister

5,1 40 14,57-64 158 5,9f 47 14,58 142,143 5,18ff 111 14,61 158 5,43 112 14,67 149 6,3 111 14,70 149 6,4 84 15,1-5 158 6,7-13 18862 15,6-7 125, 19473

6,7ff 187 15,11 158 6,8 82 15,27 125 6,10 93 15,29ff 158 7, Hf 73 15,31 158 7,24 40 15,40f 118 7,31 40 15,43 143 8,27 2870, 40 15,46 254 8,34f 130 15,47 254 8,38 8826 16,15ff 224 9,33 2870 16,16 1436

9,41 219,226 9,42ff 43 Lukas 9,43ff 32 3,23 137,139 10,13ff 32 4,1 ff 2223

10,17ff 85, 122,204 5,1 ff 111 10,21 28 5,8 1649

10,22 110 6,13 108, 242 10,23-27 85 6,15 1835°, 202 10,25ff 85 6,20ff 122, 1835°, 208 10,28 106, 107 6,22 186, 187 10,28-30 129, 18862, 18964 6,23 16i6

10,29 28,83 6,24ff 112, 18350

10,46ff 112, 130 6,26 171 10,52 287°,111 6,27 1635, 166, 181, 1835°, 186 10,64 189 6,27-38 160 11,9 149 6,29 182, 194 12,1 ff 46 6,30 181, 18248

12,7 129 6,31 166, 18642

12,13ff 30 6,32 165, 167, 181 13 129 6,33 165, 166, 167, 181 13,1 151 6,34 165, 167, 181 13,2 1433 6,35 162, 165, 16922, 181 13,6 8824 6,36ff 162, 169 13,8 137 6,37f 182 13,10 5912 6,46 83 13,14ff 129, 14Y 7,5 264 13,31 92 7,36ff 9751

14,2 149 7,37 1649

14,17-21 299 7,39 1649

14,48 125 7,40ff 16i5

14,57 158 8,3 112, 1835\ 208 9,lff 109

Stellenregister 381

9,3 92 9,1ff 130 9,51-56 9649 11,2 254 10,1 ff 109 11,18 17732

10,3ff 201 11,48 158 10,4 92 15,12 24 10,5-7 93 15,15 24 10,6 1335 19,25 254 10,7 93,205,220 21,22f 139 10,8f 203,206 10,12 94 Apostelgeschichte 10,16 88, 8926 1,12ff 107 10,30ff 123,2005 1,14 118 10,42 9751 2,44 309 11,9ff 94, 131 2,59 113 11,20 203 3,2 130 11,49 186 4,36 37, 39, 109, 210 12,33-34 8517 5,lff 37 12,52f 84 5,35ff 13057

13,lf 19473 5,36 132 13,1-3 149 5,37 125 13,2 1649 6,2ff 41, 117, 182,268 13,6-9 2065 6,5 109, 146 13,31 ff 116 6,8ff 109 13,34f 18453 6,13f 30 13,57 180 6,14 143 14,16ff 130 7,54ff 158 14,26 43, 81, 83, 130 8,lff 43, 146 14,26f 42 8,14 108 15,lf 1649 8,26 1436

16,1 ff 129,2065 9,32 108 16,3 131 10,1 ff 18351, 108, 265 17,7-10 2065 10,2 248 17,9 167 10,7 248 18,lff 46 10,47 1436

18,15 1436 11,10 109 18,16 1436 11,14 248 19,1 ff 112 11,19f 30,109,117 19,26 137 11,20 209 21,8 8824, 108, 18862 il,26 40

11,27ff 45, 109, 117, 128 Johannes 11,28 138 2,19 1433 11,30 39 2,20 155 12,1 ff 117 3,3 306 12,2 248 4,51 24843 12,12ff 37 4,53 24843 12,17 1084

6,19 17732 12,20ff 137 6,52 299 13,1 1097

6,66ff 18964 13,1 ff 38, 39, 69, 109, 135, 13976,

8,lff 19372 18351, 223

382 Stellenregister

13,2 109 16,1 249, 251, 256 13,14 235 16,2 249 13,50 213 16,3 251, 252, 255 14,4 108 16,7 108 14,14 108 16,10 237,254 15,10 28319 16,13 254 15,13 1084 16,22 253,256 15,29 28319 16,23 69, 227, 228, 236, 237, 250, 16,14ff 264 256, 263, 280, 297, 305 16,15 248 16,31 254 16,31 248 16,33 254 17,22ff 181 16,34 254 17,34 18251

18,1 256 1. Korintherbrief 18,lff 261 1-4 214, 228 18,2 255 1,1 252,256 18,3 237 1,10 293 18,5 251 1,10-17 228 18,7 256, 264, 275, 297 1,11 229, 252, 256, 286 18,8 51,227,235,245,246,248 1,12ff 108,227,229,2753, 294 18,10 251, 2972 1,14 235,256 18,13 265 1,15 248 18,16 26579 1,15ff 32 18,17 2358, 252, 255, 256 1,16 245, 248, 256 18,18f 252,255 1,18ff 65, 228, 287, 310 18,26 251, 255 1,22 259 19,22 237,252 1,26ff 33,4824, 210, 229, 237, 227, 19,23ff 155, 182 228,233,237,255,256,260, 20,4 255 275,281,286,287,292,308 20,7ff 299 1,26-29 231, 234 21,18 1084 1,28 233 21,38f 132 3,1 285 21,39 39,266 3,1-3 2172

