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Nach den Quellen neu erzählt vonReiner Tetzner

Reclam

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Inhalt

Der Hort der Nibelungen . . . . . . . . . . . . . . 9

Kriemhild am Hofe zu Worms . . . . . . . . . . . 9Siegfrieds Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Siegfried kommt nach Worms . . . . . . . . . . . 15Kampf gegen die Sachsen . . . . . . . . . . . . . . 22Siegfried besiegt den Drachen und gewinnt

den Hort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Siegfried begegnet Kriemhild . . . . . . . . . . . . 37Gunter wirbt um Brünhild . . . . . . . . . . . . . 42Brünhilds und Siegfrieds frühe Eide . . . . . . . . 46Gunter gewinnt Brünhild im Kampfspiel . . . . . 50Siegfried fährt ins Nibelungenland . . . . . . . . . 58Siegfried reitet als Bote nach Worms . . . . . . . 63Gunter feiert mit Brünhild Hochzeit . . . . . . . 66Siegfried fährt mit Kriemhild in sein Reich . . . . 77Gunter lädt Siegfried und Kriemhild nach

Worms ein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80Die Fahrt zum Fest . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Brünhild und Kriemhild verfeinden sich . . . . . 87Siegfried wird verraten . . . . . . . . . . . . . . . 94Hagen durchbohrt Siegfried mit dem Speer . . . . 98Totenklage und Begräbnis Siegfrieds . . . . . . . 105Brünhild wählt den Tod . . . . . . . . . . . . . . 111Der Nibelungenhort wird nach Worms gebracht 115Etzel läßt um Kriemhild werben . . . . . . . . . . 121Kriemhild fährt zu König Etzel . . . . . . . . . . 130Kriemhilds Empfang und Hochzeit . . . . . . . . 132Die Burgunden werden eingeladen . . . . . . . . 136

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Schwämmel und Wärbel überbringen dieBotschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Die Burgunden fahren zu den Hunnen . . . . . . 144Der Kampf in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . 151Empfang in Bechlaren . . . . . . . . . . . . . . . . 156Ankunft bei den Hunnen . . . . . . . . . . . . . . 160Kriemhild will Hagen töten lassen . . . . . . . . . 164Hagen und Volker halten Schildwache . . . . . . 170Das Kampfspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172Die burgundischen Knappen werden überfallen 178Der Kampf im Saal . . . . . . . . . . . . . . . . . 181Die Toten werden aus dem Saal geworfen . . . . 186Der Mordbrand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192Rüdeger fällt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196Der Kampf mit Dietrichs Recken . . . . . . . . . 205Dietrich greift ein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211Gunters und Hagens Schicksal . . . . . . . . . . . 215Kriemhilds Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Wieland der Schmied . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Dietrich von Bern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Hildebrant und Dietrich . . . . . . . . . . . . . . 244Heime kommt zu Dietrich und fordert ihn

heraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248Witege auf dem Wege nach Bern . . . . . . . . . . 251Dietrich und Witege im Zweikampf . . . . . . . . 259Ecke und Fasolt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264Dietleib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269Zwergenkönig Laurin . . . . . . . . . . . . . . . . 277Der Kampf gegen Herzog Rimstein . . . . . . . . 289

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Der Ratgeber Sifka treibt Ermrichs Söhne inden Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Der Angriff auf die Harlungen . . . . . . . . . . . 293Ermrich vertreibt Dietrich von Bern . . . . . . . . 296Dietrich bereitet eine Heerfahrt gegen

Ermrich vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300Die Schlacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307Dietrich kehrt heim . . . . . . . . . . . . . . . . . 315Hildebrant und Hadubrant . . . . . . . . . . . . . 319Dietrich gewinnt sein Reich zurück . . . . . . . . 324

Anhang

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

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Der Hort der Nibelungen

Erzählt wird aus alter Zeit von einem Königreich, dasnicht untergehen würde, vom Kampf um einen Hort, des-sen Besitz Macht über die Welt verleihen konnte, voneiner Liebe, deren Verrat nur durch den Tod zu sühnenwar, von Taten und Untaten.

Neben Dietrich von Bern gilt Siegfried als berühmte-ster Held. Als kunstfertigsten Schmied kennen wir Wie-land. Große Königinnen waren Brünhild und Kriemhild.Fahrende Sänger dichteten Preislieder, verwoben sie mitStrophen über Taten anderer Großer. Manches wurde ver-gessen oder überdauerte nur bruchstückhaft in Hand-schriften. Auch bei dem späteren Lied über die Nibelun-gen bleibt vieles dunkel. Wir folgen dieser Quelle, kehrenaber auch zu ältester Kunde zurück. So sehen wir tieferenGrund für den Tod der Helden und Königinnen, ohne ihrSchicksal je ganz aufzuhellen.