22,3 109 3,2 223 22,18 266 3,3 316 22,25ff 39 3,4 316 23,12ff 125 3,11 32

3,18-4,9 228 Römerbrief 3,22f 218,226, 2272

5,16 324 4,1 218,237 12,19 42, 170 4,3 228 13,1 ff 63,210 4,3f 218 14,4 247 4,6 227,229 15,1 275 4,9-13 221,228 15,18f 224 4,10 229, 234 15,26 45,122,268 4,11-13 234 15,27 268 4,13 230 15,31 249 4,16 275 16 254 4,19 311 1

5,9 280, 311 1

Stellenregister 383

5,9ff 32 10,17 320 5,10f 281 10,23 229, 282 5,21 300 10,23ff 31, 288 5,33 298,300 10,25 41 6,1-11 258 10,25ff 272,277 6,4 255 10,27f 308 6,5 258 10,27ff 281 6,13 282 10,28 306 7,8ff 19,260,267 10,31 286 7,21 ff 33, 260, 267, 268, 324 10,32 274 7,31 32 11,2 303 8-10 33,40,214,2753,280 11,2ff 19 8,1 229, 282, 286 11,2-34 3111

8,4 249, 282 11,3-16 268 8,4ff 272 11,12 232 8,7 274, 277, 282 11,17ff 229, 288, 290, 291, 292, 8,9 286 293,306,310,311,312,328 8,10 272, 274, 279, 282, 288 . 11,18 286, 310 8,10ff 277,282 11,19 310,312,317 8,12 282 11,20ff 33, 286 9 201, 215, 228 11,20 228 9,1 213,217,228,249 11,20-34 267 9,lf 223 11,21 298, 299, 302 9,lff 219,258,287 11,22 228t, 229, 257, 307 9,3 219,228,2753,258,287 11,23 303 9,3ff 19,214 11,25 299,314 9,4f 43, 211 11,29 300,306 9,5 84, 99, 218 11,33 297 9,6 209,218 11,33-34 288 9,7 217 11,34 31, 257, 296, 299 9,7ff 220 12,4ff 294 9,8 216, 217 12,12ff 45 9,9-11 216 12,13 31,260,320,328 9,11 218 12,22ff 329 9,12 223, 249 14,26 294 9,13 95, 216, 224 14,33 298,299 9,13-18 82 14,35 257, 296 9,14 9547, 216 15,10 223 9,15 218 16,2 257,296 9,15-18 213, 221 16,3 253 9,16 214, 218 16,12 226 9,18 218 16,14ff 245 9,19ff 33, 221, 274 16,15 212, 249, 256 9,21 221 16,15f 3013

9,22 275 16,15-18 227, 252, 256 9,23 224 16,16 253 10,1-22 272 16,17 249, 255, 256 10,14-22 306 16,18 249 10,15 286 16,19 212, 251, 252, 255 10,16 299

384 Stellen register

2. Korintherbrief 3,28 31,33,49,271,325 2,17 213,223 4,lff 324 3,1 212, 214, 223, 226 4,2 237 3,2 223 5,16 222 Epheserbrief 6,16 232 2,l1ff 49 8,4 249 2,13ff 32 8,9 33,45 5,5 281 8,14 249 5,22 267, 312 9,4 2223 5,22ff 247 9,12 249, 268 9,20 2223 Philipperbrief 9,23ff 221 2,6ff 33,325 10-13 41,201,213,220,258,259 2,25 249 10,4 218 2,30 249 10,4-6 324 3,19 118 10,7 219, 226 4,10ff 82,213,249 10,8 218 4,11 213 10,10· 229 4,22 237, 248, 254 10,12 234 10,12-18 234 Kolosserbrief 10,13 2251 1,15ff 49 11,4 222 3,6 281 11,5 218,257 3,18ff 247,267, 312 11,7ff 214 3,18-4,1 42 11,8 251 11,9 213, 2223, 249 1. Thessalonicherbrief 11,13 220,221 2,1-12 2131

11,14f 215 2,5 118 11,22 110, 118,222 2,9 224 11,23 219 12,1 218 2. Thessalonicherbrief 12,7 2172, 218 3,10 211 12,12 2223, 234, 235 12,13 214,218 1. Timotheusbrief 12,19 219 1,4 49 13,3 2223 3,4 247 13,9 2223 3,12 247

5,17 3023

Galaterbrief 1,16 234 Brief an Philemon 1,18 108 2 248,250 2,lff 41 22 250 2,9 108,234 2,9ff 1084 1. Petrusbrief 2,10 45, 122,268 2,18 167 2,11ff 108 2,20 167 2,12ff 134 2,13 214,223 1. Johannesbrief

5,19 32

Stellenregister 385

3. Johannesbrief Apokalypse des Johannes 5ff 110 2,6 283 12 109 2,14f 283 14 109 14,20 17732

21,16 17732

Jakobusbrief 2,5 208

IX. Christliche Antike Schriftsteller und Schriften

Aristides Diognetbrief Apologie 5,11 19067

15,5 19067 5,15 19067

17,3 19067 6,6 19067

10,6 163 Athenagoras Supplicatio (Legatio) Epiphanius 11,1 19067 Panarion 12,3 181 46, 19067 26,9,2 283