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Kriemhild am Hofe zu Worms

Jenes große Königreich, von dem erzählt wird, hatten dieBurgunden am Rhein gegründet. Von seiner Macht undseinem Ruhm sprechen wir noch heute. Drei junge Kö-nige regierten in Worms. Aber ihre Schwester Kriemhild

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sollte noch berühmter werden. Wie keine andere Königs-tochter war sie über alle Maßen schön. Manche Mächtigedes Reiches meinten, nun habe das Königsgeschlechtfür ewig Bestand. Aber gerade ihre Schönheit sollte einegrößere Gefahr werden als das stärkste feindliche Heer.Kriemhild war so reizvoll und anmutig, daß die kühnstenHelden sie zur Frau begehrten, sie war so schön, daßmancher junge Kämpfer für sie in den Tod gehen wollte.

Aber je heftiger die Freier sie begehrten, desto schrofferwehrte Kriemhild ab. Auch wegen eines Traumes, den siekeinen Tag vergaß:

Sie ziehe einen Falken auf, hatte sie geträumt, der seistark, schön und wild, den liebte sie über alle Maßen. Dapackten ihn vor ihren Augen zwei Adler mit ihren Klauenund zerfleischten ihn.

Tränenüberströmt hatte sie ihrer Mutter, Königin Ute,berichtet.

»Der Falke, den du zähmtest, ist ein edler Mann«, deu-tete die Königin den Traum, »sobald du ihn gefunden,wird er dir wieder entrissen.«

»Was redet Ihr von einem Mann, liebe Mutter, nun willich erst recht keinen Helden lieben und so schön bleibenbis an meinen Tod.«

»Nun sei nicht voreilig«, entgegnete die Mutter, »Glückerfährst du nur durch die Liebe eines Mannes; neben ihmzu liegen macht dich noch schöner.«

Kriemhild bat die Mutter zu schweigen und verbanntedie Liebe aus ihrem Sinn, wies kühnste Bewerber ab. NachJahren meinte sie endlich, keinem Mann mehr zu erliegen.Da kam jener Falke, den sie im Traum gesehen; der be-rühmteste aller Helden und von göttlicher Abstammung.

So begannen also Glück, Verrat und Tod, und niemandkonnte sie aufhalten. So mächtig und glanzvoll das Kö-

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nigshaus auch war, so berühmt das Geschlecht der Bur-gunden, dem Kriemhild angehörte, so tapfer und weiseihre Brüder, die Könige Gunter, Gernot und der jungeGiselher. Sie waren Helden von unmäßiger Kraft undKühnheit, mit auserwählter Tatkraft und Freigebigkeit.

Den drei Königen und ihrer Mutter, Königin Ute –Vater Dankrat lebte nicht mehr – waren mächtige Herrenuntertan wie Hagen von Tronje und sein Bruder Dank-wart. Auch Ortwin von Metz, die Markgrafen Gero undEckewart und Volker von Alzey gehörten dazu. Rumoldwar der Küchenmeister, Sindold der Mundschenk undHunold der Kämmerer. Dankwart war der Marschall undOrtwin der Truchseß der Könige. Den Glanz des Hofesvermehrten noch viele berühmte Männer, deren Namennicht alle genannt werden können.

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Siegfrieds Herkunft

Jener Held, der Kriemhilds Falke werden sollte, war derSohn des mächtigen Königs Siegmund. Nach jüngeren Be-richten herrschte er mit seiner Frau Sieglind in der starkbefestigten Stadt Xanten am Rhein. Dort lud der König,als Siegfried waffenfähig war, bei einer Sonnenwende zumFest der Schwertleite. Mit vierhundert Knappen wurdeSiegfried wehrfähig und somit mündig.

Für das Fest hatten schöne Mädchen goldene Borten aufGewänder genäht und sie mit blitzenden Edelsteinen be-setzt. Fröhlicher Lärm der Kampfspiele verhallte nicht.

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Speere splitterten, Schläge auf Schilde dröhnten in den Hö-fen. Anmutige Frauen bangten um die Kämpfer. Nach demWettstreit lagen zerschlagene Schildbuckel umher, Edel-steine glitzerten zerbrochen im Grase. Eine Zeitlang wagtekeiner, diese Zeugen der glücklichen Tage zu berühren.