Clemens Alexandrinus Hippolyt Stromateis Adversus haereses 4,12,1 284 7,36 283

9,26 151 Didache 1,2-5 167 Euseb 1,3 165, 167, 168 Historia ecclesiae 1,3ff 1635, 16719 2,23,4ff 1085

1,4 168, 172, 182 3,5,2f 118 1,5 162, 18145, 183 3,18,4-20 211 1,6 183 3,19,2-3 211 6,3ff 283 19 3,20,5 112 10,7 18762 3,39,4 8926

11 201 4,7,7 283,284 11,2 8926 4,22,7 11834

11,3 224 5,1,26 283 19

11,3f 108 5,6,3-11,1 285 11,3ff 109, 189 6,18,1 5030,284 11,4ff 18762, 224 6,23,1 284 11,5 87 6,31,lf 5030

11,6 87, 100, 212 11,6f 206f Ignatius 11,7 8926 Ad Polycarpum 11,8 83,91 2,1 165, 167 11,11 87 8,2 247 13,2 109 13,3 95, 3023 Ad Smyrnaeos 13,6 131 13,1 247

386

Irenaeus Adversus haereses 1,6,3 8723, 282, 28523

1,10,2 10161

1,24,2 283 1,24,5 282 1,26,3 283 1,28,2 283 3,4,1f 101 61

Justin Apologia 1,15,9f 1,15,9-13 1,15,13 1,16,1 1,16,1-2

Dialogus 35 35,1 35,6 85 96 96,3

164, 165 19667

162 172 19067

19067

282 282 19067

19067

162, 170

Kanon Muratori 83f 284

1. Klemensbrief 5,5 108 13,2 169 42,4 100

2. Klemensbrief 1,8 232 13,4 165, 190

Nazaräerevangelium 10 131 16 111 14

33 111

Origenes Contra Celsum 3,48 2346

6,11 283

Stellenregister

Homilie zu Lk 1 284

Pastor Hermae Visiones 1,1,6 2322

Mandata 1,1 2323

10,1,4 281 12,3,6 247

Similitudines 5,3,9 247 8,9,1 281

Petrusevangelium 7,26 143

Philippusevangelium 14 187 69 186 110 289

Ps.-Clementinen Recognitiones 4,36 28319

Homilien 7,4,8 28319

8,19,23 283 19

Tertullian Apologeticum 9 28319

31 19067

37 19067

Adversus haereses 1,14 283

Thomasevangelium 14 187 31 8414

71 1433

Personenregister

Achaicus, Korinther 248, 252f., 255 Agabus, Wandercharismatiker 109 Agrippa 1., König über Judäa 136, 194 Agrippa II., König von Chalkis 136, 156, 177 Albinus, Landpfleger von Judäa 148,155 Alypsios 110 Ambrosius, Valentinianer 284 Ananias 37 Ananos II., Hohepriester 40, 148 Andronikus 108 Apollos 214, 226, 228, 251, 257, 298 Aquila, Handwerker in Korinth 237, 250f f.,

253,255, 260f., 305 Archelaos, Ethnarch über Judäa, Samaria und

Idumäa 127, 137, 152 Arrian, Schüler des Epiktet 327 Athronges, Hirt 126 Augustus, römischer Kaiser (29 v.Chr.-14

n.Chr.) 127,240,262 Aurelian, römischer Kaiser (270-275 n.Chr.)

276

Bannos, Eremit 118 Barnabas 37, 39,108 f., 202, 209f., 212ff.,

223,229 Barrabas 125 Bartimäus 28,110 Basilides, 283ff. Burrus 326

Caracalla, römischer Kaiser (211-217 n.Chr.) 270

Cassius Longinus, Statthalter von Syrien 115 Cicero 326 Claudius, römischer Kaiser (41-54 n. Chr.)

114-117, 136 f., 251 Claudius Anaxilas, Duumvir von Korinth (?)

241 Claudius Dinippus, Duumvir von Korinth (?)

241 Commodus, römischer Kaiser (180-192

n.Chr.) 321 Cornelius, Centurio 183

Cumanus, ProkuratorvonJudäa 124f., 128, 147

Cuspius Fadus, Prokurator von J udäa 125

Demetrius, syrischer König 154 Dinäus ben Eleazar, Räuberhauptmann 125 Dionysios, athenischer Gerichtsbeisitzer 183 Domitian, römischer Kaiser (81-96 n.Chr.)

111, 114f., 211 Eleazar ben Ananias, Tempelhauptmann 148 Eleazar ben Dinäus, Räuberhauptmann 125 Eleazar ben Simon, Tempelzelot 150 Epaphroditos, Mitarbeiter des Paulus 249 Erastos, korinthischer Christ (= Erastus?) 69,

237, 241ff. 245, 251,256,259,262, 280 Erastus, korinthischer Aedil (= Erastos?)

241ff., 244, 252

Felicio, Kaisersklave 322, 325 Felix, Prokurator von Judäa 132, 147f. Festus, Prokurator in Judäa 132 Fortunatus, Korinther 248, 252 f., 256, 260,

305

Gabinius Aulus, Statthalter von Syrien 115, 203

Gaius, Gastgeber des Paulus 227f., 237, 250f., 256, 260, 263, 305, 308

Gaius Caligula, römischer Kaiser (37-41 n.Chr.) 125, 144, 189, 193f.