Sieben Tage ließen König Siegmund und Königin Sieg-lind tafeln und edle Weine ausschenken. Musik erklang.Gaukler waren bestellt. Nie war ein König freigebiger.Um des Sohnes willen wurden an die zahlreichen Gästerotes Gold, Rosse, Ringe und Kleider verteilt. Die Ge-schenke stoben dem Königspaar aus den Händen, als brä-che am folgenden Morgen dessen letzter Tag an.

Mächtige Fürsten im Reiche wünschten nun Siegfriedals jungen König. Aber so lange seine Eltern lebten,wollte er die Krone nicht tragen. Nur wenn seinem Landfeindliche Gewalt drohe, werde er seine Stärke nutzen. Inferne Länder wolle er ziehen und sein Schwert erproben.

Aus frühester Zeit wird über Siegfrieds Herkunft nochBedeutenderes berichtet. Sein Großvater sei König Völ-sung, Siegfried gehöre also zum berühmten Königsge-schlecht der Völsungen. Und Sigi, der Vater dieses KönigsVölsung, sei ein Sohn Odins gewesen, heißt es. Da dieserSigi und seine Frau kinderlos blieben, wandten sie sich anOdin und dessen Frau Frigg. Daraufhin sandte Odin eineWalküre, die sich dem König in Krähengestalt näherteund einen Apfel auf seine Knie warf. Sigi gab seiner Fraudavon zu essen. Bald wurde die Königin schwanger. Dochda fiel eine Krankheit sie an und drohte das Kind zu er-sticken. Da wurde ihr der Bauch geöffnet in einer Art, dieheute Kaiserschnitt genannt wird, und der Sohn gerettet.Der Knabe war groß und kräftig, wurde Völsung genanntund küßte seine Mutter, bevor sie starb.

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Später, als Völsung, Siegfrieds Großvater, erwachsenund selber König war und schon seinen Sohn Siegmundhatte, ließ er eine prächtige Halle errichten, in deren Mitteeine riesige Eiche stand. Zu einem Festmahl lud er be-rühmte und mächtige Männer. In der Nähe der Eichebrannten große Feuer. Speisen und Met gab es reichlich.Da trat vor die fröhlich lärmenden Gäste ein hochgewach-sener Mann mit weitem blauen Mantel und breitemSchlapphut. Auch an seiner Einäugigkeit erkannten alleGott Odin. Die Männer verstummten. Nicht einmal dasSchlucken aus den Trinkhörnern war mehr zu hören.Odin zog ein Schwert und stieß es so tief in den Stammder Eiche, daß nur noch der Griff zu sehen war. Vor Stau-nen schien den Männern der Metrausch verflogen, dasagte der Einäugige:

»Wer das Schwert aus dem Stamm zieht, dem schenkeich es. Keine Waffe ist besser als diese.«

Nun versuchten nacheinander die stärksten Recken ihrGlück; aber keinem gelang, am Schwert auch nur zu rüt-teln. Und als der letzte aufgegeben hatte, trat Siegmund,der junge Sohn Völsungs, an die Eiche und zog dasSchwert mit einer einzigen Bewegung aus dem Holz. Nie-mand hatte je eine so prächtige Waffe gesehen. So erhieltSiegfrieds Vater aus Odins Hand das berühmte Sieg-schwert.

Auch mit dessen Hilfe wurde König Siegmund dergrößte Held seiner Zeit. Er siegte in zahlreichen Schlach-ten und herrschte viele Jahre als mächtiger König. Als erdann alt war, kam es zu einer großen Schlacht gegen dieSöhne jenes Herrschers, die seinen Vater, König Völsung,getötet hatten. Siegmund sei unempfindlich gegen Gift,hieß es, sowohl von außen auf der Haut als auch von in-

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nen durch Trank oder Speise. Wie in früheren Kämpfendrang Siegmund auch diesmal mit Odins Siegschwert mit-ten durch das Heer der Gegner und brachte es in Verwir-rung, zerhieb zahllose Schilde und Panzer der Feinde.Wie gewohnt prallten Speere und Pfeile von seinem Schildund seiner Brünne ab. Keiner konnte auch an diesem Tagejene Recken zählen, die der König fällte. Seine Arme wa-ren blutig bis zur Achsel. Siegmunds Heer brachte das je-ner Söhne in Bedrängnis; sein Sieg schien auch diesmal ge-wiß. Da stellte sich König Siegmund ein Mann in den Wegund hob gegen ihn seinen Speer. Der Mann trug einenblauen Mantel, einen herabhängenden Hut und war ein-äugig. Siegmund wehrte sich, hieb mit seinem Schwert ge-gen den Speer. Aber der brach es in zwei Stücke. Damitbrachen auch Siegmunds Glück und Kampfesmut. Erwurde schwer verwundet und verlor die Schlacht. DieFeinde glaubten, keiner der berühmten Völsungen hätteüberlebt. Aber jene junge Frau, mit der sich der alte Kö-nig noch vermählt hatte, trug ein Kind von ihm.

Nach dem alten Bericht hieß diese Frau Hördis undwar eine Walküre. Nach der Schlacht ging sie auf dieKampfstätte, fand Siegmund und wollte ihn heilen. DerKönig lag in seinem Blute und wehrte die Pflege ab:

»Odin brach mein Schwert, nun habe ich weder zukämpfen noch zu leben. Du trägst einen Knaben in dir,wende alle Sorgfalt auf ihn, er wird der Mächtigste undBerühmteste unseres Geschlechts sein, und er heiße Sieg-fried. Laßt ihm aus meinen beiden Schwertstücken einneues schmieden und nennt es Gran.«

So sprach König Siegmund und starb bei Sonnenauf-gang.

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Siegfried kommt nach Worms

Nach diesen alten Berichten unterlag Siegfrieds Vater aufdem Schlachtfeld vor der Geburt des Sohnes. Aus jünge-rer Zeit wird von Siegmund als König in Xanten erzählt,mit Siegfried an seiner Seite. Aber in allen Überlieferun-gen zeichnet sich Siegfried durch außergewöhnliche Kraftaus, und die trieb ihn wohl auch nach Worms.

Bis Siegfried von Kriemhild Kunde erhielt, lebte er un-beschwert. Die Königstochter sei über alle Maßen schönund reizvoll, so anziehend und begehrt, hieß es, wie keinevor ihr. Und er hörte, wie Werber aus allen Ländern anden Burgundenhof schwärmten. Daß Kriemhild auch diemächtigsten und kühnsten abwies, forderte Siegfried umso mehr heraus.

Als König Siegmund davon hörte, versuchte er seinemSohn diese Werbung auszureden.

»Mein Herz ist so voll Liebe zu Kriemhild, ich kannvon ihr nicht lassen«, beteuerte Siegfried, »darf ich sienicht freien, werde ich nimmer eine Frau wählen.«

»Ist es nicht zu wenden, so will ich dir beistehen«, kamder Vater ihm entgegen, »aber schon von einem allein anGunters Hof droht dir Gefahr. Hagen von Tronje isthochmütig und heimtückisch, er duldet keinen Mächtigenan seiner Seite.«

»Wenn ich mit Freundlichkeit nichts erreiche«, entgeg-nete Siegfried, »erzwing ich mir Land und Leute mit mei-nem Schwert.«

»Erführen die Burgunden davon, dürftest du niemalsnach Worms«, warnte Siegmund, »ich kenne die Könige

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Gunter und Gernot. Mit Gewalt gewinnst du nie Kriem-hilds Herz. Aber willst du doch mit einem Heer auszie-hen, werde ich alle meine Freunde aufbieten.«

»Mit starker Mannschaft nach Worms zu reiten, danachist mir nicht. Allein will ich Kriemhild gewinnen. Gib mirzwölf Gefährten, Vater, rüste sie aus, dann werde ich los-ziehen.«

Als Königin Sieglind von Siegfrieds Absicht erfuhr,weinte sie und sah ihren Sohn schon von Gunters Mannenbedroht.

»Keine Tränen, Mutter«, bat Siegfried, »verhelft mirund meinem Gefolge zu solchem Gewand, daß es uns zurEhre gereicht.«

»Kannst du von der Schönen nicht lassen«, beteuertedie Mutter, »sollst du die beste Kleidung haben, die je einHeld trug.«

Schöne Frauen wirkten und nähten Tag und Nacht.Siegmund ließ glänzende Brünnen und feste Helme zu-richten und neue Schilde fertigen. Die waren breit undschön. Das Zaumzeug glänzte rot von Gold, das Riemen-zeug seiden. Die Gewänder prangten goldfarben. DieSchwertspitzen der Recken reichten bis an die Sporen.Siegfrieds Speer war zwei Spannen breit.