Gaius Gracchus, 276 Gallienus, römischer Kaiser (260-268 n.Chr.)

240 Gallio, römischer Statthalter von Achaia 265 Gessius Florus, Landpfleger von Judaea 157

Hadrian, römischer Kaiser (117-13 8 n. Chr.) 240,271

Herodes Antipas, Tetrarch über Galiläa und Peräa 38,109,115,117,135,137,139,183

Herodes der Große 114-117,123 f., 126f., 136ff., 143, 147, 152f., 155f., 204

Hiskia, Räuberhauptmann 125f., 135

388 Personenregister

Iulius Caesar, 203, 260

Jakob, Sohn von Judas Galiläus 125 Jakobus, Herrenbruder 40, 139 Jason, Mitarbeiter des Paulus 256 J eremia aus Anathot, Prophet 146 Jesus ben Ananos, Prophet 145, 147 Johanna, Frau des Chuza 112, 183,208 Johannes der Täufer 118 J ohannes von Gischala, Widerstandsführer

135, 137, 150 Jonathan ben Ananias, Hohepriester 148 Jonathas, Weber 132 Jonius, Zelot 116 Joseph von Arimathia 112, 149, 159 Joseph 116 Josephus 37f., 40, 44, 69, 108, 111, 113,

115fl, 118, 120-128, 130-139, 143-157, 177, 193f., 204

Judas Galiläus, Gründer der sogenannten "Vierten Philosophie" 115, 125fl, 133, 135

Junias 108

Karpokrates 283ff. Krispus, Archisynagogos 51, 227, 235, 236f.,

245,248,256,263

"Leute der Chloe" 229, 252fl, 255f., 310 Levi, Zöllner 28, 112 Lucius 39,109, 255f., 305 Lydia, Purpurhändlerin in Philippi 210, 248

Makedonis 11 0 Maria37 Maria, Mutter des J oses 254 Menahem, Vertrauter von Herodes Antipas

38,39,69,109,125,135,139,183 Micha aus Moreseth, Prophet 146

N ero, römischer Kaiser (54-68 n. Chr.) 115, 259,262,322,328

Nikias, Schreibsklave 253

Onesimus, Sklave 248 Onias IV., Hohepriester 116 Origenes 43

Paconius Flaminius, Duumvir von Korinth 241

Paulus 7, 16-19, 33, 41, 45, 48, 65, 95, 99f., 110,118,125,170,202,209-230,232-236, 242, 246, 249-268,270, 272-275, 280fl,

286fl, 290-294, 296, 299f., 302f., 307, 309-313, 315l, 319, 328

Peregrinus, Wandercharismatiker 90, 283 Pertinax, römischer Kaiser (193 n.Chr.) 321 Petronius, Statthalter in Syrien 129, 1931 Petrus 37, lOGE., 117, 134, 137, 149, 189,211,

226, 229f., 257 Phannias, letzter Hohepriester des 11. Tem­

pels 150 Philemon 248, 250 Philippus, Tetrarch über Trachonitis, Batanäa

und Auranitis 137 Phoibe, Mitarbeiterin des Paulus 249f., 252,

256 Pilatus, Präfekt von Judäa 146,149,154,159,

192fl,195 Plinius d.J., Statthalter von Bithynien 100,

210,250,253 Pompeius, römischer Feldherr 115 Publicius Regulus, Duumvir von Korinth 241 Priscilla, Frau des Aquila237, 250fl, 253,

256, 260l, 305

Quartus, Mitarbeiter des Paulus 256, 260, 305 Quirinius, Statthalter in Syrien 127

Sacharja ben Berechja 130 Salome, Schwester von Herodes dem Großen

137 Saphira 37 Septicius, Freund Plinius d.]. 276 Septimius Severus, römischer Kaiser (193-211

n.Chr.) 276 Simon bar Giora, Aufständischer 150 Simon, Sohn von Judas Galiläus 125 Simon, Sklave 126 Simon, Zelot 202 Sosipatros ( = Sopatros, Reise begleiter des

Paulus?) 255f. Sosius, römischer Feldherr 115 Sosthenes, korinthischer Synagogenvorsteher

252, 255f. Stephanas 227, 245, 248ff., 252, 255 f., 263,

301 Stephanusl09, 143, 158 Symeon 39, 109

Tertius, Schreiber des Römerbriefes 251, 253f., 256, 260, 263, 305

Theodotos, Archisynagogos 236 Theudas, Prophet 132 Tholomäus, Räuberhauptmann 125 Tiberius, römischer Kaiser (14-37 n.Chr.) 127

Personenregister 389

Titius Iustus, korinthischer Christ 250ff., 256,260,264,297,305

Tiberius Alexander, Prokurator in Judäa 125 Trajan, römischer Kaiser (98-117 n.Chr.)