Beim Abschied von Xanten trauerten die Helden beiHofe, und zahlreiche Frauen weinten. Sie ahnten Leidund Tod. Siegfried gelang es nicht, sie zu trösten.

Am siebenten Morgen ritten die Helden an den Ufer-sand zu Worms. Rüstung und Gewänder leuchteten gol-den. Als ob sie aus einer anderen Welt oder gar von denGöttern kämen, so schien es dem Volk, das sich sammelteund Siegfrieds Zug in die Hofburg folgte. Nie wurdenhier herrlicher Gerüstete gesehen. Siegfrieds Schild war

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mit rotem Gold überzogen und mit einem Drachen be-malt. Der Held trug eine Goldbrünne, und alle seine Waf-fen waren goldgeschmückt, heißt es in alten Erzählungen.Siegfrieds Haar war braun und fiel in langen Lockenherab, sein Bart stand dicht und kurz. Er hatte ein knochi-ges Gesicht, seine Augen waren so scharf, daß nur wenigewagten, ihn anzublicken. Seine Schultern waren so breitwie die von zwei Männern. Er redete sehr gewandt.Freunden zu helfen galt ihm als eine Lust. Für sie nahm ergern Feinden ihr Gut ab.

Recken und Knechte des Königs eilten ihnen entgegen,nahmen ihnen, der Sitte gemäß, Schilde und Zaumzeugab. Aber als ihre Pferde in den Stall geführt werden soll-ten, wehrte Siegfried ab:

»Laßt sie stehen, bald reiten wir weiter. Aber wo findeich König Gunter?«

Einer, der es wußte, geleitete sie.Inzwischen war dem König die Ankunft der Fremden

gemeldet worden. Gunter blickte aus dem Fenster und sahsie im Hofe mit ihren glänzenden Gewändern und silber-farbenen Brünnen. Daß ihm keiner sagen konnte, wohersie kamen, ärgerte den König. Ortwin von Metz war beiihm und meinte, man solle seinen Onkel Hagen vonTronje rufen, der habe Kenntnis von fremden Reichenund deren Herrschern.

Also trat Hagen mit seinem Gefolge vor den König.Nach dessen Frage blickte der Tronjer lange aus dem Fen-ster auf die Fremden und sagte:

»Ihre Rüstungen glänzen, und wie stolz die Helden ge-hen, es müssen Fürsten oder deren Boten sein. Zwar habe ichSiegfried nie gesehen, aber jener dort, der steht so königlichund blickt so unerschrocken, das ist der berühmte Held.«

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»Was weißt du über ihn?« fragte Gunter.»Er besitzt den Nibelungenhort, einen unermeßlichen

Schatz. Siegfried ist der reichste Held in allen Landen. Ergewann ihn, indem er die kühnen Nibelungen erschlug,Schilbung und Nibelung, zwei Söhne eines mächtigenKönigs.«

»Wie kam es dazu?« forschte Gunter weiter.»Siegfried ritt allein an einem Berg vorbei, wurde mir

erzählt, wo der ganze Schatz aus einer Höhle herausgetra-gen und ausgebreitet worden war. Schilbung und Nibe-lung gedachten dieses Erbe zu teilen. Als die Recken denFremden vorbeireiten sahen, begrüßten sie ihn:

Seht, da kommt der starke Siegfried, der Held von Nie-derland.

Da Schilbung und Nibelung den Schatz nicht gerecht zuteilen vermochten, baten sie Siegfried darum. Er wehrtesich, gab aber schließlich ihrem Drängen nach. Siegfriedsah so viele Edelsteine ausgebreitet, erzählt man sich, unddazu rotes Gold in solcher Fülle, daß hundert schwereWagen es nicht hätten tragen können.

Die Brüder belohnten Siegfried für seine Arbeit im vor-aus mit dem Nibelungenschwert. Aber dem Helden ausXanten war es nicht gelungen, den unermeßlichen Schatzgerecht zu teilen. Da wurden die Brüder sehr zornig undgriffen Siegfried an. Der erschlug zwölf Riesen, die zudem Gefolge der beiden Königssöhne gehörten, undsiebenhundert Nibelungen. Ohne dieses zauberischeSchwert Balmung hätte er das nicht vermocht. Auch Schil-bung und Nibelung fielen durch ihr voreiliges Geschenk.Der starke Zwerg Alberich wollte seine Herren rächenund lief wie ein wilder Löwe gegen Siegfried an. Dergeriet durch die Kraft des Zwerges in große Not, aber

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schließlich gelang es ihm, Alberich den Tarnmantel zuentreißen und an sich zu bringen. Damit war die Machtdes Zwerges gebrochen, er mußte sich Siegfried unterwer-fen. Darin folgten ihm auch die übrigen Nibelungen. Diesich gegen ihn gewehrt hatten, lagen alle erschlagen. Sieg-fried ließ den Schatz wieder in den Berg hineintragen. Sofiel ihm mit den Ländern und Burgen auch der Nibelun-genhort zu. Alberich mußte Eide schwören, Siegfried wieein Knecht zu dienen, und wurde dafür zum Hüter desHortes bestimmt. Das sind einige Taten Siegfrieds, vondenen ich weiß«, berichtete Hagen.

König Gunter und seinen Brüdern klangen noch Ha-gens Worte im Ohr, als der riet:

»Empfangen wir den Helden mit Ehren, sonst ziehenwir uns seinen Haß zu; er blickt sehr streitbar.«

Der König stimmte zu. Sie gingen hinunter in den Hofund begrüßten die Gäste höflich.

Der Held aus Xanten verneigte sich dankend vor demKönig und seinen Begleitern.

»Woher kommt Ihr?« fragte König Gunter. »Undwarum habt Ihr den Weg nach Worms gewählt?«

»Das will ich unverhohlen sagen«, erwiderte Siegfried.»Mir wurde in Xanten berichtet, Ihr habt die tapferstenHelden, die je ein König um sich scharte. Und Ihr rühmtEuch selber, kühner als jeder andere König zu sein. Auchich sollte eine Krone tragen. Aber damit das die Leute mitRecht von mir sagen können, will ich mein Haupt dafüraufs Spiel setzen. König Gunter, ich fordere Euch heraus,im Kampf will ich Euch abzwingen Euer Land und EureBurgen.«

Gunters Männer betrachteten Siegfried haßerfüllt. Undverwundert entgegnete der König:

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»Womit hätte ich das verdient? Was mein Vater in Eh-ren erworben und bewahrt, durch die Kraft nur einesMannes zu verlieren? Wie könnten wir das dulden?«

»Ich lasse nicht davon ab«, beharrte Siegfried, »auch ichsetze mein Land und meine Burgen, meine Leute, meinErbe aufs Spiel. Wer von uns beiden siegt, der sei Herrüber Land und Leute hier wie dort.« Vielleicht kam derHeld von Xanten in dem Gefühl, der mächtigste Mannauf Erden zu sein.

»Uns widerstrebt«, warf Gernot ein, »ein Land zu ge-winnen, indem wir einen Helden erschlagen. Wir sindlange hier ansässig und reich genug.«

Auch Ortwin von Metz geriet in Wut und rief: »Sieg-fried hat kein Recht, den König herauszufordern. Damiter seinen Hochmut verliert, trete ich ihm allein entgegen.«

»Deine Hand kann nicht an gegen mich!« erwiderteSiegfried zornig, »ich bin ein großer König, du eines Kö-nigs Gefolgsmann. Nicht zwölf von deinesgleichen kämenan gegen mich.«

Da rief Ortwin von Metz nach seinem Schwert. Hagenvon Tronje stand noch schweigend dabei, was KönigGunter leid war. Gernot versuchte entschlossen zu ver-mitteln:

»Dämpft Euren Zorn, noch hat Siegfried sein Schwertnicht gezogen. Folgt meinem Rat, beenden wir den Streit,laßt uns Siegfried zum Freund gewinnen.«

»Warum eigentlich«, mischte endlich Hagen sich ein, »rittder Held von Niederland in Waffen gegen uns? Das hätte erbesser gelassen, meine Herren haben ihm nichts getan.«

»Wenn Euch meine Rede kränkt, Herr Hagen«, entgeg-nete Siegfried heftig, »kann meine Hand gewaltig bei denBurgunden dreinschlagen.«

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»Haltet ein!« rief Gernot und verbot seinen Recken je-des weitere Wort, das Siegfried noch mehr hätte aufbrin-gen können. So wurde Siegfrieds Zorn gedämpft. Und derHeld dachte wieder an die herrliche Kriemhild; schließlichwar er ihretwegen nach Worms gezogen.

»Wozu sollten wir kämpfen?« schlichtete Gernot, »lä-gen einige Helden in ihrem Blut, brächte uns das keineEhre.«

Noch widersetzte sich Siegfried dem Ausgleich undreizte seine Gegner: »Warum zögert Herr Hagen, seinSchwert zu ziehen? Und fürchtet sich Herr Ortwin?«

Gernot gelang nur mit großer Mühe, die Aufgereiztenzurückzuhalten und seinen Mannen jedes weitere Wort zuverbieten.