240,253,323

Uria aus KirjathJearim, Prophet 146

Valentinian, Gnostiker 285 Valerianus, römischer Kaiser (253-260

n.Chr.) 138 Varus, Statthalter von Syrien 115 Vitellius, Statthalter von Syrien, 127, 154

Zacchäus, OberzöHner 112 Zebedäus111

Au torenregister

Adam, H., 160 Adorno, Th. W., 159 Aland, K., 247 Albert, H., 56 Alfaric, P., 25,50,52,207

. Alföldy, G., 321 f., 326f., 329 Allport, G. W., 27 Alt, A.,203 Andresen, c., 50, 101, 103,285 Applebaum, S., 114 Audet,J. P., 86f., 182 Avi-Yonah, M., 115, 117

Bammel, E., 96 Baron, S. W., 111, 113 Bardtke, H., 119, 121f., 136,291 Barnett, P. W., 194 Barrett, C. K., 40, 215, 218, 220, 222, 224,

226,275,277 Bartsch, H. W., 298, 306 Batelaan, L., 273 Bauer, J. B., 110 Bauer, W., 38,119,165,177,190,206,284 Baumbach, G., 135, 148, 151 Beare, F. W., 95 Beloch, K., 4 Berger, K., 8, 32, 54, 88f., 180,318 Berger, P. L., 31, 41, 62, 64, 73, 133 f., 202,

312,318 Bernays, J., 90 Best, E., 12 Betz, H. D., 90, 99, 213, 217, 220, 225, 233,

259 Betz, 0., 143 Bienert, W., 99, 210, 251, 266 Bissing, W. V., 196 Blinzler, J., 43,84,147,149 Blumner, H., 276 Bogatyrev, R., 81 Bohatec, J., 233, 258 Bolkestein, H., 45,174,208,213,217,269,

276ff. Bömer, F., 246, 250, 281, 292, 316

Bornkamm, G., 222, 257, 291, 297ff. Bosl, K., 121 Bouwmann, G., 97 Brandon, S. G. F., 52,118,154 Brockmeyer, N., 67, 75,210 Broneer, 0., 241, 261, 278, 305 Buchanan, G. W., 46 Büchler, A., 153, 175 Bultmann, R., 6, 36, 55, 82, 84, 95, 110, 163,

172,220 Burchard, Ch., 164, 177f. Burger, Chr., 180 Byau, A., 138, 155

Cadbury, H. J., 236f., 239, 241 f., 288 Carcopino, J., 278, 303 Carlsson, G., 58, 61 Carpenter, R., 241 Case, S. J., 10 Castritius, H., 321 Christ, K., 4, 327 Claessen, D., 151 Clevenot, M., 8 Collins, M. F., 146 Colomb, B., 138 Colpe, c., 53 Conzelmann, H., 166, 172,209,234,259,

273,275,293, 297f., 310 Cope, L., 89 Coune, M., 273 Cullmann, 0., 5,14,145

Dahl, N. A. D., 32, 280, 310 Dahrendorf, R., 59, 66, 71 Dautzenberg, G., 99,209 Degenhardt, H. J., 85 Deißman, A., 4, 44, 93, 98,102,205,231,

236,294 Delling, G., 247f. Derrett, J. D. M., 46, 98 Dibelius, M., 6 Dietzfelbinger, Ch., 162 Dihle, A., 180, 196

Autorenregister 391

Dinkler, E., 251 Dobschütz, E. V., 4, 35, 231, 257f., 291, 294 Dobson, B., 323 Douglas, M., 49 Dudley, D. R., 89, 93 Dupont,J., 179, 186 Durkheim, E., 62 Dux,G.,57

Edwards, K. N., 262 Ehrhardt, A., 277, 298, 306 Eisenhut, W., 277 Eliade, M., 48, 49, 64 Elliott,J. H., 319 Engels, F., 26, 69

Farmer, W. R., 122, 126,205 Fiebig, P., 177, 179, 184 Filson, F. V., 228, 251, 264ff., 308 Finkelstein, 1., 147 Finley, M. 1., 29, 321 Foerster, W., 179 Frank, T., 136,262,276 Frey,J. B., 51,110, 113f., 235f. Friedländer, 1., 89 Friedrich, G., 222 Friedrich, J., 164 Fuchs, E., 91 Fügen, N., 11, 79 Fuks, A., 114 Fürstenberg, F., 61

Gadamer, H. G., 20f., 56 Gager,J. G., 31 Gärtner, B., 149 Gaston, 1.,129,143,145 Genthe, H. J., 5 Georgi, D., 217, 219f., 222, 261 Gerhardsson B., 81 Gildemeister,J.,175 Goldmann, 1., 33, 49 Goulder, M. D., 46, 205f. Grässer, E., 84 Grant, F. C., 10, 136, 138, 146, 153, 204f. Grassi, A. J., 95 Greeven, H., 84,294 Gressmann, H., 196 Grundmann, W., 93, 131. 166f. Guelich, R., 176 Gunkel, H., 4 Gunther,J., 118 Gülzow, H., 18, 264f., 292, 329 Güttgemanns, E., 8, 11

Haas, H., 163 Haenchen,E.,38, 84, 93, 138,236,252 Hahn, F., 86, 143f. Harnack, A. v., 4, 50, 86, 110,274 Hasenfratz, H. P., 160, 174 Hasler, V., 88, 96 Heichelheim, F. M., 136 Heinrich, K., 49 Heinrici, G., 291 Hengel,M., 10, 14, 15,46,67,84,106, 109f.,