»Ihr sollt uns willkommen sein!« rief plötzlich Giselher,noch fast ein Kind. Die helle Stimme des jüngsten Königs-sohnes dämpfte die Streitlust. »Meinen Verwandten undmir«, sagte er, »wird es eine Freude sein, Eure Wünschezu erfüllen.«

»Schenkt ein«, gebot der König. Wein wurde gereicht.Die Gäste nahmen den Willkommenstrunk an. Und Kö-nig Gunter sprach:

»Alles, was wir haben – fordert Ihr’s nur in Ehren – seigewährt. Gern teilen wir mit Euch Leben und Gut.«

Dadurch wurde Siegfried noch mehr besänftigt. DieGäste erhielten die beste Herberge. Und man ließ ihnenihre Waffen. Die Burgunden erwiesen ihnen größere Eh-ren, als ich zu erzählen vermag. Siegfrieds Wesenart undsein Mut brachten ihm nur Ruhm am Hofe König Gun-ters. Keiner vermochte ihn zu hassen. Und was sie auchbegannen, ob sie Steine schleuderten oder den Speer war-fen, Siegfried übertraf sie in allem. Die Frauen schauten

Siegfried kommt nach Worms 21

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aus ihren Fenstern auf die Kämpfer. Manche von ihnenschloß Siegfried ins Herz. Auch Kriemhild spähte nachSiegfried und gestand sich heimlich ihre Neigung. Baldlockte kein Zeitvertreib sie mehr. Siegfried hieb und strittnur um der schönen Königstochter willen, auf derenLiebe sein ganzer Sinn gerichtet war. Aber obwohl er dar-auf bedacht war, ihr zu begegnen, bekam er sie nicht zuGesicht. Hätte er geahnt, wie sie hinter ihren Fensterndarauf lauerte, ihn über den Hof reiten zu sehen, wäreihm leichter zu Mute gewesen. Ritten die drei Könige ausin ihr Land, begleitete auch Siegfried sie. Und Kriemhildblickte betrübt auf den leeren Hof. So lebte der Held ausdem Niederland ein Jahr bei den Königen in Worms, ohnevon ihrer Schwester auch nur eine Strähne ihres Haares zusehen. Und Siegfried ahnte nicht, wie viel Liebe und Leider noch durch sie erfahren würde.

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Kampf gegen die Sachsen

Als der Held aus Xanten so ein Jahr am burgundischenHofe gelebt hatte, wurde der Landesfrieden gebrochen. Indie Burg preschten Boten der Könige Lüdeger aus Sachsenund Lüdegast aus Dänemark. Beide waren mächtige Ver-bündete und wollten das blühende Burgundenland über-fallen. König Gunter hieß die Boten willkommen und er-fuhr von ihnen, die Burgunden hätten ihre Könige gereizt,deshalb würden sie mit starker Heeresmacht dieses Landüberziehen und zahllose Helme und Brünnen zerhauen.

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Wolle der König aber verhandeln, werde der Angriff ab-gewendet.

Gunter nahm sich Zeit zur Beratung, er ließ Hagen undGernot rufen.

»Mögen die Feinde kommen«, meinte Gernot; »undwem der Tod bestimmt ist, der wird fallen.«

Lüdeger und Lüdegast seien zwar allzu hochmütig undherrschsüchtig, gab Hagen zu bedenken, aber in wenigenTagen könnten die Burgunden ihr Heer nicht sammeln. Erschlug vor, Siegfrieds Rat einzuholen.

Als sich Gunter und Siegfried begegneten, fragte derden König: »Wo ist Euer Frohsinn, Euer Lachen, dasdurch die Säle hallte?«

»Nur wahre Freunde weihe ich ein«, erwiderte Gunter.Siegfried erbleichte und errötete und sagte: »Wenn Ihr

Freunde sucht, will ich einer sein und Euch beistehen biszu meinem Tod.«

»Das lohne Euch Euer Gott, Herr Siegfried«, erwiderteKönig Gunter und berichtete von den Botschaften; bisherhätten noch keine Feinde gewagt, in sein Reich einzufallen.

»Ruft Eure Recken«, riet Siegfried, »und kämen dieFeinde mit dreißigtausend; mit tausend Mann griffe ich siean und siegte.« König Gunter dankte ihm.

»Ich habe nur meine zwölf Gefährten«, bedauerte Sieg-fried, »also gebt mir tausend Mann; auch Hagen und Ort-win mögen uns helfen, und Dankwart und Sindold, undVolker soll die Fahne tragen.«

König Gunter ließ die Boten rufen, beschenkte sie reichund erklärte:

»Sagt meinen starken Feinden, sie mögen daheim blei-ben; fallen sie aber in mein Land ein, geht es übel für sieaus.«

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Über diesen Bericht geriet der Dänenkönig in großenZorn und hielt die Burgunden für hochmütig. Aber als ervon dem Helden aus Xanten an Gunters Hofe hörte, ließer noch mehr Leute aufbieten, bis er ein Heer von zwan-zigtausend Mann versammelt hatte. Auch Lüdeger vonSachsen verstärkte daraufhin seine Rüstungen und brachtesein Heer auf vierzigtausend Kämpfer.

»Bleibt am besten daheim bei den Frauen«, riet Sieg-fried dem König, »ich stehe für Euer Ansehen und Gutund werde den Feinden ihren Hochmut austreiben.«

Dann brach Siegfried mit tausend Burgunden vonWorms auf. Hagens Mannen folgten dem Aufgebot; er wareiner der Anführer. Auch Gernot zog mit in den Kampf, sowie Dankwart, Ortwin, Volker, Sindold und Hunold.

Ihr Weg führte vom Rhein durch Hessen nach Sachsen,deren Land sie mit Raub und Brand überzogen.

Als die Schlacht mit den feindlichen Heeren bevor-stand, fragte Siegfried, wer das Gesinde führen solle.

Alle rieten, Dankwart die Knechte zu unterstellen undOrtwin die Nachhut. Und ehe Siegfried allein ausritt, dasHeer der Feinde zu erspähen, übertrug er Gernot undHagen den Befehl.

Bald entdeckte Siegfried das feindliche Heer auf einemFelde; daß es so groß war, ließ seinen Kampfesmut nochwachsen.

Auch von den Gegnern befand sich ein Held auf Vor-posten, auch bei ihnen war es der Feldherr selber, der Dä-nenkönig Lüdegast. Beide trafen aufeinander und blicktensich feindselig an. Dann sprengte Lüdegast mit seinemSchild von lichtem Golde gegen Siegfried übers Feld.Beide neigten die Speere auf die Schilde des Gegners undritten aufeinander los. Nach dem Aufschlag der Waffen

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preschten die Könige aneinander vorüber, als tobe einSturm. Dann griffen sie zu den Schwertern. Und Siegfriedhieb gegen Lüdegast, daß aus dessen Helm rote Funkenstoben wie der Brand eines Feuers. Auch Siegfrieds Schilddröhnte unter den Schlägen von Lüdegasts Schwert.

Daraufhin sprengten dreißig dänische Späher zu ihremKönig heran. Ehe sie eingreifen konnten, schlug Siegfriedihm drei tiefe Wunden. Lüdegast bat um sein Leben undbot sein Land. Als Siegfried den Dänenkönig wegführenwollte, griffen dessen dreißig Gefährten ihn an. Er mußtesie alle erschlagen; nur um die Botschaft ins feindliche La-ger zu bringen, ließ er einen am Leben. Mit von Blut gerö-tetem Helm ritt der Däne davon.

Siegfried brachte den Dänenkönig ins Lager der Bur-gunden und übergab ihn Hagen. Dann machten sich dieBurgunden zum Kampf fertig. Siegfried führte ihr Heer.Es war mit tausend Mann viel kleiner als das der Gegner,aber seine Anführer waren Helden wie Hagen von Tronje,Volker von Alzey, König Gernot. Und die zwölf Heldenvon Xanten am Rhein kämpften mit Siegfried. Die Hufeihrer Pferde wirbelten so viel Staub auf, daß die Spitzenihrer Speere grau wurden.

Im Heer der Sachsen blitzten noch weit mehr geschlif-fene Schwerter, das Feld schien überflutet von funkeln-dem und schimmerndem Metall.

Dann prallten die Heere aufeinander; die Burgundendrangen in die Scharen der Feinde ein. Gernot und Sin-dold streckten manchen Gegner nieder. Volker, Hagenund Ortwin löschten ihre Kriegswut mit Bächen von Blut,die sie den Dänen und Sachsen aus den Gliedern schlugen.Vom Zusammenprall krachten Schilde, Speerschäfte bra-chen, Schwerter klirrten. Wo Siegfried focht, blieb kein

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