114ff., 122ff., 128f., 130, 132ff. 147f.150, 158, 183f., 191f., 194,203,205, 207ff., 230

Herzog, R., 300 Hitchcock, F. R., 255, 310 Hoehner, H. W., 109, 149 Hoffmann-Axthelm, D., 91 Hoffmann,P., 85f., 92ff., 97, 104, 177,

179f., 185, 194 Höfler, A., 295 Holl, K., 101,208,212 Holm, S., 48 Holmberg, B., 23 Hölscher, G., 129 Hopkins, K., 321 Hommel, H., 90 Hurd,J. C., 259, 280, 282, 309f. Hyldahl, N., 11

Jakobson, R., 81 Jeremias,J., 10,38,130,137, 153ff., 156f.,

164f., 186, 203f., 247 Jones, A. H. M., 142, 203, 210, 240 Judge, E. A., 10,42,98,205,210,267,281,

292 Juster, J., 116

Kahrstedt, U., 260, 262f. Käsemann, E., 17,24,88, 99f., 220, 222, 225,

314 Kasting, H., 101,265 Kautsky, K., 25, 96f., Keck, 1. E., 45, 120, 122,208 Kedar, Y., 138 Kehnscherper, G., 266 Kehrer, G., 74 Kent,J. H., 240ff., 243, 253, 259f., 262, 265,

280,305 Kippenberg, H. G., 26, 49,103,284 Klatt, W., 4 Klausner, J., 131, 136,202,204 Klein, G., 107 Klemm,H. G., 84 Klinzing, G., 149

392 Autorenregister

Knopf, R., 99f., 168,231,292 Knox,J., 310 Köhler, E., 49 König, R., 202 Köster, H., 165, 168f., 181 Kornemann, E., 241, 301 Koschorke, K., 24 Kosmala, H., 163 Kraeling, C. H., 154 Krauss, 5., 94 Kreissig, H., 26, 111f., 12lf., 130, 136 Kretschmar, G., 86, 10lf., 110, 188 Kubitschek,241 Kuhn, H. W., 95, 210, 222 Kuhn, K. G., 264, 274 Künzi, M., 96 Kümmel, W. G., 5f., 13,306,311 Kuss, 0., 266, 312

Laland, E., 97 Langerbeck, H., 50, 285 Laotse,l96 Larsen,J. A. D., 262, 276 Laum, B., 278 Lauret, B., 3 Leach, E., 49 Legasse, S., 85 Legoff, J., 138 Levy-Strauss, c., 49 Liebenam, W., 240ff., 243f. Liechtenhan, R., 263, 265 Lietzmann, H., 217, 278, 297, 301, 306, 310 Lifshitz, B., 113 Linnemann, E., 143 Linton, R., 206 Lockwood, D., 71 Lohmeyer, E., 6 Loisy, A., 91 Luck, U., 162 Luckmann, Th., 62, 64, 312 Lührmann, D., 163, 186, 192

MacDonold, J., 146 Mack, BI., 162 Maier, F. G., 27Of. Maier, P. L., 154, 157 Malherbe, A., 18 Malina, B., 22 Maly, K., 273 Manson, T. W., 275 Mao Tse Tung, 160 Marquardt, J., 255, 294 MarshalI, 1. H., 181

Marx, K., 25, 26, 67f., 70, 230 Marxsen, W., 7 Matthes, J., 57, 76 Maurer, eh., 209 McDonald, W. A., 240ff. Meeks, W. A., 10,32,45,49,325 Mensching, G., 57 Meritt, B. D., 235, 251 Merton, K. R., 140, 151 Meshorer, Y., 117 Meyer, R., 132, 144,203,236 Michaelis, J. R., 89 Millar, F., 270, 276 Milligan, G., 300 Moffat, J., 306 Mommsen, Th., 4, 266 Moritz, K. Ph., 95 Moulton, J. H., 300 Mühlmann, W. E., 47, 52, 60, 63, 72, 206,

312,315 Müller, E. W., 312 Munz, P., 50, 103 f., 284

Nestle, W., 326 Neuenzeit, P., 298f. Nietzsche, F., 160, 164 Nissen, A., 168, 170

Oehler, J., 244 Overbeck, F., 44

Pakozdy, L. M., 122,205 Paoli, U. E., 258 Perowne, S., 154f. Pesch, R., 12, 129 Pesch, W., 85 Pleket, W., 321 Pöhlmann, R. V., 4 Popper, K., 56 Preisigke, F., 258

Qesnell, Q., 84

Ranowitsch, A. B., 50, 70f., Rauer, M., 273, 275 Reitzenstein, R., 217 Rengstorf, K. H., 164 Ricoeur, P., 48, 51, 290 Riesenfeld, H., 81, 85 Robbe, M., 25, 50, 58, 68, 70, 207 Robinson,J. M., 103 Rohde,J., 7 Roloff,J., 6, 95,144

Autorenregister 393

Roos, A. G., 241 Rostovtzeff, M. 4, 98, 270, 276 Rüegg, W., 133 Rüschemeyer, R., 59 Rydbeck, L., 44

Safrai, S., 192 Sawyer, W. Th., 273 Schalit, A., 117, 137, 152f., 203f. Scheler, M., 36, 79f. Schlier, H., 326 Schmidbauer, W., 48 Schmithals, W., 16, 215ff., 222, 227, 282, 291 Schmitz, C. A., 52 Schneemelcher, W., 101 Schneider, H., 322 Schottroff, L., 7,27,172,175,181,185,190,

195 Schottroff, W., 29 Schrage, W., 12,43,84,216 Schramm, T., 12, 184 Schreuder, 0., 58 Schücking, L. L., 318 Schulz, S., 85f., 88, 91, 93f., 163f., 166 Schumacher, R., 39, 204 Schürer, E., 4, 153, 192, 235 Schürmann, H., 14, 86, 144, 163, 169, Schütz,]. H., 3, Schwabe, M., 113 Schweitzer, A., 20 Schweizer, E., 187, 326 Scroggs, R., 24, 89 Sherwin-White, A. N., 42, 205 Smallwood, E. M., 115, 129, 148 Smith, M., 150,223 Soden, H. v., 164,291 Sowers, S., 118 Sperber, D., 136, 156 Stasiewski, B., 67 Steck, O. H., 146, 179, 186 Stegemann, H., 121,264,274 Stegemann, W., 7,27,28,29, 181ff., 187ff.

Stem,M., 113, 119, 192 Strecker, G., 176 Strobel, A., 245f., 253 Stuhlmacher, P., 56 Sydenham, E. A., 115 Sydow, C. W. v., 81

Tcherikover, V. A., 114, 116, 142,203 Thomas,].,118 Topitsch, E., 47, 63 Troeltsch, E., 4f., 23,102,105,268,288,316 Tyson,J. B., 116

Unnik, W. C. v., 165ff., 181

Yen, F. v. d., 217 Vemon, G. M., 60 Vielhauer, Ph., 12, 17, 88, 111, 118, 168 Vittinghoff, F., 67, 240, 270, 324, 326f.

Wach,J.,57 Waele, F. J. M. de, 241, 252f., 259f., 265, 305 Waldmann, M., 163 Wallace, R. F., 52 Walter, N., 85, 143 Weaver, P. R. V., 322, 325 Weber, M., 23, 35, 62, 210, 259, 284 Weiß,J., 231, 253, 257, 291, 295, 297, 302,

312 Weizsäcker, C. F. v., 24f. West, A. B., 241 Wheelwright, Ph., 45 Wikenhausen, A., 326 Wilcken, U., 237 Wilckens, U., 227 Wilson, R., 284 Windisch, H., 179,217 Wrege, H. Th., 85, 89, 181

Yinger,]. M., 63, 71 f.,

Zeitlin, S., 128, 137f.

Sachregister

J\bendmahl 19, 31,257,290-317, 328 J\nalytischer Rückschluß 36 f., 40-51,

82,f.,86,184f. J\nomie 133-141, 202 J\rbeit 92-97,98 f., 215-221 J\rmutl J\rme 45,85,87,120-122,208,293-

297 J\ufstiegsloyalität 322-326 J\utonomie (der Kirche) 27, 141, 159

Betteln 93 f., l30f., 208, 211

Chiliasmus 52 f. Charismatische Legitimation 23,215-221 Christologie 32f., 49,103,312-315,318-330

Domestikation 62, 63 f. Deviantes (sozial abweichendes) Verhalten

106,134,140,202-209

Emigration 113 f. 118 Erneuerungsbewegungen 36, 73ff. 112f, 118-

123, 124-130, 132 f. 140 Eschatologie 59 f., 71, 140, 149-172, 314 Essener 52,118-123, 149f. Existenziale Interpretation, 6, 55

Familie 14, 19, 83f., 87, 245 Formgeschichte 4,11, 36f., 44f., 79-83, 158,

290 Flüchtlinge 115f., 118 Funktionalismus 30-33, 58ff.

Gemeindeorganisatoren 19, 209-226, 229f. Gleichnisse 45 f., 98 Gnosis 2, 16, 18f., 23, 49, 103, 105,259,282-

286,288 f. Gottesfürchtige 263-265, 274

Haus/Hausgemeinde 245-249, 249-152, 296 f. Hermeneutischer Konflikt 32, 51, 312f. Historischer Jesus 13ff., 90f.

Innovation 62, 71-75 Integration 31ff., 62-66, 269ff., 290-317,

328ff.

Kompensation 62, 67-71 Konflikte 25-29, 40f., 61 f., 66-71, 74f., 142-

159,191-195, 257ff., 272-289, 290-317 Konstruktiver Rückschluß 36-39, 82, 86-89 Kyniker19, 89f., 93, 172f., 188ff.,213,217,

219f.

Liebespatriarchalismus 18 f., 23ff., 32, 64, 105, 268-271, 288f., 312

Literatursoziologie 11 f., 79-83 9ff.,35-54,79-83,106f.,318f.

Mündlichkeit/Schriftlichkeit 13, 81 f. Mythos 17,22,47-50

Nachfolge 27f., 83ff., 106-112, 139ff. Normen 41-45, 82f., 206f., 225, 230, 288,

309,311,317

Oikonomos 236-245 Ortsgemeinden 11, 18f., 66, 91, 95

Parteien in Korinth 226-229 Personalisation 62, 64ff. Pharisäer 52, 140 f. Prophetische Bewegungen 52 f., 72, 132 f.,

145f. Prosopographische J\ussagen 37ff.

Radikalismus 14, 19,24,79-105 Radikaltheokratische Bewegung 74, 203 Räuber 123 f. Reduktionismus 26, 29, 58

Schichtzugehörigkeit der Christen 28, 37ff., 43 f., 69f., 111 f., 231-271, 275-289, 291 f.

Sitz im Leben 4ff., 11, 18, 36f., 79ff., 174ff. Sklaven 29, 68ff., 115, 253ff., 260, 267,

321ff.

Sachregister 395

Soziale Entwurzelung 14, 27f., 106-141 Sozialisation 65 Sozialstatus 38 f., 210 f. Soziographische Aussagen 37 Soziokulturelle Faktoren 101,206-209, 212f. SozioökologischeFaktoren29, 98-101, 137f.,

142-159, 205f., 212 Sozioökonomische Faktoren 26ff., 92-98,

110ff., 116ff., 120-123, 153-157,203ff., 210f., 261ff., 275ff.

Soziopolitische Faktoren 29, 114ff., 120, 124ff., 136, 202f., 209f.

Sprachniveau und- verbreitung 43f., 101 Strukturhomologie 33, 48 f. Synagogenvorsteher 235f. Symbole, symbolische Welt 32f., 45-50, 63,

65,71,73,312,318-330 Sympathisanten 96, 112, 202, 206

Theorie der Religion 21 f., 33, 55-76 Traditionale Legitimation 23, 221ff.

Unterbau - überbau 25ff., 67-71 Unterhalt 92,100,201-230

Vergleichender Rückschluß 36f., 51-54, 89f., 188ff.

Verschuldung 27,46,127,129 Verstehende Soziologie 23ff., 57

Wandercharismatiker 14, 19,23f.,27f., 42, 65f., 79-105, 106-141, 183-191,201-209

Zeloten/Widerstandsbewegung 52,124-130, 150f.

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament

Begründet von Joachim Jeremias und Otto Michel Herausgegeben von Martin Henge1 und Otfried Hofius

1. Reihe

10 Martin Henge! 16 Karlmann Beyschlag 23 Marce! Simon

Judentum und Simon Magus und Le christianisme Hellenismus die christliche antique et son 3. Auflage 1988. Gnosis contexte religieux. XI, 693 Seiten, Broschur 1974. VII, 249 Seiten. Scripta varia. und Leinen. Leinen. 2 Bände.

11 Otfried Hofius 18 E. Earle EIlis 1981. 1: XX, 370 Seiten; 2: VI, S. 371-852.

Katapausis Prophecy and Leinen.

1970. IX, 281 Seiten, Hermeneutic in Broschur und Leinen. Early Christianity

1978. XVII, 289 Seiten. 24 Günter Schlichting

12 Gerhard Maier Leinen. Ein jüdisches Mensch und freier Leben Jesu

19 Gerd Theißen Wille Studien zur

1982. XVI, 292 Seiten. Leinen. 1971. VII, 426 Seiten, Soziologie des Broschur und Leinen.

Urchristentums

13 Helmut Merke! 3. Auf!. 1989. 25 Gerhard Maier

Die Widersprüche X, 395 Seiten. Broschur Die J ohannes-und Leinen. offenbarung zwischen den

Evangelien 20 Drei hellenistisch- und die Kirche

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Broschur und Leinen. Erl. von F. Siegert Leinen.

1980. 109 Seiten.

14 Otfried Hofius Broschur.

26 Folker Siegert Der Vorhang vor 21 August Strobel Nag-Hammadi-dem Thron Gottes Die Stunde der Register 1972. VIII, 122 Seiten. Wahrheit 1982. XXVI, 383 Seiten. Broschur. 1980. VII, 150 Seiten. Leinen.

Broschur. 15 Andreas Nissen

Gott und der 22 Otto Bauernfeind 27 Klyne Snodgrass

Nächste im antiken Kommentar und The Parable of the Judentum Studien zur Wicked Tenants 1974. IX, 587 Seiten. Apostelgeschichte 1983. X, 140 Seiten. Leinen. 1980. 492 Seiten. Leinen. Broschur.

28 Das Evangelium 36 Jarl E. Fossum 44 A.J.M. Wedderburn

und die Evangelien The Name of God Baptism and Hrsg. von P. Stuhlmacher and the Angel of Ressurrection 1983. VIII, 455 Seiten. the Lord 1987. x, 487 Seiten. Leinen. Leinen. 1985. XIII, 378 Seiten.

Leinen. 29 Heikki Räisänen

Paul and the Law 37 Ernst Bammel 45 Michael N. Ebertz

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Leinen. 1987. XI, 308 Seiten.

30 Seyoon Kim Leinen.

"The 'Son of Man'" 38 Chrys C. Caragounis

as the Son of God The Son of Man 46 Folker Siegert

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Sebasmata. Band 2 1984. VII, 415 Seiten.

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35 Erich GräBer The Book of Acts Der Alte Bund im 43 Helmut Merklein in the Setting of Neuen Paulus und Jesus Hellenistic History 1985. VIII, 345 Seiten. 1987. X, 479 Seiten. 1989. XIV, 482 Seiten. Broschur und Leinen. Broschur und Leinen. Leinen.

J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen