Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

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Geschichte der griechischen Sprache I Bis zum Ausgang der klassischen Zeit von Prof. Dt. O. Hoffmann und Prof. D. Dr. A. Debrunner Vierte Auflage, bearbeitet von Dr. Anton Scherer o. Professor an der Universität Heidelberg Sammlung Gösdien Band 111/111 a Walter de Gruyter & Co. Berlin 1969 vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung - J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer · Karl J. Trübner - Veit & Comp.

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Geschichte der griechischen Sprache

I

Bis zum Ausgang der klassischen Zeit

von

Prof. Dt. O. Hoffmann und Prof. D. Dr. A. Debrunner

Vierte Auflage, bearbeitet von

Dr. Anton Scherer o. Professor an der Universität Heidelberg

Sammlung Gösdien Band 111/111 a

Walter de Gruyter & Co. Berlin 1 9 6 9 vormals G. J . Göschen'sehe Verlagshandlung - J . Guttentag,

Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer · K a r l J . Trübner - Veit & Comp.

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© Copyright 1969 by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J . Gösdien'sdie Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit ic Comp., Berlin 30. — Alle Redite, einsdil. der Redite der Herstellung yon Photokopien und Mikrofilmen, vom Verlag vorbe-halten. — Ardiiv-Nr.: 7990691. — Satz: Walter Pieper, Würzburg. —

Drude: E. Rieder, Stilrobenhausen. — Printed in Germany.

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Inhalt

I. Grundlagen (§ 1—25) 6 1. Die indogermanische Herkunft des Griechischen

CS 1 - 4 ) 6

2. Die indogermanischen Nachbarsprachen (§ 5—12) 9 3. Vorgriediisdie Sprachen (§ 13—25) 15

II . Mykenisch (§ 26—30) 25

I I I . Die Dialekte (§ 31—68) 29 1. Die Gliederung der griecKisdìtìfl Dialekte

(S 31—40) 29 2. Ionisdi-Attisdi (§ 41—51) 34 3. Arkadokyprisdi (§ 52—53) 42 4. Aiolisch (§ 54—59) 43 5. Westgriechisch (§ 60—67) 46 6. Pamphylisdi (§68) 51

IV. Umgangsspradie und Urkundensprache (§ 69—83) . . 53 1. Die Inschriften (§ 69—71) 53 2. Die Volkssprache (§ 72—80) 54 3. Die Staats- und Gemeinsprache (§ 81—83) . . . 58

V. Literatursprachen (§ 84—238) 60 1. Literaturgattung und Dialekt (§ 84—88) . . . . 60 2. Die Überlieferung der Literatursprachen

(§ 89—95) 62 3. Homer (§ 96—105) 65 4. Hesiod (§ 106) 70 5. Die Elegie (§ 107—116) 71 6. Das Epigramm (§ 117—122) 77 7. Der Jambus und Trodiäus (§ 123—128) . . . . 81 8. Das Melos (§ 129—140) 84 9. Das Chorlied (§ 141—161) 90

10. Die attische Tragödie (§ 162—182) 102 11. Die alte Komödie (§ 183—205) 114 12. Die Prosa (§ 206—238) 126

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Register 144 I. Namen- und Sadiregister 144

II. Grammatisches Register 145 III. Bemerkenswerte Wörter 147

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Zur Einführung in die griechische Sprachgeschichte dienen P. K r e t s c h m e r , Sprache (Einleitung in die Altertumswis-

senschaft von A. Gercke und Ed. Norden. I 6, 3. Aufl., Leipzig-Berlin 1923) 66—102.

Α. M e i 11 e t , Aperçu d'une histoire de la langue grecque, 5. éd. Paris 1938 (Neudruck 1948). Deutsche Übersetzung von H. M e i t z e r : Geschichte des Griechischen, Heidelberg 1920.

V. Ρ i s a η i , Storia della lingua greca, Turin 1959. Ed. S c h w y z e r , Griechische Grammatik, I (2.Α., München

1953), 45—137. Α. T h u m b , Handbuch der griechischen Dialekte, 2. Aufl.,

1. Teil von E. K i e c k e r s , fleidelberg 1932; 2. Teil von A. S c h e r e r , ebd. 1959.

J. W a c k e r n a g e l , Die griechische Sprache (Die Kultur der Gegeftwart von P. Hinneberg, I 8, 3. Aufl., Leipzig-Berlin 1912, S. 371—397).

Abkürzungen und Zitate Α, Β, Γ usw. = Bücher der Ilias; α, β, y usw. = Bücher der

Odyssee; Fr. = Fragment; IG - Inscriptiones Graecae. Β e c h t e 1, Dial. = Fr. B e c h t e l , Die griechischen Dia-

lekte, 3 Bände, Berün 1921—1924. H o f f m a n n , Dial. — O . H o f f m a n n , Die griechischen

Dialekte, 3 Bände, Göttingen 1891—1898. S c h w y z e r , Dial. = Ed. S c h w y z e r , Dialectorum Grae-

carum exempla epigraphica potiora, Leipzig 1923. Die Nummern der Fragmente beziehen sich, sofern nicht etwas

anderes angegeben ist, auf folgende Ausgaben. Hesiod: Rzach (1912, Neudrude 1958); Elegie u. Jambus: Diehl, Anthologie lyrica, ed. tertia (1949/52); Alkaios u. Sappho: Lobel-Page, Poe-tarum Lesbiorum fragmenta (1955, Nachdruck 1963); Alkman, Anakreon, Korinna usw.: Page, Poetae melici Graeci (1962); Bakchylides: Snell (1961); Pindar: Snell (1959/64); Tragiker: Nauck, Tragicorum Graecorum fragmenta, 2. Aufl. (1889), bzw. Pearson, The Fragments of Sophokles (1917).

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I. Grundlagen

1. Die indogermanische Herkunft des Griechischen

1. Die griechische Sprache ist ein Glied der indogermanischen Sprachfamilie. Sie geht in ihrem Ursprung zurüdc auf deren ge-meinsame Vorstufe, das „Urindogermanische". Was sie an Wör-tern und Flexionsformen besitzt, ist zum weitaus größten Teil Erbgut aus einer Zeit, die ihrem Sonderdasein vorausliegt. Jene Grundsprache kann mit Hilfe der aus ihr hervorgegangenen histo-rischen Einzelsprachen in ihren Lauten und Formen bis zu einem gewissen Grade rekonstruiert werden. Trotzdem muß man schon für die Epoche vor ihrem Zerfall mit erheblichen dialektischen Verschiedenheiten rechnen, die wohl besonders die Verbal- und Proffominalflexion sowie den Wortschatz betrafen.

Eine kurzgefaßte Einführung in die Tatsachen der vergleichen-den Laut- und Formenlehre bietet Η. Κ r a h e , Indogermanische Sprachwissenschaft, 2 Bände, 3. Α. 1958/59 (Sammlung Göschen Bd. 59 u. 64). Uber die neueren Arbeiten, die die Problematik der Erschließung einer indogermanischen Grundsprache und die Frage nach den Wohnsitzen der Indogermanen betreffen, orien-tieren die Forschungsberichte von A. S c h e r e r in Kratylos 1 (1956) und 10 (1965). Zur Geschichte der Urheimatfrage s. auch den Sammelband „Die Heimat der Indogermanen", hsg. von A. S c h e r e r , Darmstadt 1968.

2. Die charakteristischen Züge, welche dem Griechischen gegen-über dem Indoiranischen, Italischen, Keltischen, Germanischen, Baltoslavischen und anderen verwandten Sprachzweigen seine Eigenart verleihen, sind offenbar erst nach der Loslösung aus der ursprünglichen Völkergemeinschaft entstanden, wohl infolge ge-genseitiger sprachlidher Beeinflussung zwischen Einzelstämmen, aus denen schließlich die historischen griechischen Stammes- und

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Die indogermanische Herkunft des Griechischen 7

Dialektgruppen hervorgingen. Es ist durchaus möglich, daß diese Angleichung erst auf griechischem Boden stattgefunden hat.

Jedenfalls kann nicht die Rede davon sein, daß eine Vorstufe des Griechischen als „Dialekt" innerhalb des Urindogermanischen bestanden habe. Vielmehr sind verwickelte Vorgänge der Um-gruppierung von Stämmen schon seit ältesten Zeiten anzunehmen.

Auch die Vorstellung von einem einheitlichen „Urgriechisch", aus dem sich dann die einzelnen griechischen Dialekte ausgeson-dert hätten, ist fraglich geworden. Zwar ergibt sich bei einer chronologischen Betrachtung, daß von den späteren Dialektunter-schieden gerade die auffälligsten meist aus relativ junger Zeit stammen, so daß für die älteste Periode nicht mehr allzuviele nachweisbare Divergenzen übrig bleiben (so ζ. Β. -μεν : -μες in der 1. P. Pl.; τότε : τότα : τόκα; ε'ι : αϊ; αν : κε), und noch um 1200 ν. Chr. würden sich darnach die späteren großen Dialekt-gruppen nur wenig voneinander abheben. Man muß aber wohl annehmen, daß die feststellbaren alten Differenzen nur der Rest sind, der nach einer Zeit fortschreitender Ausgleichung von ur-sprünglich größerer Verschiedenheit noch übrigblieb. Zwischen dem Vorgang der Ausgleichung durch Beseitigung von Unter-schieden und dem einer neuen Differenzierung durch sprachliche Neuerungen, die nur einen Teil des gesamten Sprachgebiets er-faßten, kann es eine Periode relativer Einheitlichkeit gegeben haben; besonders wahrscheinlich ist das aber nicht. Die erwähnte „Abstrichmethode" führt natürlich nur auf das, was wenigstens in e i n e m größeren Dialektraum erhalten geblieben ist, nicht auf das, was ganz beseitigt oder so zurückgedrängt wurde, daß es dann als Einzelzug eines Lokaldialektes erscheint.

Die Charakteristika des Griechischen siehe bei T h u m b -K i e c k e r s 2ff.; W. B r a n d e n s t e i n , Griech. Sprachwis-senschaft I, 1954, 10—12 (Sammlung Gôschçn, Bd. 117); J. C h a d w i c k , The Prehistory of the Greek Language (The Cambridge Ancient History I I 39), Cambridge 1964.

Die indogermanischen Einzelvölker sind, wie B o s c h - G i m -p e r a betont (Les Indo-Européens, Paris 1961, 97 ff.), das Re-

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8 Grundlagen

sultat sehr verwickelter Vorgänge; sie sind Konglomerate aus ursprünglich getrennten Elementen von manchmal sehr verschie-denartiger Herkunft. Das bedeutet aber nicht, daß auch ihre Sprachen eine Mischung von heterogenen Bestandteilen enthalten müssen, denn vielfach wird sich das Idiom einer überlegenen Gruppe innerhalb der Zusammenballung von Stämmen durchge-setzt haben, wobei von der Sprache der anderen nur verhältnis-mäßig geringe Reste übrig blieben (vgl. A. S c h e r e r , Kratylos 10, 1965, 14f.). — Zur Frage des „Urgriechischen" vgl. V. P i -s a n i , Rhein. Mus. 98 (1955), 10—14 und Storia 20—28; F. R. A d r a d o s , La toponimia y el problema de las „Ur-sprachen", Vll th Intern. Congr. of Topon. and Anthropon., Salamanca 1955, I 93 ff. — Zur relativ späten Entstehung der meisten Dialektunterschiede: E. R i s c h , Mus. Helv. 12 (1955), 61 fi. und in: Le Protolingue, Atti del IV Convegno Intern, di Linguisti 1963 (1965), 91 fi. — Äußerungen verschiedener For-scher zu den hier besprochenen Problemen s. in: Studia Mycenaea, hrsg. von Α. Β a r t ο η ë k , Brünn 1968, S. 159 ff.

3. In vielen Einzelzügen stimmt das Griechische jeweils nur mit einem Teil der verwandten Sprachen zusammen und steht in einem Gegensatz zu anderen. Die Übereinstimmungen deuten auf alte Nachbarschaft und man kann versuchen mit ihrer Hilfe zu bestimmen, aus welchen Teilen des ursprünglichen indoger-manischen Sprachgebiets jene Dialekte herkamen, die dann zum Griechischen verschmolzen. Zur Beantwortung dieser Frage trägt es ziemlich wenig bei, daß das Griechische zusammen mit dem Italischen, Keltischen und Germanischen sowie mit dem Hethiti-sehen und Tocharischen der Gruppe der „Kentumsprachen" ange-hört, die hinsichtlich der Behandlung der alten ¿-Laute zu den „Satemsprachen" in Gegensatz stehen (Indoiranisch, Armenisch, Albanisch, Baltoslavisch). Die entscheidenden Neuerungen, auf die es für die Feststellung einer näheren Verwandtschaft an-kommt, liegen hier auf Seiten der Satemsprachen. Dagegen hat die weitergehende Bewahrung des Alten in den Kentumsprachen keine Beweiskraft für eine engere Zusammengehörigkeit zwischen diesen, zumal eine etwaige alte Dialektgrenze gegenüber den Satemsprachen nicht nur bei den ¿-Lauten, sondern auch sonst in

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Die indogermanischen Nachbarsprachen 9

der Lautentwicklung, in den Formen und im Wortschatz deut-liche Spuren hinterlassen haben müßte.

Andererseits gibt es eine beträchtliche Zahl von Neuerungen, die entweder nur in den westlichen Sprachen (Italisch, Keltisch, Germanisch, Illyrisch) oder nur in den östlichen auftreten, und zwar hier ohne Rücksicht auf die Kentum-Satem-Sdieide. Das Griechische gehört zu der östlichen Gruppe, zusammen mit Indo-iranisch, Armenisch, Phrygisch, Albanisch, Baltoslavisdi, mög-licherweise auch Hethitisdi und Tocharisch.

Vgl. W. Ρ o r ζ i g , Die Gliederung des indogerm. Sprachge-biets, Heidelberg 1954; S c h w y z e r , Gramm. 1, 53—58.

4. Demgegenüber können die wenigen speziellen Übereinstim-mungen des Griechischen mit dem Oskisch-Umbrischen und dem Lateinischen nicht ins Gewicht fallen. Sie deuten nicht, wie man früher glaubte, auf besonders enge vorgeschichtliche Beziehungen, sondern beruhen meist auf unabhängiger Parallelentwicklung. So erhielt der Gen. PI. der ¿-Stämme nach dem Vorbild der Pro-nominalform *täsöm (hom. ταων, lat. (is)tärum) den Ausgang -αων, -ων, osk. -äzum, lat. -ärum, und die 3. P. PI. des Impera-tivs nach dem Indikativ auf -onti (dor. -οντι, lat. -uní) den Aus-gang -όντω(ν), lat. -untö.

Über die Gründe gegen die „gräko-italische" Hypothese s. ζ. B. S c h w y z e r , Gramm. 1, 57f.

2. Die indogermanischen Nachbarsprachen

5. Bevor die griechischen Stämme in ihre späteren Sitze ein-wanderten, standen sie, weiter im Norden der Balkanhalbinsel, wohl längere Zeit in Berührung mit einem Teil der Völker indo-germanischer Sprache, die dann in historischer Zeit im Norden und Osten ihre Nadibarn waren. Vielleicht wurden manche sprachlichen Veränderungen, die einzelnen griechischen Dialekten mit diesen Nachbarsprachen gemeinsam sind, schon damals voll-zogen. Aber auch nach der Besetzung Griechenlands und der

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Ägäis durch die (später so genannten) Griechen beschränkte sich die Berührung mit sprachverwandten Völkern nicht auf die Grenzgebiete: Illyrier und Thraker drangen vielleicht zusammen mit griechischen Stämmen, möglicherweise aber vor oder nach ihnen, in Hellas ein (§§ 6—8, 10); stärker war der Einfluß der Vorbevölkerung, die zum Teil dem hethitisch-luwischen Sprach-zweig des Indogermanischen zugehörte (§§ 12, 16 fi.).

6. Vom Nordwesten der Balkanhalbinsel drängten die I l l y -r i e r nach Epirus und überfluteten die Ebene, in der der älteste Kultmittelpunkt der Griechen, das Zeusheiligtum von Dodona, lag. Die epirotischen Stämme der Χάονες, Μολοσσοί, Άτιντάνες, Παραυαϊοι werden von Thukydides 2, 80. 81 „Barbaren" ge-nannt. Auch über Akarnanien und Aitolien breiteten sich fremd-sprachige Stämme aus. Die Άμφίλοχοι im Binnenlande waren βάρβαροι; nur unmittelbar am Ambrakischen Meerbusen gelang es, sie zu hellenisieren (Thuk. 2, 68, 5). Von den Eurytanen im obern Aitolien wurde eine ganz unverständliche Sprache geredet (Thuk. 3, 94, 5 άγνωστότατοι γλώσσαν . . . είσίν).

7. In den uns erhaltenen, meist jungen inschriftlichen Sprach-denkmälern dieser westmittelgriechischen Landschaften sind keine Einflüsse des Eindringens von Illyriern greifbar. Die Sprache die-ser Inschriften weist neben allgemein-dorischen Zügen einige mit dem Lokrischen und Phokischen (das vor allem durch Delphi vertreten ist) gemeinsame Sonderzüge auf, die eine (lockere) Zu-sammenfassung zu einer Gruppe der „nordwestgriechischen" Dialekte rechtfertigen (vgl. § 60). S. audi T h u m b - K i e c k e r s §190—315; S c h w y z e r , Gramm. 1, 92.

Wenn bei Euripides in den Phoinissen 138 der Aitoler Tydeus der Antigone als ,,άλλόχρως 8πλοισι μιξοβάρβαρος" erscheint, so ist es immerhin kühn, daraus zu folgern, daß zur Zeit des Euripides wirklich eine illyrisch-griechische Mischbevölkerung in Aitolien gelebt und dem Dichter vorgeschwebt habe. Dodona blieb jedenfalls, wie die bei den Ausgrabungen dort gefundenen Inschriften bewiesen haben, als reingriechische Insel mitten im illyrischen Gebiet erhalten. Und später wurde durch die korin-

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Die indogermanischen Nachbarsprachen 11

thischen Kolonien Leukas, Ambrakia, Anaktorion, Korkyra mit Epidamnos die ganze Küste aufs neue hellenisiert.

8. Möglicherweise ebenso alt wie die Besetzung des Epirus durch die Illyrier ist das Vordringen illyrischer Scharen über weite Gebiete Griechenlands hin. Sprachliche Spuren, die mit dem Illyrischen in Verbindung gebracht werden können, finden sich zwar bei weitem nicht so viele, wie man früher geglaubt hat, aber doch in beachtlicher Zahl. Der Name der unterworfenen Hörigen in Thessalien, Πενέσται, deckt sich mit dem des illyri-schen Stammes der Penestae (dasselbe Suffix in Deraemistae, Pirustae u. a.) und das thessalische Δώτιον πεδίον ist nicht zu trennen von den Stadtnamen Άρ-δώτιον und Epi-dotium in Illyrien. Eine der drei Phylen in Sparta, die Ύλλεϊς, trägt den Namen eines illyrischen Stammes, der auch "Υλλοι oder Ύλλεϊοι genannt wird. Vom 6. Jhd. an begegnet man mehrfach Personen-namen illyrischer Herkunft in Griechenland, die möglicherweise auf Bevölkerungsreste deuten könnten. Meist sind es Leute nied-riger Stellung, ζ. B. im 6. Jhd. Ολτος, Töpfer attischer Vasen, und Βαιυλος (vgl. ill. Baiula fem.; allerdings ist Ableitung von griech. βαιός „klein, gering" möglich), freigelassener Sklave in Olympia. Doch findet sich auch ein Mann von Rang: der Eleer Τευτίαπλος (Thuk. 3, 29, 2). Illyrische Personennamen gibt es aber wohl auch schon in mykenischer Zeit in Pylos und Knossos; so etwa te-u-to, ne-ri-to, pa-ti, pa-to-ro, sa-sa-jo, vgl. ill. Τεύτα fem., Neritus, Pantis, Πατρών^ Sasaius.

Vgl. A. v. B l u m e n t h a l , Hesych-Studien, Stuttgart 1930; H. K r ä h e , Die Illyrier in der Balkanhalbinsel (Die Welt als Geschichte 3, 1937, 284 ff.); ders., Die Indogermanisierung Grie-chenlands und Italiens, Heidelberg 1949; A. S c h e r e r , Fremd-sprachige Personennamen im alten Griechenland, in Symbolae linguist, in hon. G. Kurylowicz, 1965, 255 ff. (vgl. auch: For-schungen u. Fortschritte 39, 1965, 59).

Die ganze Literatur über das Illyrische und seine Verbreitung leidet unter dem Grundfehler, daß vom Namenschatz der römi-schen Provinz Illyricum ausgegangen wurde, zu der außer wirk-

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lidien Illyriern auch Libuíner, Istrer und ándete Völker gehörten. Siehe darüber bes. H. K r o n a s s e r , Zum Stand der illyristik, in Linguistique Balkanique 4, 1962, 5 fi.; ders., IUyrier und IÜy-ricum, in: Die Sprache 11 (1965), 155 fi. Vgl. noch S c h e r e r , Kratylos 8 (1963), 51 f.

9. Wesentlich anders war das Verhältnis der Griechen zu ihren nordöstlichen Nachbarn, den M a k e d o n e n . Deren Herrscher-haus beanspruchte, als hellenisch zu gelten. Freilich erreichte erst Alexander I. die Zulassung zu den Olympischen Spielen (Herodot 5, 22, 2). Vermutlich war die Oberschicht Makedoniens griechisch (oder eher früh hellenisiert), und sie herrschte über eine nicht-griediisdie, doch indogermanische Bevölkerung, die vielleicht den Illyriern oder den Phrygern nahestand.

Die sprachlichen Reste des Makedonischen (Eigennamen und Glossen) zeigen starke Anklänge an das Griechische, die aber auf Entlehnung beruhen werden. Ein bemerkenswerter lautlicher Unterschied gegenüber dem Griechischen ist der Wandel von indog. bh, dh, gb in b, d, g (griech. pb, tb, kb), ζ. Β. δάνος : θά-νατος. Darin geht das Makedonische u. a. mit Illyrisch und Phry-gisch zusammen (im Thrakisdien weichen die Palatale ab, die zu Zischlauten geworden sind). Namen wie Φίλιππος und *ΦερενΙχη wurden dem Makedonischen angepaßt als Βίλιππος, Βερενίκα; dabei sind -irato ς, -νίκα rein griechisch geblieben.

Literatur: T h u m b - K i e c k e r s 9 f.; S c h w y z e r , Gramm. 1, 69—71; O. H o f f m a n n , Die Makedonen, ihre Sprache und ihr Volkstum, Göttingen 1906; ders., in Pauly-Wis-sowa, Realenc. 14 (1928), 681—697; H. K r ä h e , Beiträge zur Makedonenfrage, Ztsdir. f. Ortsnamenf. 2 (1935), 78—103; V. P i s a n i , La posizione linguistica del macedone, Revue Intern, des Études Balkaniques 3 (1937), 8fi.; J. Ν. K a l l é r i s , Les anciens Macédonien?. Étude linguistique et historique, Bd. 1, Athen 1954; V. G e o r g i e v , in: Linguistique Balkanique 3 (1961), 24—30.

10. Enge Berührungen hatten die Griechen seit früher Zeit auch mit den T h r a k e r n . Herodot 5, 3, 1 nennt sie das größte

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Die indogermanischen Nachbarsprachen 13

Volk nach den Indern, und in der Tat war ihre Ausdehnung bei Beginn der griechischen Geschichte eine ganz gewaltige — von der Küste des Thrakisdien Meeres und der Propontis bis hinauf an die Südabhänge der Karpaten, wo Daker und Geten von den Alten (Strabon 7, 10. 13 p. 303. 305) an ihrer Sprache deutlich als Thraker erkannt wurden. Über den Hellespont und die Pro-pontis wanderten thrakische Stämme schon früh, spätestens gegen 1200, nach Kleinasien hinüber. Dort waren vor allem die Bithyner ein thrakisches Volk, schon von Herodot 7, 75, 2 Θρήικες oi εν τη Άσίχι genannt; sie kamen vom Strymon: το δέ πρότερον έκαλέοντο, ώς αύτοί λέγουσι, Στρυμόνιοι, οίκέοντες έπί Στρυ-μόνι.

Wieviel die Sprache der Griechen, namentlich im Wortschatz, der thrakischen verdankt, ist schwierig zu bestimmen, weil uns von dieser außer den Orts- und Personennamen nur verschwin-dend wenig erhalten ist. Wahrscheinlich gehören zu den thraki-schen Sprachresten auch die kleinen Inschriften in nichtgriechi-scher Sprache, die auf Samothrake gefunden worden sind (s. G. B o n f a n t e in Hesperia 24, 1925, 93 fi. und K. L e h m a n n ebd. 101 fi.).

In Mittelgriechenland lebte die Erinnerung an eine alte thraki-sche Bevölkerung fort. Daulis in Phokis galt als ihr Hauptsitz (Thuk. 2, 29, 3); θρςράδαι hieß ein Priestergeschlecht in Delphi (Diodor 16, 24); dort wird in der ersten Hälfte des 4. Jhd. ΘρςΙξ als Name eines Ardions genannt. Nach Thespiai und dem Helikon in Boiotien sollten Thraker aus Pierien den Musendienst gebracht haben (Strabon 9, 25 p. 410; 10, 17 p. 471); ein Ort Φρύγια lag nach Thukydides 2, 22, 2 zwischen Bòiotien und At-tika. Sind diese Zeugnisse wirldich auf eine alte thrakische (und phrygisdie) Einwanderung zu beziehen, so können es nur einzelne versprengte Volkssplitter gewesen sein, die vielleicht zusammen mit griechischen Stämmen nach Mittelgriechenland verschlagen wurden. Möglicherweise ist gerade durch sie der Dionysoskult, dessen thrakischer Ursprung außer Zweifel steht, mit Theben ver-knüpft worden. Schon in mykenischer Zeit war der thrakische Gott auch im Peloponnes bekannt, wo er in Pylos zweimal ge-nannt wird (di-wo-nu-so-jo, Gen.).

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14 Grundlagen

Literatur: D. D e t s c h e w , Die thrakisdien Sprachreste, Wien 1957; ders., Charakteristik der thrakisdien Sprache, in: Linguistique Balkanique 2 (1960), 144—213; J. W i e s η e r , Die Thraker, Stuttgart 1963; A. S c h e r e r , Fremdsprach. PN. (s. § 8), 256 ff. (unsicheres Material aus Pylos und Kreta ebd. 262 und in Forschungen u. Fortsdiritte 39, 1965, 59); VI. G e o r -g i e v , Die Deutung der altertüml. thrak. Inschrift aus Kjolmen, Linguistique Balkanique 11, 1966, 7—23; R. S c h m i t t -B r a n d t , Die thrak. Inschriften, Glotta 45, 1967, 40—60.

11. Audi die P h r y g e r waren, wie die griechische Über-lieferung noch weiß (ζ. B. Herodot 7, 73), von der Balkanhalb-insel her nach Kleinasien gekommen. Wohl nur versprengte Scharen von ihnen gelangten nach Griechenland, wo einige Spuren auf sie hinweisen (vgl. § 10).

Die früher angenommene besonders enge Verwandtschaft des Phrygischen mit dem Thrakischen hat sich nicht bestätigt. Viel-mehr hat es nähere Beziehungen zum Griechischen, Armenischen, Indoiranischen und Baltoslavisdien (vgl. § 3). Die aus der Kaiser-zeit stammenden „neuphrygischen" Inschriften zeigen einen star-ken Einfluß von Seiten des Griechischen, der die möglichen älteren Gemeinsamkeiten verdeckt. Die Ähnlichkeit der phrygi-schen Sprache mit der griechischen ist schon Piaton aufgefallen (Kratylos 410).

Literatur: R. G u s m a n i , Studi sulP antico frigio (Istituto Lombardo, Rendiconti 92, 1958, 835 ff.); ders., Il frigio e le altre lingue indeuropee (ebd. 93, 1959, 17ff.); O. H a a s , Die phryg. Sprache im Lichte der Glossen u. Namen, in: Linguistique Bal-kanique 2 (1960), 25 fi.; ders., Die phryg. Sprachdenkmäler, ebd. 10 (1966); D ^ D e t s c h e v , ebd. 186ff.; R. H a u s c h i l d , Die iridog. Völker u. Sprachen Kleinasiens, Berlin 1964 (Sitz.-Ber. d. Sächs. Ak. 109, 1), S. 72—81; W. Dr e s s 1e r , Armenisch und Phrygisch, Handes Amsorya 78 (1964), 485^498.

12. In Kleinasien lebten die Griechen in engsten Beziehungen mit den L y d e r η und Κ a r e r η. Beim Fortschreiten der Ko-lonisation kamen sie auch mit weiteren Völkern, wie den Ly-kiern, Kilikem, Paphlagonen, immer mehr in Berührung. Man hat sie alle lange Zeit einer besonderen, von den Indogermanen ver-

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Vorgriediisdie Sprachen 15

schiedenen, „kleinasiatischen" Völker- und Sprachenfamilie zuge-redinet, vor allem unter dem Einfluß von P. K r e t s c h m e r s epochemachendem Werk „Einleitung in die Geschichte der grie-chischen Sprache" (Göttingen 1896), in dem ihre enge Verwandt-schaft mit der vorgriechischen Bevölkerung von Hellas heraus-gearbeitet wurde (vgl. §15 ff.). Nun hat sich aber infolge der Entzifferung des Keilschrifthethitisdien und der „hethitischen" Bilderschrift die Lage geändert. Es war damit ein neuer Zweig des Indogermanischen erschlossen und man hat dann in den am besten bekannten Sprachen des späteren Kleinasiens, dem Lydi-schen und Lykischen, immer mehr Berührungspunkte mit dem Hethitischen und vor allem dem damit nahe verwandten Luwi-schen gefunden. Man faßt diese Sprachen heute 2x1 einer h e t h i -t i s c h - l u w i s c h e n ( „ a n a t o l i s c h e n " ) Gruppe zusam-men, die zwar stark verfremdet ist, aber doch zum Indogermani-schen gehört. Daneben mögen sich manche Völker Kleinasiens der Indogermanisierung entzogen haben.

Literatur: F. S o m m e r , Hethiter und Hethitisch, Stuttgart 1947, bes. S. 30—38; H. P e d e r s e n , Lykisch und Hittitisdi, 2. Aufl., Kopenhagen 1949; F. J. T r i t s c h , Lycian, Luwian and Hittite, in: Archiv Orientální 18 (1950), 494ff.; E. L a -r o c h e , Comparaison du louvite et du lycien, Bull. Soc. Ling. 53 (1958), 159ff.; H. K r o n a s s e r in: Indeuropeo e Proto-storia, Mailand 1961, 81 ff.; L. Ζ g u s t a , Anatolische Personen-namensiijpen, Prag 1964; A. K a m m e n h u b e r , Die Sprachen des vorhellenistischen Kleinasiens in: Münch. Stud. ζ. Sprachw. 24 (1968), 55 ff.

3. Vorgriediisdie Sprachen

13. Als die Vorfahren der Griechen in Griechenland eindran-gen, stießen sie dort auf eine fremde, in Kultur und Sprache ver-schiedene Bevölkerung. Dunkle Erinnerungen an sie, von der Volkssage und der dichterischen Phantasie überrankt, blieben bei den Griechen bis in die klassische Zeit erhalten und knüpften sich besonders an den Namen der Ρ e 1 a s g e r. Mit ihm war die Vor-stellung einer nichtgriechischen autochthonen Bevölkerung ver-

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bunden, wie ja audi die Πελασγοί in der Ilias (B 840 ff. Κ 429. Ρ 288) an der Seite der Troer gegen die Griechen kämpfen. Thes-salien ist die Landschaft, mit der die Pelasger am festesten ver-bunden erscheinen: hier lag mitten in der Peneiosebene, im Πελασγικόν "Αργός (Β 681), das später Πελασγιώτις hieß, ihre Hauptstadt Λάρισα. Aber audi an der Ostküste Mittelgriedien-lands und auf dem Peloponnes werden sie als die ältesten Be-wohner des Landes den Griechen gegenübergestellt. Herodot weiß, daß es in Attika eine ältere pelasgisdi-barbarische Bevölke-rung gegeben hat. Auf dem Peloponnes werden von ihm die Πελασγοί ΑΙγιαλέες 7, 94, die Άρκάδες Πελασγοί 1, 146, 1 erwähnt. Bis nach Kreta hin reichte der Name des Volks: zu den Bewohnern der Insel zählten nadi der Odyssee τ 175 ff. auch die δΐοι Πελασγοί.

Die Zeugnisse über die Ausdehnung der Pelasger sind gesam-melt bei Karl Otfried M ü l l e r , Die Etrusker, 2. Aufl. von W. D e e c k e , Stuttgart 1877.

Einige Namen, die in der literarischen Überlieferung mit zwei-felhaftem Recht Pelasgern zugeschrieben werden, können illyrisch sein, so Ακρίσιος und vielleicht Τεύταμος. Darnach könnten die Pelasger oder wenigstens ein Teil von ihnen zu einer alten illyri-schen Einwanderungssdiidit gehören (vgl. § 8). S. dazu F. L o c h n e r - H ü t t e n b a c h , Die Pelasger, Wien 1960, S. 151 ff. Aber sehr viel eher dürfen wir echt Pelasgisdies in den ungriechisdien Orts- und Personennamen der nach diesem Volk benannten Pelasgiotis vermuten, vor allem in den außerordentlidi fremdartigen Namen einer Liste von Phratrien o. dgl. aus Larisa (IG IX 2, 524), auf die G. N e u m a n n in seiner Besprechung des genannten Buches von Lochner-Hüttenbach (Gnomon 34, 1962, 374) aufmerksam macht. Sie sind anscheinend von Per-sonennamen abgeleitet, ζ. Β. Ικκίδαι von Ικκος, bezeugt in Epi-dauros und' Tarent (also möglicherweise auf „hylleisdier" Grund-lage beruhend, s. § 8). An illyrische Namen erinnern die Κανδά-δαι und Κατουίδαι (vgl. etwa Candalio, Catori), zugleich aber an kleinasiatische (ζ. B. pisid. Κανδων, 1yd. Katova-). Weitaus die meisten Fremdnamen der Pelasgiotis haben jedoch weder im Illy-risdien nodi in Kleinasien Entsprechungen und vielleicht liegt gerade in ihnen das eigentliche Pelasgisdie vor.

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Vorgriediisdie Sprachen 17

14. Neben den Pelasgern nennt die Überlieferung die L e l e -g e r , deren Name später besonders an den mittelgriechischen Landschaften Akarnanien, Lokris, Boiotien und Euboia haftet. Auf dem Peloponnes ist Λέλεξ als Autodbthone der erste König Lakoniens. Am längsten, bis in die geschichtliche Zeit hinein, be-hauptete sich das Volkstum der Leleger auf den Kykladen und an der kleinasiatischen Küste, von Antandros, das bei Alkaios Λελέγων πόλις heißt, abwärts bis nach Halikarnaß hin. Zwar fielen in der südlichen Hälfte die altlelegisdien Städte den nach Norden und Westen vordringenden Karern in die Hände: dodi bemerkt Strabon 13, 58 p. 611 έν δλη δέ Καρίφ και έν Μιλήτφ Λελέγων τάφοι καΐ έρύματα και ίχνη κατοικιών δείκνυται. Neben den Pelasgern und Lelegern spielen auch noch andre fremde Völker in den Überlieferungen über die griechische Vor-geschichte eine Rolle: dodi treten sie hinter jenen zurück.

Vgl. nodi: P. K r e t s c h m e r , Die Leleger und die ostmedi-terrane Bevölkerung, Glotta 32 (1953), 161 ff.

15. Herodot (1,171) und Thukydides (1, 4, 8) nennen Κ a r e r als ehemalige Bewohner Kretas und der Kykladen. Tatsächlich ergibt sidi eine, auch das griechische Festland umfassende, „ k l e i n a s i a t i s c h - ä g ä i s c h e " Sprachsdiicht aus der weit-gehenden Übereinstimmung in den Namen von Städten, Bergen und Flüssen, die Griechenland und die Inseln der Ägäis mit Kleinasien verbindet. Sie betrifft sowohl die Namenstämme wie auch die Suffixe; vgl. ζ. Β. Κνωσσός auf Kreta mit Άλωσσός in Karien und Πειρωσσός in Mysien, Μυκαλησσός in Boiotien und Karien. Wie dicht die griechischen Landschaften mit solchen frem-den Namen übersät waren, zeigt am besten Attika. Ungriechisch sind die Namen aller attischen Gebirge: 'Υμηττός, Βριληττός, Λυκαβηττός, Άρδηττός bei Athen (-ηττός für -ησσός nach atti-scher Aussprache); Πάρνης, Πάρνηθος und Παρνασσός (mit un-griechisdiem -ασσός) sind gleichen Stammes. Die Endung -ισός in den Flußnamen Κηφισός und Ίλισός war ebenfalls nicht grie-chisch. Der Flußname "Ερμος kehrt in Lydien wieder. Dazu kom-

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18 Grundlagen

men nodi die Demennamen: Γαργηττός und Συπαληττός, 'Γρι-κόρυνθος und Προβάλινθος; Κοθωκίδαι erinnert an den Orts-namen Άρμακοδωκα bei Mylasa in Karien, Περγασή an Πέργα-μος, Πέργη in Pamphylien und an karische Stadtnamen wie Μύλασά, Βάργασα, "Αρπασα u. a.

Diese „kleinasiatisch-ägäisdie" Schicht scheint großenteils Ele-mente zu enthalten, die auch in Kleinasien nicht den indoger-manischen Einwanderern (hauptsächlich der hethitisch-luwischen Sprachgruppe, s. § 12) von Haus aus angehörten, sondern durch sie von einem vorindogermanischen Substrat übernommen worden waren. Spuren dieser Namenschicht finden sich auch im südlichen Teil Italiens; vgl. ζ. B. den Stadtnamen Καλάσαρνα in Lukanien mit Μύκαρνα in Aitolien, Φαλάσαρνα auf Kreta, Άλασάρνδ auf Kos und Άλίσαρνα in Mysien; Λάρισ(σ)α in Kampanien wie oft in Griechenland und mehrmals in Kleinasien; Τελμησσός Fluß in Sizilien und Vorgebirge in Lykien (dazu auch Τελμισσός, Berg in Karien).

Literatur: P. K r e t s c h m e r , Einleitung (s. § 12), 293 fi., 401 ff.; ders., Glotta 28 (1940), 234—255; Η. Κ r a h e , Sprache und Vorzeit, Heidelberg 1954, 143ff., 161; A. S c h e r e r , Pa-phlagonische Namenstudien. In: Gedenkschr. W. Brandenstein (1968), 377 ff. — Zum Karischen auf Delos und in Akraiphia am Kopaissee vgl. G. N e u m a n n , Innsbrucker Beiträge zur Kul-turwiss., Sonderheft 24 (1967), 29.

16. Ohne Zweifel gibt es nun aber auch eine Menge vorgrie-diisches Sprachmaterial, das überzeugend aus dem Indogermani-schen erklärt werden kann. Dazu gehören nicht nur geographische Namen, sondern auch viele Vokabeln des griechischen Wort-schatzes, die den Eindruck von Lehnwörtern machen und nicht den griechischen Lautgesetzen gehorchen. Besonders charakte-ristisch sind Dubletten wie σΰς neben regelrechtem υς, τύμβος neben τάφος. Unter Annahme einer nichtgriechischen Lautver-tretung lassen sich dann ζ. B. die Städtenamen Γόρτυς, Γυρτών auf indog. *ghrdh-, *ghordh- zurückführen (vgl. slav. *gord~b

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„Stadt", phryg. Mane-gordum), oder audi auf *ghorto- (lat. bortus).

17. Für die vorgriedhische indogermanische Sprache, aus der solches Material stammt, wurden bestimmte Lautvertretungen festgestellt (V. G e o r g i e v , v a n W i n d e k e n s ) . Darnach soll dieses „ P e l a s g i s c h e " , wie man die unbekannte Sprache unter willkürlicher Verwendung des Pelasgernamens zu nennen pflegt, eine regelrechte Lautverschiebung aufweisen und zu den Satemsprachen (§ 3) gehören (dies u. a. wegen der freilich wenig überzeugenden Verbindung von άσάμινθος „Badewanne" mit altind. áíman- „Stein", gr. ακμών „Amboß"). Von vielen wird diese „pelasgische" These wenigstens im Prinzip anerkannt. Dodi ist sie kaum imstande, a l l e s Vorgriechisdie zu erklären. Ins-besondere die Ortsnamen mit typisch vorgriechischen Suffixen wie -ινθος, -υνθος, -ηνη, -άσσος, -υμος haben selten eine glaub-hafte indogermanische Etymologie.

Literatur: V. G e o r g i e v , Vorgriechische Sprachwissenschaft, 2 Teile, Sofia 1941/45; A. J. ν a n W i n d e k e n s , Le Pélasgi-que, Essai sur une langue indo-européenne préhellénique, Louvain 1952; ders., Contributions à l'étude de l'onomastique pélasgique, ebd. 1954; W. M e r l i n g e n , Das „Vorgriechische" und die sprachwissenschaftlich-vorhistorischen Grundlagen, Wien 1955; O . H a a s , Die Lehre von den indogerm. Substraten in Griechen-land, in: Linguistique Balkanique 1 (1959), 29—56.

18. Für einen Teil des vorgriechischen Sprachmaterials, wenn nicht für das ganze, ist der „pelasgischen" These eine andere Lösung vorzuziehen: der Anschluß an die Sprachen der h e t h i -t i s c h - l u w i s c h e n oder „ a n a t o l i s c h e n " Gruppe (§ 12). Die Behandlung der Versdilußlaute im Vorgriechischen, die den Eindruck einer Lautverschiebung erweckt, paßt zu der Indifferenz jener „anatolischen" Sprachen gegenüber der Artiku-lationsart der Verschlußlaute und ist wohl letzten Endes auf den Einfluß der vorindogermanisdien Urbevölkerung zurückzuführen. In dieselbe Richtung weisen die zahlreichen Personennamen aus Kreta und Pylos, die nicht aus dem Griechischen verständlich

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20 Grundlagen

sind, abet Namen der keilschriftlidien wie der jüngeren klein-asiatisdien Überlieferung genau entsprechen; vgl. A. S c h e r e r , Fremdsprachige PN. (s. § 8), 262 ff.; ders., Personennamen nicht-griechischer Herkunft im alten Kreta, in: Forschungen u. Fort-schritte 39 (1965), 57 fi.

Literatur: A. H e u b e c k , Praegraeca, Sprachliche Unter-suchungen zum vorgriechisch-indogermanischen Substrat, Erlan-gen 1961. — L. R. P a l m e r bringt das Vorgriechische und die Sprache des kretischen Linears A speziell mit dem Luwisdien zu-sammen (Luvian and Linear A, Transactions Philol. S oc. 1958, 75 fi.; Mycenaeans and Minoans, 2. ed., London 1965, 327 fi.), während Heubeck hauptsäditlich Beziehungen zum Lydisdien konstatiert. Vgl. auch G. H u x l e y , Crete and the Luwians, Oxford 1961.

19. Die in Kleinasien einwandernden Myser, Bithyner, Phryger haben geographische Namen der „kleinasiatisdi-ägäischen" Schicht von den nichtindogermanischen Vorbewohnern übernommen (vgl. ζ. Β. Πειρωσσός, Άλίσαρνα in Mysien, § 16). In den Sprachen der „anatolischen" Gruppe, so dem Hethitischen, Luwisdien, Lykisdien, Lydisdien ist audi der appellative Wortschatz sehr stark mit fremden Elementen durchsetzt. Darum können unter den Namen und Wörtern des heth.-luw. Substrats in Griechen-land (§ 18) viele ursprünglich nicht-indogermanisch sein. Soweit nicht bestimmte Gründe (etwa das Vorkommen des Etymons in den heth.-luw. Sprachen) auf Vermittlung durch das hethitisdi-luwische Substrat deuten, kann Nichtindogermanisches aber audi direkt von der Urbevölkerung an die Griechen gegeben worden sein; denn Reste der älteren Sprachschichten bestanden noch bis in die historische Zeit weiter (§ 20—22).

20. Noch im 5. Jahrhundert scheint es an der Peripherie des eigentlichen Griechenlands hier und da kleine Gebiete gegeben zu haben, in denen die vorgriechische Bevölkerung ihre Eigenart und Sprache dem griechischen Herrenvolk gegenüber behauptet hatte. Nach Herodot (1, 57, 2) wurde in den Pelasgerstädten Kreston in Thrakien, Plakie und Sky lake an der Propontis eine

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'βάρβαρος γλώσσα' gesprochen, und die Bewohner von fünf auf der Athoshalbinsel Akte gelegenen pelasgjschen Städten nennt Thukydides (4,109,4) 'βάρβαροι δίγλωσσοι'. Ob diese „barbari-sdie" Sprache wirklich das alte Pelasgisdie war, kann man be-zweifeln.

21. Dagegen hat eine im Jahre 1885 auf der Insel L e m n o s , wo nach Thukydides (a. a. O.) früher Τυρσηνοί wohnten, gefun-dene Doppelinschrift den Beweis erbracht, daß hier nodi im 6. Jahrhundert eine Sprache lebte, die mit dem Etruskisdien eng zusammengehört.

Es ist ein Grabstein, auf dem in groben Umrissen ein Krieger dargestellt ist; um den Kopf der Figur und längs der einen Seitenfläche läuft die Grabschrift. Ihr Alphabet ist ein griechisches aus dem 6. Jahrh. Zwei ihrer Wörter (avii sid%veii) hat man tref-fend mit den beiden etruskisdien Wörtern avil „Jahr "und iedii (ziemlich sicher „40") zusammengestellt: die Heimat der Etrusker lag wahrscheinlich in Kleinasien; sie gehören abo in den Kreis der Völker hinein, mit denen die älteste Bevölkerung Griechen-lands zusammenhing. Die lemnische Inschrift ist am besten ver-öffentlicht von E. N a c h m a n s o n , Die vorgriedhisdien In-schriften von Lemnos, Athen. Mitteil. 33 (1908), 47 fi. Bear-beitet ist sie u. a. von Α. Τ o r p , Die vorgriechische Insdirift von Lemnos, Christiania 1904; W. B r a n d e n s t e i n in Mit-teil. d. Altoriental. Gesellsch. 8,3 (1934), 1—51, und in: Europa (Festschrift E. Grumadi), Berlin 1967, 27—29. S. ferner Kretsdi-mer, Glotta 29 (1942), 89fi., H. R i x in: Gedenksdir. W. Bran-denstein (Innsbruck 1968), 213 ff.

Auch auf Kreta scheint es Etruskerspuren zu geben. Eine Menge dortiger geographischer Namen erinnert auffällig an Per-sonennamen der Etrusker (A. K a n n e n g i e ß e r , Klio 11, 1911, 26 fi.); vgl. ζ. Β. Μύρινα, Stadtname auf Kreta, Lemnos und in Mysien, M u r i n a , etruskischer Gentilname. — Unsichere Anklänge an etruskisch-lateinisdies Namengut finden sich auch unter den Personennamen in Knossos, z.B. ki-ke-ro (s. S c h e -r e r , Forschungen und Fortschritte 39, 59).

22. Nichtgriediisdie Sprachen auf K r e t a sind schon durdi die bekannte Odysseestelle τ 175 fi. bezeugt, wonach auf der Insel verschiedene Sprachen nebeneinander auf gleichem Raum gespro-

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22 Grundlagen

dien wurden (&λλη δ'άλλων γλωσσά μεμιγμένη): genannt wer-den dort neben den griechischen 'Αχαιοί und Δωριέες die Έτεόκρητες, Κΰδωνες und Πελασγοί. In einer dieser Sprachen sind wohl die Texte des Linears A geschrieben (vermutlich zum Anatoiischen gehörig, s. § 18). Aus Ägypten haben wir in einem medizinisdien Zauberpapyrus eine kretisdie Beschwörungsformel gegen eine Krankheit, in unbekannter Sprache, die mit ägypti-scher Schrift leider allzu undeutlich wiedergegeben wird (s. H. Th. B o s s e r t , Orientalist. Lit.-Ztg. 34, 1931, 303£E.). Davon wohl wieder verschieden ist die sogen, „eteokretische" Sprache, von der mehrere Bruchstücke, griechisch geschrieben, aus Praisos und Dreros vorliegen (revidierte Lesungen der Texte gibt M. G u a r d u c c i im III.Band der Inscr. Cret.). Sie stammen aus der Zeit vom 6. bis 4. Jhd. v. Chr. und ein kleines Fragment aus dem 3. Jhd. scheint sogar noch eine Zeile in Linearsdirift A zu enthalten. Außerdem haben wir von dieser Sprache einen Rest an ganz anderem Ort, nämlich auf einem protosizilischen Frag-ment aus Hybla Heraea, das im Wortlaut auffällig mit einem der Texte aus Praisos zusammengeht (s. U. S c h m o l l , Die vor-griechischen Sprachen Siziliens, Wiesbaden 1958, 36).

Welche Sprache die mit Stempeln eingeprägten Bildzeichen des Diskus von Phaistos wiedergegeben, ist unbekannt; G. N e u -m a n n in: Kadmos 7 (1968), 27 Û. — Auch auf Z y p e r n haben sich Reste der einheimischen („eteokyprischen") Sprache erhalten, vor allem in Amathus; vgl. T h u m b - S c h e r e r 147 f.

23. Im allgemeinen war aber die nichthellenische Urbevölke-rung Griechenlands zu der Zeit, mit der für uns die eigentliche Geschichte des Landes beginnt, bereits im Griechentum aufgegan-gen, wie das Herodot 1, 57, 3 von den Pelasgern Attikas be-merkt: τό Άττικόν έθνος έόν Πελασγικόν αμα t f j μεταβολή τη ές "Ελληνας καί την γλώσσαν μετέμαθε. Aus der Mischung der unverbrauchten Naturkraft der aus dem Norden kommenden Indogermanen mit der reichen und verfeinerten Kultur des Mit-telmeers ging dort jener Griediensdilag hervor, der es schließlich

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zur höchsten Vollendung in der Kunst und im Staatswesen brachte und die geistige Führung des Griechenvolks behauptete.

24. Was der Grieche an neuen materiellen Werten, an techni-schen Fertigkeiten und religiösen Vorstellungen von der vorgrie-chischen Bevölkerung übernahm, fand auch im Wortschatz der griechischen Sprache seinen Niederschlag. Eine große Zahl von Wörtern setzt allen Versuchen, sie aus dem Griechischen oder aus den übrigen indogermanischen Sprachen zu deuten, Widerstand entgegen, und es liegt deshalb nahe, in ihnen altes Lehngut aus einer vorgriechischen nichtindogermanischen Sprache zu vermuten (vgl. § 15. 19). Diese Vermutung wird verstärkt, wenn das der Entlehnung verdächtige Wort mit einem aus den Ortsnamen be-kannten nichtgriechischen Suffix gebildet ist und einen Kultur-begriff bezeichnet, den die Griechen vor ihrer Einwanderung schwerlich gekannt haben können. Ein hübsches Beispiel dafür bildet das schon bei Homer vorkommende Wort άσάμινβος „die Badewanne", dessen niditgriechisches Suffix -ινθος in vorgriechi-schen Ortsnamen (Κόρινθος, Πέρινθος, Σύρινθος, Πρεπέσινθος u. a.) häufig ist, die sich nicht oder nur zur Not als indogerma-nisch erklären lassen. Badewannen gehörten nicht zum Haus-inventar der Griechen, als sie aus dem Norden gezogen kamen. Dagegen paßt eine Badeeinrichtung durchaus zu dem Charakter des vorgriechischen, durch die Ausgrabungen in Knossos und Phaistos auf Kreta aufgedeckten frühmykenischen Fürstenpalastes, in dem ein fast moderner Luxus geherrscht haben muß.

Wie für alle indogermanischen Völker, so bildete auch für die Griechen, ehe sie mit der Mittelmeerkultur in Berührung kamen, das vom Zimmermann (τέκτων) errichtete rechtwinklige Holz-oder Fachwerkhaus (δόμος), aus einem einzigen großen Raum bestehend, mit Wänden aus Flechtwerk und Lehm (τοίχος, ur-sprünglich „die geknetete Lehmmasse"), die vollendetste Form der menschlichen Wohnung: die Kunst des dauerhaften und stark-gegliederten Steinbaus lernten sie, wie die Königspaläste der älte-sten mykenischen Zeit: beweisen, erst durch die vorgriechische

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Bevölkerung kennen. Nun haben sidi die Etymologen gerade mit zahlreichen griechischen Wörtern der Steinbautechnik vergeblich abgemüht, ein Beweis dafür, daß die Griechen mit der neuen Kunst audi die fremden tedinisdien Ausdrücke übernahmen. Die beiden bedeutendsten Gemächer des homerischen Palastes sind der θάλαμος ξεατοΐο λίθοιο und das μέγαρον; beide Namen sind nicht befriedigend gedeutet. Das Suffix -αμος von θάλ-αμος ist in kleinasiatischen Ortsnamen häufig (z.B. Πέργαμος), und μέγαρον läßt sich nicht von dem in Kleinasien und Griechenland belegten Ortsnamen Μέγαρα trennen.

2?. Auch in den Namen der reichen griechischen G ö t t e r -w e l t tritt der Einfluß der vorgriechisdien Kultur hervor. Von indogermanischen Göttern sind nur wenige den Griedien geblie-ben: so der oberste Gott, der Ζευς πατήρ, latein. Iuppiter (altlat. Diëspiter), altind. Dyauh pitä, und der Hirtengott Πάν (mund-artlich Πάων), falls er zu altind. Püfan gestellt werden darf. Da-für belebten sidi aber die Stätten des Kultus und der Götter-himmel des Mythus mit vielen neuen Gestalten. Es waren das ursprünglich zum Teil Schutzheilige, die in bestimmten Lebens-lagen oder als Patrone einzelner Berufsstände angerufen wurden, zum Teil Lokalgottheiten, deren Kult mit irgendeiner einzelnen Stätte (einem Berg, einer Quelle) verwachsen war und sich von hier aus verbreitete. Eine große Zahl gerade dieser bodenständi-gen Lokalgötter stammte sdion aus vorgriechischer Zeit. So war — um nur ein Beispiel zu nennen — Άθανα, Άθήνη die alte Schutzgöttin Athens, nach der die Stadt selbst ihren Namen "Αθήναι empfing, wonach dann wieder die Göttin 'Αθηναία (Αθηνά) „die Athenische" genannt wurde. Im griechisdien Mythus trat Athene als θυγάτηρ Διός an die Stelle der altindo-germanisdien Ήώς, die ursprünglich diesen Titel führte (im Rigveda Usäh als duhitä Divah), aber bei den Griechen als Göttin verblaßte. Άθ-ανα ist mit demselben Suffix gebildet wie die vorgriechisdien Ortsnamen Μυκσναι (Μυκήναι), Πείρ-α να (Stadtquelle bei Korinth).

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Mykenisch ¿3

Auf den mykenischen Linear-B-Tafeln erscheinen neben Zeus Diktaios, Poseidon, Dionysos, Hermes, Ares, Artemis, Hera (?) eine Reihe von unbekannten Göttergestalten wie E-ne-si-da-o-ne (Dat.), pi-pi-tu-na und verschiedene Göttinnen mit dem Namen Potnia und einem Zusatz im Genitiv (z.B. daburinthojo, also „Herrin des Labyrinths"). Vgl. H e u b e c k , Lineartafeln (s. §26), 96 fi.

II. Mykenisch 26. Die schriftliche Überlieferung des Griechischen beginnt

etwa ein halbes Jahrtausend vor der ältesten erhaltenen alpha-betischen Inschrift (auf der attischen Dipylonkanne, wohl aus dem 8. Jhd.). Tausende von Tontafeln mit Aufzeichnungen in einer der „minoischen" Silbenschriften, dem sogen. „Linear B", wurden im Palast der kretischen Stadt Knossos gefunden, weitere tausend in dem von Pylos an der Westküste des Peloponnes und fast hundert auf der Burg und in Häusern von Mykene. Die Ent-zifferung gelang dem englischen Architekten Michael Ventris im Laufe des Jahres 1951. Leider gibt die Silbenschrift die Lautung der griechischen Wörter nur sehr unvollkommen wieder; z. B. steht die Zeichengruppe i-jo-te für tontes und po-rne für poimên. Dodi hilft in der Regel der Zusammenhang zur eindeutigen Be-stimmung der gemeinten Wortform. Die Silbenschrift diente ja hauptsächlich für Archivnotizen, audi gelegentlich für Vasenaul-sdiriften u. dgl., aber gewiß nicht zur Niederschrift literarischer Texte.

Literatur zur Einführung: M. V e n t r i s u. J. C h a d w i c k , Documents in Mycenaean Greek, Cambridge 1956; L. D e r o y , Initiation à 1' épigraphie mycénienne, 1962; L. R. Ρ a 1 m e r , The Interpretation of Mycenaean Greek Texts, 1963; A. H e u b e c k , Aus der Welt der frühgriechischen Lineartafeln, Göttingen 1966. — Zur Geschichte der Entzifferung: J. C h a d w i c k , Linear Β (übers, von H. Mühlestein), Göttingen 1959. Gegen die vorge-brachten Zweifel an der Richtigkeit der Entzifferung s. bes. L. R. Ρ aim er in der Orientalist. Lit.-Ztg. 53 (1958), 101 ff. und A. H e u b e c k in Gymnasium 66, 494ff.

27. Die Sprache der mykenischen Texte ist ein altertümliches Griechisch. So ist ζ. B. der ω-Laut noch erhalten und die aus dem

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26 ^lykenisdi

Indogermanischen ererbten Labiovelare (kw usw.), die später teils in Labiale, teils in Dentale übergegangen sind, werden in der Schreibung von den anderen Verschlußlautreihen geschieden. Von Kontraktion findet sich kein einziges sicheres Beispiel (vgl. do-e-ro d. h. doëlos gegenüber att. δούλος, e-ke-e — ekbeen, att. ϊχειν). Dazu kommen alte Kasusformen wie -o-jo im Genitiv der o-Stämme, -e d. h. -ei im Dativ der 3. Deklination, -pi d. h. -phi im Instrumentalis des Plurals; weiter etwa die Erhaltung des Stammes auf -m- im Zahlwort e-me, d.h. hetnei (Dat.; att. ένί nach εν).

Für die Sprachgeschichte bemerkenswert ist, daß sich orientali-sche Lehnwörter wie χιτών, χρυσός, σήσαμον bereits im Myke-nischen finden. Vgl. darüber E. M a s s o n , Recherches sur les plus anciens emprunts sémitiques en grec, Paris 1967.

28. Die Sprachformen zeigen einige Ungleichmäßigkeiten, die darauf deuten können, daß sich gelegentlich der von der „Schrift-sprache" abweichende persönliche Sprachgebrauch des jeweiligen Schreibers geltend macht. Ζ. B. findet sich im Dat. Sg. neben -ei (geschrieben -e) auch -i und die Neutra auf -ma werden teilweise mit -mo- dekliniert; neben e-pi steht die Ablautform o-pi (vgl. όπισθεν und lat. ob)·, von dem Dublettenpaar φιάλη/φιέλη haben beide ihr mykenisches Vorbild.

Es gibt nur sehr geringe Spuren einer Verteilung solcher Diver-genzen auf die verschiedenen Fundorte (so etwa die Bevorzugung der Dativendung -i in Mykene gegenüber dem sonst fast allein üblichen -ei). Demnach galt überall im Prinzip die gleiche Sprach-norm. Nun ist es aber unwahrscheinlich, daß etwa in Knossos, Pylos, Mykene und darüber hinaus an den Stätten kleinerer Linear-B-Funde (Tiryns, Eleusis, Orchomenos, Theben) ein und derselbe Dialekt die übrigen Dialekte, die später doch fortbestan-den, zeitweise verdrängt haben sollte. Noch weniger ist an ein Zusammenfließen der Dialekte zu einem zeitweiligen Gemeingrie-chisch, einer Κοινή der mykenisdien Zeit zu denken, woraus sich dann die Dialekte der historischen Zeit neu differenziert

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Mykenisdi 27

hätten. Gegen einen solchen Ansatz sprechen vor allem die Son-derentwiddungen des Mykenisdien (s. § 29), von denen man dann annehmen müßte, daß sie später wieder rückgängig gemacht wurden.

Es handelt sich vielmehr um eine S c h r i f t s p r a c h e , die auf einem bestimmten Dialekt basiert und in allen Zentren der mykenisdien Kultur ziemlich einheitlich benutzt wurde.

29. Der Dialekt, der der mykenisdien Schriftsprache zugrunde-liegt, ist vermutlich im Zusammenhang mit den großen Katastro-phen, die zur Vernichtung der Reiche dieser Zeit führten, unter-gegangen. Daß er sich in keinem der erhaltenen Dialekte fort-setzt, zeigt sich an einigen S o n d e r e n t w i c k l u n g e n , die sich in der historischen Zeit nirgends mehr finden. Dahin gehören die Formen a-mo, pe-tno = barmo, spermo für αρμα, σπέρμα, pa-ro für παρά, i-jo für υιός ( T h u m b - S c h e r e r 343); -ke-, -ki- und -ge-, -gi- vor Vokal ergeben nach Reduktion des e bzw. i Laute, die mit den Zeichen der z-Reihe wiedergegeben werden (z.B. sti-za „Feigenbaum", att. συκέα, aiol. συκία; ai-za aus aige(j)ä oder ai già, Adjektiv zu αϊξ). Anderes kommt später nur ganz vereinzelt vor: nicht nur τι, sondern audi θι wird im Myk. zu σι (ζ. Β. ko-ri-si-jo, später mit erhaltenem oder wiederherge-stelltem θι: Κορίνθιος); für die Lautfolge -εμι- hinter Dental erscheint gewöhnlich -imi- (ζ. Β. a-ti-mi-te = Artimitei, Dat. zu "Αρτεμις; dieselbe Regel scheint im Pamphylischen zu gelten: Άρτιμιδώρου, ΆθιμϊΑις aus Άνθεμή^ος, s. T h u m b - S c h e -r e r 180). — Bei Differenzen innerhalb des Mykenisdien sind es oft gerade die normalen Formen, die später nicht fortgesetzt wer-den, also die des der Schriftsprache zugrundeliegenden Dialekts.

Vgl. E. R i s c h in: Proceed, of the Cambridge Colloquium on Myc. Stud., 1966, 150S.; A. H e u b e c k , Glotta 39 (1961), 159 ff.

Wohl aber hat das Mykenisdie in der Form von Lehnwörtern Spuren in den späteren Dialekten hinterlassen. So zeigt αρμόζω in seinem -o- deutlich seine mykenisdie Herkunft, vgl. oben

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28 Mykenisch

harmo (E. R i s e h , Neue Zürcher Ztg., 16.3.57), und ebenso audi das dazugehörige Adjektiv αρμόδιος. Das ι von ίππος (myk. i-qo) gegenüber dem e anderer Sprachen (lat. equus) beruht viel-leicht auf einer speziell mykenischen Lauterscheinung (E. R i s eh in dem oben erwähnten Cambridge Colloquium, S. 157).

30. Über die Stellung des Mykenischen im Verhältnis zu den bekannten Dialektgruppen ist noch keine endgültige Klarheit ge-wonnen, weil für manche wichtigen Unterscheidungsmerkmale Belege fehlen oder die Schrift keine Auskunft gibt (z.B. über Ersatzdehnung). Soweit Kriterien verfügbar sind, scheinen sie dem Mykenischen eine Stellung an der Seite des Arkadischen und Kyprischen anzuweisen, denn an den Gemeinsamkeiten mit dem Ionisch-Attischen und denen mit dem Aiolischen ist jeweils auch das Arkadokyprisdie beteiligt; so z. B. einerseits am Wandel von τι in σι (vgl. § 38) und an der Konjunktion o-te = hole (gegen-über lesb. 8τα, westgriech. δχα), anderseits an dem häufigen Auf-treten von o statt α, wo silbenbildendes r, l bzw. η, m zugrunde-liegt (§ 37), an πτόλις, πτόλεμος und den Präpositionen πεδά und άπύ. Mit posi anstelle von πρός (aus *προσι) dürfte sich das Mykenisdie eindeutig auf die Seite des arkadischen und ky-prischen πός stellen; allerdings ist auch die Lesung porsi möglich (das wäre dann Metathese aus * prost), aber sie ist wenig wahr-scheinlich.

Das Material spricht also dafür, daß das Mykenisdie den Vor-stufen des Arkadischen und Kyprischen nahes tand und mit ihnen zusammen eine Gruppe bildete, zu der möglicherweise noch wei-tere verschollene Dialekte gehörten.

Zur dialektologischen Einordnung des Myk. vgl. u.a.: J. C h a d w i c k , Trans. Philol. Soc. 1954, 3ff.; V. P i s a n i , Rhein. Mus. 98 (1955), Iff.; E. R i s c h in Études Mycéniennes, 1956, 167fi. u. 249 ff.; ders. in Mus. Helv. 12 (1955), 66ff.; A. T o v a r in Gedenkschr. Kretsdimer II, 188ff.; ( T h u m b - ) S c h e r e r 325f.; A. H e u b e c k , Glotta 39 (1961), 159ff.; C o w g i l l (s. §40); A. B a r t o n ë k , Development of the Long-Vowel System in Ancient Greek Dialects, Brünn 1966, 13—15; Studia Mycenaea (s. S 2 am Ende), 175 ff.

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Die Gliederung der griechischen Dialekte 29

III. Die Dialekte

1. Die Gliederung der griechisdien Dialekte

31. Das griechische Sprachgebiet mit seinen mannigfaltigen Lokaldialekten gliedert sidi in mehrere deutlich voneinander ge-schiedene Dialektgruppen. Aber in geschiehtlidier Zeit waren die zu derselben Gruppe gehörenden, einander eng verwandten Dia-lekte nicht etwa immer Nachbarn, sondern häufig durch Land und Meer weit voneinander getrennt, weil entweder ein ursprünglich zusammenhängendes Gebiet durch Dialekte, die sich dazwischen schoben, in mehrere Teile zerrissen oder ein einzelner Dialekt aus seiner Heimat durch Wanderung oder Kolonisation in andre Landschaften mitgeführt und hier angepflanzt wurde. Mit dieser Gliederung und Verteilung der griethischen Mundarten stimmt oft das überein, was die alte Überlieferung von den Wanderun-gen der Stämme und der Gründung der Kolonien zu berichten weiß.

Freilich sind in diesen Überlieferungen, die sich Jahrhunderte hindurch mündlich fortpflanzten, die nüchternen Tatsachen von der Phantasie der Erzähler mit ausschmückenden Sagen reich umrankt worden. Das gesdiah namentlich dann, wenn sich die Dichtung der Stoffe bemächtigte. Auch wurden Gründungssagen und Ahnenreihen nicht selten fr»i erfunden, um aus politischen oder wirtschaftlichen Rücksichten die Gründung einet Kolonie auf eine angesehene Stadt oder ein bekanntes Adelsgesdiledit im Mutterland zurückzuführen. Trotz alledem steckt in dieser volks-tümlichen Überlieferung oft ein historischer Kern.

32. Abgesehen von den Überlieferungen über die Stammes-und Kolonisationsgeschichte gibt uns auch das Sprachmaterial der Dialekte selbst wichtige Anhaltspunkte für deren älteste Gliede-rung und Lagerung. Einerseits sind ganze Dialektgruppen mit anderen durch auffällige Gemeinsamkeiten verbunden, die auf ursprüngliche Zusammengehörigkeit oder doch Nachbarschaft

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30 Die Dialekte

deuten, so ζ. Β. das Mykenisdie, Arkadokyprische, Ionisch-Atti-sche und Lesbische durch den Übergang von τι in σι (im Gegen-satz zum Westgriechischen, Thessalisdien, Boiotischen und Pam-phylisdien); anderseits treffen wir in lokalen Dialekten Erschei-nungen, die für eine andere Dialektgruppe charakteristisch sind und als Spuren alter Stammesüberschichtung begriffen werden können, so wenn der aiolische Dativ PI. auf -εσσι statt -σι auch in Gebieten vorkommt, die dann westgriechisch wurden: Phokis, Lokris, Korinth (bezeugt in dessen Kolonien) und Elis. Freilich ist immer mit der Möglichkeit zu rechnen, daß etwa eine Zuwan-derung in jüngerer Zeit erfolgte, oder aber, daß es sich um gleichläufige Entwicklung ohne historischen Zusammenhang han-delt. Eine derartige Erklärung wird man vielleicht vorziehen für das Auftreten des Wandels von -ονσ-, -ava- zu -οισ-, -αισ- sowohl in Thera und Kyrene (vgl. § 144) und noch anderwärts wie im kleinasiatischen Aiolisch (aber nicht in Thessalien und Boiotien, also nicht altaiolisch).

33. Den großen Stammesgruppen der Ionier, Aioler und Dorier sind drei Dialektgruppen zugeordnet: das Ionisch-Attische, das Aiolische (Kleinasiatisch-Aiolisch einschließlich Lesbisch; Thes-salisch; Boiotisch) und das Westgriechische (Dorisch und Nord-westgriechisch). Reste einer vierten Gruppe finden wir in histori-scher Zeit teils ins Innere des Peloponnes zurückgedrängt, in Arkadien, teils weit nach Osten verschlagen auf Zypern. Zu ihr wird auch der Dialekt gehört haben, der der mykenischen Schrift-sprache zugrundeliegt, aber dann ganz verschwunden ist.

Die griechische Besiedlung Zyperns scheint gegen 1000 v. Chr. erfolgt zu sein. Die Gründungsüberlieferungen der Städte deuten darauf hin, daß die Ansiedler aus dem Peloponnes kamen: als Ausgangspunkte werden Arkadien, Lakonien, Argos und Sikyon genannt. Dazu paßt auch das Vorkommen der Ortsnamen Λακε-δαίμων und Κερύνεια (wie in Achaia) auf Zypern.

34. Die arkadisch-kyprische Dialektgruppe zeigt eine Anzahl bemerkenswerter Übereinstimmungen mit dem Aiolischen:

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Die Gliederung der griechischen Dialekte 31

a) ορ, ρο für gemeingriechisches αρ, ρα (aus indog. vokali-schem r).

Lesb.-boiot. στροτός für στρατός, βροχύς für βραχύς, πόρνοψ für πάρνοψ; thess.-boiot. εροτος fiir Κράτος; ark. τέτορτος für τέταρτος; ark. Ιφθορκώς für att. έφθαρκώς, ark. πανάγορσις für *πανάγαρσις, kypr. κατ-έΖ-οργον Aor. für *κατ-έ£αργον, kypr. κορζα für καρδία.

b) Die Präposition ôv für άνά. c) Die Zahlwörter δέκο, δέκοτος, έκοτόν (vgl. auch myk. e-tte-

tvo- zu εννέα). d) κρέτος für κράτος (ark. und kypr. in Personennamen auf

-κρέτης). e) Die Präposition άπύ (apu) für από (audi myk. a-pu). f) πτόλις für πόλις (myk. im Personennamen Ptoliöni). g) Die Überführung der abgeleiteten Verba auf -έω, -άω, -όω

in die μι-Flexion. Lesb. κάλημι für καλέω, όμονόεντες, κάλεντον ( = att. κα-

λούντων), thess. στραταγέντος ( = att. στρατηγοΰντος), κα-τοικέντεσσι, ark. ποέντω, άδικέντα, έπιορκέντι, κυένσαν ( = κυοΰσαν), ποίενσι, ζαμιόντω, kypr. κυμερηναι (=att . κυβερνάν).

h) Das Demonstrativpronomen δ-νε (thess., kypr.); dazu ark. évi = 8νε + -ί.

i) πεδά, Präposition mit der Bedeutung des ionischen und dori-schen μετά. Im Myk. sind beide Formen bezeugt.

35. Nur das Kyprische, nicht aber das Arkadische, ist beteiligt an den Gleichungen: lesb. thess. kypr. κε gegenüber westgriedi. κα, ion.-att., ark. äv; thess. kypr. δαύχνα für δάφνα. Dazu wohl noch die Entwicklung von kw vor e-Laut zu π (thess. άπ-πεΐσαι „zahlen", kypr. πείσει, aber ark. άπυ-τεισάτω; lesb., thess., wohl auch kypr. πέμπε, ark. πέντε). Vgl. § 58.

36. Die Übereinstimmungen der beiden Dialektgruppen führ-ten Ο. Η o f f m a n n (De mixtis Graecae linguae dialectis, 1888, und demgemäß auch in den ersten Auflagen des vorliegenden Buches) dazu, sie zu einer Einheit zusammenzufassen, unter der

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32 Die Dialekte

Bezeichnung „Adiaeisch". In der Ilias heißen 'Αχαιοί oder Άργείοι alle Griechen, die um Troja kämpfen. Hoffmann nahm an, daß 'Αχαιοί ursprünglich der Name eines Stammes war, der von Thessalien aus in kühnen Eroberungszügen die kleinasiati-sdie Aiolis, den ganzen Peloponnes, Kreta und Zypern unter seine Herrschaft brachte. Die mit 'Αχαιοί gleichwertige Bezeichnung Άργείοι bezog er auf das Πελασγικόν "Αργός in Thessalien. Die These O. Hoffmanns wurde von P. Kretschmer und anderen akzeptiert. Erst als die vorwiegend stammesgeschichtliche Be-trachtungsweise der griechischen Dialekte durch eine dialektgeo-graphische ergänzt wurde, war sie ernstlich erschüttert. So wird der Ausdruck „achaeisch" heute meist auf die arkadokyprisch-mykenische Gruppe beschränkt.

3>7. Nach neueren Untersuchungen beruhen die Übereinstim-mungen zwischen dem Aiolischen und dem Arkadokyprischen kaum auf ursprünglicher Zusammengehörigkeit, sondern eher auf alter Nachbarschaft. Die Zone der Berührung ist aber dann viel-leicht vornehmlich auf dem Peloponnes zu suchen (vgl. § 57 f.).

Zum Teil handelt es sich bei den Gemeinsamkeiten auch um altes Sprachgut, das in anderen Dialektgruppen aufgegeben ist. So ist πεδά wohl ebenso alt wie μετά; άπύ und άπό waren wohl beide aus dem Indogermanischen ererbt. Etwas Altes war ver-mutlich auch die Entwicklung von silbischem r zu ορ, ρο und von », rn zu o unter nicht mehr bestimmbaren Voraussetzungen; daß im Ionisch-Attischen und im Westgriechisdien zugunsten des häufigeren αρ, ρα bzw. α ausgeglichen wurde, beweist keinen engeren Zusammenhang zwischen den beiden anderen Gruppen.

38. Arkadokyprisch und die älteste Form des Aiolischen gehen in der Behandlung der Lautfolge τι auseinander, die dort wie im Ionisdi-Attischen zu σι geworden, im Boiotisdien und Thessali-schen dagegen erhalten ist (kleinasiatisdi-aiolisdies σι beruht, wie Porzig und Risch gezeigt haben, auf jüngerer Entwicklung, sicher-lich unter dem Einfluß des benachbarten Ionischen).

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Die Gliederung der griechischen Dialekte 33-

Mit dem Ionisch-Attischen teilt aber das Arkadokyprische auch nodi weitere Züge: so den Wandel von τ/ in σ (τόσος) gegenüber lesb., thess. σσ (τόσσος; boiot. mit ττ: όπόττος), die Temporal-partikeln δτε, πότε usw. gegenüber lesb. -τα, westgriech. -κα, Ιερός (lesb. ϊρος, westgr. ίαρός), den athematischen Infinitiv auf -(ε)ναι (sonst -μεν, -μεναι). Man könnte also mit Porzig und Risch eine ursprünglich enge Zusammengehörigkeit oder gar Identität der beiden Gruppen annehmen. Aber dafür scheint das Material doch nicht auszureichen. Es sind ja auch zahlreiche alte Verschie-denheiten da: ζ. Β. πόλις : πτόλις, κράτος : κρέτος, beim Ver-bum die Medialendungen -(σ)αι, -ται, -νται : -(σ)οι, -τοι, -ντοι (-οι nach den Sekundärendungen auf -o, oder umgekehrt -αι nach -μαι; in jedem Fall muß die Neuerung sehr früh eingetreten sein: -01 ist schon mykenisch, -αι auch aiolisch und westgriechisch), bei den Präpositionen άπό : άπύ, πρός : πός, ανά : ον, in der Syntax από, έξ mit Gen.: άπύ, έξ mit Lok. bzw. Dat.

39. Man wird es also am besten bei der Gliederung in v i e r Gruppen belassen: Ionisch(-Attisch), Arkadokyprisch (und My-kenisch), Aiolisch, Westgriechisch. Das Pamphylische, das sich dieser Einteilung nicht fügt, hatte vielleicht von Anfang an eine Zwischenstellung (s. § 68).

In vorgeschichtlicher Zeit kann die Gliederung eine andere gewesen sein, da gewiß manche ursprünglich unterscheidenden Züge schließlich ausgemerzt wurden und da wohl auch Umgrup-pierungen der Stammesverbände in Betracht zu ziehen sind (vgl. § 2 ) .

40. Literatur: F. R. A d r a d o s , La dialectología griega como fuente para el estudio de las migraciones indoeuropeas en Grecia, Acta Salmanticensia V 3 (Salamanca 1952); W. P o r z i g , Sprachgeographische Untersuchungen zu den altgriechischen Dia-lekten, Indogerm. Forschungen 61 (1954), 147 ff.; E. R i s c h , Die Gliederung der griech. Dialekte in neuer Sicht, Mus. Helv. 12 (1955), 61 if.; Α. Τ ο ν a r , Nochmals Ionier und Achaeer im Lichte der Linear-B-Tafeln, in: Gedenkschr. P. Kretschmer II (Wien 1957), 188 ff.; C. J. R u i j g h , L' élément achéen dans la

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34 Die Dialekte

langue épique, Assen 1957; F. H a m p l , Die Chronologie der Einwanderung der griechischen Stämme, Mus. Helv. 17 (I960), 57 ff.; J. C h a d w i c k (s. § 2), S. 8 ff.; W. C. C o w g i 11, An-cient Greek Dialectology in the Light of Mycenaean, in: Birn-baum-Puhvel, Ancient Indo-European Dialects, Berkeley 1966, 77 ff.; Α. B a r t o n i k , Greek dialectology after the decipherm-ent of Linear B, in: Studia Mycenaea, Brünn 1968, 35—37 (Mei-nungen verschiedener Forscher ebd. 159 ff.).

2. Ionisch-Attisch

41. In der Ilias (N 685) werden die Ίάονες έλκεχίτωνες als Nachbarn der Βοιωτοί, Λοχροί und Φΰΐοι genannt: der Dichter dachte sie sich also in Euboia und Attika wohnend. Und Athen, das im 6. und 5. Jahrhundert seinen ionischen Charakter in Kultur und Sprache längst nicht mehr rein erhalten hatte, galt auch da-mals noch den führenden Geschlechtern der ionischen Zwölfstädte in Kleinasien als die Wiege ihrer Ahnen: Herodot 1, 147, 2 είσ'ι δέ πάντες "Ιωνες οσοι απ' Άθηνέων γεγόνασι και Άπατούρια ¿ίγουσι όρτήν.

42. Aber auch der Nordrand des Peloponnes war nach Herodot 1, 145; 7, 94 vor der Einwanderung der 'Αχαιοί von Ioniern be-wohnt, und das gleiche berichtet er 8, 73, 3 von der Ostküste des Peloponnes, der argivischen Landschaft Κυνουρία. Von der Argolis aus sollen Samos und Klazomenai besiedelt worden sein. Doch finden sich auf dem Peloponnes kaum irgendwelche sprach-lichen Spuren von Ioniern, wohl weil diese , bereits vor der An-kunft der Dorier von Aiolern verdrängt worden waren (s. § 58).

43. Vom Festland aus breiteten sich die Ionier über das Ägäi-sche Meer aus. Auf den Kykladen müssen sie noch lange mit Athen und Euboia eng verbunden geblieben sein: denn der Hym-nus auf Apollon 147 faßt mit dem Namen Ίάονες alle Ange-hörigen des delischen Kultes zusammen. Freier und selbständiger entwickelte sich das ionische Volkstum in den Städten an der kleinásiatischen Küste, und doch lebte auch in ihnen ein kräftiges Stammesbewußtsem fort; der vornehme Bürger in Milet und

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Ionisch-Attisch 35

Ephesos war fest davon überzeugt, daß in seinen Adern das reinste ionische Blut rolle. Diesen Dünkel geißelt freilich der Halikarnassier Herodot 1, 146, 1 mit bissigem Hohn. Er führt die Bevölkerung der ionischen Zwölfstädte auf eine Mischung aller möglichen griechischen und nichtgriechischen Volkselemente zurück und macht den besonders adelsstolzen milesischen Ge-schlechtern, die ihre Ahnenreihe bis nach Athen zurückführten, den harten Vorwurf, daß ihre Frauen von Anfang an nicht mit-gebrachte Griechinnen, sondern Karerinnen gewesen seien, deren Männer man erschlagen habe.

44. Gewiß hat Herodot darin recht, daß in einer Stadt von so internationalem Charakter, wie es Milet im 8. Jahrhundert und wahrscheinlich schon in viel früherer Zeit war, die allerversdiie-densten Nationalitäten und griechischen Volksstämme zusammen-strömten und daß namentlich die breite Volksmasse den klein-asiatischen nichtgriechischen Völkern angehörte. Aber das ändert nichts daran, daß diejenige Schicht der griechischen Ansiedler, die dauernd die Führung im politischen, wirtschaftlichen und geisti-gen Leben behielt, in ihrem Volkstum ziemlich einheitlich ge-wesen sein muß. Sonst wäre es unverständlich, daß an der ganzen kleinasiatischen Küste von Phokaia bis Halikarnaß ein ähnlicher ionischer Dialekt wie auf . den Kykladen und Euboia gesprochen wurde und daß diesen selben Dialekt auch alle von Milet schon vor dem 7. Jahrhundert gegründeten Kolonien redeten. In der Sprache kommt zuverlässiger als in allen Familiengeschichten und Siedlungssagen die Einheit und Ausbreitung des ionischen Volks-tums zum Ausdrude.

45. Bevor die Ionier an der Mitte der kleinasiatischen Küste, um Samos und fvlilet herum, festen Fuß faßten und sich staatlich organisierten, hatten schon von Thessalien herüber die Αιολείς die Insel Lesbos und das dahinter liegende Küstenland bis herab nach Chios, Erythrai, Klazomenai und Smyrna in Besitz genom-men. Auch nach der Eroberung der südaiolischen Städte durch die nach Norden vordringenden Ionier — etwa im 9. Jahrhundert —

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36 Die Dialekte

machte sich der früher dort gesprochene Dialekt in der lokalen Mundart geltend (§ 98).

46. Mit der Besiedlung der kleinasiatischen Küste ging das ge-schlossene Vordringen ionischer Volksmassen zu Ende; was die ionische Sprache später noch an Boden gewann, verdankte sie der Ausstrahlung einzelner großer ionischer Städte. Besonders waren es Chalkis auf Euboia und Milet, die im 9. und 8. Jahrhundert einen Strom von Auswanderern nach dem Westen und Osten ent-sandten. Chalkidier ließen sich teils an den Küsten Siziliens und Italiens, wo ilufe Städte Kyme und Neapolis in Kampanien die Pforten für den Einzug der griechischen Kultur in Mittelitalien wurden, teils ah der thrakischen Küste und auf der Chalkidike nieder. Milesische Kaufleute fuhren durch den Hellespont in die Propontis und das Schwarze Meer hinein und besiedelten die Küsten bis an das Ostgestade mit einer Reihe blühender Handels-plätze. Viele dieser ionischen Kolonien wurden aber durch nach-rückende dorische Scharen vom Peloponnes völlig dorisiert, sò ζ. B. die chalkidischen Städte an der Ostküste Siziliens. Hier be-ginnt der Untergang des Ioniertums mit dem 5. Jahrhundert. Im Jahre 491 vertrieb Anaxilas, der Tyrann des dorischen Rhegioh, die Ionier aus Dankle und siedelte dort eine „gemischte", d.h. aus verschiedenen dorisdien Städten Siziliens zusammengezogene Bevölkerung an (Thuk. 6, 4, 6). In knapper Form bringen das die Münzlegenden zum Ausdruck: im 6. Jahrhundert nodi Δάνκλε = Δάνκλη (mit ionischem η), von 500—461 Μεσσενίδν = Μεσση-νίων neben Μεσσάνίον (mit dorischem ñ) und nach 461 nur nodi Μεσσανά, Μεσσάνίων. Das gleiche Schicksal ereilte Tauromenion, Naxos, Katana und Leontinoi: ihr ionisches Volkstum wurde durdi die Korinthier und Megarer von Syrakus und die Rhodier von Gela aufgesogen und vernichtet.

47. Die Spradiform der Ionier blieb am altertümlichsten da, wo sich auch das ionische Volkstum durch die Natur des Landes am reinsten und unberührtesten erhielt, auf Euboia und den Ky-kladen. Am stärksten änderte sie sich in derjenigen Stadt, die

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Ionisch-Attisch 37

durch ihre wirtschaftliche, politische und künstlerische Entwick-lung am meisten den Charakter eines einheitlichen Volkstums ab-streifte — in Athen. Und dodi verleugnet auch das Attische sei-nen engen Zusammenhang mit dem Ionischen nicht. Dieser prägt sich in den folgenden über das ganze ionisch-attische Sprachgebiet verbreiteten Zügen aus.

48. a) Das in allen andern Dialekten erhaltene ursprüngliche ä (μ) des Griechischen ging in è (η) über: δάμος wurde zu δήμος, φαμα (lat. färna) zu φήμη, ματηρ (Iat. mäter) zu μήτηρ. Nur im Attischen ist das ä in der Stellung hinter ε, ι und ρ davon ausge-nommen, z.B. γενεά, ίασασΰαι, πράττω, während im Ionischen auch in diesen Fällen η gesprochen wurde (γενεή, Ιήσασθαι, πρήσσω).

Meist nimmt man an, daß dieses sogen, ä purum des Attischen aus gemein-ionisch-attischem η wieder in ä zurückverwandelt wurde. Ausnähmen wie κόρη ,Mädchen', δέρη ,Hals', ορη ,die Berge' erklären sich dadurch, daß diese Worte, als die Rückver-wandlung des η in α erfolgte, nodi κόρΓη, *δέρ/Γη, 8ρεα lauteten: als aber das F schwand und die Vokale εα kontrahiert wurden, war der Prozeß der Rückverwandlung schon abgeschlossen, und so blieb nun das η hinter ρ unverändert. — Leichter verständlich ist der Vorgang, wenn man die Rückverwandlung auf die Fälle beschränkt, wo ihre Annahme unbedingt notwendig ist: ä blieb nach ε, ι, ρ e r h a l t e n (γενεά, καρδία, χώρα); wo es hinter intervokalischem F zu η geworden war, wurde es nach dessen Ausfall hinter ε, ι analogisch wiederhergestellt (ζ. Β. *νέΑ| zu *νέη zu νέα analog damals noch unkontrahiertem χρυσέα, άργυ-ρέα). Beim Eintreten der Kontraktion von ε + α war noch die alte Verteilung gültig, deshalb χρυσή, aber αργυρά (δρη nach Analogie der anderen neutralen Plurale auf -η aus -εα). Jedoch der Schwund von F nach ρ trat erst später ein, so daß Wörter wie κόρη, δέρη das η behielten.

b) Der zweite nicht minder charakteristische Vokalwandel ist das U m s p r i n g e n d e r Q u a n t i t ä t .

Vor a- oder o-Laut wird η (auch das aus ä entstandene) ge-kürzt und der zweite Vokal, wenn er kurz ist, gleichzeitig ge-dehnt. So geht das ursprüngliche λαός (älter λαΓός) über ληός

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38 Die Dialekte

im Attischen wie im Ionischen in λεώς über; aus *φρήάτος (vgl. hom. φρήϋτα, geschrieben φρείατα) wird att. φρέατος. Wo die an zweiter Stelle stellende Kürze scheinbar nicht gedehnt ist, ist die Dehnung durch Formenausgleichung verhindert oder wieder beseitigt worden. So wird im ionischen Dialekt Herodots das aus βασι,λήος entstandene und im Attischen erhaltene βασιλέως nach Analogie der andern Genitive auf -ος zu βασιλέος, das attisdie χρεών (aus χρή 8v) nach Analogie der Partizipia wie έξόν, παρόν zu χρεόν.

c) Besonders früh und teilweise anders als in den übrigen Dia-lekten werden zusammentreffende Vokale kontrahiert.

So »ind -εο- upd -εω- ζ. Β. in φιλέομεν, εΰγενέος, μελέων be-reits im 7. Jhd. bei Archilochos und Semonides im Jambus stets einsilbig, d. h. als Diphthonge gemessen. Auf Chios scheint εω in dieser Zeit sdion als ω gesprochen zu sein: denn in einer der ältesten Inschriften (um 600 v.Chr., Schwyzer, Dial. Nr.687) steht δήμαρχων neben δημαρχέων. In Athen assimilierte sich in einsilbigem εο εω das ε dem o-Laut, und so entstanden über oo und οω die Monophthonge ου d. h. ü aus geschlossenem δ) bzw. ω in φιλοΰμεν, φιλώμεν.

d) Der Laut w, geschrieben F (Digamma), den die übrigen griechischen Dialekte namentlich im Anlaut der Wortstämme während der klassischen Zeit und vielfach noch über diese hinaus bewahrten, war in Athen ebenso wie in Ionien schon ums Jahr 800 geschwunden.

Das beweisen die Fragmente der altionischen Jambographen, die im reinen Dialekt dichten: vor allen Wörtern, die aus andern Pialekten mit anlautendem F belegt sind (ζ. B. Faxαξ, Fáaxv, Fêçy ov, Fix ος, Λύκος, Foiba), wird bei ihnen ein vorhergehen-der Vokal elidiert, ζ. Β. κλνθ' ä v a | Ardi. 75,1, μετ' άστών Arch. 64, 1, δούλι' ϊργα Sem. 7, 58, δ' έτέων Sem. 1, 8, άν' οίκον Sem. 7, 3, πολλ' οίδε· Arch. 103. Also kann F- nicht mehr gesprochen worden sein.

e) Zu einem alten Lokativ πόληι „in der Stadt" bildete das Ionisdi-Attische einen neuen Genitiv πόληος; dieser wurde dann durch die ionisch-attische Umsetzung der Vokalquantität (s. oben

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Ionisch-Attisch 39

b) zu πόλεως. Die übrigen Dialekte behielten die Flexion mit -i-(πόλιος).

f) Die Personalpronomina „wir" und „ihr" bildeten ursprüng-lich im Griechischen den Nominativ Plur. auf -ες, den Genitiv auf -έων, den Akkusativ auf -ε. Diese Flexion ist in allen griechi-schen Dialekten mit Ausnahme des Ionisdi-Attischen erhalten geblieben: dor. Nom. 'αμές ύμές, Gen. 'αμέ, ύμέ; ebenso lesb. δμμες ΰμμες, άμμέων ΰμμέων, δμμε Βμμε. Die Ionier dagegen schufen zum Genitiv auf -έων (ήμέων, ΰμέων), der den gleichen Ausgang hatte wie der Geh. PI. der εσ-Stämme (εύγενής: Gen. PI. εύγενέων), nach Analogie dieser Stämme den neuen Nomina-tiv ήμεΐς, ύμεις (wie εύγενεϊς) und den neuen Akkusativ ήμέας, ύμέας (wie εΰγενέας) (daraus im Attischen ήμδς, ύμάς).

g) In έτερος ist das erste ε für älteres α eingetreten (aiol. dor. ίίτερος aus *sm-teros).

h) ήν „er war" für das in den übrigen Dialekten erhaltene ης (aus indog. *ëst).

ήν ging, wie Homer zeigt, aus älterem ήεν hervor: Laut für Laut entspricht dies dem altindischen äsan „sie waren£ ; es ist mit der aus dem Optativ (φέροι-εν) bekannten Pluralendiing^-εν (aus *-ent) gebildet: daher dor. ήν „sie waren". Die Ionier verwende-ten also die alte Pluralform (ήσαν ist erst eine Neubildung, s. unten) auch für den Singular, ήεν mag mitgewirkt haben beim Aufkommen des „Ny ephelkystikon" (Ιφερε-ν, εδοξε-ν, δίδωσι-ν, λέγουσι-ν, χερσί-ν, λόγοισι-ν, εϊκοσι-ν), das allen anderen Dia-lekten von Haus aus fremd war.

i) Vom sigmatischen Aorist aus wurde der Áüsgang -σαν der 3. P. Pl. auf andere Aoriste und auf Imperfekte übertragen: Ιθεσαν, έστησαν, έδείχθησαν (statt ?θεν, Εσταν, -θεν); ήσαν; έτίθεσαν usw.

k) Anstelle der in andern Dialekten üblichen Partikel κε, κα steht äv (ebenso arkadisch).

1) Die Präpositiön πρός und die Konjunktion εΐ sind nicht aufs Ionisch-Attische beschränkt, scheinen aber gerade hier schon in

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frühster Zeit ihre Rivalen ποτί, πός und α'ι, ή ganz verdrängt zu haben.

49. Innerhalb des ionisch-attischen Gebiets hat das A11 i s c h e eine ausgeprägte Sonderstellung. Zu den zwei schon erwähnten lautlichen Eigentümlichkeiten, die ausschließlich attisch sind — dem ä „purum" und der Kontraktion von εο zu ου (s. § 48a. c) —, treten drei hinzu, die auf Euboia wiederkehren: ττ entsprechend bestimmten Fällen von σσ in den andern Dialekten außer dem Boiotischen, von dem diese Neuerung wohl ausgegangen ist (πλήττω — πλήσσω, θάλαττα — θάλασσα, τέτταρες — τέσσα-ρες), der Schwund des F hinter ν, ρ und λ ohne Ersatzdehnung (ξένος aus ξένιος, κόρη aus *κόρ/Γη, δόρατα aus *δόρ/Γατα, καλός aus καλΡός), die Assimilation von -ρσ- zu -ρρ- (θαρρέω aus θαρσέω, χερρόνησος aus χερσόνησος). Die Aussprache des υ als » scheint sich am frühesten in Athen entwickelt zu haben. In der F l e x i o n ist für das Attische besonders charakteristisch der Genitiv Sg. der männlichen α/η-Stämme der ersten Deklina-tion auf -ου: πολίτου gegenüber ion. πολίτεω, βορέου für ion. βορέω (aus *βορέεω); er ist eine Analogiebildung nach dem Geni-tiv Sg. der o-Stämme, dessen Endung man auf die α/η-Stämme übertrug, weil im Attischen auch die Genitive Pluralis der ersten und zweiten Deklination infolge der Kontraktion von -έων zu -ών (πολιτών aus πολιτέων) den gleichen Ausgang hatten. Weiter sei noch die Übertragung der Flexion πόλις, πόλεως (§ 48 e) auf alle übrigen i-Stämme genannt, sowie die Komparative μείζων und κρείττων mit ihrem nicht sicher erklärten ει (μέζων, κρέσ-σων bei Herodot).

50. Im I o n i s c h e n K l e i n a s i e n s , aus dem die ionische Hoch- und Schriftsprache hervorging, springt als Besonderheit die Vertretung des indog. kw durch κ in δκως, κοΰ, κόθεν usw. (gegen att. όπως usw.) in die Augen; ein inschriftlicher Beleg (όκοϊα) ist in Erythrai gefunden worden (Sammlung griech. Dia-lektinsdir. IV S. 883 Nr. 62, 11). Der Schwund des Spiritus asper (δσπερ, ύμεϊς, έκαστος) war auch aiolisdi, ebenso ίρός „heilig".

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Ionisch-Attisch 41

Wenn Herodot 1, 142, 3 die ionischen Zwölfstädte in vier der Sprache nach v ö l l i g v e r s c h i e d e n e G r u p p e n teilt, so hat er dabei nicht die Hochsprache der gebildeten Ionier im Auge, die überall ziemlich die gleiche war, sondern die Sprache der breiten Masse, die großenteils niditgriechischer Abstammung war; vgl. § 72. Die offensichtliche Einheitlichkeit der Inschriftensprache Ioniens (abgesehen von den aiolischen Elementen in Erythrai und Chios, § 45 u. 98) muß sich aus der beherrschenden Stellung eines bestimmten Ortes erklären, nämlich Milets.

Häufig hat von zwei in der Ablautsstufe des Stammvokals ver-schiedenen Formen eines und desselben Wortes das Ionische Kleinasiens die eine, das Attische die andere behalten: γλασσα „Zunge" (bei Herondas) zu att. γλώσσα sich verhaltend wie ετρΰνον zu τρώγω; λαψομαι, έλαφθην, άμφισβδτέω neben att. λήψομαι, έλήφθην, άμφισβητέω und umgekehrt δι-πλήσιος neben att. δι-πλασιος (Ablaut η: α wie in εστην: στδ-τός?); τάμνω und εταμον neben att. τέμνω und ετεμον; ερσην neben att. αρρην aus αρσην (Ablaut to·, αρ wie in θέρσος „Mut": Φαρσέω); ζώω, daraus auch ζόω, neben att. ζώ, ζης, 'Qfi aus *ζήεις, *ζήει (Ab-laut η: ω wie in άρήγω: αρωγός) u. a. m.

51. Im Dialekt E r e t r i a s fiel schon Platon (Kratylos 434 C) der Rhotazismus, d. h. der Übergang von σ in ρ, auf: er trat hier aber nach dem Zeugnis der Inschriften nicht, wie man nach dem platonischen Beispiel (σκληροτήρ) annehmen müßte, im Auslaut, sondern nur im Inlaut ein (παιρίν aus παισίν, Λυρανίας aus Λυσανίας).

Literatur: U. v. W i l a m o w i t z , Über die ionische Wande-rung, Sitzungsber. d. Beri. Akad. 1906, S. 59 ff.; P. K r e t S c h -m e r , Ionier und Achäer, Glotta 1 (1909) 9 ff.; F. S o 1 m s e n , Beiträge zur Griech. Wortforschung 1 (1909) 68 ff.; H. W. S m y t h , The Sounds and Inflections of the Greek Dialects, Ionic, Oxford 1894; H o f f m a n n , Dial. I l l ; Β e c h t e 1, Dial. I I I ; Α. S c h e r e r , Zur Laut- und Formenlehre der milesischen Inschriften, Diss. München 1934; E. K n i t l , Die Sprache der ion. Kykladen nach den inschriftlichen Quellen, Diss. München 1938; Α. Τ ο ν a r , Primitiva extension geográfica del Ionio, Emerita 12 (1944), 245 ff.; Τ h u m b - S c h e r e r 194—313;

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42 Die Dialekte

E. R i s c h , Das Attische im Rahmen der griech. Dialekte, Mus. Helv. 21 (1964), 1 ff.

3. Arkadokyprisdi 52. Das Arkadokyprische hat uns wegen seiner Beziehungen

zum Mykenischen und wegen seiner besonderen Rolle in der Frage der Dialektgliederung schon oben beschäftigt: vgl. §§ 33 ff.

Die enge Zusammengehörigkeit der beiden räumlich so weit getrennten Dialekte erklärt sich aus der Herkunft der Griechen Zyperns aus dem Peloponnes. Eine ganze Anzahl charakteristi-scher Züge ist beiden Dialekten gemeinsam: die Neigung, alte Labiovelare vor hellem Vokal in Zischlaute zu verwandeln (ark. εϊίε = εϊτε, οζις neben οτις, kypr. σις = τις), der Typus Ιερής statt Ιερεύς, die Medialendungen -(σ)οι, -toi, -ντοι (ark. κειοι, altertümlicher als hom. att. κεϊσαι; Konj. διαδικάσητοι, -ωντοι; kypr. κεϊτοι, aber 1. P. Sg. κείμαι; vgl. auch das Mykenische: z .B . Fut . e-so-to = es(s)onioi), δνυ neben δδε, πός (myk. po-si) für ποτί, πρός, die Konjunktion κάς „und" (aus *κασι in κασί-γνητος, P i s a n i , Zeitschr. f. Vergleich. Spracht. 77, 1961, 246 ff.; nicht etwa aus καί ετι, κατι, da die Krasis eine jüngere Erscheinung ist, vgl. R. G u s m a n i , Glotta 44, 1966, 22ff.), ferner die Verbindung von άπύ und έξ mit dem Lokativ bzw. Dativ.

Nach P. K i p a r s k y , Glotta 44, 1967, 133 geht καί ebenso wie κά$, *κασι auf *kati zurück.

53. Ein auffälliger U n t e r s c h i e d zeigt sich in ark. αν und εΐ (wie ion.-att.) gegenüber kypr. κε (wie thess., lesb.) und ή. Dieses ή „wenn" ist wohl aus ή (ή) „ob" hervorgegangen, das sich sonst nur im Westgriechischen da und dort, und zwar in seiner alten Funktion als „ob" erhalten hat (Epidauros, Tarent, Astypalaia, Dodona). Bemerkenswert ist auch kypr. πείσει „wird zahlen" gegenüber ark. άπυ-τεισάτω (§ 35).

Literatur: H o f f m a n n , Dial. I; Β e c h t e 1, Dial. I, 313 ff.; Α. S t e i n e r , Studi sull' arcadico-ciprio, Istituto Lombardo di

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Aiolisdi 43

Scienze e Lettere, Cl. di Lettere, Rendiconti 88 (1955), 325 fi.; T h u m b - S c h e r e r 110—174.

4. Aiolisch

54. Bevor die Ionier an der kleinasiatischen Küste festen Fuß faßten, hatten schon von Thessalien her die Αιολείς die Insel Lesbos und das dahinter liegende Küstenland bis herab nach Chios, Erythrai, Klazomenai und Smyrna in Besitz genommen. Diese Städte wurden dann — vielleicht im 9. Jhd. — von den nach Norden vordringenden Ioniern in Besitz genommen, aber im Dialekt von Chios, Erythrai und Phokaia blieben deutliche Spuren der Verschmelzung des aiolischen mit dem ionischen Volkstum (§ 98). Weiter im Norden und auf den vorgelagerten Inseln blieb das ( K l e i n a s i a t i s c h - ) A i o l i s c h e herrschend. Für ganz Hellas wurde es von Bedeutung durch das lesbisdie Lied.

In einigen wichtigen Punkten hatte sich aber der in Kleinasien und auf Lesbos gesprochene Diálekt von der altaiolischen Grund-lage entfernt, und zwar durch den Einfluß des benachbarten Ioni-schen; u. a. wurde τι wie dort zu σι (§ 38), πρότι zu πρός; für èv mit Akk. trat *ένς (εις) ein.

55. Im Ausgangsland des aiolischen Stammes, T h e s s a l i e n , konnte sich infolge des Vordringens westgriechischer Stämme, vor allem der dem Land dann den Namen gebenden Thessaler (die nach der Überlieferung aus Thesprotien im Epirus kamen), nur im Osten das Aiolische rein behaupten. Es zeigt hier sogar in manchem altertümlichere Züge als der verwandte Dialekt in Kleinasien: so nicht nur in den eben erwähnten Punkten, sondern auch in der Erhaltung des ν vor σ: πάνσα gegenüber lesb. παϊσα (ion.-att. πάσα), und in der Bewahrung des Genitivs auf -oio (später -οι). Dagegen an den Abhängen des Pindos gewann die Sprache eine stark westgriechische Färbung, und in den bis jetzt bekannten Inschriften der Phthiotis, die allerdings erst aus junger Zeit stammen, herrscht ein nordwestgriechischer Dialekt, in dem nur noch vereinzelte Spuren des Aiolischen erkennbar sind.

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44 Die Dialekte

56. Wir wissen nicht, wie weit sich vor der „Dorischen Wande-rung" der Herrschaftsbereich der Aioler über Thessalien hinaus nach Süden erstreckte. Nach Pausanias 10, 8, 4 wären die Β o i o -t e r zunächst in Thessalien ansässig gewesen: Θεσσαλίαν γάρ καΐ οίτοι τά αρχαιότερα ωκησαν καί Αιολείς τηνικαΰτα έκα-λοΰντο (nach Thuk. 1, 12, 3 kamen sie vom thessalisdien Arne). Infolge des Vordringens der Westgriechen gelangten sie dann nach Boiotien, das vorher zum ionischen Bereich gehört hatte: Kolophon, Milet, Priene, Teos sollen von Boiotien aus besiedelt worden sein. — Der boiotische Dialekt zeigt bei aiolischer Grund-lage eine starke Beeinflussung von Seiten des (Nord-)westgriechi-schen. Einige von den westgriechischen Sprachelementen haben nur die Linie Lebadeia, Koroneia, Thespiai erreicht, so die Stel-lung der Modalpartikel hinter dem Indefinitpronomen (W. P o r -z i g , Gnomon 32, 1960, 594).

Der Name Βοιωτοί deutet auf Herkunft vom Botov ορος in Nordepirus, beweist aber nicht, daß dieser Stamm zu den West-griechen gehörte. Auch Aioler können von dort ausgegangen sein.

57. Aioler kamen aber auch an die Küste von Kalydon und Pleuron am Korinthischen Meerbusen, wo Thukydides (3, 102, 5) eine Landschaft ΑΙολίς kennt, und über das Meer nach dem Pelo-ponnes. Vor allem in Elis zeigt der spätere Dialekt Spuren eines aiolischen Einschlags (u. a. den Dat. PI. auf -εσσι, die athemati-sche Konjugation der „Verba contracta", άγρέω „nehme" statt αίρέω). Auf eine thessalische Einwanderung in Elis darf wohl auch die Verehrung des „olympischen" Zeus zurückgeführt wer-den.

58. Außerdem finden sich aber aiolische Spuren, die auf ein Vordringen über die Landbrücke im Osten deuten, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in den dorischen Dialekten von Korinth und der Argolis. So ζ. Β. -εσσι (kor., arg.) und δττινες (arg., wie bei Sappho und Alkaios). Die Dorier scheinen also hier eine aiolische Bevölkerung vorgefunden zu haben, wie es auch Thukydides 4, 42, 2 berichtet: Σολύγειος λόφος . . . , έφ' δν Δωριής τό πάλαι

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Aiolisch 45

Ιδρυθέντεξ τοις έν τη πόλε ι Κορινθίοις επολέμουν, ουσιν ΑΙολεΰβι. Falls das zutrifft, waren diese Aioler den Vorfahren der Kyprier benachbart, die nach der Überlieferung zum Teil aus Sikyon und der Argolis stammten. Möglicherweise erklären sich aus dieser Berührung die besonderen Übereinstimmungen, die das Kyprische mit dem Aiolischen teilt (§ 35, 53).

W. Ρ o r ζ i g (in der in § 40 genannten Arbeit) hatte thessali-lische Einwanderer auf dem Peloponnes als die Träger der myke-nischen Kultur erklärt. In Gnomon 32 (I960), 594 ff. hat er das zurückgenommen und, darin wohl zu weit gehend, den Gedanken an peloponnesische Aioler überhaupt verworfen.

Äolismen gelangten audi zu den dorischen Inseln, u. a. nach Rhodos, das von der Argolis aus besiedelt worden sein soll: hier kommt ein paarmal -ντον als Endung der 3. P. PI. des Imperativs vor (ζ. Β. όμόσαντον wie kleinas.-aiol. δίδοντον usw.). Freilich muß gerade auf den Inseln mit einem lebhafteren Bevölkerungs-austausch in historischer Zeit gerechnet werden als auf dem Fest-land (vgl. § 63).

59. Charakteristisch für die aiolische Dialektgruppe sind fol-gende Erscheinungen: geminierte Nasale und Liquidae, die durch Assimilation aus -σμ-, -σν-, -va-, -λσ- u. a. entstanden sind, ζ. Β. in έμμί, άργεννός, μηννός, Aor. στέλλαι (thess., lesb.); π aus ursprünglichem kw vor e-Laut (in den übrigen Dialekten τ): πέμπε (thess., lesb.) für πέντε aus *penkwe, πήλε (lesb., boiot.) für τήλε, πέσυρες, πέσσαρες (lesb., boiot.) für τέσσαρες, ent-sprechend auch ß für δ in βελφίς (lesb., boiot.) für δελφίς; Dativ der 3. Deklination auf -εσσι, ζ. Β. παίδεσσι, πολίεσσι (thess., lesb., boiot.); Partizip Perf. auf -ων wie im Präsens, z.B. γεγό-νων, γεγόνοντος (thess., lesb., boiot.); patronymisches Adjektiv anstelle des sonst üblichen Vaternamens im Genitiv, ζ. Β. Φίλων Τιμάνδρειος statt Τιμάνδρου (thess., lesb., boiot.); γίνυμαι statt γίγνομαι (thess., boiot.).

Literatur: H o f f m a n n , Dial. II ; B e c h t e l , Dial. I; W. P o r z ig (s. 5 40), 149fi.; E. R i s c h , Mus. Helv. 12 (1955), 70f.; T h u m b - S c h e r e r , 1—109; 211 f.

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46 Die Dialekte

5. Westgriediisch

60. Am Ausging deá 2. Jahrtausends begannen diejenigen Grie-chenstämme, die bis dahin nodi fern von der Kultur des Ägäi-schen Meeres, Wahl hauptsächlich in Epirus, gewohnt hatten, sich langsam nach Osten und Süden vorzuschieben. Gewisse sprach-liche Neubildungen, die ihnert allen gemeinsam waren (§ 67), lassen darauf schließen, daß sie in ihrer Heimat Epirus, wo viel-leicht Dodona den Mittelpunkt ihres Kultus bildete, in Sitte und Sprache eine enge Einheit darstellten. Einen gemeinsamen Namen kennen wir nicht für sie und fassen sie deshalb nach der Lage ihrer ältesten Sitze als .„Westgriechen" zusammen. Die Δωριείς waren ein einzelner Stamm, mit dessen Namen schon die Alten das Volkstum und die Sprache in Argolis, Lakedaimon, Messenien und den von diesen Landschaften ausgehenden Kolonien bezeich-neten. Aber alte Verwandtschaft verband dieses peloponnesische Dorisch mit den „nordwestgriechischen" Dialekten, die in Epirus, Akarnanien, Aitolien, Lokris, Phokis, Delphi gesprochen wurden (vgl. § 7). Der westgriechische Stamm der Thessaler ließ nach seiner Einwanderung in Thessalien dem dort heimischen aioli-schen Dialekt nur noch geringen Spielraum (§ 55). Über ihre Herkunft sagt Herodot 7, 176, 4: Θεσσαλοί ήλθον έκ Θεσπρω-τών ο'ικήσοντες γήν την ΑΙολίδα.

Das Nordwestgriechische teilt fast alle Charakteristika des Do-rischen (s. § 66 f.). Eine Besonderheit ist -είμενος (aus -εε- für -EO-) als Ausgang des medialen Partizips der Verba auf -έω. All-gemein im Nordwestgriechischen verbreitet, abér nur im Lokri-schen und wohl auch im Aitolischen alt ist der Dat. PI. auf -οις in der 3. Deklination (ζ. Β. άρχόντοις).

61. Unter den sieben εθνη, die Herodot 8, 73, 1 auf dem Pelo-ponnes unterscheidet, sind die Dorier und Aitoler, die er zu den vier έπήλυδα rechnet, die treibenden und führenden Stämme der dorischen Wanderung: Δωριέων μεν πολλαί τε και δόκιμοι πόλιες, ΑΙτωλών δέ ΤΗλις μούνη. Diese — in der Heraldiden-sage weiter ausgesponnene — Überlieferung ist durch die alt-

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Westgriechisch 47

elisdien Bronzeinschriften, die bei den Ausgrabungen in Olympia gefunden wurden, bestätigt worden. Der elische Dialekt unter-scheidet sich vom Dorischen des Peloponnes durch mehrere eigen-artige Bildungen, und diese kehren zum Teil gerade im aitolisch-lokrisdien Sprachgebiet wieder, z .B. der sogenannte „aitolisdie" Dativ der dritten Deklination auf -οις (παίδοις, φερόντοις), die offene Aussprache des ε als α vor ρ (φάρω, πατάρα für φέρω, πατέρα), sowie στ für σθ (ζ. Β. λυσάστο -— -σθω).

62. Durch die Dorische Wanderung wurden auf dem Pelopon-nes ganz neue sprachliche Verhältnisse geschaffen. Nur im Berg-land Arkadien und im südlichen Elis (Triphylien) konnte sich der alte, zur arkadokyprischen Gruppe gehörige Dialekt behaupten. In Achaia und Elis entstanden vorwiegend westgriechisdi gefärbte Dialekte (§ 61, auch 57). In den übrigen Landschaften gewann das Dorische die Oberhand, wenn es auch von den früher dort herrschenden Dialekten nicht unbeeinflußt blieb.

63. Die dorischen Kolonisten, die zum Teil noch im Zuge der Dorischen Wanderung und dann weiterhin im 9. und 8. Jahr-hundert vom Peloponnes ausgingen, fanden auf den Inseln über-all schon Angehörige anderer griechischer Stämme vor. Mit der-selben zähen Kraft, die den Widerstand der alten Bevölkerung auf dem Peloponnes überwand, machte sich der Dorier zum Herrn eines großen Teils der Inseln des Ägäischen Meers (beson-ders Kreta und Rhodos). Freilich paßte sich das Doriertum, zer-splittert und versprengt über das Meer, stärker der Kultur an, die es vorfand. Auch blieb die Völkerbewegung gerade in den Kolonien viel lebhafter als im Mutterland; es traten bald von dieser, bald von jener Seite neue Einflüsse auf, die zum Teil nicht ohne dauernde Nachwirkung blieben. Das kommt auch in der Sprache zum Ausdruck und entwertet wohl auch manches, was nach Resten einer älteren Sprachschicht aussieht.

64. Argos, Megara und Korinth wurden die wichtigsten Häfen, aus denen sich der Strom der dorischen Auswanderer ergoß. Die argivischen Kolonien auf Rhodos, Kos und den kleinern Nachbar-

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48 Die Dialekte

inselli traten, wie schon der milesisdie Buchstabe 0 für η im alt-rhodischen Alphabet zeigt, frühzeitig zu Ionien in Beziehungen: auch der Dialekt blieb davon nicht unberührt. Von Rhodiern wurden Gela und Akragas an der Südwestküste Siziliens gegrün-det. Die megarisdien Kolonistenzüge gingen meistens nach dem Norden und besiedelten wichtige Handelsplätze am Bosporos (Byzanz, Chalkedon) und am Schwarzen Meer, Korinth schickte seine Schiffe im 8. Jahrhundert längs der Küste von Akarnanien und Epirus, setzte sich auf Leukas und Korkyra und in der Bucht von Ambrakia fest und gewann durch Syrakus bestimmenden Einfluß auf die Geschichte und die Kultur Siziliens.

65. Die einzige bedeutende lakonische Kolonie war Tarent. Aus ihrer im Jahre 432 gegründeten Tochterstadt Herakleia am Siris stammt das einzige vollständig erhaltene umfangreiche und alte inschriftliche Denkmal des Dorischen in Italien: zwei etwa am Ende des 4. Jahrhunderts beschriebene Bronzetafeln, die eine Art Grundbuch bilden. Sonst sind in den Städten Süditaliens und Siziliens nur wenige und kleine Inschriften aus älterer Zeit ge-funden worden: die längeren Texte setzen erst mit dem 3. Jahr-hundert ein. Wir wissen also nicht, wie lang in diesem Gebiet der Kampf zwischen dem Dorischen und den Dialekten der ältern Siedlungsschicht dauerte. In Himera wurde noch zur Zeit des Thu-kydides ein dorisch-ionischer Mischdialekt gesprochen. Aber das war sicher nur ein Ausnahmefall: im 4. Jahrhundert wird bereits das Dorische überall die Gemeinsprache des italisch-sizilischen Griechentums gewesen sein. Die Angabe der Alten, daß Melos und Thera lakonische Kolonien seien, läßt sich nicht nachprüfen; für uns ist Thera besonders wichtig, weil dort besonders alte und in seiner Kolonie Kvrene besonders umfangreiche Inschriften ge-funden worden sind ( T h u m b - K i e c k e r s 170if.; C. D. Β u c k , The Dialect of Cyrene, Classical Philology 41, 1946, 129 bis 134; E. R i s c h in Mus. Helv. 11, 1954, 30—34; s. auch unten § 144).

66. Was beim Dorischen so besonders stark in die Augen

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Westgriechisch 49

springt, ist der stark k o n s e r v a t i v e Zug der Sprache, die hohe Altertümlichkeit ihrer Formen.

a) Zusammen mit den anderen Dialekten, abgesehen vom Ionisch-Attischen, hielten die Dorier an dem ursprünglichen ä fest: ματηρ, φάμα.

b) Auch der w-Laut (geschrieben F), der im Ionisch-Attischen schon im 8. Jahrhundert völlig verklungen war, lebte bei den Doriern nodi bis tief in die hellenistisdie Zeit hinein: Ράνάξ, Féçyov, λαFôç, vèFος.

c) Die Lautgruppe -τι blieb unverändert: dor. δίδω-τι „er gibt" (vgl. altind. dädä-ti, lat. da-t), φέρο-ντι „sie tragen" (vgl. altind. bhára-nti, lat. ferunt) = ion.-att. φέρουσι(ν), älter φέρονσι (er-halten im Arkadischen). Ebenso sprachen die Dorier noch Ακατι „zwanzig" (vgl. altind. vimSati-h, lat. vtgintt) für είκοσι, und δια-κάτιοι, τρια-κάτιοι usw. (zu έ-κατόν, vgl. altind. dvi-iatam, tri-satam) für διακόσιοι, τριακόσιοι der anderen Dialekte.

d) Ιαρός ist die für alle dorischen Dialekte charakteristische Form des Adjektivs.

e) Dor. πράτος (auch nordwestgr. u. boiot.) ist vielleicht älter als πρώτος der übrigen Dialekte (an πρό angeglichen?).

f) Im Nom. Plur. des Artikels hielt das Dorische (abgesehen von Mittelkreta) an der alten Form τοί (altind. tê, got. pai aus *toi) und dem dazu neugebildeten ταί fest.

Die anderen Dialekte schufen zu dem alten Singular ό und 'ä (ή) den neuen Plural ol und ai.

g) τύ „du" gegenüber σύ der anderen Dialekte.

av wurde zum Akkusativ σέ neu gebildet, dessen σ- aus tw-hervorgegangen war, vgl. altind. tvä-m „dich".

h) τήνος „jener" ist ebenso alt wie κήνος, κείνος. i) Alt ist die Endung -μες in der 1. P. Pl., z.B. φέρομες,

έστάσαμες. Sie kam ursprünglich dem Ind. Präsens zu und ent-spricht dem nur im Vokal verschiedenen -mus (aus -mos) des Lateinischen (altind. -mah kann indog. *-mes oder *-mos sein).

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50 Die Dialekte

Das -μεν der übrigen Dialekte wird ursprünglich die Endung der Vergangenheitstempora und des Optativs gewesen sein.

k) Die Infinitivendung -μεν in der μι-Flexion (ζ. Β. διδό-μεν, δό-μεν, λυφή-μεν) ist nidht aus -μεναι gekürzt, sondern ebenso alt wie dieses.

Beides sind verschiedene Kasus eines abstrakten Substantivs auf -men- (vgl. lat. -men in certä-men, cri-mett).

1) Die Modalpartikel lautet κα (aiol., kypr. κε, ion.-att., ark. äv).

m) Das -κα der Temporaladverbien (πόκα usw.) ist wohl eben-so alt wie ion.-att., ark.-kypr. -τε (πότε).

67. Dem steht nur weniges gegenüber, was im Dorisdien sicher als Neuerung anzusehen ist.

a) Die Kontraktion von α + e-Laut in η. b) Die Vereinfachung der Lautgruppe -tw- im Zahlwort τέτορες

aus *kwetivores (sonst τέσσαρες, τέσοερες u. ä.). c) Die Flexion βασιλέ^ος , βασ ιλέ^ ι , β α σ ι λ ε ί α usw. ge-

genüber dem ursprünglichen -ή^ος usw. d) Die Aoriste auf -άξαι und -ίξαι von Verben auf -άζω, -ίζω

(Stamm -αδ-, -ιδ-), z. Β. σκευάξαι für σκευάσαι, κομίξαι für κομίσαι (audi thess. ψαφίξασδειν [ψηφίσασθαι], είργάξατο, ark. παρύεταξαμένος).

Diese Formen sind Analogiebildungen nadi σφάζω : σφάξαι (Stamm σφαγ-), αρπάζω : άρπάξαι (Stamm άρπαγ-).

e) Das sogenannte Futurum „doricum" (z.B. Herakleia άπο-δειξέω, Gortyn βοαθησίω, πρακσήται), das nur vereinzelt außer-halb des Dorisdien vorkommt (hom. έσσεΐται, att. z. Β. φευξοΰ-μαι), ist wohl eine Neubildung.

Die gemeindorischen Neuerungen, die übrigens auch nordwest-griediisch sind, müssen schon vor der Dorisdien Wanderung ein-getreten sein, weil die spätere Lagerung der westgriechischen Dia-lekte keine Gelegenheit zu ihrer stammesgebundenen Ausbrei-tung geboten hätte (vgl. W. Ρ o r z i g , Gnomon 32, 1960, 593).

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Pamphylisdi 51

Ahrens wollte die Masse der dorisdien Dialekte in zwei lìalf-ten gliedern: eine Doris severior (in Lakonien, Tárent, Herakleia, Kreta, Kyrene), die den Genitiv Sg. der o-Stämme auf -ω bildete (ϊππω) und die durch „Ersatzdehnung" entstandenen Längen als η und ω sprach (ήμί, μα^σα, ΐππως), und eine Doris mitior (in allen andern dorischen Staaten), die in beiden Fällen mit dem Ionisch-Attischen zusammenging (ϊππου, ειμί, μοΰσα, ίππους). Ob das aber ein alter, für die Verwandtschaft der dorisdien Dialekte maßgebender Unterschied war, wird von der neueren Forschung bezweifelt.

Literatur: Β e c h t e 1, Dial. II ; T h u m b - K i e c k e r s 6 9 f ! . ; S c h w y z e r , Gramm. 1, 91—96; N e h r b a ß (s. § 212); P. M i l a z z o , Il dialetto greco di Sicilia nel quadro dei dialetti ellenici, Palermo 1948; R i s c h , Gliederung (s. §40), 72 ff.; F. Κ i e c h 1 e , Das Verhältnis von Elis, Triphylien und der Pisa-tis im Spiegel der Dialektunterschiede, Rhein. Mus. 103 (1960), 336 fi.

6. Pamphylisdi

68. Am schwierigsten zu bestimmen ist die Stellung des grie-chischen Dialektes, der in P a m p h y l i e n gesprochen wurde. Die wichtigste Stadt, "Ασπενδος, war der Überlieferung nach eine Kolonie von Argos; Σίδη (von wo wir auch noch kürze Inschriften und Münzlegenden in der einheimischen Sprache haben) war von aiolischen Kymäern gegründet. Die Isolierung des Dialektes erfolgte noch vor dem Aufkommen des Artikels: das Pamphylisdie ist, abgesehen vom Mykenischen und von der Sprache der Dichtung, der einzige Dialekt, der ihn nicht ge-braucht. Es weicht von jeder der großen Dialektgruppen in dem einen oder anderen alten Unterscheidungsmerkmal ab: so vom Ionisch-Attischen und Arkadokyprisdien dürch die Bewahrung von -τι- und durch φίκατι „20", vom Arkadokyprisdien auch durch die Medialendungen -ται, -νται (letztere zu -δαι geworden, mit dem pamph. Wandel von ντ zü δ), von allen außer West-griechisch durch ίαρός, vom Westgriechischen, Thessalischen und Boiotisdien durch den o-Vokalismus des Verbums „wollen", vom Westgriechischen auch durch -fjfoç (zu -ïAjç geworden) bei den

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52 Die Dialekte

Nomina auf -εύς, von allen (außer Attisch) durdi die Formen des Verbums ε'ιμί (3. P. Pl. Imp. δδυ aus *δντον, für όντων vgl. § 58; Part. fem. ώσα). Möglicherweise nahm es also von Anfang an eine selbständige Stellung ein, mit jeder der großen Gruppen durch bestimmte Merkmale verbunden, durdi andere getrennt (so wie diese Gruppen unter sich auch).

Offenbar hat das Pamphylische von verschiedenen Seiten se-kundäre Einflüsse erfahren: A i o l i s eh ist die 3. P. Pl. des Imperativs mit der Endung -δυ aus -ντον (im Medium -σδυ für -σθον), ferner die Pluraldative auf -εσσι, -οισι, -αισι und wohl auch die Präposition περτί aus *πρετί (lesb. πρές). Das erinnert sehr an das verstreute aiolische Sprachgut im westgriechischen Bereich (§ 37 f., 62 f.). — Mehrere auffällige Übereinstimmungen weisen auf K r e t a : so Άπέλλων Πύτιος, 1(ν)ς (aus ένς), τρ für θρ (ζ. Β. άτρώποισι = τοις άνθρώποις) und etwa auch die Dative auf -οισι, -αισι (lesb., doch auch in einigen kretischen Städten die älteste bezugte Form dieses Kasus). Man kann dabei an Kreta als Zwischenstation denken, oder eher an eine jüngere Einwanderung von Kretern nach Pamphylien.

Eine Reihe sekundärer Lautentwicklungen, die der Dialekt mit dem Kyprischen, zum Teil auch mit dem Arkadischen gemeinsam hat, sind wohl auf nachbarliche Beeinflussung zurückzuführen, so u. a. die Verdumpfung von o in Endsilben zu υ ( = «), der Wan-del von -So zu -αυ, von εν zu iv, der Schwund des ν vor Konso-nanten und im Auslaut. — Audi von den epidiorischen Sprachen Kleinasiens ist das Pamphylische in einigen Punkten beeinflußt worden. Dorther rührt ζ. B. der gelegentliche Schwund von an-lautendem α: Θανάδωρυς (für -ος) neben Άθαναδώρα.

Literatur: Β e c h t e 1, Dial. II, 796 ff.; P. M e t r i , Il dialetto panfilio, Istituto Lombardo di Scienze e Lettere, Rendic. 87 (1954), 79f£.; T h u m b - S c h e r e r 175—193; S. L u r i a , Burgfriede in Sillyon, Klio 37 (1959), 7ff.; W. D r e s s l e r , Pamph. -δ- zu -ρ-, Archiv Orientální 33 (1965), 183 ff.; M; D o -r i a in: Studia Mycenaea (s. § 2 am E.), 186.

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IV. Umgangssprache und Urkundensprache 1. Die Inschriften

69. Wir wissen nicht, wie lange sich nadi der Zerstörung von Pylos der Gebrauch der Linear-B-Schrift an anderen Stellen Grie-chenlands noch behauptete. Nach Jahrhunderten, aus denen wir keine geschriebenen Dokumente haben, setzt dann im 8. Jhd. die schriftliche Überlieferung des Griechischen wieder ein, aber nun nicht mehr in Silbenschrift, sondern in der praktischeren und deutlicheren Form des Alphabets. Dieses war aus einem semiti-schen, etwa phoinikischen Alphabet entlehnt und den Erforder-nissen der griechischen Sprache einigermaßen angepaßt worden, vor allem durch die Einführung von Vokalzeidien. Es wies aber beträchtliche lokale Differenzen auf, insbesondere in der Darstel-lung von ξ, φ, χ und ψ (das Zeichen X gilt in den „ostgriechi-schen" Alphabetformen für χ, in den „westgriechischen" für ξ). Zur Vereinheitlichung kam es erst, als Athen im Jahr 403 v. Chr. das kleinasiatisch-ionische Alphabet offiziell einführte und die übrigen Staaten im Laufe des 4. Jhd. nachfolgten.

Vgl. u.a.: T h u m b - K i e c k e r s 36—41; S c h w y z e r , Gramm. 1, 137fi.; W. B r a n d e n s t e i n (s. §2), 28ff.; L. H. J e f f e r y , The Local Scripts of Archaic Greece, Oxford 1961.

70. Von den frühesten Niederschriften in alphabetischer Form hat sich nichts erhalten, wohl weil die Beschreibstoffe nicht von Bestand waren. Aber im 8. Jhd. begannen die Griechen, einzelne Worte oder kurze Sätze in dauerhaftes Material, in Stein und Metall einzumeißeln: den Namen des Verstorbenen auf seinen Grabstein, des Künstlers und des Stifters auf das Weihgeschenk. Mit der größeren Fertigkeit im Schreiben wuchs auch von Jahr zu Jahr der Umfang der Aufzeichnungen: alles, was als Urkunde dauernd erhalten werden sollte, wurde in Stein gehauen, Gesetze, Verträge, Volksbeschlüsse, Rechnungen und Inventarverzeich-nisse, Ehrenbürgerbriefe und Siege in den Wettspielen.

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54 Umgangssprache und Urkundenspradie

71. Sehr verbreitet ist die Vorstellung, daß die Inschriften im Gegensatz zu der Literatur Zeugen der schlichten, uilgekünstelten Umgangssprache des gebildeten Mannes seien. Das ist ein Irrtum. Alle etwas umfangreicheren Inschriften sind öffentliche, von der Staatskanzlei ausgefertigte Urkunden: Volksbeschlüsse, Verträge, Gesetze usw. Für sie war ebensogut wie für die einzelne Literatur-gattung ein besonderer Schriftstil ausgeprägt, steif und alter-tümelnd, der sich in der Wortwahl, im Satzbau und sogar in den äußern grammatischen Formen von der beweglichen und sich Schnell verändernden Sprache des Lebens recht erheblich unter-schied und ihr viel ferner stand als zum Beispiel der flotte und lebeñsprühende Dialog des Aristophanes und der leichte, geist-volle Plauderton des Piaton. Die privaten Urkunden aber sind meistens sehr kurz und geben für die Sprache wenig aus: auf den Grabsteinen wird dem Namen des Verstorbenen in älterer Zeit außer dem Vaternamen selten noch etwas hinzugefügt. Schwingt sich ein Anverwandter dazu auf, ein Grabmonument mit einer längeren Inschrift zu setzen, so wählt er dazu die poetische Form, mit Votliebe den Hexameter oder das Distichon, und wenn dann auch ein solches Epigramm in den Lauten und Formen den leben-digen Dialekt einer Stadt oder Landschaft redet, so ist doch sein Wortschatz und zum Teil auch seine Formenbildung durch die Sprache der Dichtung, besonders der epischen, beeinflußt (vgl. unten § 118).

2. Die Volkssprache

72. Die gebildeten Stände — der Adlige, der Beamte, der Kauf-mann — waren namentlich in den größern Städten nur eine dünne Oberschicht über der Masse der arbeitenden Bevölkerung. Die Kluft, die die Sprache der untern Klassen von der der Gebildeten trennte, war desto breiter, je stärker die sozialen und kulturellen Gegensätze hervortraten und je verschiedenartiger sie in einem Staat waren. In den großen Städten mit ihren mannigfaltigen Be-rufen und ihren bunt zusammengewürfelten Bewohnern bildeten

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Die Volksspradie 55

sich deutliche Gegensätze zwischen den Sprachen der einzelnen Stände aus. Besonders stark unterschied sich der Volksdialekt von der Hochsprache da, wo griechische Kultur auf eine fremde Unter-schicht gepflanzt war, also in den griechischen Kolonien im weite-sten Sinn, aber auch in den Städten mit der großen Zahl ortsfrem-der Hintersassen und Sklaven. Ein klassischer Zeuge dafür ist Herodot. Er teilt (1, 142, 3. 4) die ionischen Städte der klein-asiatischen Dodekapolis nach ihrem Dialekt in vier Gruppen ein (Milet, Myus, Priene — Ephesos, Kolophon, Lebedos, Teos, Kla-zomenai, Phokaia — Chios, Erythrai — Samos) und bemerkt zu der Gruppe II : αύται δέ αί πόλιες τησι πρότερον λεχθείσησι όμολογέουσι κατά γλώσσαν ουδέν, σφίσι δέ όμοφωνέουσι. Daß er damit nicht die ionische Hochsprache meinen kann, zeigen die Inschriften deutlich: denn in ihnen treten irgendwie auffällige Unterschiede nicht hervor. Er hat also ohne Zweifel die Sprache der breiten Volksmasse im Auge, und diese war nicht nur in den einzelnen Städten, sondern auch von der Hochsprache verschieden. In allen ionischen Zwölfstädten bildete das ionisch-griechische Element als Oberschicht den führenden Stand im Wirtschafts-leben, in der Politik und geistigen Kultur; die Masse der Bevöl-kerung dagegen bestand aus mehr oder weniger gräzisierten Leu-ten verschiedener Herkunft, ζ. B. Karern, Lydern und Maioniern. Wie stark ihre Sprachen, die Herodot auf den Märkten in Hali-karnaß, in Milet und Ephesos tagtäglich hörte, sogar auf das Griechische selbst wirkten — wenigstens bei den Halbgebildeten und im „Slang" —, davon gibt uns der Bettelpoet H i p p o n a x aus Ephesos (6. Jhd.) eine lebhafte Vorstellung.

73. Er war von Geburt ionischer Grieche und dichtete im ioni-schen Dialekt. Aber diesen versetzte er — das zeigen schon die wenigen von ihm erhaltenen Verse — mit einer Menge von maionischen Worten: z.B. σκαπαρδεύω „helfe"(?), κόνισκε „sei gegrüßt", βεβρός „aufgeblasen", κασωρικός „Huren-", χλούνης „Räuber", πάλμυς „König"; νικύρτας, σάβαυνις Schimpfworte u.a.m. — Vgl. P i s a n i , Storia 68—70; O. M as s o n , Les fragments du poète Hipponax, Paris 1962.

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56 Umgangssprache und Urkundensprache

74. Leider sind in klassischer Zeit Denkmäler unbeeinflußter Vulgärsprache sehr spärlich. Die Komödie streift hier und da die Ausdrucksweise des Mannes aus dem Volke. Aber das sind immer nur einzelne, absichtlich aufgesetzte Lichter, die zur Charakte-ristik der Rolle dienen sollen. In der flotten und zwanglosen Aus-drucksweise des aristophanischen Dialogs hat wohl der Bürger-stand auf dem Markt und der Straße, aber nicht etwa der Last-träger, der Schiffsknecht und der Maurergeselle gesprochen.

75. Für Athen geben uns „die attischen Vaseninschriften eine wenn auch nodi so lückenhafte Vorstellung von der Sprechweise der niederen und weniger gebildeten Bevölkerungsklassen Athens, von einer attischen Volkssprache" ( K r e t s c h m e r in seinem trefflichen Buch über die griechischen Vaseninschriften, S. 73). Freilich zählten die Töpfermeister Athens nicht gerade zu den armen Leuten — die große Vasenindustrie ernährte schon ihren Mann —, aber ihre Bildung war dodi zweiten Ranges und ihre Sprache schon deshalb ein Attisch von zweifelhafter Güte, weil mandie als Métoiken aus andern Landschaften stammten. Da die meisten Vaseninschriften nur aus Namen bestehen, so bringen sie natürlich den größten Gewinn für die Lautlehre.

76. Wir finden wiederholt die Entwicklung eines Einschub-vokals neben Liquiden ζ. Β. Έρεμής für Έρμης, Γορογώ für Γοργώ, Έπιδόρομος für Έπίδρομος (ähnlich Ήρύκαλον für Ήρακλέα bei Sophron, Fr. 142 Kaibel); den Übergang von δ in die Spirans σ in "Ασμητος, Κάσσμος für "Αδμητος, Κάδμος; den Übergang von δ in λ in Όλυττεύς für 'Οδυσσεύς; den Ersatz von δ durch y in Άριάγνη für 'Αριάδνη u. a. m. Doch geht die Formenlehre nicht leer aus. In der häufigen Wendung ό παις χαλάς, ή παις καλή ist mehrere Male παΰς statt παις geschrieben (Kretschmer § 170), vielleicht nichts weiter als eine Analogie-bildung nach γραΰς. Sicher steht der ,aktive Imperativ δέχε für δέχου (Kretschmer §61), wohl ηβάί έχε gebildet. Schwierig zu erklären bleibt nach wie vor die f o r m πιει „trink" (mit e c h t e m ει!) in der häufigen Aufschrift χαίρε και πιει, einmal sogar χαίρε και πιεις.

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Die Volkssprache 57

77. Etwas jüngere, aber nicht minder interessante Zeugen der Vulgärsprache sind die auf Bleitäfelchen geschriebenen Verwün-schungen bestimmter Personen (R. W ü η s c h , Defixionum tabel-lae in Attica regione repertae, IG I I I 3, Appendix, Berlin 1897; E. Z i e b a r t h , Neue attische Fluchtafeln, Nadir. Gesellsdi. d. Wissensch. Göttingen, 1899, 105—135). Die ältesten sind in At-tika gefunden worden; ihre Hauptmasse fällt in das 3. Jahrhun-dert, nur wenige sind älter.

78. Hier finden wir Έριμής für Έρμης mit demselben Ein-schubvokal, der auf den Vasen vorkommt (§ 76), Ώφιλ'ιων für Ώφελίων, ατός für αύτός, Φρεσεφόνη für Περσεφόνη, βόλυβδος für μόλυβδος, γλώντα und häufig γλώτα für γλώττα, δέσποτε als Vokativ (eine durch den gleichlautenden Genitiv der ä- und o-Stämme hervorgerufene Analogiebildung), Lokative auf -E ( = -εί?, vgl. Menander οϊκει = οίκοι?) in ΦρεαρρΕ, ΦαληρΕ, τά für ä, οίκότης neben οίκέτης, χθονικός für χθόνιος, προτε-ρίων für προτέρων u. a. m.

79. Audi die übrigen Gattungen der Inschriften geben mancher-lei für die Volkssprache der klassischen Zeit aus, besonders wenn sie so privaten Zwecken wie ζ. B. die obszönen Felseninschriften Theras dienten. Im allgemeinen reden freilich, wie schon erwähnt, die Steinurkunden eine gebundene Schriftsprache. Nur in den gelegentlichen Verschreibungen des Steinmetzen oder seiner Vor-lage klingt hier und da ein Ton der Vulgärsprache hindurch.

80. Besonders tritt dabei der Einfluß hervor, den benachbarte Laute aufeinander ausüben: es zeigt sich Verdrängung eines Lau-tes durch einen ähnlich klingenden (ρ durch λ, λ durch ρ ζ. Β. Πόκλον für Πρόκλον, Ήρακείδης für Ηρακλείδης), Assimila-tion von Konsonanten und von Vokalen (Άνύντας für 'Αμύντας, ταιμίας für-ταμίας) u. a., vgl. E. N a c h m a n s o n , Beiträge zur Kenntnis der altgriech. Volkssprache, in den Skrifter utgifna af K. Humanistiska Vetenskaps-Samfundet, Uppsala, X I I I 4 (1912).

Literatur: P. K r e t s c h m e r , Die griechischen Vaseninschrif-ten· ihrer Sprache nach untersucht, Gütersloh 1894; S c h w y z e r , Gramm. 1, 87f . ; E. K a g a r o w , Form und Stil der Texte der griech. Fluchtafeln, Archiv f. Religionswiss. 21 (1922), 494—497; Fr. Ρ f i s t e r , Vulgärgriechisches in der pseudo-xenophonti-

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38 Umgangssprache und Urkundensprache

sehen 'Αθηναίων πολιτεία, Philologus 73 (1916) 558—562; T h u m b - S c h e r e r 306fi.

Über die nachklassische Volkssprache s. in Band II.

3. Die Staats- und Gemeinsprache

81. Die Umgangssprache des gebildeten Athen im 5. Jahrhun-dert, das „Hochattische", war wie jede andre Hochsprache dauernd im Fluß begriffen: neben älteren Formen, die im Absterben waren, stiegen neue Bildungen empor und gewannen immer mehr an Boden, der Sprachgebrauch in den einzelnen Gesellschaftskrei-sen und Berufsständen war sehr verschieden. Die Staatskanzlei, die für den Text der Volksbeschlüsse, Verträge und Gesetze eine möglichst einheitliche und ausgeglichene Sprachform anstrebte, versuchte natürlich, von mehreren miteinander konkurrierenden Formen die eine als „korrekt" zu stempeln und so feste Normen für den „richtigen" Sprachgebraudi zu schaffen. Dabei tritt der jeder amtlichen Schriftsprache eigene konservative Zug unver-kennbar hervor: dem Neuen wird, solange es geht, die Anerken-nung und Gleichberechtigung versagt. Bis zum Jahr 300 endigt die 3. Person Plur. Imperativi in den attischen Inschriften auf -ντων, -σβων (φερόντων, φερέσθων, vorher -οσθων, wohl -ού-σθων zu lesen), während in der Umgangssprache schon am Ende des 5. Jahfhunderts die Formen φερέτωσαν, φερέσθωσαν verein-zelt auftauchen und im Laufe des 4. Jahrhunderts das Feld ganz erobern. Vor dem Jahr 432 v. Chr. endigt der Dativ Plur. der ersten Deklination in den Inschriften auf -ησι (-ασι), seit 420, nach ein paar Jahren des Schwankens, ausnahmslos auf -αις: so plötzlich ändert sich kein natürlicher Sprachgebrauch! Die Endung -αις, eine Analogiebildung nach dem -οις der 2. Deklination, wurde schon in den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts in den besten Kreisen Athens gesprochen, aber die hohe Kanzlei erkannte sie nicht an und setzte es auch durch, daß sie in den Steinurkunden streng gemieden wurde (ebenso wie das bereits ältere, dem -οισι nachgebildete -αισι, § 182). Erst als -ησι im

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Die Staats- und Gemeinsprache 59

Sterben lag oder schon gestorben war, erging die Verfügung, daß man künftighin in allen amtlichen Aktenstücken den Dativ stets auf -αις zu bilden habe. Trotz diesem Streben nach Einheitlich-keit und strenger Gesetzmäßigkeit gelang es aber der Amts-sprache nicht ganz, Schwankungen im Sprachgebraudi zu vermei-den und den Einfluß 4er flüssigen ' Umgangssprache zu unter-drücken. So tritt, um nur einige Beispiele zu nennen, schon im 5. Jahrhundert neben τό αύτό audi tò αύτόν auf (Meisterhans3

155); den bis zum Ende des 5. Jahrhunderts herrschenden Impe-rativen όμνύτω, όμνύντων gesellt sich ein vereinzeltes δμνυόντων in einem Staatsvertrag aus den Jahren 422—416 hinzu (IG I2

Nr. 90, 16). Die Finalsätze werden in der Regel mit δπως fiv ein-geleitet: zweimal aber wagt sich das bei Antiphon wie bei Thuky-dides häufige ίνα hervor. Wie um 420 der Dat. PI. auf -αις, so jetzt sich dann gegen 400 auch der Ausgang -εσθων anstelle von altattisdiem -οσθων im Imperativ des Mediums durch, sowie die Präposition σύν statt ξύν.

82. Wie in Athen ging es in allen übrigen Städten und Staaten: überall dieselbe altertümelnde Amtssprache. Trotzdem ließ sich natürlich auch außerhalb Athens nicht eine chinesische Mauer um die Aktenstube bauen: der schwankende Sprachgebraudi zahl-reicher Urkunden beweist, daß die Umgangssprache in die Amts-sprache eindrang.

83. Jede Stadt, jede kleine Landschaft faßte ihre öffentlichen Urkunden im 5. Jahrhundert in ihrem eigenen Lokaldialekt ab. Darin spiegelt sich das stolze Selbstbewußtsein, das auch die kleinen Stadtstaaten hatten. Erst nach und nach beschränkte der Verkehr und die politische Entwicklung die Herrschaft des Dia-lekts im öffentlichen Leben. Näheres darüber s. Band II, § 38 ff.

Literatur: K. M e i s t e r h a n s , Grammatik der attischen In-schriften, 3.Aufl. von Ed. S c h w y z e r , Berlin 1900.

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60 Literatursprache

V. Literatursprachen

1. Literaturgattung und Dialekt

84. Bei keinem Volk wurde die Sprache der einzelnen Litera-turgattung so sehr als ein Teil ihrer Kunstform empfunden wie bei den Griedien. Das tritt am stärksten darin hervor, daß mehr-fach eine griechische Dichtungsgattung mit dem Dialekt, in dem sie ihre Ausbildung und erste Blüte erlebte, unzertrennlich ver-wuchs. Wer sie pflegte, war auch an diesen Dialekt gebunden, ganz gleich, welchem griechischen Volksstamm er angehörte, wel-chen Dialekt er als Muttersprache redete und wo er wohnte. So ging in Kleinasien aus der Mischung aiolischer und ionischer Ele-mente die homerische, epische Sprache hervor, die ihren festen Schatz von Formen und Wendungen durch alle Jahrhunderte bis in die byzantinische Zeit behielt, und aus ihr wieder die Sprache der Elegie: der Lakone Tyrtaios dichtete im 7. Jahrhundert seine für Dorier bestimmten kriegerischen Elegien genau in dem episch-ionischen Dialekt des Kallinos aus Ephesos. Nicht ganz so treu blieb der dorisdie Dialekt dem Chorlied, das seine erste kunst-mäßige Ausbildung auf dem Peloponnes empfing. Zwar dichtete der Boioter Pindar seine Siegeschöre nicht im boiotischen, sondern im selben peloponnesisch-dorischen Dialekt wie Alkman. Aber Chordiditer aus ionischem Dialektgebiet, wie Simonides aus Keos, setzten dem Dorischen ionische Formen zu, und im attischen Chorlied verblaßte die dorische Spradie noch mehr.

85. Wenn Dialekt und Dichtungsgattung sich miteinander un-zertrennlich verbanden, so spielte der Vers dabei eine entschei-dende Rolle. So dichteten die Ionier, als sie das im aiolischen Dia-lekt gesungene Heldenlied von den Aiolern übernahmen, nicht rein ionisch, sondern behielten eine Anzahl aiolischer bzw. ar-chaischer mit dem Vers eng verwachsener Formen bei; so wurde die epische Sprache die Sprache des Hexameters.

86. Andre Literaturgattungen schlossen keine so enge Verbin-

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Literaturgattung und Dialekt 61

dung mit einem einzelnen Dialekt. Das lyrische Lied (μέλος) ent-stand auf dem aiolischen Lesbos: aber Anakreon aus Teos dichtete rein-ionisch und Korinna aus Tanagra boiotisdi. Ionien war das Geburtsland des Jambus und der Prosa; aber weder in dem Dia-log des Aisdiylos noch bei Thukydides ist in den Spradiformen selbst ein starker Einfluß des ionischen Dialekts zu spüren.

87. War so der Schriftsteller durch die Literaturgattung an eine bestimmte Sprachform gebunden, so konnte er seine eigene Art um so klarer im Stil des Literaturwerks — im Wortschatz und im Satzbau — entfalten. Kein einziger griechischer Dichter und Schriftsteller hat die schlichte Umgangssprache eines Dialekts ge-schrieben. Selbst der Prosaiker erhob seine Sprache durch einge-streute altertümliche Formen, durch seltene oder poetische Worte, durch kunstmäßige Verbindung und Verschränkung der Sätze über die Ebene des Alltäglichen. Sehr viel leichter hatte es der Dichter: für ihn war die ältere Poesie, namentlich die homeri-schen Gedichte, eine unerschöpfliche Quelle, aus der er seine Sprache und seinen Wortschatz bereicherte. Wie weit der ein-zelne Schriftsteller in diesem künstlichen Schmuck seiner Rede ging, das entschied zum größten Teil sein persönlicher Geschmack, seine Erziehung und Bildung, seine sprachschöpferische Kraft. Die Sprache eines Aischylos, eines Herodot läßt sich nicht in kon-ventionelle Regeln zwängen, sie ist ein kunstvolles Gefüge, in dem überlieferte Formen individuell ausgestaltet sind.

88. Da die griechische Sprache der klassischen Zeit für uns hauptsächlich durch die Literatur verkörpert wird, gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der griechischen Sprachgeschichte, die Spradientwiddung der einzelnen Literaturgattungen aufzuweisen und die Stellung der einzelnen literarischen Persönlichkeiten innerhalb dieser Entwicklung zu erfassen.

Literatur: U. v o n W i l a m o w i t z , Die Entstehung der griechischen Schriftsprachen (Verhandlungen der Versamml. Deut-scher Philol. u. Schulm., Wiesbaden 1878), und: Geschichte der griech. Sprache, Berlin 1928; Ed. Z a r n c k e , Die Entstehung

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62 Literaturspradie

der griediischen Literatursprachen, Leipzig 1890; S c h w y z e r , Gramm. 1, 101; H. L. A h r en s , Über die Mischung der Dia-lektf in der griechischen Lyrik, Kleine Schriften I (Hannover 1891), 157—181.

2. Die Überlieferung der Literatursprachen

89. Die griechische Literatur der klassischen Zeit ist uns, wenn •wir von den Papyrusfragmenten absehen, in Handschriften über-liefert, die durch 1500 Jahre und mehr von der ersten Nieder-schrift und Ausgabe der Werke getrennt sind. So ist die Frage wohl berechtigt, ob die in den Handschriften stehenden Spradi-formen wirklich vom Verfasser selbst gewählt und geschrieben worden sind.

90. Die Textgeschidite der griechischen Klassiker zerfällt in zwei scharf voneinander geschiedene Perioden: in die ν o r -a l e x a n d r i n i s c h e und die n a c h a l e x a n d r i n i s c h e Zeit.

Die Vorstehet der von Ptolemaios II. gegründeten Bibliothek in Alexandria, an ihrer Spitze Zenodot aus Ephesos, sampelten im 3. Jahrhundert v.Chr. die noch erhaltenen Werkç der jdassi-sdien Literatur und legten ihren Text in wissenschaftlich-kriti-schen Ausgaben fest. Damit fand die frühere Freiheit der Über-lieferung ihr Ende. Was die Alexandriner in ihre Ausgaben auf-nahmen, wurde von nun an wenigstens für die gelehrte Über-lieferung gleichbedeutend nut dem Urtext der Schriftsteller. Das gilt für Homer ebenso wie für die Tragiker und Lyriker. Wenn wir also irgendeiner Sprad^form unserer Handschriften das Zeug-nis ausstellen, daß sie gut überliefert sei, so sagen wir zunächst nichts weiter, als daß sie im Text der alexandrinischen Ausgabe stand. Die Lesarten dieser Ausgabe wiederherzustellen, muß also das nächste Ziel der Forschung sein, und ihm kommen wir desto näher, je größer die Zahl der wertvollen und selbständigen Hand-schriften ist und je reicher die ältere Parallel-Überliererung der Papyri fließt.

91. Im großen und ganzen ist die nachalexandrinische Über-lieferung bis zum 10. Jahrhundert besser als ihr Ruf. Für die Zuverlässigkeit der Handschriften ist jetzt in den um tausend

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Die Überlieferung der Literaturspradhén 63

Jahre älteren Papyri eine wichtige Kontrollmöglidikeit gegeben. Die Stücke aus Herodot 2, 154—175 zum Beispiel, die wir jetzt auf Papyrus besitzen (Oxyrhynchus Papyri VIII, Nr. 1092), stim-men in den Sprachformen mit den Handschriften (wo diese von-einander abweichen, meist mit der Klasse AB) ganz überein. Be-sonders diejenigen Schriftsteller, deren Sprache sdiwer verständ-lich war und deren Lektüre deshalb ein besonderes Studium er-forderte, wurden mit pedantischer Sorgfalt abgeschrieben.

92. Es hängt also die Zuverlässigkeit der überlieferten Texte im wesentlichen von ihrer Geschichte in der vóralexandrinischen Zeit und den Grundsätzen, die die Alexandriner bei ihrer Aus-gabe befolgten, ab. Diese haben nicht viel anders gearbeitet als die heutigen Philologen. Sie sammelten die ihnen durch den Buchhandel zugänglichen Ausgaben der klassischen Autoren, ver-glichen sie kritisch und versuchten, einen möglichst urkundlichen Text herzustellen. Dabei verfuhren sie im allgemeinen konserva-tiv und hielten sich von willkürlichen Änderungen der Überliefe-rung frei. Das gilt besonders auch für die Sprachformen.

93. Wenn sie in aiolischen Gedichten ΰσδος (so schon auf dem Ostrakon, das Sappho 2 enthält) für όζος oder ΐίζος schrieben oder das nach dem zuverlässigen Zeugnis der Inschriften für den Urtext des Alkman anzunehmende θιός odèr θεός durch σιός ersetzten, so verfolgten sie damit als Grammatiker und Dialekt-forscher nur den Zweck, dem lesenden Publikum die nach ihrer Ansicht richtige Aussprache zu zeigen. Von einer Verderbnis des Textes kann da keine Rede sein. Gewiß sind bei ihrer wissen-schaftlichen Arbeit Irrtümer unterlaufen, sie haben richtig über-lieferte Formen für falsch gehalten und nach ihrer Ansicht „ver-bessert", weil sie in ihnen Verstöße gegen Sprache und Dialekt erblickten: so ist in dorischen Texten ein echtes, nicht aus ä ent-standenes η (e) wiederholt in ä verwandelt worden, weil man die richtige Beobachtung, daß einem attischen η in den dorischen Dialekten oft ü entspricht, unrichtig verallgemeinerte (Hyper-dorismus). Solche Fehler, die nicht aus Willkür, sondern aus Überlegung entspringen, dürfen nicht zu einem falschen Urteil über den wissenschaftlichen Ernst und die Kenntnisse der Alexan-driner verleiten. — Daß aber nicht selten die moderne Kritik gut

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64 Literatursprache

überlieferte Formen zu Unrecht als falsch verdächtigt, hat B. F o r s s m a n (s. § 161), S.36fï. an angeblichen Hyperdorismen im Pindartext gezeigt.

94. Wenn also die Sprachformen der klassischen Texte über-haupt stärkere Verderbnisse erfahren haben, so kann das nur in der Zeit geschehen sein, die zwischen der ersten Niederschrift und der alexandrinischen recensio lag. Für die Textüberlieferung in dieser Periode fehlt es uns aber an direkten Quellen. Wir be-sitzen kein einziges im 6. oder 5. Jahrhundert geschriebenes Buch, wir kennen weder die Kenntnisse noch die Gewissenhaftigkeit derer, die Bücher abschrieben oder verkauften, wir wissen nicht, ob die Herstellung einer neuen Ausgabe lediglich eine rein mecha-nische Arbeit war oder ob dabei der Text, sei es im guten oder im bösen, durch mehr oder weniger berufene Literaturkundige einer „Revision" unterzogen wurde, wir können uns keine Vor-stellung vom Unterschied zwischen einer Schulausgabe und einem Bühnenexemplar des Sophokles machen. Kein Wunder also, wenn die modernen Kritiker und Grammatiker in ihren Ansichten über das, was der Autor selbst geschrieben haben könne und was nur durch willkürliche oder nachlässige Entstellungen seines Textes zu erklären sei, manchmal weit auseinandergehen. Der blinde Glaube, daß alle Sprachformen unserer Handschriften und Papyri, die die Alexandriner in den von ihnen gesammelten Ausgaben bereits vorfanden, genauso auch in dem vom Schriftsteller selbst verfaßten und redigierten Urtext gestanden haben, ist ebenso unkritisch wie die Willkür derer, die ihr vorgefaßtes Urteil über die Sprache eines Literaturwerks dazu benutzen, mit völliger Miß-achtung des Uberlieferten die „ursprünglichen" Formen wieder-herzustellen. Für den objektiv Wägenden wird sehr oft ein „igno-rabimus" der Sdiluß der Weisheit sein.

95. Wichtige Hilfsmittel, die über die Ausgabe der Alexandri-ner hinaufführen und zu ihrer Kontrolle dienen, sind 1. die bei den Schriftstellern der voralexandrinisdien Zeit stehenden Zitate aus Werken, die wir in der alexandrinischen recensio besitzen

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Homer 65

(ζ. Β. ein Vers des Pindar bei Platon), 2. die Inschriften aus der Zeit, in der die Autoren lebten, 3. bei Dichtern das Metrum.

Literatur: U. v o n W i l a m o w i t z , Homerische Unter-suchungen (Berlin 1884) 235 fi.; d e r s., Einleitung in die griechi-sche Tragödie (Berlin 1910) 120—270 (Gesdiidite des Tragiker-textes); d e r s . , Abhandlungen der Kgl. Gesellsch. d. Wissensch, zu Göttingen NF. IV, 3, Berlin 1900 (Die Textgeschichte der grie-chischen Lyriker).

3. Homer

96. Wie im Altertum die Heimat des Dichters "Ομηροξ an der ionischen Küste Kleinasiens gesucht wurde, so galt auch seine Sprache als „altionisch" (παλαιά Ίάς), und diese Vorstellung von einem zwar archaisch gefärbten, aber im ganzen einheitlichen „ur-ionischen" Dialekt Homers kehrt auch noch in den Werken nam-hafter Forscher aus neuerer Zeit wieder. Dabei prägt sich wohl in keiner zweiten griechischen Literatursprache so deutlich die Verbindung ungleichartiger Elemente aus. Sind doch in ihr nicht nur Formen verschiedener Zeiten, sondern auch v e r s c h i e d e -n e r D i a l e k t e enthalten. Die Sprachelemente, die nicht dem Ionischen angehören, werden von alter Zeit her als „ Ä o l i s -m e n " betrachtet.

97. Die Entstehung dieser homerischen Dialektmischung bildet eines der wichtigsten Probleme der homerischen Frage. Daß der Dichter willkürlich und „künstlich" Aiolisches und Ionisches mit-einander vermengt habe, konnte nur eine Zeit glauben, die den Begriff der Sprachgeschichte noch nicht kannte. Homers Sprache kann nur aus dem Anteil, den zwei verschiedene griechische Volksstämme an der Schöpfung und Entwicklung des Epos ge-habt haben, verstanden werden. Und da bieten sich a priori zwei Möglichkeiten: Aioler und Ionier haben entweder gleichzeitig und gemeinsam an einem Ort, wo aiolische und ionische Sprache ge-mischt war, das Epos und seine Sprache geschaffen — oder sie lösten einander in der Pflege des Epos ab, wobei die ionische Epik als die jüngere von den Aiolern nicht nur die Stoffe und das

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66 Literatursprache

Versmaß entlehnte, sondern auch eine Menge aiolisdier, mit dem epischen Stil verwachsener Dialektformen übernahm.

98. Nach der ersteren Ansicht entstand das griechische Epos im kleinasiatischen Grenzgebiet zwischen Aiolisch und Ionisch, etwa in Smyrna oder Chios.

Es fehlt nicht an Zeugnissen dafür, daß da, wo ein anfänglich aiolisdier Besitz an der kleinasiatischen Küste in ionische Hände überging, aiolische Bildungen in den ionischen Dialekt eindran-gen: so stehen in alten ionischen Inschriften aus Chios die Äolis-men πρήξοισιν für πρήξουσιν, δέκων πεντηκόντων (Genitive), αί für εΐ. Freilich ist ein weiter Schritt von solchen vereinzelten aiolischen Formen in ionischen Inschriften zu der Fülle der nicht-ionischen Einmengungen bei Homer. Doch könnte man diese Kluft mit der Vermutung überbrücken, daß die Inschriften den in Wirklichkeit stärkeren aiolischen Einschlag im lokalen Dialekt zugunsten des Ionischen retuschieren, oder daß in früheren Jahr-hunderten, zur Zeit Homers, im Grenzgebiet zwischen Aiolern und Ioniern, ein mit Äolismen viel stärker durchsetzter ionischer Dialekt gesprochen worden sei, der erst allmählich durch den steigenden ionischen Einfluß seine aiolischen Bestandteile immer mehr eingebüßt habe.

99. Gegen die Auffassung der homerischen Sprache als eines wirklich gesprochenen Mischdialekts spricht die Tatsache, daß die nichtionischen Formen der homerischen Sprache mit dem Vers des Epos, dem Hexameter, eng verwachsen sind, die ionischen dagegen nicht. Für fast alle nichtionischen Formen Homers besitzt der ionische Dialekt keine metrisch gleichwertigen (ζ. B. aiol. παίδεσσι : ion. παισί, ΰμμε : ύμέας, θυράων : θυρέων, εχευε : 'έχεε, εσσεται : εσται, κε : äv), während die ionischen Formen gerade in den ältesten Partien nur lose aufliegen und in den mei-sten Fällen durch aiolische ersetzt werden könnten (ζ. B. das ionische η durch δ in μήνις, εστη, κοίληισιν, νηυσί, ion. πείρατα durch πέρρατα, εΐνεκα durch εννεκα, Ιέναι durch ΐμεναι, εδτ' αν πολλοί durch εδτέ κε πολλοί). Also führt die Verbindung der verschiedenartigen Elemente bei Homer nicht auf eine gemischte Volksmundart zurück, in der ja der Anteil der beiden Dialekte

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Homer 67

mehr oder weniger zufällig gewesen wäre, sondern spiegelt deut-lich die GeschiAte der epischen Dichtung wider: die Sprache des epischen Verses war ursprünglich die aiolische, das Heldenlied in Hexametern ist zuerst von Aiolern nicht von Ioniern gedichtet worden. Als aber die führende Rolle im geistigen Leben der Griechen auf die Ionier überging, wurde auch die Sprache des Epos ionisch: nur übernahm sie eine Menge von altertümlichen und zum Teil speziell aiolischen Formen, die besonders in festen Formeln oder an bestimmten Versstellen ihre alten Rechte be-haupteten und dem epischen Erzählungsstil seinen Charakter gaben: in Wendungen wie 'Αγαμέμνονος Άτρεΐδαο, χαλέασατο λαόν Άχιλλεύς, μαχεσσαμένω έπέεσσιν, ό'ξέα κεκλήγοντες, Κίλλαν τε ζαθέην, ίππότα Νέστωρ, έδητύος έξ ερον 'έντο war die nichtionische Wortform nicht durch eihe ionische ersetzbar.

100. Nach der sprachlichen Eigenart der nichtionischen Bestand-teile des Epos ist nicht anzunehmen, daß das Heldenlied, ehe es von den Ioniern übernommen wurde, gerade auf Lesbos oder in den aiolischen Städten der Troas seine Ausbildung erfuhr. Es kann schon vor der Gründung der aiolischen Städte Kleinasiens an den Fürstenhöfen Thessaliens gedichtet und vorgetragen wor-den sein. Von den Äolismen Homers weist kaum einer speziell auf das kleinasiatische Aiolisch bzw. auf Lesbos hin; dagegen sind gerade das Thessalische und Boiotische neben dem Mykenischen die einzigen griechischen Dialekte, in denen sich die homerischen Genitive auf -oio (dieser nur thess. und myk.), auf -So und auf -ΰων lebendig erhalten haben. Falls es in alter Zeit auf dem Pelo-ponnes, etwa in der Argolis, eine aiolisch sprechende Bevölkerung gab (s. § 58), könnten die aiolischen Elemente der epischen Sprache von dorther stammen.

Sehr wahrscheinlich hat es auch im „achaeischen" Süden das Heldenlied gegeben und es mag inhaltlich und sprachlich Ein-flüsse bis in das homerische Epos ausgeübt haben. Manche von den „Äolismen" des Epos könnten aus dem Mykenischen stam-men (z. B. die Genitive auf -oto, -äo, -äcov), aber den sicher aioli-schen Elementen wie -εσσι stehen keine eindeutig mykenischen gegenüber.

101. Das Epos durchlebte eine jahrhundertelange Entwicklung in den ionischen Dichter- und Rhapsodenschulen, bis ein bedeu-

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tender Dichter (im 8. oder 7. Jahrhundert?) das alte Lied vom Groll des Achill mit einer Anzahl anderer epischer Lieder und Sagen verband und mit schöpferischer Kraft zu einem großen Epos, der Ilias, ausbaute. Diese Jahrhunderte vor der Entstehung unserer Ilias gingen an der Sprache des Epos nicht spurlos vorbei. Alte Formen starben ab oder wurden selten, neue drangen ein. Immer mehr geriet die Sprache in Abhängigkeit vom Vers: ihm zuliebe wurden sogar Wortbildungen und Formen künstlich ge-schaffen. So ist die epische Sprache, wie sie uns in der Ilias vor-liegt, nichts weniger als die einheitliche Schöpfung einer bestimm-ten Zeit.

102. Nach einer antiken Erzählung hat Peisistratos die homeri-schen Gedichte sammeln und ihren Text feststellen lassen. Das ist in dieser Form schwerlich richtig, weil Ilias und Odyssee nicht gesammelte Lieder, sondern einheitlich angelegte und kunstvoll durchkomponierte Werke sind, die in der Hauptsache e i n e n Dichter voraussetzen. Aber ein richtiger Kern steckt wohl doch darin. Denn einzelne attische Formen der homerischen Sprache sprechen dafür, daß wirklich in Athen die grundlegende Nieder-schrift der Ilias und Odyssee erfolgt ist, auf der unser Homertext ruht.

103. Zwischen ihr und der kritischen Ausgabe der Alexandriner liegen mehrere Jahrhunderte. In ihnen ist eine Menge seltsamer Sprachformen in den Homertext eingedrungen, die nicht dem Dichter zur Last gelegt werden können, ζ. Β. θείω, εϊως, ε'ινάλιος, οΰνομα, κεκληγώτες, ήγνοίησεν u. a. m. Ihre Erklärung hat man zum Teil in einer Änderung der attischen Orthographie gesucht, die sich am Ende des 5. Jahrhunderts vollzog. Bis dahin wurden in Athen die drei in Länge und Klangfarbe ganz verschiedenen e-Laute in εστί, ε'ιμί, ήν durch denselben Buchstaben, nämlich durch E, ausgedrückt, und ebenso die drei o-Laute in öv, ουσα, ών durch O. Als nun im Jahre 403 das ionische Alphabet, das O und Ω, E und Η unterschied, von der attischen Staatskanzlei übernommen wurde und die Schreibung EI, OY für die gedehn-

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Homer 69

ten lind zusammengezogenen Längen immer mehr Anklang fand, mußte sich audi der Buchhandel dazu entschließen, in die Aus-gaben der alten Schriftsteller die neue Orthographie einzuführen. Dabei waren Mißverständnisse leicht möglich, wenn dem Ab-schreiber das im alten Alphabet geschriebene Wort seiner Vor-lage nicht mehr geläufig war: er konnte ζ. Β. ΕΟΣ mit εΐως oder ϊως umschreiben, während ηος gemeint war.

104. Eine solche Übertragung des ursprünglichen Homertextes aus dem altattischen Alphabet in das ionische ist an sich sehr wohl denkbar: denn es ist weder zu beweisen noch wahrschein-lich, daß in ganz Griechenland alle Bücher bereits im 7. und 6. Jahrhundert im ionischen Alphabet geschrieben wurden. Aber sie erklärt doch nur wenige der anstößigen Formen. Es muß eine viel tiefer greifende Überarbeitung des Homertextes stattgefun-den haben, die den Zweck verfolgte, die altertümlichen Sprach-formen zu modernisieren (ζ. Β. τίθει für τίθη) und metrische Fehler, die man zu entdecken glaubte, zu verbessern, είν άλί für έν άλί, οϋνομα für δνομα können doch nicht auf einem Mißver-ständnis eines überlieferten alten E und O beruhen: denn έν und δνομα waren Worte, die jeder erkennen mußte. Vielmehr verrät das ει und ου die Hand eines Bearbeiters, der daran Anstoß nahm, daß die durch das Metrum bedingte Dehnung des ersten Vokals in έν άλί, δνομα in der Schrift bis dahin nicht zum Aus-druck gebracht war. Da er nun im Homertext für attisch ξένος, μόνος die ionischen Formen ξεινος, μοΐνος fand, deren ει und ου regelrecht durch Ersatzdehnung (ξένιος, μόνΑ>ς) entstanden war, so glaubte er, daß auch έν άλί, δνομα im Altionischen είν άλί, οΰνομα gelautet hätten, und setzte diese Formen dem Vers zulieb in den Text. In ήγνόησεν (von άγνοέω) war das o vor Vokal vom Dichter als Länge gemessen worden: das hielt der Bearbeiter nicht für statthaft; er erinnerte sich daran, daß das im täglichen Verkehr von ihm gesprochene ποησαι aus dem altern und in der Schrift meist festgehaltenen ποιήσαι hervorgegangen war, und schrieb deshalb bei Homer auch ήγνοίησεν in dem

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Glauben, daß er damit die ursprüngliche und vom Dichter noch gesprochene Form wiederhergestellt habe.

105. Audi die Doppelschreibung des Vokals bei den viel be-handelten „zerdehnten" Formen gehört jedenfalls erst der Text-gesdiichte an. Denn die Ansicht, daß die handschriftlichen Formen wie όρόων, όρόωντα, όρόωσι, όράασθε die durch Vokalassimila-tion entstandenen Übergangsformen zwischen όράων, όράοντα, όράουσι, όράεσθε und όρων, όρώντα, όρώσι, όρδσθε bildeten und wirklich einmal im ionischen Dialekt gesprochen wurden, stößt auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Vielmehr waren die ursprünglichen und in den Anfängen der epischen Dichtung noch lebendigen nicht kontrahierten Formen όράων, όράοντα, όράεσθε im ionischen Dialekt schon früh in όρων, όρώντα, όρασθε zusam-mengezogen und wurden deshalb wohl nicht nur im griechischen Text, sondern auch beim mündlichen Vortrag der ionischen Rhap-soden durch die ihnen geläufigen kontrahierten ersetzt, was in der Art geschah, daß der zusammengezogene Vokal mit zwei-gipfligem Akzent über zwei Versfüße verteilt, also „zweisilbig" gesprochen wurde. Diese Aussprache brauchte an sich in der Schrift gar nicht besonders zum Ausdruck gebracht zu werden: aber der Deutlichkeit zulieb hielt man es für zweckmäßig, die scheinbar fehlende Silbe für das Auge des Lesers zu ergänzen, und schrieb deshalb den Vokal doppelt.

Literatur: P. C h a n t r a i n e , Grammaire homérique, 2 Bde., Paris 1942 (3. Aufl. 1957), 1953; G. D e v o t o , La lingua ome-rica, 2. Α., Florenz 1948; C. G a l l a v o t t i u. A. R o n c o n i , La lingua omerica, Bari 1948; M. L e u m a n n , Homerische Wörter, Basel 1950; S c h w y z e r , Gramm. 1, 101 ff.; G. P. S h i p p , Studies in the Language of Homer, Cambridge 1953; C. J. R u i j g h , L'élément adiéen dans la langue épique, Assen 1957 (vgl. dazu die Besprechung von E. R i s c h , Gnomon 30, 1958, 90 ff.); Κ. S t r u n k , Die sogen. Äolismen der homer. Sprache, Köln 1957; P i s a n i , Storia 20ff.; T h u m b - S c h e r e r 202 ff. — Äußerungen verschiedener Forscher zu den niditioni-schen Bestandteilen der epischen Sprache in: Studia Mycenaea (s. § 2), 198—201.

4. Hesiod

106. Hesiod lebte um 700 v. Chr.; sein Vater wanderte aus dem aiolisdien Kyme aus und ließ sich in Askra am Fuß des

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Helikon seßhaft nieder. Als er starb, erhob sich zwischen Hesiod und seinem Bruder Perses ein Rechtsstreit um das Erbe; Hesiod verlor ihn. Diese wenigen von Hesiod selbst in den Erga 35 fi., 203 ff., 633 ff. erwähnten Begebenheiten seines Lebens sind widi-tig für die Beurteilung seiner Sprache. Sie gleicht zwar in ihrem ganzen Charakter, besonders auch in der Mischung nichtionischer und ionischer Formen, der homerischen Sprache, mit der sie ja auch das Versmaß teilt. Aber schon Ahrens Kl. Sdiriften 1,174 ff. erkannte im echten Hesiod einzelne Äolismen, die nicht bei Homer stehen (so αίνημι Erga 683 für α'ινέω, δψιν Erga 426 für άψϊδα, Gen. τριηκόντων Erga 696 für τριήκοντα). Außerdem glaubte er eine Anzahl D o r i s m e n feststellen zu können (u.a. den Akk. Plur. der I. Dekl. auf -8ς Erga 663, 675, Theog. 267, 534, 653. Fr. 55; τέτορα Erga 698; ήν „sie waren" Theog. 321, 825; Ιδον Theog. 30 statt att. ϊδοσαν; Gen. Plur. μελιδν Erga 145). Die Äolismen stammen wahrscheinlich aus Kyme, der alten Heimat des Vaters. Doch von den „Dorismen" ist nur τέτορα eindeutig dorisdi oder nordwestgriechisch; μελιάν kann auch aiolisch sein. Bei den übrigen handelt es sich eher um festgehal-tene Archaismen. Nichts weist auf Beeinflussung der hesiodisdien Sprache durch den boiotischen Dialekt.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1, 108; P i s a n i , Storia 55ff.; T h u m b - S c h e r e r 8ff.; H. T r o x l e r , Sprache und Wortschatz Hesiods, Zürich 1964; A. M o r p u r g o D a v i e s , .Doric' features in the language of Hesiod, Glotta 42 (1964), 138ff.; A. G a r c í a C a l v o , Particularidades lingüisticas recuperables a través del texto hesiódico, Emérita 34 (1966), 15—37; M. L. W e s t , Zu einigen Dorismen bei Η., Glotta 44 (1967), 146—148.

5. Die Elegie 107. Die Elegie war gleich dem Jambus eine Schöpfung der

I o n i e r. Im Inhalt vom Epos völlig verschieden, lehnte sie sich in der Form an dieses an, indem sie den Hexameter mit dem Pentameter zum Distichon verband. Damit war ihre urspriing-

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lidie Spradiform von selbst gegeben; es war eine Verbindung des lebendigen ionischen Dialekts mit dem epischen. Alle Formen der Elegie, die zugleich homerisch und altionisch waren (z.B. μου-σέων, ευτ' δ·ν), dürfen natürlich nidit einseitig zu dem einen oder andern Dialekt geredinet werden. Lassen wir sie beiseite, so bleibt in den erhaltenen Distichen der beiden ältesten Elegiker, des Κ a 11 i η o s aus Ephesos und des A r c h i l o c h o s von Paros (beide 7. Jahrhundert) nodi eine solche Menge metrisch gesicherten, rein epischen Sprachguts übrig, daß die nichthomeri-schen Dialektformen geradezu als aufgesetzte Lichter erscheinen. Bei Kallinos kommt der eigene Dialekt zum Ausdruck in κότ' 1, 1, κως 1, 12, κοτε 2, bei Archilochos in der im Ionischen mög-lichen kontrahierten "Form δαμονες 3 für δαήμονές und in dem speziell ionischen Wort μελεδαίνων 9.

108. Was will aber das matte Lokalkolorit bedeuten gegenüber den starken epischen Farbentönen! Fast jeder Vers enthält einen Anklang an das Epos, mag das nun eine ganze Phrase, ein ein-zelnes Wort oder eine Wortform sein:

λαώι Kall. 1, 18 (ion. λεώς), νηός Gen. Arch. 5, 6 (ion. νεώς), τιμήεν Kall. 1, 6 (altion. *τιμέην oder *τιμέεν), die offenen For-men Τρήρεας Kall. 4, ξιφέων Ardi. 3, 3, ο'ιδαλέους 7, 4, Ιμερό-εντα 9, στονόεντα 7, 1, κήδεα 7, 1, α'ιματόεν 7, 8, έξεσάωσα 6, 3, έϋπλοκάμου 12, Doppelsigma in Εσσεται Kall. 1, 8, Ardi. 3, 3, τανύσσεται Arch. 3, 1, τόσσον Arch. 13, πελάγεσσι Arch. 12, der Genitiv auf -oio in der festen epischen Verbindung πολυφλοίσβοιο θαλάσσης Ardi. 7, 3 und in Ένυαλίοιο ανακτος Arai. 1 (-οιο ανακτος häufig bei Homer), Einzelheiten wie κάλλιπον Ardì. 6, 2, όππότε κεν δή Kall. 1, 8. Nicht mit Homer, aber mit Hesiod gemein hat Ardiilochos das Verbum θέσσασθαι (θεσσάμενοι 12). Das singulare εσκε Arch. 13 ist kontaminiert aus hom. είς δ κε und ion. εστε. Ebenso erstaunlich ist dreimaliges έν δορί Ardi. 2 (ep. δουρί); es wird attisch sein (vgl. att. δορί έλείν).

109. Allerdings scheint die ältere ibnisdie Elegie in der Auf-nahme einzelner niditionisdier Formen der epischen Sprache zu-rückhaltender gewesen zu sein als die jüngere in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts.

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Elegie 73

Bei Archilochos und Mimnermos ist nur äv belegt (Ardi. 3, 2; 9, 2; Mimn. 11, 1; 11, 4, dazu έπήν 2, 9), bei Xenophanes κε κεν (1, 17; 2, 6. 7. 8. 10; 4, 1) häufiger als Äv (2, 19. 20; 5, 4); bei Àrdi. 1 und Mimn. 6 der Gen. Plur. der ä-Stämme nur auf einsilbiges -εων (Μουσέων, μελεδωνέων), bei Xenophanes das erste -δων (άοιδάων 5, 4); bei Ardi, und Mimn. nur Dative auf -σι (δυσμενέσιν Ardi. 4, άνδράσιν Mimn. 1, 5, παισίν 1, 9; 3, χερσίν 10, 6), bei Xenophanes das erste -εσσι in εύπρεπέεσσιν 3, 5. Zufällig erst bei Mimnermos belegt ist der Gen. auf -äo wie in Α'ιήταο 11, 5 und das Verbum έπιδεύεται 2, 13 (Xenophanes δευόμενοι 3, 6).

Ihren eigenen Dialekt ließen audi die jüngern ionischen Eiegi-ker nur in wenigen verstreuten Wortformen durchklingen (ζ. B. Mimnermos άμπαυσις 10, 2, κοτε 11, 1, βάξις und βάξιος 9, Xenophanes ζάπεδον 1, 1 für δάπεδον, γηρέντος 8, Part, vom Aorist έγήρην).

110. Die kriegerischen Töne, die Kallinos und Archilochos an-schlugen, fanden in S p a r t a um die Mitte des 7. Jahrhunderts lebhaften Widerhall. Der Lakone T y r t a i o s , ein Staatsmann und Stratege von Bedeutung, kaum jünger als die beideh Ionier, wendete sich, wie diese, in kernigen Elegien aufmunternd und ermahnend an seine Landsleute. Wie Hesiod und Theognis hat er das Schicksal gehabt, daß seine Dichtungen überarbeitet und erweitert wurden und ihm Elegien untergeschoben wurden, die einer viel jüngern Zeit angehörten. Zu den unbedingt echten Stücken gehören wohl die Fragmente der Elegie, die den Titel Ευνομία führte (Nr. 2—3), ferner drei Bruchstücke aus einem Gedicht, das einen Krieg gegen Messenien behandelte (Nr. 4 bis 5), und endlich der Kern der Elegie Nr. 8 (Vs. 1—14, 19—28, 35—36), einer in ihrer anschaulichen Knappheit prächtig wirken-den Anfeuerung der spartiatischen Hopliten. Beschränken wir tins bei der Prüfung der Sprachform auf die 56 Verse, so ergibt sich folgendes Bild. Für den Dorier Tyrtaios ist die von den Ioniern geprägte ionisch-homerische Sprache der Elegie als feste Kunstform gegeben: er führt das ionische η durch, z. Β. άναγ-καίης ΰπό λυγρής 5, 2 (die einzige Ausnahme έχθράν 8, 5'kann

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sich nicht behaupten), und verleugnet häufig anlautendes F-, das damals im Lakonischen nodi allgemein gesprochen wurde (τελέ-εντ" Ιπεα 3 b, 2 έννεακαίδεκ' Ιτη 4, 4, χαλά καΐ ερδειν 3 a, 7, πολυδαχρύού Ιργα 8, 7), er nimmt aus dem Epos die Kasus ήελίοιο 8, 6, βασιλήαξ 3 a, 3, βασιλήΐ 4, 1. Andere epische For-mât wie όρέων 4, 8, Γμερόεσσα 3 a, 4, λαόν 8, 13 waren ihm aus seinem eigenen Dialekt geläufig. Dieser klingt aber auch in eini-gen Bildungen durch, die weder ionisdi nodi homerisch waren, so in der kurzen Endungssilbe der Akkusative δημότδς 3 a, 5, δεσπότ&ς 5, 4 und in κακχείμενος 8, 19 (homer, ion. χατακεί-μενος).

111. Erst ein halbes Jahrhundert später als in Sparta hielt die Elegie ihren Einzug in A t h e n . Der Reiz der elegisdien Dich-tungen S o 1 o n s , von denen uns umfangreiche Reste (etwa 220 Verse) erhalten sind, besteht mehr in der Persönlichkeit ihres Verfassers als in großer Gedankenfülle und Gestaltungs-kraft. Die Spradie zeigt Solon im ganzen als einen getreuen Schüler seiner großen altionischen Meister. Wie diese dem epi-schen Vers viele mit seinem daktylischen Rhythmus fest verwach-sene, unionisdie oder im Ionischen schon erstorbene Formen ent-lehnen, so finden wir audi bei ihm χαλλείποιμι 22, 6, ^λυΟε 1, 31; 3, 18, Ζηνός 1, 1. 25, und besonders viele nicht kontrahierte Vokale (ζ. Β. αλγεα 3, 8, χέρδεα 1, 74, ίίνθεα 3, 35, νεφέων 1, 24, δυσμενέων 3, 21, ταχέως 1, 13, άργαλέηισι 1, 37, Ιχθυόεντα 1, 45, δειδε 22, 3, πείσεαι 22, 1). Freilich war Solon, wie es scheint, noch sparsamer als Ardiilodios und Kallinos mit solchen homerischen Formen, die ihren nichtionischen Ursprung offen verrieten.

112. Er gebraucht keinen Genitiv auf -äo und kein χε (dagegen äv 1, 60. 73; 2, 5; 5, 7; 14, 9; 19, 18; 22, 1, δταν 5, 9, όπόταν 1, 75). Doppelsigma findet sich nur in δσσον 5, 1 (daneben aber τόσον 5, 1, δσοις 5, 10, μέσον 10, ώλεσεν 3, 20, διεσκέδασεν 1, 18, ήλάσατε 4, 6, τελέσηι 19, 3, τελέσας 19, 17, ήσυχάσαντες 4, 5, κορέσειεν 1, 73, έπεφρασάμην 22, 2, κατεφράσατο 1, 38, ποσίν 14, 4, ετεσιν 19, 2, ϊχνεσι 8, 5). Der einzige Dativ auf

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-εσσιν steht in einer deutlich auf Homer anspielenden Phrase: συν ήγεμόνεσσιν ϊποιτο 5, 7 nach ¿¡μ' ήγεμόνεσσιν ϊποντο Μ 87 Ν 801; sonst nur Dative auf -σι. Audi die beiden Wortverbin-dungen πόντου . . . άτρυγέτοιο 1, 19, ήελίοιο μένος 1, 23 mit dem epischen Genitiv auf -oio haben ihre Vorlagen in άλός άτρυγέτοιο A 316, άτρυγέτοιο θαλάσσης Ξ 204, μένος ήελίοιο Ψ 190.

113. Wie Solon auf der einen Seite den Einfluß der episdien Sprache einschränkte, so hat er andererseits dem Dialekt seiner Elegien eine leichte attische Färbung gegeben. Das kann als sicher gelten, nachdem 17 zum Teil schon aus andern Quellen bekannte Verse aus Solons Elegien auf dem Papyrus der 'Αθη-ναίων πολιτεία des Aristoteles wiedergefunden worden sind. Man hatte früher gezweifelt, ob Solon attisdies ä purum hinter ε, ι, ρ oder ionisches η geschrieben habe, weil die Handschriften schwanken. Es überwiegt in diesen durchaus das ionische η. Nur in den beiden Elegien 3 und 10, von denen jene bei Demosthenes, diese bei Diodor, Diogenes Laertius und Plutardi erhalten ist, steht regelmäßig ä purum hinter ρ (ήμετέρδ 3, 1, πράθέντες 3, 25, τραχέα 3, 34, πραΰνει 3, 37, λαμπρός 10, 2, φαιδιον 10, 5; einzige Ausnahme: homer, όβριμοπάτρη 3, 3), dagegen η hinter ι und ε (τοίη 3, 3, Άθηναίη 3, 4, άφραδίηισιν 3, 5, ήσυχίηι 3, 10, ήλιχίην 3, 20, διχόστασίης 3, 37, άργαλέης 3, 38, άϊδρίηι 10, 4, λίης (?) 10, 5; Ausnahmen δυσνομία 3, 31, ευνομία 3, 32). Auf dem Papyrus der 'Αθηναίων πολιτεία folgt aber auch auf ι ohne Ausnahme ä purum: Ίδονίδς, φιλαργυρίδν (?), ύπε(}ηφα-viäv Kap. 5 = Fr. 4, 2. 4, λίαν Kap. 12 = Fr. 5, 8. Es ist álso sehr wahrscheinlich, daß Solon das ionische η hinter ε, ι, ρ mied, außer wenn er Worte, die nur der epischen Sprache angehörten, mit deutlicher Anspielung auf ihre Quelle absichtlich in homeri-scher Lautform gebrauchte. Kam aber in der von Stobaios voll-ständig erhaltenen langen Elegie 1 das streng durchgeführte ioni-sche η (audi νηυσίν Vs. 44) erst durch eine jüngere „ionisierende" Überárbeitung in den Text, so halten auch die in derselben Elegie überlieferten ionischen Konttaktionsformen νοεΰμεν Vs. 33 und

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φορεύμενος Vs. 45 vor den attisdien Formen der übrigen Frag-mente nicht stand: πλουτοΰσι(ν) 3, 11; 4, 9; 14, 1, άδικοΰσι 3, 22, Ικνοΰνται 3, 24, Κυπρογενοϋς 20. Stärker scheint allerdings die attische Färbung nicht gewesen zu sein.

114. Denn, wenn der Überlieferung zu trauen ist, hat Solon mehrere ionisdi-homerische Formen auch dann gebraucht, wenn ihm metrisch gleichwertige attische zur Verfügung standen: so die Genitive πολυτέχνεω 1, 49, Άΐδεω 14, 8, Μουσέων 20 (zwei-silbiges Μουσάων 1, 51), ήμέων 1, 72, ύμέων 8, 5, σεΰ 22, 2.

115. Die kleinen Sinngedichte und Sprüche, in denen T h e o -g n i s aus Megara (Mitte des 6. Jahrhunderts) die goldenen Re-geln der Lebensklugheit und des Lebensgenusses knapp und witzig in Distichen faßte, wurden schnell in Athen beliebt und verbreitet. An den Grundstock des echten Theognis wurden fremde Stücke angeschlossen, teils aus der alten Elegie ausgezogen, teils ge-flügelte Worte unbekannter Verfasser. Diese Sammlung wurde immer von neuem herausgegeben, überarbeitet und durch neuen Stoff bereichert. Das ist der Theognis, den wir besitzen. In ihm Echtes von Unechtem glatt zu scheiden, ist ein hoffnungsloses Unternehmen, mag auch die Kritik das eine oder andere Stück als echt erweisen können. Es wird deshalb auch nie gelingen, ein ganz scharf umrissenes Bild von der Sprache des Theognis zu zeichnen, zumal da diejenigen seiner Sprachformen, die nicht durch das Metrum festgelegt waren, mehr oder weniger der Mo-dernisierung ausgesetzt waren. Daß Theognis im allgemeinen im ionisch-homerisdhen Dialekt der Elegie dichtete, daß er, wie alle jüngern Elegiker, die nichtionischen Formen der epischen Sprache reichlicher zuließ als die alte Elegie, ist sicher^ weil diese beiden Eigenschaften der Sprache in allen unter seinem Namen überlie-ferten Gedichten, den editen wie den unechten, hervortreten. In diese konventionelle Sprache aber mischen sich vereinzelt Klänge des dorischen Heimatdialekts hinein. Dorisches fi ist überliefert in Ευρώτα Gen. 785, Εύρώται 1088, παιανων 779, Τιμαγόρδ Vok. 1059 (dagegen έπιβα 847 aus έπίβαε). Metrisch sicher ist

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Das Epigramm 77

der Infinitiv φεΰγεν 260; für viv 364 und ήμεν 960 hat man — ob mit Recht? — die epischen Formen μιν und 'έμμεν bzw. είμεν einsetzen wollen, λην „wollen" in λήι 299 und μώσθαι 771 (μώται Epicharm 117, μώμενος Tragiker) sind dorisdie Verba, wahrscheinlich auch πέπασται 663 (wohl eher πέπάται zu sdirei-ben), πάσάμενος 146 = κέκτηται, κτησάμενος. αμπαυμα 343 kann dorisch, aber auch ionisch sein (αμπαυσις Mimn. 10, 2).

116. Die Elegie des ausgehenden 5. Jahrhunderts hat unter ihren zahlreichen Vertretern bedeutende Männer, von denen wir auch zum Teil nennenswerte Fragmente besitzen (ζ. B. Ion aus Chios, Euenos aus Paros, Kritias, Piaton). Sie zeigen, wie die homerische Sprache immer mehr Besitz von der Elegie ergreift und das, was früher noch an schwacher ionischer oder dorischer Färbung vorhanden war, ganz verdrängt. Erst die Alexandriner kehren zum alten Dialekt der Elegie zurück.

Literatur: A. F i c k , Die Sprachform der altionischen und alt-attischen Lyrik, in Bezzenbergers Beiträgen XI, XIII , XIV (1886. 1888. 1889); S c h w y z e r , Gramm. 1, 108 f.; P i s a n i , Storia 61—63; T h u m b - S c h e r e r 230—232; 297 f.; A. S c h e t e r , Die Sprache des Archilochos, in: Entretiens sur l'Antiquité Classi-que Χ (1963), 87 ff.

6. Das Epigramm

117. Die verbreitetste, aber zugleich auch am handwerksmäßig-sten betriebene Dichtungsart war das Epigramm, dessen Vers in älterer Zeit gewöhnlich der Hexameter oder das Distichon, sel-tener der Jambus war. Selbst die kleinste Stadt, aus deren geisti-gem Leben keine Meister der Dichtkunst hervorgehen konnten, besaß unter ihren Bürgern ein paar mäßig begabte Gelegenheits-dichter, die auf Bestellung ein paar Verse für einen Grabstein oder ein Weihgeschenk zusammenzusetzen verstanden. Solche kurze Aufschriften in gebundener Form erhoben natürlich nicht den Anspruch, als literarische Denkmäler zu gelten; sie wollten lediglich von den Mitbürgern, die durch die Grabstätten wandel-

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ten, oder von den Besuchern eines Tempels, in den von weit her Geschenke für den Gott zusammenflössen, gelesen werden und das Andenken an den Verstorbenen oder den Stifter lebendig er-halten. Dieser Zwedc bestimmte audi ihre Sprachform: es war die Mundart der Stadt, in der der Verstorbene gelebt hatte oder aus der das Weihgesdienk kam. Selbst berühmte Dichter mußten sidi, wenn reiche Leute oder Städte bei ihnen ein Epigramm bestell-ten, zum Dialekt ihrer Auftraggeber bequemen. So hat der Ionier Simonides seine Epigramme für Dorier und dorische Städte im dorisdien Dialekt abgefaßt.

118. Freilich verließen sich die meisten Gelegenheitsdichter nicht auf ihren eigenen Genius, sondern machten ungeniert reidi-lidie Anleihen bei den großen Dichtern, besonders bei Homer und den Elegikern, und zwar nicht nur im Wortschatz, sondern audi in den mit dem daktylischen Versmaß eng verwachsenen epi-schen Formen: wir begegnen den Genitiven auf -äo und -oio, den Dativen auf -οισι, den sigmatisdien Aoristen mit -σα- (ζ. Β. όλέσ-σαι), altertümlichen Stammbildungen wie κεκλήσεται, εκιχε, dem Fehlen des Augments, dem Ny ephelkystikon u. a. m. Je älter aber ein Epigramm ist, desto mehr tritt dieser entlehnte Aufputz zurück hinter dem Lokaldialekt, desto ungeschminkter und ur-wüchsiger erscheint die Sprache. Allerdings darf man nicht etwa in jedem alten Epigramm eine besondere Originalität des Ge-dankens und sprachlichen Ausdrucks suchen: denn schon früh bildete sich ein gewisser fester Phrasen- und Formelschatz, aus dem man je nach dem besondern Fall die nötigen Bestandteile für ein neues Epigramm nur herauszuholen brauchte.

119. Wie sehr man danach strebte, namentlich in den Sprach-lauten den Lokaldialekt möglichst rein erklingen zu lassen, geht am besten daraus hervor, daß Lehnworte aus Homer nicht selten in die Lautform eines Dialekts umgesetzt wurden. Inschriftliche Beispiele dafür sind (zitiert nach E. H o f f m a n n , Sylloge epi-gtammatum Graecorum, quae ante medium saeculum a. Chr. n. tertium incisa ad nos pervenerunt, Halle 1893, und nach S c h w y z e r , Dial.):

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Das Epigramm 79

Ποτεδά^δνι (-δδνι) Fávακτι (Versschluß, Korinth 292, 293; Schw. 123, 2.3) füf den 9mal bei Homer belegten Versschluß Ποσειδάωνι άνακτι.

κλέΓος απθιτον α ΐ /ε ί (Versschluß, Krissa 287; Schw. 316) für κλέος αφθιτον I 413, αφθιτον αΐεί Β 46, Ξ 238.

βαρνάμενος (Athen 36, Akarnanien 51, Korkyra 47) für μαρνάμενος.

έπ' Άράθθοιο ρΐιο^αίσι (Verssdiluß, Korkyra 47; Sdiw. 133): gebildet nach dem Verssdiluß ποταμοΐο ροησι ζ216, Π 669, 679.

κατά στονόΡεα(σ)α\ άΡυτάν (Verssdiluß, Korkyra 47; Schw. 133): für στονόεσσαν άϋτήν λ 383.

τύ δέ δός χαρίεσ(σ)αν άμοιΓάν (Verssdiluß, Korinth 297; Schw. 123, 13): für δίδου χαρίεσσαν άμοιβήν γ 58.

μάνιν όπιδ(δ)όμενος (bei Sparta 307; Schw. 38): für μήνιν δπιζόμενοξ, gebildet nach Διός δ' ώπίζετο μήνιν ξ 283.

σεμνώι ένί ζαπέδωι (Versanfang, Paros 302; Schw. 771): nach den Versanfängen χρυσέφ έν δαπέδω Δ 2, έν τυκτώ δαπέδω δ 627, ρ 169.

120. Erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts tritt ein Umsdiwung ein. Die Sprache des Epigramms verliert ihren lokalen Charakter und lehnt sich mehr und mehr an das Epos und die Elegie an. Was die Dichter selbst hinzutun, trägt den Stempel der Gemein-sprache. Nur vereinzelt klingt noch — namentlich in der Zèit des Übergangs und in künstlich archaisierenden Versen — eine Dia-lektform durdi. Das Epigramm, dessen Umfang zugleich wächst, erhebt sich über den Rang einer zufälligen Gelegenheitsdiditung, es rückt in die höhere Sphäre der literarisch anerkannten Kunst-dichtung auf.

121. Eine große Menge griechischer Epigramme der älteren Zeit ist uns handschriftlich überliefert (Th. Ρ r e g e r , Inscriptiones Graecae metricae ex scriptoribus praeter Anthologiam collectae, Leipzig 1891). Ihre Sprachform ist aber arg verwildert. Wenn ein kurzes Epigramm als geflügeltes Wort von Mund zu Mund wan-derte, so mußte es ja bald sein dialektisches Gewand abstreifen; gleichgültige und unverständige Schreiber taten das Ihrige dazu. So sind die ursprünglichen Dialektformen in diesen handschrift-lich erhaltenen Epigrammen vielfach durch vulgäre oder durch

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homerisch-epische Formen ersetzt. Schlagende Beispiele dafür lie-fern einige Epigramme, deren Originale auf Stein wieder aufge-funden worden sind.

Das Distichon, das auf der Grabstele der in der Seeschlacht bei Salamis gefallenen und auf dieser Insel begrabenen Ko-rinther stand, wurde im Altertum dem Simonides zugeschrie-ben und beginnt in den Handschriften mit dem Vers ΤΩ ξένε, ευυδρόν ποτ' έναίομεν άστυ Κορίνθου. Der Marmor, der die In-schrift trägt, ist auf Salamis gefunden worden; der Stein hat stark gelitten, von dem Pentameter sind nur wenige Buchstaben erhal-ten. Dagegen steht vom Hexameter klar da ( S c h w y z e r , Dial. 126):

[ Ο ξένε εΰυδρ]όν ποκ' έναίομες άστυ Κορίνθδ. In dem alten Distichon, das die Spartaner auf ein in Olympia

wiedergefundenes Weihgeschenk für den Ζευς 'Ολύμπιος setzten, heißt der Pentameter bei Pausanias 5, 24, 3

Ιλάφ θυμω τοις Λακεδαιμονίοις, auf dem Stein selbst aber ( S c h w y z e r , Dial. 7)

hiAiföfi θυ]μδι τοϊ(λ) Λακεδαιμονίους], und im Hexameter ist auf dem Stein das F von Γάναξ erhalten.

Die Schuld an der Ersetzung des dialektischen Ιιίλη^ος durch ϊλαος tragen ϊλαος (θυιιός) I 639 Τ 178 und ΐλαος 'Ολύμπιος Α 583.

Verhältnismäßig gut sind die um 350 ν. Chr. im dorischen Dia-lekt gedichteten Epigramme der Erinna von Telos überliefert.

122. Zuverlässige Zeugen für den Dialekt des ältern Epigramms sind also lediglich die auf Steinen erhaltenen Epigramme, und zwar besonders diejenigen, die nicht aus Ionien stammen: denn in ihnen lassen sich die dialektischen Formen am reinsten von den episch-ionischen und den vulgären scheiden.

Literatur: A . K i r c h h o f f , Zur Geschichte des attischen Epi-gramms, Hermes 5 (1871) 48—60; A. d e M e ß , Quaestiones de epigrammate Attico etc., Bonn 1898; Β. Κ o c k , De epigram-matum Graecorum dialectis, Münster 1910; J. G e f f c k e n , Griechische Epigramme, Heidelberg 1916; T h u m b - K i e c k e r s 221 ff.; T h u m b - S e h e r e r 228 fi., 297; P i s a n i , Stòria 63—65.

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Der Jambus und Trochäus 81

7. Der Jambus und Trodiäus

123. Der Jambus war ein volkstümlicher Vers der Ionier und scheint besonders in Spottgedichten, die an den Demeterfesten vorgetragen wurden, Verwendung gefunden zu haben. Seine ältesten Vertreter sind für uns A r c h i l o c h o s von Paros (vgl. § 1&7—109) ünd S e m o n i d e s von Amorgos. Bedeutend jünger (6. Jahrhundert) war der derbe und volkstümliche H i ρ -ρ o η a χ aus Ephesos (vgl. § 72 f.). Besitzen wir auch nur wenige seiner Choliamben („lahme Jamben", weil im letzten Versfuß statt eines reinen Jambus ein Trodiäus oder Spondeus stand), so gewinnen wir doch ein deutliches Bild seiner Sprache durch einen Nachahmer, den er im 3. Jahrhundert fand: den Mimendichter H e r o n d a s , in dessen ionischen Choliamben sich Anspielun-gen auf Hipponax erkennen lassen.

Gleich dem Jambus hatte der Trochäus seine Heimat in Ionien. Audi er besitzt seinen ältesten Vertreter in Archilochos, von dem etwa 80 trochäische Tetrameter auf uns gekommen sind.

124. Die Sprache des Jambus und Trochäus in ihrer vorlitera-rischen Form war der schmucklose ionische Dialekt, wie er im täglichen Leben gesprochen wurde. Für zwei Diditungsarten, denen jedes Pathos fernlag, die sich mit nüchternem Sarkasmus, beißendem Spott und lehrhafter Reflexion an den Verstand und nicht an das Gemüt wendeten, war das schlichteste sprachliche Gewand das natürlichste.

Audi bei A r c h i l o c h o s ist in den Jamben und Trochäen (im Gegensatz zu den Elegien, § 107 f.) die ionische Umgangs-sprache seiner Zeit die Grundlage. Sie kommt u. a. zum Vorschein in den zahlreichen kontrahierten Formen (besonders oft ευ aus εο), in der ausgiebigen Verwendung der Krasis, die bei Homer selten ist (ζ. Β. κάπί Ardi. 72, ϋήτέρηι 86), in der sogen, „atti-schen" Deklination, die audi dem Ionischen eigen ist (πλέως 60, λεώ, λεώι auf dem parischen Stein, gegenüber hom. πλεϊος, λαός), in umgangssprachlichen Ausdrücken wie dem onomatopoetischen

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βάβαξ „Schwätzer" 32, έγκυτί κεκαρμένος „dicht an der Haut geschoren" 39, λιπερνήτες πολΐται 52 (eigentl. „die die Schöß-linge verloren haben"). Gelegentlich findet sich audi Vulgäres, so z.B. drastische Metaphern für die Geschlechtsteile (μύκης 34, σάθη 102, δρήστης und άσκός 72).

125. Das Ionisch der Alltagssprache wird aber bei Archilochos und Semonides s t i l i s i e r t durch bewußt ausgewählte Be-standteile der epischen Kunstsprache, die offenbar durch ihre altertümliche Patina wirken sollen. Vermutlich hat gerade die Aufnahme der epischen Formen durch Archilodios den Jambus zur literarischen Höhe erhoben. Der Anschluß an Homer ist oft sehr eng, doch entsteht durch die Hineinstellung in einen neuen Zusammenhang immer etwas Neues (ζ. Β. ούδ' άγαίομαι θεών εργα Ardi. 22 im Anschluß an, und doch im Gegensatz zu υ 16: άγαιομένου κακά 'έργα). Der ονος ότρυνηφάγος 102 ist ein scherzhaftes Gegenstück zu den ώμοφάγοι λύκοι, λέοντες, θώες der Ilias. Audi Semonides verwendet Wörter und Phrasen aus der homerischen Dichtung (ζ. Β. αίψα Sem. 7, 101).

126. A u s g e s c h l o s s e n sind allerdings in den Jamben und Trochäen des Archilochos solche homerischen Laute und For-men, die der ionische Dialekt nicht besaß und die auch nicht als „altionisch" gelten konnten. Nur in hymnischen Passagen erlaubt sich der Dichter die Formen Ιλαος 75, Χαρίλαε 107, 'Ιόλαος 120, Διωνύσοι(ο) 77, sowie augmentloses λίπε 117. Sonst aber fehlen bei ihm die iiiditionisdien Elemente, die für den epischen Stil charakteristisch sind: so alle Vokabeln mit niditionisdien Laut-eigentümlichkeiten wie πίσυρες, άργεννός, ερεβεννός, δμμες, ΰμμες, ζάθεος, ταλαύρινος. Er hat keine Genitive auf -οιο, -äo, -acov, sondern mit der einen erwähnten Ausnahme durchweg -ου, -εα>, -εων, keinen Kasus auf -φι, keine unberechtigten Dative PI. auf -εσσι, keine Infinitive auf -μεν oder -μεναι, keine augment-losen Präterita (Aphaerese liegt vor in ατη 'κιχήσατο 73 und δξύη 'ποτάτο 186 Bgk., vgl. δή 'πίκουρος 40). Es gibt auch keine Apokope der Präposition (in der Elegie aber κάλλιπον 6; in

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Der Jambus und Trodiäus 83

κατθανοίσι 65 ist Silbenhaplologie anzunehmen) und keine Posi-tionslängen oder Hiate durch Digammanadiwirkung.

Dagegen verwendet Ardiilochos unbedenklich episdie Sprach-eigentümlichkeiten, die er nicht als unionisdi, sondern nur als altertümlich empfand: viele unkontrahierte Formen wie άεθλον, άειδε, πάϊς, φάος, φαίνεαι, άγάλλεο usw., ferner Formen, die der Quantitätsmetathese (s. § 48 b) vorausliegen (παρήορος 58, φονήες 61, παιήονα 76), und solche mit altem σσ wie ποσσί 60 (neben dem jüngeren ποσίν 61), ήράσσατο 26, usw.

Die offensichtlich bewußte Auswahl unter den epischen For-men hat also bei Archilodios zu einer neuen Kunstsprache ge-führt, die der des Epos an Einheitlichkeit klar überlegen ist. Auch S e m o n i d e s teilt dieses Streben nach einer rein ionischen Kunstsprache. Doch läßt er ζ. B. aus metrischem Bedürfnis den Dativ οΰρεσιν 12, 1 zu, mit metrischer Dehnung des kurzen An-lautsvokals.

127. Von Ionien wanderh Jambus und Trochäus nach Athen, und hier dichtet S o l o n , 100 Jahre vor Aischylos, die ersten uns erhaltenen attischen trimeter und Tetrameter. Erst die in der 'Αθηναίων πολιτεία des Aristoteles Kap. 12 überlieferten Verse (9 troch. Tetr. und 36 jamb. Trim.) haben die Frage, ob der Dialekt Solons ionisch oder attisch gewesen sei, endgültig ent-schieden: denn in ihnen kommt das sogenannte attische ά purum (hinter ε, ι,ρ) in Stamm- und Endungssilben wiederholt vor, und die speziell attische Kontraktion von εο zu ου (ion. ευ): ποιού-μενο; (24, 26) und έδόκουν (23, 14). Nur zweimal steht in den Trimetern des Papyrus ein ionisches ή : an der ersten Stelle (άναγκαίης υπό χρειοΰς 24, 10 f.) wird auf einen Homervers (χρειοί άναγκαίη Θ 57) angespielt, und an der zweiten Stelle, die auch den einzigen Beleg für ionisches ευ aus εο bringt, scheint ein wörtliches Zitat aus einem ionischen Jambographen vorzu-liegen (δουλίην άεικέα έχοντας, ήθη δεσποτών τρομευμένους 24, 13 f.). Solon hat also in seinen Trimetern und Tetrametem die attische Mundart zugrunde gelegt und nur da, wo er bewußt

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84 Literaturspradie

Worte und Wendungen der homerischen und ionisch-jambischen Dichtung gebrauchte, diesen ihr dialektisches, nichtattisches Ge-wand belassen. Audi Formen wie μοΰνον 23, 6, εερδον 23, 19, νόον 23, 15, δήϊον 23, 17 sind entweder direkt aus dem Epos oder aus dem Jambus, der sie seinerseits dem Epos verdankte, entlehnt worden.

128. Ihren Höhepunkt erreichte die jambische und trochäische Dichtung im attischen Drama. In der Sprache seines Dialogs sind nur noch leise Anklänge an den ionischen Dialekt zu vernehmen (das Nähere § 178 ff.).

Literatur: U. Β a h n t j e , Quaestiones Archilocheae, Diss. Göttingen 1900. R. M e i s t e r , Die Mimiamben des Herodas, Abh. d. Sachs. Ges. d. Wiss. Hist.-phil. Kl. XIII Nr. 7, 1893 (über den Dialekt S. 770—874); O. v. W e b e r , Die Beziehun-gen zwischen Homer und den älteren griech. Lyrikern, Diss. Bonn 1955; M. T r e u , Von Homer zur Lyrik, Wandlungen des Weltbildes im Spiegel der Sprache, 1955 (¿eternata Nr. 12); P i s a n i , Storia 65—70; Τ h u m b - S c h e r e r 230 ff.; S c h e -r e r , Die Sprache des Arch. (s. § 116), 93 fi.

8. Das Melos

129. Das monodische, von der Flöte oder der Leier begleitete Lied, das μέλος, fand seine kunstmäßige Pflege zuerst auf der Insel Lesbos. Terpander aus Antissa ist für uns nur ein großer Name, verknüpft mit einer Reform der musikalischen Weisen. Die wenigen Verse, die ihm zugeschrieben werden, sind schwer-lich echt. Um so deutlicher tritt uns aber aus den reichen und gut-erhaltenen Fragmenten des A1 k a i o s und der S a p p h o die Kunstform der aiolischen Melik entgegen. Erfreulicherweise haben die umfangreichen Papyrusfragmente der beiden Dichter den Beweis dafür erbracht,.daß die Sprachformen der alexandrini-schen Textrezension auch in den Handschriften der Schriftsteller, bei denen wir ganze Gedichte und einzelne Verse des Alkaios und der Sappho zitiert finden, im allgemeinen recht gut erhalten sind.

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Das Melos 85

130. Wie schon Ahrens beobachtete, ist der sprachliche Grund-ton des aiolischen μέλοζ der Dialekt der Insel Lesbos. Denn wenn auch Alkaios und Sappho in der Wahl der Worte, beson-ders der Epitheta, und in der oft kühnen Wortbildung stark von der Sprache des Epos abhängig sind, so unterscheidet sich doch ihr Dialekt in den Lauten und Formen nicht wesentlich von dem-jenigen, den die aiolischen Inschriften des 4. Jahrhunderts — ältere besitzen wir leider nicht — reden.

131. In der Zulassung epischer Sprachformen, die vom eigenen Dialekt abweichen, verfährt S a p p h o in ähnlicher Weise wie Archilochos gegenüber den nichtionischen Elementen der epi-schen Sprache (s. § 107, 125 f.): wie bei ihm gewisse hymnische Partien und die Elegien, so nehmen bei Sappho die Epithalamien (104 ff.) und die erzählenden Stücke 44, 142, 154 eine Sonder-stellung ein. Zwar werden auch da die auffälligsten Ionismen des Epos vermieden (ζ. Β. Άνδρομάχαν 44, 7. 34, nicht -ην, Πάον(α) ebd. 31, nicht Παιήονα, Αϋως 104 a u. ö., nicht Ήώς), aber es findet sich mancherlei, was dem Lesbischen fremd ist; so das ion. Adverb μεγάλωστι 44, 18, der lange Vokal vor ursprünglichem oF in ίσος 111, 5 (so hier richtig überl.; dagegen ϊσος 31, 1, ίσα 58, 16), das einfache σ in δσαι 44, 31, οσα und έσκέδασ(ε) 104 a, ώρεσι 105 c (mit metrischer Dehnung wie hom. οΰρεσι), der Gen. auf -oio in Περάμοιο 44, 16 = ep. Πριάμοιο, die un-aiolischen Dative PI. φίλοις, θέοις 44, 12. 21, ναΰσιν ebd. 7 (da-gegen aiol. -νάεσσιν Alk. 385), πόσσι 105 c statt πόδεσσι, die 3. P. PI. ήσαν 142, έστάθησαν 154 gegenüber insdiriftl. εον (aus *έεν nach ελεγον?) und εξέπεμφθεν, das Fehlen des Augments in άνόρουσε, ϊκανε, έλέλυσδον 44, i l . 26. 31, λελάθοντο und έκλελάθοντο 105 a (άμειβόμαν 94, 6 wird in αμείβομαι zu än-dern sein), κατά statt κάτ in κατά πτόλιν 44, 12 und κατα-στείβοισι 105 c.

Außerhalb dieser wenigen Gedichte finden sich Abweidiungen von der zeitgenössischen Umgangssprache im Fehlen des Artikels und in den häufigen unkontrahierten Formen (wie bei Ardi.); vereinzelt στήθεσιν 31, 6 (u. in den Fragmenten 126. 128).

Im Gegensatz zu Sappho scheinen bei A l k a i o s die von der epischen Sprache bestimmten dialektfremden Elemente breit ver-streut. Nur in e i n e m Lied (42) häufen sie sich: hier finden wir den Dat. PI. παϊσι Vs. 2 statt παίδεσσι, die homerische .Flexion einiger Ñamen auf -εύς in Πήλεος Vs. 11 und versteckt in

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86 Literatursprache

Νηρεΐδων ebd. (aber Νήρηος Vs. 7, vgl. Νηρήιδες Sa. 5, 1), augmentloses γέννατ(ο) Vs. 13 (γέννατο audi 308 b, 8 u. 327, 2; umgesetzt aus horn, γείνατο). Anderes steht in Fragmenten, die vielleicht doch zu einer größeren Gruppe von Liedern mit freierer Zulassung von Nichtaiolisdiem gehören könnten: Ersatzdehnung für geschwundenes Digamma hinter ρ zweimal in 345: περάτων, ποικιλόδεροι (gegenüber περάτων 350, 1, δέραισι 362, 1); Geni-tiv auf -οιο: έρχομένοιο 367, 1; der ion. Genitiv πόληος 41, 18; Akk. Άχίλλεα 387 (vgl. oben Πήλεος); die 3. P. PI. εδοσαν 50, 4 (aber ϊδωκαν 69, 3); fehlendes Augment in ελε 255 ( = είλε), ελετο 336. Abgesehen von diesen Fragmenten begegnet vereinzelt noch Άτρεΐδα 70, 6 (vgl. ob. Νηρεΐδων). Unkontrahierte Formen (wie homerisches Άίδαο 48, 15) und des Fehlen des Artikels sind wie bei Sappho als altertümlich, aber nicht dialektfremd aufgefaßt. — Aoristformen mit analogischem σσ wie κάλεσσαι 368 (vgl. τέλεσσαι Sa. 1, 26, έκτελ,έσσαντας 17, 5, aber τέλεσον 1, 27 und wohl τελέσει Alk. 361) sind homerisch, aber nach Ausweis der In-schriften audi aiolisdi, s. T h u m b - S c h e r e r 104. Gelegent-liche metrische Dehnungen wie in 'αθάνατος (129, 4; 314, vgl. Sa. 1, 1. 14) sind nicht unter die Abweichungen vom Dialekt zu zählen.

Ursprüngliches Digamma im Wortanlaut vor Vokal ist bei beiden Dichtern nirgends geschrieben oder metrisch wirksam außer im Pronomen der 3. P.; z.B. Folai Sa. 5, 6, F οι 165, τόν Toy 164 und Alk. 358, ατερ Féüev Alk. 349 a (vgl. P. M a a s bei Gerdce-Norden, Einleitung 3I 7, 29). — Vor ρ blieb anlautendes Digamma im Lesbischen und so auch bei den Dichtern erhalten (ζ. Β. Γρήξις Alk. 410, βρόδα Sa. 96, 13).

Die Papyri bringen weitere Beispiele für einen falschen Äolis-mus, den audi die alten Grammatiker lehrten: da im Lesbischen -αν(τ)ς zu -αις geworden war und dieses -αις dem -ας der meisten andern Dialekte entsprach, so glaubte man, audi das -ας im Nom. Sing, der maskulinen ä-Stämme in aiolisdies -αις verwandeln zu müssen; so steht in den Papyri falsches -αις für -ας (ionisch-attisch -ης) ζ. Β. in Αίολίδαις Alk. 38 A, 5, Κρονίδαις ebd. 9, richtiges -αις ζ. Β. in κάλέφαις Sa. 44, 10 ( = και έλέφας aus -αντ-ς). Ent-sprechend auch μέμναισ' Sa. 94, 8 und έπτόαισ' 22, 14, έπτόαισεν 31, 6 für μέμνδσο und έπτόασε wegen lesb. παΐσα = ion.-att.-dor. πάσα (aus *παντ-]α); vgl. Sa. 23, 8 παίσάν = πασών.

132. Eine Dichtungsgattung, die so stark die Persönlichkeit und die augenblickliche Stimmimg des Dichters hervortreten ließ

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Das Melos 87

wie das μέλος, konnte sich nicht an einen einzelnen Dialekt bin-den und aus diesem eine feste, audi für Dichter aus anderem Dialektgebiet verbindliche Form einer Literatursprache prägen. Im lesbisdien Dialekt erklangen nur die Lieder der Lesbier. A n a k r e o n , der Ionier aus Teos (Mitte des 6. Jahrhunderts), dichtete seine μέλη im ionischen Dialekt seiner Heimat. Zwar kommen in den Fragmenten, wie sie uns überliefert sind, einige aiolische Formen vor, doch hat die Kritik die meisten von ihnen verworfen.

133. Schon Ahrens, Kl. Sdir. I 166, änderte das lange ä der vorwiegend durch Hephaistion bezeugten Formen μεναίχμαν 393 Page, 'αδιιμελές 394, κούρα 418, δάφναι χλωραι τ' »λαίάι 443 (zu denen als Varianten noch ξανθά 348 und α'ιχμάν 382 kommen) in ionisches η. Statt des zu erwartenden ionischen Deh-nungs-ει ist zweimal ε in δέρην 441 (aiol. δέραν) und ξένοισι 425 überliefert: aber jene Form hat die Variante δείρην neben sich und ist durchs Metrum nicht verbürgt, diese steht in einem jambischen Trimeter, der gar nicht unter dem Namen des Ana-kreon überliefert ist. Der Dativ πτερύγεσσι 378 ist zwar aiolisch, aber zugleich homerisch (B 462, β 149); der unmittelbar hinter πτερύγεσσι am Versende stehende Dat. κούφαις ist weder ionisch (hier -ηισι, das auch Anakreon mehrfach hat) noch klein-as.-aiol., aber bei Homer kommt ein paarmal -αις am Versende vor. So bleiben denn noch übrig die offene Form κοίλος in κοϊλώτερα 363, 2 (Alkaios sagte freilich κόϊλαι 357, 6), der aioli-sche Doppelnasal in χρυσοφαέννων 379 (wenn, was sehr zweifel-haft ist, Anakreon -εννος und -εινος überhaupt in der Schrift unterschied, s. § 154 und 158).

134. Ebenso spärlich wie lesbisdi-aiolische sind auch solche homerische Formen, die nicht zugleich ionisch waren: außer der schon erwähnten Stelle mit πτερύγεσσι κούφαις nur der Genitiv auf -οίο (δχάνοιο 401) und die niditkontrahierten Feminina auf -όεσσα (δακρυόεσσαν 382, έρόεσσαν 373, 2 nach Hesiod, κεροέσ-σης 408, 2). Diese wenigen fremden Elemente verschwinden aber ganz hinter der kräftigen lokal-ionischen Färbung, die der Sprache Anakreons eigen ist; sie tritt besonders in den für das Ionische charakteristischen Vokalkontraktionen der Flexionssilben (ein-

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silbig sind èo oder ευ, εα oder η, εως, εω), aber audi in vielen Einzelheiten hervor, ζ. Β. Δεύνυσε 357, 11, έπίστιον 427, 4 = έφέστιον, νενωμένος 369 und έπίβωτον 354 aus νενοημένος und έπιβόητον, κου 348, 4, κώκοτ' oder κω τότ' 384, δκως 356 a, 2, διξήισιν 431 für δισσήισιν.

135. Κ o r i n n a aus Tanagra besaß als lyrische Dichterin nur Ruf in ihrer engsten Heimat. Sie dichtete im boiotischen Dialekt, und das war schon Grund genug dafür, daß man sie außerhalb Boiotiens nicht las. Die Alexandriner haben sie nicht gekannt oder wenigstens nicht anerkannt, im alexandrinischen Kanon der Lyri-ker fehlt sie. Alexander Polyhistor ist der erste, von dem wir wissen, daß er sich mit Korinna beschäftigte; Verse von ihr wer-den aus sprachlichen und metrischen Gründen erst in der Kaiser-zeit von Herodian, Apollonios, Hephaistion u. a. zitiert. Glück-licherweise kennen wir ihr Werk heute besser als nur durch grammatische Zitate. Aus Ägyptens Gräbern ist auch Korinna wieder emporgestiegen. Im Jahre 1906 wurden auf Papyrus um-fangreiche Bruchstücke von zwei langen Gedichten Korinnas ge-funden; es ist ein im 2. Jahrhundert n. Chr. geschriebenes Buch, das auf einer spätalexandrinischen Sammlung und Ausgabe der Gedichte beruht. Falls sie wirklich eine Zeitgenossin Pindars war, muß in den späteren Ausgaben die altboiotische Orthographie, wie sie in den Inschriften des 6. und 5. Jahrhunderts üblich ist, durch die jüngere ersetzt worden sein.

136. Wie in den boiotischen Inschriften seit dem 4. bzw. 3. Jhd. steht auch im Text der Korinna η für αι (ζ. B. in 654 [Page] : πής für παις, κή für και, όμήμων für όμαίμων, έλέσθη für έλέσθαι, λούπησι für λύπαισι), ι für ει (εχι für εχει), ει für η (είμ[ιθί]ων für ημιθέων, πεντείκοντα für πεντήκοντα, πατείρ für πατήρ), υ für οι (ύκτρως für οίκτρώς, τύ für τοί „die", στεφάνυσιν für στεφάνοισιν), ου für υ (φοΰλον fur φΰλον, ούψόθεν für ΰψόθεν, κρατούνι für κρατύνει, δάκρου für δάκρυ).

137. Korinna gebraucht den boiotischen Dialekt wie die Les-bier den aiolischen, Anakreon den ionischen. Damit tritt sie in bewußten Gegensatz zu ihrem Landsmann Pindar. Für diesen

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Das Melos 89

war die Sprache seiner Dichtungsgattung durch eine Tradition von Jahrhunderten fest ausgebildet, er konnte in Chören, die den Ruhm der von ihm Besungenen über ganz Griechenland verbrei-ten sollten, nicht den Dialekt Thebens reden. Korinna aber dich-tete ihre Verse für die Bürger ihrer Heimatstadt, und zu ihnen sprach sie so, wie sie es von der Mutter gelernt hatte.

138. Echt boiotisch sind in ihrem Dialekt: βανά für γυνά 664 a Page, ποκα für ποτε 654 I I I 9. 22, der Übergang von ε in ι vor Vokalen (ζ. Β. έννί,(α) ebd. 21, τιώς für τεούς ebd. 19, θιών ebd. 5, Ιών für έών ebd. 34, έκόσμιον für έκόσμεον ebd. I 27, ούμίων für ύμέων 678), πράτοι statt πρώτφ 654 I I I 32, anlautendes F-in Fóv 660, Μελικών 654 I 30; Δεύς für Ζεύς ebd. I I 34,· I I I 13, Ποτειδάων 658; ττ für σσ in εταττόν 654 I 20, λι,ττάδα ebd. 31; die Verbalendungen -νθι und -νθη aus -ντι und -νται in έσγεν-νάσονθι 654 I I I 23 für έκγεννάσοντι (att. έκγεννήσουσι), κασ-σονθη ebd. 24 aus καί 'εσσονται, die Pronominalformen ίώνγ(α) 655 fr. 1,12; 664 a, 2, ίώνει 664 b 1 für εγωγε *εγών-η, του „du" = τύ 654 I I I 44; 658; 661, τεΰς, τεοΰς „deiner" 677 bzw. 654 IV 6. 25; 666, τεΐν „dir?" 654 I I 30, IV 20, έοΐς „seiner" 662, 2, έίν 681, νιν 654 I 16, ούμές 659, οΰταν für ταΰταν 654 I I I 41, die Zahlwörter ϊαν „eine" ebd. 17, δουϊν = δυείν ebd. 15, die Verbformen ώρθεν ebd. I 22, άππασάμενος I I I 39 für άνακτη-σάμενος, φερέμεν Inf. I 20 (neben ένέπειν I I I 34), die Präposi-tionen άν- (assimiliert zu απ-) für άνα- in άππασάμενος, περ- für περι- in περάγείς für περιαγής ebd. I I I 47, πέρ[οχο]ς ebd. 29, εν mit Akk. im Sinn von εΐξ (έν δόμως ebd. I I I 20, έν νόμον? I I 26), ές aus έξ statt έκ vor Konsonant ebd. I I I 25. 28. 35; 676 a (vor Vokal έσς 654 I I I 34).

139. Diese zum Teil so fremdartig klingenden boiotischen For-men erwecken leicht den Eindruck, als ob Korinna nodi strenger im Dialekt ihrer Heimat gedichtet habe als Sappho und Anakreon. Das ist aber nicht der Fall. Sie erlaubt sich hier und da die glei-chen, aus der Sprache des Epos herübergenommenen Freiheiten wie die lesbischen Lyriker: σ für boiot. ττ in τόσον 654 IV 21, Iktusdehnung in 'αθανάτων ebd. I 17, die Dative auf -οισι und -αισι (z.B. στεφάνυσιν ebd. 26, [χαλεπ]ησιν 30), das Fehlen des Augments (νίκασ(ε) 662, κλέψε 654 I 16, πιθέταν ebd. I I I 19),

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das Ny ephelk. (ζ. Β. στεφάνυσιν), dazu viele epische Wörter und Phrasen (άγκουλομείταο ebd. I 14 f., άμίψατο I I I 51, γεγάθι I 28 = γεγήθει Λ 683 Ν 494, γήαν I I I 39 = hom. γαίαν, άμφέπι ebd. 40, u. a.). Aber wie Alkaios und Sappho vermeidet sie die ausgesprochen ionischen Formen des Epos.

140. Eine eigene Kunstsprache hat sich also das μέλος nidit geschaffen. Auf Lesbos war sein Dialekt der aiolisdie, auf Teos der ionisdie, in Tanagra der boiotische. Die Neigung, durch fremde Zutaten die Grenzen des Lokaldialekts zu überschreiten, war gering und auf Lesbos nicht größer als irgendwo anders. Abgesehen von bestimmten Partien, die eine Sonderstellung ein-nehmen, beschränkten sich die Dichter auf einige Formen der epischen Sprache, die auch in andern Dichtungsarten als beliebte Kunstmittel wiederkehren: das Ny ephelk., die Iktusdehnung in 'αθάνατος, 'ανέρος, πδλυ- u. ähnl., die unkontrahierten Formen namentlich im daktylisch-anapästischen Rhythmus, und weniges andere.

Literatur: A. F ü h r e r , Die Sprache und die Entwicklung der griech. Lyrik, Progr. Münster 1885; U. v o n W i l a m o w i t z , Sappho und Simonides, Berlin 1913 (darin ,Die sprachliche Form der lesbischen Lyrik', S. 79—101) ; C. G a l l a v o t t i , La lingua dei poeti eolici, Bari 1948; S c h w y z e r , Gramm. 1, 109f.; C. A. M a s t r e l l i , L a lingua di Alceo, Florenz 1954; D. L. Ρ a g e , Sappho and Alcaeus, Oxford 1955; E. M. H a m m , Gramm, zu Sappho u. Alkaios, Berlin 1957; I. K a z i k - Z a w a d z k a , De Sapphicae Alcaicaeque elocutionis colore epico, Breslau 1957; Β. M a r z u l l o , Studi di poesia eolica, Florenz 1958; P i s a n i , Storia 70—76; T h u m b - S c h e r e r 10f. (Korinna), 79ff. (Alk., Sa.), 230 ff. (Anakr.); S eh e r e r in der Bespr. zu Mar-zullo, Kratylos 8 (1963), 174 f. (zum Auswahlverfahren bei Sa.). Vgl. auch Ο. ν. W e b e r und M. T r e u (s. § 128).

9. Das Chorlied 141. Das Chorlied, gesungen zu den Reigen, die an den Festen

der Götter oder bei andern Feiern getanzt wurden, ist vom d o -r i s c h e n A d e l in Sparta und Korinth, in Argos und Theben künstlerisch ausgebildet worden. Dieser dorische Ursprung tritt

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Das Chorlied 91

bei keinem der Chordiditer, von denen -wir umfangreichere Dich-tungen besitzen, in der Sprache so deutlich hervor wie bei A1 k -m a n , dessen Chöre in Sparta, der Hochburg des strengen Do-riertums, aufgeführt wurden. Freilich war er in seiner Kunstform abhängig von den aiolischen Melikern, die im 7. Jahrhundert in Sparta den Ton angaben; knüpft sidi doch an den Namen des Lesbiers Terpander die Einführung der lebendigem und reidiern aiolischen Rhythmen und Weisen in die dorische Poesie. Deshalb kann ein aiolischer Einschlag in der Sprache Alkmans nicht be-fremden. Daneben mußte aber auch die epische Sprache seinen Dialekt beeinflussen, besonders in den nicht zur Chorpoesie zäh-lenden Gedichten, die zum Teil geradezu im epischen Versmaß abgefaßt waren und homerische Sagenstoffe streiften.

142. Leider war Alkmans Dialekt schon in den alexandrini-schen Ausgaben stark entstellt. Den Beweis dafür liefert das auf Papyrus erhaltene große Fragment eines Partheneion (nr. 1, Page). In ihm stehen falsche Sprachformen, die Alkman nicht gebraucht haben kann: so φαίνεν έμέ δ' oik' Vs. 43 für das met-risch geforderte φαίνην (ebenso dreimal fälschlich ε für η in den unmittelbar folgenden Worten επαίνέν ουτε μώμέσθαι νιν ά κλεννά) u. a. m. Das sind teils Nachlässigkeiten der Abschreiber, teils Irrtümer der Herausgeber (vgl. § 144), die vielleicht auch durch die Orthographie einer alten, noch im 5. Jahrhundert ent-standenen Alkmanausgabe zu Mißverständnissen (ζ. B. bei E, das im alten Alphabet noch kurzes und langes e bezeichnete) geführt wurden.

Auch σιός Vs. 36, 82, 98 für θεός (ήμισίων Vs. 7 für ημιθέων, σιειδής Vs. 71 für θε(ο)ειδής), παρσένος Vs. 86 für παρθένος u. a. hat Alkman nicht selbst geschrieben: diese im alten Sparta überhaupt nicht übliche Orthographie kam wahrscheinlich in atti-schen Ausgaben auf (vgl. § 194) und sollte dem attischen Leser veranschaulichen, wie die Worte θεός, παρθένος in Sparta im 5. Jahrhundert ungefähr gesprochen wurden.

143. Der Grundton des alkmanischen Dialekts war deutlich das Dorische der peloponnesisdien Südstaaten, wahrscheinlich die Sprache.Spartas. Echt dorisch ist z.B. das F-, das Alkman im Wortanlaut s t e t s als lebendigen Laut behandelt, die Kontrak-

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tion von αε in η (όρήις, ποτήσθω, έηι), Μώσα für Μοΰσα (lesb. Μοΐσα), γλέπω für βλέπω, der Akk. Pl. auf -ως (ζ. Β. τώς άρί-στως), die 1. Ρ. PI. auf -μες (für -μεν), der Infinitiv auf -μεν (ζ. Β. ήμεν, att. είναι), die Pronominalformen ταί (für at), τέ (für αε), δμιν, νιν u. a. m.

144. Da Apollonios Dyskolos den Alkman zu den συνεχώς αίολίζοντες rechnet, so müßten wir bei ihm eine Menge a i o l i -s c h e r F o r m e n erwarten. Diese sind aber auffallenderweise sehr knapp. Die Dative auf -εσσι und -οισι gehören nicht zu ihnen, denn sie sind episch; auch -αισι ist nur dorisiertes episches -ηισι, denn es kommt audi in den alten dorisdien Epigrammen, denen Äolismen fremd sind, vor. Die Form κλεννά Vs. 44 (vgl. κλεεννός bei Simonides, Pindar) ist vielleicht für kontrahiertes κληννά verschrieben. So bleibt nur das lesbische Partizipium auf -οισα (aus -ονσα), belegt u. a. durch φεροίσαις Vs. 61 (φέροισα Fr. 60, 1 Page), ένθοϊσα Vs. 73, λιποΐσα Fr. 55, 'έχοισα 3, 65. 83; 56, 3. Diese Formen sind nach E. R i s c h (Mus. Helv. 11, 20 ff.) von den alexandrinisdien Herausgebern deshalb geschont worden, weil sie im dorischen Dialekt der Stadt Kyrene vorkamen (z. B. insdiriftl. έκοισα) und daher nicht gegen das Dorische zu ver-stoßen schienen. In anderen Fällen sind Äolismen wohl getilgt, was sich in gemeinsprachlichen, also weder dorisdien noch aioli-schen Formen verrät, wie der 3. P. PI. 'έχουσιν Fr. 56, 4, ευδουσιν 89, 1. 6 und Dat. PI. καμοΰσιν 1, 2.

Zum Dialekt von Kyrene stimmten auch noch andere Eigen-tümlichkeiten der Sprache Alkmans, wie der Inf. auf -εν (z. B. άείδεν 14 a, 3) und der metrisch gesicherte kurzvokalische Akk. PI. τροπάς 17, 5. Da aber in Kyrene sogar die Verba auf -έω den Infinitiv mit kurzem Vokal bildeten (z.B. εύτυχέν, δωρέσθαι) gerieten die Formen γαμέν 1, 17, ύπαυλέν 87 b, επαινέν 1, 43 und gleidi dahinter μωμέσ&αι Vs. 44 in den Alkmantext. Vgl. E. R i s c h (s. o.), 30ff.

145. Zahlreicher sind bei Alkman die e p i s c h e n Wörter und Formen, die fast immer metrisch voller als die dorischen

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Das Chorlied 93

sind und mit den aiolischen Rhythmen verwachsen waren: Dative auf -εσσι 26, 3; 98, 2, auf -οισι/ν 2 I I u. IV; 79, 1; 98, 1, Όδυσ-σήος 80, στάσειεν 1, 47, Άρήϊον 1, 6, αν (für κα) 104; 119 u. a. m.

146. Für die beiden Chordichter des Westens, S t e s i c h o r o s aus Himera und I b y k o s aus Rhegion, deren Blütezeit in den Anfang und die Mitte des 6. Jahrhunderts fällt, stößt die Frage nach dem Dialekt ihrer Verse auf besondere Schwierigkeiten. Die Vaterstädte der Dichter waren Gründungen ionischer Kolonisten aus Chalkis, denen sich peloponnesische Dorier angeschlossen hatten (Herakl. Pont. Fr. 25 Müller). Wenn nun auch das dori-sche Element schon frühzeitig das Übergewicht bekam, so blieb daneben doch das Ioniertum bestehen und äußerte auch in der Sprache seinen Einfluß so stark, daß Thuk. 6, 5, 1 den Dialekt Himeras geradezu als Mischung aus chalkidischen und dorischen Formen bezeichnet. Nun ist in den Fragmenten des Stesichoros und Ibykos vieles, was nicht dorisch, aber wohl ionisch sein kann, überliefert. Auffallenderweise sind solche Formen in denjenigen Versen, die Platon, Klearch, Chamaileon u. a. nach Ausgaben des 4. Jhd. zitieren, häufiger als in solchen, die erst später nach der alexandrinischen Ausgabe angeführt werden: in dieser war der Dialekt, wie regelmäßiges S für η, νιν, δκα, ποτι und so charak-teristische Formen wie ποταύδη (Stes. 261 Page) = homer, προσ-ηύδα, πέποσχα (Stes. 264 P.) = att. πέπονθα beweisen, im gan-zen dorisch. Fast alle Formen, die ionisch aussehen, sind zugleich episch (τίθησιν, ουνεκα, νηυσίν, έμεΰ): sie brauchen deshalb, selbst wenn sie richtig überliefert sein sollten, keineswegs auf einen ionischen Lokaldialekt bezogen zu werden, sondern können dem Homer entlehnt sein. Damit verliert die Annahme, daß Stesi-choros und Ibykos im ionischen Dialekt ihrer Heimatstädte ge-dichtet hätten, ihre Stütze. Das Vorbild war für beide Dichter der Dialekt Alkmans.

147. Ihn ahmten sie auch darin nach, daß sie Äolismen, wie ϋαλέθοισιν 3. Plur. (Ib. 286, 6 Page) gebrauchten und das epi-

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94 Literatursprache

sehe -ηισι in pseudodorisches -αισι umsetzten. Daneben tritt bei ihnen, stärker noch als bei Alkman, die Abhängigkeit vom Epos hervor (in der Vernachlässigung des F, in -οιο, -οισι, οχεσφι, παμφανόων u. a.). Sie war es auch, die den Ibykos dazu be-stimmte, nach Analogie des homerischen Konjunktivs ε χ)) σι und des aiolischen Indikativs φίλησι (für φιλεΐ) einen Indikativ εχησι zu bilden (σχήμα Ίβύκειον). Endlich können sich natürlich auch einzelne Klänge des ionischen Dialekts, den man in Himera und Rhegion sprach, hineingemischt haben: aber aus den erhaltenen Fragmenten und ihrer Sprachform ist das nicht mit Sicherheit zu erweisen.

148. Durch den wertvollen Papyrusfund, der uns im Jahre 1896 Gedichte des Bakdiylides in einer aus der alexandrinischen recen-sio hervorgegangenen Budiausgabe schenkte, ist eine zuverlässige Quelle für die Sprache des S i m o n i d e s und seines Neflen B a k c h y l i d e s , die aus dem i o n i s c h e n K e o s stamm-ten (Ende des 6. und erste Hälfte des 5. Jahrhunderts), erschlos-sen worden. Bei beiden beginnt die dorische Mundart des Chor-lieds stark zu verblassen. Sie beschränken sich auf einige wenige, aber dafür recht charakteristische Dorismen, die auch dem Chor-lied der Tragödie seine dorische Färbung gaben und gewisser-maßen die konventionellen Repräsentanten des dorisdien Dia-lekts waren. Zu ihnen zählt vor allem das von Bakchylides in Wortstämmen, Bildungssilben und Endungen allgemein durch-geführte ö; selten nur ist bei ihm ionisches η überliefert, und da handelt es sich um speziell homerisch-ionische Wortformen (ζ. B. άδμήτες, άδμήτα neben άδματοι), zum Teil wohl auch um Fehler der Abschreiber. Typisch dorisch sind ferner die Genitive Sg. und Plur. der ersten Deklination auf -ä (z.B. Πανθείδα) und -αν (Μουσάν, νικάν) und die bei Bakdiylides alleinherrschende Ak-kusativform viv im Pronomen der 3. Person.

149. Einige andere dorische Formen werden zwar hier und da noch gebraucht, treten aber hinter den gewöhnlichen ionischen Formen zurück, so der betonte Dativ τίν „dir" (vor Vokal!) Bakdi. 18, 14 (Snell) neben σοί (vor Konsonant!) 5, 168; 11, 2; 17, 54; die Endung -οντι in der 3. Person Plur. neben ion. -ουσιν,

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Das Chorlied 95

-ουσι (Sim. θραΰοντι 581, 6 Page, neben καλέουσιν 508, 5 P.; Bakch. καρύξοντι 13, 231, πτάσσοντι 5, 22, βρίθοντ(ι) Fr. 4, 79, σεύοντ(ι) 18, 10 neben 'έχουσιν 3, 63, θάλλουσιν 5, 198, μαρμαί-ρουσιν Fr. 20 Β, 13, δγουαιν ebd. 15, βρύουσι 28 c, 16, διέπουσι 3, 21, ϊσχουσι 5, 24, λέγουσιν 5, 57, λέγουσι Fr. 20 Α, 14, κατέ-χουσι 11, 11, μέλπουσι 13, 94, δονέουσι 1, 179, οίκεΰσι 9, 43, ύμνεΰσι 11, 13); der Infinitiv auf -εν neben der gewöhnlichen Form auf -ειν (Bakch. έρύκεν 17, 41, θύεν 16, 18, ϊσχεν 17, 88, φυλάσσεν 19, 25); Aoriste auf -άξαι, -ίξαι neben -άσ(σ)αι, -ίσ(σ)αι zu Präsentien auf -άζω, -ίζω (Bakch. δοίαξε 11, 87, εύκλέΐξας 6, 16, παιάνιζαν 17, 129, φατίξωσιν 24, 9 (ν. 1. -ίζω-σιν) neben ώπασεν 15, 60, πέλασσεν 11, 33, πελάσσας 9, 38, κομπάσομαι 8, 20, φκισσαν 9, 51 u. a.m.); endlich Einzelheiten wie δρνιχες 5, 22 für όρνιθες. Vom anlautenden F- finden wir zwar in einigen Hiaten bei Bakchylides eine metrische Nachwir-kung: z. Β. δε ϊχατι 1, 116 und immer beim pronominalen Dativ ol aus F οι (so καί ot 1, 119), aber den Laut selbst hat dieser Dichter weder geschrieben nodi gesprochen (vgl. § 157); dater auch mit unberechtigtem Hiat εϊλετο 'ιόν „einen Pfeil" 5, 75 wegen (F)ιός „Gift", φρένα 'ιανθείς 17,131.

150. Zu den Dorismen treten noch einige Ä o l i s m e n , die ja schon im ältesten dorischen Chorlied Heimatrecht erworben hatten, so έπαίνημι (καί φιλέω!) Sim. 542, 27 Page, ελλαθι (von Herodian 2, 499, 19 als aiolisdi bezeichnet) Bakch. 11, 8, δίνηντο 17, 107, λαχοισαν 19,13 f.

Weniger Zutrauen verdienen die aiolischen Formen Μοισάν Bakch. 5, 4 (sonst mehrfach Μουσαν), κλεεννός, -άν, -φ 5, 182. 12; 2, 6 (sonst κλεινός, z. Β. 5, 14), vgl. § 144 und 160. Das Par-tizip έπαθρήσαις Bakdi. 13, 227 scheint aus Pindar zu stammen.

151. Der Anteil, den die h o m e r i s c h e S p r a c h e — vom Wortschatz abgesehen — am Dialekt des Simonides und Bakchy-lides hat, ist nicht ganz scharf von dem, was dem i o n i s c h e n H e i m a t d i a l e k t beider Dichter angehört, zu scheiden. Ver-stehen wir nämlich unter homerischen Formen lediglich diejeni-gen, die speziell der epischen Sprache eigen und nicht etwa auch im Ionischen ums Jahr 500 verbreitet waren, so ist ihre Zahl nicht

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sehr groß, jedenfalls nicht größer als bei den älteren Chordichtern, und sie wird dadurch nodi eingeschränkt, daß die vielen unkon-trahierten Vokale, z. B. in άείδω, άέξω, τείχεα, φερεκυδέα, δοκέω u. a., und das doppelte Sigma in όπίσσω, δσσος, τόσσος, μέσσος (neben όσος, τόσος, μέσος), ποσαί (neben ποσίν und πόδεσσι), Χάρισσιν (neben -ίτεσσι), κέρδεσσι, στήθεσσι, τρέσ-σαν ebensowohl dorisdi als episch sein können. Deutlich verraten bei Bakdiylides ihren e p i s c h e n U r s p r u n g (außer 'αθάνα-τος u. ähnl.) die Genitive auf -oio (neben viel häufigerem -ου), die Dative auf -εσσι wie ανδρεσσι (neben -σι, ζ. Β. άνδράσι), die sigmatischen Aoriste auf -άσσαι, -έσσαι, -ίσσαι ζ. Β. πέλασσεν, ώλεσσεν, ψκισσαν (neben Aoristen mit -σ- wie ώλεσε, ώλεσαν und 3 dorischen Formen mit ξ, s. § 149), die Pronomina σέθεν (neben σέο), αμμι 17, 25, einzelne Verbformen wie φάσκον, <ίλυθεν (neben ήλθεν), εμμεναι 18, 14 (neben εμμεν; είμεν 10, 48), δέκτο (neben έδέξατο), Partikeln wie κε, κεν, α'ιέν (neben αΐεί).

152. Alles das sind die bekannten homerischen Requisiten, die ja nicht auf das Chorlied allein beschränkt waren. Ganz bedeu-tend würde natürlich der Prozentsatz der epischen Formen stei-gen, wenn wir zu ihnen audi alle gemein-ionischen rechneten, ζ. Β. τότε (dor. τόκα), επεσον (dor. επετον), σύ (dor. τύ), βλεφαρον (dor. γλέφαρον), πρώτος (dor. πράτος) usw. Diese können aber mit demselben Redit aus der Muttersprache der bei-den Dichter, dem ionischen Dialekt der Insel Keos, abgeleitet werden. Daß mit diesem geredinet werden muß, beweist zwin-gend die allerdings nicht sehr große Zahl solcher ionischer Bildun-gen, die sich im homerischen Epos nicht finden, ζ. Β. ίλεω Bakdi. 11, 15, παρηΐδων Γ7, 13, Gen. Δεινομένευς 5, 35, ύμνείσι 11, 13.

153. In Theben wurde der letzte und größte aller Chordichter geboren, P i n d a r o s , der um die Wende des 6. und 5. Jahrhun-derts mit seinen ersten Dichtungen hervortrat. Die Boioter stan-den bei den Athenern nicht im Ruf, große geistige Gaben zu be-sitzen; ein schwungvolles Siegeslied im boiotischen Dialekt, der als Literaturspradie außerhalb Boiotiens unmöglich war, hätte

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Das Chorlied 97

geradezu als Parodie gewirkt. So beschränkt sich bei Pindar das lokale Kolorit auf ein paar Kleinigkeiten, die in der Dichtung Mittelgriechenlands vielleicht verbreiteter waren, als wir wissen, und jedenfalls von ihm nicht als störende Provinzialismen emp-funden wurden. Dahin gehört die mehrfach vorkommende Ver-bindung der Präposition έν mit dem Akkusativ im Sinn des ge-wöhnlichen ε'ις (ζ. Β. Ν. 4, 68 Snell), die seltene und nur zweimal durch Sinn und Metrum geforderte Akkusativform auf -ος für das gewöhnliche -ους, die Präposition περ (aus περί) vor Vokalen ζ. Β. πέροδος, die Partizipia κεχλάδοντας P. 4, 179, πεφρίκοντας P. 4, 183 und der Infinitiv γεγάκει/ν O. 6, 49, die allerdings auch lesbisch sein können. Im allgemeinen aber wandelte Pindar in festgetretenen Bahnen; die einzelnen Elemente, aus denen sich seine Sprache zusammensetzte, waren die gleichen wie bei seinen Vorgängern. Verschieden war lediglich das Mischungsverhältnis der Dialektformen, und das erklärt sich allerdings aus der Ab-stammung der Dichter. Bakchylides war Ionier von Geburt: da-her die Einschränkung der dorischen Sprachformen zugunsten der homerisch-epischen, die zum großen Teil auch dem lebendigen ionischen Dialekt des 5. Jahrhunderts angehörten. Pindar hielt treuer an den alten dorischen Formen des Chorlieds fest. Wie weit er allerdings darin gegangen ist, ob er vor allem da, wo ihm m e t r i s c h g l e i c h w e r t i g e dorische und homerische For-men zu Gebote standen, konsequent entweder die dorische oder die epische oder endlich abwechselnd bald die eine, bald die andere gebraucht hat, wird sich kaum mit Sicherheit feststellen lassen. Es ist möglich, daß epische Formen, die in den Handschrif-ten mit dorischen wechseln (ζ. Β. τρέφω neben dor. τράφω, σύ neben dor. τύ, επεσον neben dor. επετον, μιν neben dor. vi ν), nicht von Pindar selbst geschrieben, sondern erst durch die Schicksale seiner Dichtungen in den Text gekommen sind. Aber beweisen läßt sich das nicht. Deutlich ist jedenfalls, daß bei Pindar das Dorische viel stärker hervortritt als bei Simonides und Bakchylides.

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98 Literatursprache

154. Freilich sind wie bei diesen beiden Dichtern so audi bei Pindar zahlreiche Wörter ausschließlich in homerisch-ionischer Lautform überliefert, für die der Dichter ebensogut die dorische hätte wählen können: so δλλοτε, 8τε, ποτε (dor. αλλοκα, 8κα, ποχα), κε (dor. κα), γε (dor. γα), Ιερό; (dor. Ιαρός), έτερος (dor. έτερος), "Αρτεμις (dor. "Αρταμις), είκοσι (dor. Ακατι), σέο und σεΰ (dor. τέο), πρώτος (dor. πρατος), -μεν 1. Plur. (dor. -μες) u. a. Auch die durch Dehnung und Kontraktion entstande-nen Längen erscheinen in den Handschriften gewöhnlich wie bei Homer als ει und ου (εΙμί, ξεϊνος, άν-τεΐναι, δούρατος, -ου im Gen. Sg. u. a.), nur selten als η und ω. Daraus läßt sich aber nichts für den Dialekt folgern. Denn diese Längen wurden in allen griechischen Alphabeten bis zum Ende des 5. Jahrhunderts durch E und O ausgedrückt; was in den Handschriften steht, geht also nicht auf Pindar selbst zurück, sondern auf die Herausgeber späterer Zeit.

155. Von den dorischen Formen beweisen diejenigen, die auch von den geborenen Ioniern im Chorlied als dorische Kursmünze gebraucht wurden, noch nichts für eine besondere individuelle Neigung Pindars zur dorisdien Spradiform: es versteht sich von selbst, daß er im allgemeinen nicht ionisches η, sondern dorisches δ schrieb (gelegentliches ion. η ist ebenso wie bei Bakchylides zu beurteilen, siehe § 148) und die Genitive Sg. und Plur. der ersten Deklination auf -ä und -äv bildete (daneben im Gen. Sg. das epische -fio, aber nie im Plur. -äcov). In vielen Fällen tritt aber eine dorische Form, die bei Simonides und Bakchylides über-haupt nicht oder nur selten vorkommt, in den Handschriften des Pindar der homerischen oder homerisch-ionischen (bisweilen auch aiolischen) ebenbürtig zur Seite oder stellt diese ganz in den Schatten. Solche dorische Formen sind:

156. τράφω τράχω (daneben τρέφω τρέχω; bei Bakdi. nur τρέφω 13, 62 Snell); τόκα nur in der Verbindimg τόκα μέν O. 6, 66, τόκα μέν — τόκα δέ Ν. 6,10. 12 (sonst τότε); σκιαρός Ο. 3, 14. 18 (homer, σκιερό;); δνυμα Ο. 6, 57, δνΰμαζε Ρ. 2, 44,' όνύμαξεν 11, 6, όνυμάξεαι 7, 6 (könnte auch aiolisdi sein); ών (episch ουν); -io; in den Genitiven Δείνιος Ν. 8, 16, Θέτιο;, Πάριος, Ψαΐμιος; όρνιχ- statt όρνιθ- Ο. 2, 88; Ρ. 4, 190; I. 1, 48 u. ö.; έφίητι 3. Sg. I. 2, 9 (neben τίθησι Ρ. 2, 10, δίδωσι Ρ.

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Das Chorlied 99

5, 65; Ν. 7, 59); έντί „sie sind" lOmal (neben είσίν P. 5, 116); φαντί „sie sagen" 7mal; in der ω-Flexion 3. Plur. meist -οντι, gelegentlich -οισι(ν); im Konjunktiv -ωντι O. 1, 29; P. 2, 88; Ποτειδανος O. 13, 5. 40 (Ποσειδαν 12mal und Ποσειδάων 7mal, Ποσείδαον O. 1, 75); επετον Aor. „fiel" 5mal (επεσον 9mal; bei Bakch. 3mal επεσον); γλέφαρον; δέχομαι (neben δέχομαι); τεθμός, δυθμά I. 3/4, 83 (für θεσμός, δυσμά); τύ neben σύ; die betonte Dativform τί-ν „dir" (nur ein paarmal σοί); τε „dich" O. 1, 48 (sonst σε); ής „er war" I . 1, 26 (sonst ήν); Aoriste auf -ίξαι und -άξαι, die bei Pindar viel häufiger sind als bei Bakch. (ζ. Β. κομίξαι 4mal neben κομίσαι 4mal; κωμάξαι neben κωμάσαι).

157. Auch zum F steht Pindar anders als Bakchylides. Bei die-sem weist zwar wiederholt der Hiatus auf ein ursprünglich vor-handenes F im Anlaute hin, aber die Gegenfälle machen es sicher, daß Bakchylides den Laut F weder sprach noch schrieb, sondern den Hiatus vor bestimmten Wörtern (die ursprünglich mit F an-lauteten) einfach als metrische „Freiheit" ansah (§ 149). Pindar dagegen hat wie Alkman anlautendes F- noch gesprochen und ge-schrieben: den Beweis dafür liefern mehrere Verse, in denen der Buchstabe F von den Abschreibern in Γ oder Τ verderbt ist, ζ. B. σέο γ εκατι für σέο ίέκατι I . 5, 2, τίνα τ' οίκον für τίνα F οίκον Ρ. 7, 5. Allerdings wurde auch von Pindar ein und derselbe Wort-stamm, wie das Metrum zeigt, teils mit F-, teils ohne F- gebraucht (Fibtlv neben ίδείν, ^ειπείν neben επος, F οίκος neben ο'ικέω, Fάνα| neben αναξ, ^εσπέρα neben εσπερος). Diese seinem dori-schen Dialekt widersprechende Freiheit nahm der Dichter aus dem homerischen Epos herüber, und damit kommen wir zu dem Anteil, den die e p i s c h e S p r a c h e an der des Pindar hat.

158. Wie schon in § 151 erwähnt wurde, war eine epische Form oft zugleich dorisch: dann bleibt die Frage nach ihrem Ur-sprung offen. Das ist der Fall ζ. B. bei den nichtkontrahierten Flexionsformen, bei dem doppelten σσ in τόσσος, μέσσος, εσσο-μαι P. 3, 108, εσσεται Pai. 21, 13 (neben £σομαι P. 4, 156, εσται Pai. 7 c, 6) usw., bei der 3. Plur. der Aoriste εβαν, εμιχθεν, μίγεν, bei τάμνω, μείς, αυτις, τεός „dein", τοί, ταί, ποτί u .a .m. In

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andern Fällen ist es zweifelhaft, ob Pindar die überlieferte epische Form von der ihr entsprechenden dorischen in der Schrift über-haupt unterschieden haben würde. In den alten Alphabeten hat das einfache Konsonantenzeichen sehr häufig den Lautwert der Doppelkonsonanz, namentlich bei Nasalen und Liquiden: wenn also Pindar ΑΜΕΣ oder EMEN schrieb, wie will man da ent-scheiden, ob er ΰμμες (episch) oder 'αμές (dorisch), εμμεν (episch) oder εΐμεν (dorisch, über E für ει vgl. § 154) gemeint hat? Ziehen wir diese beiden Klassen ab, so bleiben als episch übrig einmal die in § 154 aufgezählten Wörter, die bei Pindar überall in der homerisch-ionischen Lautform überliefert sind. Audi wo eine homerische Lautform neben der dorischen auftritt, ist die Mög-lichkeit, daß Pindar mit beiden Formen abwechselte, nicht aus-geschlossen. Dazu tritt eine Fülle epischer Flexionsformen: die Genitive auf -So (neben dorischem -ä) und -oio (neben -ου), die Dative auf -εσσι, die Ausgänge -ήος -rjï -ήες in der Flexion der Nomina auf -εύς, Ποσειδάων, die allerdings nur seltenen Formen άνέρι, άνέρα, άνέρες, άνέρων, der pronominale Genitiv σέθεν (neben σεο), die Endung -μεσθα P. 10, 28, die Infinitive εμμεναι, θέμεναι und viele einzelne Verbformen wie διδοϊ „gibt", ¡εειπε, εννεπε, κέκλυτε, κέκλετο, πεπιθών, προσηύδα (Ρ. 4, 119, nach der Überlieferung).

159. Am wenigsten ist es zu einer Einigung gekommen in der schwierigen Frage, ob die überlieferten a i o l i s c h e n (lesbi-schen) D i a l e k t f o r m e n Pindars von ihm selbst gewählt oder erst durch spätere Redaktoren in den Text gekommen sind. Eine von ihnen geht ohne Zweifel auf Pindar selbst zurück, weil der dorische Dialekt keine metrisch gleichwertige für sie besaß: die lesbische 3. Person Plur. auf -οισιν mit Ny ephelk. (in -ουσι'ν verderbt O. 7, 95) neben viel häufigerem dor. -οντι ohne Ny ephelk. und είσίν P. 5, 116 neben έντ'ι (lOmal). Dieses -οισιν ist auch für Alkman aus überliefertem -ουσιν zu erschließen (§ 144). Dagegen kann -οισι (5mal, in -ουσι verderbt I. 6, 66) von Be-arbeitern für das von Pindar geschriebene -οντι eingesetzt worden

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sein. In der Verwendung der Partizipien auf -οισα und -αισα schließt er sich ebenfalls an Alkman an. In lesbisdier Lautgestalt erscheint bei ihm aber auch der Nominativ des Part. Aor. im Maskulinum: er endet bei Pindar auf -αις (nur selten dafür -ας).

160. Vielleicht sind die Namen auf -οισα bei Pindar (Μοίσα, Κρέοισα, Μέδοισα) durch falsche Verallgemeinerung des Aus-gangs -οισα der Partizipien in den Text gekommen. Auch die drei aiolischen Adjektivformen κλεεννός P. 4, 280; 5, 20; 9, 15, κελα-δεννός P. 3, 113; 9, 89 a, I . 3/4, 26, Pai. 5, 46, φαεννός 9mal sind Schöpfungen einer jüngern Zeit: wie schon oben bemerkt wurde, schrieb Pindar vermutlich weder -εινο; nodi -εννος, son-dern im alten Alphabet noch ΕΝΟΣ, worin das E sowohl ë als ë (ει), das Ν sowohl η als nn bedeuten konnte. Eine Umsetzung des epischen κελαδεινός in die aiolische Lautform würde bei Pindar schlechterdings unverständlich bleiben. Was man sonst nodi als aiolisdi angesehen hat, beschränkt sich auf mehr oder weniger unsichere Einzelheiten (ζ. Β. πεδά).

161. So ergibt sich folgendes Bild für den Entwicklungsgang der Sprache des Chorlieds. Sie war anfangs im wesentlichen ein peloponnesisches Dorisch, dem Äolismen und in nodi höherem Maß epische Flexionsformen zugesetzt waren, wie denn auch der Wortschatz sich stark an das Epos anlehnte. Auf ionischem Boden mehrten sich die homerischen Formen, auch die Laute nahmen vielfach die homerisch-ionische Färbung an; der dorische Charak-ter der Sprache trat immer mehr zurück und beschränkte sich schließlich im attischen Chorlied auf eine kleine Zahl konven-tioneller dorischer Formen. Wer aber, wie Pindar, in dorischer Umgebung aufwuchs, der ließ trotz weitgehender Konzessionen an die epische Sprache den alten dorischen Charakter des Chor-lieds klar hervortreten.

Literatur: T h u m b - K i e c k e r s 7 8 f . (Alkman), 218 f . (Ste-sichoros, Ibykos), 219 f. (Simonides, Bakchylides), 220 f. (Chor-lied der Tragödie); T h u m b - S c h e r e r 11 iL (Pindar); E. R i s c h , Die Sprache Alkmans, Mus. Helv. 11 (1954), 20 ff.; C. D. Β u c k , The Greek Dialects, Chicago 1955, 344 ff. (Alkman, Bakch., Pindar); P i s a n i , Storia 76—83; Β. F o r s s m a n , Untersuchungen zur Sprache Pindars, Wiesbaden 1966; C. P a -

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ν e s e , La lingua della poesia corale come lingua d'una tradizione poetica settentrionale, in: Glotta 45 (1967), 164 fi.

10. Die attische Tragödie

162. Die attische Tragödie ist zusammengewachsen aus zwei verschiedenen Dichtungsgattungen, die beide nicht dem Boden Attikas entsprossen waren. Ihren Kern bildet das für den dori-schen Adel auf dem Peloponnes im d o r i s c h e n Dialekt ge-dichtete Lied, das bei den Festen der Götter und bei Feiern aller Art von Männer- und Frauenchören vorgetragen wurde und in einer ganz bestimmten Form, als ein von Satyrn in Bocksgestalt gesungenes orgiastisches Dionysoslied (διθύραμβος), in Korinth mit dem Namen Arions eng verknüpft war (Hdt. 1, 23). In dieses Lied wurde eine von einzelnen Choreuten oder vom Gesamtchor gesprochene Rezitation eingefügt, deren Kunstform der auf i o n i s c h e m Boden für die Erzählung geschaffene Trochäus und Jambus war. Die Verbindung dieser beiden in den Sprach-formen und im Stil ganz verschiedenen Dichtungsarten gesdiah vielleicht nicht erst in Athen, wo nach einer Überlieferung zuerst Thespis Tragödien aufführen ließ, sondern bereits im Peloponnes, in Korinth. Das beweist der dorische Einschlag in der Sprache des Dialogs.

163. Weder im Jambus noch im Chorlied zeigen die überliefer-ten Sprachformen der Tragödie den ursprünglichen Dialekt dieser beiden Dichtungsgattungen: vielmehr gibt überall das Attische den Grundton ab. Was nicht attisch ist, entstammt größtenteils dem Epos, dessen Einfluß auf die tragische Sprache durch die ge-meinsamen Stoffe der Heldensage begünstigt wurde; nur noch matt schimmert im Dialog wie im Chorlied in einzelnen ionischen und dorischen Wortformen etwas von dem älteren 'Sprachlichen Gewand der Tragödie durch. Da erhebt sich nun vor allem die Frage: Haben unsere besten Handschriften, ζ. B. der im 10. oder 11. Jahrhundert geschriebene Laurentianus (Mediceus) M für Aisdiylos und Sophokles, einen Text erhalten, der wirklich nicht

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viel von der Niederschrift der Dichter abweicht? Ist es nicht mög-lich, daß gerade im 4. Jahrhundert v. Chr. durch die neuere atti-sche Tragödie, die absichtlich mit den alten Formen brach, der attische Dialekt auch in die Bühnenausgaben der damals wieder aufgeführten alten Tragödien eindrang? Hat nicht wenigstens die Sprache des Aischylos ursprünglich eine stärkere dialektische Fär-bung getragen als in unseren Handschriften?

164. Daß die Sprachformen des j a m b i s c h e n T r i m e -t e r s im allgemeinen (von einzelnen Modernisierungen wie βασιλείς abgesehen) sorgfältig und zuverlässig überliefert sind, beweisen am besten die wenigen Stellen, an denen statt der üb-lichen attischen Form eine sonst ungewöhnliche ionisdie steht, besonders ein η in Endungs- und Bildungssilben für attisches ä (z.B. φιλί/η) und ein ευ für attisches ου (kontrahiert aus εο). Denn diese Ionismen sind weder Fehler der Überlieferung noch zufällig erhaltene Reste einer ursprünglich stärkern ionischen Fär-bung der Sprache des Jambus: vielmehr handelt es sich bei meh-reren von ihnen nachweislich entweder um A n s p i e l u n g e n auf ganz bestimmte Stellen der ionischen Dialektliteratur oder um speziell ionische Wörter.

165. Der Bericht des Boten, der bei Aisch. Agam. 577 die Er-oberung Trojas meldet, gipfelt in den frohlockenden Worten Τροίην έλόντες δήποτ' Άργείων στόλος κτλ. Das stolze Gefühl des Erfolgs kann sich hier nicht besser ausprägen als im deutlichen Hinweis auf die wiederholt getäuschte Hoffnung der Helden in der Ilias: ενθα κεν ΰψίπυλον Τροίην ελον υίες 'Αχαιών, ε'ι μή κτλ. Π 698 Φ 544. Der Vers αεί γαρ όψεις εννυχοι π ω λ ε ύ -μ ε ν α ι Prom. 645 klingt deutlich an des Archilochos Worte Fr. 36 D. φηλήτα, νΰκτωρ περί πόλιν πωλευμένε (πωλεύμενοι auch β 55) an. Aus Sophokles wird bei Photius das Wort οίήτης = κωμήτης angeführt (Fr. 130): οΐη für att. κώμη war ein ionisches Wort, das zweimal in ionischen Inschriften aus Chios und Ery-thrai steht (Samml. Griech. Dialektinschr. Nr. 5661, 46 und Nr. 5690 a 27) und in Attika zwar noch als Name eines Demos, aber nicht mehr als Appellativum vorkam.

166. Wie in diesen einzelnen Ionismen läßt sich auch in der überlieferten dorischen Lautform vieler Wörter des Trimeters

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eine bestimmte Absicht des Diditers erkennen, und gerade da-durch wird die im ganzen attische Sprachform des Trimeters als echt und ursprünglich erwiesen. Diesen Beweis stützt nodi ein anderer äußerst gewichtiger Zeuge. Aristoteles hat den Dialog ebenso attisch gelesen wie wir: denn in der Rhetorik I I I 1 p. 1404 a 33 spricht er es klar aus, daß die Tragiker, als sie den trochäischen Tetrameter mit dem jambischen Trimeter vertausch-ten, alles Nichtattische aus dem Dialekt verbannten: των ονομά-των άφείκασιν, ο σα παρά την διάλεκτόν έστιν.

167. In der Tat scheinen die Tragiker vor Aischylos in ihren Tetrametern noch stark vom Dialekt der ionischen Dichtung ab-hängig gewesen zu sein: zwei auf Papyrus erhaltene Tetrameter der Phoinissen des Phrynichos hat H. D i e 1 s im Rhein. Mus. 56 (1901) 33 treffend ergänzt zu: [ές δέ πρ]ωΐην δεείλην πλείο[νες δισμυρ]ίων άνδρες έκτείνοντο [καΐ τρίς όψί]ην ές δειέλην. Und doch war Aischylos nicht der erste, der das Attische in den Tri-meter und Tetrameter einführte: denn schon 100 Jahre vor ihm hatte in Athen kein Geringerer als Solon trochäische Tetrameter und jambische Trimeter im attischen Dialekt gedichtet (s. § 127).

168. Wesentlich ungünstiger steht die Sache für die Sprache des C h o r l i e d s . Wenn auch in ihr die Zahl der durch den Vers gesicherten attischen und homerischen Wortformen nicht gering ist, so finden wir doch andererseits ein starkes Schwanken zwi-schen metrisch gleichen dorischen und attischen Formen, das man ungern dem Dichter selbst zur Last legt. Sollte er wirklich mit μδχανά und μηχανή, δάμιος und δήμιος, δμαρ und ήμαρ, Ά-τρειδδν und 'Ατρειδών ganz nach Willkür gewechselt haben? Das ist unwahrscheinlich: wer deshalb in solchen Fällen gegen die Überlieferung überall die dorische Form durchführen will, ist vielleicht auf dem rechten Weg. Die Frage ist nur, ob damit dann wirklich die Grenze erreicht ist, bis zu der die Tragiker in der dorischen Färbung ihrer Chorlieder gingen. Denn es können ja auch attische Formen, die ohne dorische Konkurrenten überliefert sind, erst im Lauf der Textgeschichte an die Stelle älterer, von den Dichtern gewählter dorischer Formen getreten sein. Das Pro-blem bleibt unlösbar.

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169. Unter den nichtattischen Elementen der Tragikersprache treten, wie schon erwähnt, am stärksten die h o m e r i s c h e n hervor, im Chorlied wie im Dialog. Nächst ihnen kommen die d o r i s c h e n Formen, auf die das Chorlied nadi seinem Ur-sprung (siehe § 141) Anspruch hat, die aber zum großen Teil auch im Dialog stehen. Am schwächsten tritt in Lauten und Formen der i o n i s c h e Dialekt hervor. Natürlich schwankt der Pro-zentsatz der nichtattischen Formen nach dem Alter, dem Ge-schmack und dem Entwiddungsstadium des einzelnen Dichters. So kommen die homerischen Formen πτόλις und ήδέ bei Sopho-kles nicht vor, während Aisdiylos πτόλις lOmal (6mal im Lied, 4mal im Dialog) und ήδέ 16mal (darunter 13mal in den Persern in Anapästen und Chorliedern) gebraucht. Umgekehrt finden wir die homerischen Formen ξεϊνος und μοϋνος nur je lmal bei Aischylos: dagegen ist jene 12mal, diese gar 17mal für Sophokles metrisch gesichert. Sophokles steht im Ruf, ionische Dialekt-elemente stärker als Aischylos und Euripides zugelassen zu haben. Doch trifft das wenigstens für Laute und Formen nicht zu.

170. Wir beginnen mit den d o r i s c h e n Formen, da sie am leichtesten zu erkennen sind.

Am wichtigsten und stark hervortretend, aber zugleich auch fast alleinstehend ist die d o r i s c h e D i a l e k t f ä r b u n g durch das dorische ñ an Stelle des ionisch-attischen η: dor. νδσος = att. νήσος. Von den Beispielen für diesen Dorismus besitzen diejenigen ein besonderes sprachliches und literargeschichtliches Interesse, die nicht in Chorliedern und Anapästen, sondern im D i a l o g , also im j a m b i s c h e n T r i m e t e r u n d t r o -c h ä i s c h e n T e t r a m e t e r , vorkommen. Mit dem ioni-schen Ursprung dieser beiden Versarten scheint sich ein dorisches ä schlecht zu vertragen, so daß man es aus dem Chorlied in den Dialog verschleppt sein läßt, obwohl mehrere Wörter mit ü nur im Dialog vorkommen. Es wäre aber wohl auch möglich, daß die beiden Verse der Rezitation, Jambus und Trochäus, nicht direkt von ihrer ionischen Heimat aus nach Athen kamen, sondern über

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den Peloponnes, wo sie vielleicht bereits mit dem dorischen Chol lied verbunden und mit dorischen Spradiformen durchsetzt wur-den (vgl. § 162).

171. Mehrere dorische Wortformen kommen im Trimeter nur an solchen Stellen vor, wo die attische Wortform sich nicht in das Metrum fügte. So steht τιμαορος immer am Versende (Aisch. Eur. 6mal, ebenso ξυναορος Eur. an 9 von 10 Stellen), 'Aftavfi immer hinter dem ersten Jambus (Aisch. Soph. Eur. 21mal, ζ. B. ανασσ' Άθανα), ναός „des Schiffes" nur da, wo der Vers die Länge der ersten Silbe fordert (Aisch. Soph. Eur.), und von πέπαμαι „ich besitze" füllen die beiden ersten Silben an 6 Stellen (Aisch. Eur., im ganzen 7 Belege) den 2. oder 4. Versfuß, in dem der Spondeus κεκτη- unmöglich war. Wo die attische Form dieser Wörter in den Vers paßte, wurde sie gewählt: τιμωρός (Soph. Eur. 8mal), ξυνωρίς (Aisch. Soph. Eur.), 'Αθηναία vor dem letzten Versfuß (Aisch. Eur. 5mal), νεώς, κέκτημαι, εκτημαι (oft).

Die meisten Wörter mit dorischem ä im Trimeter und Tetra-meter gehören nicht der täglichen Umgangssprache des 5. Jahr-hunderts, sondern der gehobenen Sprache der Dichtung an. Wenn die Uberlieferung zuverlässig ist, haben bei ihnen die Dichter oft zwischen der dorischen und der attischen oder ionisch-homerischen Form geschwankt: so εύνατήριον (Aisch. Soph. Eur.) neben εΰνήτειρα (Aisch.), εύνήτωρ (Eur.), εύνήτρια (Soph.); θοινατωρ, θοινασομαι (Eur.) neben έκθοινήσεται (Aisch.); αυδασον (Aisch. Eur.) neben αύδήσομαι (Soph.); δαίος (Aisch. Soph.) neben δήϊος (Aisch.); ναϊο ς (Aisch. Eur.) neben νήϊος (Aisch.); γϋ-μόρος, γδ-τόμος, γα-jtoxoç (Aisch.) neben γη-γενής (Aisch. Soph. Eur.); νδμέρτεια (Soph.) neben νημερτή (Aisch.). Nur in dorischer Laut-form sind überliefert εκδτι „um — willen" (Aisch. Soph. Eur. 41tnal im Dialog, nur lmal im Chor; homer, εκητι), δαρόν (Aisch. Soph. Eur., audi im Chor; homer, δηρόν), μδκιστος (Aisch.; homer, μήκιστος), βάλός (Aisch.; homer, βηλός), πειθ-δνωρ, ποιμ-δνωρ, στυγ-ανωρ, φιλ-ανωρ (Aisch.; homer, εύ-ήνωρ, άγ-ήνωρ, άγαπ-ήνωρ), ποινάτωρ (Aisch. Eur.), ποινασόμεσθα (Eur.), πόρπδσον (Aisdi.) u. a. m. Weshalb in allen diesen Fällen der Dichter die dorische Wortform wählte, obwohl ihm eine metrisch gleichwertige attische oder ionisch-epische (vgl. § 176 f.) zur Ver-fügung stand, würde unverständlich bleiben, wenn sich nicht das dorische fi im Dialogvers bereits eingenistet hätte, als die erste attische Tragödie entstand.

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Die attisdie Tragödie 107

172. Eine besondere Gruppe bilden diejenigen Wörter, die audi außerhalb der Tragödie in attischer Prosa und in der κοινή mit à vorkommen: ναός „Tempel" (Soph. Eur., bei Aisdi. nur πρόναος Suppl. 494) neben dem nur von Aisch. Pers. 810 ge-brauchten attischen νεώς, λοχ-άγός, λοχ-αγέτάς (Aisch. Soph. Eur.), οπαδός (Aisch. Suppl. 985, häufig bei Eur.). Sie sind nicht durch die Dichtung — oder wenigstens nicht allein durch sie —, sondern durch den unmittelbaren Volksverkehr als Lehnwörter ins Attische eingeführt worden. Das gleiche gilt auch für κυν-αγός „Jäger" (Aisch. Soph. Eur.) neben attischem κυν-ηγέτης (Aisch. Soph. Eur.), ποδ-αγός (Soph.) und ταγός (Aisdi. Soph., als Amts-name bei den Thessaliern geläufig).

Zu den Belegen für dorisches ä im Dialog werden besser nicht gezählt: 1. λαός, όπαων, αμός, die auch in der episdhen Sprache ä haben und aus dieser entlehnt sein können, 2. νάμα „Wasser" (Aisch. Soph. Eur.) und εμβα, εσβα, βάτω, βάτε (Aisch. Soph. Eur.), deren ä aus -δ-ε- zusammengezogen sein kann, 3. ναυαγός „schiffbrüchig" und ναυ-αγιον „Schiffbruch", beide auch in Prosa gebraucht und wahrscheinlich gutattisch, wenngleich eine sichere Erklärung des α noch fehlt.

173. Außer dem langen ä für att. η sind dorische Formen in der Tragödie selten. Erwähnung verdienen aus dem Dialog einige (im Chor häufigere) Zusammensetzungen mit den verkürzten Prä-positionen άν- und παρ- (ζ. Β. άνδαίω, άντέλλω, άμμένω, άμ-πίπτω, άμφέρω, παρβαίνω, dazu vielleicht audi κατθανεϊν, κατ-θανών, wenn diese Formen nicht episch sind) und der Akkusativ viv = αυτόν, aus Chorliedern und Anapästen der Gen. Sg. der männlichen ä-Stämme auf -ä aus -äo (att. -ου) ζ. Β. Άΐδα = att. "Αιδου, auch Οιδίποδα Aisch. Soph. Eur.; der Gen. Plur. der ä-Stämme auf -αν aus -äcov (att. -ών) ζ. Β. Άτρειδάν, πασά ν; der Aorist σφετεριξάμενοι Aisdi. Suppl. 39; einzelne Wortstämme wie Ίάνες Aisch. aus Ίάονες (att. "Ιωνες), Ποσειδάν Aisdi. Soph. Eur. aus Ποσειδάων (att. Ποσειδών).

174. Bemerkenswert sind einige Äolismen, die erst durch das dorische Chorlied in den Trimeter gekommen sind: πεδ-άρσιος (Aisch.), πεδ-αίρω (Eur. im troch. Tetrameter) für att. μετ-, φαεννός (Soph. Eur.).

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108 Literaturspradbe

175. Schwierig, ja oft unmöglich ist es, die i o n i s c h e n Elemente der Tragödie einerseits von den attischen, andererseits von den homerischen glatt zu scheiden. Die Frage, was i o n i s c h u n d w a s a t t i s c h sei,-trifft vor allem den W o r t s c h a t z . Von den Tragikern werden nicht wenige Wörter gebraucht, die weder in den attischen Inschriften nodi in der älteren attisdien Prosa Vorkommen, dagegen bei den ionischen Prosaikern (Hero-dot, Hippokrates) gewöhnlich sind. Aly (s. § 182) hat durch ein-gehende Untersuchungen der Geschichte, Verbreitung und Bedeu-tungsentwicklung einzelner Wörter der Tragödie teils Ionien, teils Attika als ihre Heimat nachgewiesen.

176. Was sicher ionisch ist, braucht darum noch nicht aus der Sprache des Jambus zu stammen: denn viele der Wörter und Wortformen, die wir bei Herodot und Hippokrates lesen, stehen auch bei H o m e r , der die Sprache des Chors wie des Dialogs stark beeinflußt hat; er kann besonders auf solche ionisdie For-men, die ausschließlich oder doch vorwiegend im Chorlied und in den episch angehauchten Botenerzählungen vorkommen, zweifel-los größere Ansprüche erheben als der Jambus.

177. Die wichtigsten Laute und Formen, welche die Tragödie mit dem h o m e r i s c h e n Epos teilt, sind folgende:

a) Die o f f e n e n F o r m e n vieler Wortstämme und Bil-dungssilben (άείρω, άέξω, άεικής, άείδω, άέκων, άέλιος, αεΰλον, Άΐδης, άΐσσω, άοιδή, άοιδόζ, φάος, φέεθρον, άδελφεός, Stoff-adjektive auf -εος, die Ausgänge -εος, -εϊ, -εα, -εων von εσ-Stämmen, offene Formen der Verba contracta, Adjektiva auf -θροος, -vooç, -πλοος, -πνοος, -ροος, -σκοος, -σοος), meist nur in Chorliedern und Anapästen, vereinzelt aber auch im D i a l o g (φάος häufig, άείρας Ant. 418, άεικεΐς Prom. 525, άείδειν Ag. 16, άειδε Eur. Fr. 188, 3, άοιδάς Ant. 883, αοιδού Öd. R. 36, φέεθρον Pers. 497, χαλκέου Choeph. 686, χαλκέας Ant. 430, χαλκέω Trach. 556, χρυσέων 1099, τευχέων Eum. 742, ανθέων Soph. El. 896, βρέτεα Aisch. Suppl. 463, όστέων Trach. 769).

b) Die durch Ersatzdehnung vor ν und ρ entstandenen Längen ει und ου an Stelle der attischen Kürzen ε und o in ξ ε ΐ ν ο ς (Aisch. nur lmal Sept. 942 im Chor; Euripides fast ausschließlich

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im Chor; Sophokles im Dialog häufiger als im Chor, aber mit Ausnahme dreier Stellen stets in der geläufigen homerischen An-rede ξεΐνε, ώ ξεΐνε, ώ ξεϊνοι), μ ο ΰ ν ο ς (Aisch. nur μουνώπα Prom. 804, Sophokles häufiger im Dialog als im Chor), γ ο ύ -ν α τ α (öd. Κ. 1607 Botenrede, bei Eurip. wiederholt im Chor und Dialog neben γόνατα), δ ο ΰ ρ α τ ι Philokt. 721 Chor, δουρι-neben häufigerem δορι- in Zusammensetzungen bei Aisch. Soph. Eur. (darunter im Dialog δουρίληπτον νύμφην Aias 894 nadi δουρικτήτην (von der Briseis) I 343, δουρίπληχθ' Sept. 278), κ ο ΰ ρ ο ς , κ ο ύ ρ η nur im Chorlied (selten bei Aisch. und Soph., häufig bei Eur.), κ ε ι ν ó ς „leer" nur in έξεκείνωσεν Aisch. Pers. 761 Dialog, ο ΰ ρ ο ς „Grenze" (in πρόσουρον Phil. 691 Chor, προσούρισας Iph. Α. 1151 Dialog, ξύνουρος Aisch. Ag. 495 Dialog, τηλουρόν im Dialog Aisdi. Prom. 1, 807, Eur. Andr. 889, Or. 1325); so auch v o i i o i o v Aisch. Suppl. 684 Chor.

c) Die in der V e r s a r s i s metrisch g e d e h n t e n L ä n g e n ε ι u n d ο υ für ε und ο: είνάλιος im Chor Ant. 345, Tro. 1095, εΐνόδιος, είλάτινος Eur. Chor, εϊρυσον Tradì. 1032 im Hexa-meter, ε'ιν "Αιδου δόμοις Ant. 1241 Dialog nach homer, ε'ιν Άΐδαο δόμοισι; ούλίφ Aias 933 Chor, ούλόμενος Eur. Chor, οίρειον nur im Chor Ant. 352 und häufiger bei Eur. (dagegen im Dialog bei allen drei Tragikern stets δρειος).

d) Das D o p p e l s i g m a in μέσσος, τόσσος, δσσος, κτίσσαι, όλέσσαι, πελάσσαι (alle diese Formen sind selten, im Dialog kommt von ihnen nur μέσσος Ant. 1223, 1236, Fr. 255, 5 Pear-son vor).

e) Die K a s u s e n d u n g e n ~oio und -εσσι (bei Aisch. und Soph, nur im Chor und in Anapästen) und besondere F l e -x i o n s f o r m e n e i n z e l n e r N o m i n a , wie ζ .Β . άνέρες, ματέρος, ματέρι (bei Aisch. und Soph, nur im Chor), χροΐ Aisch. Suppl. 790 im Chor, Tradì. 605 im Dialog (neben χρωτ'ι Tradh. 767 Ant. 246, έν χρφ Aias 786; Eur. braucht χροός, χροΐ, χρόα im Dialog und Chorlied fast doppelt so häufig wie χρωτός, χρωτί, χρώτα), Ζηνός, Ζηνί, Ζήνα (bei allen drei Tragikern häufig im Chor und Dialog), νήας Aisch. Suppl. 744 im Chor, im Dialog πολλόν Ant. 86, Tradì. 1196 (πολλήν 1195).

f) Die P r o m i n a l f o r m e n έμέΦεν σεθεν £θεν (oft), δμμι Sept. 156 Chor, ϋμμε Eum. 620 Dialog, Ant. 846 Chor, άμός (im Chor und Dialog), τεός (nur im Chor), κείνος, τοί μέν und τοί δέ im Satzanfang (Pers. 424 Dialog, 568, 584, Sept. 295, 298, Aias 1404 Chor) und der Gebraudi des Artikels im Sinn des Relati vums.

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110 Literatursprache

g) Zahlreiche V e r b a l f o r m e n : so die A u s g ä n g e -v für -σαν ζ. Β. εβαν, εμιχθεν (vorwiegend im Chor, audi dorisch), -εο für -ου (Soph. Chor), -μεσθα (häufig, aber fast ausschließlich in Jamben und Trochäen), das iterative -εσκε, -εσκον (selten), εμμεν Ant. 623 Chor; die P r ä s e n t i e n αρμόζω, σφάζω, ζώω, 'ιθύνω, σεΰται, Imperi, ϊσαν; das F u t u r έλεύσομαι; die A o r i s t e εκτυπον, ηλυθον, έπιπλόμενος, έκέκλετο, εκτα, ώρτο, ερυτο, κτάμενος, κτίμενος, φθίμενος, δρμενος, έγεινάμην, έσσύθη; das P e r f e k t λέλογχα; das F e h l e n d e s A u g -m e n t s (selten im Dialog) u. a. m. Die audi im ionischen Jambus vorkommenden Endungen -οίατο, -αίατο 3. Plur. Opt., vorwie-gend im Dialog, waren vermutlich altattisch, starben aber im Lauf des 5. Jahrhunderts in Athen aus.

h) Die K o m p a r a t i o n s f o r m e n άρείων (Ag. 81 Sept. 305 Chor), βέλτερος (Sept. 337, Aisdi. Suppl. 1070 Chor), μασ-σων (nur trodi. Tetr. Pers. 708 und jamb. Trim. Pers. 440, Ag. 598, Prom. 629, kann wie μακιστος auch dorisch sein), νέατος, ύπατος.

i) Die P r ä p o s i t i o n e n π ο τ ί (selten im Dialog: Eum. 79, Tradì. 1214) und ύ π α ί (audi im Dialog: Ag. 892, 944, Eum. 417, Ant. 1035, Soph. El. 711); danach von Aisdi. δ ι α i gebildet (selten im Dialog: Fr. 296).

k) P a r t i k e l n und K o n j u n k t i o n e n wie άτάρ, φα, ήδέ, αίέν, τίπτε, ήμος, τώς, δθι, πόθι u. a. m.

1) Von einzelnen wegen ihrer Lautform bemerkenswerten home-rischen Wörtern seien hervorgehoben γ α ί α , ξ υ ν ό ς , i ρ ó ς Pers. 745, Öd. Κ. 16, ε τ α ρ ο ς Pers. 989 Chor, π τ ó λ ι ς , π ο -λ ι ή τ η ς Eur.

178. Die Zahl derjenigen i o n i s c h e n L a u t e u n d F o r -m e n , die nidit der homerisch-epischen Sprache angehören und deshalb aus dem i o n i s c h e n J a m b u s in die Tragödie, spe-ziell in den Dialog übernommen sein müssen, ist außerordentlich klein. Das stammhafte η für att. ä in dem bei allen drei Tragi-kern häufigen Volksnamen Θρηξ (θρησσα, Θρήκιος, Θρήκη) läßt — wenn die Form nicht aus Homer stammt — ebenso wie in Άσιήτις Pers. 61 nur darauf schließen, daß diese geographi-schen Namen in Athen in der durch die Ionier der Chalkidike und Kleinasiens übermittelten Lautform verbreitet waren. Das gleiche gilt von dem persischen Fremdwort τιήρας (Gen.) Pers.

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Die attische Tragödie 111

661. In π ρ ε υ μ ε ν ή ς , das selten im Chorlied (Aisdi. Suppl. 140) und oft im Trimeter und Tetrameter (Aisdi. Pers. 220, 224, 609, 685, Suppl. 210, Ag. 840, 950, 1647, Eum. 236, Fr. 43, 2; 92, Eur. Hek. 538, 540, Or. 138, Tro. 739, Fr. 781, 60) vor-kommt, ist πρευ- durch Umsetzen der Quantität aus ionischem πρηυ- (att. πραϋ-) entstanden; das Wort ist also jedenfalls ioni-schen Ursprungs, wenn auch damit seine Entlehnung aus dem Jambus nodi nicht sichersteht. Audi π α ρ η ΐ ς „Wange", je lmal bei Aisdi. im Dialog (Sept. 534) und Lied (Choeph. 24) und sehr häufig bei Euripides, scheint ein ionisches Wort zu sein, vgl. παρηΐδας Hdt. 2, 121 δ (daneben bei allen drei Tragikern audi παρειά, aber nicht homer, παρήΐον).

179. Mehrere andere Wortformen der Tragödie werden o h n e s t i c h h a l t i g e n G r u n d für ionisch gehalten.

Da auf den attischen Steinen immer έάν (selten «v) geschrieben steht, so ist die Meinung verbreitet, daß ην in der attischen Lite-ratur (in der Tragödie bei Aisdi. je lmal im Trimeter und Tetra-meter Sept. 1027, Pers. 708, bei Soph. 26mal) eine ionische Dia-lektform sei. Das ist ausgeschlossen. Wie sollten Thukydides und Aristophanes, bei dem ήν das Gewöhnliche ist, dazu kommen, diesen einzigen Ionismus in ihr Attisch aufzunehmen! Und hat denn nicht auch die pseudoxenophontische Schrift „Vom Staat der Athener", die als Denkmal des reinsten attischen Dialekts gilt, ην (2, 17; 3, 3) neben έάν? Die Inschriften beweisen nichts wei-ter, als daß die O r t h o g r a p h i e der Kanzlei έάν war und blieb. Für die lebendige Sprache folgt daraus nichts. In ihr schei-nen kontrahiertes ήν und offenes έάν nebeneinanderher gegangen zu sein. Ebenso wird das kontrahierte νένωται Soph. Fr. 182 Pearson eine nicht nur ionische, sondern audi altattisdie Parallel-form zu dem offenen νενόηται gewesen sein. Genitive wie πόλεος (Dialog: Sept. 218, Ant. 162, Or. 897; Chor: Sept. 180, Ag. 1167), ö φ ε ο ς Eur. Bacch. 1026 sind dem altionischen Jambus fremd. Sie kommen in jüngerer Zeit in verschiedenen Dialekten vör. Wahrscheinlich war in Athen neben dem echtattischen πόλεως (aus πόληος) eine durch Analogie nach κήρυκ-ος gebildete Form πόλεος in der Umgangssprache vorhanden (vgl. auch § 182); anders S c h w y z e r , Gramm. 1, 572, Fußnote 3. Ebenso fehlt für die Adverbien μηδαμα, ούδαμα Pers. 431, Ant. 830, Trach.

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112 Literatursprache

323. 381, öd . Κ. 516. 1104. 1698, die als ionisch bezeugt sind, ein ausreichender Grund, sie dem Altattischen abzusprechen.

180. Auch die Konsonanten -σσ- für att. -ττ- und -ρσ- für att. -ρρ- stehen im Ruf, etwas speziell Ionisches in der Tragödie zu sein. Zweifellos haben die Tragiker, mit denen die Prosaiker Thu-kydides und Antiphon hier zusammengehen, θάλασσα und ΐίρσην im bewußten Gegensatz zu att. θάλαττα und δρρην geschrieben: was sie dazu veranlaßte, war die Empfindung, daß das attische -ρρ- und -ττ- überhaupt nicht „literaturfähig" sei. Es ist ja eine bekannte Tatsache, daß unter den Lauten, durch die sich ein Dia-lekt von den übrigen Dialekten einer Spradie vinterscheidet, immer einige sind, die besonders ins Ohr fallen und deshalb auch leicht zu Spötteleien über die Artikulation benutzt werden. Solche Laute waren im Attischen -ρρ- und -ττ-. In den attisdien Inschriften werden Namen schon in älterer Zeit wiederholt mit ρσ statt mit ρρ geschrieben: es galt im alten Athen als vornehmer, seinen Namen mit ρσ zu sprechen und zu schreiben (J. Wa ck e r-n a g e l , Hellenistica, Göttingen 1907, 12). Was der Privatmann empfand, äußerte sich natürlich noch stärker bei den Schriftstel-lern: sie verweigerten den beiden attischen Provinzialismen den Eintritt in die Sprache der ernsten pathetischen Dichtung und der für einen weiten Leserkreis bestimmten vornehmen Prosa und verwendeten lieber das -ρσ- und -σσ-, das nicht nur in der übrigen griechischen Literatur, sondern audi in der täglichen Umgangs-sprache aller bedeutenden Staaten und Städte (mit Ausnahme Boiotiens) herrschte.

181. Haben wir alle nichtattisdien Elemente der Tragiker-sprache ausgeschieden und mustern den nun verbleibenden rein attisdien Rest, so fällt uns zweierlei auf. Von Aisdiylos bis Euri-pides läßt sidi deutlich eine leise Verjüngung der Spradie ver-folgen. Wiederholt weicht Euripides, zusammen mit Aristophanes, von dem Sprachgebrauch des Aisdiylos und Sophokles ab. Diese beiden kennen nur ϊθεσαν, Ιδοσαν: Euripides dagegen bildet Ιθηκαν (wie Aristophanes Nub. 968), ήχαν, έδωκαν. Das ist deutlich eine Anlehnung an die attische Umgangssprache, in der das alte ιδοσαν und die zu Ιδωχε neugebildete Form Εδωκαν nebeneinander gebraucht wurden. Das gleiche gilt für den Impe-rativ auf -τωσαν (ϊστωσαν Ion 1131, ΐτωσαν Iph. Taur. 1480):

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Die attische Tragödie 113

Aisdiylos und Sophokles haben nodi das altattische -ντων (Choeph. 714; Aias 961, öd . Kol. 455).

182. Dieser Einfluß der Umgangssprache macht sich aber — und das ist das zweite — auch schon bei Aisdiylos gelegentlich bemerkbar. In seiner Sprache fallen manche Einzelheiten auf, die zum Bild des „korrekten" Attisch, wie es uns die ältesten In-schriften zeichnen, nicht passen wollen. Zwei Beispiele dafür. Zweimal ist in Anapästen der Nominativ τοκέες metrisch gesichert: Pers. 63. 580. Sonst bilden die Tragiker in Übereinstimmung mit dem herrschenden Sprachgebrauch der ältesten Inschriften den Nominativ Plur. der ηυ-Stämme auf -ής (wiederholt richtig über-liefert und stets für -εϊς herzustellen). Hat es sdion zur Zeit des Aisdiylos in der attischen Umgangssprache die inschriftlich erst seit etwa 350 v. Chr. begegnende Analogiebildung -έες (nach -έως, -έα, -έων) gegeben? Der Dativ Plur. der ersten Deklination endigt von Aisdiylos an bei den Tragikern gewöhnlich auf -αισι: nur an wenigen Stellen überliefern die Handschriften -ησι. Da der Aus-gang -αισι weder ionisch (-ησι) noch dorisch (-αις) ist und im Widerspruch zu den ältesten attischen Inschriften (-ησι) steht, so war die Kritik geneigt, ihn ganz zu verwerfen und durch -ησι zu ersetzen. Dann müßten ihn spätere Abschreiber, die selbst -αις sprachen, frei erfunden haben, und das ist nicht gerade wahr-scheinlich. Es wird also zur Zeit des Aisdiylos — und noch viel früher, wenn der Dativ άρπαγαΐσιν bei Solon in Aristoteles' ΆΦηναΙων πολιτεία 12 ( = Solon Fr. 23,13; aber ebenda Fr. 24, 27 πολλήισιν) richtig überliefert ist — in der Umgangssprache neben -ησι ein nach -οισι gebildetes -αισι gegeben haben, wenn auch die attischen Inschriften von -ησι gleich zu -αις überspringen (§ 81).

Literatur: W. A1 y , De Aeschyli copia verborum, Berlin 1906; S c h w y z e r , Gramm. 1, 110f.; C. F. N u c h e l m a n s , Die Nomina des sophokleischen Wortschatzes. Vorarbeiten zu einer sprachgeschichtlichen und stilistischen Analyse, Utrecht 1949; G. Β j ö r c k , Das Alpha impurum und die tragische Kunstsprache,

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114 Literatursprache

Uppsala 1950; T h u m b - S c h e r e r 298fi.; P i s a n i , Storia 84—93.

11. Die alte Komödie

183. Im 5. Jahrhundert zogen durch die großen und reichen sizilisdien Städte, deren blühende Kultur und Sprache zu dieser Zeit im wesentlichen dorisches Gepräge trug, fahrende Koinö-dianten, die auf offenem Markt das zusammenströmende Volk durch mehr oder weniger improvisierte Aufführungen drastischer Szenen aus dem Alltagsleben, von Tanz und Gesang begleitet, unterhielten. Diese derben volkstümlichen Possen wurden in Syrakus, der Hauptstadt der Insel, durch zwei Männer in ver-schiedener Art zu einer literarischen Gattung ausgebildet. Das höhere Ziel setzte sich E p i c h a r m o s aus dem sizilischen Me-gara (etwa 550—460 v. Chr.), der am Hof Hierons durch Phryni-chos und Aischylos die attische Tragödie kennenlernte und ihre Kunstform, abgesehen vom Chor, in seinen Komödien nachbildete. Sein Lieblingsvers war der trochäische Tetrameter, der alte Vers des dramatischen Dialogs. Tiefer an künsderischem Wert standen die μίμοι des etwas jüngern Syrakusaners S ο ρ h r ο η , und dodi haben sie als literarisches γένος die flüchtige Blüte der epidiar-misdien Komödie lange überlebt.

184. Wie der Mimus in scharfer Beobachtung und realistischer Darstellung kleine Bilder aus dem alltäglichen Leben entwarf und dabei in grellen Farben die menschlichen Charaktertypen zeich-nete, das haben wir aus den wiedergefundenen μιμίαμβοι des um zwei Jahrhunderte jüngern H e r o n d a s (§ 123) gelernt, wenn-gleich sich diese — schon durch den Vers und die von vornherein beabsichtigte Ausgabe in Buchform — als kunstmäßige Gedichte von den durchaus urwüchsigen, für die Darstellung bestimmten prosaischen μίμοι des Sophron unterschieden. — Vgl. T h u m b -S c h e r e r 233 f.

185. Mag auch Epicharms Kunstform vollendeter und einem feinern Geschmack zusagender gewesen sein, in e i n e m Punkte stand er doch dem Sophron gleich: im Dialekt. Beide haben in

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Die alte Komödie 115

der Umgangssprache der Stadt Syrakus gedichtet; sie besaßen ja audi für ihr dramatisdies γένος keine Vorbilder aus andern Staa-ten, die ihren Dialekt hätten bestimmen können. Die bewegten Schicksale von Syrakus im 5. Jahrhundert hatten der Stadt eine gemischte Bevölkerung gegeben, die sich aber im wesentlichen aus dorisdien Elementen zusammensetzte. Das prägt sich auch deut-lich ifn Dialekt Epidiarms und Sophrons aus (Fragmente heraus-geg. von G. Κ a i b e 1 : Comicorum Graecorum fragmenta, Berlin 1909). Denn als Grundstode finden wir in ihm die üblichen ge-meindorisdien Laute und Formen; über diesen lagert eine ziem-lich starke Schicht lokaler Dialektformen, die entwedet sizilisdi oder speziell syrakusisch waren. Dahin gehört z. B. der Dativ Plur. auf -εσσι: ήρώνεσσι So. 154, τρηματιζόντεσσι So. 129, φίνεσσι Ep. 21, 4; ψιν ψε So. 93. 94 für σφιν σφε; κάρρων So. 59. 121, Ep. 165 für κρέσσων; εΐω So. 48 für ϊω, έγκίκρα So. 48 für κεράννυ, πέποσχε Ep. 11; νίκωρ So. 133 u. ν. a. m.

186. Damit ist nun freilich der Dialekt der sizilischen Komödie noch nicht ganz bestimmt. Bei der verhältnismäßig geringen Zahl von Fragmenten, die wir besitzen, fällt es auf, daß namentlich der Dialekt Epidiarms keineswegs in sidi einheitlich ist, sondern verschiedene Formen nebeneinander gebraucht. Um Fehler der Überlieferung kann es sich dabei nicht handeln (abgesehen von den vulgären Formen, die durch nachlässige Abschreiber in den Text gekommen sind): denn durch das Metrum werden die ein-ander widersprechenden Doppelformen sicher verbürgt.

187. Im Anlaut wird F-, wenn es auch nirgends direkt über-liefert ist, häufig durch den Hiatus des Verses gefordert: πίοι Fâçveç 136, 1, τε /Γέρακες 68, τε Foi 71, 3, τφ ^ήρι 58, 1, εϊκω ίοίχαδις 35, 13, Κορινθία FéFοικας 238, καί Αινδάνειν 173, 2, τε Faòi 82, βδελυχραΐ Faòèai 63, 2, τύ δέ ^εκών 37; andererseits beweist die Elision und Krasis in φέρ' Ιδω 171, 3, εσθοντ' ϊδοις 21, 1, τόδ' οίδεν 172, 6, δ' δδιστον 43, χάδύνοντες 164, 2, daß F- audi fehlen konnte. Es wechseln σσ und σ mitein-ander in δσσον 79, 4, οσσα 114, τοσσαΰται und μέσαι 124, 6. Der Dativ Plur. der o-Stämme endigt nach dorischer Weise ge-wöhnlich auf -οις; Ausnahmen aber sind γαύλοισιν 54, 1, τοϋ-

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116 Literatursprache

τοισι 60, 1, τοις Άχαιοϊσιν 100, 4, αύτοίσιν 173, 2. Neben der gewöhnlidien Form ήν „sie waren" (aus ή εν) 44, 2; 46, 1; 56, 1; 59, 1; 65; 124, 6, die bei den Doriern ihre ursprüngliche Plural-bedeutung bewahrt hat (ής „er war"), kommt lmal παρήσαν 170, 1, neben οΐομαι 78, 2 das allerdings nicht ganz sichere oluai 149, 2 vor.

188. Nun ist es ja gewiß denkbar, daß gerade in Syrakus ver-schiedene Dialektformen durcheinanderliefen: wenn Epidiarm neben der gemeindorischen Infinitivendung -μεν (metrisch ge-sichert in είμεν 170, 9, überliefert in είμεν 171, 3. 6; 173, 4, έμπαγήμεν 42, 6) die in Rhodos, Gela und Akragas übliche Endung -μειν gebraucht (metrisch gesichert in κατθέμειν 71, 3, auf Papyrus überliefert in είμειν 99, 2, ferner als -μην oder -μιν in προδιδόμειν 100, 4, ποτθέμειν 170, 8. 10), so ist das nur, wie Ahrens richtig erkannte, eine willkommene Bestätigung der Nach-richt Herodots 7, 156, 2, daß von Gelon im Jahr 485 mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Gela nach Syrakus verpflanzt worden sei. Aber aus einer solchen Mischung lassen sich doch attisch-ionische Formen wie die Dative auf -οισι und ήσαν nicht erklären. Sie können nur dem von Epicharm nachgebildeten Tetrameter der attischen Tragödie entstammen, wie der Genitiv Σειρηνάων 123 (Hexameter!) dem Homer, und zeigen, daß auch ein so volkstüm-licher Dichter wie Epicharm keine Ausnahme von der Regel der epischen Tradition bildete.

189. Auch in A t h e n ging die Komödie aus einer volkstüm-lichen Belustigung, die allerdings mit dem Kult in engstem Zu-sammenhang stand, hervor. Am Dionysosfest zog ein κώμος ver-mummter Männer unter Flötenmusik durch den heiligen Bezirk, feierte den Gott durch ein Lied und benutzte die Gelegenheit, durch eingelegte witzige Ansprachen, die auf Tagesereignisse oder bekannte Persönlichkeiten Bezug nahmen, die Festversammlung zu belustigen. Aus diesen κώμοι schufen Kratinos und Aristo-phanes die attische Komödie, indem sie, ohne zunächst das Kult-lied und die Ansprache fallenzulassen, nach dem Vorbild der Tragödie eine zusammenhängende dramatische Handlung zum In-

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Die alte Komödie 117

halt der Vorführung machten. Durch Ursprung wie durch Inhalt war die Sprache der Komödie von vornherein bestimmt: sie war das Attisdie, wie es täglidi im Haus des gebildeten Atheners, auf dem Markt, in der Volksversammlung und vor Gericht gesprochen wurde. Dieses Attisch reden bei A r i s t o p h a n e s die Voll-bürger ebensogut wie die Sklaven; der niedere Volksdialekt war in einem literarischen Kunstwerk ausgeschlossen. Nur gelegentlich kommen ihm Ausdrücke des gemeinen Mannes — namentlich Derbheiten —, die der wohlerzogene Athener im allgemeinen mied, über die Lippen.

190. Beispiele dafür sind die Interjektionen und Flüche, mit denen Aristophanes nicht spart, die Steigerungsformen mit λά-(λα-κατα-πύγων Ach. 664), die Umschreibungen von ουδέν durch ούδέ γρΰ „keinen Mucks" Plut. 17, ουδέ στριβιλικίγξ „nicht ein-mal piep" Ach. 1035 u. a., ferner Wörter aus andern Dialekten und fremden Sprachen für Begriffe, die sich ebensogut attisch hät-ten ausdrücken lassen, ζ. Β. σιδαρεος eine Münze in Byzanz Nub. 249, τύννος (dor.) „klein" in τυννοϋτος Ach. 367, Ran. 139, Eq. 1220, Nub. 392. 878, Thesm. 745, βεκκεσέληνο; (= άρχαίος, μώρος) Nub. 398, κασαύριον (= πορνεΐον) Eq. 1285, κασαλβάς (= πόρνη) Ekkl. 1106, κασαλβάζω ( = πορνεύω) Eq. 355. An-dere Bildungen wie die vielen Deminutiva auf -ίδιον, -ίακος, die Desiderativa und Intensiva auf -άω, -ιάω (z. Β. βινητιάν = βινείν έπιΟυμεϊν, βουβωνιάν „an geschwollenen βουβώνες leiden") waren ja auch der gebildeten Sprache nicht fremd: aber so zahl-reich und mit so drastischen Bedeutungen, wie bei Aristophanes, kamen sie sicher nur im Volksmund vor.

191. Aus keinem zweiten griechischen Autor gewinnen wir ein so lebendiges Bild von der attischen Umgangssprache: Altes und Junges, Generelles und Individuelles ringen miteinander. Häufig ist es das Metrum, das Aristophanes bestimmt, von zwei Formen, die beide der Umgangssprache angehören, bald die eine, bald die andere zu gebrauchen.

a) Die 2. Sg. Med. des Imperativs zeigt im μι-Präsens bald die ursprüngliche Bildung auf -o (-ö-o zu -ω in ϊστω Ekkl. 737 Trim., έξίστω Ach. 617 Trim., έπανίστω Plut. 539 Anap., πρίω Adi. 34. 35 Trim.), bald die jüngere auf -σο (άνίστδσο Vesp. 286 Chor,

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118 Literatursprache

998 Trim., ίεσο Vesp. 423 Tetr., τίθεσο Pax 1039 Trim.). b) Neben Ιδοσαν Vesp. 717, καθεΐσαν Thesm. 841 u. a. wagen

sich schon ξννήκατε Adi. 101 (Trim.), παρέδωκαν Nub. 968 (Anap.) hervor; vgl. § 181.

c) Häufiger als das übliche Futurum δραμοϋμαι des Hoch-attikhen (περιδραμεΐται Vesp. 138 Trim.) ist die zu dem ver-breiteten Aorist θρέξαι gehörende Form θρέξω oder θρέξομαι: 2. Sg. θρέξει oder -εις Nub. 1005 (Anap.) Ran. 193 (Trim.) Pax 261 (Trim.).

d) Zusammengesetzt mit Präpositionen bildet βάλλω stets das Futurum -βαλώ: das Simplex βάλεις Adi. 283 dagegen hat die jüngere Form βαλλήσεις Vesp. 1491 (Anap.), βαλλήσομεν 222 (Trim.) neben sidi, vgl. παιήσετε Lys. 459, παιήσομεν Nub. 1125.

e) Von den Formen des Futurums zu φεύγω sichert das Me-trum έκφεύξεται Vesp. 157 (Trim.) neben φευξούμενον Adi. 1129 (Trim.), φευξούμεθα Plut. 447 (Trim.), άποφευξούμεθα Aves 932 (Trim.): da£ vom „dorisdien" Futurum gerade die Formen auf -ούμενος, -ούμεθα beliebt waren, weil sie sidi leichter in den Vers fügten als -όμενος, -όμεθα (vgl. φευξούμεθα im Tri-meter bei Eur. Hei. 500. 1041), beweist audi κλαυσούμεθα Pax 1081 (Hexam.) neben den metrisch festen Formen κλαύσομαι Nub. 58 (Trim.), Pax 262 (Trim.), κλαύσεται Thesm. 916 (Trim.), Ran. 1209 (Trim.), Lys. 436 (Trim.), Vesp. 1327 (Lied, Tròch.), Plut. 174. 425 (Trim.).

f) Von den vielen Doppelbildungen, die beim Augment vor-kommen, sei nur die eine erwähnt, daß neben der ».klassischen" Form £ μέλλον (im Trimeter und Tetrameter metrisdi fest Eq. 267, Nub. 1301, Vesp. 1095, Thesm. 1177, Ran. 791, Plut. 1102) audi $¡ μέλλον 2mal durch das Metrum verbürgt wird (in Ana-pästen Ekkl. 597, Ran. 1038).

g) Die Komparative bilden in den attisdien Inschriften (den ältesten Beleg liefert das Jahr 439) den Akk. Sg. und Nom. Akk. Plur. stets auf -ω, -ους (siehe M é i s t e r h a n s 3 151 fi.): dagegen sind bei Aristophanes wie auch bei den Tragikern die Formen auf -ονα, -ονες, -ονας annähernd ebenso häufig wie die kürzern.

h) Die attischen Inschriften kennen nur πλέον „mehr" : Aristo-phanes gebraucht gewöhnlich (17mal) die formelhafte Verbindung πλεϊν ή, daneben aber auch mit metrisch verbürgter Vokalquanti-tät πλεϊον f\ Ekkl. 1132 (Trim., vielleicht Zitat aus einer Tragödie) und πλέον ή Ekkl. 1063 (Trim.), πλέον allein (ohne ή) ist me-trisch sicher Ekkl. 1094 (Trim.), Nub. 1288 (Trim.) und Plut. 531

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Die alte Komödie 119

(Anap.); nur πλείον Nub. 1295 (Trim.) hat im Metrum keine Gewähr.

i) Zu ουνεκα, ϊνεκα und είνεκα tritt bei Aristophanes nodi die Form Ενεκεν hinzu, durdis Metrum verbürgt Nub. 420 (Anap.), Ekkl. 659 (Anap.; neben εΐνεκα!), Plut. 989 (Trim.).

k) Audi die nur im Trimeter und tr. Tetrameter belegten kon-trahierten Formen βωσάτω Pax 1155, βωστρεϊν Adi. 959, Lys. 685, Aves 274, Pax 1146 neben καταβοήσομαι Eq. 286, κατε-βόησε Adi. 711 werden nicht etwa episch oder dem ionisdien Jambus entlehnt, sondern in der echtattischen Verkehrssprache üblich gewesen sein, vgl. § 179 die Bemerkung zu νένωται. Das gleiche gilt von dem 2mal im Trimeter belegten έπήν Aves 1355, Lys. 1175, das audi in zwei bei Thukydides 5, 47, 6; 8, 58, 6. 7 erhaltenen attischen Staatsverträgen steht und hier sidier nicht als unattische Form angesehen werden darf (s. § 224).

192. Gegen keine dieser Doppelformen, deren Zahl sidi nodi leicht vermehren ließe, kann begründeter Verdadit, daß sie nicht attisch, sondern lediglich literarisches Lehngut sei, erhoben wer-den. Das mahnt uns zur Vorsicht audi gegenüber solchen bei Aristophanes handschriftlich überlieferten, aber in andern Quel-len des Attischen (z. B. den Inschriften) nicht nachweisbaren For-men, die sich ohne Einspruch des Metrums in die als „attisch" geltenden verwandeln ließen (wie z. B. der vielumstrittene Aorist ϊπτατο in Ιπτετο). Gewiß sind in den Text des Aristophanes vulgäre Formen jüngerer Zeit eingedrungen: so die unattisdie und metrisch nicht geschützte 1. Sg. Plusquamperf. auf -ειν (έγρηγό-ρειν Ekkl. 32, ήκηκόειν Vesp. 800, Pax 616, έπεπόνθειν Ekkl. 650), neben der die richtige Form auf -η zweimal überliefert und an der ersten Stelle audi durdis Metrum gesichert ist (fiδη 'γώ Aves 511, έκεχήνη Adi. 10). Aber die Grenze zwischen diesen späteren Eindringlingen der hellenistischen Zeit und denjenigen Formen des Aristophanes, die — wenn auch von der „korrekten" Schriftsprache noch nicht anerkannt — doch schon im ausgehen-den 5. Jahrhundert bei den gebildeten Athenern im Umlauf waren, läßt Sich nicht mit völliger Sicherheit ziehen.

193. Wenn Aristophanes die Grenzen der attischen Umgangs-sprache überschreitet, wenn er fremde Dialekte einführt oder sich

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120 Uteratuisprache

Formen aus andern Literaturgattungen holt, dann sind es be-stimmte komische Wirkungen, die er damit erzielen will: Er konnte den auf ihre Sprache stolzen Athenern keinen größeren Genuß bereiten als damit, daß er die auf der Bühne erscheinen-den Griechen aus andern Städten ihren Heimatdialekt sprechen ließ: so den Megarer und Boioter in den Acharnem, die Lakonie-rinnen und den lakonischen Herold in der Lysis trate; und nodi größer wird die Heiterkeit im Theater gewesen sein, als der Tri-baller in den Vögeln, der Pseudartabas in den Acharnem und be-sonders der Skythe in den Thesmophoriazusen auftraten und in drastischer Weise Attisch zu radebrechen begannen.

194. Es ist wohl sicher, daß schon Aristophanes alles im Dia-lekt Gesprochene so geschrieben hat, wie es in unsern Hand-schriften steht, d. h. phonetisch, z. B. lakon. σιός = att. θεός, megar. μάδδαν = att. μά^αν. Das war ja auch für die Schau-spieler notwendig oder wenigstens erwünscht.

195. Dem Realismus soldier, durch die Beobachtung der leben-digen Sprache wirkungsvollen Dialektpartien stehen die vielen mit dorischen und episch-ionischen Formen durchsetzten Verse und Versgruppen gegenüber, in denen Aristophanes irgendeine einzelne Stelle oder allgemein den Stil der ernsten Dichtung, be-sonders der Tragödie und des Chorlieds, parodiert. Bald werden aus ihr ganze Verse wörtlich oder dem Zusammenhang angepaßt zitiert und in eine Umgebung versetzt, in der das Pathos durdi den Kontrast lächerlich wirkt; bald bildet Aristophanes spottend in eigenen Versen, die er mit Worten und Phrasen der Tragödie oder Chordichtung durchsetzt, die gezierte und hochtönende Aus-drucksweise eines Aisdiylos oder Pindar nach. Leider läßt sich bei den geringen Resten der reichen Dichtung, die Aristophanes bei seinen Zuhörern als bekannt voraussetzt, heute nicht immer fest-stellen, ob Verse des Aristophanes, die tragisches Pathos atmen, von ihm aus einer Tragödie wörtlich zitiert oder nur im tragischen Stil frei gedichtet sind.

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Die alte Komödie 121

196. In den Versen des Bettelpoeten Aves 904 fi. stecken zahl-reiche wörtliche Zitate aus Pindar, und der Chor, den Agathon in den Thesmoph. 101 ff. vorträgt, lehnt sich zweifellos an Chor-lieder seiner eigenen Tragödien an: aber für das einzelne Wort, die einzelne Form ist der Beweis der Autorschaft nidit so sidier zu führen wie z. B. für die aus verschiedenen Stücken des Aisdiy-los und Euripides wörtlich zusammengeflickten Chöre bei dem Wettstreit der beiden Rivalen Ran. 1264 ff., 1309 ff.

197. Wenn Aristophanes ganze Verse und Sätze oder gar größere zusammenhängende Stücke aus dem Dithyrambus, der Tragödie, dem Epos, aus Archilochos, Alkman, Stesichoros, Ana-kreon, Pindar u. a. w ö r t l i c h oder doch annähernd wörtlidi zitiert, so hat er natürlich im allgemeinen den Dialekt und die Sprachformen der Originale beibehalten. Auf ihnen beruht ja zum Teil die Wirkung der Parodie. Das sprachliche Interesse an soldien Zitaten beschränkt sidi also lediglich auf die Frage, ob nicht Aristophanes hier und da, namentlich wenn er nicht ganz wörtlich zitiert, für die Spradiformen des Originals attische ein-setzt. Diese sind mehrfach überliefert und werden von den Her-ausgebern teils anerkannt, teils in die ursprünglichen Dialektfor-men zurückverwandelt.

198. So bleibt z. B. in unsern Ausgaben τήμερον Adi. 440 in zwei wörtlich aus Euripides' Telephos zitierten Trimetern un-angetastet (die Tragikersprache kannte nur σήμερον), während in den Alkman-Worten μετ' άλκυόνεσσι ποταται Aves 251 das dorische ποτήται hergestellt und in zwei fast wörtlich zitierten Versen des Alkaios das metrisch unmöglidie άνατρέψεις Vesp. 1235 gar in die weder attische noch aiolische Form άντρέψεις (aiol. όντρέψεις) geändert wird. Das ist natürlich reine Willkür. Aber eine feste Norm läßt sich leider nidit an ihre Stelle setzen. Auf der einen Seite war für Aristophanes, wenn er deutlich das P a t h o s einer Dichtungsart parodieren wollte, die äußere Form derselben unentbehrlich; an seltenen Dialektformen nahm er dabei keinen Anstoß (vgl. Ζαν Aves 570 für Ζεύς). Aber anderer-seits wird man ihm, wenn er ein Zitat in seine eigenen Worte hineinarbeitete oder lediglich auf einen Gedanken, nicht auf den Stil einer andern Diditungsart anspielte, eine gewisse Freiheit gegenüber den Sprachformen des Originals nicht ganz absprechen

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122 Literatursprache

können. Zum Glück ist die Zahl der Fälle, wo solche Zweifel durch die Überlieferung angeregt werden können, nicht sehr groß.

199. Sprachlich viel fesselnder ist die Art und Weise, in der Aristophanes das ήθος einer fremden Dichtungsart in seinen eigenen Versen künstlich nachahmt: teils benutzt er dazu unmit-telbar den Wort- und Phrasenschatz der ernsten Dichtung, natür-lich in der Sprachform der Originale und oft mit Beziehung auf einzelne bestimmte Stellen — teils bildet er selbst nach gegebe-nen Vorbildern Formen und Wörter im Stil der von ihm paro-dierten Dichtungsart. Allerdings sind das bei ihm immer nur ein-zelne. sorgfältig ausgewählte Lichter, die er seiner attischen Sprache aufsetzt. Wie sparsam er mit ihnen ist, wird sich am besten zeigen, wenn wir uns die wichtigsten Fälle, in denen sich schon in der äußern Wortform der bewußte Gegensatz zur atti-schen Umgangssprache ausprägt, vor Augen führen.

200. Zu den Anklängen an die tragische Sprache zählt im C h o r und L i e d besonders das gar nicht seltene dorische ä für η in den Endungen der ersten Deklination (auch -αν) und in mehrern Stammsilben: Άθανα Nub. 602, άχεΐ Vesp. 1489, άχέτας Pax 1159, Aves 1095, βαρυαχέες Aves 1750, βαρυαχέος Nub. 278, δάΐαν (λόγων) όδόν Ran. 897, γάν Aves 1061, ευαν-δρον yâv Nub. 300 (Eurip. Tro. 229), ΐλαοι Thesm. 1148, φήμαθ' ίπποβαμονα Ran. 821, λαών δχλος Ran. 219. 676, ναοί Nub. 306, που πα πώς cpfiç; Aves 319. Wie in der Tragödie sind die Vokale nach epischer Art offen in άοιδά Ran. 213. 675, Aves 241, κιθαραοιδότατον Vesp. 1278, έρόεντα Aves 246, κροκόεντα Thesm. 1044, ίχθυόεντα Thesm. 324, πάθεα Ach. 1191, δρεα Aves 240, κατ' δρεα Νυμφάν Thesm. 993, βαρυαχέος Nub. 278, βαρυαχέες Aves 1750, μελέων Aves 750, ορέων Nub. 279, χρυσέα Thesm. 327, χρύσεον φάος Aves 1748, ήδιστον φάος Eq. 973 (Eur.?), μαρμαρέαισιν Nub. 286, μεδέων Eq. 560, μεδέουσα 585. Von den Tragikern übernommen sind die epischen Flexionen αγέρων Eq. 1295, κρατί Ran. 329, Ζηνός Aves 1740, Ζήνα Nub. 564, κείνςι Thesm. 784, κείνων κείθι Vesp. 751 (aus Eur.), vielleicht auch κείνος Lys. 795. 817. Dem attischen -ττ-ist häufig das -σσ- der Literatursprache vorgezogen (ζ. Β. κισσός Aves 238, Thesm. 987. 999, λύσση Thesm. 681, θάλασσης Nub. 568, θαλασσίου Vesp. 1519). Speziell ionisch-epische Laute und

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Die alte Komödie 123

Formen sind in den Liedern selten: παιήων Lys. 1291, θρχικία χελιδών Ran. 681 (sonst stets θράκες, Θρφττα, θρφκη), νήνεμος αίθρη Aves 778 (etwa νήνεμος α'ιθήρ wie Thesm. 43 und θ 556?), κούρην Thesm. 1139 (liberi, κόρην), νύμφαις ούρείαις Aves 1098 (Hermeshymn. 244, Hesiod Fr. 198 Rzadi), δούλησιν Lys. 330 (von den Herausg. in -αισιν geändert), παρά θΐν ' άλός άτρυγέτοιο Vesp. 1521, άρχηγέτΐ Dat. Lys. 644. Das Augment fehlt nur in πτήξε δέ Aves 777 (Ξ 40). Eine besondre Stellung nimmt das Lied des Bettelpoeten Aves 904 fi. ein, mit dem spe-ziell der Stil Pindars parodiert werden soll. Was darin nicht von Pindar selbst herrührt, ist jedenfalls im Dialekt Pindars gedichtet (Μουσάων, νομάδεσσι, τύ, τεφ, τεαίς, έμίν, τεΐν, δόμεν, πέπαται, Ισθος neben den üblichen epischen Ingredienzien wie ήλυθον, άοιδά, ζάθεος u. a.).

201. In den A n a p ä s t e n kehren zum Teil dieselben tra-gisch-chorischen Formen wieder wie im Lied (z. Β. Δαματερ Plut. 555 neben Δηοΰς 515, δάϊος Ran. 1022, αοιδαΐς Nub. 297, όλιγο-δρανέες und σκιοειδέα Aves 686, βελέων Vesp. 615, νιφόεντα Nub. 273, χρυσέαις? Nub. 272, μεδεούση Eq. 763, άνέρες Aves 687, οΰλων έρίων Ran. 1067); daneben aber macht sich hier eine stärkere Anspielung auf die epische Sprache geltend: βελέων άλεωρήν Vesp. 615 nach άνδρών άλεωρήν M 57 O 533, πρύμνην Vesp. 399 (metrisch gefordert für das fast allein überlieferte πρύμναν), Σούνιον δκρον Άθηνέων Nub. 401 (nach y 278), τοϊς αίέν έοΰσι Aves 688 (hom. θεοί αϊέν έόντες oft), ήερόεντι (Kon-jektur) Aves 698, κατένασ·9εν ( = -θησαν) Vesp. 662, dazu das ganze Zitat πόλεμος δ' ανδρεσσι μελήσει Lys. 520 (Ζ 492, Υ 137); die episdi-ionischen Formen Τριτογενείης Nub. 989 und Άθηναίχι Eq. 763 werden vor einer Änderung dadurch geschützt, daß Aristophanes ebenfalls im Anapäst auf die epische Wendung τρήρωσι πελειάσιν ϊθμαθ' όμοϊαι E 778 Hym. Ap. 114 mit 'ικέλην τρήρωνι πελείη Aves 575 anspielt. Das Augment fehlt nur in γένετο Aves 701.

202. Das Pathos, das der Trimeter der Tragödie durch einge-streute dorische und epische Wörter und Wortformen erhält, ahmt auch Aristophanes in seinen T r i m e t e r n und T e t r a -m e t e r n nach. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Anspielungen auf ganz bestimmte Stellen: 'Αθηνών ταγέ Eq. 159, στίχας λαών 163 (vgl. Δ 90. 201), άρχέλας „Anführer" 164 (aus άρχέλαος, l vgl. άρχελείων Aisdi. Pers. 297), ώ Δαματερ Plut. 872, Έλλανιε Ζεί Eq. 1253, κέρδους ϊκατι Pax 699 (aus Eur. Oineus Fr. 566, 2), θεών £κατι Lys. 306, λαΐνων σταθμών

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124 Litera tursprache

Adi. 4ή9, 'αοΐος άστήρ (aus Ion von Chios, Fr. 9, 1 Diehl3) Paz 836, ναματος Ekkl. 14, τέχεα Plut. 292 (aus dem Dithyrambus Kyklops des Zeitgenossen Philoxenos), φάος Adi. 1185, τό κέαρ ηύφράνθην Ιδών Ach. 5 (nadi είσιθοΰβά τ' ήλγύνθην κέαρ Aisdi. Prom. 245), ύπερηνορέουσιν Pax 53, μεδέουσα Lys. 834, θυγα-τέρας Vesp. 1397 (daneben θυγατρός Vesp. 573 Anap.), μητρό-θεν δεδεγμένος Adi. 478 (nadi Aisdi. Cho. 750), Ζηνός Pax 722 (aus Eur.), τί Ζήν' άϋτεϊς Lys. 717 (Eur.), οίβε „bring" Ran. 482 Adi. 1099. 1101. 1122 (episdies Pathos parodierend, vgl. χ 106. 481), ύπαΐ πτερύγων Adi. 970 (Aves 1426?). Die Vorlagen für θωρήξομαι Adi. 1134. 1135 (im selben Doppelsinn gebraucht wie θωρήσοοντο Pax 1286 im Hexam.), θώρηκος (ν. 1.) χύτει Pax 1224, διηκοσίησι Eq. 659, φως Σεληναίης χαλόν Nub. 614, Ούλύμπου νόμον Eq. 9 und besonders für das kühne Iterativum βινεσχόμην Eq. 1242 werden im ionischen Jambus gestanden haben (über βώσαι, βωστρέω s. § 191 k). Als ionisch bezeichnet Aristophanes selbst die von ihm gebrauchten Spradiformen κείνος, δοκέω, άναιδέως Pax 47. 48 (εω einsilbig) und όΐ Pax 930 (Dativ zu olç). Das ionisdie πεπλώκαμεν Thesm. 878 (für πειώεύκαμεν) ist eine Anspielung auf πεπλωκότα Eur. Hei. 532. Ionisch ist auch ό δούριος (ίππος) „das hölzerne Pferd" Aves 1128 neben δούρειος ίππος Eur. Tro. 14 (audi in Prosa häufig) und ep. δουράτεος d 493. 512. Das dorische Futurum ήλιάξεις Lys. 380 ist verdächtig (έστεφάνιξα Eq. 1225 steht in einem Zitat).

203. Audi die beiden Endungen -μεσθα und -ατο (in -οίατο, -αίατο Opt.), von denen jene überhaupt nidit attisch, sondern episch und diese am Ende des 5. Jahrhunderts im Attischen be-reits ausgestorben war, fand Aristophanes im Jambus und in der Tragödie: aber er verbindet mit ihnen nidit die Absidit der Paro-die. Die fünf Belege für die 3. Plur. Opt. auf -αίατο, -οίατο (ge-wöhnlidi endigt die Form auf -αιντο, -οιντο ζ. Β. παύσαιντο Ekkl. 793, ποιήσαιντο Lys. 154, βούλοιντο Pax 412, γένοιντο Thesm. 772) stehen mit einer Ausnahme (γενοίατο Eq. 662) am Ende eines Trimeters, und zwar 2mal in Sprichwörtern (έργα-σαίατο Aves 1147, Lys. 42, dazu αίσθανοίατο Pax 209, ύφελοί-ατο jNhib. 1199). An allen Stellen ist eine beabsichtigte Nach-ahmung des tragischen Stils ebenso ausgesdilossen wie für die Endung -μεσθα, die sehr oft und ebenso häufig wie -μεθα von Aristophanes gebraucht wird. Die Wahl beider Endungen hat vielmehr lediglich das Metrum bestimmt. Im Trimeter waren die Optative auf -αιντο, -οιντο am Versende unmöglidi, und nodi

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Die alte Komödie 125

schwerer fügten sidt -Λμεθα, -¿μεθα (besonders in Formen wie δεχ6μεθ<|) in den Vers ein. So verwuaisen die Ausginge -alato, •«iato, -(teofla mit dem Trimeter genau so vie die aiolisdjen Formen auf -άων, -εσσι mit dem Hexemeter. Man biaudite sie als metrisch erlaubte Formen, ohne sich um ihren Ursprung zu kümmern.

204. In H e x a m e t e r n hat Aristophanes die fingierten Ora-kel (Eq. 197—201, 1015—1020, 1029-1040, 1051—1060, 1067 bis 1069, 1080—1095, Aves 967—988, Lys. 770—776), denen sidi audi nodi die scherzhafte Prophezeiung Pax 119—123 an-schließt, und den Dialog zwisdien Trygaios und dem Seher Hiero-kles (Pax 1063—1114) gedichtet; dazu komffien noch die Hexa-meter Pax 1270—1287, die in die Rezitation ganzer und halber Verse aus Homer und Ardiilodios hineinverwebt sind. In den attischen Grundton dieser Partien mischt sich, wie nicht anders zu erwarten ist, eine große Menge epischer Formen und Wörter hinein: τρηχντν Pax 1086. 1114 (E 308 u. ö.), κοΰρε Aves 977, έπέων 972, νόον Pax 1064, γενήσεαι Aves 978, φράζεο δή Pax 1099 (ο 167), φράζευ Eq. 1015: 1030, πολέμοιο Pax 1090, έξ άδύτοιο Eq. 1016 (Ε 512), Πύλοιο Eq. 1059, μαχάρεσσι Φεοΐσιν Pax 1075, Ισπενδον δεπάεσσιν Pax 1093, πτερύγεσσιν Lys. 774 (Β 462), άφραδίησι Pax 1064, νεφέλχισι Aves 978, γαμφηλ^σι Eq. 198 (Ν 200), χοιλιοπώλχισιν Eq. 200 (daher auch ΌλνμπΙχισι πάσησι in der feierlichen Prosa des Ιερεύς Aves 867), χατήσχννας δέ τοχήας Pax 1301 nach άχάχησε τοχήας Ψ 223, σέθεν Eq. 1018, σφε Eq. 1020, έκόρεσθεν Pax 1283. 1284, δόμεν Aves 973 φράσσαι Eq. 1058. 1067, έξαπάτασχον Iterativ Pax 1070, τέξει 3. Sg. Eq. 1037, ohne Augment θαύμαζον Pax 1291, θωρήσσοντο Pax 1286, προτίθετο Pax 1281, αί χε Aves 978, αϊ χεν Eq. 201 (210), χε und χεν Aves 972, Eq. 1056, Pax 1076. 1112, άΐοντες Pax 1064, αΐτίζητε Pax 120, ένιπλήσαι Aves 975, τρήρωνες Pax 1067. Die einzige auffallende Form ist väoto Lys. 775 mit dorischem ä und epischem -oto: sicher wird mit den Worten Ανάπτωνται πτερύγεσσιν έξ Ιεροΰ vâoîo χελιδόνες auf einen dorisdien oder aiolisdien Vers angespielt.

205. Aber noch fehlt ein Element der aristophanischen Spradie, dessen wenigstens gedacht werden muß, wenn es sich audi nicht in Regeln fassen läßt: das sind die kühnen geistreichen Wortbil-dungen, die als Kinder des Augenblicks der schöpferischen Phan-tasie des Dichters entsprangen. Mögen auch für vieles (z. B. für

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126 Literatursprache

die drastischen langen Zusammensetzungen) die Ansätze in der Volkssprache vorhanden gewesen sein, so zeigt dodi jedes ein-zelne Stüde die individuelle Gestaltungskraft des Meisters und sein glänzendes Geschick, die Komik der Situation durch die Wortkomik zu verstärken.

Literatur: Γ. Π. ' Α ν α γ ν ω σ τ ό π ο υ λ ο ς , Περί τής γλώσσης των κωμψδιών τοΰ 'Αριστοφάνους ("Αθηνά 36, 1925, 1—98); S c h w y z e r , Gramm. 1, 111 £.; P i s a n i , Storia 93ff.; T h u m b - S c h e r e r 306—308.

12. Die Prosa

206. Prosa in literarischer Form ist nur an wenigen Orten Grie-chenlands gepflegt worden, und deshalb haben wir es bei ihr nicht mit einer soldien Fülle von Dialekten und Dialektkreuzun-gen zu tun wie bei der Diditung. Wenn wir von der dürftigen sizilisdien Prosa absehen, hat sidi eine Prosaliteratur nur in Ionien und Attika, wir könnten nodi knapper sagen in Milet und Athen, entwickelt. Das Ionische und Attische sind also die ein-zigen Dialekte, welche die Prosa der klassischen Zeit beherrschen (und sie sind noch dazu eng miteinander verwandt). Die Unter-schiede zwischen den γένη der Prosa treten weniger in den äußeren Laut- und Flexionsformen als im Stil und seinen Kunst-mitteln hervor: im Gebrauch altertümlicher oder dichterischer Wörter und Konstruktionen, in der scharfen Fassung der Gedan-ken durch kunstmäßige rhetorische Redefiguren (Antithese, Wort-spiel), als deren „Erfinder" den -Alten der Sophist Gorgias aus Leontinoi galt (427 in Athen), in der rhythmischen Gliederung des Satzes (durch χώλα), die als Kunstform zuerst von Thrasy-machos aus Chalkedon (etwas älter als Gorgias) gefordert wurde.

207. Die älteste Form der zusammenhängenden prosaischen E r z ä h l u n g ist das Märdien. Es vererbt sich von Generation zu Generation, der Erzähler ist nur ausnahmsweise zugleich der Erfinder seines Stoffes. Was bei den Griechen im 5. Jahrhundert an Fabeln und Schwänken in Umlauf war, wurde zum großen

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Die Prosa 127

Teil auf den Αίσωπος λογοποιός Hdt. 2, 134, 3 zurückgeführt. Diese λόγοι und μΰθοι waren nicht, wie die des Archilochos, in Verse, sondern in das zwanglose Gewand der Prosa gekleidet: das wissen wir durch Piaton, der den Sokrates die λόγοι oder μΰθοι des Αίσωπος in Verse umsetzen läßt (Phaidon 60 c und 61 b). Ob Erzählungen dieser Art nur von Mund zu Mund gingen (Aristo-phanes Wespen 1258 fi.) oder schon im 6. und 5. Jahrhundert buchmäßig gesammelt waren — weshalb sollen sich solche γελοία nicht in der Hausbibliothek lebenslustiger Athener befunden haben? —, ist für ihre Sprache und ihren Stil ganz gleichgültig. Neben den Erzählungen gab es sicher auch eine Überlieferung von Gesetzen und verschiedenen für das private und öffentliche Leben widitigen Verzeichnissen (ζ. B. Genealogien, Priesterlisten, Sieger-listen); das Bedürfnis nach Sicherung ihrer Tradition gegen An-fechtung führte oft frühzeitig zu schriftlicher Aufzeichnung. Beide Arten von Tradition gaben die Grundlage für eine Geschichts-schreibung.

208. Schlichte, auf die Anwendung sorgfältig überlegter Kunst-mittel verzichtende Erzählungen waren auch die λόγοι der ioni-schen „Logographen", an deren Spitze H e k a t a i o s von Milet steht (um 500 v. Chr.). Er erzählte in seiner Erdbeschreibung und in seinen γενεαλογίαι Lokalsagen und Mythen im Dialekt seiner Vaterstadt Milet, dem wichtigsten Vertreter der kleinasiatischen Ίάς, und erhob diesen damit zur „Schriftsprache'' der geschicht-lichen Darstellung, was um so leichter war, als audi die Wiege der meisten übrigen namhaften Logographen bis herab auf Hero-dot in ionischen Städten oder dodi auf einem von ionischer Kul-tur durchtränkten Boden stand.

209. Schon antike Gelehrte aus peripatetischen Kreisen glaub-ten, daß diese älteste erzählende Prosa der Ionier aus der Poesie hervorgegangen, ja geradezu eine prosaische Auflösung der epi-schen Dichtung gewesen sei und abgesehen vom Vers auch noch durchaus poetischen Charakter besitze (λύσαντες τό μέτρον, δλλα δέ φνλάξαντες τά ποιητικά Strabon 1, 2, 6 p. 18). Aber

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128 Iiteraturspradie

das widerlegen die Fragmente der älteren Logographen (F. J a -c o b y , Die Fragmente der griechischen Historiker, Berlin 1923 ff.), die nicht nur in längeren,*sidi an das Original oft eng anlehnenden Nacherzählungen, sondern auch in vielen wörtlichen Zitaten bestehen, darunter einigen zusammenhängenden Stücken, von denen die auf Papyri der ersten Jahrhunderte n. Chr. erhal-tenen Fragmente des Mythographen Pherekydes (Diels, Ver-sokratiker Π, S. 47 f.) und des Héllanikos besonders wertvoll sind. Sie bestätigen völlig das Urteil, das Gcero de orat. II 12, 53 und Dionysios Hai. de Thuc. jud. 23 p. 865 (S. 360,3 fi. Us.-Rad.) über die Sprache der Logographen fällen: „sine ullis ornamentis, Καθαρά xal βαφής καΐ βύντομός έοτιν άποχρώντως, σφζουσα τόν ίδιον έκάβτη τής διαλέκτου χαρακτήρα" ; besonders treffend stellt Hermogenes περί Ιδεών 2, 399 (p. 411, 12 ff. Rabe) Heka-taios und Herodot einander gegenüber: Εκαταίος δέ δ Μιλήσιος . . . καθαρός μέν έστι καΐ βαφής, . . . τχί διαλέκτφ δέ άκράτφ Ίάδι και ού μεμιγμένχ) χςηβάμενος οΰδέ κατά τόν Ήρόδοτον ποικίλη, ήττόν έοτιν ϋνεκά γε τής λέξεως ποιητικός.

210. βέρεθρον Pherek. 3, 51, νηας Hellan. 4, 4, έν σπήι Hel-lan. 5,19 b (Papyr.) und δίδωοι Pherek. 3, 95 (neben διδοϊ 3,22) brauchen nicht der Dichterspradie entlehnt zu sein. Die episdien Formen οΰρεα, οΰρεσιν Hek. 1, 291. 292a, οΰνομα 1, 282 (ir den übrigen Fragmenten sind δρος und δνομα reidilidi belegt) wird Hekataios ebensowenig wie Herodot (s. § 214) geschrieben haben. Vereinzelt sind die in den Handschriften Herodots regel-mäßigen offenen Formen der Nominal- und Verbalflexion auch bei den Logographen überliefert: κινέεται Hek. 1, 305 (bei Steph. Byz., nur in V), καλέεται Hell. 4, 59 (neben καλιϊται!), νόον Pherek. 3, 105, Μυρικόεντα Hek. 1, 222, δολόεντι Hellan. 4,169. Ihnen gegenüber erscheinen die viel häufigeren kontrahier-ten Formen (audi in den Papyrusfragmenten ποιεί, δει Pherek ποιεί Hellan.) auf den ersten Blick vielleicht als unecht und ersi später in den Text gekommen. Audi im Papyrusfragment des Akusilaos (der aus dem dorisdien Argos stammte!) stehen kon-trahierte und unkontrahierte Formen nebeneinander (Jacoby Nr. 2, Fr. 22): Ποβειδέων, Λαιαθέων, πολεμέεσκε, aber audi Ποσει-δών, ποιεί, κεντοΐη, ποιοΰντα, άπειλεί, έφορμφ. Hat aber wirk-

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lieh ζ. Β. χαλέεται mehr Gewähr als das jedenfalls nidit vulgäre Πριηνής Hek. 1, 234, das als normale ionische Form (φονηες Archil. 61, 2: daraus lautgesetzlidi -ής) zu erwarten ist? Das end-gültige Urteil über diese Formen miüß vorlaufig vertagt werden, vgl. die Bemerkung in § 214. Im Ausdruck findet sich ja hier und da einmal ein leichter Anklang an die epische Sprache (χακά πόλλ' εοργεν Hek. 1,6 = E 175, θ 356, θεών όμήγυρις Hellan. 4, 54 vgl. Y 152, δπλον άρήΐον Hellan. 4, 164 nach hom. τεύχεα άρήΐσ, ϊντεα άρήϊα, vgl. audi bei Herodot έόργεεν 1, 127, 2, δπλον άρήΐον 1, 155, 4; 4, 23, 5; 174; 8, 37, 2).

211. Was dem im allgemeinen nüchternen und ungeschminkten Ionisch der Logographen den „epischen" Charakter gibt, ist, wie Norden in seiner Kunstprosa treffend hervorhebt, lediglich eine gewisse Naivität und behagliche Breite der Erzählung. Diese ist aber nicht etwas speziell Episches oder Dichterisches, sondern überhaupt dem Geschichten- und Märchenerzähler eigen. Die Logographen haben ihren Stil nicht dem Epos entlehnt, sondern das Epos hat umgekehrt die schlichte Art der volkstümlichen Er-zählung, die es schon vorfand und an die die Logographen unmit-telbar anknüpfen, in gebundene Form gebracht.

212. Wie dieser „Märchenstil" gegenüber den wechselnden Gesetzen der Kunstprosa in unverwelklicher Frische sich durch alle Zeit erhielt, dafür liefern die auf Marmortafeln im Askle-piosheiligtum zu Epidauros eingeschriebenen Erzählungen wun-derbarer Heilungen ein hübsches Beispiel (Inscr. Gr. IV2 Nr. 121—124; vgl. D i t t e n b e r g e r , Sylloge3 Nr. 1168f.; aus der 2. Hälfte des 4.Jahrhunderts v.Chr.). Was wir bei den Logo-graphen im Satzbau als naiv und primitiv empfinden, kehrt alles hier wieder: die kurzen mit καί, δέ, Ιπειτα, μετά τοΰτο, οδτος aneinandergereihten Sätze, der geringe Periodenbau, ja sogar auch die mitten in der Erzählung unvermittelt einsetzende direkte Rede (Nr. 121, Z. 31). Vgl. R. Ν e h r b a β , Sprache und Stil der Iamata von Epidaulros (Philologus Suppl. 27, 4), Leipzig 1935.

213. Scharf hebt sich von seinen Vorgängern der letzte und größte der ionischen Logographen ab: Η e r o d o t. Er tritt uns nicht nur in seiner Darstellung, sondern auch in seiner Sprache als eine starke Individualität entgegen, die sich vollbewußt ihre

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130 Literatursprache

eigenen neuen Formen schuf. Das haben schon die Alten richtig empfunden: seine λέξις gilt ihnen als „μεμιγμένη" und „ποικίλη" im Gegensatz zu der des Hekataios und der andern Logographen. Herodot erhob sidi über diese durch den Umfang und die Größe seines Stöfis: nicht Lokalgeschichten wollte «r erzählen, sondern den gewaltigsten Völkerkampf seit' dem troisdien Krieg. Dafür reichte nach seiner Empfindung die schlichte Ίάς eines Hekataios nicht aus, dafür mußte eine besondere, dem Pathos des Stoffs sidi anpassende Sprache gewählt werden. Allerdings lehnte er sich dabei im allgemeinen an die Logographen und den zu seiner Zeit üblichen milesischen Dialekt an, versuchte aber, durch verschie-dene altertümliche Formen, die es im damaligen Ionisch nidit mehr gab, sein Werk wenigstens für das Auge mit einer Patina künstlich zu überziehen.

214. Wie weit er darin ging, ist freilich deshalb schwer zu be-istimmen, weil die Herausgeber seines Werks wahrscheinlich schon im 4. Jahrhundert die von ihm selbst gegebene altertümliche Fär-bung seiner Sprache hier und da noch willkürlich verstärkt haben. In den Handschriften steht regelmäßig die homerische, metrisch gedehnte Form οΰνομα neben όνομάζω. Das Alphabet der ioni-schen Inschriften machte aber zu Herodots Zeit keinen Unter-schied zwischen dem kurzen o und dem durch Dehnung entstan-denen ου, es gab beide Laute durch o wieder. Herodot selbst wird also auch noch δνομα geschrieben haben und braucht für οΰνομα, das als „alt-ionische" Form erst später in seine Ausgaben eingeführt sein kann, nicht die Verantwortung zu übernehmen. In anderen Fällen ist es bedenklich, die einmütige Überlieferung der Handschriften und Papyri (vgl. § 91) dem Herodot abzuspre-chen und späteren Bearbeitern zur Last zu legen. Das gilt z. B. für die niditkontrahierten Vokalgruppen -εε-, -εει-, -εη-, -εαι-, -αε-, -αει-, -αο-, -αοι-, -οε-, -οο-, -οου-, -οοι-, -οω- (εδεε, φιλέετε, καλέε-ται, φέεθρον, βασιλέες, εύγενέες, δοκέειζ, φιλέειν, χαλκέη, συκέη, χυνέη, έργάζεαι, έπαινέαι, άεθλον, άέκων, άείδω, άείρω, έργάσαο, άοιδή, βόες, εύνοέστερος, μελιτόεσσα, Μολόεντα, άγαθοεργίη, νόος, πλόον, περιρρόου, είνοοι, νόωι u. a. m.). Daß diese im ionischen Dialekt sdhon lange vor dem 6. Jahrhundert zusammengezogen waren, lehren uns nicht nur die Inschriften, sondern auch die Verse der altionischen Jambographen. Trotzdem liegt ein wirklich zwingender Grund, diese älteren, in der Sprache

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des Epos fortlebenden Formen der Hand Herodots abzusprechen, nicht vor. Denn zusammen mit andern altertümlichen und unge-wöhnlichen Wortformen (ζ. Β. νηός „Tempel" für νεώς, ήώς für Ιως, πολιήτης für πολίτης) und dem beliebten Iterativum (ίχε-σκε, π.οιέεσχε, λάβεσχε) passen sie als künstlicher archaischer Aufputz ausgezeichnet zu dem Zweiten, was der Sprache Hero-dots wohl vor allem die Prädikate ποικίλη, μεμιγμένη, ποιητική verschafft hat: dem gewählten Wortschatz.

215. Namentlich in den Reden, aber auch in der Erzählung zeigt sich bei Herodot das Streben, die im allgemeinen schlichte Art des Ausdrucks durch gewählte, der alltäglichen Sprache fremde Wörter und Wendungen zu heben. Da er diese besonders aus dem Epos schöpfte, so galt er schon den Alten als όμηρικώ-τατος. Doch beschränken sich seine Anleihen nicht auf diese Quellen allein: so führt, um nur ein Beispiel zu nennen, die eigen-artige Verbindung φεύγοντες έπί τοΰ δρεος τόν κόρυμβον 7, 218, 3 auf die Tragödie (vgl. τόνδ' έπ' άκρον κόρυμβον δχθου Aisdi. Pers. 659). Mit feinem Geschmack vermeidet aber Herodot die naheliegende Gefahr, durch die Verbindung von Prosa und Poesie gespreizt und geziert zu erscheinen. Er verwendet den poetischen Schmuck der Diktion sparsam und unterstützt durch ihn wirkungsvoll den Gedanken gerade dann, wenn die Situation im Leser eine stärkere Empfindung, eine lebendigere Teilnahme an den Personen und dem Gang der Ereignisse erweckt: man nehme ζ. Β. ώς δέ ol έδόκεε μόρσιμον είναι ήδη τη Βαβυλώνι άλίσκεσθαι 3,154, 1, πρήγμα άτάσθαλον ποιήσαντες 3, 49, 2.

216. Noch mehr aber tritt die Beherrschung der Sprache im Satzbau hervor. Herodot schreibt nicht „naiv" wié die Logogra-phen, in kurzen, locker und äußerlich miteinander verbundenen Sätzen. In seinem reichgegliederten und dabei doch durchsichtigen Periodenbau verbinden sich die Regeln der sophistischen Rhe-torik, deren Einfluß unverkennbar ist, mit bemerkenswerter For-mengewandtheit.

217. Was uns von der p h i l o s o p h i s c h e n Prosa der Ionier, von H e r a k l i t dem Dunklen urid D e m o k r i t , er-

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halten ist (H. D i e 1 s , Die Fragmente der Vorsokratiker I und II, 7. Aufl. 1954/56, Band ΙΠ mit umfangreichem Wortindex von W. K r a n z ) , besteht zum größten Teil in kurzen, scharf poin-tierten Sentenzen (γνώμαι). Dem kühnen Flug der Gedanken, dem Bilderreichtum und der rhetorischen Gliederung des Satzes ist die Sprache angepaßt: zu zahlreichen poetischen Wörtern und Formen, wie z.B. άρηιφάτους Herakl. Nr. 22 Fr. 24, ψευδών τέκτονες 28, άείζωος 30, πείρατα 45, παίδων άθύρματα 70, Ζηνός 32 u. a., gesellt sich eine Fülle von originellen, aus der Antithese des Gedankens entsprungenen Neubildungen: so ζ. B. bei Demokrit εύογκίη und μεγαλογκίη Nr. 68 Fr. 3 aus εΰογκος, όλιγομνθίη 274 aus πολύμυθος, άδημοσύνη 212 statt άδημονία (nach ευφροσύνη, αφροσύνη?), σπουδαιόμυθος 104 u. a. m. Der Dialekt selbst glidi schon in den Ausgaben der voralexandrini-sdien Zeit fast ganz dem des Herodot: auch die unkontrahierten Formen fehlten nidit. Doch lassen sich sichere Schlüsse auf die Überlieferung nidit bauen. Wahrscheinlich wurde von den ge-lehrten Editoren die Ίάς Herodots als die für die ionische Kunst-prosa typische Sprache angesehen und deshalb auch auf die ganze ionische Prosaliteratur übertragen.

218. Von den Höhen der Historie und Philosophie stieg die ionische Prosa herab zu einer höchst realen Wissenschaft: der M e d i z i n . Wenn man die durch ihre Präzision und Anschau-lichkeit geradezu musterhaften Krankengeschichten des Hippokra-tes liest, so fühlt man sich lebhaft an die Erzählungen der Logo-graphen erinnert: derselbe schmucklose Stil, dieselbe klare und knappe Diktion, ohne hochtrabende oder poetische Wörter, ohne künstliche Redefiguren. Die Form entspricht dem Zweck und steht in vollem Einklang mit dem Inhalt. Das haben audi schon die Alten, denen die Sprache des Hippokrates als δκρατος galt, rich-tig empfunden.

So würde Hippokrates die beste Quelle des schlichten natür-lichen ionischen Schriftdialekts sein, wenn seine Überlieferung zuverlässiger wäre. Es stehen aber bei ihm in reicher Menge teils

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herodoteische Formen (ζ. Β. νόον, δοκξειν), die er schwerlich ge-braucht hat, teils attisdi-vulgäre, die in so viel gelesene Bücher im Lauf der Zeit eindrangen. Dazu kommt nodi das starke Schwanken der Handschriften und die Frage der Echtheit bei den einzelnen Werken.

219. Das enge Band, das sich in der Poesie zwischen der einzel-nen Dichtungsgattung und dem Dialekt ihrer Heimat und ersten Blüte häufig knüpfte, kannte die Prosa nicht. Die Sprache der klassischen Prosa A t h e n s , die um 425—422 mit der kleinen pseudoxenophontischen Schrift ' Α θ η ν α ί ω ν π ο λ ι τ ε ί α ein-setzt, wuchs aus dem reinen attischen Dialekt heraus.

220. Freilich darf — um dies vorwegzunehmen — nicht der W o r t s c h a t z eines attischen Prosaikers als Maßstab für die „Reinheit'' seiner Sprache genommen werden. Denn dann müßte über T h u k y d i d e s der Stab gebrochen werden. Er gebraucht nicht nur in dramatisch bewegten Stellen, wie ζ. B. den Reden, sondern auch in der schlichten Erzählung eine große Zahl ioni-scher oder altertümlicher und poetischer Wörter, die der attischen Umgangssprache seiner Zeit fremd waren. Dadurch unterscheidet er sich von den Rednern und von Piaton, obwohl auch dieser hier und da seiner Diktion poetisches Kolorit gibt. Thukydides stand bei der Auswahl seines Wortschatzes — ebenso wie Antiphon — einmal unter dem Einfluß der rhetorischen Prosa des Gorgias, dessen λέξις von Aristoteles „ποιητική" genannt wird. Noch stärker aber wirkte auf ihn als Historiker die ionische Prosa der Logographen und des Herodot. Er war empfänglich für den eigen-artigen Reiz, den gerade in der geschichtlichen Erzählung, im ge-schichtlichen Roman eine altertümelnde und poetisch-plastische Ausdiudcsweise besitzt, durch die der Lesende aus der Gegen-wart in die von der Phantasie umsponnene Vergangenheit ent-rückt wird.

221. Im Gerichtssaal, in der politischen Volksversammlung wäre solch künstlicher, der lebendigen Rede entfremdeter StÜ als alberne Ziererei empfunden worden: wer die Menge mit sich fortreißen will, wer im Strafprozeß die Schuldfrage scharfsinnig

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klarlegt, darf nicht den Boden der Wirklidikeit verlassen, er muß die Sprache reden, die das Volk spricht, die im Gesetz durch-klingt; denn nur dann gewinnt er die geistige Fühlung mit seinen Zuhörern, auf der im letzten Grunde der Erfolg beruht. Lysias und Demosthenes sind deshalb „attischer" als Thukydides, weil ihre Diktion einfacher und ungeschminkter ist, angepaßt dem Zweck, den sie mit ihren Reden verfolgten.

222. In den S p r a c h f o r m e n hält sich die attische Prosa von dem Einfluß der nichtattischen Literaturspradien, auch der ionischen Prosa, fast ganz frei: das gilt auch f ü r T h u k y d i d e s , dem die Neueren gern eine Sonderstellung einräumen wollen. Al-lerdings meidet er — wie auch der Rhetor A n t i p h o n — zwei für den attischen Dialekt charakteristische Lautgruppen: das atti-sche ττ aus σο und das attische ρρ aus ρσ. Es heißt bei ihm πράσσω, θάλασσα, θαρσέω, ταρσός und nicht, wie im Attischen, πράττω, ΰάλαττα, θαρρέω, ταρρός. Daß sie hierin dem Einfluß der ionischen Prosa Raum gaben, entsprang der Abneigung gegen solche attische Dialektformen, die außerhalb Athens als grobe Provinzialismen empfunden wurden (vgl. § 180). Auch die übri-gen ionischen (oder poetischen) Wortformen und Konstruktionen, die man bei Thukydides hat finden wollen, halten in den meisten Fällen einer kritischen Prüfung nicht stand. Zum Teil kommen sie nur als Varianten oder so vereinzelt neben der gewöhnlichen attischen Form vor, daß sich gewichtige Zweifel an der Richtigkeit ihrer Überlieferung erheben, wenn auch die Seltenheit einer Bil-dung noch nicht ohne weiteres gegen die Zuverlässigkeit des Textes spricht (vgl. § 236).

223. Solche Formen sind: τάμωμεν 1, 81, 6 (dagegen 19mal τεμεϊν); μεσόγαιαν 6, 88, 4 (dagegen μεσόγειαν 1, 100, 3; 120, 2; 2,102,1; 3, 95, 3, μεσόγειας 7, 80, 5); εύνόων 6, 64, 2 (neben είίνους 6mal, εΰνφ 4, 87, 3, εΰνουν 3maí, εδνοι 3, 58, 4; 4, 87, 2; 6, 88, 1, εϋνοις 5, 106, εΰνους Akk. 3, 58, 2; 4, 114, 4); δστεος 2, 13, 7; 8, 92, 7; 95, 4, an allen drei Stellen in den Handschrif-ten Α Β G (das richtige άστεως in C E); κβκμηώτας 3, 59, 2 in den Handschriften Α Β F G (das richtige κεκμηχότας C Ε M bei Pollux 3, 106); Ενεκεν 1, 68, 2; 6, 2, 6 (neben dem häufigen

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ϊνεκα); Διοσκούρων 3, 75, 3 in Α Β Ε F G Μ (die beste Hand-schrift C richtig Διοσκόρων), dagegen ist Διοσκούρειον 4, 110, 1 [in allen Handsdhriften überliefert) nicht zu ändern, da dieses mf der Chalkidike bei Torone gelegene Heiligtum von Thuky-dides sehr wohl in der echt-ionischen Namensform erwälmt wor-den sein kann. Verhältnismäßig zahlreich, aber trotzdem von der Kritik verworfen sind die Plusquamperfekta ohne Augmentum ¡yllab.: γεγένητο 5, 14, 3, άναβεβήκεσαν 3, 23, 1; 7, 4, 2, άνα-κεχωρήκεσαν 8, 15, 1, άποδεδώκεσαν 5, 35, 3, έναποκέκλαβτο 4, 34, 3, καταδεδραμήκεσαν 8, 92, 3, καταπεπτώκει 4, 90, 2, προκεχωρήκει 5, 10, 8, zum Teil nur in e i n e r Handschrift (4, 69, 3; 7, 33, 6; 8, 66, 2) oder Handschriftenklasse (4, 24, 2; 7, 44, 3; 71, 7); über έδυνάμην und die augmentlosen Formen von άναλόω s. § 238.

224. Zum andern Teil sind es Formen, die man dem attischen Dialekt ohne ausreichenden Grund abgesprochen hat.

G u t u n d e c h t a t t i s c h ist die in a l l e n Handschrif-ten überlieferte Form παιωνίζω 1, 50, 5; 2, 91, 2; 4, 43, 3; 96, 1; 6, 32, 2; 7, 44, 6; 83, 4, παιωνισμός 7, 44, 6, audi παιώνων 7, 75, 7 richtig in A C Ε F Μ (παιανων Β G). Aus * παιαων mußte über παιήων, * παιέων im Attischen durch Ausdrängung des ε regelrecht παιών werden; auf einer attischen Inschrift aus dem Jahre 434 v. Chr. steht 'Απόλλωνος Παίωνος I G Ρ 310, 228 f. Die Herausgeber hätten sich nicht church die Attizisten dazu verleiten lassen sollen, das dorische παιαν, παιανίζω in den Text des Thukydides hineinzuschwärzen. Die ω-Flexion der Verba auf -νυμι bei Thukydides (άπολλύουσι 4, 25, 5; 7, 51, 2 neben άπολλύασι 8, 10, 3; 42, 4; 106, 3, ώμνυον 5, 19, 2; 23, 4; 24, 1) und Antiphon (ιέδείκνυε 5, 76) wird vor dem Verdacht ionischer Abstammung geschützt durch das inschriftliche όμνυόντων (s. § 81), ferner durch άπολλύουσιν [Xen.] Ά θ . πολ. 1, 16 und συμπαραμιγνύων Aristoph. Plut. 719. Daß die Finalsätze bei Antiphon und Thukydides nicht nur durch οπως, sondern auch durch ίνα und ώς (ohne Sv) eingeleitet werden, soll in „deut-lichem" Gegensatz zum Altattischen stehen, für das nach Ausweis der Inschriften δπως äv die Regel gewesen sei: aber ίνα mit Konj. steht nicht nur vereinzelt in den Inschriften, sondern auch als alleinige Finalkonjunktion in der „streng attischen" 'Αθη-ναίων πολιτεία 1, 13; 2 ,18. Die in den attischen Prosainschriften allein üblichen Formen εάν und έπειδάν beweisen nicht unbe-dingt dagegen, daß auch ή ν (oft bei Thuk.) und è π ή ν gut

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attisch waren, wie schon oben $ 179 ausgeführt wurde. Das 3mal überlieferte έπήν steht nicht in den Worten des Thukydides selbst, sondern in zwei attisdi abgefaßten Staatsverträgen (5, 47, 6; 8, 58, 6. 7), von deren erstem uns ein Bruchstück des in Stein gemeißelten Originals erhalten ist (IG I2 86). Leider fehlt das Stück mit έπήν in der Zeile 21 der Inschrift; aber die Zahl der nicht erhaltenen Buchstaben scheint eher έπειδάν (wie bei Thuk.) als έπήν zu erfordern, und in der 17. Zeile steht έάν μΙ, nicht das ήν μή des Thuk. 5, 47, 4 (vgl. § 179). Schwerlich läßt sich nidit-attischer Ursprung erweisen für άποσκίδνασθαι 6, 98, 3 (neben έσκεδάννυντο 4, 112, 3; interpoliert σκεδάννυσθαι 2, 102, 4), έθάς „gewöhnt" 2, 44, 2 (gewöhnlich att. ήθάς), έκείνη „dort" 2, 81, 4; 3, 88, 3; 109, 2; 4, 7; 77, 2 (Hdt. 8, 106, 2) neben häufi-gem εκεί.

225. Was für Thukydides gilt, gilt audi für die übrigen Vertre-ter der attischen Prosa im 5. und 4. Jahrhundert. Es ist äußerst bedenklich, Formen wie δεΐται, δεόμενον (für δεϊ, δέον), έπλέχθην, έθρέφθην, έστρέφθην bei P l a t o n als Ionismen anzusehen, weil sie nur vereinzelt (neben έπλάκην, έτράφην, έστράφην) vorkommen und der Aorist auf -θην angeblich ge-rade bei ionischen Schriftstellern beliebt war: Herodot gebraucht keinen dieser drei Aoriste auf -θην, sondern έπλέκην, έτράφην, έστράφην, und έβρέχθην bei Demosthenes ist vor dem Verdacht ionischer Herkunft sicher. Solche vereinzelte Abweichungen von den im allgemeinen für die attische Schriftsprache gültigen For-men lassen darauf schließen, daß die Umgangssprache des gebil-deten Atheners viel reicher war als die auf Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs eingestellte Literatursprache (das Nähere in den §§ 234 ff.).

226. So bleibt fast nichts bei Thukydides übrig, was nicht at-tisch und doch wahrscheinlich von ihm selbst geschrieben ist: έσσάμενος 3, 58, 5, gegenüber den Aoristen κάθισε, καθΐσαν, καϋίσας die einzige Form des Stammes έδ- „setzen" (vgl. Ποσει-δάωνος Εσσαντ' ένναλίου τέμενος Pind. P. 4, 204, έφεσσάμενος π 443 U. a.). Ein Überbleibsel der alten Flexion von δόρυ ist der Dativ δορί in Verbindung mit den Verben έλών 1, 128, 7 (Brief des Pausanias) und έκτήσαντο 4, 98, 8 (indirekte Botenrede), neben δόρατος 6, 58, 2, δοράτων 5, 10, 5.

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227. Wenn Thukydides in n i c h t - a t t i s c h e n W ö r t e r n u n d N a m e n die Laut- und Flexionsformen des betreffenden Dialekts beibehält oder mit der attischen und der Dialektform abwechselt, so beweist das natürlich nicht das allermindeste für eine dialektische Färbung seiner Sprache. So zeigen die dorische Lautform λοχαγός 5, 66, 3; 68, 3 (lak.), ξεναγός 2, 75, 3 (lak.), νεοδάμώδης 5, 34, 1; 67, 1; 7, 19, 3; 58, 3; 8, 5,1, τοϋ Διός τοΰ Ίθωμήτα 1, 103, 2, Κλεαρίδα 5, 10, 1 neben Κλεαρ'ιδου 5, 6, 5; 10, 12; 11, 3 (stets Βρασίδουί, Ξενοκλείδαν 3, 114, 4 (Korin-thier) neben Ξενοκλείδης 1, 46, 2, Κνίδιος Gen. 5, 51, 2 (Lake-daimonier), Σολόεντα 6, 2, 6, 'Απόλλωνος Μαλόεντος 3, 3, 3, Μαλόεντα 3, 6 neben Όποΰντος, Όποΰντιος, Σελινούντος, -ντι, -ντα, Δαφνοΰντα; ionisch ist der Ausgang in Έφύρη 1, 46, 4, Πύθεω 2, 29, 1 (Abderit), Τήρεω 2, 95, 1 (Odryse), Γοάξιος Gen. 4, 107, 3 (Edone).

228. Eine besondere und eigenartige Stellung unter den atti-schen Prosaikern nimmt X e n o p h o n ein. Schon im Altertum wollten ihn die Attizisten (s. § 234) nur bedingt als Vertreter des Attischen gelten lassen. Sie fanden bei ihm viele poetische Aus-drücke und sogar Verstöße gegen die attische Mundart. Neuere Untersuchungen haben im einzelnen den Nachweis erbracht, daß die Sprache Xenophons nicht nur mit poetischen Elementen (die ja auch bei Thukydides nicht fehlen), sondern audi mit dorischen und ionischen durchsetzt ist und außerdem einen starken Ein-schlag von Worten enthält, die zum größten Teil wohl schon in klassisdier Zeit der attischen und ionischen Umgangsspradie an-gehörten und vereinzelt audi einmal von einem gut attischen Pro-saiker (wie Piaton, Demosthenes) gebraucht wurden, aber erst mit der κοινή ihren Platz in der Literatursprache eroberten und be-haupteten. So kann Xenophon geradezu ein Vorläufer der literari-sdien κοινή genannt werden. Dieses Unausgeglichene in der Sprache Xenophons erklärt sidi aus seinen Lebensschicksalen : er verließ seine Vaterstadt schon als junger Mann und kehrte nie dahin zurück; seine Hauptwerke hat er in der Verbannung im Peloponnes geschrieben, wo er sich im Jahre 394 nach sechs in Kleinasien verlebten Jahren dauernd niederließ. So verlor er die enge Fühlung mit der strengen attischen Schriftsprache und die

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Empfindung für das, was in ihr als zulässig und gut galt; wie das Leben in der Fremde seine Anschauungen von Staat und Politik beeinflußte, so paßte sich auch sein Attisch der täglichen Um-gangssprache der Bevölkerung, unter der er lebte, an.

229. In den ä u ß e r n S p r a c h f o r m e n tritt das Nicht-attische bei Xenophon nur wenig hervor. Daß er die speziell lakonischen Ausdrücke des Staats- und Heerwesens (άγήτωρ, δγημα, άρμοστήρ, γερόντια, δαμοσία, έλλανοδίκαι, θεάροί, Ιπ-παγρέται, λοχαγός, νεοδαμώδης, ξεναγοί, υπολοχαγός u. a.) in der d o r i s c h e n Dialektform gebraucht, darf ihm nicht als „Dorismus" angerechnet werden: denn das taten gut attische Schriftsteller wie Thukydides auch (s. § 227). Anders liegt die Sache, wenn er ein in attischer Prosa ungebräuchliches, dialektisch gefärbtes Wort wählte, obwohl ihm ein gleichbedeutendes gut attisches Wort dafür zur Verfügung stand. So hätte er für das auch im Dialog, der Tragiker vorkommende dorische πέ,ιάμαι (πέπαται Anab. 7, 6, 41, πέπανται 3, 3, 18, έπέπατο 1, 9, 19 [neben έκτώντο!], πεπαμένος 6, 1, 12, Λακ. πολ. 6, 4, πέπασθε

Kyrop. 3, 3, 44) das attische κέκτημαι schreiben können, für προμαχεώνες Anab. 7, 8, 13 mit unattischem -εω- (herüberge-nommen aus Herodot 1, 98, 4—6; 164, 1; 3, 151, 1) das attische έπάλξεις oder έρύματα. Auch τύρσις Anab. 4, 4, 2; 5, 2, 5 u. ö., Kyrop. 7, 5, 10, Hellen. 3, 2, 15; 4, 7, 6 (att. πύργος), χερσεύειν „brachliegen" Oikon. 5, 17; 16, 5 (att. άργείν), πυρσεύειν Anab. 7, 8, 15 (att. φρυκτωρεΐν), ευθαρσής Hellen. 7, 1, 9 u. ö., μάσσων „größer" Kyrop. 2, 4, 27 (att. μακρύτερος), πτήσσειν Kyrop. 3, 1, 26; 3, 18 sind Wörter, die zwar bei den attischen Tragikern oder in der κοινή sich finden, aber in attischer Prosa ungebräuchlich waren und deshalb in nichtattischer Lautform mit -ρσ- und -σσ- (att. -ρρ- und -ττ-) auftreten.

230. Noch stärker aber zeigen Dialekt und Gemeinsprache ihren Einfluß da, wo das Wort selbst gut attisch und nur die äußere Form dialektisch ist: so παιξοϋνται (dor.) Symp. 9, 2 im Mund eines Syrakusaners, προσέπαιξεν (dor.; v. 1. -ζεν) Apomn. 3, 1, 4, συμπαίκτωρ (dor.) Kyrop. 1, 3, 14 (v. 1. -στ-) für παίσον-ται, προσέπαισεν, συμπαίστωρ; ναός (dor. u. Κοινή) Anab. 5, 3, 9 neben νεώς (ion. att.) Anab. 5, 3, 8, jenes ein dorisdier Tempel in Skillus, dieses der Artemistempel in Ephesos; άμβολάς γή Kyrop..7, 5, 12, άνάμβατος Kyrop. 4, 5, 46, άμβάτης Apomn. 3, 3, 2; Hippik. 3, 12; 5, 7; Hellen. 5, 3, 1, άνθορεϊν (ν. 1. άνα ) Λακ. πολ. 2, 3, δγ κράτος Photius (unbelegt) mit der nach dori-

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scher Art gekürzten Präposition άν- für άνα-; φάος Kyrop. 4, 2, 28, φάους Kyrop. 4, 2, 9. 26 (in den Handschr. H A G), Oikon. 9, 3 für φως, φωτός; πρόσω (ion.) für πόρρω; σφάζω (ion.; ν. 1. -ττ-) Anab. 4,5,16 neben σφάττω (att.) Kyrop. 7,3,14; τειχέων Ages. 1, 22; Hippardi. 4,15, όρέων Anab. 1, 2, 21 u. s., χερδέων Hellen. 2, 4, 21. 40; Kyrop. 4, 2, 45 mit dem Ausgang -έων (ion. und Κοινή) für att. -ών; vielleicht audi -εις (Κοινή) für -έας im Akk. Plur. der Nomina auf -εΰς, z. Β. Ιππείς Anab. 5, 6, 9, wenn die Überlieferung zuverlässig ist. Die Imperative auf -τωσαν (für -ντων) und die Konjunktion ήν (für έάν) zählen zu den gut atti-schen Formen des Xenophon, da sie im 5. Jahrhundert in Athen im Mund der Gebildeten ganz geläufig waren; s. § 181 und 224.

231. Während sich Xenophon in den Wortformen nur selten vom Attischen entfernt, zeigt sein Wortschatz das Bild einer bunten Mischung aus den verschiedensten Elementen: Dorisches (z. Β. άμφιλέγειν, κατακαίνειν, μαστεύων, ¿ίρταμος, λατρεύω, δρφνη, τρείν „fliehen", ίστε) ist bei ihm mit Ionischem (z.B. άναισιμουν, βλακεύειν, γειτονεύειν, ευκρινής, περιέπειν, συνα-λίζειν, ύπόψαμμος) verbunden; neben die Sprache der hohen Dichtung (αίσιος, άναχάζειν, άνορούω, δμωή, δοΰπος, έξαλα-πάζω, έσθλός, κυδρός, λήθειν, στείβειν, τλήμων u. a.) tritt breit die Gemeinsprache, die Κοινή (άκμήν, άνιμαν, βασίλισσα, άπο-δειλιάν, δράγμα, κυριεύειν, δραμα, όχυροΰσθαι, στερεοΰν, φαυλίζειν u.a.). In vielen Fällen ist der Charakter eines nicht-attischen Worts gar nicht zu bestimmen: es kann dialektisch oder gemeinsprachlich, poetisch oder ionisch sein.

232. Die h a n d s c h r i f t l i c h e Ü b e r l i e f e r u n g der attischen Prosawerke erweckt die Vorstellung, daß j e d e r a t -t i s c h e P r o s a i k e r nicht ganz starren Sprachregeln folgte, sondern einen gewissen Spielraum hatte und mit verschiedenen Formen der Flexion und des Satzbaus abwechseln und gelegent-lich auch von dem abweichen durfte, was der herrschende Sprach-gebrauch des Schriftattisdien bevorzugte. Ist denn aber dem über-lieferten Text der Handschriften zu trauen? Kann nicht das, was als „Freiheit" des Schriftstellers erscheint, lediglich eine Nach-lässigkeit der Abschreiber sein, die den vom Autor selbst streng durchgeführten einheitlichen und „rein-attischen" Charakter der Sprache besonders dadurch zerstörten, daß sie hier und da jüngere und gemein-griechische Formen in den Text setzten? Die moderne

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140 Literatursprache

Kritik ist geneigt, diese Frage wenigstens für einen großen Teil der Fälle, um die es sich handelt, zu bejahen. Daß in der Tat durch nachlässige Absdireiber wiederholt die ursprünglichen Sprachformen beseitigt worden sind, unterliegt keinem Zweifel: denn die Attizisten haben im 2. Jahrhundert n. Chr. im Text der Autoren vielfach nodi andre Wortformen gelesen, als jetzt in unsern Handschriften stehen.

233. Als Nominativ Plur. zu σώς fuhren Photios und Suda s. ν. σφ und Etym. Mago. 742, 1 aus Thukydides βφ an: der Kasus kommt nur lmal vor und lautet in den Handschriften σώοι 1, 74,3 (βών neben σώον in attischen Inschriften aus der zweiten Hälfte des 5. Jhd.); statt des handschriftlich überlieferten διεζωα-μένοι 1, 6, 5 las Ailios Dionysios διεξωμένοι (bei Photios s. v. σέαωται). Die von Photios s. ν. ϊως für Xenophon bezeugte „poetische" Form ήώς (Ιως, ούχί ήώς τό Άττικόν έστι. Ξενοφών δέ ήώς λέγει Λοιητικώς χατακόρως έν Κΰρου παιδείηι »ήν τε πρός ήώ ήν τε πρός έσπέραν") steht gerade an der Stelle, auf die er sich beruft (Kyrop. 1, 1, 5), nidit in unseren Handschriften, wohl aber Anab. 3, 5, 15.

234. Unbedingt zuverlässig sind also die überlieferten Spradi-formen unserer Handschriften nicht. Textkritik und Grammatik stehen deshalb in jedem einzelnen Fall vor der schwierigen Frage: Was ist in der überlieferten Sprache der Prosaiker als berechtigte Freiheit des Autors anzuerkennen, was als Fehler der Absdirei-ber zu verwerfen? Die Attizisten im 2. Jahrhundert unsrer Zeit-rechnung (Ailios Dionysios, Pausanias, Moiris, Phrynichos u.a.) gingen von der Voraussetzung aus, daß es in Athen eine für jeden guten Prosaiker streng verbindliche Schriftsprache mit festen Formen gegeben habe, und schrieben dem attischen Autor, in dessen Text sie eine nach ihrer Ansicht nicht korrekt-attische dialektische oder vulgärgriechische Form fanden, ein tadelndes Kreuz an den Rand (z. Β. „άγήοχεν εΐ τις είποι, δτι έν τφ συν-θέτω Λυσίας χέχρηται χαταγηόχασι, μή πάνυ πείθου" oder „άκμήν άντί τοϋ Ετι Ξενοφώντα λέγουβιν δπαξ αύτφ κε-χρήσθαι, σύ δέ φυλάττου χρήσθαι, λέγε δέ Ιτι" Phrynichos 121 und 123 Lobeck = 97 und 100 Ruth.). Diesen Glauben an die

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Die Prosa 141

Existenz eines absolut „reinen" oder „besseren" (δοκιμώτερον) Attisch haben moderne Kritiker in die Tat umgesetzt, indem sie die angeblich nicht-attischen Formen der Überlieferung einfach aus den Texten hinauswarfen.

235. Aber die Voraussetzung dieser Kritik ist weder zu bewei-sen noch innerlich wahrscheinlich. Wenn die Tragiker, wenn Aristophanes, wenn sogar die pedantische und höchst „korrekte" attische Staatskanzlei sich nicht gegen die Umgangssprache des gebildeten Atheners verschlossen, sondern hier und da einmal Ausdrücke und Wendungen zugelassen haben, die in der ausge-glichenen und gewählten Schriftsprache im allgemeinen vermieden wurden, so dürfen die attischen Prosaiker in noch viel höherem Grad auf diese Freiheit Anspruch erheben. Wie weit sie von ihr Gebrauch machten, das hing natürlich von dem persönlichen Ge-schmack des einzelnen ab. Jeder aber hat — von dem Verfasser der 'Αθηναίων πολιτεία an bis herab auf Demosthenes und Aisdiines — aus dem Strom der lebendigen Rede geschöpft.

236. Bisweilen sind wir in der glücklichen Lage, zeigen zu können, daß der Autor in voller Absicht mit zwei verschiedenen Wortformen wechselte: so braucht ζ. B. Thukydides σμικρός nur in der festen Verbindung ού σμικρός 4, 13, 4; 7, 75, 5; 8, 81, 2, sonst aber nadi Vokalen und Konsonanten μικρός. Ebenso lassen die sechs Belege für θέλω bei Thukydides deutlich erkennen, unter welcher Bedingung diese kürzere Form — neben der herr-schenden ΐθέλω — von ihm und sicher allgemein in Athen ge-sprochen wurde: 4mal geht nämlich μή unmittelbar dem θέλω 'vorher (2, 51, 5; 5, 35, 3; 72, 1; 6, 91, 4), lmal εί 6, 34, 4. In den festen Verbindungen ούκ έθέλειν und μή έθέλειν verschmolz die proklitische Negation mit dem Verb zu einem Begriff (vgl. nölö), und das kam in der Vokalkontraktion (der sogenannten „Aphärese") μη-θέλω zum Ausdruck. Aber audi mit der Kon-junktion bildete das unmittelbar folgende Verb namentlich in einem so kurzen formelhaften Satz wie εί θέλοιμεν 6, 34, 4 eine Einheit, und es kann deshalb auch hier die Überlieferung richtig sein. Nur in ήν δίκας θέλωσι διδόναι 7, 18, 2 hat die kürzere Form keine innere Berechtigung.

237. Sehr bedenklich ist es, von zwei nebeneinander überliefer-ten Formen die eine deshalb als Abschreiberfehler zu verwerfen,

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142 Literatursprache

weil sie viel seltener ist als die andre, vielleicht gar nur lmal vor-kommt. Denn in jeder Hoch- und Schriftsprache finden Neuerun-gen stets in der Art Eingang, daß sie zunächst vereinzelt, gewis-sermaßen als Entgleisungen von dem ausgefahrenen Wege vor-kommen und dann allmählich immer häufiger werden. Än sich ist also ζ. B. die Tatsache, daß der Genitiv υίοΰ, der Akkusativ βορραν und das Adverb μόνως nur je lmal bei Thukydides über-liefert sind (5, 16, 2; 6, 2, 5; 8, 81, 3), kein ausreichender Grund, um sie zugunsten der gewöhnlichen Formen υίέος (3mal), βορέαν (5mal) und μόνον (häufig) aus dem Text zu vertreiben. Zu den besonders häufig vorkommenden Bildungen, die in doppelter Form bei den Prosaikern überliefert sind, gehören: έάν neben ήν, ενεκα neben ενεκεν, αποθεν neben (ίπωθεν, πλόϊμος neben πλώϊμος, άστεως neben δστεος, τοσούτο neben τοσούτον, -η neben -ην im Akkusativ der εσ-Stämme, -ω und -ους neben -ova, -ονες, -ονας im Komparativ, ήδυνήθην neben έδυνήθην, έάλωσαν neben ήλωσαν, έώθεσαν neben εΐώθεσαν, ηΰρον neben εΰρον, ήφίει neben άφίει, άναλουν άναλωσα άναλωκέναι neben άνήλουν άνηλώθη, έώρακα neben έόρακα, -αις, -αι, -αιεν neben den „aiolisdhen" Endungen -ειας, -ειε, -ειαν im Optativ des σα-Aorists, -είημεν, -είητε neben -εϊμεν, -εϊτε im Optativ, -τωσαν und -σθωσαν neben -ντων, -σθων im Imperativ, έπιμέλεσθαι neben έπιμελεϊσθαι, εξω neben σχήσω, πλευσοϋμαι und andere Futura „dorica" neben πλεύσομαι, έοικώς neben ε'ικώς, έστη-κότος neben έστώτος, έστήκαμεν neben εσταμεν usw., παλαιότε-ρος neben παλαίτερος, πρωΐτερος neben πρωιαίτερος, 'Αθηνά neben 'Αθηναία.

238. Wer solche Doppelformen bei den attischen Prosaikern beanstandet, der muß jedenfalls mit der Tatsache rechnen, daß ein großer Teil der von ihm als unattisch verworfenen Bildungen schon zur Z e i t d e r A t t i z i s t e n in den Texten gestanden hat. Auf einem um 200 n. Chr. geschriebenen Papyrus ist uns ein großes Stüde eines in attischer Sprache (τέτταρες, θάλαττα u. a.) abgefaßten Geschichtswerks, wahrscheinlich der Hellenika des Theopomp (um 350 v. Chr.), wiedergeschenkt worden. Darin steht (die Zitate beziehen sich auf die Ausgabe von F. J a c o b y [s. §209], Band II, Nr. 6) das als unattisch geltende Augment ή- in ήδύνατο S. 26, 3; 34, 2. 19 (aber έδύναντο 27, 16), ήβού-λοντο 22, 22: bei Thukydides ήδύνατο 1, 3, 2; 4, ήδύναντο 7, 50, 3, ήδυνήθη 4, 129, 4, ήδυνήθησαν 4, 33, 2 (dagegen 44mal έδυν-) und ήβούλοντο 6, 79, 3 (67mal έβουλ-); das bei Thuky-dides regelmäßig (38mal) überlieferte, aber von der Kritik ver-

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Die Prosa 143

worfene ΐίεσαν audi bei Theopomp 33, 5 (attisch soll allein fjoav sein, bei Thuk. 1, 1, 1 überliefert); παραθαλαττίδιος Theopomp 34, 18, παραθαλασσίδιος Thuk. 6, 62, 3 (3mal bei Thuk. παρα-θαλάσσιος); τοσούτο [ν] Neutr. 35, 5 wie überall bel Thukydides. Eine bemerkenswerte Abweichung von Thukydides bildet άνή-λισκον 26, 32; bei Thuk. sind die augmentierten Formen dieses Verbs fast immer mit α überliefert (άνάλουν, άναλοΰτο, άνάλω-σαν, άναλωκέναι usw., im ganzen 14 Belege gegenüber dem ein-zigen άνηλοΰντο 3, 81, 3). Da die Inschriften nur η kennen, hat man dies audi bei Thukydides überall hergestellt. Bemerkenswert ist bei Theopomp die Konstruktion der Aussagesätze (mit δτι und ώς), der Absichtssätze (mit ίνα und δπως &v), der Tempo-ralsätze mit πριν und dem Acc. c. inf.

Literatur: W. A1 y, Volksmärchen, Sage und Novelle bei He-rodot und seinen Zeitgenossen, Eine Untersuchung über die volks-tümlichen Elemente der altgriedi. Prosaerzählung, Göttingen 1921; J. H a b e r l e , Untersuchungen über den ion. Prosastil, Diss. München 1938; S c h w y z e r , Gramm. 1, 112—116; C. S c h i c k , Studi sui primordi della prosa greca, Ardi, glott. ital. 40 (1955), 89 fi.; ders., Appunti per una storia della prosa greca, in: Riv. di filol. 1955, Iff., Mem. Acc. Line. 1956, 345ff.; Atti Accad. Torino 90 (1955/56); P i s a n i , Storia 97 ff.; T h u m b -S c h e r e r 234 ff., 302 ff., 311 f. — W. A1 y , Herodots Sprache, Glotta 15 (1926/27), 84ff.; Ed. S c h w y z e r (in: K. D e i c h -g r ä b e r , Über Entstehung und Aufbau des menschlichen Kör-pers [Hippokr. περί σαρκών], Lpz. u. B. 1935, S. 62—97); Α. H. R. Ε. Ρ a a p , De Herodoti refiquiis in papyris et membranis Aegyptiis servatis, Leiden 1948, S. 85—94; M. U n t e r s t e i -n e r , La lingua di Erodoto, Bari 1949; A. R ü s t , Monographie der Sprache des hippokratisdien Traktates περί άέρων υδάτων τόπων, Diss. Freiburg i. d. Schweiz 1952; Fr . P f i s t e r , Vul-gärgriediisdies in der pseudo-xenophontischen 'Αθηναίων πολι-τεία (s. § 80); L. G a u t i e r , La langue de Xénophon, Diss. Genf 1911; Gu. H o r n , Quaestiones ad Xenophontis elocu-tionem pertinentes, Diss. Halle 1926.

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144 Register

Register

(Die Zahlen verweisen auf die Paragraphen)

I. Namen- und Sachregister

Adiaeer, -isdi 36. 100 Aisop 207 Aitolien, -isdi 6 f. 61 Akusilaos 210 Alexandriner 70. 89 ff. 146.

148 Alkaios 129 ff. Alkman 141 ff. Alphabet 69 Anakpeon 132—* Anatolische Spr. s. Heth.-

luw. Spr. Antiphon 222 ArAilochos 107 ff. 123 ff. Aristophanes 74. 189 ff. Arkadisch 33. 52 f. 62 Attisch 49. 189 ff. Attizisten 234. 238

Bakdiylides 148 ff. Boioter, -isdi 56. 137 f. Demokrit 217 Dodona 6 f. Dorier 60 ff. Doris mitior, severior 67

Elis, Elisch 57. 61 f. Epidiarm 183. 185 ff. Epidauros 212 Epirus 6. 60 Ere tria 51 Emma 121 Eteokre tisch 22 Etrusker 21

Fluchtafeln 77 f.

Götter 25 Gräkoitalisdi 4

Hekataios 208 ff. Hellanikos 209 f. Hellenika (des Theopomp)

238 Herakleia 65 Heraklit 217 Herondas 123.184 Herodot 43 f. 72. 91. 213 ff. Hesiod 106 Hethitisdi-luwische Spr. 5. 12

15. 18 f. Hippokrates 218 Hipponax 72 f. 123 Hylleer 8

Ibykos 146 f. Illyrier 6—8 Ionien 43 ff. 50. 72

Kallinos 107 f. Karer 12. 15. 72 Kentumsprachen 3 Kleinasiatisdi-ägäisdie Schicht

15 Korinna 135 ff. Korinth 58. 64 Kreta 21 f. 68 Kyprisdi 33. 35. 52 f. Kyrene 144

Leleger 14 Lemnos 21 Linear A 22, Linear Β 26

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Register 145

Logographen 208 ff. LydisA 12.19

Makedonen 9 Milet 46. 72. 203. 208 Mimnermos 109

Nordwestgriediisch 7. 60

Orthographie, alt- und neu-boiotisdie 135, bei Homer 103, bei Alkman 142, bei Pindar 154. 155. 158, bei Aristophanes 194

Pamphylisch 68 Pelasger 13. 20. 23, „Pelas-

gisch" 17 Pherekydes 209 f. Phiyger 10. 11. 19 Phrynichos (Attizist) 175. 234 Pindar 137.153 fi. Platon 116

Rhodos 58.64

Sappho 129 fi. Semonides 123. 125

Simonides 121. 148 fi. Solon 111 fi. 127 Sophron 183 fi. Stesidioros 146 f. Syrakus 185 fi.

Terpander 129. 141 Tetrameter der Tragödie 167 Theognis 115 Theopomp 238 Thessalien 8. 55 f. 60 Thraker 10 Thukydides 220 fi. 236 f. Trimeter der Tragödie 164 fi. Tyrtaios 84. 110

Umschrift des Homertextes 103 f.

Urgriechisch 2

Vaseninsdiriften 75 f. Volkssprache bei Aristopha-

nes 190 Vulgärattisch 74 fi. 189 ff.

Xenophanes 109 Xenophon 228 ff.

II. Grammatisches Register

1. V o k a l i s m u s Apokope der Präp. 138, 153,

173, 230 Einsdiubvokale 76, 78 Kontraktion 48 c, 67 a, 134,

179, 191 k Krasis 124 Quantitätsmetathese 48 b Zerdehnung, epische 105 & für att. ε: ίαρός 38, 66 d,

68, aitol. φάρω, πατάρα 53

δ purum 48 a, 113, 127 à, f. att. η: 93, 115, 170 fi.,

200, 202, 227, 229 αι pseudoaiol. für ö 131 άτός für αύτός 78 η aus ä 48 a η für ä purum 164 f., 178 tv aus εν 68 o für α: òv 34 b, 38, δέκο

δέκοτος έκοτόν 30, 34 c, ορ ρο für αρ ρα 34 a, 37

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146 Register

οι fut ο: ήγνοίησεν 104 ου für ο: οΰνομα 103 f., 210,

214, οδρεσι(ν) 126, 131, 210

υ für ο: άπύ 30, 34 e, 37 f., 52, δνυμα 156

2. K o n s o n a n t i s m u s β für β: βελφίς 59 γ für δ: Άριάγνη 76 δ für i 138 F 48 d, 49, 66 b, 110, 149,

157, 187 h- geschwunden 50 di zu ei 29 χ (ion.) für π 50, 107 λ für δ: Όλυττεύς 76 λλ, ρρ, μμ, w 59 ν vor e 55 ντ für rr : γλώντα 78 ντ für ν» 138 π für att. τ: 35, 53, 59 Rhotazismus 51 ρο für att. ρρ 49, 180, 222,

229' σ aus δ 76 a aus θ 142 σσ für att. χτ 180, 200, 222 στ für σθ 61 -τι- zu -βι- 30, 32, 38, 54, 66 c τρ für θρ 68 ττ für σσ 49, 138

3. D e k l i n a t i o n Nom. Sg.: Ιερή; 52, παϋς

„Kind" 76, έλέφαις 131 Vok. Sg.: δέσποτε 78 Gen. Sg.: -εω, -ου 49, -αυ 68,

-δ 155, -οιο 27, πόλιος, -ηος, -εως 48 e, 49, 68, βασιλίδος, -έως, -έος 48 b, 68

Dat. Sg. -ει 27

Nom. Pl. βασιλής 182 Gen. Pl. -αων 4, -εων 49 Dat. Pl. -αισι, -αις 68,82,182,

-ησι 81, -οισι, -οις 68, 82, 188, -εσσι 32, 58 f., 68, 99 f., -οις in d. 3. Dekl. 60 f.

Akk. Pl. -ίίς, -ος 106,110, 15. -ως 67, Ιππείς 230

Pronomina: τύ 66 g, τίν 149, 156, τέ 143, 156, ήμείς, άμές usw. 48 f., ψιν, ψε 185, τοί, ταΐ 66 f., δνε 34 h, δνυ 52, τήνος 66 h, δττινες 58

Zahlw.: hemei 27, ία, δουΐν 138, τέτορες 67 b, 106, πέμπε 35, δέκο usw. 34 c, Gen. τριηκόντων 98, 106, Λχατι 66 c, 68

4. K o n j u g a t i o n Augment: fehlend 131, 200,

201, 238, ή- neben έ- 238 Personalendungen: -τι, -ντι

66 c, -μες 66 i, -οισι(ν) 144, 159, ήεν, ήν „sie waren" 48 h, gov 131, Ιδον usw. 106^ 158, 177 g, -σαν 48 i; Imp. -ντω(ν) 4, -ντον 58, 68, -τωσαν 81, 181; Med. -τοι, -ντοι 38, 52, 68, -μεσΦα 158, 177_g, 203, -οίατο, -αίατο 1/7 g, 203, Imp. -σθων 81

Infinitiv: -ειν 27, -εν 144, 149, -ναι 38, -μεν(αι) 38, 66 k, -μειν 188, Peri, -ειν 153

Partizip: -οισα 144, 159, Aor. -αις 131,159, Perf.-ων 59, Med. -είμενος 60

Futurum doricum 67 e, 191 e

Page 147: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

Register 147

Aorist auf -άξαι, -ίξαι 67 d, 149,151, 156, έκάλεσσα 131

Perfekt: ηέποσχα 146, 185 Ny ephelkystikon 48 h, 144

III . Bemerkenswerte Wörter

άγρέω 57 Άθήνη, -ήναι 25 δμπαυσις 109, 115 fiv 48 k, 53 άρμόζω 29, 177 g άσάμινΟος 17, 24 γίνυμαι 59 γλάσσα 50 δανχνα 35 δορί 107, 226 έάγ s. f¡v (έ)θέλω 236 έπη ν 191 k, 224 ερσην 50 ζάπεδον 109 ζήω, ζώω 50 ήν 179, 224, 230, 237 θάλαμος 24 Ιαρός 38,66 d, 68 κάρρων 185 κάς „und" 52 κασαλβάς 190 χασαύριον 190 χασωριχός 73 χε 35

κόνισκε 73 χρέτος 34 d, 38 λήν „wollen" 115 λιπερνήτες 124 μέγαρον 24 μωσθαι 115 ναός 172 οίη, οΐήτης 165 όρνιχ-149, 156 πα- „besitzen" 115, 171, 229 παιών att. 224 πάλμυς 73 παρηΐς 178 πεδά 30, 34 i, 37 πλεΐν „mehr" 191h πός 30, 38, 52 πράτος 66 e πρευμενής 178 «τόλις 30, 34 f., 38 σχαπαρδεύω 73 σμιχρός 236 τάμνω 50 τύννος 190 ΰσδος 93 χλούνης 73

Page 148: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

LITERATURAUSWAHL AUS DER SAMMLUNG GÖSCHEN

Indogermanische Sprachwissenschaft Von Hans Krähe. 2 Bände. I: Einleitung und Lautlehre. 5. Auflage. 110 Seiten. 1966. DM 3,60 (Band 59). II: For-menlehre. 5., neubearbeitete Auflage. 100 Seiten. 1969. DM 3,60 (Band 64)

Griechische Sprachwissenschaft Von Wilhelm Brandenstein. 3 Bände. I: Einleitung, Laut-system, Etymologie. 160 Seiten. 1954. DM 3,60 (Band 117). II: Wortbildung und Formenlehre. 192 Seiten. 1959. DM 5,80 (Band 118/118a). III: Syntax I. Einleitung. Die F l e » büien. 145 Seiten. 1966. DM 5,80 (Band 924/924a)

Geschichte der griechischen Literatur Von Wilhelm Natie, 2 "Bände. 3. Auflage bearbeitet von Werner Liebich. I: 144 Seiteii. 1961. DM 3,60 (Band 70). II: 149 Seiten. 1963. DM 3,60 (Band 557)

Grammatik der neugriechischen Volkssprache Von Johannes Kalitsunakis. 3., wesentlich erweiterte und verbesserte Auflage. 196 Seiten. 1963. DM 5,80 (Band 756/756a)

Neugriechisch-deutsches Gesprächsbuch Von Johannes Kalitsunakis. 2. Auflage, bearbeitet von Alexander Steinmetz. 99 Seiten. 1960. DM 3,60 (Band 587)

Geschichte der lateinischen Sprache Von Friedrich Stolz und Albert Debrunner. 4., stade umge-arbeitete Auflage von Wolfgang P. Schmid. 145 Seiten. 1966. DM 5,80 (Band 492/492a)

Geschichte der römischen Literatur Von Ludwig Bieler. 2., verbesserte Auflage. 2 Bände. I: Die Literatur der Republik. 160 Seiten. 1965. DM 3,60 (Band 52). II: Die Literatur der Kaiserzeit. 133 Seiten. 1965. DM 3,60 (Band 866)

W A L T E R DE G R U Y T E R & CO · B E R L I N

Page 149: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

Geschichte der griechischen Sprache

II

Grundfragen und Grundzüge

des nachklassischen Griechisch

v o n

D. Dr. Albert Debrunner

e m . o . ö . P r o f e s s o r a n de r U n i v e r s i t ä t Be rn

Z w e i t e A u f l a g e , b e a r b e i t e t v o n

Dr. Anton Scherer

o . P r o f e s s o r an der U n i v e r s i t ä t H e i d e l b e r g

Sammlung Göschen Band 114/114 a

Walter de Gruyter & Co. · Berlin 1969 v o r m a l s G . J . Göschcn 'schc V e r l a g s h a n d l u n g - J . G u t t e n t a g ,

V e r l a g s b u c h h a n d l u n g - Georg R e i m e r - K a r l J . T r ü b n e r - V e i t & C o m p .

Page 150: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

© Copyright 1969 by Walter de Gruyter & Co. , vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vom Verlag vorbe-halten. — Ardii v - N r . : 7990692. — Satz : Walter Pieper, Würzburg. —

Drude: E. Rieder, Schrobenhausen. — Printed in Germany.

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Inhalt

Auswahlsammlungen, Abkürzungen 5

Einleitung (§ 1—9) 6 1. Geschichte der Erforschung des nachklassischen

Griechisch (§ 1—4) 6 2. Umfang und Namen des nachklassischen Griechisch

( § 5 - 9 ) . 9

Erster Hauptteil: Grundfragen des nachklassischen Griechisch (§ 10—159) 11 1. Quellen (§ 10—32) 11

a) Inschriften, Papyri, Ostraka (§ 10—15) . . . . 11 b) Grammatische und lexikalische Literatur 16—20) 15 c) Sonstige Literatur (§ 21—31) 18 d) Das Neugriechische ( § 3 2 ) 23

2. Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache und ihre Verbreitung auf dem griechischen Gebiet (S 33—45) 24 a) Ältere griechische Gemeinsprachen (§ 33—37) . . 24 b) Vorbedingungen der Ausbreitung des Attischen

auf dem griechischen Gebiet (§ 38—45) . . . . 27 α) Politisch-historische Vorbedingungen (§ 39—42) 28 ß) Kulturelle Vorbedingungen (§ 43—45) . . . 30

c) Die hellenistische Gemeinsprache und die alten Dialekte (§ 46—113) 32 α) Der Untergang der alten Dialekte (§ 46—72) . 32 ß) Mundardiches in der hellenistischen Gemein-

sprache (§ 73—109) 50 y) Die Koine und die Dichtung (§ 110—113) . . 66

3. Die hellenistische Gemeinsprache und die fremden Sprachen (§ 114—151) 68 a) Vorbedingungen der Ausbreitung der hellenistischen

Gemeinsprache (§ 114—119) 68 b) Untergang und Widerstand der fremden Sprachen

(§ 120—126) 71 c) Griechisches in den fremden Sprachen (§ 127—131) 77

Page 152: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

d) Fremdsprachliches in der hellenistischen Gemein-sprache 132—151) (Latinismen § 137—146, Semitxsmen § 147—151) 79

4. Neue Dialekte im nachklassischen Griechisch. Das Neu-griechische und seine Dialekte ('§ 152—153) . . . . 92

5. Der Attizismus (§ 154—159) 93

Zweiter Hauptteil: Grundzüge des nachklassisdien Griechisch (§ 160—199) 97 1. Lautliche Merkmale (§ 160—171) 97

a) Die neue Aussprache (§ 160—167) 97 b) Entscheidung zwischen lautlichen Verschieden-

heiten der alten Dialekte (§ 168—171) . . . . 102 2. Morphologische Merkmale (§ 172—181) 104 3. Syntaktische Merkmale (§ 182—199) 110

Nachwort (§ 200) 125

Register a) Namen- und Sachregister 127 b) Grammatisches 128 c) Wortregister 129

Page 153: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

Auswahlsammlungen nachklassisdher Texte

R. C a n t a r e l l a , Poeti Bizantini. I. Testi. I I . Introduzione, Traduzioni e Commento. Mailand 1948.

A. D e b r u n n e r , Nachklassisches Griechisch. Berlin 1933. (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen Nr. 165.)

D. C. H e s s e l i n g et H. P e r n o t , Chrestomathie néo-hel-lénique. Paris 1925. (Collection de l'Institut néo-hellénique de l'Université de Paris, fase. 4.) (Enthält auch hellenistische und mittelgriechische Texte.)

M. A. T r i a n t a p h y l l i d e s , Νεοελληνική γραμματική. I. 'Ιστορική εισαγωγή (Athen 1938) S. 182—196 (Koinetexte), 196—232 (mittelgriechische), 233—404 (neugriechische), 405 bis 533 (Texte zur Sprachregelung von den alten Attizisten bis heute).

A. W i k g r e n , Hellenistic Greek Texts, Chicago 1947.

Abkürzungen (mit dem Namen des Autors zitierte Werke siehe in § 4

und Band I, S. 5): Ed. S c h w y z e r , Dialectorum Graecarum exempla epigra-

phica potiora, Leipzig 1923. SGDI = Sammlung der griechischen Dialektinschriften, hrsg.

von H. C o 11 i t z. 4 Bände, Göttingen 1884—1915. D i t t e n b e r g e r 3 = W. D i t t e n b e r g e r , Sylloge in-

scriptionum Graecarum. 3. Aufl. Leipzig 1905—1921. IG = Inscriptiones Graecae. OGI = W. D i t t e n b e r g e r , Orientis Graeci inscriptiones

selectae. 2 Bände, Leipzig 1903—1905. LXX = Septuaginta. N.T. = Neues Testament (Novum Testamentum usw.). hell. = hellenistisch. ngr. neugriechisch. I I a = 2. Jahrhundert vor Christus (' = Anfang, ra = Mitte,

f = Ende, V2 = erste Hälfte). 171P •= 171 nach Christus.

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Einleitung 1. Geschichte der Erforschung des nachklassischen Griechisch

1. Soweit das nachklassische Griechisch bei den zeitgenössi-schen griechischen Gelehrten überhaupt Beachtung fand, geschah es fast ausschließlich vom Standpunkt des Klassizismus (Ättizis-mus) aus (s. ξ 154). Von besonderen zusammenfassenden Schriften dieser Art ist uns wenig überliefert: D e m e t r i u s I x i o n , ein Zeitgenosse und literarischer Gegner des großen Homerge-lehrten A r i s t a r c h von Samos (IIa), schrieb περί της Άλεξαν-δρέων διαλέκτου (Ath. IX 393 Β), d. h. über das Volks- und Umgangsgriechisch seiner Zeit (s. § 153), und M i n u c i u s P a -c a t u s (Ειρηναίος; I p ?) περί της Άλεξανδρέων διαλέκτου, δτι εστίν εκ της 'Ατθίδος, η περί 'Ελληνισμού („über das gute Griechisch" ; s. § 7) βιβλία ζ' εστι δέ κατά στοιχεϊον (Suidas I I 533, 23 f.; IV 4, 5 f. Adler). Das waren wohl Vorläufer der atti-zistischen Lexika (s. § 16—18).

2. Im Mittelalter galt im byzantinischen Osten das Haupt-interesse der Gebildeten der Pflege der künstlich bewahrten riick-sdiauenden literarischen Sprachform (§ 154 ff.). Im Westen rich-tete sich die begeisterte Wiedererweckung des Griechischen in der Renaissance und im Humanismus zuerst auf die I n h a l t e der Literatur, und zwar vor allem der klassischen Zeit. Doch verlangte bald das Bedürfnis, für das sachliche Verständnis der nachklassi-schen Schriftsteller die sprachlichen Grundlagen zu gewinnen, nach einer Ergänzung des Thesaurus Graecae linguae des Henricus S t e p h a n u s (Henri Etienne; Paris 1572); sie erfolgte durch das „Glossarium ad scriptores mediae et infimae graecitatis . . des Charles Du Fresne D u C a n g e (Lyon 1688, 2 Bände); aus

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Geschichte der Erforschung des nachklassischen Griechisch 7

der Vorrede „De causis corruptee graecitatis" spricht noch mit aller Deutlichkeit der Geist des Klassizismus. Später folgten in kritischen Textausgaben Bemühungen um den Sprachgebrauch der nachklassischen Schriftsteller, besonders in den Ausgaben des· Appian (1785), Polyb (1789—1795) und Epiktet (1799) von Joh. S c h w e i g h ä u s e r .

3. Vor allem aber beanspruchte der inhaltlich wichigste nach-klassische Text, das Neue Testament, das sprachliche Interesse in höchstem Grad. Doch ging die Beschäftigung mit der Sprache des Neuen Testaments fast völlig auf in lexikalischen Erörterungen und in den Zänkereien zwischen den „Hebraisten" und „Pu-risten" (§ 147). Erst mit der Zeit dämmerte die Erkenntnis auf, daß das Griechische des Neuen Testaments weder Attisch noch Judenkauderwelsch sei, sondern an das gleichzeitige Profan-griechisch angeknüpft werden müsse. Das Studium der Beziehun-gen zur Sprache der Inschriften leitete Joh. Ernst Immanuel W a l c h ein mit seinen Observationes in Matthaeum ex graecis inscriptionibus (Jena 1779). Ungefähr gleichzeitig traten auch die Papyri schon in den Bereich der griechischen Sprachstudien: 1788 gab Nikolaus S c h o w in Rom den ersten Papyrus heraus (s. § 14).

J an R o s , De Studie van het bijbelgrieksch van Hugo Grotius tot Adolf Deissmann, Nimwegen und Utrecht 1940. Die erste Grammatik des griechischen Neuen Testaments stammt von Georgius Ρ a s o r : Grammatica Graeca Sacri Novi Testa-menti . . ., Groningen 1655.

4. Der erste neuzeitliche Versuch, über die nachklassische Sprache Klarheit zu schaffen, ist Friderici Guilelmi S t u r z i i De dialecto Macedonica et Alexandrina über (Leipzig 1808). Sonst verdienen aus dem 19. Jahrhundert Erwähnung: Christian August L o b e c k , Phrynichi Eclogae nominum et verborum Attico-rum . . , Leipzig 1820 (mit zahlreichen Parallelen aus nachklassi-schen Autoren) (vgl. §17) ; Heinr. T h i e r s c h , De fenta-teuchi versione Alexandrina (Erlangen 1840, erweitert 1841),

Page 156: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

8 Einleitung

d .h . über die Septuaginta (s. § 148); Κ. N. S a t h a s , Biblio-theca Graeca medii aevi VI (Paris 1877), ρ. η-μη; Η. S t e i n -t h a l , Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern, 2. Aufl., Bd. I I von M. G u g g e n h e i m (Berlin 1891), S. 25—68.

Neuere Literatur. Geschichte und Probleme des nachklassischen Griechisch: A. T h u m b , Die griechische Sprache im Zeitalter des Hellenismus, Beiträge zur Geschichte und Beurteilung, Straß-burg 1901; H. P e r n o t , D'Homère à nos jours, Histoire, écri-ture, prononciation du grec, Paris 1921; A. M e i l l e t , Aperçu d'une histoire de la langue grecque, 5. Aufl. (Paris 1938), S. 239 bis 324 (1. Aufl. deutsch von H. M e 11 ζ e r , Heidelberg 1920, S. 242—348); L. R a d e r m a c h e r , Koine, Wiener Sitzungs-berichte 224, 5 (1947).

Kurze Darstellungen: J. W a c k e r n a g e l , Die griechische Sprache (Die Kultur der Gegenwart I 8, 3. Aufl., Leipzig und Berlin 1912), S. 383—390; P. K r e t s c h m e r , Sprache (Ein-leitung in die Altertumswissenschaft, hrsg. von A. Gercke und Ed. Norden, 3. Aufl. Bd. I 6, Leipzig und Berlin 1923), S. 98 bis 102; T r i a n t a p h y l l i d i s (s. o. S.5), S. 7—22 (έποχή της κοινής) und 23—45 (μεσαιωνική γλώσσα); Ed. S c h w y z e r , Griechische Grammatik I, 2. Aufl., München 1953, S. 116—134; V. P i s a n i , Storia della lingua greca, Turin 1959, 117fï.; S. G. K a p s o m e n o s , Die griechische Sprache zwischen Koine u. Neugriechisch, Berichte zum XI. Int. Byzantinisten-Kongreß, München 1958, I I 1 (mit Korreferat von D. T a b a c h o v i t z ) .

Eine Gesamtgrammatik des nachklassischen Griechisch fehlt immer noch; einigen Ersatz dafür bieten: A. N. J a n n a r i s , An historical Greek Grammar from classical antiquity down to the present time, London 1897; L. R a d e r m a c h e r , Neu-testamentliche Grammatik, Das Griechisch des Neuen Testaments im Zusammenhang mit der Volkssprache, 2. Aufi., Tübingen 1925; Pr. S. C o s t a s , An Outline to the History of the Greek Language (with particular emphasis on the Koine and the sub-sequent periods), Chicago 1936.

Lexika: Ε. Α. S o p h o k l e s , A Greek Lexikon of the Roman and Byzantine Periods, New York 1888; G. K i t t e l , Theologi-sches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933 ff. (gibt meistens auch die profane Geschichte der Wörter); N. A n d r i o -t e s , Ετυμολογικό λεξικό της κοινής νέας 'Ελληνικής, Athen 1951.

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Umfang und Namen des nadiklassisdien Griechisch 9

Bibliographie: in Bursians Jahresberichten über die Fortschritte der klass. Altertumswiss.: St. W i t k o w s k i , Bd. 120 (1904), S. 153—256 (über 1899—1902); Bd. 159 (1912), S. 1—279 (über 1903—1906); A. D e b r u n n e r , Bd.236 (1932), S. 115—226 und Bd. 240 (1933), S. 1—25 (über 1907—1929); Bd. 261 (1938), S. 140—208 (über 1930—1935).

2. Umfang und Namen des nachklassischen Griechisch

5. Die Begriffe „klassisch" und „nachklassisch" mit Bezug auf das Griechentum sind im wesentlichen literargeschichtlich be-stimmt, ohne daß die Grenze zwischen beiden eindeutig festge-legt wäre. Das einschneidende geschichtliche Ereignis, das audi auf dem Gebiet der Literatur die Zeitenwende für die Griechen im Gefolge hatte, ist der Verlust der Selbständigkeit der griechi-schen Gemeinwesen durch die Unterwerfung unter die makedoni-sche Militärmacht (Schlacht bei Chaironeia 338a) und die bald darauf folgende Eroberung des Ostens durch Alexander den Großen (von 334 an), durch die auch die griechische Kultur und Sprache aus der heimatlichen Enge in die Weite der Osthälfte der Mittelmeerländer und des vorderen Orients und in engste Berührung mit fremden Sprachen geführt wurde. (Näheres unten §114 ff.)

6. Für die ersten Jahrhunderte des nachklassischen Griechisch sind die Bezeichnungen „Koine" (κοινή) und „hellenistisch" ge-bräuchlich. Der Begriff κοινή ist im Altertum nicht scharf fest-gelegt. A p o l l o n i o s D y s k o l o s , H e r o d i a n und an-dere verstehen darunter die Ursprache, die nach ihrer Meinung den Boden für die vier Dialekte Aiolisch, Dorisch, Ionisch und Attisdi bildete. Die zeitgenössische Umgangssprache (im Gegen-satz zur Sprache der Literatur) heißt bei Herodian ή (κοινή) συνήθεια oder ή νυνί συνήθεια, also „die (allgemeine, jetzige) Umgangssprache"; der Ausdruck κοινή wird daher auch mit ή πάντες χρώμεθα oder ή έκ των τεττάρων συνεστώσα umschrie-ben (vgl. §74); der Attizismus (§ 154 fï.) degradierte dann die „allgemeine" Sprache zur „gemeinen", niedrigen; der Attizisl

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10 Einleitung

Moitis (§ 18) unterscheidet bisweilen Έλληνικόν und κοινόν (beide im Gegensatz zu Άττικόν) so, daß er mit Έλληνικόν die nachklassische Literatursprache, mit κοινόν die niedrigere zeit-genössische Umgangssprache meint (ζ. Β. έξίλλειν 'Αττικοί, έξείργειν "Ελληνες, έκβάλλειν κοινόν).

Adam Μ a i d h o f , Zur Begriffsbestimmung der Koine (d. h. zur Bestimmung des Begriffs „Koine"!) bes. auf Grund des Atti-zisten Moiris, Würzburg 1912 (Beiträge zur historischen Syntax von Μ. v. Schanz 20).

7. Έλληνίζειν (έλληνισμός, έλληνιστί) heißt zunächst allge-mein „sich griechisch benehmen (in Sitte und Sprache)"; aber schon bei Aristoteles und den Peripatetikern ist die Forderung des έλληνίζειν im besondern von der Sprache gemeint, und die sprachlich stark interessierten Stoiker suchten den έλληνισμός „das gute, richtige Griechisch" als Normalsprache im Gegensatz zum σολοικισμός und βαρβαρισμός, dem das Griechische bei seinem Vordringen im Osten in besonders hohem Grad ausge-setzt war. So wird έλληνισμός die griechische Weltsprache. Aber der Attizismus verbindet auch damit eine Abwertung, so daß έλληνίζειν, έλληνισμός in seinem Sinn bedeutet: „sich aus-drücken, wie es die ganze griechische Welt tut, nicht wie es die nachzuahmenden alten Athener taten". Auf diesen Sprachgebrauch zurückgreifend, hat Joh. Gust. D r o y s e n Sprache und Kultur des makedonisch-griechischen Weltreichs „hellenistisch" genannt (Geschichte des Hellenismus I, Hamburg 1836, p. VI = 2. Aufl. I, Gotha 1877, p. X).

J. J ü t h n e r , Hellenen und Barbaren (Das Erbe der Alten VIII , Leipzig 1923), S. 39—43. 132 und Gött. Gel. Anzeigen 1926, S. 77—80; R. L a q u e u r , Hellenismus (Schriften der hess. Hochschulen, Univ. Gießen 1924, 1), S. 22—27; W. O 11 ο , Kulturgeschichte des Altertums, Ein überblick über neue Er-scheinungen, München 1925.

8. Heute werden gewöhnlich die Ausdrücke „Koine" (κοινή) und „hellenistische Sprache" in gleichem Sinn gebraucht (die

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Quellen 11

frühere Beschränkung des Wortes Koine auf die gebildete oder schriftliche Umgangssprache ist willkürlich). Das bedeutet keine Verwischung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Schich-ten der hellenistischen Sprache: Die g e s p r o c h e n e Koine ist uns nirgends rein erhalten; auch der vulgärste Papyrus unterliegt dodi irgendwie der Normalisierung durch die Niederschrift. Jedoch im Vergleich zu einem künstlichen Literaturwerk, das attisch sein will und nur aus Versehen Spuren der zeitgenössi-schen Volkssprache an sich trägt, ist ein ungezwungener Privat-brief auf Papyrus doch soviel wie gesprochene Koine. Man wird also weiterhin für alle Schichten der hell. Sprache: für die vulgäre, die höhere (amtliche und literarische) und die attizistisch gefärbte, den Ausdruck Koine verwenden dürfen. (Über eine andere Ver-wendung des Ausdrucks „hell. Sprache" s. § 147.)

9. Die Bezeichnung „nachklassisches Griechisch" ist umfassen-der: sie gilt für die ganze Zeit von der klassischen bis heute, schließt also auch die „mittelgriechische" Sprache (etwa 550 bis 1453p) und die „neugriechische" in sich, die in direkter Weiter-entwicklung das hell. Griechisch fortsetzen. In unserer Darstel-lung wird das Hauptgewicht auf die hell. Sprache gelegt, aber die Fortsetzung der einzelnen hell. Spracherscheinungen womöglich jeweils bis ins Ngr. verfolgt (vgl. § 152 f.).

Erster Hauptteil

Grundfragen des nachklassischen Griechisch

1. Quellen

a) I n s c h r i f t e n , P a p y r i , O s t r a k a

10. Der besondere Wert der I n s c h r i f t e n für das Studium der Koine liegt darin, daß sie in sehr großer Zahl in allen Teilen der erweiterten griechischen Welt erhalten sind und sich über den ganzen hell. Zeitraum erstrecken. Mit den Papyri (§ 12—14) tei-

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12 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

len sie den Vorzug, authentische Zeugnisse ihrer Zeit und den entstellenden Einflüssen der handschriftlichen Überlieferung ent-zogen zu sein. Für die verschiedenen Arten der Inschriften und ihren Wert für die Kenntnis der Volkssprache gelten die Ausfüh-rungen in Band I § 71 und 75—82.

11. Die Inschriften hat zur Erforschung der Koine zuerst W a l c h (s. § 3) herangezogen, dann M. L e t r o n n e , Recher-ches pour servir à l'histoire de l'Égypte, Paris 1823 (S. 356 f.: βασιλισταί einer ägyptischen Inschrift [jetzt OGI Nr. 130, 6; IIa2/2] mit den βασιλικοί von Polyb IV 72, 2; VIII 12, 10 ver-glichen, S. 488 Pol. XXXI 27, 6 Συμπέτησις mit inschriftlichem Πέτησις [a.a.O. ZI. 28; Papyri oft] und Σεμπετόσιρις); weiter W. J e r u s a l e m , Die Inschrift von Sestos und Polybios, Wie-ner. Studien I (1879), S. 32—58 (S. 45—58: der Arkadier Polyb und die Inschrift von Sestos am Hellespont [jetzt OGI Nr. 339; 133—120a] sind in der Hauptsache beide Vertreter einer geläuter-ten frühhellenistischen Schriftsprache, die vom räumlichen Ab-stand unabhängig ist); O. G l a s e r , De ratione quae intercedit inter sermonem Polybii et eum qui in titulis saeculorum III. II. I. apparet (Diss. Gießen 1894), und andere.

Sonstige Literatur: S c h w y z e r , Gramm. I 116f.; dazu K. M e i s t e r h a n s , Grammatik der attischen Inschriften, 3. Aufl. von Ed. S c h w y z e r , Berlin 1900; W. L a d e m a n n , De titulis Atticis quaestiones orthographicae et grammaticae, Basler Diss., Kirchhain 1915; S c h l a g e t e r (s. §41); V i e r e c k (s. § 141); J. R o u f f i a c , Recherches sur les caractères du grec dans le N. T. d'après les inscriptions de Priène, Paris 1911 (Bibl. de l'École des Hautes-Études, Sciences rei. 24, 2); R. H e 1 b i n g , Auswahl aus griechischen Inschriften, Berlin-Leipzig 1915 (Samm-lung Göschen Nr. 757); B. B o n d e s s o n , De sonis et formis titulorum Milesiorum Didymaeorumque, Diss. Lund 1936.

12. Viel wichtiger als die Inschriften sind die P a p y r i . Ihre Erforschung und Verwertung hat sich aus unscheinbaren Anfän-gen am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer besonderen Wissen-schaft ausgewachsen, in der sich Kultur-, Wirtschafts-, Verwal-tungs-, Rechts-, Literatur- und Sprachgeschichte sowie Handschrif-tenkunde, Theologie und Medizin die Hände reichen. Der Koine-forschung haben die Papyri recht eigentlich den Aufschwung

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Quellen 13

ermöglicht, und heute sind sie eine Hauptquelle für unsre Kennt-nis der hell. Sprache. Das entscheidend Neue, das sie brachten, war die ungeheure Zahl von volkstümlichen Sprachäußerungen. Zwar haben die zahlreichen literarischen Papyri, da sie überwie-gend klassische und noch ältere Autoren enthalten, für den Koine-forscher fast nur orthographisches Interesse. Audi steht eine Menge von amtlichen und halbamtlichen Papyrusurkunden in der stilistischen Sorgfalt mit den offiziellen Inschriften auf e i n e r Stufe. Aber von da aus steigen wir immer tiefer in die einfachen und einfachsten Schichten der Bevölkerung hinunter, wo der schriftliche Ausdruck der vulgärsten g e s p r o c h e n e n Sprache recht nahe kommt, ja wo manchmal selbst das Streben nach ele-mentarer schulmäßiger Sprachrichtigkeit kläglich scheitert. (Uber das Griechisch Fremdsprachiger s. § 127 ff.). Vor den Inschriften haben deshalb die Papyri auch das voraus, daß sich in ihnen die Veränderungen der Sprache schneller ankündigen und stärker durchsetzen. So bieten sie, da sie sehr oft aufs Jahr, ja auf den Tag datiert und die nichtdatierten meistens dem Schriftcharakter nach wenigstens auf das Jahrhundert datierbar sind, die Möglich-keit, die einzelnen Spracherscheinungen zeitlich festzulegen und damit auch sehr oft zu entscheiden, was bei einem bestimmten literarisch überlieferten Schriftsteller einer bestimmten Zeit sprachlich möglich ist.

13. Die Unterschiede in den privaten Papyri sind sehr groß; ζ. B. ist der Schriftwechsel der Bürgerfamilie des Architekten Kleon (St. W i t k o w s k i , Epistulae privatae Graecae, 2. Aufl. , Leipzig 1911, Nr. 1—10; I I I a m ) in korrektem Griechisch abge-faßt, während der Brief des Hilarión an seine Frau Alis (ebenda Nr. 72; I a ) und der des ungezogenen Jungen Theon an seinen gleichnamigen Vater (Pap. Oxyrh. I Nr. 119; I I / I I IP ) von ele-mentaren Fehlern strotzen: im ersteren finden sich Άπολλωνάριν als Dativ, έπιμελεϊσ-θαι mit Dativ, άποστελώ σε (für σοι), αρσενον für αρσεν, μή με έπιλάθης und σε έπιλαθεϊν (statt des Deponens), ερωτώ ίνα „oro ut " , έάν mit ε'ισπορεύονται und ήν statt mit -ωντοα und η ; im zweiten ζ. Β. έποίησες ^zweimal) und επλευσες für -σας, μετ' έσοΰ (zweimal) für μετά σου, ίι ιγένω

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14 Grundfragen des nachklassischen Griediisdi

(χαίρω) σε für ύγιαίνειν (χαίρει/ν) σε λέγω, λυπόν für λοιπόν, άnò Θεωνάτος υίω für υ'ιοΰ.

14. Die Anfänge der Papyrologie reichen ins 18. Jahrhundert zurück. Die am frühesten zur Kenntnis abendländischer Gelehrter gekommenen Papyri sind zwar die schon 1591 von dem Theologen Joh. Jak. Grynaeus (1540—1617) der Basler Universitätsbiblio-thek geschenkten (ein nicht identifiziertes griechisch-christliches Fragment in Spiegelschrift und zwei lateinische Fragmente); aber sie sind erst 1917 an die Öffentlichkeit getreten (E. R a b e l und W. S c h u b a r t , Abh. der Gött. Ges. d. Wiss., phil.-hist. Kl. XVII 3, Berlin 1917, S. 1. 7—11). Die lange Reihe der Papyrus-publikationen beginnt mit der Charta papyracea graece scripta Musei Borgiani von Nikolaus S c h o w (Rom 1788), und heute bilden die Papyri dank vorbildlichen Ausgaben und Verarbeitun-gen und dank der ebenso vorbildlichen internationalen Zusam-menarbeit der Papyrologen eines der wichtigsten und besten Ar-beitsinstrumente der Koineforschung. Die Fundstellen sind fast ausschließlich die trockenen Schutthügel und Kehrichthaufen Ägyptens; der einzige große Fund außerhalb Ägyptens (die seit 1752 ausgegrabenen und seit 1793 publizierten umfangreichen Papyri von Herculaneum: „Volumina Herculanensia"), besteht aus lauter literarischen Texten, vor allem von Werken des Epi-kureers P h i l o d e m , sind also für die Sprachwissenschaft von geringerer Bedeutung.

Literatur: W. S c h u b a r t , Einführung in die Papyruskunde, Berlin 1918 (S. 184—225: Die Sprache der Papyri); V. P e r e -m a n s en J. V e r g o t e , Papyrologisch Handboek, Löwen 1942 (Philol. Studiën, Texten en Verhandelingen II 1); H. M e t z -g e r , Wege und Probleme der Papyrusforschung, Schweizer Bei-träge zur allg. Geschichte 6 (1948), S. 188—200; L. M i t t e i s und U. W i l c k e n , Grundzüge und Chrestomathie der Papy-ruskunde, I 1. 2 (von U. W.), II 1. 2 (von L. M.), Leipzig und Berlin 1912; W i t k o w s k i (s. §13); B. O l s s o n , Papyrus-briefe aus der frühesten Römerzeit, Diss. Uppsala 1925; G. G h e -d i η i , Lettere cristiane dai papiri greci del I I I e IV secolo, Mailand 1923; E. M a y s e r , Grammatik der griech. Papyri aus

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Quellen 15

der Ptolemäerzeit, Bd. I I I 1. 2. 3, Berlin und Leipzig 1906—1934 (Bd. I 2. 3 in 2. Aufl., 1938. 1936); St. G. K a p s o m e n a k i s ( = Kapsomenos), Voruntersuchungen zu einer Grammatik der Papyri der nachchristlichen Zeit, München 1938 (Münchener Bei-träge zur Papyrusforschung 28) ; L. R. Ρ a 1 m e r , A Grammar of the Post-Ptolemaic Papyri, vol. I 1 (The Suffixes), London 1946 (Publications of the Philol. Soc. 13); Η. Ζ i 11 i a c u s , Zur Sprache griechischer Familienbriefe des 3. Jh. n. Chr. (P. Michigan 214—221), Helsingfors und Leipzig 1943 (Soc. Scient. Fenn., Commentationes hum. litt. 13, 3); Fr. P r e i s i g k e , Wörter-buch der griech. Papyrusurkunden mit Einschluß der griech. In-schriften, Aufschriften, Ostraka, Mumienschilder usw. aus Ägyp-ten,' hrsg. von Ε. Κ i e ß 1 i η g , 3 Bände, Berlin 1925. 1927. 1931.

15. Wer sich keinen Papyrus leisten konnte oder wollte, be-gnügte sich damit, seinen Brief, seine Quittung, seinen Bibel-spruch usw. auf eine weggeworfene Tonscherbe zu schreiben. Solche „ O s t r a k a " wurden früher verächtlich übersehen, da sie wegen ihrer Kleinheit, ihres fragmentarischen Charakters und ihrer oft äußerst schwer lesbaren Schrift nichts Verlockendes hat-ten. Erst die glänzende Entzifferung, Herausgabe und Bespre-chung von 1624 solchen Scherben durch U. W i 1 c k e η hat diese Art vulgärer Überlieferung zugänglich gemacht. Seither sind wei-tere Tausende nach Europa und Amerika gewandert, aber zum größten Teil noch nicht veröffentlicht. Die Ostraka ergänzen die Papyri nach dem Extremvulgären hin. Was an beschriebenen Holz-und Wachstafeln u. dgl. erhalten ist, fällt neben den Papyri und Ostraka wenig ins Gewicht.

U. W i 1 c k e η , Griechische Ostraka aus Ägypten und Nubien, 2 Bände, Leipzig 1899. Weiteres bei E. Z i e b a r t h , Realency-clopädie d. kl. Altertumswiss. XVIII 2 (Stuttgart 1942) Sp. 1685 bis 1687.

b) G r a m m a t i s c h e u n d l e x i k a l i s c h e L i t e r a t u r

16. Was wir aus dem Altertum an grammatischer und lexikali-scher Literatur über die Koine besitzen, verdanken wir dem Atti-zismus (s. § 1 und 154 ff.). Diese Belehrung kommt vorwiegend

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16 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

dem Wortschatz zugute: Für die „richtige" attische Formenbil-dung konnte — wie heute etwa für das gute Deutsch — der Schulunterricht einigermaßen bürgen; es genügte dazu in der Hauptsache die Einprägung der Schulgrammatik; die Lautgebung konnte — wie heute bei uns — vernachlässigt werden, solange man ihr dasselbe Schriftbild unterlegen konnte. Dagegen erfor-derte das Eindringen von Wörtern, Wendungen und syntakti-schen Fügungen der ungezwungenen Umgangssprache in die Hochsprache einen dauernden und mit der Weiterentwicklung der Volkssprache immer energischeren Verzweiflungskampf! Die Ge-genströmung, der „Antiattizismus", gibt sich zwar oft den An-schein grundsätzlicher Opposition gegen den Attizismus, richtet sich aber in Wirklichkeit nur gegen die allzu starke Einengung des Kreises der Musterattiker.

17. Das wichtigste attizistische Lexikon ist für uns die Εκλογή ρημάτων και ονομάτων 'Αττικών des „Sophisten" (d. h. Vor-tragskünstlets und Redetheoretikers) P h r y n i c h o s , der unter Marc Aurel und Commodus lebte. Der Wert dieser extrem attizistischen Schrift liegt in ihrem verhältnismäßig großen Um-fang, in der Ausführlichkeit mancher Artikel und in den häufigen Notizen über das Vorkommen der bekämpften Wörter bei Schrift-stellern (Proben s. § 159).

Ausgaben von L o b e c k (s. § 4) und von W. G. R u t h e r -f o r d , The New Phrynichus, London 1881 (s. auch Bd. I § 175).

18. In knappster Form sind die Λέξεις Άττικαί des Μ o i r i s (Μοΐρις) gehalten (Proben s. § 159); ihre Entstehungszeit ist unbekannt. Dagegen sind die 'Ονομάτων 'Αττικών έκλογαί des T h o m a s M a g i s t e r (13./14.Jahrhundert) von echt byzan-tinischem Wortreichtum, aber für uns wichtig wegen der Auszüge aus verlorenen älteren Lexika. Reste eines im I I I P geschriebenen Traktats über Attizismen und Hellenismen sind in den Oxyrhyn-chus Papyri (Bd. VII Nr. 1012) herausgegeben. Von antiattizisti-schen Lexika ist nur ein glossenartig knapper Άντιαττικιστής

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Quellen 17

auf uns gekommen (Proben s. § 159); er ist mit Phrynichos gleich-zeitig.

H. E r b s e , Untersuchungen zu den attizistischen Lexika. (Abh. Beri. Ak. 1949, 2 [1950]; S. 93—221 Aelü Dionysii et Pausaniae atticistarum fragmenta.)

Ausgaben: Harpocration et Moeris ex ree. Immanuelis B e k -k e r i , Berlin 1833 ; Thomae Magistri écloga, ed Fr. R i t s c h e 1, Halle 1832; Antiatticista hrsg. von Imm. Β e k k e r , Anecdota Graeca I (Berlin 1914), S. 75—116.

19. Einige der erhaltenen Sammlungen lateinischer G l o s s e n haben einen griechischen Paralleltext, der entsprechend der spä-ten Abfassungszeit und dem Ziel der Allgemeinverständlichkeit mehr oder weniger vulgär-hellenistisch ist. Die zweisprachigen C o l l o q u i a (Ερμηνεύματα) wollen dem Fremdsprachigen, namentlich dem Orientalen, den Weg zur sprachlichen Verständi-gung im Gebiet der griechisch-lateinischen Reichsverwaltung er-öffnen, halten sich daher an die Sprache des täglichen Lebens.

Griechisch-lateinische Glossarien: Corpus glossariorum Latino-rum, edd. G. L o e w e et G. G o e t ζ , Bd. I I u. I I I , Leipzig 1888. 1892 (der 7. Band [1901] enthält einen vollständigen griech. Index von W. H e r a e u s : S. 439—687); Colloquia in Band I I I des gleichen Corpus S. 635—659).

20. Proben aus griechisch-lateinischen Glossarien und Colloquia des genannten Corpus: I I 165, 58 quae ο'ία. ποία. και ητις

171,38 relinquit καταλιμπάνει 273,55 διαρήσσω dir(r)umpo perrumpo corrumpo 345, 21 κατέαγμα jragmentum 389, 26 οϋθέν nil nihil

27 οϋθέτερον neutrum 526, 39 jugum. zogus (d. h. ζυγός) 529, 8 beneficium. eypyla (d. h. εϋπυΐα = εύποιΐα)

I I I 652, 11 ff. (Auswahl): Δότε ώδε θρόνους, Date hic cathedras, δίφρους, βάϋρον, sellas, scamnum, δίεδρον, προσκεφάλαιον. bisellium, cervicale. Καϋέζου. Κάθημαι. Tí στήκεις; Sede. Sedeo. Quid stas? Πλΰνον ποτήριν . . . Lava calicem . . .

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18 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

Βάλε νερόν. Πρόσθες ακρατον. Mitte recentem. Adice meruni. Tí στήκετε; Καθέζεσθε . . . Quid stalls'? Sedete .. . Ίδέ , εί εχεις πεπεράτον. Vide, si habes piperatum. Von den obigen Wörtern und Formen gehören der Koine an

ητις = η, -λιμπάνω = -λείπω, ρήσσω -— ρήγνυμι, κατέαγμα (mit verschlepptem Augment wie N .T . κατεάξει, κατεαγωσιν), ούθέν ον&έτερον (s. § 109), ζυγός = ζυγόν, υ für οι in ευπυΐα (s. § 163), ώδε „hier(her)", δίεδρον = bisellium „zweisitziger, breiter Ehrenstuhl", στήκω = εστηκα, -ιν = -ιον, βάλλειν „ein-gießen", νερόν (aus νεαρόν νηρόν) „frisches (Wasser)" (ngr. νερό „Wasser"), πεπεράτον aus dem lat. (vìnum) piperatum „gepfef-ferter Wein" (s. § 145).

c) S o n s t i g e L i t e r a t u r

21. Angesichts der großen Zahl hellenistischer Schriftsteller ist es hier unmöglich, alle auch nur zu nennen; es können nur die sprachgeschichtlich wichtigsten herausgehoben werden.

Über attische Vorläufer der Koine s. § 96 f., über die jüdische und christliche Literatur § 148, über die attizistische § 157, über die hellenistische Poesie § 110—113.

22. Unter den P h i l o s o p h e n steht A r i s t o t e l e s (384 bis 322a) als Vertreter einer von der attischen Literatursprache noch nicht allzuweit entfernten frühen literarischen Koine am Anfang. Die sprachlichen Nachlässigkeiten der uns erhaltenen Schriften sind wohl mehr seinen Schülern zuzuschreiben, die seine Manuskripte oder ihre Kollegnachschriften bearbeiteten und herausgaben. Die begeisterten Worte antiker Autoren über sei-nen Stil (z.B. Cicero Acad. I I 119 flumen orationis aureum fun-dens) beziehen sich vielleicht eher auf die uns verlorenen mehr populären Schriften; unter den erhaltenen treffen sie nur für die durch einen Papyrusfund gerettete 'Αθηναίων πολιτεία zu, die als Literaturbuch attisch sein will.

Literatur: G. Κ a i b e 1 , Stil und Text der Πολ. Άί>. des Aristoteles (Berlin 1893), S. 1—111 (S. 63: „einige schwache Spu-ren der beginnenden κοινή"), dazu H. D i e 1 s , Gött. Gel. Anz.

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Quellen 19

1894, S. 293—307; Η. Β ο η i t ζ , Index Aristotelicus (ΒΛ. V der Aristotelesausgabe der Berliner Akademie, Berlin 1870).

23. Der Volkssprache näher steht die Popularphilosophie. C h r y s i p p (III a) und E p i k u r (341—270) wurden ihrer Sprache wegen von den Attizisten getadelt. Besonders volkstüm-lich sind die Straßenpredigten (διατριβαί) des freigelassenen Sklaven E p i k t e t (etwa 60—140P) aus dem pbrygischen Hie-rapolis, die wir in der getreuen Nachschrift seines Schülers Flavius A r r i a η u s besitzen; sie sind dank ihrer Ungezwungenheit und ihrem Umfang neben den Papyri und der griechischen Bibel das wichtigste Dokument der vulgären Koine. Inhaltlich und sprach-lich ihnen verwandt ist das Selbstgespräch (Είς εαυτόν) des M a r c u s A u r e l i u s (121—180P); nur macht sich die soziale und bildungsmäßige Überlegenheit des Philosophen auf dem Kaiserthron auch in der viel stärker attischen Abtönung der Sprache geltend.

Literatur: P. M e l c h e r , De sermone Epicteteo quibus rebus ab Attica regula discedat, Diss. Halle 1906 (Dissertationes philol. Haienses XVII l ) ; ausführlicher Wortindex in der Edilio maior des Ep. von H. S c h e n k l (2. Aufl. Leipzig-Berlin 1916); R. S c h e k i r a , De imp. M. Aurelii Antonini librorum τά ε ί ; ¿αυτόν sermone quaestiones philosophicae et grammaticae, Diss. Greifswald 1919; G. G h e d i n i , La lingua Greca di Marco Aurelio Antonino, I: Fonetica e morfologia, Mailand [1926].

24. Der hell. Zeit gehört auch der pseudoplatonische Dialog Άξίοχος an.

M. M e i s t e r , De Axiocho dialogo, Diss. Breslau 1915 (über die Sprache S. 24—65; S. 29: scriptus certe ab homine modice erudito, in Piatonis scriptis fortasse non medtocriier versato, tarnen non pauca κοινής dialect i, quin etiam ser monis cotidiani praebet vestigia.

25. An die Philosophen mag sich der Astrologe V e 11 i u s V a l e n s (II oder III'1) anschließen, der erst durch die Ausgabe von W. K r o l l (Berlin 1908; mit 2 Wortregistern) zugänglich

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20 Grundfragen des nadiklassisdien Griechisch

geworden ist. Abgesehen von den vielen Dunkelheiten, die der Stofl mit sich bringt, zeigt er eine ziemlich vulgäre Koine, die ihrem Charakter nach der Sprache des N. T., insbesondere des Paulus, sehr nahe steht.

W. W a r η i η g , De Vettii Valentis sermone, Diss. Münster, Anklam 1909.

26. Unter den H i s t o r i k e r n war von jeher P o l y b i o s (etwa 201—120a) der Liebling der Erforscher der Literarkoine. Zu der hohen Schätzung, die er als Historiker genoß, kam hinzu, daß er sprachlich der klassischen Grammatik noch nahe genug stand, um vor der frühern Mißachtung des Nachklassischen ge-schützt zu sein, aber doch namentlich in der Wortwahl und Phraseologie durch allerlei Abweichungen vom Klassischen auf-fiel. Insbesondere wurde man bald auf die handgreifliche Ähn-lichkeit seiner Sprache mit der der gleichzeitigen offiziellen In-schriften aufmerksam; man erkannte so eine kanzleimäßig ge-hobene Sprache jener Zeit als gemeinsame Grundlage (s. § 11)-Dazu passen die charakteristischen Züge: der beabsichtigte An-schluß an die attische Grammatik (z. B. im Gebrauch der Tem-pora und des Optativs) und die Abstraktheit und Gewundenheit des Stils. Auch die systematische Vermeidung des Hiats, die auf die Wahl der Wörter und Formen und auf die Wortstellung einen tiefgreifenden Einfluß ausübt, verrät bei Polyb das Korrektheits-bestreben einer mit der Schule verbündeten Schicht von Gebilde-ten und Beamten, ein Bestreben, das die „asianische" Über-schwenglidikeit ebenso zu meiden sucht wie die Schmucklosigkeit der „Attiker" und die künstliche Anlehnung an attische Vorbil-der. Polyb selber äußert sich über sein Stilideal folgendermaßen: εγώ δέ φημι μέν δείν πρόνοιαν ποιείσβαι και σπουδάζειν ύπέρ του δεόντως έξαγγέλλειν τάς πράξεις . . . ού μην ήγεμονι-κώτα-τόν ye και πρώτον αυτό παρά τοις μετρίοις άνδράσι τίΰεσθαι (XVI 17, 10) „Ich meine, man solle sich zwar eifrig bemühen, die Geschehnisse in geeigneter Form mitzuteilen, aber dies bei Man-

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Quellen 21

nern maßvollen Verhaltens nicht als das Wichtigste und Erste ansehen"

Literatur (eine Gesamtdarstellung der Sprache Polybs wäre ein dringendes Erfordernis; aus der großen Zahl von Spezialarbeiten werden hier nur einige wenige erwähnt): Lexicon Polybianum im 2 . T e i l des 8 .Bandes der Ausgabe von Joh. S c h w e i g h ä u s e r (Leipzig 1795) ; Th. B ü t t n e r - W o b s t , Beiträge zu Pol. I : Allg. Vorbemerkungen, I I 1. 2 : Der Hiat bei καί und ή (Fleck-eisens Jahrbücher f. class. Phil. 129, 1884 , S. 1 1 1 — 1 2 2 ; 139, 1889, S. 6 7 1 — 6 9 2 ; 141, 1890, S. 8 3 3 — 8 4 8 ) ; Fr . H u l t s c h , Die erzählenden Zeitformen bei Pol. (Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 13, 1 8 9 1 / 2 , S. 1 — 2 1 0 . 3 4 7 — 4 6 8 ; 14, 1893, S. 1 bis 100) ; K. R e i k , Der Optativ bei Pol. und Philo von Alexandria, Leipzig 1907 ; H . F . A l l e n , The infinitive in Pol. compared with the inf. in biblical Greek, Chicago 1 9 0 7 ; A. S c h o y , De perfecti usu Polybiano, Diss. Bonn 1913 ; G . L i m b e r g e r , Die Nominalbildung bei Pol., Stuttgart 1923.

27. D i o d o r von Sizilien ( I a ) ist für die Koine weniger er-giebig wegen seiner exzerpierenden Arbeitsweise und der schlech-ten Erhaltung seines Geschichtswerks. Die verbindenden Stücke zwischen den Exzerpten stehen sprachlich im Ganzen auf der Stufe Polybs; nur verrät sich der beginnende Attizismus da und dort, z. B. in der Vorliebe für den Optativ (s. § 195) . P l u t a r c h von Chaironeia etwa 46—120P ) dagegen sucht die Sprachrichtig-keit nur in der Einfachheit und Deutlichkeit und verhält sich ablehnend gegen die stilistischen Regenerationsbestrebungen der Rhetorik wie gegen die wachsenden Forderungen des Attizismus; erst in den spätem Schriften nähert er sich vielleicht dem eigent-lichen Attizismus.

Literatur: Diodor: Index phrasium et vocum praecipuarum im 2. Band der Ausgabe von P . W e s s e l i n g (Amsterdam 1746) , abgedruckt im 11. Band der Bipontina (Straßburg 1807) , S. 2 3 5 bis 4 5 0 ; R. K a ρ f f , Der Gebrauch des Optativs bei Diod. Sic., Diss. Tübingen 1913.

Plutarch: D. W y t t e n b a c h , Index Graecitatis in Plutarchi opera (Oxford 1829) ; dasselbe als Lexicon Plutarcheum (Leipzig 1843) ; A. H e i n , De optativi apud Plut, usu, Diss. Breslau

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22 Grundfragen des nachklassisdien Griechisch

1914; O. G ö 1 d i , Plutarchs sprachliche Interessen, Diss. Zürich 1922.

28. Eine reiche Ausbeute für die Koine verspricht der Alexan-derroman des P s e u d o - K a l l i s t h e n e s . Aber nur die älteste Rezension (etwa III«*) ist kritisch herausgegeben: Historia Alexandri Magni (Pseudo-Callisthenes), vol. I Recensio vetusta, ed. Gu. K r o l l , Berlin 1926.

Literatur: K. W y s s , Untersuchungen zur Sprache des Alexan-derromans von Pseudo-Kall. (Laut- und Formenlehre des Codex A), Diss. Bern 1942.

29. Von späten Historikern sei nur Johannes M a 1 a 1 a s (VIp) genannt als Vertreter der volkstümlichen frühbyzantinischen Grä-zität.

Literatur: K. W o l f , Zur Sprache des Malalas, I. Formen-lehre, Progr. München 1910/11; I I . Syntax, Diss, und Progr. Mündien 1911/12. Wichtig St. B. P s a l t e s , Grammatik der byzantinischen Chroniken, Göttingen 1913 (Forschungen zur griech. und lat. Gramm., 2. Heft).

30. Ganz für sich steht der sehr vulgäre Φιλόγελως έκ των Ίεροκλέους και Φιλαγρίου γραμματικών, eine Sammlung von Kalauern, die sicher aus verschiedenen Zeiten stammen (die jetzt vorliegende Sammlung und Redaktion etwa aus dem IVP). Eben-so unliterarisch ist die Sammlung „ a e s o p i s c h e r " Fabeln; sie liegt in verschiedenen Rezensionen vor, je einer vulgärsprach-lichen aus dem IV. oder V. und aus dem IX. Jahrhundert und einer attizisierenden aus dem VI. oder VII .

Literatur: Ausgabe des Philogelos von A. E b e r h a r d (Ber-lin 1869) mit Erörterungen über die Sprache; Corpus fabularum Aesopicarum, hrsg. von A. H a u s r a t h , I I , Leipzig 1940; U. U r s i η g , Studien zur griechischen Fabel, Diss. Lund 1930; Fr. R. A d r a d o s , Estudios sobre el léxico de las fábulas esó-picas (en torno a los problemas de la koiné literaria), Salamanca 1948 (dazu A. De b r u η η e r , Gnomon 22, 1950, S. 78—80).

31. Schriften über M e c h a n i k , und M a t h e m a t i k pfle-gen sich einer sachlichen, unliterarischen Sprache zu bedienen. So

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Quellen 23

ist P h i l o n v o n B y z a n z (II I a?) , der Verfasser eines um-fangreichen, aber nur zum Teil erhaltenen Werks über Mechanik (Μηχανική σύνταξις), wahrscheinlich der älteste erhaltene echte Koineautor. Er war früher bei den Grammatikern ganz unbe-achtet geblieben, ist aber jetzt durch neuere Arbeiten zu einem der wichtigsten und bestbekannten unter den älteren Profan-autoren der vulgären Koine geworden. Auch A r c h i m e d e s (287 bis 212a) gehört der Koine an. Ganz in Koine geschrieben ist seine Jugendschrift Περί των μηχανικών θεωρημάτων προς Έρατοσθένην έφοδος („Beweisführung, Methode"), die erst 1907 aus einem Jerusalemer Palimpsest bekannt geworden ist. Die übrigen Schriften hatten einen dorischen Firnis; in den bei-den am meisten gelesenen Werken (Περί σφαίρας και κυλίνδρου und Κύκλου μέτρησις) ist dieser ganz verwischt, in den andern ziemlich gut erhalten. Auch der Mechaniker H e r o n von Alex-andr i a (IIP??), von dem mehrere Werke erhalten sind, schreibt klar und nüchtern, weil er leicht verständlich sein will (εύακολού-ϋητον Belopoiika, Abh. der Beri. Ak. 1918, 2 S. 6. 27 f.).

Literatur: Philonis mechanicae syntaxis libri quartus et quintus ree. R. S c h ö n e , Berlin 1893; M. A r n i m , De Philonis Byzantii dicendi genere, Diss. Greifswald 1912; Index verborum a Philone Byzantio in mechanicae syntaxis libris quarto quintoque adhibitorum, comp. M. A r n i m , Leipzig 1927. •—J. L. Η e i -b e r g , Über den Dialekt des Archimedes (Fleckeisens Jahr-bücher Suppl. 13, 1884, S. 542—566); A. T h u m b - E . K i e k -k e r s , Handbuch der griech. Dialekte, I, 2. Aufl. S. 209 f. — Ausgabe des Hero von W . S c h m i d t u. a. in 5 Bänden, Leipzig 1899—1914, mit griechischen Wortregistern.

d) D a s N e u g r i e c h i s c h e

32. Manche Sprachentwicklungen, die in der Koine nodi spär-lich auftreten, erweisen sich durch ihre Auswirkungen im Ngr. als erste Anfänge einer weitreichenden Umgestaltung, so z. B. die Erweiterung des Akk. Sg. auf -α durch -v zu -αν (§ 174), das Ein-dringen der Endung -ες des Nom. Pl. in den Akk. PI. (§ 93), die

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24 Grundfragen des nachklassischen Criechisch

Vermischung der Verba auf -άω und -έω (§ 180), der Ersatz des -ov der 1. Sg. und 3. PI. des thematischen Aorists durch -α bzw. -αν (§ 179). Auch ergibt die ngr. Bedeutung der alten Wörter da und dort eine Möglichkeit der Anwendung auf Koinewörter; ζ. Β. ασφαλίζω „sichere, verwahre; schließe ein" — ngr. σφάλω σφαλίζω „schließe"; ό βουνός für το ορος — ngr. τό βουνό (βουνί) „der Berg" ; έκβάλλίο „nehme heraus" wie ngr. βγάλλω (aus *[έ]γβάλλα>); έντρέπομαι έντροπή für αίδοϋμαι αΙδώς und α'ισχύνομαι αίσχΰνη wie ngr. ντρέπομαι ντροπή; τρώγω „knab-bere, esse" — ngr. „esse"; υπάγω „gehe (hin)" — ngr. πάγω πηγαίνω (Neubildungen aus agr. ύπήγον, hell, -γα) „gehe" ; χορτάζω für κορέννυμι — ngr. χορτάζω „sättige". Aus der Syn-tax vgl. den Nom. absolutus (§ 199). Doch ist mit direkten Rück-schlüssen vom Ngr. aus auf die Koine Vorsicht geboten.

Literatur: T h u m b , Hell. S. 17—27 und Neue Jahrb. f. d. klass. Alt. 17 (1906), S. 248—251; Ed. S c h w y z e r , Ngr. Syn-tax und altgriechische, ebd. 21 (1908), S. 498—507; weiteres bei A . D e b r u n n e r Burs. Jb. Bd. 240 S. 9. — N. P. A n d r i o -t i s , 'Ετυμολογικό λεξικό της κοινής νεοελληνικής, Athen 1951 (Collection de l'Institut Franç. d'Athènes 24). — Allzuweit gehende Schlüsse zieht Η. Ρ e r n o t (s. z. Β. A. D e b r u n n e r , Gnomon 4, 1928, S. 441—445). Α. Ρ a 11 i s (s. Τ h u in b a. a. O. S. 248) wollte die ngr. Bedeutung von βρώμα „Gestank, Schmutz" auch auf die Stelle Ν. T. Mc. 7, 19 (das Gegessene είς τον άφεδρώνα έκπορεΰεται, καϋαρίζων πάντα τά βρώματα) anwen-den; doch haben dagegen G. N. H a t z i d a k i s und R. M. D a w k i n s nachgewiesen, daß das ngr. ή βρόμα eine Rückbil-dung aus βρομώ „stinke" (zu βρόμος „Getöse; Gestank") ist und mit τό βρώμα nichts zu tun hat (s. B l a s s - D e b r u n n e r § 126, 3 Anhang).

2. Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache und ihre Verbreitung auf dem griechischen Gebiet

a) Ä l t e r e g r i e c h i s c h e G e m e i n s p r a c h e n

33. Das Bild der griechischen Sprache, das sich uns auf den ältesten Inschriften der verschiedenen Gegenden bietet, ist äußerst

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Die. Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 25

mannigfaltig und spiegelt die politisdi-wirtschaftlidi-kulturelle Sonderentwicklung der Stämme und Stammesteile getreulidi •voider, wie sie sich im wesentlichen aus der reichen geographischen Aufgliederung des Landes ergeben hatte. Der Differenzierung wirkte der politische Zusammenschluß einzelner Landschaften und das Bedürfnis nach einer gewissen Einheitlichkeit der s c h r i f t l i c h e n amtlichen Aufzeichnungen entgegen. So ent-spricht ζ. B. dem überlieferten frühen συνοικισμός in Attika die Tatsache, daß das Attische schon in den ältesten Dokumenten als einheitliche Sprache erscheint (die Unterschiede zwischen den Steininschriften einerseits, den Vasenaufschriften und Fluchtafeln andererseits sind sozialer, nicht landschaftlicher Natur; vgl. Band I § 75-78) .

34. Auf dem Hintergrund dieser mundartlichen Spaltung hebt es sich um so schärfer ab, wenn sich in der L i t e r a t u r für die verschiedenen Gattungen jeweils eine feste Tradition der sprach-lichen Form entwickelte, die über das ganze griechische Sprach-gebiet hin von den Dichtern und Schriftstellern befolgt und vom Publikum akzeptiert wurde. In diesem Sinn bedeutet der Anfang der griechischen Literatur, H o m e r , gewissermaßen ein Pro-gramm: die aus verschiedenen Dialekten gemischte Sprache der epischen Dichtung (vgl. Band I § 96—100), die allen späteren Epikern ohne Rücksicht auf ihren Heimatdialekt als Vorbild ge-dient und darüber hinaus auch die sonstige Dichtung mehr oder weniger stark beeinflußt hat. Auch die alte C h o r l y r i k hat eine Art Gemeinsprache herausgebildet, die sich nach der Litera-turgattung, nicht nach der Heimat des Dichters oder des Publi-kums richtet: Pindar schreibt nicht das Boiotische seiner von den übrigen Griechen geringgeschätzten Heimat, sondern das für die Chorlyrik verbindliche Gemisch von Homerisch, Aiolisch und Dorisch (s. Band I § 153—160). Auch die attischen Tragiker hal-ten wenigstens einige Dorismen in den Chorliedern neben der attisch-ionischen Färbung der Dialogpartien fest (s. Band I § 170 bis 173). Von der dorischen Gemeinsprache der Pythagoreer in

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26 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

Unteritalien wissen wir zu wenig, um uns eine Vorstellung davon machen zu können; sie war jedenfalls auf einen geographisch und sozial eng begrenzten Kreis beschränkt.

35. Die eigentliche L i t e r a t u r p r o s a ist eine Schöpfung der kleinasiatischen Ionier, daher in ionischem Dialekt gehalten (vgl. Band I § 206 fi.). Der Zufall will es, daß die beiden Hauptvertreter der alten ionischen Prosa aus dorischem Gebiet stammen: H e t o d o t aus Halikarnass, H i p p o k r a t e s von der Insel Kos; auch unter den ionisch schreibenden, uns nur durch Fragmente bekannten Logographen gibt es Nichtionier, so H e l l a n i k o s aus dem lesbisch-aiolischen Mytilene. Der Ein-fluß der ionischen Geschichtsprosa reicht sogar bis nach Sizilien: A n t i o c h o s aus dem dorischen Syrakus schrieb im 5. Jahrhun-dert seine sizilische Geschichte ionisch. Die einheitliche klein-asiatisch-ionische Literaturprosa empfahl sich dann auch als Amts-sprache in benachbarten nichtionischen Gemeinden: schon die mit Herodot gleichzeitigen Inschriften der dorischen Kolonie Halikar-nass sind ionisch.

36. So war das Ionische im 5. Jahrhundert auf dem besten Weg, allgemeine Sprache der Schriftprosa zu werden, jedenfalls im Osten. Dafür ist bezeichnend ein nach 494a geschriebener Brief des D a r i u s H y s t a s p i s an seinen Satrapen Gadatas (D i t -t e n b e r g e r 3 Nr. 22). Das zu vermutende aramäische Original (Aramäisch war damals die internationale Verkehrssprache im vor-deren Orient) schimmert noch durch in den artikellosen Wendun-gen (vgl. § 151) σήν πρόθεσιν Zeile 14, έμ βασιλέως οΐκωι 16 f., έμών προγόνων 26 f.; aber der ionische Charakter der griechi-schen Fassung ergibt sich aus πειθαρχεϊν „gehorchen" c. gen. 6 ff. und άτρέκεια „Wahrheit" 29. Die Bedeutung des Ioniertums im Osten wird auch dadurch schlagend bewiesen, daß einerseits die Griechen im Osten einfach „Ionier" heißen (persisch Y auna, in-disch Ύavana, im hebräischen Alten Testament Jävän), anderer-seits die Namen orientalischer Völker in ionischer Gestalt ins Griechische übergegangen sind (pers. Pärsa wird ion. *Πήρσης,

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 27

daraus Πέρσης; pers. Maia wird Μήδος, ind. Sindhu- wird über pers. Hindu- zu 'Ινδός, mit ionischem Verlust des anlautenden H ) .

37. Das Aufblühen Athens durch die politische und kulturelle Entwicklung des 5. Jahrhunderts bedeutet, vom Standpunkt der Literatursprache aus gesehen, einen hartnäckigen und schließlich siegreichen Kampf der attischen Mundart gegen die ionische Schriftsprache. Echt attisch war in Athen immer die politische und gerichtliche Beredsamkeit, weil dafür ein ionisches Vorbild fehlte und die Reden nur die Athener angingen; und die Komö-die war ihrer ganzen Eigenart nach ebenfalls nur für Athen be-stimmt (vgl. Band I § 221 f. und 189—205). Dagegen unterlag die Tragödie (abgesehen von den Dorismen der Chorpartien; § 34) dem Doppeleinfluß Homers und des ionischen Jambus (s. Band I § 162—182). Auch die geschichtliche Prosa Schloß sich anfänglich der ionischen an, so in der Übernahme des ionischen σσ (φυλάσσω = attisch φυλάττω; vgl. Band I § 180). Aber die Einführung des attischen ττ in die Literaturprosa, wie sie uns bei X e n o p h o n (trotz seiner langen Abwesenheit von Athen!), P i a t o n , L y -s i a s usw. entgegentritt, zeigt deutlich die Steigerung des Selbst-bewußtseins der Athener seit der Zeit um 400; sie waren jetzt offenbar sicher, auch über die Grenzen des Dialekts hinaus ge-lesen zu werden. Der Kampf zwischen der ionischen und der neu-entstandenen attischen Literaturprosa in Athen leitet schon zur Entstehung einer griechischen Gemeinsprache über.

b) V o r b e d i n g u n g e n d e r A u s b r e i t u n g d e s A t t i s c h e n a u f d e m g r i e c h i s c h e n G e b i e t

38. Ist es berechtigt, daß wir die hellenistische Gemeinsprache schlechtweg „die Koine" nennen, da es doch schon vorher meh-rere griechische Gemeinsprachen gegeben hat? Man wird die Frage unbedingt bejahen, wenn man sich den Gegensatz zwischen den sprachlichen Verhältnissen der griechischen Welt etwa um 400a und denen etwa um Christi Geburt vergegenwärtigt: dort

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28 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

auf einem geographisch beschränkten Raum eine starke mundart-liche Zersplitterung und mehrere Literatur- und Kanzleisprachen — hier neben einigen Dialektreservaten eine im ganzen einheit-liche Sprache um die ganze östliche Hälfte des Mittelmeers her-um, gleichermaßen gültig für das tägliche Gespräch, den Verkehr, die Kanzleien und die Prosaliteratur, nicht in Dialekte geschieden, sondern nur in Stilarten und Korrektheitsgrade je nach der Bil-dung des einzelnen und seinem Anspruch auf literarische Gel-tung. Diese durchgreifende Umgestaltung des sprachlichen Ge-samtbilds läuft parallel zu der politischen und kulturellen Neu-orientierung: dort der Bürger des selbständigen und selbstbewuß-ten Stadtstaates — hier das römische Weltreich, dessen politischer Mechanismus die Individuen, Städte und Landschaften zur Ein-flußlosigkeit verurteilt, im übrigen aber ihnen unbegrenzte Mög-lichkeiten der Wirkung offen läßt. Wie ist dieser Umschwung zustande gekommen, und wie steht die neue Weltsprache zu den alten Dialekten?

α) Politisch-historische Vorbedingungen

39. Den ersten Anstoß zur Bildung der Koine hat, wie sich M e i l l e t 3 S. 248 absichtlich paradox ausdrückt, die Gründung des persischen Achämenidenreichs (VIIa) gegeben. Das Vordrin-gen dieses Reichs an das Ägäische Meer und sein Versuch, auf die Balkanhalbinsel überzugreifen, führte den Griechen, namentlich denen in Kleinasien und auf den Inseln, mit unangenehmer Deut-lichkeit die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses vor Augen. Durch die Gründung des S e e b u n d s im Jahr 478/7 übernahm Athen an Stelle Spartas die Rolle des Führers in der gesamthelle-nischen Sache, und damit war eine Reihe enger Beziehungen gegeben, die auch die Sprache Athens in einen weiteren Kreis hinaustrugen. Anfänglich trafen sich die Bundesglieder haupt-sächlich bei den Bundesversammlungen im Apollonheiligtum auf Delos; allein der Vorort Athen gestaltete im Laufe der Fünfziger-und Vierzigerjahre den Bund zum Reich um. Nun mußten die

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 29

Bündner im attisdien Heer dienen, konnten sie viele Prozesse nur in Athen führen, wurden attische Besatzungen aus militärischen oder innenpolitischen Gründen in verschiedene Bundesstaaten,ge-legt; an manchen Orten gab es auch attische Zivilbeamte (έπίσκο-îtoi). Daneben ging eine eifrige kolonisatorische Tätigkeit von Athen aus: namentlich ärmere Bürger, deren Ernährung in der Hauptstadt mit ihrem wenig ertragreichen Hinterland Schwierig-keiten machte, erhielten an militärisch wichtigen Stellen Landlose (κλήροι), blieben aber rechtlich athenische Bürger. Solche Kolo-nien (κληρουχίαι) wurden ζ. B. am Hellespont, auf Naxos, Andros, Skyros, Lemnos und Imbros angelegt (ζ. T. schon vor den Perserkriegen); im euböischen Chalkis verteilte man z.B. im Jahr 506 auf einmal mehrere tausend κλήροι an Athener.

40. Diese mannigfachen offiziellen und persönlichen Berührun-gen der Athener mit andern Griechen brachten auch ein Vordrin-gen attischer Sprachelemente mit sich, und dieser Einfluß konnte auch die Grenzen des Seebunds überschreiten, da mancherorts mit den als vorbildlich geltenden attischen Staatseinrichtungen audi Eigenheiten der attisdien Staatssprache Eingang fanden. Sogar das altattische, weniger genaue Alphabet drang da und dort in das Bundesgebiet ein; diese Tatsache wiegt um so schwerer, als ja sonst in dieser Zeit gerade umgekehrt das ionische Alphabet Attika erobert.

R o e h 1, IG antiquissimae Nr. 8 (S. 2 und 169) aus dem ioni-schen Samos (nach 440a): Αόρος τεμένος έπδνΰμόν Άϋένηθ(ε)ν (wohl von einem Athener geweiht, aber von einem Samier einge-graben); Nr. 9 (und IG XII 3 Nr. 1187) aus dem dorischen Melos (416—404a): Έπόνφες Άϋεναϊος Πανδιονίδος φυλές Κυθέρ-ριος, offenbar ein Melier, der das attische Bürgerrecht erhalten hatte (vgl. S c h w y z e r , Dial, zu Nr. 210 C 5).

41. Die Niederlage der Athener bei Aigospotamoi (405a) brachte die Seeherrschaft nur vorübergehend an Sparta; der Sieg Konons über die Spartaner bei Knidos (394) stellte die frühere Lage wieder her, und der z w e i t e a t t i s c h e S e e b u n d nahm 378/7 die alten Beziehungen Athens zur ionischen Inselwelt wieder auf; war das neue Gebilde politisch nicht so mächtig und

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30 Grundfragen des nadiklassisdien Griechisch

geschlossen wie das frühere, so war es dafür innerlich kulturell fester geknüpft, und dem sprachlichen Einfluß Athens stand jetzt erst redit Tür und Tor offen, gerade weil die Vormachtstellung freiwillig anerkannt und maßvoll ausgeübt, nicht gewaltsam aus-genützt und nicht widerwillig getragen war.

Α. Τ h u m b (s. § 32) S. 261 nennt dieses Reichsattisch „Groß-attisch". Den Nachweis, daß dieses wirklich ein Zwischenglied zwischen dem Attischen und der Koine bildet, versuchen zwei Schriften von J . S c h l a g e t e r : 1. Zur Laut- und Formenlehre der außerhalb Attikas gefundenen att. Inschriften, Progr. Frei-burg i. Br. 1908; 2. Der Wortschatz der außerhalb Attikas gefun-denen attischen Inschriften, Ein Beitrag zur Entstehung der Koine, Straßburg 1912 (Diss. Freiburg i. Br. 1910, auch als Progr. Konstanz 1910 und 1912). Jedenfalls bot das attische Reich tat-sächlich die Vorbedingungen, unter denen ein vom Ionischen stark beeinflußtes Attisch, wie es die Koine tatsächlich darstellt, entstehen konnte.

42. Auf die Möglichkeit des Einflusses der A m p h i k t i o -n i e η , namentlich der im attischen Reich unter attischer Verwal-tung stehenden delischen, auf die Bildung einer Gemeinsprache macht St. W i t k o w s k i , Bibl. S .27 aufmerksam: die Amphi-ktionien des 5. und 4. Jahrhunderts verfaßten ihre Beschlüsse in attischer Sprache. Audi die bedeutendste, die pyläisch-delphische, schreibt entsprechend ihrer Zusammensetzung aus Nordgriechen, Mittelgriechen und Ioniern (Athenern und Euboiern) nicht das reine Delphisch, sondern eine Modifizierung desselben durch an-dere Dialekte, namentlich das Attische (vgl. § 54).

ß) Kulturelle Vorbedingungen

43. Die politische Vormachtstellung Athens hätte schwerlich genügt, um der attischen Sprache das entscheidende Übergewicht zu verschaffen, das sie tatsächlich gewonnen hat; das Hauptver-dienst an ihrem Siegeszug fällt vielmehr der kulturellen Höhe zu, die Athen gleichzeitig mit seiner politischen Glanzperiode er-reichte und die den politischen Niedergang überdauerte. Um 400 fühlt sich Athen als unbezweifelbaren Mittelpunkt des griechi-

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 31

sehen Geisteslebens, und die übrigen Griechen erkennen diesen Anspruch an:

Perikles feiert in der berühmten Leichenrede (bei Thuk. 2, 41, 1), dem stolzen Idealgemälde der athenischen Demokratie, Athen als „Inbegriff aller Bildung für Hellas" (της Ελλάδος παίδευσις). Hippias sagt in Piatons Protagoras (337 d), die Sophisten kämen in Athen als der eigentlichen „Intelligenzhauptstadt Griechen-lands" (της Ελλάδος ε'ις αύτό τό πρυτανείον της σοφίας) zu-sammen; πρυτανείον Ελλάδος gebraucht auch Theopomp (bei Athenäus 6, 65 p. 254 b = Nr. 115 Fr. 281 Jacoby). Ein pythi-sches Orakel spricht von der κοινή εστία της Ελλάδος (Ath. a .a .O. , Aelian, Var. hist. 4, 6), Pindar (Fr. 76 Snell) von der „Stütze" (έρεισμα) Griechenlands, und ein dem Thukydides zu-geschriebenes Epigramm (Anth. Pal. 7, 45) nennt Athen das Hellas von Hellas (Ελλάδος Ελλάς) .

44. Schon vor dem peloponnesischen Krieg zog Athen die lite-rarisch produktiven Kräfte des übrigen Griechenlands in seinen Bann: I o n v o n C h i o s führte in Athen zur Zeit des Aischy-los und Sophokles Tragödien auf, natürlich in der Sprache der attischen Tragödie. Die entscheidende Wendung in der Geschichte des attischen Spracheinflusses hat aber erst der S i e g d e r a t t i s c h e n P r o s a gebracht. Sogar die ausländischen Sophi-sten, denen die attische Prosa selbst die stärksten Anregungen verdankt, hielten ihre Musterreden auf Attisch und schrieben attisch. Die Sophisten vereinigten in ihrem Studium und in ihrer Lehrtätigkeit R h e t o r i k und P h i l o s o p h i e ; so sind diese beiden Berufe in Athen heimisch geworden und haben dort ihre Weiterbildung und schulmäßige Fixierung — und damit auch ihr sprachliches Gewand — gefunden, die Rhetorik durch den gelehrigsten Sophistenschüler I s o k r a t e s , die Philosophie durch den Bekämpfet und Überwinder der Sophistik, Ρ 1 a t o n. So ist Athen „die Lehrmeisterin aller, die reden oder bilden kön-nen" geworden (Isokr. 15, 295: πάντων των δυναμένων λέγειν ή παιδεϋειν διδάσκαλος· ε 'ι κ ó τ ω ς ; vgl. 4, 50: durch Athen ist "Ελλην ein mehr kultureller als ethnologischer Begriff gewor-den).

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32 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

Piaton Laches 183 Α: δς Sv οίηται τραγφδίαν καλώς ποιειν, ούκ έξωθεν κύκλο) περί την Άττικήν κατά τάς δλλας πόλεις έπιδεικνύμενος περιέρχεται, άλλ' ευθύς δεϋρο φέρεται („es zieht ihn hierher") και τοϊσδ' έπιδείκνυσιν ε I κ ó τ ω ς.

45. Der S i e g d e r a t t i s c h e n P r o s a s p r a c h e über die ionische bedeutet den Sieg für ganz Griechenland, weil die griechische Bildung nicht mehr nach Ionien, sondern nach Athen orientiert war. Vom 4. Jahrhundert an gibt es für die Prosa eigentlich nur eine einzige Literatursprache, das Attische; das Dorische der Pythagoreer (§ 34) und des Archimedes (§ 31) im fernen Westen ist mehr nur eine Kuriosität; sonst behalten nur die Mediziner pietätvoll die ionische Fachsprache ihres großen Ahnen Hippokrates (vgl. Bd. I § 218) bei; doch schrieb D i o -k i e s von Karystos, das Haupt der athenischen Ärzteschule im 4. Jahrhundert, attisch.

c) D i e h e l l e n i s t i s c h e G e m e i n s p r a c h e u n d d i e a l t e n D i a l e k t e

α) Der Untergang der alten Dialekte

46. Die neugriechischen Dialekte setzen nidit die altgriechi-schen fort, sondern beruhen fast ganz auf der (gesprochenen) Koine, die uns freilich nur unzulänglich bekannt ist (s. § 8). Im-merhin hatte sich manche altdialektische Erscheinung örtlich er-halten (§ 72) und oft bestanden in der Gesamtkoine Formen ver-schiedener Herkunft nebeneinander (ζ. B. Akk. PI. -ες neben -ας, § 93; verschiedene Aussprache des η, § 162), die sich dann in Teilen des Sprachgebiets festsetzen und neuerdings zu Dialekt-merkmalen werden konnten (vgl. § 152 und S. G. Kapsomenos [s. § 4], S. 23 fi.). Das Verschwinden der alten Dialekte läßt sich zeitlich nur sehr unvollkommen festlegen. Denn in der Regel wird es ein sehr langwieriger Prozeß gewesen sein; die Gebilde-ten und das Volk, die Stadt und das offene Land, die Gegenden am großen Verkehr und die abseits liegenden, der Staat und der.

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 33

Privatmann, haben jedenfalls dem Eindringen der Koine ungleich starken Widerstand entgegengesetzt. Zudem ist die Deutung der literarischen Zeugnisse für Rüdegang und Fortleben der alten Dia-lekte nur mit größter Vorsicht zu handhaben.

Literatur: T h u m b , Hell. S. 28—52, P. W a h r m a η η , Pro-legomena zu einer Geschichte der griech. Dialekte im Zeitalter des Hellenismus, Progr. Wien 1907; Ed. H e r m a n n , Griech. Forschungen 1 (Leipzig und Berlin 1912) S. 192—219; Γ. Π. Αναγνωστόπουλος, Σΰντοιιος ιστορία των έλληνικαχν διαλέκ-των (Athen 1924), S. 142—152; C. D. B u c k , The Greek Dia-lects, Chicago 1955, 173 fi.; M e i 11 e t̂ S. 307—313.

47. Die S c h r i f t s t e l l e r z e u g n i s s e ü b e r d i e F o r t d a u e r d e r D i a l e k t e sind bald erschöpft. Die mund-artlichen Notizen der alten Grammatiker können nur dann für ihre Zeit Beweiskraft haben, wenn sie nicht aus der Überlieferung der Dialektliteratur herausgelesen sein können. So sind vielleicht die Nachrichten über den aiplischen und dorischen Akzent Zeug-nisse für das Weiterleben dieser Dialekte in der Zeit der alexan-drinischen Grammatiker, da die voralexandrinischen Handschrif-ten der aiolischen und dorischen Literatur schwerlich mit Akzent-zeichen versehen waren (doch kann es auch eine mündliche Tra-dition über die Aussprache der Dialektdichtung gegeben haben, so gut wie für Homer). Wieviel von den mundartlichen (z.B. lakonischen) G l o s s e n aus der lebendigen Sprache stammt, läßt sich nicht feststellen. Auch die sonstigen gelegentlichen Er-wähnungen der Dialekte geben uns keine Auskunft über den da-maligen Umfang des Dialektgebrauchs, und T h u m b (Hell. S. 28 f.) wird wohl recht haben, wenn er meint, die Beachtung des gesprochenen Dialekts lasse gerade darauf schließen, daß er dem Schreiber eine Merkwürdigkeit war, also keine große Ver-breitung mehr besaß.

Beispiele: Strabon 8, 1, 2 p. 333 (um Christi Geburt) sagt von den Peloponnesiern: σχεδόν δ' ετι και νυν (zur Zeit des literari-schen Gewährsmanns Strabons?) κατά πόλεις άλλοι άλλως δια-λέγονται, δοκοϋσι („sie stehen im Ruf") δέ δωρίζειν απαντες

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34 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

δια την συμβάσαν επικράτειας. Pausanias (IIp2/2) 4, 27, 11 be-hauptet von den Messeniern: ές ημάς ετι το ακριβές αύτη ς (der dor. Sprache) Πελοποννησίων μάλιστα έφΰλασσον. In derselben Zeit tadelt Ailios Aristeides (Panath. 295) diejenigen, οϊ τάς μέν πατρίους φωνάς (d. h. die Aussprache?) έκλελοίπασι και κατ-αισχυνϋεϊεν αν και έν σφίσιν αύτοΐς διαλεχθήναι τα αρχαία παρόντων μαρτύρων, und erzählt Dion Chrysostomos (I 54), es sei ihm in Elis in abgeschiedener Gegend unter den Hirten eine alte Frau begegnet, δωρίζουσα τη φωνή. Stellen aus Plutarch bei G ö 1 d i (s. § 27) S. 51—56.

48. So sind wir im wesentlichen auf das Zeugnis der Inschrif-ten angewiesen, die ja gerade in der sprachlichen Übergangszeit häufiger und länger zu werden pflegen. Die offiziellen unter ihnen geben uns die zeitgenössische Amtssprache, die privaten die örtliche Schreibsprache. Für Rückschlüsse auf die gesprochene Volkssprache gelten folgende Erwägungen: die Amts- und Schrift-sprache einer unbedeutenden Gemeinde kann dem Einfluß einer auswärtigen Verkehrs-, Diplomaten- und Kultursprache unter-liegen, während gleichzeitig die gesprochene Sprache dem Dialekt noch treu bleibt; ebensogut kann aber auch die Hochsprache mit bewußter Treue (zur Betonung der lokalen Selbständigkeit) oder aus bloßem kanzlei- oder schulmäßigem Konservatismus am Dia-lekt festhalten, während die gesprochene Sprache dem Fremdein-fluß unterliegt oder erliegt. Im Einzelfall sind allerdings in der Regel Abweichungen der privaten Inschriften von den amtlichen zugunsten oder zuungunsten des alten Dialekts immer auf die Rechnung der gesprochenen Sprache zu buchen, doch ohne daß dadurch die gesprochene Sprache rein gewonnen würde.

Eine gewisse Ίπτταρέτα im boiotischen Orchomenos schreibt selbst fast ganz in der vornehmeren Koine (IG VII Nr. 3216; IIIa2/2): Ίππαρέτα Ηροδότου ίερατεύουσα Ματρί Oecov, wäh-rend das Dekret der Stadt zu ihren Ehren im Dialekt verfaßt ist (ebenda Nr. 3223). Umgekehrt hält im ebenfalls boiotischen The-spiai eine Άμεινοκράτεια noch um Christi Geburt den Dialekt fest (Bull, de corr. hell. 26, 1902, S. 291 f. Nr. 2), während ihr fortschrittlicher Sohn sie in Koine ehrt (ebenda S. 292 Nr. 3) und

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 35

obwohl die Kanzleisprache schon seit zwei Jahrhunderten zur Koine übergegangen war ( B u t t e n w i e s e r [s. § 61] S. 89).

49. Wertvoller wären die Ρ a ρ y r i , wenn solche aus den alten Dialektgebieten vorhanden wären (vgl. § 12—14). Ägypten je-doch, das Land der Papyri, ist hellenistisch; doch finden sich am Anfang der ptolemäischen Zeit noch Dialektspuren in den dorti-gen Papyri, ζ. B. toi für oí im ältesten datierten Papyrus (Pap. Eleph. 1, 15 = M i t t e i s , Chrest. Nr. 283; 311/10a), einem Vertrag zwischen zwei Koern; daher wird auch die Verfasserin von Pap. Magd. Nr. 35 (III a) mit ihrem νακόρος (vgl. § 81 über νεωκόρος) eine Dorierin sein; und neuerdings sind in den Zenon-papyri (III a) Dorismen zutage gekommen: σάτες (— att. τήτες) Nr. 59 346, 6, σατινός 59 406, 1, τηνεί „dort" 59 509, 2. 11. Über Dorismen und Ionismen im Artemisiapapyrus (IVa?) und in poetischen Papyri und über zweifelhafte Dialektismen in son-stigen Papyri s. M a y s e r I S. 8. 11 f., 17 f., über den Artemisia-papyrus auch U. W i 1 c k e n , Urkunden der Ptolemäerzeit I (Berlin und Leipzig 1927), S. 98 f. In den realistischen Άδωνιά-ζουσαι Theokrits (Gedicht XV; vor 270a) erregen zwei Frauen mit ihrem breiten Dialekt (πλατειάσδοισαι Vs. 88) den Unwillen eines Fremden; die eine wehrt sidi: δωρίσδεν δ'εξεσα, δοκώ, τοις Δωριέεσσι (Vs. 93). Anders zu beurteilen sind die Dialektis-men, die in die Koine überhaupt eingedrungen sind (s. § 73 ff.).

50. Die Geschichte Athens läßt es als begreiflich erscheinen, daß das Ionische zuerst von dem vordringenden Attischen erfaßt wurde. Schon am Ende des 5. Jahrhunderts ist auf Thasos Διονυσιφάνου (statt ion. -εος; neben Όλυνθίη!) belegt (SGDI Nr. 5287 = IG XII 8 Nr. 434). Verständlich ist der attische Ein-fluß auf dem Siegesdenkmal, das Ervthrai in Kleinasien dem Athener Konon nach 394 errichtet hat (SGDI Nr. 5686; Ditten-berger3 Nr. 126): άτέλειαν Vs. 6 neben προεδρίην 4 f., έκγόνοις 12 f. neben Έρυθριήισιν 5 f. In der 1. Dekl. ist ά für η schon im 5. Jahrhundert mehrmals belegt, z. B. S c h w y z e r , Dial. Nr. 766 Β 12 (Keos Vaf) οίκίαν καθαρήν. Am zähesten erhält sich die ionische Lautgestalt natürlich in Eigennamen, sodann in einigen sakralen Ausdrücken und in der Formel έψ' ϊση και όμοίη. Die Verschmelzung des Ionischen mit dem ihm nächstverwandten Atti-

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36 Grundfragen des nachklassischen Griediisdi

sehen ist schon im 3. Jahrhundert fast ganz vollzogen. Vgl. auch § 41 über das „Großattische".

Literatur: J . H a η d e 1, De lingua communi in títulos ionicos irrepente, Lemberg 1913 (Studia Leopolitana 1); A. S c h e r e r , Zur Laut- und Formenlehre der mÛesischen Inschriften (Diss. München 1934), S. 37—81; T h u m b - S c h e r e r 248—250. Von den Fortschritten der Koine gibt die folgende Tabelle (nach Handel S. 67) ein anschauliches Bild:

ionisch Anzahl der Inschriften rein mit Koine- reine im

ionisch einschlag Koine ganzen

im 5. Jh. und um 400a 18 15 0 33 im 5. Jh. und um 400a

55 % 45 % 0 % 100 % im 4. Jh. und um 300a 54 59 44 157 im 4. Jh. und um 300a

3 4 % 38 % 28 % 100 % im 3. Jh. und um 200a 6 22 110 138 im 3. Jh. und um 200a

4 % 16 % 80 % 100 % vom 2. Jh. an 0 4 174 178 vom 2. Jh. an

0 % 2 % 98 % 100 %

51. Reiches Material für das Eindringen der Koine in junge ionische Städte Kleinasiens haben die Ausgrabungen in Magnesia am Mäander und in Priene zutage gefördert. M a g n e s i a ist 400/399 neu gegründet worden und schon 335 in makedonischen Besitz gekommen. Aus den wenigen und kurzen Inschriften des 4. Jahrhundert lassen sich keine Schlüsse ziehen; zwei von ihnen sind die einzigen rein ionischen aus dieser Zeit. Die Steine des 3. Jahrhunderts zeigen schon Koine, nur auf einigen der frühesten mit vereinzelten Ionismen. Die Neugründung von P r i e n e (um 350) fällt wenige Jahre vor Alexanders Zug nach dem Osten, also in die für die Entstehung der Koine entscheidende Zeit. Die attischen Einflüsse sind hier schon im 3. Jahrhundert stark: nur die älteste aller nicht von auswärts stammenden Inschriften trägt noch vorwiegend ionischen Charakter; schon eine drei bis vier Jahre jüngere hat sogar das ionische η ( = att. ä) aufgegeben. Da-mit ist Priene den Schwesterstädten Magnesia und Pergamon (s.

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 37

§ 57) in der Koinisierung um mehrere Jahrzehnte voraus; die Ürsache liegt in der besonders engen Verbindung mit Athen, das in Priene als Mutterstadt hochgehalten wurde.

Literatur: E. N a c h m a n s o n , Laute und Formen der ma-gHètischen Inschriften (Uppsala 1903) S. 3 f. 172—180; G. Τ h i e m e , Die Inschriften von Magnesia am Mäander und das N. T., Göttingen 1906 (Diss. Heidelberg 1905); Aem. D i e n s t -b a c h , De titulorum Prienensium sonis, Diss. Marburg 1910; Th. S t e i n , Zur Formenlehre der prienensischen Inschriften, Glotta 6 (1914) S. 97—145.

52. Einige Inschriften aus Magnesia ergeben einen Querschnitt durch die sprachlichen Verhältnisse um 200a; es sind Antworten auf ein Rundschreiben von Magnesia. Die ursprünglich ionischen Gemeinden wie Chalkis und Eretria, ferner die in hell. Zeit neu gegründeten Städte, wie Antiocheia in Pisidien und Laodikeia am Lykos, und die Diadochenfürsten antworten in Koine, sonst nur noch die alte Perrhäberstadt Gonnos im nördlichsten Thessalien (also zunächst bei Makedonien); aber die Arkadier, Dorier und Aioler schreiben in ihrem alten Dialekt, dodi nicht ohne in den Wörtern und Formen der Koine ihren Tribut zu entrichten.

Literatur: Die Inschriften von Magnesia a. M., hrsg. von O. K e r n (Berlin 1900), Nr. 18—84; einige davon audi bei D i t -t e η b e r g e r3 Nr. 558—562 und OGI Nr. 231. 282.

53. Auf d o r i s c h e m Gebiet finden wir an mehreren Orten schon im 4. Jahrhundert die ersten Anzeichen des Koineeinflusses. Das Lakonische der Tafeln von H e r a k 1 e i a (VIaf) in Unter-italien, also auf dem traditionsarmen Kolonialboden, macht ihr einige Zugeständnisse, besonders bei den Zahlwörtern; auch die etwas älteren Heilinschriften an dem von überall her viel besuch-ten Asklepieion von E p i d a u r o s (SGDI Nr. 3339—3341; IG IV2 Nr. 121—124) schreiben kein reines Argolisch. Auf K r e t a ist dem Eindringen der Koine ein Ausgleich der kretischen Dia-lekte unter sich vorangegangen und mit der attisch-ionischen Koine auch die achäisch-dorische (s. § 66) in Konkurrenz getre-

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38 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

ten; nur die zwei östlichsten unter den durch Inschriften bekann-ten Städten, Itanos und Praisos, zeigen schon früh einen starken Koineeinfluß (die Koinisierung der Insel scheint überhaupt von Osten nach Westen hin erfolgt zu sein). Auf der Insel Τ h e r a ist das lange „Testament der Epikteta" (IG XII 3 Nr. 330; Schwyzer, Dial. Nr. 227), das um 200a aufgezeichnet worden ist, ein charakteristisches Denkmal der Übergangszeit. Auf R h o d o s dagegen hat sich der Dialekt recht gut gehalten; eine stärkere Durchdringung mit Koineformen zeigt sich erst etwa seit dem Beginn unsrer Zeitrechnung. Uber L a k o n i e n s. § 67.

Herakleia: τεσσάρων, τεσσαράκοντα, -κόσιοι neben τέτορες usw., τετρώκοντα, -κάτιοι; χίλιαι I 36, δισχίλια I 37 (aber in Lakonien [ S c h w y z e r , Dial. Nr. 13] -χελίος); 32mal Ακατι, aber 5mal das nach dem att.-hell. ε'ίκοσι umgestaltete /Vinati. — Heilinschriften von Epidauros: 3mal Ιερόν neben 8maligem Ιαρο-; Akk. PL nur -ους statt des einheimischen -ονς oder -ος; έώρη mit att.-hell. εω- aus *f|Fo-, aber dorischem -η aus -αε. — Kreta: besonders viele Mischbildungen aus Dialekt und Koine, ζ. Β. βουλά = βωλά + βουλή, θεϊνος = Οίνος + θείος, προαιριό-μενος mit dor. -io- in einem Koinewort; die geläufige Entspre-chung von dor. -μες = hell, -μεν verführte zu falscher Umsetzung von mundartlichem -ες des Nom. Pl. in pseudo-hellenistisches -εν in άμέν, ύμέν, τινεν, συγγενίεν ( = dor. -νίες, hell, -νεΐς!), κρίνοντεν. — Thera (Testament der Epikteta): Kontraktion von εο fast immer in ου, selten in ευ (μευ ZI. 76, Πολυμήδευς 89); nur -κόσιοι und -χίλιοι, aber Infinitive mit dor. -μεν und -εν (δόμεν, έγνράφεν usw.); dor. Futurum, aber mit att. Kontrak-tion: εξοϋντι, λαμψοϋνται (=- hell, λήμψονται [§106]!), έγ-γραψοΰνται usw. — Rhodos: ποτί häufig, πρός nur in πρόσωπον (Ia und If) ; aber ίαρός nur noch selten, Ιερός schon früh und sehr oft. Die athematische Infinitivendung -μειν ist wohl im An-schluß an das att.-ion.-hell. thematische -ειν (das auf Rhodos schon völlig das dor. -εν verdrängt hat) aus dem in älterer Zeit einige Male belegten -μεν umgestaltet (vgl. S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 807, 3). Aber α'ιές und α'ιέν sind schon im I I I a verdrängt; al kommt nur noch im I I I a (2mal) vor.

Literatur: Μ. Β a 1 a k i m , Die Koine in den dor. Inschriften, I, Lemberg 1913 (ruthenisch); E. K i e c k e r s , Das Eindringen der Κοινή in Kreta (Indog. Forsch. 27, 1910, S. 72—118);

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T h u m b , Hell. S. 38—46 (Rhodos); R. Β j o r k e g r e n , De sonis dialecti Rhodiacae (Diss. Uppsala 1902) S. 92—96.

54. Das Gebiet der nordwestgriechischen Dialekte ist für die Beobachtung des Eindringens der Koine wenig günstig. Besser durch Inschriften bekannt ist nur das Phokische von Delphi und das Lokrische. Bei der panhellenischen Geltung von D e l p h i ist es kein Wunder, daß die Koinisierung besonders früh, in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, einsetzt (vgl. § 42). In den am-phiktionischen Tempelrechnungen erscheint schon είκοσι SGDI Nr. 2502 ( = D i t t e n b e r g e r 3 Nr. 241), Zeile 102 (343/2a) und 106 (342/la) (sonst immer ΐκατι), ferner ständig όβελός und ήμιωβέλιον für das einheimische όδελός und ήμιωδέλιον, ebenso Ιερομνάμοσιν 148 für ίερομναμόνεσσι oder -μόνοις; Ιερο- und Ιαρο- wechseln sogar schon in dem in Athen eingemeißelten, aber im delphischen Dialekt gehaltenen Amphiktionengesetz von 380a

( S c h w y z e r , Dial. Nr. 325). In den Privatinschriften sitzt der Dialekt fester und erhält er sich sogar bis I I p , natürlich nicht koinefrei; beachtenswert sind namentlich die hell. Verbalformen auf -σαν statt älterem (auch attischem) -ν (ΐόντωσαν, έλέγοσαν, 'ιίχοισαν usw.; vgl. § 176. 177 a) und die in mundartliches Ge-wand gekleidete hell. Quittungsformel τάν τιμάν απέχω „ich habe den Betrag erhalten" auf vielen Freilassungsurkunden (II a

bis I P ) .

Literatur: J. V a l a o r i , Der Delphische Dialekt, Göttingen 1900; E. R ü s c h , Grammatik der delph. Inschriften, I Laut-lehre, Berlin 1914 (davon ein Teildruck als Diss. Freiburg i. d. Schweiz) ; M. L e j e u n e , Observations sur la langue des actes d'affranchissement delphiques, Paris 1939.

55. In E l i s , wo der Dialekt noch im 4. Jahrhundelt seine merkwürdige Sonderstellung rein gewahrt hat (trotz den panhel-lenischen olympischen Spielen!), treten mit dem Ehrendekret für Damokrates (noch I I I a ? S c h w y z e r , Dial. Nr. 425) Einflüsse des Dorischen und der attischen Koine auf: ποτί τάν 14. 39 (edit elisch ζ. Β. πό(τ) τόν S c h w y z e r Nr. 415; nach 570a), κα&ώρ

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40 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

14. 27 (für hell, καθώς mit elischem „Rhotazismus"). Später ver-schwindet der Dialekt von den Inschriften; er erlebt aber in der Kaiserzeit eine künstliche Wiederbelebung (vgl. § 67). Vgl. auch § 47 die Stelle bei Dion Chrysostomos.

56. In A r k a d i e n hat nach vorübergehendem Vordringen von Koineeinflüssen im 4. und zu Anfang des 3. Jhd. die lokale dorische (achäisch-dorische) Gemeinsprache (s. § 66) die Auf-nahme der Koine stark hinausgeschoben; aber um Christi Geburt scheint diese vollendet zu sein. Im weit abgelegenen, nächstver-wandten Z y p e r n fällt der Einzug der Koine fast völlig mit der Rezeption des griechischen Alphabets zusammen (etwa III a?).

Literatur: Ruth v o n V e l s e n , De titulorum Arcadiae flexione et copia verborum (Diss. Berlin 1917) S. 47 . 64—84; Τ h u m b - S c h e r e r 116 f., 118, 149 f.

57. Auf a i o 1 i s c h e m Gebiet ist der lesbisch-kleinasiatische Dialekt frühzeitig vor der Gemeinsprache zurückgewichen. Seit IVaf treten mehrere ionisch-attische Spracherscheinungen auf, die sich vom Aiolischen stark abheben. Dann mehren sich die Koine-spuren, bis der Dialekt im I a nur noch trümmerhaft erscheint. Wenn er daher in der römischen Kaiserzeit auf den Inschriften wieder mehr verwendet wird, so ist das kein Zeichen für das Fort-leben des gesprochenen Dialekts, sondern nur ein Ausfluß der allgemeinen archaisierenden Mode der damaligen Zeit (siehe § 154 bis 157). Am schnellsten ging die völlige Koinisierung in P e r -g a m o η vor sich, wo aus der Zeit von 300a bis 200P zahlreiche Inschriften vorliegen. Die Koine regiert hier schon seit 300a in öffentlichen und privaten Inschriften unumschränkt, was in der makedonisch-hellenistischen Residenzstadt wohlverständlich ist; die wenigen Reste eines unattischen ö in Eigennamen und ähn-liches haben daneben nichts zu bedeuten.

58. J. L e i t z s c h , Quatenus quandoque in dialectos Aeolicas quae dicantur vulgaris lingua irrepserit, I. Diss. Königsberg 1895. — οτε für οτα S c h w y z e r , Dial. Nr. 620, 44 (Mytilene, Volksbeschluß; 324/3a); στρατείας IG XII 2 Nr. 645A 15 (Insel

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Die Entstehung der hellenistisdien Gemeinspradie 41

Potdoselena, Ehrendekret; 319—317a) neben στροτ[άγοισι] A 7; άναγράψαι A 44 Β 59, άνάλωμα Β 65 neben ογκαρυσσέτω Α 37. S c h w y z e r Nr. 632 (Eresos, Volksbesdiluß; kurz vor 300a): καλλαφόέντος A 20, aber καταψαφισθή 17 (und immer άν-, àτιο-, μετά, παρά); πόλει 27, aber άκροπόλι 10; τρισχιλ'ιοις 10 (mit att. -χιλ- und aiol. Akk. Pl. -οις). — Ed. S c h w e i z e r [Schwvzer], Grammatik der Pergamenischen Inschriften, Diss. Zürich'1898; T h u m b - S c h e r e r 85f .

59. In T h e s s a l i e n sind seit IIT.a Koineeinflüsse erkenn-bar, was bei der Nachbarschaft Makedoniens begreiflich ist. Audi die umfangreichste thessalische Inschrift, das Dekret von Larisa von 214a ( S c h w y z e r , Dial. Nr. 590), ist nicht mehr rein dia-lektisch; in den Teilen, die aus den zwei in Koine verfaßten Brie-fen Philipps V. von Makedonien ins Thessalische übersetzt sind, lag Anschluß an die Koine besonders nahe. Aber die Spärlichkeit der Koinespuren zeigt doch, daß noch um 200 der Dialekt in der Kanzlei von Larisa gut bekannt war; andere Kanzleien waren freilich schon damals zur Koine übergegangen. In den privaten Inschriften haben die mundartlichen im 3. Jahrhundert noch einen kleinen Vorsprung, im 2. sind sie in der Minderzahl; im I p

verschwinden die Dialektspuren in den Staats- und Privaturkun-den. In der Phthiotis, die zeitweilig zum aitolischen Bund ge-hörte, wurde die attisch-ionische Koine bis ins I a durch die aitoli-sche femgehalten (vgl. § 66).

60. G. F o h l e n , Untersuchungen zum thess. Dialekte, Diss. Straßburg 1910 (Teil I: Das Eindringen der Koine, S. 7—51); R. v a n d e r V e l d e , Thessalische Dialektgeographie, Diss. Nimwegen 1924; T h u m b - S c h e r e r 53 f. — Aus der In-schrift von Larisa: τάν μέν ϊαν —· τάν δέ αλλαν 44 f., aber ταμ μεν Ϊαν — τάμ μα αλλαν 22; hinter διεκι (Akzent?) 11 verbirgt sich das hell, διότι „daß" (thess. διέ = διά, κι — τι). Das hell, εστωσαν ist in dem Dekret aus Phalanna ( S c h w y z e r , Dial. Nr. 614, 43; II a i) in thessalisches εστουσαν umgesetzt; όνάλουμα ebenda Nr. 578 A 12. Β 26 ist gemischt aus dem einheimischen όνάλα (Nr. 590, 22) und dem hell, άνάλωμα. Vgl. audi § 52 über das Sdireiben von Gonnos an Magnesia a. M.

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42 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

61. In B o i o t i e n , dessen Dialekt mit seiner Mischung aus Aiolisch und Westgriechisch (s. Band I §56, 135—139) eine Sonderstellung einnimmt, hat auch die Koinisierung einen eigen-artigen Verlauf genommen. Die unmittelbare Nachbarschaft des sehr stark verschiedenen Attischen und die ständige politische Spannung zwischen Boiotien und Attika hielt in Boiotien beim Volk und in den Kanzleien das Bewußtsein der sprachlichen Tren-nung offenbar lebendig. Deshalb sind die (freilich sehr spär-lichen) Privatinschriften bis Ip dem Dialekt treu geblieben; die offiziellen allerdings beginnen um 200a, im Zusammenhang mit der Schwächung der panboiotischen Idee, energisch zur Koine überzugehen und schreiben 100 Jahre später fast ausnahmslos Koine.

Vereinzelte frühere Koinespuren: στραταγίοντος S c h w y -z e r , Dial. Nr. 520, 2 (Ordiomenos; 329a; der στραταγίων ist Alexander d. Gr.!) statt boiot. στροτ-; άπεγράψαντο mehrmals I I I a statt boiot. -vfro; αύτώι IG VII Nr. 2408, 11 (364/3a) = boiot. αυτοί 5; κατά θάλασσαν ebd. 9 für boiot. -τταν. Die Mischbildung «ως = boiot. ας + hell, εως findet sich seit III a f

viermal. — Literatur: M. B u t t e n w i e s e r , Die Rezeption der Koine im boiot. Dialekte, Indog. Forsch. 28 (1911) S. 16 bis 106; F. S o m m e r , Abh. d. Bayer. Ak., N. F. 27 (1948) S.58; T h u m b - S c h e r e r 16f. — Die Angaben des Boioters P l u -t a r c h über das Boiotische helfen uns nichts, schon weil wir nicht wissen, auf welche Zeit sie sich beziehen; vgl. G ö 1 d i (s. § 27), S. 51 f.

62. Das A t t i s c h e bildet zwar die Grundlage der Koine, ist aber nicht schlechtweg mit ihr gleichzusetzen (s. § 107—109); deshalb wird es ebenfalls von ihrem Sieg in Mitleidenschaft ge-zogen. In den überaus zahlreichen attischen Inschriften der Über-gangsjahrhunderte (IIIa—Ip) läßt sich das Zunehmen nichtatti-scher Koinemerkmale gut verfolgen; da es allmählich und ziemlich gleichmäßig vor sich geht, ist es wahrscheinlich, daß die Inschrif-ten in der Koinisierung mit der Volkssprache parallel laufen, nur etwas nachhinkend.

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 43

Bis etwa 306a ist γίγνομαι konstante Schreibung, dann tritt γίνομαι (s. § 100) auf; aber γίγνομαι räumt ihm den Platz erst um 250a völlig. Neben dem att. ενεκα taucht das hell, ενεκεν ( = att. ενεκα + ion. εϊνεκεν) IVa2/2 erst selten auf; es nimmt 100 Jahre später zu und überflügelt ενεκα im 2. Jahrhundert. Das att. δυεΐν (älter δυοιν) wird als Dativ gegen I I I a f vom hell, δυσίν abgelöst. — Literatur: M e i s t e r h a n s (s. §11); L a d e -m a n n (ebd.).

63. Wann zuerst Koinebestandteile, die nicht selbst aus dem Attischen stammen, in Attika auftraten, läßt sich nicht bestim-men. Nach § 41 und 50 liegt der Beginn der Koine in der Wech-selwirkung zwischen dem Attischen und dem Ionischen; da nun die meisten unattischen Bestandteile der Koine ionischen Ur-sprungs sind (siehe § 95 ff.), läßt sich etwa gegen IVaf einem ioni-schen Wort in Attika nicht ansehen, ob es direkt aus dem Ioni-schen oder im Zuge der Ausbildung der Koine auf einem Umweg nach Attika gelangt ist. Sodann wissen wir nicht, ob oder inwie-fern das „Vulgärattische" der Vasenaufschriften und Verfluchungs-tafeln (s. Band I § 75—78), das offenbar Fremdeinflüssen stark zugänglich war, dem sich zur Koine umformenden Attischen oder aber lediglich dem fremden Schreiber zuzurechnen ist. Die Be-hauptung der pseudoxenophontischen 'Αθηναίων πολιτεία (vgl. Band I § 219), die Sprache der Athener sei aus der „aller Griechen und Barbaren" gemischt (2, 8), ist sicher stark übertrieben und darf nicht auf die Gesamtbevölkerung bezogen werden. Endlich ist bei einer ungefähr um dieselbe Zeit in Attika und anderwärts auftretenden Neuerung der Ausgangspunkt oft nicht bestimmbar; es kann sein, daß uns dann und wann Attika als der gebende Teil nur deswegen erscheint, weil dort die Quellen reichlicher fließen; so etwa in folgenden zwei Fällen: υιός flektiert in Athen seit 350 und in der ungekünstelten Koine von Anfang an ganz nach der zweiten Deklination; und der Akk. Sg. der Namen auf -κλής geht in der Koine und seit etwa 300 in Attika auf -κλην aus (vgl. § 174).

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44 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

Literatur (s. audi Band I §80): T h u m b , Hell. S. 54—59; T h u m b - S c h e r e r 290.

64. Die f r e m d e n E i n f l ü s s e fehlen auch a u f d e n a l t e r n a t t i s c h e n S t e i n i n s c h r i f t e n nicht völlig.

Das 5. Jahrhundert schreibt ausländische Eigennamen schon oft in unattischer Form: Ναξιήται (att. -ιδ-), Τειχιοϋσσα (att. -rea), Χερσονήσιοι (att. -ρρ-), Άρχέλας (att. -λεως), Θευγένης (att. Θου-) u. dgl.; das 4. Jahrhundert ist darin noch mehr entgegen-kommend. Außerhalb der Eigennamen sind derartige Abweichun-gen vom Att. selten: διαλλάσσοντας und ήσσηθήι in einem Ver-trag mit Naxos (IG2 I I / I I I Nr. 179, 6. 13; vor 353/2a; in ήσση-ist att. ήττη- an den Lautstand der Koine angepaßt; ionisch heißt es έσσω-!), κατά θάλασσαν im Eid, den die Athener 338/7a dem Philipp von Makedonien leisten (IG2 I I / I I I Nr. 236 a 7 f.); im Bündnis mit Korkyra (D i 11 e n b e r g e r3 Nr. 151 ; 375/4a) steht im Eid der Korkyräer αϊ κα, καθότι κα, Δάματρα, κατά θάλασ-σαν (Zeilen 26 fi.), in dem der Athener έάν, καθότι civ, Δήμητρα, κατά θάλατταν (Zeilen 15 ff.), ohne daß im übrigen der Dialekt-unterschied durchgeführt wäre. Vgl. auch § 169 über σσ/ττ.

65. I n n a c h c h r i s t l i c h e r Z e i t verlieren die Inschrif-ten an Wert für die Feststellung der attischen Volkssprache, da immer mehr die a r c h a i s i e r e n d e R i c h t u n g die Ober-hand gewinnt. Wenn wir den literarischen Zeugnissen aus dem IIP glauben dürfen, so war damals die Mundart im attischen Bin-nenland noch lebendig, während die Stadt sie verloren hatte; und es mag tatsächlich ein solcher Unterschied bestanden haben, wie ja auch in Lakonien in der Eurotasebene die Koine durchgedrun-gen, in den Bergen aber ein Fortsetzer des alten Dialekts, das Tsakonische, erhalten geblieben ist (vgl. § 71. 152).

Philostr. vita soph. II 31, 1: der Römer Alian habe attisch gesprochen ώσπερ oí εν τη μεσογείψ Αθηναίοι; vgl. auch II, 1, 14. Auch in Lukians Judie, vocalium 7 ist die Anschauung voraus-gesetzt, im Innern Attikas werde nodi Attisch (ττ) gesprochen.

66. Bei ihrem Vordringen traf die attisch-ionische Koine an einigen Orten l o k a l e G e m e i n s p r a c h e n an. Von die-sen ist noch am besten die a c h ä i s c h - a i t o l i s c h e K o i n e

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faßbar. Da die attisch-ionische Koine die Sprache der makedoni-schen Herrscher war, setzten ihr die beiden griechischen Bünde, die sich von Makedonien unabhängig zu erhalten strebten, näm-lich der achäische (280—246) und der aitolische (etwa 270—189), Widerstand entgegen, indem sie sich eine eigene Bundessprache schufen. Ob diese auch außeramtlich verwendet wurde, dafür feh-len uns die Angaben und Belege völlig; jedenfalls besitzen wir kein einziges literarisches Denkmal in diesen Sprachen, und Polyb, der dodi Sohn eines Strategen des achäischen Bundes war und zur Zeit der achäischen Koine lebte, schreiht keineswegs diese lokale Gemeinsprache seiner Heimat, sondern die allgemeingrie-chische (vgl. § 157). Inschriftlich finden wir die achäisch-aitolische Koine in ganz Nordwestgriechenland und weithin im Peloponnes. Die Grundlage bildete wohl eine n o r d w e s t g r i e c h i s c h e K o i n e , wie sie sich im panhellenischen Delphi etwa seit dem 4. Jahrhundert feststellen läßt. Ihre auffälligsten Besonderheiten sind die Neuerung -oiç im Dat. PI. der 3. Deklination (άγώνοι; usw.) und die Erhaltung der alten Verbindung von ëv mit dem Akk. Für den aitolischen Bund eignete sich diese Sprache sehr gut, da sie dem einheimischen Dialekt sehr nahe stand; aber auch die Mundarten der Gegenden des achäischen Bundes waren ihr ähnlich genug, um sich ihr anpassen zu können; nur die erwähn-ten Besonderheiten vermochten sich nicht überall durchzusetzen, und so entstand eine stärker d o r i s c h gefärbte Koine.

Literatur.· T h u m b - K i e c k e r s S. 92. 254; T h u m b -S c h e r e r 117 f.; C. D. B u c k , The Greek Dialects, Chicago 1955, 178 f.; R ü s c h (s. §54). — Das Vordringen der west-griechischen Lokalkoine läßt sich am besten in Arkadien verfol-gen, weil dort ein stark abweichender Dialekt herrschte. Für die Zeit des Übergangs vom alten Lokaldialekt zur Lokalkoine (von etwa 250a an) ist das Tempelgesetz von Lykosura ( S c h w y z e r , Dial. Nr. 675; IIa) charakteristisch: arkad. κυένσαν ( = att. κυοΐσαν) 12, πός 13, dor. παρέρπην 3, έν 3. 9 (ark. Ιν 4 f.), dazu noch ein att.-hell. αναθέτω; die nwgr.-ach.-aitol. Koine ist über-haupt von Anfang an mit attischen Einwirkungen durchsetzt — Vorboten des schließlichen Siegs der attischen Koine: das Schick-

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sal der Bünde, die Unterwerfung durch Rom, machte auch den Bemühungen um eine unabhängige Sondersprache ein Ende. — -Über die kretische Koine s. § 53; über Dialektmischung auf den sog. chalkidischen und manchen unteritalischen Vasen Κ r e t s c h -m e r , Entst. S. 34 f., in Griechenland überhaupt T h u m b -K i e c k e r s S.60f .

67. Das Überhandnehmen der Gemeinsprache führte in der Kaiserzeit im Zusammenhang mit der archaisierenden Richtung zu Versuchen der W i e d e r b e l e b u n g der schwindenden oder geschwundenen D i a l e k t e (vgl. §55); wie in den atti-schen Inschriften (s. § 65), so macht sich diese Reaktion z. B. auch in Elis und in der Aiolis geltend. In Lakonien liegen besondere Verhältnisse vor: der Rückgang des Dialekts in den Inschriften seit etwa 400a wird im Up plötzlich durch eine neue lakonische Dialektform abgelöst, die sich durch mehrere auffällige lautliche Abweichungen von der alten abhebt; da nun diese Züge des „Junglakonischen" auch dem heutigen Tsakonischen eigen sind (s. § 71), ist der Schluß zwingend, daß sich die Koinisierung in Lakonien auf den offiziellen und schriftlichen Gebrauch be-schränkt hatte und die archaisierende Zeit an den noch gespro-chenen Dialekt anknüpfen konnte. Vgl. T h u m b - K i e c k e r s S. 81. 92 f.; T h u m b - S e h e r e r 86.

68. Hier ist auch die Dichterin B a l b i l l a zu nennen, die ihre den lesbischen Dialekt der Sappho künstlich nachahmenden vier Epigramme auf dem Memnonskoloß im ägyptischen Theben eingraben ließ (SGDI Nr. 320—323), als sie die Gemahlin des Kaisers Hadrian dorthin begleitete (130p). Dabei macht sie mit den Papyri (s. Band I § 93) auch die Pseudoäolismen mit: Nom. Sg. Καμβύσαις, γενέχαις 321, 10. 17; die Umsetzung von att.-ion.-heli. πάσι in παΐσι 320, 15, wäre zwar lautlich richtig, aber die echte lesbische Form war «άντεσσι (auch IG XII 2 Nr. 646, 7. 15. 34 Παισικρέοντος = Πάσι- ist schwerlich alt). — Vgl. T h u m b - S c h e r e r 82 f.

69. M i s c h f o r m e n , wie sie bei näherer Berührung von Sprachen oder Mundarten immer wieder vorkommen, sind schon in den §§ 53, 55, 58, 61 und 64 erwähnt worden. Sie sind wohl

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in der Regel unwillkürliche Äußerungen der Unsicherheit. Von ihnen sind grundsätzlich zu scheiden, aber im Einzelfall oft schwer oder gar nicht trennbar die Fälle irrtümlicher oder mechanischer Umsetzung aus dem Dialekt in die Koine oder umgekehrt. Falsche Umsetzungen einer Dialektform in die Koine ( „ H y p e r k o i -n i s m e η ") sind selten, weil die Koine kraft ihrer weiteren Ver-breitung und sozialen Überlegenheit die gelegentlichen Entglei-sungen korrigieren und ausmerzen konnte. Dagegen hatten die immer schwächer werdenden Dialekte gegen die Einführung von Koineformen in äußerlicher Dialekteinkleidung („Koinismen') kaum die nötige Abwehrkraft.

70. H y p e r k o i n i s m e n : άμέν usw. s. §53; καταδίχιον S c h w y z e r , Dial. Nr. 309* (Tauromenion auf Sizilien; I I a ; viermal) für dorisches *καδδίχιον zu κάδδιξ und κάδδιχος „ein Getreidemaß" (worin man fälschlich die Präp. κατ- = κατα- sah); ähnlich ανάδοχος § 90; μέντον (in Inschriften, einem Papyrus und in der Literatur) für μέντοι in Nachahmung der Gleichung dor. ενδοι = hell, ένδον; άνεστρέφησαν D i t t e n b e r g e r 3

Nr. 932, 6 (Sparta; Ia) für άνεστράφησαν wegen dor. έστράφθην = att. έστρέφθην. Vgl. J. W a c k e r n a g e l , Hellenistica (Progr. Göttingen 1907), S. 11 f.; S c h w y z e r , Dial, zu Nr. 590, 38.

M e c h a n i s c h e U m s e t z u n g eines Koineausdrucks in die dialektische Lautform: § 54 τάν τιμάν απέχω, 55 καϋώρ, 60 διεκι, εστουσαν, όνάλουμα. Weiter ζ. Β. έξεργασθείσεσθειν IG 517, 17 nach -ήσεσθαι (Larisa, 214 ν. Chr.); προαγρημμένω SGDI Nr. 311, 6 (aus dem aiol. Kyme; um Chr. Geb.) umgesetzt aus hell, προηρημένου nach dem Muster von aiol. άγρέω = hell, α'ιρέω und von aiol. μηννός = hell, μηνός, εμμι = ε'ιμί u. dgl. (vgl. das pseudoaiolische μμ = μ in Handschriften und auf Pa-pyri: Sappho Fr. 1, 16 Lobel-Page, κάλημμι, 24 a, 4, έπόημμεν usw.).

P s e u d o d i a l e k t i s m e n : ζ. B. pseudoaiolisch παίσι und Nom. Sg. -αις statt -ας (§ 68), κάλημμι usw. (s. o.). Über das sehr häufige falsche ä für (urgriechisches) η s. W a h r m a n n (s. § 46) S. 13 f. Weiteres bei E. F r a e n k e 1, Indogerm. Forsch. 60 (1950) S. 132—136. — Infolge des Nebeneinander von dor. ήν als 3. P. PI. und hell, ήν als 3. P. Sg. wird auch dor. έντί als 3. P.

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Sg. gebraucht (Inschriften und Archimedes); s. J. W a c k e r -n a g e l , Indog. Forschungen 39, 1921, S. 221 f.; S c h w y z e r , Gramm. 1, 677, Fußn. 3. Der umgekehrte Fall vielleicht in der Aiolis, wo inschriftlich zweimal έστί für ε'ισί steht (A. M o t -p u r g o D a v i e s , Glotta 42, 1964, 144). Die pseudodialekti-schen Formen der kretischen sog. Teos-Inschriften (SGDI Nr. 5165—5187; IIa) fallen den teischen Steinmetzen zur Last; s. T h u m b - K i e c k e r s S. 145f.

71. D a s E n d e r g e b n i s d e s K a m p f e s z w i s c h e n d e r K o i n e u n d d e n D i a l e k t e n ist der sozusagen völ-lige Untergang der Dialekte. Schon im UP werden die Dialekt-inschriften selten, nach dem IVp verschwinden sie ganz, und die literarischen Zeugnisse für das Fortleben der Dialekte (§ 47) stimmen zu diesem Befund. Auch das Neugriechische beweist den Untergang der alten Dialekte; die heutigen gehen bei all ihrer Verschiedenheit nicht auf die alten zurück, sondern auf die Koine. Nur an einer einzigen, abgelegenen Stelle des Peloponnes lebt noch heut'e ein Fortsetzer eines altgriechischen Dialekts: das Τ s a -k o n i s c h e (Zakonische) am Ostabhang des Parnon stimmt in einer ganzen Reihe eigenartiger Merkmale genau mit dem Lakoni-schen, namentlich dem „Junglakonischen" (§ 67), überein; im übrigen trägt es aber ebenfalls die Züge der Koine.

T h u m b , Hell. S. 33—37; T h u m b - K i e c k e r s S. 92 bis 94; H. P e r n o t , Introduction à l'étude du dialecte tsa-konien, 1934; Th. P. K o s t a k i s , Σύντομη γραμματική της τσακωνικής διαλέκτου, Athen 1951. — Die wichtigsten lakoni-schen Züge des Tsakonischen sind: allgemein dorisch ist das ä von màti = μάτηρ μήτηρ, foná = φωνά φωνή usw.; das F von vanne = άρήν άρνός (vgl. Hesych Ράννεια = αρνεια) und von davelé = *δαΑλός (Hesych δαβελός = δδλός „Feuerbrand"); mindestens lak. υ = u (yunéka = γυναίκα); nur lak. die Schwä-chung des intervokalischen σ (prúa = *ÒQÙ>ha όρώσα); nur jung-lak. σ aus Φ (sèri -= θέρος; vgl. § 166), der Rhotazismus eines auslautenden antevokalisdien σ (tar ameri — τας άμέρας), die Assimilation des σ an eine folgende Tenuis (akhó = ασκός, vgl. Hesych άκκόρ ; éthe = έστέ; vgl. Hesych αττασι· άνάστηϋι aus *αν-σταθι).

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72. Was sich heute sonst an S p u r e n d e r a l t e n D i a -l e k t e findet, betrifft in erster Linie die Ortsnamen, die ja all-gemein oft eine ausgestorbene Sprache überdauern, weil sie am Boden haften; so ζ. B. mit nidit-ionisch-attisdi-hellenistischem α auf Kreta Λανόπολι = Έλλανόπολις und Μίλατο = Μίλατος, auf Rhodos Δαματρία; ein anderer Dorismus auf Rhodos ist Άρταμίτης (von "Αρταμις = hell. "Αρτεμις), ein Ionismus auf Keos 'ς τές Ποιήσσες = εϊς τάς Ποιήσσας (von *Ποιήσσα = att. *Ποιάττα). Doch leben da und dort außer in den Eigen-namen nodi einige alte Mundartwörter weiter, vor allem in den Resten des Griechischen in Unteritalien (am zerklüfteten Aspro-monte im südlichsten Kalabrien und im verkehrsarmen südlich-sten Apulien). Über Dialektwörter, die in die Gesamtkoine über-gegangen sind, also für das Ngr. keine Dialektwörter mehr sind, s. § 73 fi.

Literatur: G. N. H a t z i d a k i s , Einleitung in die ngr. Gram-matik (Leipzig 1892), S . 5 0 — 1 7 1 („Abstammung des Mittel- und Neugr."); A. T h u m b , Geschichte der indog. Sprachwiss. I I 1 (Straßburg 1916), S. 118 f.; S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 121; G. R o h l f s , Griechen und Romanen in Unteritalien, Ein Bei-trag zur Geschichte der unteritalienischen Gräzität, Genf 1924 (erweitert als: Scavi linguistici nella Magna Grecia, übers, von Β. T o m a s i n i , Halle und Rom 1933); dazu A. D e b r u n n e r , Zeitschr. f. rom. Philol. 48 (1928), S. 161—166 und Indog. Forsch. 52 (1934), S. 254; H. P e r n o t , Hellénisme et Italie méridio-nale, Studi italiani di filol. class., N. S. 13 (1936), S. 161—182; A. G. T s o p a n a k i s , Eine dorische Dialektzone im Neu-griechischen, Byzant. Ztschr. 48 (1955), 49 ff.; G. R o h l f s , Historische Grammatik der unteritalien. Gräzität, Sitzungsber. Bayer. Ak., ph.-hist. Kl. 1949, 4 (München 1950); ders., Neue Beiträge zur Kenntnis der unteritalienischen Gräzität, ebd. 1962, 5 (kürzer zusammengefaßt in: Zwischen Koiné und Neugriechisch, Glotta 38, 1959, 89 ff.); Ο. Ρ a r 1 a n g è 1 i , Sui dialetti romanzi e romaici del Salento, Memorie dell'Ist. Lomb. di Scienze e Let-tere, CI. di Lettere 25 (1953), S. 93—200; ders., Storia linguistica e storia politica nell'Italia meridionale, Florenz 1960; S. A. C a -r a t ζ a s , L'origine des dialectes néogrecs de l'Italie méridionale, Paris 1958. — Beispiele: in Unteritalien tam'tsi „Lab" zu τάμισος

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in den dorisch-sizilisch gefärbten Hirtengedichten Theokrits (7, 16; 11, 66), nasida „angebauter Landstreifen am Fluß" zu gleich-bedeutendem νόσος in den Tafeln von Herakleia (Ed. S c h w y -z e r , Festschr. Kretschmer, Göttingen 1926, S. 245—247), λανός „Kelter" (auch in Makedonien und auf Kythera) = hell, ληνός; im Pontus κι = ion. ούκί (sonst ngr. δεν = ουδέν); auf Kreta λαγάζω (Aor. ελάγασα) „höre auf, ruhe" wie in mehreren alt-kretischen Inschriften (SGDI IV S. 1092. 1110. 1142) und λαγάσαι· άφεΐναι bei Hesych.

ß) Mundartliches in der hellenistischen Gemeinsprache

73. Wenn aus einer lokal beschränkten Mundart eine über weite Gebiete ausgedehnte Gemeinsprache herauswächst, muß man damit rechnen, daß die von ihr verdrängten Mundarten nicht nur in ihrem Raum Spuren hinterlassen (s. § 72), sondern auch in irgendeinem Maß die Gemeinsprache selber in ihrem ganzen Ge-biet beeinflussen. Es ist demnach zu untersuchen, ob in der hell. Gesamtkoine Spuren der verdrängten nichtattischen Dialekte nachweisbar sind.

74. Diese Frage wurde schon im Altertum verschieden beant-wortet: P a c a t u s entschied sich für attischen Ursprung der Koine (s. § 1), ob mit Einschränkungen, wissen wir nicht. G a l e n läßt für die κοινή διάλεκτος die Wahl, ε'ίτε μία των 'Ατθίδων (πολλάς γαρ εϊληφε μεταπτώσεις ή των 'Αθηναίων διάλεκτος) είτε και αλλη τις ολως (Περί διαφοράς σφυγμών 2, 5; Bd. VI I I 584, 17 Kühn). Häufiger jedoch ist im Altertum das Urteil, die Koine sei eine Mischung der vier Dialekte (s. § 6), wohl des-wegen, weil sie sich doch von jedem der einzelnen Dialekte, auch vom attischen, stark abhob; vgl. nodi z. B. I s i d o r , Origines IX 1,4: κοινή, id est mixta sive communis, quam omnes utuntur.

75. Die heutige Koineforschung ist der Auffassung, daß die Koine in der Hauptsache attisch ist (s. die Zusammenfassung § 107—109) mit einem ionischen Einschlag, besonders im Wort-schatz, und mit einigen Dorismen (s. § 77—91).

Literatur: S c h w e i z e r (s. § 58) S. 28—33; T h u m b , Hell. S. 61—100; M e i 11 e t3 S. 290—302; S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 121. — Die abweichende Ansicht von P. K r e t s c h m e r (Die

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Entstehung der Koine, Sitzungsber. Wien. Ak. 143 Nr. 10, 1900; gemildert Sprache [s. § 4] S. 101 f.), nach der im Gegensatz zur vorwiegend attischen Schriftsprache der hell. Zeit die mündliche Koine „einen ausgesprochenen Mischcharakter" zeige und außer der attischen Verteilung von α und η „auffallend wenige Erschei-nungen von eigentlich attischem Charakter, aber viele geradezu unattische Merkmale" aufweise (Sprache S. 101), gründet sich vor allem auf gewisse phonetische Neuerungen der Koine, die in nichtattischen Dialekten schon in vorHellenistischer Zeit auftreten und dort anscheinend am frühesten durchgeführt waren (s. dar-über § 167).

76. Von den wenigen Ä o l i s m e n , die in alter und neuer Zeit in der Koine angenommen worden sind, ist am sichersten μαλοπάραυος „apfelwangig", das wohl schon von Alkaios ge-braucht wird ([μαλ]απάραυε) und im 26. Gedicht Theokrits (Vs. 1) vorkommt. Von Hesych wird es mit λευκοπάρειος glos-siert. Es begegnet aber auch in einem Papyrus von etwa 240a; παραύα ( = att. παρειά), das auf demselben Papyrus steht, ist durch Herodian (2, 563, 25 L.) als aiolisch bezeugt. Da die Koine eine Kultur- und Weltverkehrssprache war, erklärt sich das Feh-len eines stärkeren aiolischen Einflusses aus der kulturellen und politischen Bedeutungslosigkeit der aiolischen Gegenden in den für die Koine entscheidenden Zeiten, ζ. T. vielleicht auch aus der vorhergehenden ausgleichenden Wirkung der dorischen und aitoli-schen Koine (s. § 66). Über den angeblich boiotischen Ursprung des Itazismus s. § 167.

Literatur: M a y s e r (s. § 14) I S. 9; W i t k o w s k i (s. 5 4) Bd. 120 S. 25. — Pap. Petrie I I Nr. 35, 1, 11 μαλοπαραύαν; 1, 3 παρόαν; 1, 5; 3, 9 παραύαν; d 7 παρουαν; παρα ΐα ι ς in dem ebenfalls aiolischen Gedicht Theokrit 30, 6. — Phrynichos S. 305 Lob. νίτρον· τούτο Αίολεύς μεν αν εϊποι, ώσπερ ουν καί ή Σαπφώ (Fr. 189 Lobel-Page), διά τοΐ ν, 'Αθηναίοι δέ δια του λ, λίτρον beweist nur, daß Phryn. νίτρον „Natron" aus Sappho kannte; νίτρον (aus dem ägypt. ntr(j), direkt oder durch serait. Vermittlung) scheint im Griechischen die Normalform zu sein und ist in der Koine die einzige, λίτρον wohl nur attisch (und ionisch). Auch das Scholion zu Aristoph. Plut. 673, nach dem

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52 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

αθάρης „Weizenmehlbrei" attisch, άθήρας aiolisch, άθάρας Koirte war, ist eine unzuverlässige Quelle; jedenfalls ist άθήρα (oder -ρη) auch für den ionischen Hellanikos (Nr. 4 Fr. 192 Jacoby) und den dorischen Sophron (Fr. 77 K.) bezeugt.

77. Der Nachweis von D o r i s m e n in der Koine leidet unter verschiedenen Schwierigkeiten: unser zuverlässiges dorisdies Ma-terial ist doch verhältnismäßig spärlich, besonders was den Wort-schatz angeht; manches erscheint uns vielleicht nur deshalb als spezifisch dorisch, weil wir die andern nicht-ionisch-attischen Dia-lekte noch unvollkommener kennen. So sind es nur wenige gün-stige Fälle, in denen wir dorischen Einfluß einigermaßen sicher erweisen können.

Literatur: K r e t s c h m e r , Entst. S. 15—20; T h u m b , Hell. S. 65—67; M a y s e r (s. § 14) I S. 5—9; W i t k o w s k i , Bibl. Bd. 120 S. 176. 178; Bd. 159 S. 24 f.; M e i 11 e t3 S. 300 f.; B l á s s - D e b r u n n e r § 2 und Sachregister unter Dorismen.

78. Unter den l a u t l i c h c h a r a k t e r i s i e r t e n D o -r i s m e n steht voran das ä, wo es einem ionisch-attischen η ent-spricht. Freilich kann dieses ä geradesogut auch arkadisch, boio-tisch, lesbisch usw. sein. Daß λοχαγός „Kompanieführer" ein Dorismus ist, ergibt sich nicht aus dem ä, sondern aus der Be-deutung des spartanischen Kriegswesens; dasselbe dürfte für ξεναγός „Söldnerführer" und αγημα „Heereszug" (besonders „Garde" im makedonischen Heer) und für κυναγός „Jäger" gel-ten; auch όδαγός, das in der Koine neben οδηγός steht, mag aus einer ähnlichen Sphäre stammen. Die sonstigen Beispiele mit α = η, wie δίχαλος μάκων, lassen sich keinem bestimmten Dia-lekt einordnen.

λοχαγός, ξεναγός und αγημα sind schon ins Attische einge-drungen (Thuk., Xen., Piaton, Demosth.; vgl. Band I § 172. 227. 229; G a u t i e r [ebenda §238] S.42). — Häufig blieb das nicht-ionisch-attische ä in Eigennamen verschiedener Herkunft: Δάμων, Μάτρων, Νικάνωρ usw. Auch als Stammauslaut von Per-sonennamen: Νικάτας, Φίλα usw.; in nichtattischen Namen war auch hier das Attische vorangegangen: Όρόντας, Πελοπίδας, Λεωνίδας usw. (vgl. § 79).

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 53

79. Ziemlich eng begrenzt ist der Kreis der Dialekte, in denen äo zu ä kontrahiert wurde. So ist das -So des Gen. Sg. der Maskulina der 1. Dekl. nur im Lesb., Thess., El., Nordwestgriechi-schen und Dor. zu -ä geworden; in die Koine aber ist dieses -ä über das A t t i s c h e gelangt, denn für den Umfang, in dem sie es aufgenommen hat, war das Attische maßgebend: es ist auf die Fälle beschränkt, in denen es schon im Attischen zulässig war, d. h. auf fremde Eigennamen, in denen audi die anderen Kasus das ä haben konnten (vgl. § 78 und Band I § 227). Wo aber -ας -ου echtes altes Attisch ist, nämlich hinter ι, ε, ρ (νεανίας, 'Αν-δρέας, Διαγόρας), bleibt diese Flexion meistens auch in der Koine; ja sie ist sogar bei fremden Namen Regèl (ζ. Β. Ηλίας, Ήλιου), obwohl -ου nur attisch war und sonst in der Koine die Neigung zu einheitlicher Flexion -ας -δ -q -αν -à sehr stark ist (vgl. § 150).

80. Μεγιστάνες heißen in den hell. Reichen die „Großen", die „Magnaten" im Hofzeremoniell; das Wort ist gewiß am make-donischen Hof aufgekommen. Es ist den Ethnika auf -άνες (aus -αονες) nachgebildet, die vor allem in Mittelgriechenland beliebt waren (Α'ινιάνες, Άκαρνάνες usw.; vgl. H. J a c o b s o h n , Ztschr. f. vergi^ Sprachf. 57, 1930, S. 80 f.). — Daß λοξός und λατόμος (aus λαο-) nebst Ableitungen in der Koine dorische Fär-bung haben, scheint vom dorischen Westen her bestimmt gewesen zu sein» die Steinbrüdie bei Syrakus, in denen die stolze atheni-sche Expeditionsarmee im Jahr 413 zugrunde ging, müssen sich Athen und der übrigen griechischen Welt unauslöschlich einge-prägt haben.

81. Ihre besondere Geschichte haben die Wörter λαός „Volk" und ναός „Tempel". Ihre attische Flexion λεώς λεώ usw. war den Ioniern wenig, allen übrigen Griechen gar nicht vertraut (s. § 173). Dagegen war ihnen λαός aus Homer und von berühmten Namen wie Μενέλαος, 'Αγησίλαος, Αρχέλαος her (die ihrerseits ihre Beliebtheit Homer verdankten) wohlbekannt, und die make-donische Vorliebe für heroisches und lakonisches Heerwesen stützte das Wort stark; so ist λαός die ausschließliche Form in der Koine; auch gebraucht es die Amtssprache in Ägypten und

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54 Grandfragen des nachklassisdien Griechisch

Syrien für die ansässige Bevölkerung. In Namen ist ebenfalls Λαο- und -λαος die Regel (Λαοδίκεια, Νικόλαος usw.); nur dann und wann taucht das dorische Λα- und -λάς auf. Der Sieg von ναός dagegen wird sich wohl daher erklären, daß sich den Wall-fahrern nach den Tempeln und Festorten Delphi, Epidauros und Olympia das archaische ναός eingeprägt hat.

Der Tempelwächter heißt aber hell, gewöhnlich νεωκόρος (hier brauchte ja νεω- nicht dekliniert zu werden!); daneben steht ge-legentlich νακόρος (s. § 49).

82. Der Dorismus des gutturalen Stammauslauts von ô ρ ν ι χ -„Vogel" (hell. „Henne") gegenüber sonstigem όρνιϋ- ist durch Grammatiker und Lexikographen gesichert, ferner durch Pindar, Bakchylides, Alkman und den delphischen Namen Όρνιχίδας. Die Koine gebraucht zwar gewöhnlich όρνιϋ-, aber es fehlt nicht •an Belegen für όρνιχ-; auch im Neugriechischen scheint neben dem gewöhnlichen όρνίΰι eine Spur des Gutturalstamms vorhanden zu sein.

83. Dem att. έάν τι(ς) entspricht im Dorischen mit anderer Reihenfolge αΐ τί(ς) κα; in delphischen Inschriften steht dafür über 200mal ein halb koinisiertes ει τις κα, und in der Koine findet sich da und dort ε'ί τι(ς) αν (κα'ί τι αν D i t t e n b e r g e r 3

Nr. 736, 50 [Messenien, 92a] neben mehrfachem αν δε τις; Plut. Tib. Gr. 15; Ν. T. 1 Kor. 7, 5 εί μή τι αν; Papyri seit etwa 100P) anstelle des att. έάν τι(ς); anscheinend hat da ein Dorismus eine auch ohne äußeren Einfluß mögliche Verbindung unterstützt: ε'ί τι(ς) αν aus ε'ί τι(ς) erweitert nach dem Vorbild des oft damit synonymen όστις(οτι) αν. Vgl. J. W a c k e r n a g e l , Über einige antike Anredeformen (Progr. Göttingen 1912) S.27f . ; H. L j u n g ν i k , Beiträge zur Syntax der spätgriech. Volkssprache (Skrifter Hum. Vet.-Samf. Uppsala 27, 3; 1932), S. 9—18; B l a s s - D e b r u n n e r § 376 Anhang. — Über hell, μέντον für μέντοι s. § 70.

84. Ähnlich wie mit ε'ί τι(ς) αν dürfte es sich mit ε ν ι im Sinn der Kopula έστίν είσίν verhalten. Die ngr. Kopula εΐναι (sprich ine; in Dialekten auch ενι, εναι u. a.) hat έστίν und είσίν voll-ständig verdrängt und ist sicher Fortsetzer des alten ενι (einer Ne-benform von έν); dieses hat bei Homer und im Attischen die

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Die Entstehung der hellenistischen Gemeinsprache 55

Bedeutung von ενεστιν, ενεισιν „es ist (sind) darin; es gibt darin", im Att. auch die von „es ist möglich". Für ενι als Kopula glaubte man einen alten Beleg in altkorinthischem Alphabet auf einer schwarzfigurigen Schale aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. zu haben (P. K r e t s c h m e r , Glotta 12, 1923, S. 152;; aber es handelt sich um einen Fehler des Malers für εμι = είμί (A. D e -b r u η η e r , Mus. Helv. 11, 1954, 57 fi.). Die Koine kennt fast ausnahmslos nur die schon att. Bedeutungen von ενι; die ganz spärlichen Stellen in der altern Koine sind unsicher: erst die Kon-zilsakten bieten Sicheres (H. P e t n o t , Mém. Soc. ling. 9, 1896, S. 181). Die Abschwächung von „es gibt" zu „es ist" entstand in der Verbindung von ενι mit Ortsbestimmungen (ζ. B. Soph. O. R. 1239 έν έμοί, Beri. Griech. Urk. IV Nr. 1141, 7 f. = O l s s o n Nr. 9 [13a] έν τη πρώτη μου επιστολή ούθέν αμάρτημα ενι, N .T . 1 Kor. 6, 5 ουκ ενι [ν. 1. εστίν] έν ύμϊν, Kol. 3, 11 οπού ουκ ενι).

85. Im Gebiet des W o r t s c h a t z e s ist Nachweis von Do-rismen besonders schwierig, wenn kein lautliches Zeichen den Dialekt verrät; die Vorbehalte von § 77 gelten also hier in ver-stärktem Maß. In diesem Sinn können als Dorismen der Koine am ehesten folgende Wörter betrachtet werden: βουνός „Berg" = att. ορος; εγγυος „Bürge" = att. εγγυητής; κριτής „Richter" = att. δικαστής (nebst κριτήριον = δικαστήριον); μοιχαν „ehe-brechen" = att. μοιχεΰειν; όρκίζειν „schwören lassen, vereidigen, beschwören" = att. όρκοϋν.

86. Nach Herodot IV 199, 1 hieß die mittlere der drei kyrenä-ischen Vegetationszonen βουνοί (etwa „Vorberge"); Phrynichos S. 355 Lob. erklärt, βουνός sei Attika fremd, und belegt dies mit zwei Versen aus dem att. Komödiendichter P h i l e m o n (etwa 360—260a; I I S. 521 Fr. 142 Kock):

(Α) Βουνόν έπί ταύτη καταλαβών ανω τινά — (Β) Τις έσίΚ ó βουνός; ϊνα σαφώς σου μανθάνω.

Phrynichos fügt bei, das Wort sei in der sizilischen Dichtung ge-wöhnlich (καθωμίληται; vgl. G. Κ a i b e 1, Poetae com. Graeci I S. 199, 9). Wir kennen es sonst vor der Koine nur aus Aischylos (Suppl. 117 und 129 Άπίαν βοΰνιν [γαν] in einem Chorlied); der Koine ist es sehr geläufig (das Deminutiv βουνίον ist schon IVa Inschr. v. Magnesia [s. § 51] 122 d 12. 13 belegt), und das Neugriechische, das ορος gänzlich durch το βουνό und το βουνί

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ersetzt hat, stimmt dazu. — Für εγγυος sind die ältesten Belege dorischen Ursprungs; literarisch kommt es bei dem Megarer Theo-gnis (Vs. 286) vor, dann bei dem dorisch infizierten Xenophon, in der Koine seit Aristoteles und den Papyri des I I I a . Vgl. E. F r a e η k e 1, Nomina agentis I (Straßburg 1910) S. 226 f.

87. Die att. Bedeutung von κριτής ist „Beurteiler, Schieds-richter", entsprechend die von κριτήριον „entscheidendes Kenn-zeichen". — So bemerkt der Scholiast zu Aischines 3,233: κατα-χρηστικώς δέ είπεν ένταΰθα κριτήν τόν δικαστήν. κριτής νάρ ó κρίνων τους τραγφδούς και τους άλλους έπι σκηνής, und Iso-krates 15, 27, Xen. Symp. 5, 10 und Demosth. 21, 18 verwenden κριτής und δικαστής korrekt in verschiedener Bedeutung. Im Sinn von „Richter" ist κριτής in der Koine seit Aristoteles be-legt, auch im offiziellen Sprachgebrauch der Ptolemäer und Römer; ebenso κριτήριον für „Gerichtsstätte, Gerichtshof" seit Polyb und offiziell im ptolemäischen Ägypten. Da nun für „Richter" auf dor. Gebist κριτήρ schon früh vorkommt und κριτήριον „Ge-richtsstätte" inschriftlich besonders dem dor. Gebiet eigen ist, muß man das hell, κριτής „Richter" als eine Umdeutung des att. κριτής nach dem dor. κριτήρ betrachten, was durch die Doppel-bedeutung „urteilen" und „richten" des att. κρίνειν erleichtert wurde. Vgl. J. W a c k e r n a g e l , Hellenistica S. 10 f.; F r a e n -k e 1, a. a. O. I I (1912) S. 32 f. Gegen Dorismus Ed. H e r -m a n n , Sokrates 2 (1914) S. 146.

88. Der Dorismus von μοιχαν erweist sich durch μοικίον μοικίοντ' der kret. Inschrift S c h w y z e r , Dial. Nr. 179 I I 21. 44 (um 450a) und durch das μοιχώντα des Spartaners Kallikrati-das bei Xen. Hell. I 6, 15 (Plutarch Mor. p. 1100 Β setzt dafür attizistisch μοιχεΰειν ein!). In der Koine ist μοιχάσθαι in der LXX und im Ν. T. vertreten, und zwar steht es da als das vul-gäre neben μοιχεΰειν und -εύεσθαι. Demnach ist μοιχαν ein Do-rismus der Vulgärkoine. Vgl. J. W a c k e r n a g e l , Hellenistica (Progr. Göttingen 1907) S. 7—9; G a u t i e r (Bd. I, § 238) S. 26.

89. Nach Phrynichos S. 360 Lob. war όρκοϋν attisch, όρκΐζειν hell.: μάλλον διά του ω λέγε ή δια του ι ώρκισεν. Dazu stimmen unsre Belege: όρκοϋν und seine Komposita sind in den att. (und ion.) Inschriften und bei Aristoph., Lysias usw. heimisch, in der Koine offenbar nur der höheren Schicht angehörig (z. B. in der LXX und im Ν T. fehlend); dagegen sind όρκΐζειν und seine Komposita echte Koinewörter (besonders auch in den vulgären Zauberpapyri). Da nun aber die alten Dialektinschriften von Delphi, Rhodos und Kreta όρκΐζειν mehrfach, όρκοϋν nie gebrau-

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dien, ist όρκίζειν in der Koine als Dorismus aufzufassen und dementsprechend auch das όρκίζειν bei dem ionisch schreibenden Dotier Hippokrates (Jusjur. IV 630 L. = Corpus med. Graec. I 1 [Leip¿g und Berlin 19271 S. 4, 11), in ionischen Inschriften des dorischen Halikarnaß und von Erythrai und schließlich auch beim „Attiker" Xenophon (Symp. 4, 10) und den spätattischen Rednern Demosthenes und Aischines. Vgl. F r a e η k e 1 a. a. O. I 180.

90. Ein verkleideter Dorismus ist άνάδοχος „Bürge, Bürg-schaft" (Menander, Dionys. H., Plut., Pap.) und άναδοχή „Bürg-schaft" (Polyb): aus άνδοκά S c h w y z e r , Dial. Nr. 179 IX 34; 181 VII 19 (Gortyn; um 450a), άνδοκεία auf Sizilien. Vgl. E. K r e t s c h m e r , Glotta 18 (1930), S. 91. S. auch § 70 über καταδιχ-.

91. Das G e s a m t u r t e i l ü b e r d i e D o r i s m e n der Koine kann auf Grund der gegebenen Proben nur so lauten: Kein dorisches Lautgesetz ist aufgenommen worden; es gibt nur Lehn-wörter, namentlich auf dem Gebiet des Rechtslebens, mit oder ohne lautliche Zeichen der dorischen Herkunft, so wie z. B. in die nhd. Gemeinsprache niederdeutsche Seemannswörter wie Flagge, Takel, Topp, Wrack, leck, lichten eingedrungen sind. Daß sich dorisches ä besonders gut erhalten konnte, verdankt es der Tatsache, daß es nicht nur dorisch war. In der Formenbildung ist die Koine sehr spröde gegen das Dorische; das -ä des Gen. Sg., das sich allein durchsetzen konnte, war schon ins Attische aufge-nommen worden, s. § 79. Die Spärlichkeit der dorischen Einflüsse in der Koine steht mit der verhältnismäßig großen Widerstands-kraft des Dorischen gegen die Koine nicht im Widerspruch; viel-mehr ist beides die Folge derselben geschichtlich-kulturellen Lage: die dorischen Kernlande lagen abseits vom werdenden Hellenis-mus und suchten die Verbindung mit ihm nicht, wenn sie nicht gar in bewußter Opposition gegen ihn standen; und als schließ-lich die Koine vom Osten her auch die Dorierlande eroberte, war sie schon so gefestigt, daß sie dem Dorischen keine Zugeständ-nisse mehr zu machen brauchte und sogar den im Parnon verblei-

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58 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

benden Rest des Lakonischen (s. § 71) wenigstens stark zu modi-fizieren vermochte.

92. Daß die n o r d w e s t g r i e c h i s c h e n Dialekte nur ganz weniges zur Koine beigetragen haben, ist verständlich: diese Landschaften waren weder politisch noch literarisch fähig, mit der attisch-ionischen Koine zu konkurrieren. Audi die Fortdauer des Dialektgebrauchs in den delphischen Privatinschriften bis ins I I p (s. § 54) läßt darauf schließen, daß die Beziehungen zur pan-hellenischen Koine (mit oder ohne Absicht) nicht sehr eng, also auch die Möglichkeiten phokischer Beeinflussung der Koine ge-ring waren.

Literatur: Κ r e t s c h m e r (s. § 75) S. 11-^15; Α. Τ h u m b , Indogerm. Forsch. 31 (1912/13), S. 222—229 (über die Behand-lung der Lautgruppe -σί)-).

93. Vom Nordwestgriechischen scheint der Anstoß zur Über-tragung der Endung -ες auf den Akk. PI. ausgegangen zu sein. Der älteste sichere Beleg dafür ist [μνά] ς δεκατέτορες auf einer delphischen Felsinschrift ( S c h w y z e r , Dial. Nr. 320, 5 f.; etwa 430a); weitere Beispiele bieten Achaia, Elis, die Phthiotis und Messenien im 3. und 2. Jahrhundert; die attischen Inschriften schließen sich erst in der späten Kaiserzeit an, während solche Formen in den Papyri seit II a , auf den Ostraka seit I a nicht selten sind. Sie waren wohl vulgär; denn die Literatur hält sich davon fast ganz frei: die LXX und das N. T. kennen so fast nur τέσσαρες. Da auch der erste Beleg (s. o.) das Zahlwort für vier betrifft, so ist hier der eine Ausgangspunkt für die Erscheinung zu finden: τέσσαρες ist auch als Akk. gebraucht worden, v/eil auch δύο und τρεις und dann wieder πέντε bis έκατόν zugleich Nom. und Akk. waren. Damit wurde eine Entwicklung verstärkt, die im Attischen schon früher von anderer Seite eingesetzt hatte: "'πόλεες und *πόλενς waren in πόλεις zusammengefallen; darum wurden audi ευγενείς und ηδείς und (in den att. Inschriften seit 307a) βασιλείς als Akkusative verwendet (statt -έας), und ent-sprechend auch κρείττους statt *κρείττως. Im Neugriechischen sind auch die ¿-Stämme von diesem Ausgleich erfaßt (-ες -ες statt -αι -ας); nur die o-Stämme haben den Unterschied (-οι -ους) bewahrt.

Vgl. J. W a c k e r n a g e l , Indogerm. Forsch. 14 (1903), S.367 bis 373; S c h w y z e r , Dial. S. 459 und Gramm. 1 S. 563 f.

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571 f. 575; B l a s s - D e b r u n n e r § 46, 2. — Über angeblich nwgriech. -σαν s. § 176 f., über -αν im Pf. § 178, über mediale Flexion von ειμί § 181 c.

94. Nordwestgriechischer Ursprung wird für κοράσιον ange-nommen. Dafür spricht zwar das massenhafte Vorkommen in Del-phi (23mal, vom IIa an; in Boiotien IIa 5mal); da es aber dort immer erst in hell. Zeit und von Sklavenmädchen gebraucht wird (κοράσιον δουλικόν) und nur in Freilassungsurkunden, während es in der Koine „Mädchen" schlechthin bedeutet, so ist die nw-griech. Herkunft nicht so sicher. Daß es nicht attisch war, be-zeugen mehrere Grammatikernotizen; deshalb ersetzt auch Lukas (8, 54) das κοράσιον des Mt. und Mc. durch ή παις. Vgl. F. S o 1 m s e n , Rhein. Mus. 59 (1904), S. 503 f. Über Einfluß von Delphi bei ναός s. § 81.

95. Daß in der Koine viele i o n i s c h e B e s t a n d t e i l e weiterleben, ist früh erkannt worden. So lange sich aber das Koinestudium vornehmlich an Polyb orientierte, erklärte man die Wörter, die Polyb mit Herodot und Hippokrates teilte, aus in-tensiver Lektüre dieser Autoren durch Polyb. Je mehr man jedoch dieselben Ionismen auch bei andern hellenistischen Schriftstellern, ja selbst in vulgären Papyri fand, um so mehr wurde diese An-schauung überflüssig. Andererseits hatte die starke ionische Infek-tion des hell. Wortschatzes U. v. W i l a m o w i t z schon 1877 dazu geführt, auf der Wiesbadener Philologenversammlung die Koine direkt als ein „ionisches Bauernidiom" zu erklären. Doch hat er das bald eingeschränkt (Ztschr. f. Gymnasialwesen 38, 1884, S. 114), und auch Wilhelm S c h u l z e , der den Gedan-ken aufnahm, sprach nur von einem „sehr tiefgreifenden Einfluß von seiten des (oder eines) ionischen Bauernidioms" (Beri. phil. Wochenschrift 1893, S. 227 =•-- Kl. Schriften S. 310), und schließ-lich ist Wilamowitz bei der Wiederaufnahme des Themas nach 50 Jahren auf der Göttinger Philologenversammlung nicht mehr auf seinen Gedanken zurückgekommen.

Eine gründliche Untersuchung der Ionismen der Koine in allen Einzelfällen ist eines der dringendsten Desiderata der Koinefor-

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60 Grundfragen des nadiklassisdien Griechisch

sdiung. Es kann daher hier nur eine kleine Auswahl gegeben werden, und das soll mehr vom Gesichtspunkt kritischer Vorsicht als fertiger Ergebnisse aus geschehen. — Literatur: S c h w e i -z e r (s. §58) S.29f. 205; T h u m b , Hell. S.68—78. 209 bis 226. 230—233; K r e t s c h m e r , Ernst. S. 20—26; M a y s e r PS .»—24; L i m b e r g e r (s. § 26) S. 101—106; S c h e r e r (s. § 50) S. 75 f.; U. v. W i l a m o w i t z , Geschichte der griedi. Sprache, Berlin 1928.

96. Heute sehen wir deutlich, daß die Koine vorbereitet war einerseits durch das „Großattische" (§ 41), andererseits durch den Einfluß des Ionischen auf die attische Literaturprosa (vgl. § 37 und Band I § 220. 222—227. 231). So gesehen erscheinen gewisse attische oder im allgemeinen attisch schreibende Schrift-steller vom Ausgang des 5. und aus dem 4. Jahrhundert als V o r -l ä u f e r d e r K o i n e . So vor allem Xenophon (s. Band I § 228. 231), sodann seine Zeitgenossen A e n e a s T a c t i c u s , der älteste taktische Schriftsteller, und Κ t e s i a s aus Knidos, der Leibarzt am Hof des Perserkönigs Artaxerxes II., des Siegers von Kunaxa. Ρ1 a t o η steht in seinem Alterswerk, den Gesetzen, der Koine schon viel näher als in den frühern Schriften, und die durch Papyri bekannten Reden des H y p e r e i d e s (390—322) bilden ebenfalls eine Verbindung zwischen dem Volksattischen und der Koine.

Literatur: C. B e h r e n d t , De Aeneae commentario polior-cetico quaestiones selectae, Diss. Königsberg 1910; Chr. M a h l -s t e d t , Über den Wortschatz des Aineias Taktikus, Diss. Kiel (Jena 1910); J.-R. V i e i l l e f o n d , Revue philol. 58 (1932), S. 24—36 (setzt Aen. Tact, ins 3. Jahrhundert v. Chr.! Vgl. D e -b r u η η e r , Burs. Jb. [s. § 4] Bd. 261 S. 163); D. G r o m s k a , De sermone Hyperidis, Lemberg 1927 (Studia Leopolitana III); U. P o h l e , Die Sprache des Redners Hypereides in ihren Be-ziehungen zur Koine, Leipzig 1928 (Klass.-philol. Studien, hrsg. v. Chr. Jensen 2); T h u m b - S c h e r e r 310ff.

97. Aus Aeneas Tacticus: Ionismen wie τείχεος usw., άείρειν, τελέως; 78 Wörter mit σσ gegen 24 mit t t ; Verarmung bei den Präpositionen (kein άμφί und ώς, kein περί mit Dat., kein πρός mit Gen., selten ανά und άντί), ρύμη „Straße" (att. „Schwung,

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Andrang"; s. §133). Aus Hypereides: ναός, ήμ'ιση ( = -εα), δεκαπέντε, ένεκεν, ούθείς, κλαιήσω, trans, καθεστδκα.

98. Als ionisdi gilt gewöhnlich die P s i l o s e der Koine (vgl. §170 f.); da sie aber vorhellenistisch einerseits vom Ionischen der Inseln und Euboias nicht geteilt wurde, andererseits audi lesbisch, elisch, mittelkretisdi und kyprisch war, darf man dem (kleinasiatischen) Ionischen höchstens die Haupteinwirkung auf die hell. Psilose zuschreiben. Am ehesten rein ionisch dürfte άπηλιώτης (seil, άνεμος) „Westwind" sein (Herodot, Eur., Thuk.; Papyri und Inschriften; von den Römern mit subsolanus oder desolanus wiedergegeben); es ist wohl ein Fachausdruck der ionischen Schiffersprache (vgl. A. R e h m , Sitzungsber. München, ph.-h. Kl. 1916, S. 23). Über sekundäre Aspiration in der Koine s. § 171.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 2 2 0 — 2 2 2 ; T h u m b -S c h e r e r 265 f.

99. Günstig scheinen auf den ersten Blick die Aussichten für die Feststellung von Ionismen bei der V e r t e i l u n g v o n ä u n d η zu sein, da nur das Ionische für alle urgriechischen ä das η aufweist. Allein die Koine folgt darin sehr streng dem Attischen (s. § 107. 168); Ausnahmen sind erstaunlich selten und oft zwei-felhaft: über die in der Koine sehr verbreiteten Genitive und Dative von Feminina auf -ρά wit σπείρης, μαχαίρη s. § 172; die ionische Formel έφ' ίση και ύμοίτ) findet sich selten und nur auf ionischem Gebiet (gebräuchlicher, sogar auf ionischem Boden, ist εφ' 'ίση καί όμοίςι); die Komposita auf -μέτρης (γεω-, σιτο- usw.) haben nicht η aus ä; das η von att.-hell. χορηγός ist analogisch nach att. στρατηγός αρχηγός οδηγός usw. (vgl. att.-hell. παρ-ηγορεΐν usw. statt -άγ- nach κατ-ηγορειν usw.); διηνεκής gehört zu ένεγκ- (seltenes διανεκής ist Hyperdialektismus oder Umdeu-tung im Anschluß an διά).

100. Dagegen ist Ionien wohl der Hauptausgangspunkt für das hell, γζν- (in γίνομαι und γινώσκω) aus γιγν- (über *ginn-)·. es

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62 Grundfragen des nadiklassischen Griechisch

ist von Anfang an (Va) die ständige Schreibung der ionischen In-schriften, wenn es auch in andern Dialekten inschriftlich häufig und verhältnismäßig früh auftritt (in Athen seit IVa f). In der Koine ist γιγν- überall ein Zeichen des Anspruchs auf Bildung.

101. Die N e u t r a a u f - α ς sind von Anfang an spärlich gewesen und zeigen schon vor der Koine Zeichen von Schwäche. Im Attischen neigen sie dazu, in eine Flexion auf -ατ- überzu-gehen (κέρας κέρατος usw.); derartiges kennt auch die Koine. Das Ionische zeigt bei einigen dieser Wörter eine Flexion -ας -εος -ει -εα -έων -εσι (statt -αος usw.), also Übergang in die weit stär-kere Klasse der Neutra auf -ος. Die ältere Koine stimmt völlig mit dem jüngeren Attischen zusammen: γέρως γέρα νερών, κρέα κρεών sind die regelmäßigen Formen der vorchristlichen Inschrif-ten und Papyri. Dann aber treten γήρους und γήρει auf; sie sind handschriftlich auch bei vorchristlichen Autoren überliefert. Ver-mutlich sind also -ους und -ει selbständige Neubildung der Koine nach γένους γένει usw. (so später sogar γήρος nach γένος usw. und κρέη zu κρεών nach γένη zu γενών). Die Lücke zwischen diesen nachchristlichen Formen und den ionischen auf -εος -ει wird schwerlich überbrückt von κνέφους bei Aristophanes (Ekkl. 290; Chorlied) und γήρους bei Hippokrates (π. τ. εντός παθών 6 = VII 182 L.).

102. Die N o m i n a a u f - α ς , die männliche Kurznamen, Spitznamen und Berufsbezeichnungen bilden, weisen in der Koine zwei Flexionstypen auf: 1. -δς -δ -φ -δν -δ; 2. -δς -δδος (oder -δτος) -δδι (-άτι) -δν -δ. Herodían (I 51, 3—11; I I 636, 24 f. 657, 5 L.) bezeichnet den ersten Typus als dorisch, den zwei-ten als ionisch. Das α ist wohl expressiv gedehnt (S c h w y ζ e r , Gramm. 1 S. 461e); die δ-Flexion ist im Ionischen früh belegt und offenbar von da in die Koine übergegangen (in Ägypten wird sie durch die τ-Flexion ersetzt) und im Ngr. Eur Pluralbildung be-liebt geworden. Parallel geht eine Flexion von Namen auf -οΰς -οΰδος (-οϋτος) -οϋδι (-οϋτι) -οϋν (in den Papyri sind es ägypti-sche Namen, meist männliche). Auch hierfür liegt der Ursprung

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in Ionien: zum Gen. auf -οϋς der Frauennamen auf -ώ wie Λητώ haben Hipponax, Herodot, Herondas und die Inschriften einen Akk. auf -οΰν (vgl. τιμής — τιμήν usw.!); zu -οΰν wird dann ein Nom. auf -οϋς gebildet nach -ας zu -αν, und damit war der Weg zur Dentalerweiterung offen.

Literatur: W. S c h u 1 ζ e , Beri. phil. Wochensdirift 1893, Sp. 226 f. = Kl. Schriften (Göttingen 1933), S. 308—310; M a y s e r I2 2 S. 5—8. 34 f.

103. Der oft behauptete ionische Einfluß bei den N o m i n a auf - μ α und - σ ι ς ist so zu verstehen: Da diese sich wegen ihrer Bedeutung besonders für die wissenschaftliche Sprache eignen, sind sie in der ion. Prosa sehr beliebt; sie sind aber auch dem Attischen schon in alter Zeit keineswegs fremd (Aristo-phanes hat ζ. B. eine Vorliebe für -μάτιον); das Ionische hat also lediglich infolge seiner Bedeutung für die gelehrte Literatur ein attisches Sprachmittel verstärkt und damit auch für die Koine gesichert. Vgl. S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 504—506. 522—524; 2 S. 356 f.

104. Die Verwendung von όστις für δς ist der Koine geläufig; sie beruht auf dem menschlichen Bedürfnis, zu verallgemeinern, Einzelerscheinungen als Vertreter eines Typus hinzustellen, und auf dem Streben nach voller klingenden Formen; sekundär kommt Hiatusmeidung (so bei Polyb und Diodor) und der Wunsch nach Scheidung von οί παραγενόμενοι und οι παραγενόμενοι u. dgl. hinzu (daher ζ. Β. Ν. T. Acta 17, 10 οΐτινες παραγενόμενοι . . . άπήεσαν, 8, 15 οϊτινες καταβάντες προσηΰξαντο). Vor der Koine ist dieses „individuelle όστις" auf Herodot und wenige Stellen der attischen Literatur beschränkt. S. auch § 20 und S c h w y z e r , Gramm. 2 S. 643, 8.

105. Das Präsens μίσγω ist aus Homer, Hesiod und Herodot bekannt und dann wieder aus der Koine (Papyri, Polyb, Aristeas, Josephus); da das Attische dafür sicher μείγνυμι hatte, ist μίσγω auch bei attischen Prosaikern als Ionismus zu rechnen. Dagegen reichen die Varianten κατακρύβει bei Herodot V 92, δ 1 (cod. AB'C1) und κρύβονται bei Hippokrates περί γυν. I I 154 (VIII 328 L.; in 0, der besten Handschrift) nicht aus, um ionischen Ursprung des hell, und ngr. κρύβω = att. κρύπτω zu beweisen.

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106. Lehrreich ist das Eindringen des μ in den hell. Formen λήμψομαι, έλήμφθην, έπίλημψις, συλλήμπτρια usw .gegenüber att. λήψομαι usw. Da die Herodotüberlieferung λάμψομαι usw. schreibt, erklärte man λήμψομαι usw. als Kombination des att. λήψομαι mit dem ion. λάμψομαι. Dem widersprachen aber die ion. Inschriften, die in der älteren Zeit nur λάψομαι kennen; und Entsprechendes gibt es auch in Varianten bei Herodot und Hip-pokrates. Demnach ist die Einschiebung des μ (vom Präs. λαμβάνω aus!) kein Ionismus der Koine, sondern umgekehrt das μ in der „ionischen" Textüberlieferung ein Koinismus! In den Papyri kommt dieses sekundäre μ seit I I I a m vor; das älteste authentische Beispiel jedoch ist έπίλαμπτος (ä?) „epileptisch" in der epidaurischen Heilinschrift IG IV2 1 Nr. 123, 115 (IVa2/2).

Vgl- W. S c h u 1 ζ e , Festschrift Kretschmer (Wien 1926) S. 220 f. = Kl. Schriften S. 411—413. — Über die Vermischung der Verba auf -άω und -έω s. § 180.

107. Was bleibt nun nach Abzug aller sonstigen Einflüsse A t t i s c h e s i n d e r K o i n e ? Das Verhalten der Koine zu den Dialekten läßt sich in seinem Ergebnis in drei Hauptregeln fassen:

a) Züge, die dem Attischen fast oder ganz allein angehörten, sind ausgemerzt, falls die anderen Dialekte übereinstimmten. Bei-spiele: die Koine braucht σσ (φυλάσσω usw.), nicht xx (φυλάτ-τω), das außer in Attika nur noch in Boiotien und in Teilen Euboias gesprochen wurde (Näheres s. § 169); έλαια, καίω usw., nicht att. έλδα, χαω; -ρσ- (αρσην usw.), nicht -ρρ- (αρρην) (s. § 169). Beseitigt wird die sogenannte 2. att. Dekliantion (s. § 173).

b) Züge, die das Attische mit dem Ionischen teilte, sind durch-gedrungen (besonders wenn die anderen Dialekte voneinander abwichen): das η in μήτηρ, μάχη usw. gegen sonstiges μ&τηρ, μάχά; die Aussprache des υ als ü; ημείς ήμάς, ύμεΐς ύμάς gegen dor. άμές άμέ, ύμές ύμέ, aiol. αμμες αμμε, ΰμμες ϋμμε; είναι (vgl. ark. ήναι) gegen dor. ήμεν είμεν, aiol. είμεν εμμεν εμμεναι;

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αν (audi ark.) gegen dor. κα, aiol. κε(ν) ; είκοσι gegen dor.-boiot. Ρίκατι usw.

c) Wo die außerattischen Dialekte uneins waren, siegte das Attische, auch wenn es ganz allein stand: Mit ä = urgr. ä hinter ι, ε, ρ, aber sonstigem η nahm das Attische eine Mittelstellung zwischen dem durchgängigen η des Ionischen und dem durch-gängigen ä der andern Dialekte ein; daher setzt es sich durth: μήτηρ gegen dor. usw. μδτηρ aber ελευθερία gegen ion. -ίη; so auch πρασσω gegen ion. πρήσσω (und nach Regel a gegen att. πράττω!); Gen. der Maskulina der 1. Dekl. auf -ου gegen home-risch-boiot. -So, ark.-kypr. -αυ, dor. -ä, ion. -εω (doch vgl. § 79); πόλεως usw. gegen -ιος der andern Dialekte, woneben es aber gerade in der Ubergangszeit da und dort -εος gegeben zu haben scheint.

108. Die attische Grundlage der Koine zeigt sich nirgends deut-licher als darin, daß diese Regeln nur mit der Orientierung nach dem Attischen hin Geltung haben und daß sie unrichtig werden, wenn man „attisch" etwa durch „ionisch" oder „dorisch" ersetzt. Natürlich sind die Regeln nicht als Richtlinien der Entwicklang aufzufassen, sondern sie veranschaulichen das Ergebnis des Aus-wahlprozesses. Unter den Ausnahmen stehen zuvorderst einige einzelne Lehnwörter: ήττα ist eine rein attische Neubildung und hat in den andern Dialekten keine lautliche Entsprechung; Baum-namen gehen hell, zwar auf -έδ aus, so auch im Ν. Τ. συκομορέα „Maulbeerfeigenbaum", aber immer συκή „Feigenbaum" wie LXX und andre (ζ. B. Dioskorides), weil Feigen ein Hauptaus-fuhrartikel Attikas waren.

109. Ein äußerst lehrreiches Beispiel ist ούθείς (μηθείς): im Attischen war ούδ' είς noch nicht völlig zusammengewachsen, wie ούδ' ύφ' ενός u. dgl. beweist; bei starker Hervorhebung konnte mit Hiatus οΰδέ είς gesagt werden (was metrisch beglaubigt ist), während ούδ' εις, μηδ' είς wohl von altersher im Attischen als ούθείς, μηθείς gesprochen wurde, vgl. Αοθερμες = δδ' 'Ερμής VIa, ούθ' oí 373a (s. T h u m b - S c h e r e r 309). Die att. In-schriften fangen 378a an, die Schreibung οΰθείς, μηθείς zuzu-

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66 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

lassen (nachdem bis dahin die etymologische Schreibung mit δ herrschend gewesen war) und schreiben seit 330a ständig so; in der Koine taucht das θ von Anfang an auf. Dann liegen θ und δ im Kampf; die offiziellen Dokumente ziehen offenbar θ vor. Im I p geht θ stark zurück, und das Neugriechische kennt wieder nur δεν „nicht" (aus ούδέν). Das spezifisch attische θ war also zuerst gegen alle Dialekte stark vorgedrungen, weil es als besser galt und ausdrucksvoller war; aber gegen den vereinten Widerstand aller andern Dialekte vermochte es sich doch nicht auf die Dauer zu behaupten, und je mehr der sprachliche Einfluß der unteren Volksschichten, in denen das δ fester saß, erstarkte, um so mehr mußte das θ weichen.

γ) Die Koine und die Dichtung

110. Zu den ältesten und meistbehandelten Fragen der Koine-forschung gehört die nach den sog. p o e t i s c h e n W ö r t e r n in der Koineprosa. Man beobachtete etwa bei Polyb und im Ν. T. Wörter, die in klassischer Zeit nur bei den Dichtern zu finden waren. Man nahm daher an, die hell. Prosaiker hätten Anleihen bei der klassischen Dichtung gemacht, eine Annahme, die sich durch die Parallele der sog. silbernen Latinität zu empfehlen schien. Allein Polyb und die Autoren des Ν. T. dürfen nicht mit den rhetorisierenden Prosaikern der römischen Kaiserzeit, einem Livius, Seneca, Tacitus, gleichgestellt werden. Die Widerlegung brachten die Papyri, die viele der angeblichen Dichterwörter in die Reihe der echten volksmäßigen Koinewörter einordneten; und dieselbe Folgerung ergab sich aus dem Fortleben derartiger Wör-ter im heutigen Volksgriechischen.

Vgl. z.B. M a y s e r I1 S. 24—35. — Beispiele: βαρεΐσθαι „beschwert werden, sich bedrückt fühlen" kommt vor bei Homer, in Piatons Symposion (im Anschluß an Homer) und bei Theokrit, dann auch bei Plutarch, in LXX und N. T., Inschriften und Pa-

yri, aber auch im ngr. βαρειοΰμαι „werde überdrüssig" ; δέσμιος Gefangener" in der Tragödie, bei Diodor, in LXX, N. T., Papyri; ϋμορφος „schön (gestaltet)" bei Sappho, Aischylos, Sophokles, 'olyb und in Hermeneumata, aber auch in ngr. έμορφος όμορφος.

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111. Die Ablehnung der dichterischen Abkunft solcher Koinc-svörter zwang zu einer neuen Erklärung: Homer und die Tragiker schöpften in solchen Fällen in letzter Linie aus der ionischen Volkssprache, aus der auch Herodot schöpfte. So ist Ionismus unzweifelhaft, wenn Homer, Herodot, die Tragödie und die Koine im Wortgebrauch zusammentreffen; so bei ρύεσθαι „schützen" und ράκος „Stück Zeug, Lumpen". Aber auch wenn ein Glied oder zwei in dieser Belegreihe fehlen, darf Ionismus angenommen werden, solange die strengen Attiker schweigen. Erst so tritt der gewaltige Anteil des Ionischen am hell. Wort-schatz ins rechte Licht. Mit dieser Erklärung der „poetischen" Wörter der Koine sollen keineswegs poetische Floskeln bei hell. Prosaikern ganz geleugnet werden; Polyb streut solche gelegent-lich ein, auch einzelne Übersetzer poetischer Bücher des Alten Testaments; und sogar eine Inschrift von Olbia ( D i t t e n b e r -g e r 3 Nr. 495; III a) gestattet sich den Homerismus σκηιχτοϋχος.

112. Die sprachliche Gestaltung der h e l l e n i s t i s c h e n D i c h t u n g zu verfolgen, ist mehr Aufgabe der Literaturge-schichte; aber die Koineforschung interessiert sich dafür insofern, als die Dichter ihr Ziel, sich über die zeitgenössische Alltags-sprache zu erheben, nicht erreichen. Dieses Ideal gilt nicht so sehr für die sog. neue attische Komödie; diese gehört der Übergangs-zeit an und will die Sprache des täglichen Lebens wiedergeben, allerdings die der gehobenen Schicht, nicht die der untersten. Sonst besitzen wir wenig derartige Dichtung in ungezwungener Sprache. Die sonstige hell. Dichtung sucht ihre Vorbilder in den Kunstsprachen vergangener Zeiten; so greifen ζ. B. Apollonios Rhodios und Rhianos auf das Epos zurück, Lykophron auf die Tragödie, Herondas (s. Band I § 123. 184) auf den ionischen Jambus.

113. Das auf Papyrus erhaltene Lied, das sein Erklärer U. v. Wilamowitz „Des Mädchens Klage" getauft hat (Nachr. d. Gött. Ges. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 1896), gibt sich als leidenschaftlicher Erguß eines vom Geliebten verstoßenen Mädchens; unruhige

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68 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

Rhythmen und eine nur leicht poetisch gefärbte Alltagssprache sollen den Eindruck des Natürlichen hervorrufen; so erklären sich die Koinewörter ακαταστασία und ζευγίζειν und die Verwen-dung von τις für πότερος. — Von Koineeinflüssen bei bekannten alexandrinischen Dichtern seien erwähnt aus Apollonios Rhodios μηνιάν = μηνίει/ν, aus Lykophron (um 200a) έσχάζοσαν (s. § 177 a) und πέφρικαν (§ 178), aus Kallimadios Epigr. 19, 1 ώφελε mit Aor. Ind. als irreale Wunschpartikel. Vgl. besonders J. W a c k e r n a g e l , Sprachliche Untersuchungen zu Homer (Göttingen 1916) S. 183—200 (S. 188—199 der sprachliche Nach-weis, daß die „homerische" Batrachomyomachie aus hell. Zeit stammt, mindestens zum Teil). — Weitere Literatur bei D e -b r u n n e r , Bibl. Bd. 236 S. 177—181; 261 S. 168—170.

3. Die hellenistische Gemeinsprache und die fremden Sprachen

a) V o r b e d i n g u n g e n d e r A u s b r e i t u n g d e r h e l l e n i s t i s c h e n G e m e i n s p r a c h e

114. Die A u s w e i t u n g d e r a t t i s c h - i o n i s c h e n G e m e i n s p r a c h e z u r W e l t s p r a c h e um die östliche Hälfte des Mittelmeers herum war die Folge der makedonischen Eroberung: die literarisch-geistige Konzentration der griechischen Welt in Athen wurde durch die gewaltsame politisch-militärische Einigung unter Philipp von Makedonien fortgeführt, und mit der neuen griechisch-makedonischen Armee zertrümmerte Alexander das ebenso kraftlose wie räumlich ausgedehnte Perserreich; im neuen Weltreich wurde das Griechische die herrschende Sprache, und zwar in der Hauptsache in der attischen Form.

Literatur: J. Κ a e r s t , Geschichte des Hellenismus, Bd. I, 3. Aufl., Leipzig und Berlin 1927; Bd. II , 2. Aufl. 1926; zu Kap. 3 im ganzen: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 121—125. 150—165.

115. Zur Zeit, als eben Athen geistiger Mittelpunkt Griechen-lands geworden war, saß auf dem makedonischen Thron ein Ge-walthaber, der nicht nur den Verehrern Nietzschescher Übermen-schen, wie dem Gorgiasschüler Polos, als Ideal galt, sondern auch ein gastlicher Freund aller Bildung war: A r c h e l a o s , der 413

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gewaltsam die Regierung ergriffen hatte, und es waren die Ver-treter a t t i s c h e r Geisteskultur, die er an seinen Hof zog, so die Tragiker Euripides und Agathon. Mit der Bildung bürgerte sich auch die attische Sprache dort ein; sie drängte sich sogar in den Verkehr ionischer Gebiete mit den Makedoniern ein.

In einem Vertrag zwischen König Amyntas und den Bewoh-nern der Chalkidike (D i 11 e η b e r g e t* Nr. 135; 389—383a) steht neben Μακεδονίης 16, φιλίην 20 und andern ionischen For-men das attische μιας 21. — Die früheren Beziehungen zwischen Athen und Makedonien waren mehr vereinzelt und mehr nur politischer Natur; doch ist beachtenswert die Attizisierung ein-zelner makedonischer Namen in einem Vertrag zwischen Athen und König Perdikkas (IG2 I Nr. 71; 423a): Άλκέτες Zeile 78, Άλκέτο 79, Μαχετο 93, aber nicht in den fremdartigen Namen Κορράτας 83. 84 und Κρατέννας 92. — Zur Frage der Nationali-tät und Sprache der Makedonier s. Band I § 9.

116. P h i l i p p , Alexanders Vater, hatte schon eine grie-chisch-attische Kanzlei. Aischines (2, 124 f.) nimmt als selbstver-ständlich an, daß Philipp den Brief, als dessen Verfasser Demo-sthenes den Aischines verdächtigte, selber in gutem Attisch verfaßt haben könnte. A l e x a n d e r d e r G r o ß e war seiner Bil-dung nach ein Athener. Aristoteles, der ihn drei Jahre lang unter-richtete (342—339), stammte zwar aus Stageira auf der ionischen Chalkidike, hatte sich aber von seinem 17. Lebensjahr an 20 Jahre lang in Athen aufgehalten und sprach sicher attisch. Das ver-stärkte gewiß die Wirkung der attischen Kanzleisprache auf die höfischen Kreise. So war es das Attische, das Alexander nach dem Osten trug und als Reichssprache benützte. Das Einwurzeln der griechischen Bildung und Sprache in den eroberten Ländern be-günstigte er namentlich durch die Anlage zahlreicher Städte, und seine Nachfolger, ζ. B. Seleukos und Antiochos, setzten diese Politik fort: daher die vielen 'Αλεξάνδρεια, Σελεύκεια, 'Αντιό-χεια usw., die sich von Kleinasien und vom Kaukasus bis nach Indien, zur Tigrismündung und nach Ägypten erstreckten. Auch die Heiraten zwischen Griechen und Orientalinnen gehören zu

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70 Grundfragen des nachklassisdien Griechisch

den Maßnahmen, mit denen Alexander planmäßig auf die Ver-schmelzung von Ost und West hinarbeitete und dem griechischen Wesen ein nachhaltiges Eindringen verschaffen wollte.

117. Der völlig attisch geschriebene Beschwerdebrief Philipps an die Athener vom Jahr 340, der als Nr. 12 unter die Reden des Demosthenes aufgenommen worden ist, dürfte nicht authentisch sein. Die von mehreren Historikern wörtlich wiedergegebenen Briefe Alexanders sind attisch ohne eine Spur makedonischen Einflusses, ebenso inschriftlich erhaltene Verfügungen von ihm (zwei auf Chios [D i 11 e η b e r g e r3 Nr. 283; 333/2a; mit lokal-patriotischem ao und εο des Steinmetzen für αυ und ευ; Th. L e n s c h a u , Leipziger Studien zur class. Philol. 12, 1890, S. 187] und eine in Priene [Inschriften von Priene, ed. H i 11 e r , Nr. 1; 334a oder später]). Wenn also die drei unattischen, ja un-griechischen Glossen, die Hesych als makedonisch aus Alexanders Briefen beibringt (άροπάνοι, γητικά „Trinkgefäße", σκοΐδος „ein Amt" [s. § 133]), wirklich in echten Briefen Alexanders standen, so waren diese wohl mehr privat (etwa an makedonische Kom-mandanten gerichtet?). Vgl. O. H o f f m a n n , Die Makedonen (s. Band I § 9) S. 17—22.

118. Die D i a d o c h e n schreiben vollständig Koine; auch die unattischen Züge der Koine treten hier deutlich hervor: ζ. B. σσ, χράσθαι und δυσίν in dem Brief des Antigonos an Teos (D i t t e n b e r g e r 3 Nr. 344; etwa 303a) und σσ, μηθενός, άφεστάλκαμεν, διοικημένων (Zeile 26, -ωικ- 36) in dem an Skepsis (OGI Nr. 5; 311a). Vgl. C. B. W e 11 e s , Royal corre-spondence in the hellenistic period, New Haven, London und Prag 1934.

119. Auch die Bevölkerungsverhältnisse in den hell. Staaten und Städten mußten die Herausbildung einer gemeingriechischen Sprache begünstigen. Im Heer Alexanders gab es neben den Makedoniern Griechen der verschiedensten Stämme; dasselbe gilt von den Soldaten der Ptolemäer: unter den Nachkommen ange-siedelter entlassener Soldaten im arsinoitisdien Gau in Ägypten (dem jetzigen Fayüm) finden wir im III a Kyrenäer, Kreter, Koer, Thessalier und Makedonen, dazu nodi Karer. Und in den hell. Großstädten wird es ein ähnlidies Völkergemisch gegeben haben; im syrischen Antiocheia ζ. B. werden Makedonen, Argiver, Kre-

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ter, Kyprier, Athener und Juden gemeldet, und die Million Juden, die Philon für Alexandria angibt, wird dort nicht das einzige ungriechische Element gewesen sein. Dieses Nebeneinander ver-schiedener Griechen und Barbaren kann nicht ohne nivellierende Einwirkung auf die Sprache geblieben sein; im gleichen Sinn wirkte der lebhafte Handelsverkehr der hell. Länder unter sich und mit dem alten Griechenland und die wiederholte Verschie-bung der politischen Machtverhältnisse.

Literatur: T h u m b , Hell. S. 239 f. 246—248; (M i 11 e i s -) -W i 1 c k e η I I S . 19—28. 53—65. 84—88; I 2 Nr. 50—64; Fr. H e i c h e l h e i m , Die ausuartige Bevölkerung im Ptolemäer-reich, Leipzig 1925 (Klio, Beiheft 18); V. Τ s c h e r i k o w e r , Die hell. Städtegründungen von Al. d. Gr. bis auf die Römerzeit, Leipzig 1927 (Philologus, Suppl. 19, 1).

b) U n t e r g a n g u n d W i d e r s t a n d d e r f r e m d e n S p r a c h e n

120. Das griechische Sprachgebiet hat heute ungefähr denselben Umfang wie vor der Eroberung des Ostens; das im 4. und 3. Jahr-hundert von den makedonischen Armeen und von der griechi-schen Amts- und Kultursprache überflutete Riesengebiet ist dem Griechischen wieder verloren gegangen. Aus Syrien, Armenien, Mesopotamien, Iran und Ägypten ist es schon lange verschwun-den, und in diesem Jahrhundert sind die sehr starken griechischen Bevölkerungsteile in Kleinasien der hohen Politik zum Opfer ge-fallen, und Makedonien ist ein Zankapfel zwischen den Griechen und Slaven. Wie hat sich dieser Aufstieg und Niedergang des Griechischen im Osten abgespielt? Und wie tief war das Griechi-sche in die einzelnen Sprachen der Ostländer eingedrungen?

Literatur: T h u m b , Hell. S. 102—161 ; Ed. M e y e r , Blüte und Niedergang des Hellenismus in Asien, Berlin 1925; Fr. A 11 -h e i m , Weltgeschichte Asiens im griech. Zeitalter, 2 Bände, Halle 1947. 1948.

121. Im ä u ß e r s t e n O s t e n des Alexanderreichs be-schränkte sich das Griechische jedenfalls immer auf engste Kreise.

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72 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

Die weite Entfernung von den großen griechischen Kulturmittel-punkten, das zahlenmäßige Übergewicht der Einheimischen und die Passivität der Orientalen verhinderten ein Übergreifen des griechischen Wesens auf das Volksganze. Das geht aus der Art der griechischen Spuren deutlich hervor: Nichtnachprüfbare Nach-richten von einer indischen Homerübersetzung, möglicher Einfluß des Hexameters auf kleine Teile der indischen Metrik, griechische Buchstaben auf den Münzen von Nichtgriechen in Indien und Baktrien besagen äußerst wenig. Etwas stärker war die griechi-sche Schicht im Partherreich; dort war offenbar wenigstens der Hof einigermaßen hellenisiert; aber sonst herrschte und herrscht bis heute das Iranische.

Literatur: G. N. B a n e r j e e , Hellenism in Ancient India; the Greek influence on the evolution of plastic arts, and scientific and literary culture in India, 2. Aufl., Calcutta 1920. — Die im I I I a begründete parthische Arsakidendynastie barbarisiert ihre Münzlegenden erst in der römischen Kaiserzeit. Von einem Ver-söhnungsmahl des Partherkönigs Hyrödes (Orödes) mit dem Armenierkönig Artavasdes berichtet Plutarch (Crassus 33) : πολλά παρεισήγετο των άπό της Ελλάδος ακουσμάτων („Darbietun-gen für das Ohr")· ήν γαρ οΰτε φωνής οίίτε γραμμάτων („Sprache und Schrift") 'Υρώδης 'Ελληνικών άπειρος, ó δ' Άρταουάσδης και .τραγφδίας έποίει και λόγους εγραφε καί ιστορίας, ών 'ένιαι διασψζονται. Wie dann der Kopf des bei Karrhai (53a) gefallenen Crassus gebracht wird, singt eben ein Schauspieler aus Tralles das Agauelied aus den Bakchen des Euripides und fährt mit dem Kopf in der Hand fort zu rezitieren: φέρομεν έξ δρεος έλικα νεότομον έπί μέλαϋρα μακαρίαν θήραν (Vs. 1169 ff.). Sogar die ersten Sassaniden, Ardeschir und Sapor (IIIP) , machen noch dem Griechentum ihre Verbeugung, indem sie ihren Pehleviinschriften eine griechische Fassung beigeben (OGI Nr. 432—434), freilich ohne die persische Färbung ver-wischen zu können. In einem abgelegenen Dorf im alten Medien sind zwei griechische Pergamentverträge aus den Jahren 88 und 22a gefunden worden; die Namen sind fast alle iranisch, aber die Sprache Koine (z. Β. άποτειννυέτω, τελώντες [vgl. z. Β. έλεώντες Ν. T. Rom. 9, 16 statt -οϋντες]); s. Ε. H. M i n n s , Journ. Hell. Stud. 35 (1915), S. 22—65; U. W i l c k e n , Archiv f. Papyrusf. 6 (1920), S. 369 f. Über vier griechische Inschriften aus Susa von

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etwa I I a l / 2 , etwa Ia f (metrisch), 98P und 1/2P (metrisch) s. F. C u m o n t , Comptes rendus Àcad. Inscr. 1930, S. 208—220; 1931, S. 233—251.

122. S y r i e n ist bedeutend stärker in den Bann des Grie-chentums gekommen, weil hier die von Alexander und den Seleu-kiden angelegten Städte wie Antiochia, Akko, Damaskus, Gadara völlig griechische Gründungen waren und als Verwaltungs- und Bildungsmittelpunkte alles höhere kulturelle Leben an sich zogen. Von ihnen aus drangen griechische Münzaufschriften, Kulte und Verwaltungssprache bald in die syrischen und phönizischen Städte ein; griechische Schriftsteller gingen aus diesen hervor. Aber auf dem Land herrschte sicher im syrischen Reich das semitische Ara-mäisch; auch in den Städten konnte nicht jeder Mann aus dem Volk Griechisch. Daran knüpfte die christliche Kirche an, indem sie das semitische Volksidiom (das nun Syrisch genannt wird) zur Literatursprache machte (zunächst durch Bibelübersetzungen im IIp). Später hat der Ansturm der Araber im 7. Jahrhundert die Regierungen samt der Kultur und dem Griechischen aus Syrien weggefegt; vom syrischen Christentum und seiner Sprache aber haben sich Reste bis heute gerettet.

Die γυνή Έλληνίς Συροφοινίκίσσα τφ γένει, die in der Ge-gend von Tyrus und Sidon zu Jesus kam (Ev. Mc. 7,26), war eine sprachlich hellenisierte Semitin. Vom Ende des 4. Jahrhunderts erzählt die sog. Peregrinatio Egeriae ad loca sancta (47, 3 f.): et quoniam in ea provincia pars populi et grece et siriste (•— συ-ριστί) novit, pars etiam alia per se grece, aliqua etiam pars tan-tum siriste, itaque quoniam episcopus, licet siriste noverit, tarnen semper grece loquitur et nunquam siriste, itaque ergo stat semper presbyter, qui episcopo grece dicente siriste interpretatur, ut omnes audiant, quae exponuntur; die Bibelstellen werden grie-chisch vorgelesen und ins Syrische übersetzt.

123. Den zähesten Widerstand gegen das griechische Wesen leisteten aus ihrem religiösen und nationalen Selbstbewußtsein heraus die J u d e n in Palästina. Die nationale Erhebung unter den Makkabäern (II und Ia) nährte sich recht eigentlich von der

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74 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

Abwehr gegen die eingedrungenen, Sitten und Kulte. Wie tief die sprachliche Hellenisierung reichte, ist bei den Theologen, die daran wegen der Frage nach der Sprache (oder den Sprachen) Jesu ein lebhaftes Interesse haben, umstritten. Wie wenig allge-mein das Griechische in Palästina war, beweist allerdings J o s e -ρ h u s : seine Muttersprache war nicht das Griechische; wenn er für die gebildete Welt schreiben wollte, mußte er einen Grie-chen zu Hilfe nehmen (contra Apionem 1, 50; προυθέμην εγώ τοις κατά την 'Ρωμαίων ήγεμονίαν Ελλάδι γλώσση, μετα-βαλών α τοις ανω βαρβάροις τη πατρίφ συντάξας ανέπεμψα πρότερον, άφηγήσασθαι bell. Jud. prooem. 1, 3). Paulus von Tar-sos dagegen war der geographischen Heimat nach ein Grieche, der theologischen Schulung nach ein Jude.

Jesu Muttersprache war sicher das Aramäische, und die älteste Evangelienüberlieferung war ebenfalls aramäisch, wie zahlreiche Übersetzungsaramaismen unsrer griechischen Evangelien beweisen (s. § 148 ff.). Aber das Griechische kann Jesus und seinen gali-läischen Jüngern nicht fremd gewesen sein. Vgl. G. D a 1 m a n , Jesus-Jeschua, Die drei Sprachen Jesu, Jesus in der Synagoge, auf dem Berge, beim Passahmahl, am Kreuz, Leipzig 1922; G. K i t -t e l , Die Probleme des palästinischen Spätjudentums und das Urchristentum (Beiträge zur Wiss. vom A. u. Ν. T. III , 1, Stutt-gart 1926), S. 34—44 und Ztschr. f. neutest. Wiss. 41 (1942), S. 79; E. W e c h s s 1 e r , Hellas im Evangelium, 2. Aufl., 1947, S. 131 u. 154. Uber den idiomatisch-griechischen Trinkspruch in der Anrede Jesu an den Verräter: εταίρε έφ' 8 πάρει „guter Freund, (freue dich), wozu du ja da bist" (Ev. Mt. 26,50) vgl. B l a s s - D e b r u n n e r § 300, 2 mit Anhang; A. D e b r u n -n e r , Der Kirchenfreund 76 (1942), S. 87—90; W. M i c h a e -l i s , ebenda S. 189—191.

124. Ähnlich wie in Syrien liegen die Verhältnisse in Ä g y p -t e n : auch hier griechische Städte, besonders Alexandria, ungrk chische Landbevölkerung, griechische „Fernwirkung" ( T h u m b Hell. S. 106) in Inschriften bis nach Nubien und Äthiopien, End, der griechischen Sprache mit der arabischen Eroberung, Fortbe-stehen der vom Christentum geförderten einheimischen Sprache,

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des Koptischen (bis ins 17. Jh.). Besonders einschneidend aber war in Ägypten die äußerst intensive verwaltungsmäßige Durch-organisation, deren Amtssprache das Griechische war. In den großen dreisprachigen Inschriften, den Dekreten von Kanopos und Rosette (OGI Nr. 56 und 90; 238 und 196a) ist der griechi-sche Text das Original, nicht der ägyptische!

Literatur: W. S c h u b a r t , Die Griechen in Ägypten, Bei-hefte zum „Alten Orient" 10, Leipzig 1927; H. I. Β e 11, Egypt from Alexander the Great to the Arab Conquest, a study in the diffusion and decay of hellenism, London 1948; S. G. Κ a ρ s o -m e n o s , Das Griechische in Ägypten, Museum Helv. 10 (1953), S. 248—263. — Über die griechische Inschrift des Nubierkönigs Silko s. § 132. Im Περίπλους της 'Ερυθράς θαλάσσης § 5 (p. 2, 21 f. Frisk) wird ein äthiopischer König von Ia f γραμμάτων Ελληνικών εμπειρος genannt. Die älteste der drei koptischen Bibelübersetzungen, die sahidische der Thebais, reicht ζ. T. bis ins I I I p hinauf; sie muß sich noch für viele Begriffe, und nicht nur für seltene, mit griechischen Fremdwörtern behelfen, ζ. B. für „Geist", „Kaufpreis", „leugnen", „Tugend". Aber die nach der üblichen Ansicht 2—3 Jahrhunderte jüngere unterägyptische (bo-hairische) zeigt schon einen großen Fortschritt in der Verselb-ständigung, auch im Wortschatz. (Nach S. Μ o r e n ζ , Forschun-gen und Fortschritte 26, 1950, S. 59 ist jetzt die boh. Übersetzung schon für das 4. Jh. urkundlich gesichert.)

125. Es bleibt uns vom Neuland des Hellenismus vor allem noch der nichtgriechische Teil von K l e i n a s i e n . Hier begann die Hellenisierung schon in der ersten Zeit der Koine: die kari-sche Königin Artemisia hat zu Ehren ihres 353 verstorbenen Bru-ders und Gatten einen Kampf griechischer Rhetoren veranstaltet (Gellius X 18, 5 f.). Die alten Griechenstädte an den Küsten und die hell. Neugründungen (Pergamon, Priene usw.) wirkten von allen Seiten auf das natürliche Hinterland ein. Aus keinem hell. Gebiet strömen uns die inschriftlichen Funde so reichlich zu wie aus Kleinasien. Außerdem besitzen wir einige Schriftstellerzeug-nisse für verhältnismäßig langes Fortleben kleinasiatischer Spra-chen. Bis in die Kaiserzeit wird in P h r y g i e n neben dem

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76 Grundfragen des nadiklassisdien Griechisch

Griechischen die einheimische Sprache für Inschriften benützt; es ist wohl ein letzter, aber vergeblicher Versuch, die National-sprache zu retten. Die national -1 y k i s c h e η Inschriften hören dagegen schon im IVa auf. In Lystra riefen nach dem Bericht der Apostelgeschichte (14, 11) die Leute λυκαονιστί in lokalreligiöser Begeisterung: „Die Götter haben Menschengestalt angenommen und sind zu uns herabgestiegen." Von der Sprache der keltischen Galater, die erst seit I I I a in Kleinasien saßen, sagt noch im IVP Hieronymus: Galatas excepto sermone Graeco, quo omnis Oriens loquitur, proprium linguam eandem paene habere quam Treviros (comm. in ep. ad Galatas 113 = M i g n e , Patrologia Latina 26, Sp. 357 A). Der-grundlegende Unterschied in der Hellenisierung zwischen Kleinasien einerseits, Syrien und Ägypten andererseits kann nicht schärfer beleuchtet werden als durch die Tatsache, daß heute vom Karischen, Phtygischen, Galatischen usw. nichts mehr lebt: der Seldschukeneinbruch hat allfällige Reste dieser Sprachen völlig beseitigt, während das Griechische sich dauernd halten konnte, vor allem dank dem dortigen Christentum (von Über-setzungen der Bibel in jene kleinasiatischen Sprachen ist uns nichts bekannt).

Literatur: L a f o s c a d e , Influence (s. §137) S. 148 Α. 4. — Κ. H o l l , Das Fortleben der Volkssprachen in Kleinasien in nachchristlicher Zeit, Hermes 43 (1908), S. 240—254 (abgedruckt: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengesch. II , Tübingen 1928, S. 238 bis 248) will nachweisen, daß diese Sprachen länger gelebt haben, als man gemeinhin glaubte; doch müssen seine Belegstellen dar-aufhin geprüft werden, wie weit sie bloße Plagiate an der Lystra-Geschichte sind; vgl. D e b r u n n e r , Bibl. Bd. 240, S. 10 f. — Über das Galatische s. L. W e i s g e r b e r , Natalicium J. Geff-cken (Heidelberg 1931), S. 151—175; Die Sprache der Festland-kelten (20. Bericht der Röm.-Germ. Kommission 1931), S. 177; Rhein. Viertel)ahrsbl. 9 (1939), S. 29 f. — Nach Strabon XII 6 p. 565 hatten zur römischen Zeit die meisten Bithyner, Phryger, Myser usw. ihre Sprachen und Namen schon verloren.

126. Über das Fortleben des Griechischen im W e s t e n wis-sen wir am sichersten das, daß noch heute griechische Sprach-

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inseln in Unteritalien existieren (s. § 72); Neapel hat noch im 6. Jahrhundert griechische Inschriften. In Massilia wurde nach Varrò (Isidor Origines X V 1, 63) im I a Griechisch, Keltisch und Lateinisch gesprochen; im frühen Mittelalter wurden dort nodi griechische Werke abgeschrieben.

W. v o n W a r t b u r g , Die griech. Kolonisation in Südgal-lien und ihre sprachlichen Zeugen im Westromanischen. Zeitschr. f. Rom. Philol. 68 (1953), S. 1—48.

c) G r i e c h i s c h e s i n d e n f r e m d e n S p r a c h e n

127. Bei dem jahrhundertelangen Nebeneinanderleben der hell. Gemeinsprache und mancher barbarischen Sprachen war eine ge-genseitige Beeinflussung unvermeidlich, wobei das „kulturelle Gefalle" natürlich dem Griechischen größeres Gewicht verlieh. Von den rein kulturellen Fernwirkungen soll hier nicht näher ge-sprochen werden; sie erstrecken sich auf das Illyrisch-Albanische, Armenische, Georgische, Äthiopische, Gotische, Romanische und Slavische. Innerhalb des Bereichs der griechisch-hellenistischen Staaten entspricht die Abstufung des sprachlichen Drucks den oben (§ 121—126) skizzierten Verhältnissen: spärliche griechische Lehnwörter im Indischen und Persischen, stärkere Ausstrahlun-gen ins Makedonische, Koptische und Süditalienische, sehr starke ins Lateinische und Semitische.

Literatur: A. B u t u r a s , Ein Kapitel der historischen Gram-matik der griech. Sprache, über die gegenseitigen Beziehungen der griech. und der fremden Sprachen, bes. über die fremden Einflüsse auf das Griechische seit der nachklassischen Periode bis zur Ge-genwart, Leipzig 1910; S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 150—165; Fr. D o r n s e i f f , Die griech. Wörter im Deutschen, Berlin 1950; H. S i e g e r t , Griechisches in der [deutschen] Kirchen-sprache, Heidelberg 1950.

128. Am engsten war die Durchdringung von Griechisch und L a t e i n i s c h . Die unbegrenzte Hochachtung der Römer vor der griechischen Kultur, wie sie sich klassisch in dem Wort des

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Horaz ausdrückt: Graecia capta jerum victorem cepit et artis intulit agresti Latió (epist. I I 1, 156 f.), die wichtige Rolle, die das Griechische in der Ausbildung des vornehmen jungen Römers spielte, die intensive Berührung beider Völker in Rom wie auf griechischem Boden, das alles hat der griechischen Sprache einen breiten Weg in die lateinische geöffnet. Nach der ersten griechi-schen Welle, die in vorhellenistischer Zeit aus Unteritalien nach Rom flöß, folgt im Hellenismus die viel gewaltigere.

Vgl. S t o l z - D e b r u n n e r , Geschichte der lat. Sprache, 3. Aufl., Berlin 1953 (Sammlung Göschen Nr. 492) §73. 81. 86—88. 171; dort in § 181 auch über den Einfluß des unteritali-schen Griechisch auf die benachbarten romanischen Mundarten. Dazu Silvia J a n n a c c o n e , Recherches sur les éléments grecs du vocabulaire latin de l'Empire, I. Paris 1950.

129. Sehr empfänglich für griechische Lehnwörter war auch das J u d e n t u m . S. K r a u s s schätzt die Zahl der griechischen Wörter in den spätjüdischen Schriften auf etwa 3000, und bei aller Kritik gegen Übertreibungen steht nach T h u m b soviel fest, daß diese Lehnwörter nicht aus der griechischen Literatur-sprache, sondern aus der Verkehrssprache stammen und infolge ihrer sehr großen Zahl und ihrer relativ guten lautlichen Um-setzung ein wertvolles Hilfsmittel für die Ermittlung der Aus-sprache der Koine bilden. Auch die Literatur des s y r i s c h e n C h r i s t e n t u m s ist voll von Lehnwörtern, wozu natürlich die griechische Bibel entscheidend beitrug.

Literatur: S. K r a u s s , Griech. und lat. Lehnwörter in Tal-mud, Midrasch und Targum, 2 Bände, Berlin 1898 f.; A. T h u m b , Indogerm. Forsch. Anzeiger 11 (1900), S. 98 f.; S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 154. 159; A. S c h a l l , Studien über griech. Fremdwörter im Syrischen (Diss. Tübingen 1949), Darmstadt 1960; H. J . W e i s s , Zum Problem der griech. Fremd- und Lehnwörter in den Sprachen des christl. Orients, in: Helikon 6 (Messina 1966), 183—209.

130. Die besonderen Verhältnisse in Ägypten (§ 124) bewirk-ten eine ebenso starke Durchdringung des K o p t i s c h e n mit

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griechischen Wörtern. Im ersten Band der Ausgabe des großen koptischen Papyrusfundes manichäischer Schriften von 1930 gibt es über 250 solcher Lehnwörter, darunter auch αλλά, γάρ, δέ, μεν — δέ. Vgl. auch § 124.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 154f. 160; Manichäi-sche Handschriften der Sammlung A . C h e s t e r B e a t t y , Bd. I, Stuttgart 1934 (Verzeichnis der griech. Wörter S. *1—*5); W e i s s (s. § 129).

131. Der griechische Einschlag im M a k e d o n i s c h e n ist sehr schwer festzustellen, weil die Bevölkerung von Makedonien offenbar sehr gemischt und der Eintritt Makedoniens in die Ge-schichte untrennbar mit Hellenisierungsbestrebungen verbunden war (s. Band I § 9). Einige makedonische Wörter sehen direkt wie lautliche Umsetzung griechischer Wörter aus, so ζ. Β. κεβαλή aus κεφαλή, δώραξ aus θώραξ und die Namen Βίλιππος, Βερε-νίκη: alles nach dem Lautgesetz: „griechische Aspirata = make-donische Media".

d) F r e m d s p r a c h l i c h e s i n d e r h e l l e n i s t i s c h e n G e m e i n s p r a c h e

132. Der Einfluß der fremden Sprachen auf die Koine stuft sich mannigfach ab; er reicht von Einzelfehlern griechisch spre-chender oder schreibender Nichtgriechen bis zu völliger Einbürge-rung fremder Wörter oder grammatischer Eigenheiten im Grie-chischen. Daß das Griechische in den verschiedenen Ländern v o n d e n E i n h e i m i s c h e n v e r s c h i e d e n a u s g e s p r o -c h e n wurde, ist eine selbstverständliche Annahme; doch sind die Einzelfälle schwer zu beurteilen. So ist zwar die häufige Ver-wechslung von Media und Tenuis in ägyptischen Papyri sicher auf das Koptische zurückzuführen; aber ob dieselbe Erscheinung in Kleinasien auf den einheimischen Idiomen beruht, ist weniger gewiß. Nur der kleinasiatische Ersatz von nt mp durch nd mb (Suffix -νδος für -νθος, pamphylisch πέδε = πέντε) findet sich auch im Ngr.; doch ist ein ursächlicher Zusammenhang nicht nach-

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zuweisen, und im übrigen unterscheidet das Ngr. überall Tenuis und Media korrekt. Von allen fremdsprachlichen Einflüssen auf das nachklassische Griechisch sind am wichtigsten die Latinismen (s. § 137—146), die eine Folge der Symbiose der römischen und griechischen Kultur sind, und die Semitismen (§ 147—151), die ein wichtiges Element in der Sprache der jüdischen und christ-lichen griechischen Literatur bilden.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 123—125. Als charak-teristisch für das Radebrechen der Barbaren sieht man gewöhnlich die berühmte Inschrift des Nubierkönigs Silko an (OGI Nr. 201; S c h w y z e r , Dial. S. 389 Nr. 8); aber S. G. K a p s o m e n o s (Mus. Helv. 10, 1953, 251 f.) hat gezeigt, daß audi Formen wie εφιλονικήσουσιν, αρξ ( = άρκτος) und εί μή im Sinn von αλλά sich als vulgäre Koine verstehen lassen. — Zur innergriechischen phonologischen Begründung des Wandels von nt in nd, d vgl. W. D r e s s 1 e r in: Armali Istit. Orientale di Napoli, Sez. Ling. 7 (1966), 61—81, und in: Phonologie der Gegenwart, hrsg. von J. Hamm (Graz usw. 1967), 124 ff.

133. Nach der entscheidenden Bedeutung, die Makedonien für die Koine gehabt hat (§ 114—119), wäre zu erwarten, daß die makedonische Sprache einen namhaften Beitrag zur Koine beige-steuert hätte. Dem entspricht aber die geringe Zahl der nachweis-lichen M a k e d o n i s m e n keineswegs. Das Makedonische hatte eben nicht viel zur Kultur beizutragen, und die führende Schicht in Makedonien ergab sich geflissentlich früh der Hellenisierung, so daß Griechisches und Ungriechisches sehr schwer zu scheiden ist.

Echtes altes makedonisches Sprachgut ist οκοϊδος, das etwa einen Verpflegungsoffizier bezeichnet und von Hesych und Pho-tios als makedonisch bezeugt, vom ersteren aus den Briefen Alexanders (s. § 117), vom letzteren aus Menander (Fr. 289, I I I S. 81 Kock) belegt wird; da das Wort sonst nur noch in σκοιδίς* „der Fürsorgerin, Hausverwalterin" IG XII 5 Nr. 92, 1 (Naxos, I/IIp; vgl. M. L a m b e r t z , Glotta 6, 1915, S. 15 A.) vor-kommt, hat es wohl hauptsächlich der Heeressprache angehört. Weiter dürfen als makedonisch gelten: άόρτης „Tornister (Klei-dersack)", mehrmals in der neuen Komödie; σάρ/σa „Lanze"

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(Polyb usw.), καυσία „makedonischer Hut", ματτύη (ein raffi-niertes Gericht; ein Dorotheos aus Askalon schrieb darüber ein Buch!). Manche von den Alten als makedonisch bezeichneten Wör-ter sind wohl einfach Koinewörter („makedonisch" = in der mak. und diadochischen Militärsprache üblich): παρεμβολή „Lager" (nach Phrynichos δεινώς Μακεδονικόν), ρύμη „Straße" (nach Phryn. und dem Antiatticista; s. § 159).

134. Lehnwörter aus den kleinasiatischen Sprachen sind selten nachzuweisen: z.B. aus dem P h r y g i s c h e n Ιερός δουμος (etwa „heiliger Rat"; wohl zu got. dötns „Urteil" zu stellen; F. S o l m s e n , Ztschr. f. vergi. Sprachf. 34, 1897, S. 53). Meist nur als Glossen mit lokaler Begrenzung sind einzelne Wörter bewahrt, die sich bereits in den hethitisch-luwischen Sprachen des zweiten Jahrtausends nachweisen lassen (G. Ν e u m a n n , Unter-suchungen zum Weiterleben hethitischen und luwischen Sprach-gutes in hell, und römischer Zeit, Wiesbaden 1961). Dafür hat Kleinasien der Koine ein „Lehnsuffix" geliefert: nach nichtgriechi-schen Ethnika wie Άβυδ-ηνός, Ααμψακ-ηνός, Περγαμ-ηνός, Δινδυμήνη bekam audi die erst 358a gegründete Stadt Φίλιπποι in Thrakien das Ethnikon Φιλιππηνοί; so auch ζ. Β. Λαοδικηνός von Λαοδίκεια (vgl. S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 490, 6).

135. Von den p e r s i s c h e n Lehnwörtern ist besonders παράδεισος aus iran. *pari-daiza- „Umwallung" (etymologisch gleich "περί-τοιχος; mit Anschluß an παρά) wichtig geworden; Xenophon gebraucht es nur für die umhegten Parkanlagen und Jagdgründe der persischen Großen, die Koine verwendet es all-gemein für „Park, Garten", die LXX für den „Garten Eden", das Ν. T. für den Ort der Seligen. Persischen Ursprungs sind ferner αγγαρος „reitender Bote im Perserreich" (seit Herodot und Xenophon; davon hell, die Ableitungen άγγαρεύειν „zu einer Fronleistung zwingen", αγγαρεία usw.) und αρτάβη „ein Hohlmaß" (ebenfalls schon bei Herodot).

Literatur: M a y s e r I1 S. 42 £.; B l a s s - D e b r u n n e r §6 .

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82 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

136. Wenig steuert das Ä g y p t i s c h e zum hell. Wortschatz bei: die koptische Unterschicht hatte auf die Sprache der Verwal-tung und Bildung keinen Einfluß.

Aus vorhellenistischer Zeit stammen ζ. B. die Lehnwörter βάρις „Boot" (daraus über das lateinisch-romanische bar{i)ca unser „Barke"), Ιβις, κόμμι „Gummi". Erst hell, sind z.B. βάϊς (βαΐον) „Palmzweig" (ägypt. Papyri, LXX, N.T. ; kopt. bai) und πάπυρος. M a y s e r I1 S. 35—40; B l a s s - D e b r u n n e r a .a .O. ; vgl. auch § 132. Wiedergabe eines ägyptischen Titels ist wohl δεκανός „Befehlshaber über 10 Mann", s. A. S c h e r e r , Gestirnnamen, Heidelberg 1953, S. 213.

137. Viel umfassender und nachhaltiger war der Einfluß des L a t e i n i s c h e n . Als sich die römische Machtpolitik nach der Besiegung Hannibals dem Osten zuwandte (um 200a) und in einigen Jahrzehnten den Diadochenreichen in Syrien und Make-donien ein Ende machte, standen die Römer vor der Frage, wie sie sich zur Verwaltungs- und Kultursprache der eroberten Länder .stellen sollten. Zunächst hielten sie es wie bei ihren früheren Er-oberungen für selbstverständlich, daß die Unterlegenen sich ihnen auch sprachlich fügen müßten; es ist derselbe Geist, der uns aus den Worten des Livius (Praefatio § 7) entgegentritt: Roms Kriegs-ruhm sei derart, daß die Völker der Welt sich die an Götter an-knüpfenden Gründungssagen Roms ebenso gefallen lassen müß-ten wie ihre Herrschaft. Doch wurde der Grundsatz: „Amtlich wird nur in lateinischer Sprache verkehrt" allmählich gelockert; der römische Diplomat fühlte sich im Privatverkehr nicht zur Verleugnung seiner Griechischkenntnisse verpflichtet, die Grie-chen aber ignorierten im stolzen Bewußtsein des Kulturvolks das barbarische Latein, und so wurden wohl oft auch offizielle oder halboffizielle Unterhandlungen auf griechisch geführt.

Literatur zu § 137—146: A. B u d i n s k y , Die Ausbreitung der lat. Sprache, Berlin 1881; L. L a f o s c a d e , Influence du latin sur le grec (J. Ρ s i c h a r i , Études de philol. néo-grecque = Bibliothèque de l'École des Hautes Études 92, Paris 1892, S. 83—158). L. H a h n , Rom und Romanismus im griechisch-römischen Osten bis auf die Zeit Hadrians, Leipzig 1906; Zum

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Sprachenkampf im röm. Reich bis auf die Zeit Justinians (Philo-logue, Suppl. X, Leipzig 1907, S. 678—718); B u ' t u r a s (s. § 127), S. 63—68; S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 124 f.; B l a s s -D e b r u n n e r § 5 ; H . Z i l l i a c u s , Zum Kampf der Welt-sprachen im oströmischen Reich, Helsingfors 1935; F. V i s c i d i , I prestiti latini nel greco antico e bizantino, Padua 1944.

138. Lateinisch war die Proklamation der „Freiheit" Griechen-lands von Senats und Flamininus' Gnaden an den Isthmien des Jahres 196a (Livius 33, 32), lateinisch auch das Dekret, in dem Aemilius Paullus 167a in Amphipolis die Neuordnung Griechen-lands mitteilte; erst als so die Würde der Regierung gewahrt war, wurde der Erlaß den Anwesenden ins Griechische übersetzt (Li-vius 45, 29, 3). Von den sprachlich-sachlichen Schwierigkeiten lateinisch-griechischer Verhandlungen gibt ein von Polyb (20, 9, 10—10, 13) und Livius (36, 28, 1—5) berichtetes katastrophales Mißverständnis einen guten Begriff: die Aitoler ließen 191a dem Konsul Manius A c i l i u s G l a b r i o sagen, sie wollten σφας αυτούς έγχειρίζειν εις τήν 'Ρωμαίων π ί σ τ ι ν ; als dann ihr Wortführer die harten Bedingungen der Römer zurückwies mit den Worten: αλλ' οίίτε δίκαιον o W Έλληνικόν έστιν, ώ στρατηγέ, τό παρακαλούμενον, fuhr Glabrio ihn an: ετι γαρ ύμεϊς έλληνοκοπ,εϊτε („ihr pocht immer noch auf euer Hellenen-tum") και περί του πρέποντος και καθήκοντος ποιεΐσβε λόγον, δεδωκότες εαυτούς εις τήν πίστιν. Mit Recht fügt Polyb hinzu (9, 12): παρά 'Ρωμαίοις Ισοδυναμεί („hat die gleiche sprachliche Bedeutung") τό τε εις πίστιν αυτόν έγχειρίσαι και τό έπιτροπήν δούναι περί αύτοϋ τ φ κρατοϋντι (d. h. se suaque omnia in fidem ac potestatem populi Romani permitiere „sich Rom auf Gnade und Ungnade ergeben").

139. Schließlich wurde von den für den griechischen Osten be-stimmten Urkunden jeweilen eine amtliche griechische Über-setzung hergestellt. Schon in der republikanischen Zeit muß es in Rom ein staatliches Übersetzungssekretariat gegeben haben (für die Kaiserzeit ist es direkt bezeugt); denn der Stil der griechi-schen Senatskonsuite ist von Anfang an so einheitlich und so stark latinisierend, die Wiedergabe der römischen technischen Bezeichnungen so einheitlich, daß man mit Grund sogar ein amt-liches lateinisch-griechisches Glossar angenommen hat. Die bald eingetretene politische Fügsamkeit der Griechen, Kleinasiaten

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84 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

und Ägypter mag der römischen Regierung das sprachliche Ent-gegenkommen wesentlich erleichtert haben; auch das lawinenhafte Anschwellen des kulturellen Interesses der Römer an der griechi-schen Sprache und Literatur wirkte in derselben Richtung. Das Endergebnis des Kampfes zwischen Griechisch und Latein ist bekannt: das Griechische behauptete sein Gebiet und wurde bei der spätem Teilung des Reichs Amtssprache der östlichen Hälfte.

Literatur: W. S η e 11 m a η , De interpretibus Romanorum deque linguae Latinae cum aliis nationibus commercio, I : Enar-rano, Leipzig 1919, I I : Testimonia veterum, 1914.

140. Sprache und Stil dieses Übersetzungsgriechisch lernen wir am besten aus den amtlichen I n s c h r i f t e n kennen. Von den wichtigsten seien hier genannt: 1. die älteste, ein Brief des Fla-mininus vom Jahr 196 oder 194A an die Chyretier in Thessalien (D i t t e n b e r g e r 3 Nr. 593) ; 2. die besonders umfangreiche mit den Senatskonsuiten über die boiotische Stadt Thisbe (ebenda Nr. 646; 170A); 3. das Schreiben der Konsuln des Jahrs 73A an die attisch-boiotische Grenzstadt Oropos (ebenda Nr. 747), in dem unter den Teilnehmern an einer Beratung auch Μάαρκος Τύλλιος Μαάρκου υίός Κορνηλία (aus der Tribus Cornelia) Κικέρων (Zeile 11 f.) genannt wird (vgl. zu Zeile 27 f. Cicero, de natura deorum I I I 49, der aber seine Beteiligung nicht erwähnt); 4. die griechische Ubersetzung des Tatenberichts des Augustus („Monu-mentum Ancyranum";s. S t o l z - D e b r u n n e r § 142); 5. das Edictum Diocletiani de pretiis rerum venalium vom Jahr 301P (hrsg. von Th. M o m m s e n und erläutert von Η. Β1 ü m n e r, Berlin 1893).

Aus dem Lateinischen übersetzte Papyri sind selten; s. (M i 11 -e i s - ) W i l c k e n I 1 p. L. Über einen Papyrusbrief des Kaisers Claudius von 41P s. U. W i 1 c k e n , Archiv, f. Papyrusf. 7 (1924), S. 308—310. Quellen für Latinismen der Koine sind natürlich auch die griechischen Schriftsteller, insbesondere diejenigen, die sich mit römischen Dingen befassen oder (wie z. B. Aelian) latei-nischer Muttersprache sind. Vgl. auch E. B i c k e r m a n n , Das Edikt des Kaisers Caracalla in P. Giss. 40, Diss. Berlin 1926 (213P) .

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141. Die L a t i n i s m e n geben sich vor allem in L e h n -w ö r t e r n kund. Sie betreffen fast ausschließlich die Gebiete des gesamten Verwaltungs- und Verkehrswesens, während die griechischen Lehnwörter im Lateinischen (§ 128), soweit sie der hell. Zeit angehören, vor allem aus der geistigen Sphäre stammen. Die lateinischen Wörter im Griechischen nehmen insbesondere in der Zeit von Konstantin bis Justinian stark zu; das Edictum Dio-cletiani strotzt von solchen. Diese Wörter müssen tief in die Volkssprache eingedrungen sein; denn sehr viele von ihnen leben noch in der ngr. Volkssprache (ζ. Β. μίλιον, δηνάριον, μεμβράνη), und manche sind aus dem Griechischen ins palästinisdie Ara-mäisch übergegangen (ζ. Β. άσσάριον, δηνάριον, μίλιον, σουδά-ριον).

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 124 f.; P. V i e r e c k , Sermo Graecus quo senatus populusque Romanus magistratusque populi R o m a n i . . . usi sunt, Göttingen 1888; L. L a f o s c a d e , De epistulis (aliisque titulis) imperatorum magistratuumque Romanorum. . . , Diss. Paris, Lille [Insulis] 1902; P. F. R e -g a r d , La version grecque du Monument d'Ancyre (Revue des ét. anc. 26, 1924, S. 147—161; dazu A. P. M e u w e s e , Mnemo-syne 54, 1926, S. 224—233); G. J. Μ. Β a r t e 1 i n k , Die Lati-nismen in der Vita Hypatii des Callinicus, in Glotta 46 (1968), 184 ff.

142. Beispiele für l a u t l i c h e U m s e t z u n g e n (Trans-skriptionen) lateinischer Wörter: Militär: κεντυρίων, κουστωδία, λεγιών, πραιτώριον; Recht und Verwaltung: Καίσαρ, κήνσος, κολωνία, λιβερτϊνος, σικάριος, σπεκουλάτωρ, τίτλος (vulgär-lat. tìtlus = titu'ius), φραγέλλιον (vulgärlat. fragellum = flagel-limi)·, Handel und Verkehr: λέντιον ( l inteum), σιμικίνΟιον (se-micinctium), σουδάριον, εύρ-ακύλων (εύρος + aquilo), μεμ-βράνη; Maße und Münzen: μόδιος, μίλιον (Rückbildung aus μίλια = milia [passuum]), άσσάριον und δηνάριον (-άριον für -ärius durch Anschluß an die Deminutiva auf -άριον), κοδράντης (quadrans).

Sehr geläufig sind auch wörtliche Ubersetzungen lateinischer Wörter und Phrasen ( „ B e d e u t u n g s e n t l e h n u n g e n " ) ; ζ. Β. έκατόνταρχος (centurie), σπείρα manipulus, eig. „Bündel"; auch für cohors), Σεβαστός (Augustus; σπείρα Σεβαστή = co-hors Augusta!), συμβουλιον λαμβάνειν (consilium capere), έργα·

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86 Grundfragen des nachklassisdien Griechisch

σίαν διδόναι (operant dare), τό Ικανόν διδόναι bzw. λαμβάνειν (salis facere, accipere).

In andern Fällen griff man auf sachlich ungefähr gleichbedeu-tende griechische T i t u l a t u r e n zurück (aber nicht auf solche von Athen oder Sparta, sondern von Unteritalien-Sizilien, von den westgriechischen Bünden, auf makedonisch-diadochische). So z.B. στρατηγός (praetor), ύπατος (praetor maximus, d .h . consul), χιλίαρχος (tribunus [militum]), αυτοκράτωρ (dictator und Im-perator), σύγκλητος (seil, βουλή; senatus), ή έπάρχειος (provin-cia). — Vgl. D. M a g i e , De Romanorum iuris publici sacrique vocabulis sollemnibus in Graecum sermonem conversis, Leipzig 1905.

143. Die große V e r s c h i e d e n h e i t d e r o f f i z i e l l e n N a m e n s y s t e m e (lat. Marcus Tullius Marci filius Cornelia [tribu] Cicero gegenüber Δημοσθένης (ó) Δημοσθένους Παια-νιεύς) wurde entweder durch genaue Übernahme der römischen Art (s. § 140 Cicero!) oder durch allerlei Kompromisse über-brückt; ζ. Β. Μάρκος Ούαλέριος Μάρκου (ohne υίός) D i 11 e n -b e r g e t ' Nr. 601, 1 (193a) oder Πόπλιος Ποπλίου Κορνήλιος D i t t e n b e r g e r 2 Nr. 588, 102 (etwa 180a). In der ältesten Zeit wird noch gern nach griechischer Weise nur e i n Name (das Pränomen) gebraucht; auch Polyb hätte offenbar gern diese Art befolgt, sah sich aber wegen der häufigen Wiederkehr derselben wenigen Pränomina für verschiedene Personen oft gezwungen, das differenzierende Gentilicium zu Hilfe zu nehmen.

Altertümliche Namensformen sind festgehalten worden in Λεύκιος = Lucius (älter Loucios, noch älter "Leucios? das grie-chische ευ wohl durch Anschluß an λευκός und an einen allerdings seltenen echtgriechischen Namen Λεύκιος [ D i t t e n b e r g e r 3

Nr. 913; Sunion, vor 330a]) und Πόπλιος Ποπλικόλας = Pu-blias Publicóla (älter Popi-). Die Schreibung Μααρκος (s. § 140) stammt aus der Zeit, als die Römer versuchten, die Länge der Vokale durch Doppelschreibung zu bezeichnen.

144. Bei der lautlichen Umsetzung von Namen und Wörtern ins Griechische machten die im Griechischen nicht vorhandenen L a u t e ü, j, ν, f , qu große Schwierigkeiten; das kurze « wird zunächst durch ο (Λέντολος κοστωδία) oder υ (Σύλλας κεν-τυρίων), später durch ου (κεντουρίων κουστωδία) wiedergege-ben; ; durch vokalisches ι ('Ιούλιος Πομπήιος); υ durch ο (Όαλέριος Σεροΐλιος) oder ου (Οΰαλέριος), hinter α und e durch υ (Φλάυιος Σευήρος), später überhaupt durch β (Νέρβα Φλάβιος; s. § 166); / durch φ ('Ροΰφος Φούριος s. § 166); qu

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durch κο (Κοϊντος) oder κου (Κουαρτος), unbetontes qua durch κο (Κοδρατος, κοδράντης), unbetontes qui durch κυ (Κυρίνιος, Ακύλας) . — Vgl. W. D i t t e n b e r g e r , Römische Namen in griech. Inschriften und Literaturwerken (Hermes 6, 1872, S. 129 bis 155. 281—313); Th. E c k i n g e r , Die Orthographie lat. Wörter in griech. Inschriften, Diss. Zürich, München [1892] ; C. W e s s e 1 y , Die lat. Elemente in der Gräzität der ägypt. Papyrusurkunden (Wiener Studien 24, 1902, S. 99—151; 25, 1903, S. 40—77); B. M e i n e r s m a n n , Die lat. Wörter in den griech. Papyri, Leipzig 1927.

145. Die F l e x i o n wird natürlich dem Griechischen ange-paßt, so gut es geht; ζ. Β. Αΰγουστάλιος (Augustalis), Ά γ ρ ί π π α ς -α -α -αν (Agrippa), Νίγρος (Niger), χώρτη -ην (cohors cohor-tem), Κλήμης -εντός (Clèmê(n)s -entis), Άρδεατα ι (Ardeates) nach dem Muster von Τεγεαται usw., Σαυνίται (aus *Sabnitês = Samnites-, vgl. oskisch Safinim = Samnium-, W a c k e r -n a g e l - D e b r u n n e r , Philologus 95, 1943, S. 190) nach Συβαρϊται usw. Vereinzelt sind l a t e i n i s c h e S u f f i x e übernommen worden: κλάσση Άούστη Άλεξανδρε ίνη (classis Augusta Alexandrina), Φιλιππήσιοι (Philippë(n)sës·, vgl. Μυκα-λήσσιοι von Μυκαλησσός), Χριστ-ιανοί nach Caesar-iani usw. In großem Umfang wird seit der späten Koine lat. -ärius als -άρι(ο)ς übernommen, zunächst an lat. Wörtern (ζ. Β. λεγιωνάριος; mit leichter Anpassung an das hell. Griechisch μηχανάριος = machi-narius), dann an griechischen (ζ. Β. νομικάριος „Notar"). — Vgl. Chr. D ö 111 i n g , Die Flexionsformen lateinischer Nomina in den griech. Papyri und Inschriften, Diss. Basel, Lausanne 1920; über -άριος H a t z i d a k i s , Einl. S. 183 f.; K. D i e t e r i c h , Balkan-Archiv 4 (1928), S. 111 f.; Ρ a i m e r (s. §14) S. 48 f. Das im Neugriechischen überaus beliebte -άτος an griechischen Wörtern tritt erst spät auf: Pap. nur κυκλάτος VI" (P a 1 m e r [s. § 14], S. 46), bei byzantinischen Chronisten selten (P s a 11 e s S. 302f.); vgl. auch D i e t e r i c h a . a .O . S. 163 f. und πεπεράτον § 2 0 .

146. S y n t a k t i s c h e L a t i n i s m e n finden sich vor allem in den übersetzten Dokumenten; so z.B. γεγραμιιένω παρήσαν (scribendo adfuerunt), έ.μοϊς αίσίοις ο'ιωνοΐς (mets auspiciis), Dat. absol. . . . ύπάτοις (. . . consulibus). Dagegen ist die übliche Datumangabe, z.B. προ ήμερων τεσσάρων νωνών Μαΐων (ante diem quartum nonas Maias) gutes hell. Griechisch ( S c h w y z e r , Gramm. 2 S. 98c). Außerhalb dieses Kanzleistils sind nur ganz wenige syntaktische Latinismen bekannt; so sicher Ν. T. Lucas

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88 Grundfragen des nadiklassisdien Griechisch

7, 4 αξιός έστιν, φ παρέξη τοΰτο (dignus est, cui hoc praebeas; so sprechen die Juden vom römischen Centurio!).

147. Die Frage, ob die Koine auch S e m i t i s m e n aufweise, hat die Gemüter der am Neuen Testament Interessierten jahr-hundertelang aufs heftigste erregt. Schon die alte Christenheit schwankte zwischen zwei Tendenzen: entweder wurden die offen-kundigen Abweidlungen der Sprache des N. T. vom Attischen als besonderer Vorzug der Schlichtheit hingestellt, oder die Sprache des N. T. wurde als künstlerisch vollendet betrachtet. Ganz ana-log tobte seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts ein erbitterter Streit zwischen den „Puristen", nach denen die Autoren durchaus gutes oder gar elegantes Griechisch schreiben, und den „He-braisten", die überall hebräische Einflüsse witterten (vgl. § 3) und dieses Juden griechisch „hellenistisch" nannten (nach Acta 6, 1). Heute darf dieser Kampf grundsätzlich als entschieden gelten: die LXX ist durchaus „Übersetzungsgriechisch", je nach den ein-zelnen Übersetzern in schwächerem bis stärkstem Maß; das N. T. übernimmt manche Hebraismen aus der LXX (oder aus andern griechischen Übersetzungen des Alten Testaments) und zeigt außerdem deutliche Spuren der aramäischen Umgangssprache Pa-lästinas; insbesondere folgt das N. T. der LXX in der semitischen Prägung des Sinns der religiös wichtigen Wörter.

Literatur: G. B. W i n e r , Gramm, des nt. Sprachidioms, 8. Aufl. von P. W. S c h m i e d e l , Bd. I (Göttingen 1894) §2 (auch ausführlich über den hebraistisch-puristischen Streit); D e -b r u n n e r (s. §4), Bibl. Bd. 240 S. 23 f.; Β 1 a s s - D e b r u n -n e r § 4 mit Anhang.

148. Die H a u p t q u e l l e n d e r s e m i t i s i e t e n d e n K o i n e sind die Übersetzungen des hebräischen A. T. und das N. T. Da die überaus zahlreichen Juden in der Diaspora die grie-chische Sprache angenommen hatten, wurde im Rahmen dei philologischen Editionstätigkeit im ptolemäischen Alexandria auch eine Übersetzung der heiligen Schriften der Juden veranlaßt. Nach der Darstellung des Aristeasbriefes (IIa2/2) war sie einer aus Jerusalem beschickten Kommission von 6 X 12 = 72 Mitgliedern

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Die hell. Gemeinsprache und die fremden Sprachen 89

(also rund 70 = S e p t u a g i n t a , L X X ) anvertraut, und die Analyse der Übersetzungstechnik in den einzelnen Büchern hat bestätigt, daß die Arbeit auf mehrere Übersetzer verteilt war. Sie begann mit dem für die Juden grundlegenden Teil, den fünf Büchern Mosis (der „Thora") und war, wie aus dem Vorwort zum Buch Jesus Sirach hervorgeht, im I I a abgeschlossen (mit Ein-schluß der „Apokryphen", d. h. von Stücken und ganzen Büchern, die im hebräischen Text des Α. T. nicht enthalten und zum größten Teil nicht erst aus dem Hebräischen übersetzt sind) ; der älteste LXX-Papyrus stammt etwa aus der Mitte des I I a (Frag-mente von Deut. 23—28). Später traten andere Übersetzungen in Konkurrenz: die des A q u i l a (UP) ist völlig sklavisch gehalten, die des S y m m a c h u s (um 200p) erstrebt ein möglichst gutes Griechisch. O r í g e n e s (185/6 bis 254/5») veranstaltete eine philologisch-kritische, vergleichende Ausgabe des hebräischen Textes und der verschiedenen Übersetzungen („Hexapla", d.h. sechsfacher Text). Die Schriften des N e u e n T e s t a m e n t s sind zum größten Teil griechische Originale und zeigen je nach den Verfassern und den Adressaten verschiedenen Stil und ver-schiedene Grade des Semitismus.

Literatur: R. H e 1 b i η g , Gramm, der Septuaginta, Laut- und Wortlehre, Göttingen 1907, und: Die Kasussyntax der Verba bei den Sept., Göttingen 1928; H. St. J . Τ h a c k e r a y , A Gram-mar of the Old Testament in Greek according to the Septuagint, I : Introduction, Orthography and Accidence, Cambridge 1909; G. S a c c ο , La Koinè del Nuovo Testamento e la trasmissione del sacro testo, Rom 1928; Fr. B l a s s , Grammatik des neu-testamentlichen Griechisch, 7. Aufl. von A. D e b r u n n e r , Göttingen 1943 (10. Aufl. 1959 mit geringfügigen Veränderun-gen; weitere Änderungen in der engl. Übersetzung von W. F u n k , Chicago 1961); D. T a b a c h o v i t z , Die Septuaginta und das Neue Testament, Lund 1956. — Von den übrigen jüdi-schen Schriftstellern lehnt sich der Aristeasbrief (s. oben) sprach-lich stark an die L X X an, während der Philosoph Ρ h i 1 ο η (um Chr. Geb.) eine gebildete, der Historiker J o s e p h u s (geb. 37/38p) sogar eine attizistische Koine schreibt.

149. Die semitischen L e h n w ö r t e r in der jüdisch-christ-

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90 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

lidien Koine sind zum geringsten Teil Transskriptionen (αλλη-λούια, άμήν, μαμ(μ)ωνας, Σαβαώθ, ωσαννά), aber in großer Zahl Ubersetzungslehnwörter, ζ. Β. άνθρωπος und άνήρ im Sinn von „irgend jemand", διαθήκη „Vertrag, Bund", ειρήνη „Wohl-befinden, Heil", πρόσωπον in verschiedenen Wendungen (προ προσώπου τινός „vor jemandem her", πρόσωπον της γης „Ober-fläche der Erde", λαμβάνειν πρόσωπον τίνος „jemanden par-teiisch begünstigen" und davon neu gebildet προσωπο-λήμπτης -λημπτεϊν -λημψία άπροσωπολήμπτως), ρήμα „Sache", σκάνδα-λον „Veranlassung zum Bösen" nebst σκανδαλίζειν; υ'ιός „Indi-viduum", z.B. υιός ετών εκατόν „Hundertjähriger", υιοί φωτός „Lichtmenschen"; ψυχή „ipse", z. Β. Εν. Luc. 9,24 ος αν άπολέση την ψυχήν αύτοϋ = 26 εαυτόν δέ άπολέσας). Vgl. Theol. Wör-terbuch zum Ν. T., hrsg von G. Κ i 11 e 1 (s. § 4).

150. Für die H e l l e n i s i e r u n g d e r N a m e n u n d d e r L a u t e gab es verschiedene Stufen je nach der Situation und dem Grad der Assimilationsabsicht. Die LXX läßt die mei-sten der (indeklinablen!) hebräischen Namen ohne Flexion, hilft sich aber in den Kasus gern mit dem (im Hebr. bei Eigennamen unmöglichen) Artikel: τον Δαυίδ, τω 'Αβραάμ usw., Josephus dagegen führt hellenisierend die Deklination durch: Δαβίδης, "Αβραμος usw. Das Ν. T. schließt sich bei alttestamentlichen Namen dem Gebrauch der LXX an, hellenisiert aber dieselben Namen bei zeitgenössischen Personen; so beißt der Erzvater 'Ιακώβ, die neutestamentlichen Personen gleichen Namens Ίάκοι βος. Der erste Heidenapostel heißt in der feierlichen Anrede Σαούλ, sonst Σαϋλος oder mit weiterer Angleichung an die römisch-hellenistische Namengebung Παύλος. Συμεών helleni-siert sich zu Σίμων (zu σιμός „stumpfnasig" wie Στράβων zu στραβός „schielend" u. dgl.), hat aber noch den Beinamen Πέτ-ρος = semit. Κηφας. Die hebr. Namen auf -(j)äh werden im Ν. T. wie schon in der LXX in die Flexion -ας -α (-ίας -ίου) ein-geordnet: 'Ιούδας, Ζαχαρίας usw.

Auf die enormen Schwierigkeiten der griechischen Wiedergabe des semitischen Lautsystems (besonders der Kehllaute und Zisch-laute, der reduzierten Vokale und der „emphatischen" Konsonan-

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Die hell. Gemeinspräche und die fremden Sprachen 91

ten), kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. B l a s s - D e -b r u n n e r § 36—40.

151. Da die semitische Syntax sehr stark von der indogermani-schen des Griechischen (und Lateinischen) abweicht, sind s y n -t a k t i s c h e S e m i t i s m e n sehr häufig.

Einige Beispiele: Das Hebr. hat einen ähnlichen bestimmten Artikel wie das Griech., setzt ihn aber z. B. immer beim voka-tivisch verwendeten Nominativ (daher LXX und Ν. Τ. ó θεός, 6 πατήρ), nicht jedoch bei einem schon pronominal oder genitivisch determinierten Substantiv (daher ζ. B. LXX πάσα ή συναγωγή, aber πάσα συναγωγή 'Ισραήλ „die ganze Gemeinde Israel", N .T . Luc. 1, 63 ff. έν οΐκψ Δαυίδ παιδός αυτού usw. in einem Hymnus in alttestamentlichem Stil. Έ ν in der Bedeutung des Mittels und Vermittlers (έν τφ αρχοντι των δαιμονίων έκβάλλει τα δαιμόνια Ν. Τ. Mt. 9, 34). Relativsätze werden im Hebr. durch „wo" eingeleitet (wie im Schweizerdeutschen and durch ποΰ im Ngr.), wenn nötig mit nachträglicher demonstrativischer Verdeutlichung; diese Konstruktion wird im Griech. häufig durch das (flektierte!) Relativpronomen nebst nachherigem überflüssi-gem Demonstrativum wiedergegeben; z .B. N .T . Mc. 1, 7 o í . . . των υποδημάτων α υ τ ο ί , 13, 9 ο ϊ α ο ϋ γέγονεν τ ο ι -α ύ τ η . Genitiv im Sinn eines qualitativen Adjektivs ζ. Β. Ν. T. Luc. 18, 6 ó κριτής τής αδικίας „der ungerechte Richter". Der hebr. Inf. absolutus (eine unveränderliche Verbalform, die zur Verstärkung des finiten Verbs dient) wird entweder durch den im Griech. nicht ganz unmöglichen Dativ des Nomen actionis übersetzt (ζ. Β. Ν. T. Acta 5, 28 παραγγελία παρηγγείλαμεν ύμϊν „wir haben euch scharfe Weisung gegeben") oder durch das Partie, coniunctum (im Ν. T. nur in Zitaten aus der LXX, ζ. B. Acta 7, 34 ÎôoVv εϊδον „ich habe genau gesehen"). Der im N .T . besonders bei dem nicht ungebildeten Lukas häufige Typus καί έγένετο (oder eine Spur griechischer έγένετο δέ) έν τω έπανελ-θεϊν αυτόν . . . καί (oder ohne καί) είπεν „als er zurückkehrte, sagte er" entspricht genau hebräischer Sprechweise. Dagegen trifft der semitische Casus absolutus mit dem volkstümlichen echt-griechischen Nominativus absolutus (pendens) zusammen (s. §199); z.B. LXX Deut. 4, 3 πάς άνθρωπος, όστις έπορεύθη οπίσω Βεελφεγώρ, έξέτριψεν αυτόν Κύριος, Ν. Τ. Acta 19, 34 έπιγνόντες δέ δτι 'Ιουδαίος έστιν, φωνή έγένετο μία έκ πάντων.

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92 Grundfragen des nachklassisdien Griechisch

4. Neue Dialekte im nachklassisdien Griediisdi

Das Neugriechisdie und seine Dialekte

152. Die Größe des der Koine ausgesetzten Gebiets und die Verschiedenheit der von ihr zurückgedrängten oder aufgesogenen Dialekte und Fremdsprachen legen die Frage nahe, ob sie nicht in n e u e m u n d a r t l i c h e V a r i a t i o n e n zerfallen sei. Diese Erwartung ist bisher durch das vorliegende Material nicht bestätigt worden: die im Vorangehenden besprochenen land-schaftlichen Dialektreste waren, abgesehen vom Tsakonischen (§ 71) und vom unteritalienischen Griechisch (§ 72), zu unbedeu-tend, um eine Dialektgliederung innerhalb der Koine zu begrün-den, und die aus den alten Dialekten und aus fremden Sprachen in den Gemeingebrauch eingedrungenen Elemente finden sich überall im Gesamtbereich der Koine. Die Ursache liegt darin, daß die Koine eine Kultur- und Weltverkehrssprache war und infolge der Bevölkerungsmischung und der weitgehenden Loslösung vom einstigen Heimatboden zwar ein Nebeneinander widersprüchlicher Züge von verschiedener Herkunft duldete, aber zunächst keine für uns erkennbare dialektische Gliederung aufkommen ließ. Zu dieser Dialektlosigkeit der Koine steht die starke mundartliche Aufspaltung des Neugriechischen in scharfem Gegensatz. Die Entstehungszeit dieser neugriechischen Dialekte ist noch sehr un-gewiß; deutlich sind sie erst etwa vom 12. Jahrhundert an, und es ist unklar, wie weit ihre Wurzeln in die späte Koine zurück-reidien. Jedenfalls scheint es, daß außer Neuerungen auch alte Formen, die in der Koine konkurrierend nebeneinander bestan-den, sich in verschiedenen Teilen des Sprachgebiets festgesetzt haben und zu Dialektmerkmalen geworden sind.

Literatur: T h u m b , Hell. S. 162—201; P. K r e t s c h m e r , Glotta 11 (1921) S. 232 f.; 15 (1927) S. 182; 22 (1934) S. 227; S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 125 f.; G.-P. A n a g n o s t o p u -1 o s , Εισαγωγή εΐς την νεοελληνικήν διαλεκτολογίαν, Α: Περί της άρχής των νέων έλληνικών διαλέκτων, Έπετηρίς Έταιρ. Σπ. 1 (1924), 93—108; M. T r i a n t a p h y l l i d e s ;

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Der Attizismus 93

Νεοελληνική γροιμματική, I : 'Ιστορική εισαγωγή (Athen 1938) § 66; Α. M i r a m b e l , Histoire et structure à propos des Dia-lectes Néo-Helléniques, Glotta 39 (1960/61), 238 fi.; S. G. Κ a p -s o m e n o s (s. § 4), S. 20 ff.

153. Die Alten wissen zwar manches von einem besonderen a l e x a n d r i n i s c h e n D i a l e k t zu berichten; allein die sprachlichen Eigenheiten, die sie ihm zuschreiben, gehören der Koine überhaupt an (z.B. -αν statt -ασι im Perfekt; s. § 178); höchstens die lexikalischen Angaben verdienen nicht von vornher-ein schärfstes Mißtrauen, so etwa Pflanzen- und Tiernamen wie κολοκάσιον „ägyptische Bohne', σκυταλίδες „kleine Seekrebse", μονόσιροι „eine Vogelart" ; vgl. § 136 βάις βαΐον. Vielleicht gehen alle diese Nachrichten über den alexandrinischen Dialekt auf einen Gelehrten zurück, der in Alexandria lebte und alles, was ihm dort als unattisch vorkam, als Eigenheit seiner Stadt empfand (vgl. § 1 und K. L a 11 e , Hermes 50, 1915, S. 384 f.).

5. Der Attizismus

154. Das Epigonengefühl, das die hellenistische Zeit be-herrschte, hatte die Folge, daß man auch die Sprache der als klas-sisch empfundenen Vergangenheit als Ideal betrachtete, dem man in der Schriftstellerei nachstreben müsse. Zwei Schriften des A r i s t o p h a n e s v o n B y z a n z (etwa 257—180a), deren Titel uns überliefert sind (Περί καινότερων λέξεων und Περί των ύποπτευομένων μή είρήσθαι τοις παλαιοΐς) lassen erkennen, daß es schon damals literarische Kreise in Alexandria gab, die den Grundsatz: „Zurück zum Alten!" aussprachen und auf Grund von sprachlichen Studien durchführen wollten; s. auch § 7. Als Grundlage für die Einheitssprache der Bildung empfahl ein Schüler Aristarchs, P i n d a r i o n , Homer; aber er drang nicht durch. Sammlungen attischer Wörter und Schriften über den attischen Dialekt verraten uns, daß sich der idealsuchende Rück-wärtsblick schon früh in der alexandrinischen Zeit auf Athen konzentrierte (s. § 1); wer zuerst diese Richtung gewiesen hat, ist uns nicht bekannt.

155. Den Höhepunkt erreichte dieser „ A t t i z i s m u s " im IIP, indem ihn die sog. zweite Sophistik nach anfänglicher Ab-

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94 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

lehnung in ihr Programm aufnahm. Eine kräftige Stütze war die parallel gehende rhetorische Reaktion gegen den „ Asianismus", der in Theorie und Praxis die Geziertheit und das Pathos als Selbstzweck der Rede verherrlichte; audi hier bestand die Kor-rektur der Modebewegung in der Schilderhebung der Attiker, und so vereinigten sich der rhetorische und der grammatische Attizismus zum Kampf gegen die Proletarisierung der Sprache einerseits, gegen ihre virtuos-spielerische Entartung andererseits. Es war eine etwas nüchterne, pedantische, wissenschaftlich-schul-meisterliche Auffassung des Sprachideals, wie geschaffen für die römische Geistesart, und so haben tatsächlich die gebildeten Rö-mer ein hervorragendes Verdienst an der Förderung des Attizis-mus gehabt: Cicero trat mit dem ganzen Gewicht seiner Autori-tät für die attizistische Rhetorik ein; und Kaiser Hadrians Hof bildete den Mittelpunkt für den grammatisch-lexikographischen Attizismus seiner Zeit.

156. Der Attizismus steht seinen Grundsätzen nach im Zusam-sammenhang mit der künstlichen Wiederbelebung der griechi-schen Dialekte (§ 67 f.) und dem damit parallel laufenden Ar-chaismus in der lateinischen Literatur (vgl. S t o l z - D e b r u n -n e r § 144—146). — Literatur: Das Hauptwerk über den sprach-lichen Attizismus ist W. S c h m i d , Der Atticismus in seinen Hauptvertretern, 4 Bände mit Registerband, Stuttgart 1887 bis 1897; weiteres s. D e b r u n n e r , Bibl. Bd. 240, S.5—7; 261, S. 194; V. Ρ i s a η i (s. § 4), 125 fï. Siehe auch § 16—18 über die antiken attizistischen Schriften.

157. Den Fortschritt des Attizismus mag der Vergleich einiger hell. Autoren verschiedener Zeit veranschaulichen: Die Sprache Ρ o 1 y b s (vgl. § 26. 66) ist in manchen Beziehungen, ζ. B. im Gebrauch der Tempora und des Optativs, eine Art jüngeres At-tisch; die sorgfältige Koine seiner Zeit war noch nicht so stark vom Attischen entfernt, daß sich ein Gegensatz aufdrängte; aber die Attizisten fanden seine Sprache ungenießbar. P l u t a r c h (vgl. § 27) lehnt für seine Person nodi die steigenden Ansprüche der Attizisten ab (vita Arati 3) und meint, das wahre Attisch-

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Der Attizismus 95

reden liege in der Einfachheit und Verständlichkeit; aber in der Hiatmeidung folgt er den Puristen so streng, daß man sie zu einem Kriterium für die Scheidung echter und unechter Schriften machen konnte, und in der Praxis hebt er sich doch stark von der Volkssprache ab. Sein Zeitgenosse J o s e p h u s ist zwar im ganzen wenig künstlich; aber er hat schon Kennzeichen des schär-feren Attizismus: έτετάχατο, περί c. dat., αμφί; er ist auch der erste, der den Dual des Verbums wieder hervorholt (vgl. § 182): μόνω δ'ήστην Ant. X V I I I 168. Mitten in die heißen Sprach-kämpfe des UP versetzt uns der Syrer L u k i a n (geb. etwa 120P). Wenn man seine Spottschriften gegen die Attizisten liest, den Λεξιφάνης (gegen den lexikalisch-phraseologischen Attizis-mus) und die ergötzliche Δίκη φωνηέντων (die einen Prozeß des σ gegen das τ vor dem Gerichtshof der sieben Vokale wegen Raubs der Wörter mit σσ darstellt), so ahnt man nicht, daß er selber tief in der Sucht nach alten und seltenen Wörtern steckt. Der Attizismus setzte sich dann durch die Jahrhunderte hindurch fort bis heute, während sich die Volkssprache immer mehr von der alten Norm entfernte: bis in die jüngste Zeit kämpfte (oft in erbitterter Form) die archaisierende „Reinsprache" (καθαρεύουσα) und die an die Volksdialekte angelehnte δημοτική oder καθομι-λουμένη um den Vorrang im amtlichen, schulischen und literari-schen Gebiet. Inzwischen hat sich die gemeingriechische Um-gangssprache (δημοτική) als Sprache der modernen Literatur durchgesetzt, während die frühere Schriftsprache (die καθα-ρεύουσα) als Gelehrtensprache gilt.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 131—134; A. D e -b r u n n e r , Indogerm. Forsch. 54 (1936) S .298; 58 (1941) S. 102 f.; Bibl. Bd. 261 S. 199 f.; Museum Helv. 5 (1948) S. 65 bis 68; A. M i r a m b e l , Les „états de langue" dans la Grèce actuelle (Conférences de l'Inst. de ling. 5, Paris 1937, S. 19—53) ; ders., La langue grecque moderne, Description et analyse, Paris 1959; F. D ö l g e r , Byzantin. Ztschr. 42 (1942) S. 254—256; M. T r i a n d a p h y l l i d i s , Influence de la morphologie sa-vante sur le néo-grec, Actes du sixième congrès internat, des

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96 Grundfragen des nachklassischen Griechisch

linguistes (Paris 1948) S. 430-^147; J. I r m s c h e r , Über die ngr. Sprachfrage, Wissensdiaftl. Annalen 1 (1952), 2 (1953); G. Β ö h 1 i g , Das Verhältnis von Volkssprache u. Reinsprache im griedi. Mittelalter, in: Aus der byzantinist. Arbeit der DDR I (Berlin 1957), l f ï . ; S. C. C a r a t ζ a s , Die Entstehung der ngr. Literaturspr., Glotta 36 (1958), 194 ff. — G. S o y t e r , Gramm, u. Lesebuch der ngr. Volks- u. Schriftsprache, 3. Aufl., Leipzig 1955 (vgl. dazu die Kritik von S. C. C a r a t z a s , Kratylos 1, 1956, 179 if.); M. M o s e r - P h i 11 s o u , Lehrbuch der ngr. Volkssprache, 2. Aufl., München 1962; H. E i d e n e i e r , Neu-griechisch für Humanisten, München 1965.

158. Einige Hauptzüge des Attizismus: ττ statt σσ (§ 169), ρρ statt ρσ (§ 169), ές statt είς, ξύν statt σύν, εδοσαν εϋεσαν statt έδωκαν εθηκαν, τετάχαται ετετάχατο statt τεταγμένοι είσίν (ήσαν); der Dual beim Nomen, Pronomen und Verbum (§ 182), die 2. att. Deklination (§ 173), der Optativ (§ 188—195).

159. Proben aus attizistischen Lexika (vgl. § 16—18): Phry-nichos (Lobeck) 28 περιέσσευσεν, 56 ποταπός, 76 τάχιον, 103 γενέσια, 108 γενηϋήναι, 196 μεγιστάνες. Moiris 188,22 αρρενα 'Αττικοί, αρσενα "Ελληνες

189, 3 άπέκτονεν — άπέκταγκεν 191,27 άπετέλεσεν — άπήρτισεν 194, 19 δέκετες — δεκάετες 196, 29 ετετάχατο — τεταγμένοι ήσαν 197, 34 ήσθα — ής 199, 8 θάρρος — θάρσος 200,6 'ίσασιν — ο'ίδασι 205, 13 όσημέραι — καθ' ήμέραν 206,2 παϊσαι — παϊξαι 209, 1—3 σφεις, σφών, σφάς — αυτοί usw. 209, 33 σμικρόν — μικρόν

Antiatticista 96,27 έγρηγόρησεν Ξενοφών τετάρτφ 'Ανα-βάσεως [IV 6, 22 alle Handschriften; lies Ppf. έγρηγόρεσαν]

97, 6 f. εσθειν "Ομηρος· εσθων καί πίνων [3mal] 97,28 ζήσει- Πλάτων Πολιτείας εκτφ (ζήσο\ισι civ.

V 13 p. 465 d). ού ζήσεται 100, 5 Ινα τί· αντί τοΰ δια τί 101,29 κλείν άξιοΐσι λέγειν, οϋ κλείδα. Δίφιλος Εύ-

νούχορ [Fr. 9; I I 543 Κ.]

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103, 27 καμμύειν o í φασι δεϊν λέγειν, άλλά καταμύειν 113, 6 ρΰμην ου φασι δείν λέγειν, άλλά στενωπόν

[s. § 133]

Zweiter Hauptteil Grundzüge des nachklassischen Griechisch

1. Lautliche Merkmale

a) D i e n e u e A u s s p r a c h e

160. Die S c h r e i b u n g ist in der klassischen Zeit in der Hauptsache lautgerecht („phonetisch"), im Neugriechischen tradi-tionell („historisch"). Die der Koine stimmt fast durchweg mit der attischen überein (die auch im Neugriechischen festgehalten ist); aber Inschriften und Papyri beweisen vielfach, daß die Aus-sprache nicht mehr mit der Schreibung übereinstimmte, und nach derselben Richtung weist die intensive Bemühung der hellenisti-schen und byzantinischen Grammatiker um die ορθογραφία — einen Begriff, der nicht existierte, solange sich Laut und Buchstabe deckten. Die große Umgestaltung des Lautsystems umfaßt fol-gende Wandlungen: Zusammenfall von ι, ει, η (η) in i, von οι und υ in ü (und später ebenfalls in i), von αι und ε in e ; Schwund des ι in den Langdiphthongen ä i und ωι (c¿ und ψ); Aufhebung der alten Qualitätsunterschiede im Zusammenhang mit dem Übergang von der musikalischen zur exspiratorischen Betonung; Spirantisierung der Mediae und Aspiratae. Die meisten dieser Neuerungen gehen in ihren Anfängen bis in die ältere Koine zurück.

Die im deutschen Sprachgebiet übliche Aussprache der alt-griechischen Buchstaben (die „erasmische" ) entspricht fast durch-weg der bis zum Ende der klassischen Zeit gültigen attischen, die im heutigen Griechenland für das Alt- und Neugriechische an-gewendete (die „reuchlinische") beruht auf der nachklassischen Weiterentwicklung. Unsre Aussprache des φ und χ ist jedoch die

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98 Grundzüge des nachklassischen Griechisch

neugriechische, die von ευ (etwa oi oder öi, statt e-u entsprechend a-u -- αυ) ist der des deutschen eu nachgebildet; die Aspiration der Tenues (ph, th, kh für π, τ, κ) ist ebenfalls deutsch und weder alt- noch neugriechisch. Vgl. S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 174 bis 177.

161. Das alte diphthongische ει ( = e-i, z.B. λείπω zu λέλοιπα λιπεΐν) war im Attischen und anderswo schon im Va mit dem aus Kontraktion (φιλέετε zu -èie) oder Ersatzdehnung (*θέντς zu thés) entstandenen langen geschlossenen ë zusammengefallen; dieses ë wurde im Argivischen und Boiotischen schon im Va zu t, in den att. Inschriften erst gegen 300a vereinzelt, häufiger seit 100a, in den Papyri seit dem I I I a . Solange ι und î in der Aus-sprache geschieden waren, eignete sich daher die Schreibung ει zu,r Bezeichnung eines langen i (ζ. Β. πείπτω in den herkulanensi-schen Rollen, Δαυείδ in der Handschrift Β des N. T.). Vor a und o blieb è länger bewahrt als sonst; daher häufige Schreibungen wie 'ιέρεα = -εια, εΰθηαν = -εϊαν und lat. platea aus -èa = -εϊα.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 191—194. — Sonder-fälle von frühem ì für Ersatzdehnungs-¡F im Attischen: ίμάτιον (aus */Γεσμ-> είμ-) und χίλιοι (aiol. χελλ-, ion. χειλ-). — Die Parallelentwicklung von ou über δ zu ü hat sich etwas früher vollzogen: für die Übergangszeit zur Koine kommt wohl nur die Aussprache ü in Betracht. — Tt (geschrieben ιει) ist etwa seit dem II21 zu ì kontrahiert (geschrieben ει): ύγεια (Akzent?), πεΐν usw. — Mit dem Ausgleich der Vokalquantitäten (§ 165) wird dann auch die Schreibung ει für kurzes ι möglich.

162. Die Aussprache des η war zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten etwas verschieden. Das urgriechische ë (mit dem im Ionisch-Attischen das aus à entstandene η zusammenfiel) war im Thessalischen und Boiotischen schon Vaf geschlossener geworden (Schreibung στατεΐρας = στατήρας usw.); in den Papyri wird η seit I I™ mit ει und ι verwechselt, aber auch mit ε und αι.; die Aussprache scheint also zwischen ë und ι geschwankt zu haben. In nachchristlicher Zeit scheint ι die herrschende Aus-sprache geworden zu sein; aber die östliche Aussprache als ë hielt sich bis ins pontische Neugriechisch.

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Lautliche Merkmale 99

Literatur: S c h w y z e r 1 S. 185 f. Über χι s. § 164.

163. Auch die Entwicklung von αι und 01 ist verwickelt. Wie-der geht das Boiotische voran: αε, οε für αι, οι schon im V a ; wei-ter η ( = offenes é) seit etwa 400a; im I I I a wird 01 zu υ ( = ü; für das alte υ wird nun ου geschrieben). Attika folgt erst im I I " und I I I p mit αι = e, 01 = ü, also etwa ein halbes Jahrtausend später; 01 = i hat sich erst um 1000 durchgesetzt.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 194—196; T h u m b -S c h e r e r 24—27. — Anders haben sich αυ und ευ entwickelt: im Neugriechischen werden sie als av und ev, vor stimmlosem Konsonanten als af und ef gesprochen: παύω (ράυο) „höre auf", αύριο (âvrio) „morgen", αυτός (aftós) „dieser", δουλεύω (dulévo) „arbeite", ευρίσκω oder βρίσκω ((e)vrísko) „finde", καυκοϋμαι (kafkúme) „rühme mich". Anzeichen dieses Wandels sind in der Koine spärlich (seit boiot. ευδομον = εβδομον mit umgekehrter Schreibung von υ für spirantisch gewordenes ß; s. § 166). Vgl. S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 197 f.

164. S c h w u n d d e s 1 d e r L a n g d i p h t h o n g e ä i ηι an findet sich vereinzelt seit dem VI a (zunächst vor Vokal und im vortonigen Artikel), in attischen Inschriften bei αι und ωι seit etwa 400a, häufiger erst seit etwa 100a, während ηι seit etwa 375a zu geschlossenem è (geschrieben EI) wurde (daher κλείς aus κλη'ίς κλής, 'Αριστείδης aus -ηΐδης -ηδης usw.); später wurde in der 1. Dekl., im Konjunktiv und in der Augmentierung -ηι (bzw. ηι-) analogisch wiederhergestellt (vielleicht nur in der Schrift) und dann mit η zusammen zu 1 (§ 162).

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 200—203. — Nicht-aussprache des 1 bezeugt u. a. Strabon 14, 41 p. 648: Auf einer Statue des Kitharoden Anaxenor sei der letzte Buchstabe der Wendung βεοΐς έναλίγκιος αύδήι (aus homerischem ΰεοίς ένα-λίγκιος αϋδήν umgestaltet) aus Raummangel weggelassen, so daß Zweideutigkeit zwischen Nom. und Dat. bestehe; πολλοί γαρ χωρίς του ι γράφουσι τάς δοτικάς („die Dative"), καί έκβάλ-λουσι δέ τό εΟος (die Schreibgewohnheit) φυσικήν αίτίαν ουκ εχον. Die Inschrift ist erhalten (Inschriften von Magnesia [s. § 52] Nr. 129; vor 31a). — Das Latein berücksichtigt das 1 in den

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100 Grundzüge des nachklassischen Griechisch

älteren Lehnwörtern wie tragoedia = τραγωιδία, Thraex ••= Θράιξ seit augusteischer Zeit nicht mehr: Thräx, Odèum, melo-dia (aber vulgär schon bei Plautus cläträtus „vergittert" aus unter-italischem κλαιθρον).

165. V o k a l q u a n t i t ä t u n d A k z e n t q u a l i t ä t sind im Neugriechischen anders als im Altgriechischen: die alten Quan-titätsunterschiede sind verlorengegangen; jeder betonte Vokal ist halblang, jeder unbetonte kurz, und die (vorwiegend) musikali-sche Sprachmelodie ist durch eine (vorwiegend) exspiratorische (dynamische) ersetzt, womit auch der Intonationsunterschied zwi-schen Akut (Gravis) und Zirkumflex verschwand. Beides hängt unter sich zusammen, und zwar gewiß so, daß die Quantitäts-änderung eine Folge der Änderung der Betonungsart ist. Die An-fänge dieser Neuerung liegen in der Vulgärsprache (Spuren im Attischen seit dem Va, in Inschriften und Papyri seit I I I a ) ; die höhere Sprache hat wohl lange dagegen gekämpft. Näheres bei S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 392—394.

166. Die alten Tenues aspiratae (φ θ χ = ph th kh) und Me-diae (β δ ν = b d g) sind im Neugriechischen zu Spiranten ge-worden: zu / p (englisches stimmloses th) ch (deutscher ich-Laut vor hellem Vokal, sonst ach-Laut) und zu den entsprechenden stimmhaften Lauten. Unter den einigermaßen sicheren Anzeichen der Spirantisierung der Aspiratae in der Koinezeit ist das älteste die lakonische Schreibung σ für θ seit dem IVa (vgl. § 67. 71 und Band I § 194), dann das pamphylische φίκατι für Finατι (also φ für spirantisches F) (II oder Ia) und lateinisches f für griechisches φ (etwa seit dem Ip). Offenbar geschah der Übergang nicht über-all gleichzeitig und nicht bei allen drei Artikulationsstellen gleich-zeitig. Für Spirantisierung der Mediae sprechen zum Teil schon vor der Koine die Schreibungen β für F und lat. ν (s. § 144), elisch ζ für δ; für γ in Ägypten die häufige Weglassung zwischen Vokalen und die Einschiebung von γ zur Hiatustilgung.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 204—210; A. B a r -i o η ë k , Development of the Consonantal System in Ancient

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Lautliche Merkmale 101

Greek Dialects (tschechisch mit engl. Inhaltswiedergabe), Prag 1961.

167. Die in den Paragraphen 160—163 und 166 besprochenen Lautwandlungen treten alle zuerst in nichtattischen Dialekten auf (mehrere im Boiotischen) und gehören alle nicht dem vorhelle-nistischen Attischen an. Das steht im Widerspruch mit der son-stigen entscheidenden Bedeutung des Attischen für die Bildung der Koine (§ 107 und 108). Die Erklärung dafür liegt darin: in einer Gemeinsprache läßt sich die Einheitlichkeit am schwersten im Lautlichen erreichen (wie z.B. das deutsche und das französi-sche Sprachgebiet zeigen). So bestanden auch, wie die in den Paragraphen 160—166 angegebenen Tatsachen zeigen, erhebliche landschaftliche (zum Teil wohl auch sozial bedingte) Unterschiede in der Aussprache. W o neben der Koine die lokalen Dialekte zu-nächst noch lebendig waren, wie in Boiotien und Lakonien (s. § 61 u. 67), entwickelten sie sich in ihrem Lautstand weiter; vgl. den boiotischen Übergang von ursprünglichem οι in ü im I I I a

(§ 163). So werden aber auch sonst da und dort im Koinegebiet zu verschiedenen Zeiten und mehr oder weniger selbständig laut-liche Neuerungen aufgekommen sein, die einer allgemeinen, in den verschiedensten Sprachen vorkommenden Neigung entspra-chen (ζ. B. Monophthongierung und Spirantisierung), so wie im Bereich der Morphologie Umwandlungen auftraten, die der allge-meinen Tendenz zur Ausgleichung des Formensystems entgegen-kamen (§172 ff.). Daß dabei das sonst an der Ausbildung der Koine nicht beteiligte Boiotien (vgl. § 76) eine besondre Rolle spielte, ist kaum glaubhaft: es war nur eben mit einigen Lautver-änderungen zeitlich vorangegangen (zum Teil um ein halbes Jahr-tausend!), die in der Richtung der später folgenden allgemeinen Entwicklung lagen.

Uber die Ansicht von K r e t s c h m e r s. § 7 5 ; dagegen T h u m b , Hell. S. 227—230; M e i 11 e t3 S. 291—294.

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102 Grundzüge des nachklassischen Griechisch

b) E n t s c h e i d u n g z w i s c h e n l a u t l i c h e n V e r s c h i e d e n h e i t e n d e r a l t e n D i a l e k t e

168. Entsprechend den Regeln von § 107 haben sich in der Koine durchgesetzt: die attische Verteilung von ä und η, die Aussprache des υ als ü, das σσ und ρσ der meisten Dialekte; eine besondere Stellung nimmt die Psilose ein.

Über Ausnahmen mit „dorischem" â s. § 78—81, mit ion. η § 99. Der Wandel von υ zu ι (§ 163) setzt υ = il voraus; doch hat daneben υ = u (und ju) in der Koine weiter bestanden bis heute (s. § 71 und S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 182, 1; 183 f. ζ).

169. Die Schicksale von σσ/ττ und ρσ/ρρ (s. § 107 a) verlaufen parallel. Die attischen Lautungen ττ (anlautend τ-) und ρρ hatten in andern Dialekten nur schwache Hilfe gegen σσ (σ-) und ρσ der andern. Aber einerseits sind xx und ρρ im Attischen nicht ausnahmslos: unattische σσ und ρσ stehen in ungriechischen Wör-tern wie ύσσός „pilum", βύρσα „Leder" und Πέρσης Περσεύς, in altertümlich-sakralen Wörtern wie "Ερση (Tochter des Ke-krops) und ϋύρσος, in Namen außerattischer Örtlichkeiten wie χερσόνησος (neben χερρό) und Τειχιοϋσσα, im Suffix -ισσα (βασίλισσα, Κιλίκισσα usw.), aus außenpolitischer Höflichkeit (s. § 64), in der Tragödie und altern Kunstprosa (s. 5 37; aber in rein attischen Wörtern gilt nur attischer Konsonantismus: Thuk. δέρρις „Haut, Decke", άλλ° äxxa, Soph, πόρρω [ion. πρόσω!] und βλίττειν „Honig ernten"; jedoch mit falscher Umsetzung eines nur attischen Wortes Thuk. ήσσα und ήσσάσθαι [vgl. § 64]).

Andererseits finden sich attische ττ und ρρ dann und wann auch in der Koine. Hier herrscht zwar auf den ersten Blick reine Willkür, doch hat genauere Beobachtung Regeln ergeben: die Kunstprosa (Aristoteles, Polyb, Diodor) schreibt ττ und ρρ, wo es die attische Prosa besaß (z.B. ήττα [§108], Θετταλονί,κη, θαρρεΐν, πόρρω), aber die unattischen θάρσος „Kühnheit" (att. •θράσος „Frechheit"), χέρσος, βασίλισσα, ύσσός. In der vulgären Koine herrschen umgekehrt σσ und ρσ, außer in speziellattischen Wörtern; so z. B. LXX νοσσός, γλώσσα, αρσην usw., aber ήττδσΟαι, δέρρις, πυρρός. Die hell. Urkunden haben außerhalb Attikas ττ nur in attischen Formeln wie τα δίκαια πράττειν; in den Papyri nimmt ττ vom I I I bis I a allmählich ab. Der Attizis-mus propagiert ττ und führt es sogar in unattischen hell. Neubil-dungen wie πήσσειν ρήσσειν (für πηγνύναι ρηγνύναι) ein.

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Lautliche Merkmale 103

Literatur: J. W a c k e r n a g e l , Hellenistica S. 12—23; B. R o s e n k r a n z , Indogerm. Forschungen 48 (1930) S. 143 bis 146; S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 284 f. 307—321.

170. Die Schicksale des h sind in der Koine nicht leicht zu ver-folgen. Der Hauptstützpunkt der P s i l o s e (s. § 98) war wohl das Ionische Kleinasiens (die Verwendung des alten ¿-Zeichens H für ë im milesisch-ionischen Alphabet setzt Verstummen des b voraus); diese Tendenz traf schon im Anfang der Koineentwick-lung auf die besonders im Attischen starke konservative Haltung dem h gegenüber (vgl. ούΰείς § 109); die erste war in der Koine volkstümlich und setzte sich schließlich gegen die attizisierende Hochsprache durch. Die Aspiraten (ph th kh = φ fl χ, ζ. Β. in σοφός εϋος εχω, έφ-οράν μέθ-οδος) wurden von der Psilose nicht erfaßt (und waren ihr nach dem Wechsel der Aussprache zu / p ch [§ 166] erst recht entzogen), und so konnte sich die Nachwir-kung des anlautenden h auch in eng zusammengehörigen Wort-gruppen wie κα#' ήμέραν und ούχ ήκιστα erhalten, auch als man sonst ήμερα und ήκιστα sprach.

171. Auf den Papyri beginnen die Anzeichen der Psilose schon im III a ( M a y s e r I1 S. 199—203): κατ εκαστον, κατ ημων; ein Papyrus des letzten Buchs der Ilias aus dem I a schreibt ε.τι ιτ ιιπο, rivi-κ ικανω usw.; umgekehrt wird die Aspirata oft fehler-haft gesetzt (μηΰ άλλον u. dgL). Eine Anzahl solcher unattischer Aspirationen ist besonders häufig (seit dem III a) , und einzelne da-von haben sich bis heute behauptet (natürlich in spirantischer Aussprache!); sie sind alle aus Analogie zu erklären: εφεΐδε nach εφορδν; καθ έτος (schon auf der kyren. Inschrift Beri. Sitzber. 1927, S. 19 -- S o l m s e n - F r a e n k e l , Inscr. Graecae . . selectae, 4. Aufl., Leipzig 1930, Nr. 39 Β 44; IVa1') und καθ ενιαυτον nach καθ' ώραν und κα-θ' ήμέραν; καθ ιδίαν nach καθ' εαυτόν; ουχ ολίγος nach ούχ ήττον und ούχ ηκιστα; so ngr. εφέτος „heuer" und μεθαύριο(ν) „übermorgen" (vgl. τά μεΰί-ορτα „der Tag nach dem Fest" = μεΐΓ έορτήν). Die frühere An-sicht, nach der das b in solchen Fällen eine Nachwirkung eines alten F wäre, ist aufzugeben, weil ένιαυτός und ολίγος (und αυριον) nie ein F hatten.

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2. Morphologische Merkmale

172. F o r m e n a u f - ρ η ς u n d - ρ η von Substantiven auf -ρα sind in der Koine geläufig (μαχαίρης -ρη, άρούρης, σπείρης u. a.). Da die femininen Substantiva und Adjektiva auf -ρα viel seltener und im allgemeinen erst später zu -ρη übergehen (ζ. Β. πορφύρης, δεύτερη) und die Wörter auf -ία -εια -ία gar nicht von der Neigung zu -η statt -ä erfaßt werden, so kommt Ionismus (vgl. § 99) höchstens in zweiter Linie in Betracht, in erster Linie analogischer Ausgleich, indem die Wörter auf -ρα (-ρα) aus der Gesellschaft derjenigen mit Vokal vor dem -ä (-ä) in die der Wörter mit Konsonant vor dem -5. (-η) versetzt wur-den. Auch die Partizipien auf -υΐα bekommen gelegentlich -ης -η (ζ. Β. είδυίης; in vorchristlicher Zeit sehr selten), wahrscheinlich weil υι (üi) zu ü geworden war ( S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 199 f.).

Literatur: B l a s s - D e b r u n n e r §43, 1.

173. Die „ z w e i t e a t t i s c h e D e k l i n a t i o n " (die allerdings auch im Ionischen vorkommt) war immer nur auf wenige Wörter beschränkt und ist in der Koine sehr bald unter-gegangen: für λεώ; und νεώς treten λαός und ·ναός ein (§ 81), für άλως αλων, für κάλως das ionische κάλος, für πλέως πλήρης (und μεστός), für εως „Morgenröte" αυγή. Die Hinterglieder -γεως -χρεως -χρως werden durch -γεος (oder -γειος oder -γαιος) -χρέος -χρους ersetzt. Am längsten hat sich ίλεως gehalten, aber nur im Nom. Sg.; so noch LXX und Ν. T. in der (profanisierten) religiösen Formel ίλεως σοι „das möge (Gott) verhüten"! (das aber auch ΐλεος geschrieben wird; vgl. § 165).

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1. S. 557 f.; M a y s e r I2

2 S. 55; B l a s s - D e b r u n n e r § 4 4 , 1 .

174. Sehr folgenreich ist die A n f ü g u n g v o n ν a n d i e A k k u s a t i v e n d u n g - α geworden. Die indogermanische Endung m hatte sich nach den urgriechischen Lautgesetzen in -v

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Morphologische Merkmale 105

(hinter Vokalen: -ov -tv -υν) und -α (hinter Konsonanten: Οηρ-α άγών-α usw.) gespalten. Durch Anfügung des als Kasuszeichen empfundenen -v an den Ausgang -α wurde dann die Einheit wie-der hergestellt, -αν statt -α findet sich vorhellenistisch nur in kyprisch ά(ν)δριίά(ν)ταν und i jar íoav (antevokalisdie satzpho-netische Variante -αν aus *-/»?), in den Papyri seit etwa 200a

(στατήραν, χϊραν, θυνατέραν usw.), häufiger erst in römischer Zeit. Da nun -αν nach der Aufhebung der alten Quantitätsunter-schiede mit dem -cxv der 1. Dekl. übereinstimmte, wurde später ein Nominativ auf -ας für die Maskulina (nach dem Muster νεανίας -ίαν), auf -α für die Feminina (nach χώρα -αν) geschaf-fen: so heißt es im Neugriechischen durchweg ό άντρας, ή γυ-ναίκα usw.

Literatur: M ay s e r I2 S. 46; S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 563, 1 (dagegen H. S e i l e r in Gioita 37, 1958, 50 ff.). Über jungattisches und hell, -ην statt -η der alten ί-Stämme (Σωκρά-την, τριήρην usw.) und späteres -rjv für -ή (ύγιήν usw.) s. ebenda S. 39 f. bzw. S. 579; über -κλήν statt -κλέα nach -κλής M a y s e r a . a .O . S. 41 (att. Inschriften von 300a an, Papyri etwas später).

175. Über -ες im Akk. Pl. s. § 93, über γήρους γήρει § 101, über die Flexion -ας -α (-ας -α) usw. § 79. 145. 150.

176. Die deutlichere E n d u n g - σ α ν der 3. Plur. an Stelle von -ν (aus *-nt) hatte sich schon zur homerischen Zeit heraus-gebildet (φάσαν, ϊσαν „sie gingen", δίδοσαν, δόσαν, μίγησαν, μέμασαν usw. neben φάν, μίγεν usw.); das Attische hatte sie auf weitere derartige Präterita ausgedehnt, aber auch auf den Impe-rativ (nach der Formel: 3. Sg. + -σαν = 3. Pl. wie in εβη εβη-σαν): ϊτωσαν und εστωσαν sind schon bei Euripides metrisch gesichert, -έτωσαν und -έσϋωσαν bei Thuk., Xen. und andern überliefert, -έτωσαν inschriftlich etwa seit 300a, άναγραψάτωσαν schon um 350a (SGDI IV S. 884 Nr. 83, 8 f. aus dem ion. Ery-thrai); vgl. auch καθελόντωσαν IG2 I I / I I I Nr. 204, 47 (Eleusis; 352/la), das aus dem älteren attischen -ντω(ν) nach -έτωσαν um-gebildet ist.

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106 Grundzüge des nachklassischen Griechisch

Literatur (auch zu §177): S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 119 Fußn. 2. 665 f. 802; M a y s e r I2 2 S. 83 f. 89 f.; B l a s s - D e -b r u n n e r §84.

177. Die Koine kennt in allen diesen Fällen nur noch -σαν. Dazu kommen andere Übergriffe dieser bequemen Endung:

a) Durch -οσαν (statt -ov der 3. Plur.) wird Unterscheidung von der 1. Sg. und die Gleichheit der Silbenzahl mit den andern Pluralpersonen erzielt: so έλαμβάνοσαν, ηλίίοσαν usw. in den zwei letzten vorchristlichen Jahrhunderten oft in Inschriften und Papyri und in der LXX; vgl. schon Lykophron έσχάζοσαν § 113. Im Ν. T. und in den nachchristlichen Papyri ist dieses -οσαν nur noch ganz schwach vertreten, und das Neugriechische hat von ihm nichts bewahrt: es wurde von einem neuen, noch besseren und ausgedehnter wirksamen Prinzip (§ 178) verdrängt. Der Über-gangscharakter der Bildung -οσαν wird auch erwiesen durch die seltenen Nebenformen auf -εσαν (mit Anknüpfung an -ε und -ετε wie -οσαν an -ομεν): Papyri um 160a άφίλεσαν ( = άφειλον) έλαμβάνεσαν, LXX v. 1. κατεφάγεσαν. (Das zu erwartende paral-lele -σασαν statt -σαν kommt sozusagen nicht vor, weil die 1. Sg. auf -σα und die 3. PI. auf -σαν genügend geschieden waren und -σασαν klanglich unerwünscht war.)

b) Die unerwünschte Gleichheit der 1. Sg. und 3. PI. bestand auch im Imperfekt der Verba contracta: έτίμων, έποίουν, έδού-λουν. Daher trat auch hier die analoge Differenzierung mit Hilfe von -σαν ein: sie beginnt in Inschriften und Papyri um 200a, hält sich aber zunächst in bescheidenem Rahmen; z. B. LXX έγεν-νώσαν, ένοοίίσαν, έταπεινοϋσαν (so ist wohl wegen des An-schlusses an die 1. und 2. PL zu betonen). Indessen hat das Neu-griechische darin ein Hilfsmittel zur Vermeidung des Akzent-wechsels im kontrahierten Imperfekt gefunden, indem es den Ausgang -σαν dem im i-Aorist gleichsetzte und dazu έφιλοΰσα, έφιλούσαμε(ν) usw. bildete.

c) Etwa um dieselbe Zeit treten auch Optativformen auf -οισαν und -σαισαν auf: doch nehmen sie sehr bald wieder ab, weil der Optativ überhaupt zurückgeht (§ 189 ff.).

d) Über eine ähnliche Ausdehnung der Endung -σαι, (zuerst πίεσαι zur Vermeidung von jtifl = pi-, danach φάγεσαι; parallel -άσαι statt -α zu -άται; ngr. γίνεσαι zu γίνεται usw.) s. S c h w y -z e r , Gramm. 1 S. 668 f.; B l a s s - D e b r u n n e r §87.

178. Das Perfekt und der athematische Aorist stimmten im Attischen in den Endungen völlig überein außer in der 3. PI. (Pf.

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Morphologische Merkmale 107

-ασι, Aor. -αν). Seit dem I I a trat ein A u s g l e i c h z w i s c h e n • α β ι u n d - α ν ein: πέφρικαν bei Lykophron (§ 113), εϊληφαν usw. oft in Papyri seit 170a (neben häufigerem -ασι) und sonst.

Der Ausgleich zugunsten des Aorists war durch die Schwäche des Perfekts (§ 186) und durch έδωκαν usw. bedingt: in den kretischen „Teosinschriften" steht άπέσταλκαν mehrmals direkt neben έδωκαν (sonst άπεστάλκαντι; Κ i e c k e r s [s. §53] S. 105). Doch kommt auch der umgekehrte Ausgleich vor (-ασι für -αν im Aor.), aber erst in den neutestamentlichen Apokry-phen, dazu έπήλθασι in einem Papyrus von 215p. Damit braucht das ngr. mundartliche -ασι nicht im Zusammenhang zu stehen; vielmehr ist der Gegensatz γράφουσι — έγραψαν entweder zu γράφουν(ε) — έγραψαν έγράψαν(ε) oder zu γράφουσι — έγρά-ψασι ausgeglichen worden.

Literatur: S c h w v z e r , Gramm. 1 5.666 ε; M a y s e r I2

2 S. 84f.; B l a s s - D e b r u n n e r §83.

179. D i e P r ä t e r i t a a u f - o v - ε ς - ε (ν) u s w . u n d - α - α ς - ε (ν) u s w . sind im Neugriechischen zu e i n e m Flexionsschema vereinigt: -α -ες -ε -αμε(ν) -ετε (-ατε) -αν. Wie diese Mischung zustande gekommen ist, liegt klar zutage. Der thematische Aorist (ελαβον usw.) nahm eine Zwischenstellung zwischen dem Imperfekt und dem athematischen Aorist ein; for-mal stimmte er zum Imperfekt, der Bedeutung nach zum Aorist; seine zweite Schwäche war die Gleichheit der 1. Sg. und der 3. PI. (-ov; vgl. § 177 a). So wurde zunächst der vereinzelte the-matische Aorist επεσον von den zahlreichen σα-Aoristen ange-zogen und zu επεσε(ν) neu επεσα und έπεσαν geschaffen nach Vorbildern wie έτέλεσα έτέλεσαν zu έτέλεσε(ν); entsprechend εΐλα είλαν (statt είλον) zu είλε(ν) nach εστει/.α εστειλαν zu εστειλε (oder εϊλατο zu είλε(ν) nach έστε'ιΛατο zu εστειλε(ν)); ferner ηυρα(ν) nach εσ.τειρα(ν) usw. Die 1. Sg. έπεσα εΐλα ηυρα zog dann eine 1. Pl. auf -αμεν nach sich, diese wiederum eine 2. PI. auf -ατε. -ε; dagegen behauptete sich gegen das eindrin-gende -ας infolge seiner lautlichen Nähe zu -ε(ν) und stützte seinerseits wieder -ετε gegen -ατε. Da nun aber das thematische

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108 Grundzüge des nachklassischen Griechisch

Imperfekt völlig mit dem thematischen Aorist zusammengegangen war, wurde audi es in die α-Formen hineingezogen.

Das alte Schwanken zwischen είπον und είπα ( S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 744 f.) hat bei dem geschilderten Prozeß höchstens mitgeholfen, das von ήνεγκον ηνεγκα insofern, als im Imperativ nach att. ενεγκε — ένεγκάτω ένέγκατε auch zu έλϋέ neu έλΜτω ελΦατε gebildet wurde. Der Gegenstoß von -ε(ν) -ες reicht schon ziemlich früh sogar in den α-Aorist und in das Perfekt hinein: είωθες hat der Hypereidespapyrus (aus dem I I oder I a); ein früher Fall ist auch εγραψες in einem Papyrus des Jahrs 254a. Das Ergebnis von Stoß und Gegenstoß ist das erwähnte ngr. Mischparadigma, das für alle Imperfekte und Aoriste gilt.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 753 f.; M a y s e r I2

2 S. 81 f. 84; B l a s s - D e b r u n n e r § 80—82.83,2.

180. Das Neugriechische hat das klassische System der V e r b a c o n t r a c t a stark vereinfacht: die Verba auf -οϋν sind ver-schwunden (meist durch -ώνω ersetzt), die auf -αν und -εϊν zum größten Teil zu einem Einheitsparadigma verschmolzen:

ρωτώ -ας -α -οϋμε -άτε -οΐν(ε) = ερωτώ -ας usw. und ebenso πωλώ -φς usw. statt -εις usw. (die Klasse πατώ -εις usw. ist auf wenige Verba beschränkt und in manchen Dialekten fast ganz verschollen). Die Verteilung der Formen mit ου und α stimmt genau mit dem altdialektischen Paradigma

όρέω -φς -à. -έομεν -άτε -έουσι(ν), das sich im Ion. nur bei Autoren, inschriftlich in andern Dialekten findet und auf einem Lautwandel ao aco zu εο εω zu beruhen scheint. Ansätze der Koine, die nach dieser Richtung weisen, sind zwar etwas spät (τιμοίντες ήρώτουν u. dgl. als Varianten in der LXX und im N. T.; nichts in Papyri der Ptolemäerzeit), können aber doch das Verbindungsglied darstellen: vielleicht haben sich die Dialekte nur langsam gegen das von der Schule gelehrte Atti-sche durchsetzen können.

α-Formen von Verben auf -εΐν sind ζ. B. Varianten wie έλεάτε und έλλόγα im Ν. T.

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Morphologische Merkmale 109

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 242 f., 728 f.; B l a s s -D e b r u n n e r §90. — Imperfekt -ώσαν usw. s.' § 177 b, -άσαι § 177 d.

181. Wie in allen indogermanischen Sprachen, so sind audi im Griechischen die „ V e r b a a u f - μ ι " (die „athematisdien") gegenüber denen „auf -co" (den „thematischen") im Rüdezug be-griffen. Schon bei Homer sind sie mit einzelnen thematischen For-men durchsetzt (z.B. έδίδου, δώη, ωρνυε); aber erst die Koine schränkt sie in entscheidender Weise ein: das Neugriechische hat nur noch im Präsens εϊναι usw. = ειμί usw. einen letzten, stark umgeformten Rest davon.

a) Allgemein sind in der Koine (wie schon vorher) die M e -d i a l f o r m e n w i d e r s t a n d s f ä h i g e r , weil regelmäßi-ger; z. B. sind in den ptolemäischen Papyri thematische Formen von Verben auf -vu- im Medium äußerst selten, im Aktiv stark überwiegend.

b) Die Vermeidung der μι-Flexion geschieht entweder durch Uberführung in die ω-Flexion oder durch Ersatzverba. T h e m a -t i s i e r u η g : ζ. Β. Ιστάνω statt ϊστημι durch Umgestaltung des Infinitivs auf -άναι in -άνειν und damit Anschluß an die zahl-reichen Verba auf -άνειν; άφίω und συνίω statt -ίημι von -ίετε -ιεται usw. aus; δίδω statt δίδωμι von έδίδομεν έδίδοντο usw. aus (zu denen zunächst έδίδετε έδίδετο usw. gebildet wurde); τίθω statt τίθημι entsprechend von έτίόετε ετίθετο (über έτί-#ομεν έτίΟοντο) aus; δύνομαι vom Konjunktiv δύνωμαι (und von dem schon bei den att. Dichtern belegten δύνη = δύνασαι) aus; ίστάν vom Konj. ίστώ aus; ανοίγω für άνοίγνυμι von ανοίξω usw. aus; πήσσω ρήσσω für πήγνυμιι ρήγνυιιι von πήξω ρήξω aus. — E r s a t z v e r b a : σκορπίζω für σκεδάννυμι, χορτάζω für κορέννυμι, έρχομαι ήρχόμην έλεύσομαι für eìui

e) ειμί ist noch wenig angegriffen. Im Imperfekt wird schon seit Euripides und Lysias die 1. Sg. von der 3. Sg. durch die Neu-bildung ήμην geschieden (vgl. das mediale Futurum εσομαι); dazu fügt die Koine ήμεθα. Daraus ist die durchgehende mediale Flexion im Neugriechischen erwachsen: είμαι (so zuerst συμπάρι-μαι αύτη

M i t t e i s , Chrest. Nr. 172, 17; 256P), είσαι (Pap. land. VI Nr. 101, 8; frühestens VP) usw.; über ngr. είναι s. § 84.

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110 Grundzüge des nadiklassisdien Griechisch

3. Syntaktische Merkmale

182. In bezug auf den G e b r a u c h d e r N o m i n a l f o r -m e ri sind im nachklassischen Griechisch bis heute die drei Genera ohne grundsätzliche Änderungen geblieben; dagegen ist von den Numeri der D u a l verschwunden (auch beim Prono-men und Verbum). Der Dual gehört der anschaulichen Sphäre der sprachlichen Ausdrucksmittel an; daher pflegt er den mehr intellektuell ausgebildeten Sprachstadien abhanden zu kommen. Im Griechischen hat er sich besonders im Altattischen behauptet, aber auch in anderen mutterländischen Dialekten, während er im geistig fortschrittlicheren ionischen und aiolischen Kleinasien früh außer Gebrauch gekommen ist. Aber auch in den attischen In-schriften verschwinden die Dualformen im IVa allmählich fast ganz; die kleinasiatischen Inschriften und die Papyri kennen sie nicht mehr; sogar das länger konservierte attische δυοίν (und δυεϊν) wird für den Dativ durch das formal pluralische δυσίν (nach τρισιν), für den Genitiv durch das indeklinable δύο ersetzt. Über den Dual im Attizismus s. § 157 f.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 1 S. 666 f. 672, 4; 2 S. 46 f.

183. Im K a s u s s y s t e m hat das Neugriechische beträcht-liche Einbußen erlitten, indem der Dativ nur noch als Zeichen der archaisierenden Tendenz in der καθαρεύουσα (§ 157) fortlebt und die einfachen Kasus manche ihrer Funktionen an präpositio-nale Wendungen abgeben mußten; dabei ist der Akkusativ der einzige Kasus der echten Präpositionen.

a) Im Gebrauch der P r ä p o s i t i o n e n setzt die Koine die alte Tendenz fort, die auch in den verwandten Sprachen zu be-obachten ist: ursprüngliche Adverbia (meist lokalen Sinnes) wer-den aus expressiven Verstärkern der selbständigen Kasusbedeu-tung zu notwendigen Begleitern der Kasus, eben zu „Präposi-tionen", die den Kasus „regieren". Schon bei Homer ist z.B. der soziative Dativ ohne Verbum der Begleitung selten geworden: λ 160 f. ένθάδ' ίκάνεις νηΐ τε και έτάροισι, aber gewöhnlicher ι 173 f. σ ύ ν νηΐ τ' εμχ) και έμοϊσ' έτάροισιν έλϋών. Die klassi-

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Syntaktische Merkmale 111

sehe Sprache geht auf dem Weg weiter: während Homer noch den lokativischen Dativ ohne Jpräposition gebrauchen kann (ζ. B. Δ 166 α'ΐ'9?ρι ναίιον, Π 483 f. την τ' οίίρεσι. τέκτονες άνδρες έ|έταμον), ist das im Attischen nur noch erstarrt in Ortsnamen möglich (ζ. Β. Μαραΰώνι).

b) Als Beispiel für das Ü b e r h a n d n e h m e n d e r P r ä -p o s i t i o n e n i n d e r K o i n e sei α π ό herausgegriffen; es tritt gern auch an die Stelle andrer Präpositionen, besonders von έξ (das im Neugriechischen aufgegeben ist). Für Gen. part.: Pap. Tebt. I , Nr. 61 b 292 (118/7a) τίς εστίν aitò των α ν α γ ρ α φ ο -

μένου έν κληρουχίαι, LXX Ex. 9, 6 άπό των κτηνών των υιών 'Ισραήλ ούκ έτελεύτηβεν ουδέν, Ν. Τ. Mt. 15, 27 τά κννάρια έσθίει άπό των ψιχίων. Für Gen. sep.: Pol. 21, 20, 8 τά ; πρότε-ρον άπηλλοτριωμένας άφ' ημών πόλεις, Pap. Tebt. I 105, 5 (103a) παραδείξει τήν γήν καθαράν aitò βροίου ( = θρύοιι „Binsen"), Ν. Τ. 1 Th. 5, 2 από παντός είδους πονηρού άπέχεσθε (vgl. LXX Hiob 1, 1.8; 2,3 άπεχόμενος άπό παντός πονηροί πράγματος, άπό παντός κακοΰ), Mt. 27, 24 άθωός είμι από του αίματος τούτου. Für Akk. im Ν. Τ. bei φεύγειν, φοβεΐσθαι, φυλάσσεσθαι, αίσχύνεσθαι. Für ύπό c. gen.: N .T . Acta 12, 14 άπό της χαράς ούκ ήνοιξεν τον πυλώνα, Epict. I I I 22, 23 άγγελος άπό του Διός άπέσταλται. Vgl. auch das doppeldeutige φοβείται άπό ενυπνίου τινός „wird erschreckt von" oder „fürch-tet sich infolge" Theophr. Char. 25, 2. Alle diese Verwendungen von άπό sind auch neugriechisch; dazu kommt από für den Gen. comp., ζ. Β. ό Γιώργις είναι μεγαλύτερος άπό το Γιάννη „Georg ist größer als Hans".

c) Zu den merkwürdigsten Erscheinungen der Koine gehört κ α τ ά c. a c c . a l s U m s c h r e i b u n g d e s a t t r i b u -t i v e n G e n i t i v s ; vor allem Polyb hat eine Vorliebe dafür. So Pol. 3, 113, 1 της κατά τον ήλιον ανατολής έπιφαινομένης, 5, 69, 11 τό κατά τούς πεζούς ελάττωμα „die Niederlage der Infanterie", 3, 8, 1 c/,μα τω κατά Ζακυνβαίους άδικήματι „zu-sammen mit dem Angriff auf Sagunt". Ebenso Diodor 17, 6, 3 άντίπαλον τη κατ' Άλέξανδρον αρετή, 1, 65, 5 ή κατά τήν αρχήν άπόθεσις „die Niederlegung der Herrschaft". Aristeas: 32

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112 Grundzüge des nachklassischen Griediisdi

τό κατά την έρμηνειαν άκριβές „die Genauigkeit der Uber-setzung". Papiri Soc. It. IV 360, 11 (252a) τά καθ' ήμδς δίκαια „unsre Verpflichtungen", Pap. Tebt. I 105, 25. 42 (103a) του κατά τήν μίσθωσιν χρόνου („die Pachtzeit") διελθόντος (vgl. M a y s e r I I 2 S. 343). Josephus Ant. I I 147 του γ ε καθ' ήμας ενεκα „unsertwegen". Die klassische Sprache kennt dazu nur Vorläufer, ζ. B. Demosth. 2, 27 τά καθ' υμάς ελλείμματα „die Fehler, die eurer Art entsprechen, eure gewöhnlichen Fehler" Bei Polyb nimmt auch sonst κατά c. acc. stark überhand, im Sinn von „mit Rücksicht auf, in bezug auf" (also = Acc. limit.): 6, 53, 6 ώς όμοιοτάτοις είναι δοκοΰσι κατά τε τό μέγεθος και τήν αλλην περικοπήν („und sonst im Äußern"), 11, 27, 1 (Akragas) ού μόνον κατά τά προειρημένα διαφέρει των πλείστων πόλεων, άλλα καί κατά τήν όχυρότητα καί μάλιστα κατά τό κάλλος καί τήν κατασκευήν. Auch andre Präpositionen dienen ihm zur Um-schreibung des Genitivs: 22, 3, 6 ό παρ' ήμών πατήρ (vgl. Ν. T. Me. 3, 21 oí παρ' αυτοί' „seine Angehörigen"; ähnliches in Pa-pyri), 10, 40, 7 τήν ΰπερβολήν της περί τον ανδρα μεγαλοψυ-χίας, 1, 20, 10 άπειρων όντων της περί τάς πεντήρεις ναυπηγίας „unerfahren im Bau von Kriegsschiffen".

d) Der altgriechische D a t i v vereinigte in sich die Funk-tionen dreier indogermanischer Kasus: die des sog. echten Dativs, des Instrumentals (und Soziativs) und des Lokativs. Zur näheren Bestimmung des räumlichen Verhältnisses waren von Anfang an Präpositionen notwendig (z.B. παρά „neben", ύπό „unter") oder als Verstärkung möglich (έν „darinnen in", συν „zusammen mit"). Die Konkurrenz der deutlicheren Präpositionalausdrücke be-wirkte, daß der „bloße Dativ" in seiner lokativischen, soziativen und instrumentalen Verwendung zurückgedrängt wurde (vgl. oben a). Aber auch der Dativ bei Präpositionen erlitt fortschrei-tend Einbußen. Während Homer noch ganz gewöhnlich μετά c. dat. verwendet (μετά Μυρμιδόνεσσιν „unter den M., inmitten der M."), ist das im Attischen selten und nur poetisch; ebenso bei άνά; ύπό c. dat. ist noch klassisch (υπό τινι δένδρω, ύφ' έαυτω ποιεϊσθαι „in seine Gewalt bringen"), aber nicht mehr hell.; entsprechend περί.

In der nachklassischen Zeit erfolgt ein weiterer R ü c k g a n g und schließlich der V e r l u s t d e s D a t i v s . Der schon in

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Syntaktisdie Merkmale 113

klassischer Zeit fast nur nodi präpositionale lokativische Dativ (§ 183 a) geht weiteren Präpositionen verloren, so daß nur noch sv übrig bleibt, und dieses wird schließlich durch ε'ις c. acc. ersetzt, weil sich schon in der vorchristlichen Koine überhaupt die Unter-scheidung von „wo?" und „wohin?" verwischt hat. Die komitativ-soziative Funktion ist schon klassisch stark an präpositionales Begleitwort gebunden; nachklassisch geht der Instrumental des Mittels und Werkzeugs den gleichen Weg, indem zunächst (be-sonders im jüdisch-christlichen Bereich unter semitischem Einfluß) έν eintritt, dann vom IVp an μετά c. gen., zuletzt (frühestens im VIIp) μετά c. acc. (so heute ausschließlich). Am längsten hielt sich der „echte" Dativ; für ihn steht heute im Singular des Pronomens im allgemeinen der Genitiv, indem dieser den subjektiven „Dati-vus sympatheticus" ersetzt; sonst steht είς c. acc. (vgl. vulgär-lateinisch und romanisch ad statt Dativ); im Nordgriechisdien steht durchweg der Akkusativ ohne Präposition.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 2 S. 170f.; J . H u m b e r t , La disparition du datif en grec (du I e r au X e siècle), Paris 1930 (dazu A. D e b r u n n e r , Indogerm. Forschungen 51, 1933, S. 221—224); H. S e i l e r in Glotta 37 (1958), 56 f.; W. D r e s s 1 e r in Wiener Studien 78 (1965), 83—107.

184. Stärkere Umgestaltungen hat (formal und syntaktisch) das V e r b a l s y s t e m erfahren.

Unter den Genera verbi hat das M e d i u m eine schon im Frühgriechischen begonnene Linie weiter verfolgt; das Indoger-manische kannte nur Aktiv und Medium, wobei das Medium auch passivische Bedeutung haben konnte, ein besonderes Passiv aber fehlte. Durch Differenzierung schuf das Altgriechische für den Aorist und dann audi für das Futurum besondere Passivformen auf -(θ)ην -(ΰ)ήσομαι (dor. -(ϋ)ησέω). Die schon indogermani-schen Deponentia („Media tantum") schlossen sich im Futurum und Aorist in der Koine immer mehr dem Passiv an (ζ. Β. άπε-κρίθην, έγαμήΟην für άπεκρινάμην, έγημάμην), und die feinern Unterschiede zwischen Aktiv und Medium traten zurück (gewiß besonders bei den Nichtgriechen). Im Neugriechischen ist formal das Medium im Futurum und Aorist ganz verschwunden (mit

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114 Grundzüge des nachklassischen Griechisch

Ausnahme einiger erstarrter Aoristpartizipien), und syntaktisch stehen die Genera verbi auf der Stufe des Lateinischen: grund-legend ist der Gegensatz Aktiv—Passiv, aber das Passiv kann auch deponential und (relativ selten) medial als direktes Reflexiv verwendet werden (φοβούμαι „vereor", λούζομαι „lavor").

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 2 S.235; B l a s s - D e -b r u η η e r , § 78. 79. 316; zum Ngr. Α. M i r a m b e 1, Bulletin Soc. ling. Paris 45 (1949) S. 111—127, bes. 120—124.

185. Von den T e m p o r a ist das alte F u t u r u m heute durch eine Umschreibung ersetzt. Eine Schwäche des Futurums macht sich in der Koine zunächst in der Unbeliebtheit der Modi außer dem Indikativ geltend: über den Opt. Fut. s. § 191 a; der Inf. Fut., der seine Stelle hauptsächlich im Acc. c. inf. bei Verba dicendi u. dgl. hatte, ist der eigentlichen Koine fremd, weil sie den Nebensatz mit ίνα, οτι, ώς der Infinitivkonstruktion vorzieht (§ 198; im Ν. T. benützen nur die Acta ap. und der Hebräerbrief den Inf. Fut.). Weitverbreitet ist in der Koine eine Vermischung von Inf. Fut. und Aor. im Aktiv und Medium; sie hat zwei Gründe: 1. die Ausgänge -ειν, -εσθαι, die dem Inf. des Präsens, des Futurs und des thematischen Aorists zukamen, wurden ana-logisch auch auf den σ-Aorist übertragen; 2. der Inf. Fut. und der des Aor. konnten syntaktisch oft wechseln (alt έλπιορή toi επειτα φίλους t ' ίδέειν καΐ ίκέσϋαι . . . ζ 314 η 76 [Inf. als Verbalsub-stantiv zeitlos] ; jünger ή δ γ' έφορμάται ποιησέμεν φ 399 [Zu-kunft formal zum Ausdruck gebracht; ώμοσεν έλϋεΐν ist ja so viel wie ή|ει]); vgl. M a y s e r I I 1 S. 219 f.; I2 2 S. 163 f. Auch das Part. Fut. (zur Angabe des Zwecks) war neben den syno-nymen Konstruktionen, namentlich neben dem ϊνα-Satz und dem substantivierten Infinitiv (Präs. und Aor.) mit ε'ις, προ ς, 'ένεκα (§ 197) in der Koine entbehrlich. Der Indikativ Fut. ist jedoch in der Koine noch voll lebendig; nur darf sich jetzt das mehr volkstümliche futurische Präsens freier zeigen. Zum späteren Untergang auch des Ind. Fut. hat die enge formale und Sinnesver-wandtschaft mit dem Konj. Aor. beigetragen; schon in der Koine gibt es viele Vertauschungen in Haupt- und Nebensätzen (vgl.

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Syntaktische Merkmale 115

§ 187). Das Neugriechische hat einen ursprünglich umschreibenden Ind. Fut. mit θά und dem Konj. des Präsens oder Aorist. Dadurch ist die Scheidung der Aktionsarten auch im Fut. möglich gewor-den: ζ. Β. θά γράφω (γράψω) aus θέλω ίνα γράφω (γράψω).

Literatur: Ν. B ä n e s c u , Die Entwicklung des griech. Futu-rums von der friihbyz. Zeit bis zur Gegenwart, Bukarest 1915; H. S e i l e r , L'aspect et les temps dans le verbe néo-grec, Paris 1952; B. P a n z e r , Das Futurum des Griechischen, in: Münche-ner Studien zur Sprachw. 16 (1964), 55 fï.

186. Auch das P e r f e k t stand in der klassischen Zeit formal und syntaktisch mitten in einer Entwicklung. Die Koine weiß nicht viel von den Modi des Pf. außer dem Indikativ; auch der Imperativ ist sehr selten, so daß ihn die Attizisten in ihr Pro-gramm aufnehmen ( S c h m i d , Att. 4 S. 619). Die Funktion des Ind. Pf. wurde in der Koine zunächst erweitert: er wurde erst jetzt zum erzählenden Tempus (wie im Lateinischen, Altindischen, Keltischen, Germanischen; die expressive Betonung der Fort-dauer der Wirkung der vergangenen Handlung wird usuell und stumpft sich dadurch ab); so z.B. Pap. Soc. It. IV Nr. 380, 4 (249a) έπέθετο ήμΐν ó λαός καί τάς χείρας έπενηνόχασιν τοις ποιμέσιν, N .T . Apoc. 5, 7 ήλθεν καί είληφεν (το βιβλίον). Aber gerade diese Bedeutungserweiterung ist dem Pf. zum Verhängnis geworden: das Pf. hist, verträgt sich nicht mit dem alteingewur-zelten Aor. hist., und da der Aorist im Griechischen durch die Opposition des Aoriststamms zum Präsensstamm immer eine feste Stellung hatte, konnte er das historische Perfekt wieder verdrän-gen. Die alte perfektische Aktionsart des Pf. konnte von der längst im Pf. heimisch gewordenen Umschreibung übernommen werden; sie besetzt im Ind. Pf. und Ppf. schon seit Beginn der Koine ein größeres Gebiet als in der klassischen Zeit; ζ. B. γεγραμμένον ήν (Polyb, Ν. T.) neben έγέγραπτο, γεγραμμένον έστίν (Ν. Τ.) neben γέγραπται; das Futurum des Perfekts kennt in den ptolemäischen Papyri und im Ν. T. nur die Umschreibung, ζ. Β. εσομαι βεβοηθημένος „ich werde im Genuß der Hilfe sein"

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116 Grundzüge des nachkl assischen Griediisdi

(Pap. 130a), Ισονται διαμεμερισμένοι (N.T.). Das neugriechi-sche Pf. ist analog dem des heutigen Deutschen, Französischen usw.: εχω δεμένο „ich habe gebunden" (daneben εχω δέσει), είμαι δεμένος (-νη -νο) (und εχω δεθεί) „ich bin gebunden wor-den", wozu sich natürlich leicht ein Präteritum (mit εΐχα, ημουν(α)) und ein Futurum (mit θα εχω, θα είμαι) bilden läßt.

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 2 S. 286—290, bes. S. 287 f.; B l a s s - D e b r u n n e r §343.352; J . E . H a r r y , The Perfect Forms in Later Greek from Aristotle to Justinian (Transactions Amer. Philol. Ass. 37, 1906, S. 53—72.

187. Von den M o d i war der K o n j u n k t i v im Präsens durch den hell. Zusammenfall der Endungen mit den indikativi-schen gefährdet: schon vor dem Itazismus waren λέγει und die 2. Sg. Med. λέγΐΐ (oder λέγει nach § 164) ununterscheidbar, durch den Itazismus wurden -εις und -flç, -ει und -η gleich, durch den Ausgleich der Quantitäten -ομεν und -ωμεν, -ομαι und -ωμαι, -όμεθα und -ώμεθα, -ονται und -ωνται, so daß nur noch der schwache Unterschied zwischen e und i (-ετε -ητε, -εται -ηται, -εσθε -ησθε) und ο und u (-ουσι -ωσι) übrigblieb. Entsprechend fielen der Konj. Aor. und der Ind. Fut. formal zusammen, wenn beide durch s gebildet waren (λύσω λύσης usw. mit λύσω λύσεις usw.; daher hell, oft eine Vertauschung dieser beiden Formen-gruppen, die sich ja funktionell sehr nahe standen; vgl. § 185). Das war in den Nebensätzen unschädlich, weil in diesen die ein-leitenden Konjunktionen ('ίνα, έάν, δταν usw.) die vorher am Modus haftende modale Funktion übernommen hatten; aber für den Hauptsatz war eine Stützung der modalen Funktion der un-deutlichen Formen erwünscht: sie geschieht beim hortativen Konj. durch partikelhafte Imperative wie δεΰρο, αγε, φέρε; siegreich blieb αφες (vgl. Ν. T. Mt. 7, 4 αφες έκβάλω το κάρφος, 27, 49 αφες ϊδωμεν, Epikt. I 9, 15 αφες δείξωμεν, I 15, 7 αφες άνθήσγι; daraus neugriechisch ας c. conj. = Conj. hört.); durch Verselb-ständigung von ϊνα-Sätzen wurde dasselbe erreicht (Pap. Soc. It . IV Nr. 412,1 [ I I I a ] 'ίνα λαλήσης Εύνόμωι περί Ζήνωνος, Ν. Τ.

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Syntaktische Merkmale 117

Eph., 5, 33 ή δε γυνή ίνα φοβήται τον άνδρα; daraus neugrie-chisch νά e. conj. = Conj. hört.); beim Conj. pròhib. genügt μή (so audi neugriechisch neben νά μή). Vgl. auch neugriechisch θά c. conj. (§ 185).

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 2 S. 319. 674; B l a s s - D e -b r u n n e r § 3 6 4 . 387, 3. ας c. conj. schon auf Papyri des V I und VHP: Pap. Amh. I I Nr. 153, 7, ας λάβωσιν (C. Wessely, Studien zur Paläogr. u. Papyruskunde 1, Leipzig 1923, S. 35); Pap. Ross.-Georg. I I I (ed. G. Z e r e t e l i und P. J e r n s t e d t , Tiflis 1930) Nr. 22, 9 ας ελθω (s. dazu den Kommentar der Her-ausgeber S. 89 f.).

188. Anders ist das Schicksal des O p t a t i v s . Die indogerma-nische Doppelheit Konjunktiv—Optativ ist in den meisten Sprachzweigen zu einem einzigen Modus verschmolzen: im Latei-nischen haben die Reste des alten Optativs wie sit und velit genau dieselben Funktionen wie die ä- und ¿-Konjunktive {agat, laudet usw.), und alte Konjunktivformen wie erit, leget usw. haben Fu-turbedeutung erhalten. Im Germanischen hat der Optativ den Konjunktiv aufgesogen, im Armenischen, Albanischen und Kelti-schen sind keine Spuren des Optativs nachgewiesen. Die arischen (indo-iranischen) Sprachen und das Griechische haben wenigstens in ihren ältesten erhaltenen Stadien beide Modi in starkem Um-fang im Gebrauch (dazu das Tocharische aus dem V I I p ) ; aber das klassische Sanskrit kennt den Konj. nur noch in den 1. Per-sonen als Ergänzung zum Imperativ, und das Mittelpersische hat nur noch den Konjunktiv.

189. Am deutlichsten im Licht der Geschichte spielt sich der Vermischungsprozeß im Griechischen ab: von Homer bis rund 400A sind beide Modi prächtig entwickelt, um 200P ist der Opt. schon versteinert; das Neugriechische hat auch diese Überreste bis auf die gelehrte Abwehrformel μή γένοιτο verloren. So fällt die Vermischung der beiden Modi (syntaktisch [funktionsge-schichtlich] gesprochen) oder das Verschwinden des Opt. (mor-phologisch gesprochen) just in die Hauptperiode der Koine.

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118 Grundzüge des nachklassischen Griechisch

Literatur: S c h w y z e t , Gramm. 2 S. 337 f.; B l a s s - D e -b r u n n e r § 384—386.

190. D i e G r ü n d e f ü r d i e B e s e i t i g u n g d e s O p t a t i v s sind äußerer und innerer Natur.

a) Ä u ß e r e G r ü n d e : Bei der Übernahme der attisch-ionischen Koine machte die „richtige" Verwendung des Optativs den übrigen Griechen Schwierigkeiten; feine Unterschiede, etwa zwischen ε'ι ϋελοι; (Annahme) und εάν ϋέλϊ)ς (Erwartung) oder zwischen λέγει, öti ηξει und ελεγεν, Ott ήξόι, waren nicht leicht zu lernen. Noch schwieriger war es wohl für die Nichtgriechen; wenn auch vielfach nur eine Oberschicht hellenisiert wurde, die der genauen Aneignung einer fremden Sprache fähig war, so machte sich auf der andern Seite ihr nivellierender Einfluß beson-ders stark geltend, gerade weil die Koine in hohem Maß eine Sprache der Kultur und Bildung war.

b) I n n e r e G r ü n d e : Der Opt. hatte im Attischen e i n Gebiet schon verloren, das des I r r e a l i s . Homer drückt, wie das Altarische, den Wunsch oder die Annahme durch den Opt. aus, auch wenn von der Erfüllungsmöglichkeit abgesehen wird („Irrealis"; im heutigen Deutsch ist der Umlaut im irrealen Konj. noch die Nachwirkung des uralten Optativzeichens z: ich brächte, sähe usw.); aber schon Homer kann für den irrealen Opt. der Vergangenheit die Augmenttempora eintreten lassen (im irrealen Bedingungsgefüge und im als unerfüllbar gedachten Wunsch; vgl. § 192b); n a c h Homer wird das auf den Gegenwartsirreal aus-gedehnt. Auch beim P o t e n t i a l wurde durch die bei Homer noch fakultative, nachher zur Regel gewordene Zufügung einer Modalpartikel (αν, κε(ν), κα) das Schwergewicht der Modalität vom Modus auf die Partikel verlegt. Die bei Homer beginnende Ausbildung eines O p t a t i v u s o b l i q u u s (und eines Sei-tentriebs davon, des O p t a t i v u s i t e r a t i v u s ) beeinträch-figte die Einheitlichkeit der Funktion des Optativs.

191. Der R ü c k z u g d e s O p t a t i v s erfolgte auf zwei Wegen, dem der Verminderung der Formen und dem der Ver-armung des Inhalts.

a) D e r f o r m a l e W e g : Der Opt. Fut. ist Homer noch unbekannt; er beginnt erst mit Pindar und ist nicht häufig; er beschränkt sich auf den Ersatz des Ind. Fut. im Nebensatz bei Präteritum im übergeordneten Satz. Deshalb hat er auch in der Koine einen schlechten Stand. Der Opt. Perf. sitzt etwas fester,

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Syntaktische Merkmale 119

leidet aber unter einer gewissen Schwierigkeit der formalen Bil-dung.

b) D e r s y n t a k t i s c h e W e g : Der sekundäre Opt. obi. (und itérât.) ist in der hell. Zeit ein Zeichen besserer Bildung; als Nebensatzmodus setzt sich der Konj. durch, und die Volkssprache zieht die direkte Rede der indirekten vor. Der Potential im Hauptsatz war im Attischen vorwiegend eine Ausdrucksform der Höflichkeit in der besseren Gesellschaft; darum ist er auch in der Koine ein Zeichen etwas feinerer Bildung und sitzt besonders in bestimmten konventionellen Phrasen fest. So bleibt als Kern nur der wünschende Optativ („Kupitiv" nach S c h w y z e j r ) übrig; dieser lebt in der vorchristlichen Koine noch einigermaßen, tritt auch in den ersten christlichen Jahrhunderten noch auf, und zwar nicht nur bei gebildeten Autoren; aber er erstarrt immer mehr, und vielleicht um 600P darf man auch ihn — und damit den gan-zen Opt. — als erloschen betrachten, natürlich abgesehen vom Attizismus, der sich von Anfang an seiner mit größter Leiden-schaft bemächtigt hat.

192. Welches sind nun die E r s a t z m i t t e l f ü r d e n s c h w i n d e n d e n O p t a t i v ?

a) Für den o b l i q u e n O p t . tritt natürlich der ursprüng-liche Modus (Konj. oder Ind.) wieder in sein Recht.

b) Für den I t e r a t i v u s tritt eine Neubildung ein: Zu λέγω, ότι αν βούλωμαι wird die Vergangenheit durch ελ,ενον, i m fiv έβουλόμην gebildet; also wie beim Irreal der Vergangenheit (§ 190 b) nimmt das Bedürfnis, die Vergangenheit auszudrücken (wozu ja der Konj. und der Opt. nicht fähig sind!), seine Zuflucht zu den präteritalen Indikativen, und zwar zu Imperi., Aor. oder Ppf. je nach der Aktionsart. So z. B. Pol. 4, 32, 5 f. όταν μέν ούτοι εν περισπασμοί? ήσαν, έγίνετο το δέον αύτοίς· . . . ΰταν δ' . . . έτράπησαν προς το β/.άπτειν αύτούς, οϋτ' . . . έδύναντο, LXX Gen. 2, 19 παν δ εάν έκάλεσεν α ϊ τό 'Αδάμ ι^υχήν ζώσαν, τούτο ονομα αύτφ (ην oder έδίδοτο), Ν. T. Me. 6, 56 ϋ.του εάν (ν. 1. αν) ε'ισεπορεΰετο ε ι ; κώμοι? . . ., εν τα ΐς άγορα ΐ : έτίθεσαν τού? άσΟενοΰντα; . . και οσοι « ν ηψαντο (ν. 1. ήπτοντο) αυτού, έσώζοντο.

Literatur: Α. D e b r u n n e r , Ciotta 11 (192Í), S. 1—28;

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120 Grundzüge des nachklassischen Griediisdi

B l a s s - D e b r u n n e r § 367; S c h w y z e r , Gramm. 2 S. 351, 4.

c) Mannigfach ist der Ersatz für den P o t e n t i a l : Pap. Ox. IV 744, 12 (Ia) πώς δύναμαί σε έπιλαθεϊν! (vgl. α 65 πώς ibi επειτ' Όδυσήος έγώ θείοιο λαόοίμην!); N . T . Acta 25, 22 έβουλόμην άκοΰσαι „ich möchte gern hören" ( = att. βουλοίμην αν ά.), dafür vulgärer Epikt. I 29, 35 ήθελον ετι μανΜνειν (vgl. ngr. ήθελα να ξέρω [ = έξεΰρω] „ich möchte wissen"); N .T . 1. Cor. 15, 35 und Philon Byz. 77, 6 Schöne ερεϊ τις (auch klas-sisch möglich neben λέγοι [ε'ίποι] αν τις); Philon Byz. 70, 48f . τάχα . . . σοι δόξει ( = att. όοκοίη αν σοι). Auch steht in der Koine sicher oft der Ind. Präs., wo ein Athener den Potential gesetzt hätte.

d) Der W u n s c h o p t a t i v hatte von jeher im Konjunktiv und Imperativ Konkurrenten. Der Imp. (und der bedeutungsver-wandte und funktionell z .T. mit ihm assoziierte Konj.) drückte seit indogermanischer Zeit nicht nur den scharfen Befehl, sondern auch die mildere Tätigkeitsanregung der Bitte aus; auch der Ind. Fut. und der Inf. können ähnlich verwendet werden. Die Koine brauchte also bloß diese Möglichkeiten mehr zur Geltung zu bringen, um den Opt. zu vermeiden. Auch die Verwünschung, die im Attischen durch den Opt. ausgedrückt wurde, ging zum Im-perativ über: „Fluch über ihn!" heißt klassisch ολοιτο (z.B. Soph. El. 126), im N .T . ανάθεμα εστω (Gal. 1, 8. 9); in den Papyri ist die gewöhnliche Eidesformel εύορκοϋντι μεν μοι εϊ εϊη oder ähnlich, aber einmal εύορκοϋντι εστω μοι ευ (Ia) und 15mal im I I I und IVP ένοχος εσομαι usw. (C. H a r s i n g , De optativi in chartis Aegyptiis usu, Diss. Bonn 1910, S. 24 f.; M a y s e r I I 1 S. 290). N . T . Acta 1, 20 την έπισκοπήν αύτοΰ λαβέτω ετερος stammt aus Psalm 108 (109), 8, wo aber die LXX λάβοι hat! Für die Einräumung standen sich von jeher Opt. und Imperativ gleich; vgl. α 402 έ'χοις und άνάσσοις, aber Δ 29 ερδ(ε); beides ist verbunden Eur. Med. 313 νυμφεύετ', ευ πράσσοιτε!

193. Zur Veranschaulichung der Verarmung der Optativformen (§ 191 a) in der natürlichen Koine mögen einige statistische An-gaben dienen: in den Papyri zählt H a r s i n g a . a .O . S. 17 f. 55: 163 präsentische Optative (davon 99 εϊην usw.), 138 aoristi-sche, 2 perfektische (συντεθεικώς εϊης [252a] und γεγραμμένα ε'ίηι [um 190p]), 1 futurischen (άσθενήσοιμι [581ΐ'!]). Für die ptolemäischen Papyri zählt M a y s e r I I I S. 295: 211 Optative, davon 124 Präs., 85 Aor., 2 Perf., kein Fut.; nach dem Gebrauch

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Syntaktische Merkma le 121

181 in Haup t s ä t zen (54 wünschende o h n e αν , 127 Potent ia le m i t αν ) , 30 in abhängigen Sätzen (13 im Bedingungsvorderra tz , 17 obl ique) . D ie Zahlen f ü r das Ν . T . s ind nach J . Η . Μ o u 11 ο η , E in le i tung in die Sprache des Ν . T . (Heide lberg 1911) S. 308 u n d B l a s s - D e b r u n n e r § 384 fo lgende : 22 Präsent ia (davon 11 ε ΐη) + 45 Aor is te = 67, kein Perf . , kein Fu t . ; Pau lus ha t n u r Aoris te (31, davon 14 μή γένο ι το ) .

194. F ü r d e n O p t a t i v g e b r a u c h d e s A t t i z i s m u s ist charakterist isch: 1. d ie gesteigerte Häuf igke i t im Finalsatz: Po lyb 7 % , D iodor 5 % — Plutarch in den Vi tae 49 % , Arr ian 82 % , App ian 87 % , der His to r ike r H e r o d i a n 75 % Josephus 32 % , das 4. Makkabäe rbuch 71 % (s. E . L . G r e e n bei W i t -k o w s k i , Bibl . 159, S. 249). Gegenbeispie le : im N . T . u n d bei E p i k t e t ke in einziger Fal l (Epikt . I I I 1, 37 ist ϊ ν ' α γ ν ο ύ ς s ta t t 'ίνα γ ν ο ί η ς zu lesen). 2. Die Masse f eh le rha f t e r V e r w e n d u n g e n : obl iquer O p t . nach H a u p t t e m p u s u n d falsche Setzung von α ν be im Nebensa tzop ta t iv ( ένθα αν , έπε ιδάν u . dgl. c. opt . ) . D a m i t hängt woh l die mehrfach in verschiedenster Koine l i te ra tur belegte Weglassung von äv be im Potent ia len O p t . . zusammen: beides zeigt die Unsicherhei t im Gebrauch einer abs t e rbenden u n d n u r künst l ich gepflegten Ausdrucksweise .

195. W i e sich bei e inem hell. Schriftsteller der Kampf zwischen de r Volkssprache u n d der Hochsprache, zwischen „Schule u n d Leben" ( T h u m b , Hel l . S. 8) widerspiegel t , das zeigt das Ver-ha l ten D i o d o r s (s. § 27). E r s teht e twa auf dem S t a n d p u n k t späterer At t iz is ten: Aris te ides rhet . p . 545, 25 Spengel τα εύκτ ικά („die Op ta t i ve" ) της ά φ ε λ ε ί α ς (der als vorbildlich be t rachte ten Schlichtheit der At t iker ) μάλλον ε ίναι δοκεί . ,,ώς ά ξ ι ο ς ε ΐη" και ,,ε'ι εΰσεβοΐεν" και ,,ώς φ α ί η Σ ω κ ρ ά τ η ς " . . . τα δέ εύκτ ικά κ α ϋ α ρ ό ν ποιε ί τόν λόγον (Κ a p f f S. 1 f.). D e r Op ta t iv ist f ü r Diodor ein St i lmit te l : „er ve rwende t den O p t . verhäl tn ismäßig sel-ten, sucht aber seine Formen rein zu bi lden . . . l iebt es aber, da u n d dor t , w e n n auch ofr. in steifer, an barocke Schnörkel erin-ne rnder Weise , einen Potent ia len O p t a t i v e inzus t reuen. E r häl t absichtlich die of fenbar am raschesten abgekommene V e r w e n d u n g

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122 Grundzüge des nachklassischen Griechisch

des Optativs als iterativus fest und verwendet den obliquas bald wirklich sinnvoll bald weniger wohlbegründet und mehr dekora-tiv" ( K a p f f [s. § 2 7 ] S. 111).

196. Die Geschichte des I n f i n i t i v s in der Koine sieht auf den ersten Blick widerspruchsvoll aus: auf der einen Seite verliert er immer mehr an Boden, indem er durch Nebensätze verdrängt wird, auf der andern nimmt die Verwendung des substantivierten Infinitivs stark zu. Der Widerspruch löst sich so: das erste ist eine Erscheinung der spätgriechischen Volkssprache, das zweite eine vorwiegend literarische Stileigenheit; daher ist im Neugrie-chischen der substantivierte Infinitiv nur in wenigen, völlig sub-stantivisch gewordenen Fällen bewahrt geblieben (τό φαγί „das Essen" und τό φιλί „der Kuß" aus τό φαγεϊν, φιλεΐν, aber beide dekliniert wie τό παιδί, also του φιλιοΰ, τά φιλιά usw.), die an-dern Verwendungen des Infinitivs alle durch νά c. conj. (also alte Nebensätze mit ϊ-να) ersetzt (außer in den pontischen Dialekten).

Literatur: S c h w y z e r , Gramm. 2, 383 f. — G. K e s s e l -r i n g , Beitrag zum Aussterbeprozeß des Inf. im Ngr., München 1906; P. A a 11 ο , Studien zur Geschichte des Inf. im Griechi-schen, Helsinki 1953; G. R o h l f s , La perdita dell' infinito nelle lingue balcaniche e nell' Italia meridionale, in: Festschr. f. Jorgu Jordan, Bukarest 1958, 733 ff.; ders. in: Neue Beiträge (s. §72) , 111 fF.; P. B u r g u i è r e , Histoire de l'infinitif en grec, Paris 1960.

197. Die S u b s t a n t i v i e r u n g d e s I n f i n i t i v s mit Hilfe des Artikels (wozu noch Präpositionen kommen können), die eine Rückkehr zur ursprünglichen Eigenschaft des Inf . als eines Nomen actionis bedeutet, ist schon in der vorhellenistischen Zeit ein Kennzeichen der Literatur: die Lyrik, Herodot und die Tragiker fangen an, die attische Prosa (besonders Thukydides und Demosthenes) und namentlich die Rhetorik entwickelt sie stark, den Inschriften ist sie sozusagen fremd. Den literarischen Charakter bewahrt sie audi in der Koine: Polyb steht mit 74 Fäl-len auf 100 Teubnerseiten unter allen Historikern obenan (Xeno-phon und Zosimos haben 39, Herodian 30, Thuk. 27); im N . T . sind fast nur die gebildeteren Autoren daran beteiligt (Lukas, Paulus, der Hebräerbrief, jakobus, Petrus).

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Syntaktische Merkmale 123

Literatur: Fr. Κ r a ρ ρ , Der substantivierte Inf. abhängig von Präpositionen . . . (Heidelberg 1892), S. 3—12; B l a s s - D e -b r u n n e r § 398—404; S c h w y z e r , Gramm. 2 S. 368—372.

198. Die Nebensätze waren unabhängig vom Infinitiv in ver-schiedener Weise aufgekommen; aber wo sie mit einer Infinitiv-konstruktion gleichwertig wurden, drängten sie diese in der Volkssprache zurück, weil der Infinitiv nach Zeit und Person weniger bestimmt ist und daher der Nebensatz dem Deutlichkeits-streben entgegenkommt, und weil gegenüber dem Akk m. Inf. der Nebensatz einfacher und volkstümlicher ist.

Beispiele für das Weitergreifen der Nebensätze in der Koine: a) In A u s s a g e s ä t z e n greift der ίίτι-Satz auf die Verba

des Glaubens über, wo er der klassischen Zeit fremd war: Epikt. I I I 15, 10 δοκείς, οτι ταΰτα ποιών δύνασαι φιλοσοφείν; Ν. Τ. Mt. 5, 17 μή νομίσητε, δτι ήλ#ον καταλυσαι τον νόμον. Das klassische ώς bei „sagen, hören" usw. ist in der Koine nicht recht heimisch; dagegen findet sich in der vulgäreren Sprache schon πώς für „daß", wie es im Neugriechischen üblich ist: Epikt. IV 13, 15 κα'ι οψει, πώς ουκ αναμένω, ϊνα μοι σύ πιστεΰσης τά σαυτοΰ (II 12, 4 καί οψει, δτι ακολουθεί), N .T . Acta 11, 13 άπήγγειλεν δέ ήμϊν, πώς είδεν τον αγγελον tv τώ ο'ίκω αύτοί σταβέντα.

b) Die übrigen Infinitivfügungen werden von ί ν α - S ä t z e n abgelöst (daher ngr. νά c. conj. = Inf.). Solches ϊνα = Inf. fehlt noch der klassischen Sprache; δπως (mit Ind. Fut., seltener mit Konj.), das im Attischen nach Verben wie φροντίζειν und πει-ράσθαι synonym mit dem Inf. ist, tritt in der Koine stark zurück: Polyb hat in solchen „ f i n a l e n O b j e k t s ä t z e n " nur je einmal ώς und δπως, sonst ϊνα bei φροντίζειν, πρόνοιαν ποιεΐσθαι, σπουδάζειν usw.; Epikt. I I I 7, 11 εκείνο μόνον σκεπτώμεθα, . . . ϊνα μή τις γνώ; N .T . Joh. 18, 36 oí ΰπηρέται αν οί έμοί ήγωνίζοντο, ϊνα μή παραδοθώ τοις Ίουδαίοις.

c) ϊ ν α b e i V e r b e n d e s B e g e h r e n s , B i t t e n s , A u f f o r d e m s (θέλειν, έρωτάν „bitten", παραγγέλλειν usw.) ist sehr häufig.

d) B e i σ υ μ φ έ ρ ε ι u. d g 1 .: Epikt. I 10, 8 πρώτον έστιν, ϊνα έγώ κοιμηθώ, Ν. T. Joh. 2, 25 οϋ χρείαν είχεν, ϊνα τις μαρ-τυρήση περί του ανθρώπου.

e) Ë p e x e g e t i s c h : Epikt. I I I 24, 6 τούτου γαρ «ξιο; ει, ίνα καί τών κοράκων καί κορωνών άθλιώτερος ης, Ν. T. 1. Joh.

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124 Grundzüge des nachklassischen Griediisdi

5, 3 αΰτη γάρ έστιν ή αγάπη τοΰ θεοί , ίνα τάς έντολάς αύτοΰ τηρώμεν. K o n s e k u t i v : Epikt. I I 2, 16 οίίτω μωρός ήν, ϊνα μή ϊδη . . . ; Ν. T. Apoc. 13, 13 ποιεί σημεία μεγάλα, ϊνα και πυρ ποιή εκ τοΰ ούρανοϋ καταβαίνειν.

{) I m p e r a t i v i s c h (vgl. att. όπως und δπως μή mit Ind. Fut.): Didymos (Ia) im Schol. Soph. Oed. Col. 156 κατά την ήμετέραν συνήθειαν είώθαμεν λέγειν οΰτως· ϊνα παραγένη προς έμέ. βοΰλομαί σοί (τ ι ) σημαίνειν ( R a d e r m a c h e r , Gramm. S. 170), Ν. T. Eph. 5, 33 έκαστος τήν έαυτοϋ γυναίκα οΰτως άγαπάτ(0 ώς έαυτόν, ή δέ γυνή ϊνα φοβήται τον ανδρα. A u s -r u f : Epikt. I 29, 16 (am Anfang eines neuen Abschnitts) Σωκράτης οΰν ϊνα πάθη ταΰτα ΰπ' 'Αθηναίων „daß S. von den A. so behandelt worden ist!"

199. Vom P a r t i z i p ist im Neugriechischen mehr erhalten als vom Infinitiv, aber es sind doch nur Trümmer: ein indeklina-bler Nom. Sg. Mask, des aktiven Präsenspartizips (δένοντας „bindend", verwendet wie das romanische Gerundium it. par-lando, franz. (en) parlant), ein deklinierbares Part. Pf. Pass, auf -μένος (gleichbedeutend mit -τος, also mehr Verbaladjektiv als Part.), einige erstarrte mediale Präsenspartizipien auf -οΰμενος und -άμενος (τρεχούμενος „laufend", έρχάμενος „kommend"). Die Koine hat das Partizip noch im alten Umfang; nur kündigt sich das indeklinable Gerundium in doppelter Art an: 1. In ganz vulgären Texten werden bei Vernachlässigung der Kongruenz der Nominativ und das Maskulinum vorgezogen; ζ. Β. Ν. T. Apoc. 11, 4 αί δυο λυχνίαι . . . at . . . έστώτες, 5, 6 είδον . . . άρνίον έστηκιυς (nur cod. S, sonst -ôç) ώς έσφαγμένον, εχων (ν. 1. £χον) κέρατα έπτά (vgl. B l a s s - D e b r u n n e r § 136), Zenon Pap. 59 443, 12 (IIIa) άπεστάλκαμέν σοι γυναίκα φέρων σοι τήν έπιστολήν. 2. Ebenfalls eine Loslösung des Partizips von der Satzsyntax bedeutet es, wenn der „Nominativus absolutus (pen-dens)", der auch der vorklassischen und klassischen Sprache nicht fremd ist, beim Partizip (wie beim Substantiv) als ungezwungene, volkstümliche Redeweise in der Koine stärker hervortritt (er wird im jüdisch-christlichen Bereich durch das Semitische begünstigt; s. § 151): Ζ 510 f. ó δ' άγλαϊηφι πεποιθώς — ρίμφα έ γοϋνα

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Nachwort 125

φέρει, Isokrates 4, 107 f. έχοντες . . . ομως ουδέν τούτων ημάς έπήρε; M i t t e i s , Chrest. Nr. 8, 6 (221a) περί τούτων άνα-κληθεϊσα ή Θοθορτάις και προσφήσασα αύτώι συμποιήσας αύτήι ό κωμάρχης προσαπώσατό με εις την φυλακήν; vieles bei U r s i n g S. 65—67, ζ. Β. Aesop. 240 b 4 Chambry έσθίων . . . οΰ μέλει μοι θάνατος, 40 c 14 ó δέ τράγος τήν παραίνεσιν της αλώπεκος άκουσας . . . ή άλώπηξ . . . άνέβη. Daß auch die neu-griechische Volkssprache diese Freiheit hat, ist nicht verwunder-lich; in einem Lied auf den Fall von Konstantinopel (1453p) heißt es: ή Πόλις, ή αγάπη σου, επήραν την ol Τούρκοι, und in einer Volkserzählung: ένας χωριάτης, απέθανε τό παιδί του.

Literatur: T h u m b 159—161 (§234—236); S c h w y z e r , Gramm. 2 S. 66, 4. 403 f.; B l a s s - D e b r u n n e r § 466.

Nachwort

200. Ist es ein Zufall, daß Otto H o f f m a n n dem 1911 er-schienenen ersten Bändchen dieser Geschichte der griechischen Sprache, das schon 1916 eine zweite Auflage erlebte und damit seine Brauchbarkeit erwiesen hatte, nie das vorgesehene zweite folgen ließ? Oder war das außer durch seine politische Tätigkeit dadurch bedingt, daß er kein näheres Verhältnis zum nachklassi-schen Griechisch hatte? Er gehörte ja der Linguisten- und Philo-logengeneration vom Ende des 19. Jahrhunderts an (er lebte vom 9. Februar 1865 bis zum 6. Juni 1940), die geistig den ältern Zeiten der griechischen Sprache und Homer und den „Klassikern" zugewendet war und die nachklassische Sprache und Literatur den Theologen und Historikern überließ. Das 20. Jahrhundert hat dann aus einem Bedürfnis nach Erweiterung des Gesichts-kreises und dem Gefühl der Verwandtschaft der Moderne mit dem Hellenismus heraus auch die mittelmäßige Epigonenhaftig-keit, den Realismus und die Stilvermengung, die Kleinkunst und das Pathos, die Weiträumigkeit und weltbürgerliche Universalität der nachklassischen Epoche in den Bereich liebevollen Studiums

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126 Nachwort

gezogen, und auch die wiederkehrende Sehnsucht nach Klassik, nach Vorbildlichkeit, die die Folge der weit- und geistesgeschicht-lichen Krisen der letzten Jahrzehnte war, hat doch eine gerechtere Würdigung des Hellenismus nicht rückgängig machen können: die hellenistische Sprache und Kultur ist weder bloßes Epigonentum noch bloße, verhältnismäßig gleichgültige Durchgangsstation zwi-schen dem klassischen Altertum und der lebendigen griechischen Gegenwart, sondern auch die Vermittlerin und Weitergestalterin dessen, was uns das klassische Griechentum gegeben hat: der Weg vom griechischen Altertum zu den Römern und dann zum Mittelalter, zum Humanismus und zur Neuzeit führt von Piaton über Aristoteles, die Stoa, Cicero und den Neuplatonismus, von Aristophanes über Menander und Terenz, von Thukydides über Polyb und Livius; die Wissenschaften haben ihre erste Blüte in Alexandria erlebt; das Christentum setzt die hellenistische Welt voraus und trägt ihr sprachliches Kleid. Darum kann uns auch die Sprache dieser Zeit nicht gleichgültig sein; sie spiegelt deren Hauptzüge getreulich wider: das Heraustreten aus der Enge der Stammes- und Stadtstaatengrenzen in eine größere Gemeinschaft und zur Pionierarbeit in vielen fremdsprachigen Ländern, aus der eifersüchtigen Zersplitterung in eine große, geschlossene kultu-relle Einheit, die aber das freie Spiel der individuellen Mannig-faltigkeit nicht unterband, und schließlich das Emporsteigen der untern Bevölkerungsschichten, der Träger der militärischen und zivilisatorischen Leistung in der Welt des Mittelmeers, ihr Em-pordrängen zur tätigen Teilnahme auch an geistigen Gütern — ein Prozeß, der mit der aufsteigenden Weltreligion des Christen-tums in enger Wechselwirkung stand.

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Register 127

Register

Die Zahlen beziehen sich auf die, Paragraphen

a) N a m e n - u n d S a c h r e g i s t e r

Achaeisch-aitolische Koine 66 Achaeisch-dorische Koine 53,

66 Aeneas Tacticus 96, 97 Aesop 30 Ägypten 124, 130, 136 Alexander d. Gr. 116, 133 Alexandrinischer Dialekt 153 Altes Testament s. Septua-

ginta Ameinokrateia 48 Antiatticista 18, 159 Antiochos von Syrakus 35 Äolismen 76 Apollonios Dyskolos 6 Apollonios Rhodios 112, 113 Archimedes 31, 45 Aristarch von Samos 1 Aristeas 148 Aristeides 195 Aristophanes von Byzanz 154 Aristoteles 22 Arkadien 56 Arrian 23 Asianismus 155 Attizismus 1, 16 ff., 154 ff. Augustus (Monum. Anc.) 140 Axiochos 24 Balbilla 68 Batrachomyomachie 113 Boiotien 61 Chrysipp 23 Colloquia 19 Delphi 54, 66 Demetrios Ixion 1 Dialekte der Koine 152 f. Diodor 27, 104, 183c, 195

Diokles von Karystos 45 Diokletian (Edikt) 140, 141 Dion Chrysostomos 47 Dorismen 77 ff. Dorotheos von Askalon 133 Eirenaios 1 Elis 55 Epiktet 23 Epikteta 53 Epikur 23 Galen 74 Glossen 19, 47 Großattisch 41, 96 Hellanikos 35, 76 Heron von Alexandria 31 Herodian 6 Hieronymus 125 Hippareta 48 Hippokrates 35 Hypereides 96, 97 Hyperkoinismen 69 f. Inschriften 10 f., 48, 50 ff.,

140

Ion von Chios 44 Ionisch 50 ff., 95 ff. Isidor 74, 126 Isokrates 44 Josephus 123, 148, 157 Kallimachos 113 Kallisthenes (Pseudo-) 28 Kleinasien 125, 134 Koinismen 69 f. Komödie 37, 112 Ktesias 96 Lakonien 65, 67, 71 Lateinisch 128, 137 ff. Lukian 157

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128 Register

Lykophron 112; 113 Magnesia 51 f. Makedonien 114 fi., 131, 133 Malalas 29 Marcus Aurelius 23 Minucius Pacatus 1, 74 Moiris 6, 18, 159 Neues Testament 3, 4, 122,

147 fí. Neugriechisch 9, 32, 152 f.,

157, 183 ff. Nordwestgriechisch 54, 92 ff. Orakel 43 Orígenes 148 Ostraka 15 Palästina 123, 129 Papyri 12 ff., 49 Pausanias 47 Peregrinatio „Egeriae" 122 Pergamon 57 Periplus Maris Rubri 124 Philemon 86 Philipp von Makedonien

116 f. Philodem 14 Philogelos 30 Philon von Alexandrien 148

Philon von Byzanz 31 Philostratos 65 Phrynichos 17, 76, 86, 89, 159 Pindarion 154 Piaton 43, 44, 96 Plutarch 27, 121, 157 Polybios 11, 26, 66, 95, 104,

111, 138, 143, 157, 183c Pseudodialektismen 70 Psilose 98, 170 f. Semitismen 147 ff. Septuaginta 148 ff. Silko 132 Sophron 76 Strabon 47, 125, 164 Syrien 122 Teos-Inschriften 70, 178 Theognis 86 Theokrit 49, 72, 76 Theopomp 43 Thessalien 59 Thomas Magister 18 Tsakonisch 71 Vettius Valens 25 Vulgärattisch 63 Xenophon 37, 86, 89, 96 Zypern 56

b) G r a m m a t i s c h e s (Vgl. besonders §§ 160 ff.)

V o k a l i s m u s Einfache Vokale: dor. -lo-

für -εο- 53 I υ I οι 13, 20 | υ = ü und u 71, 107 b, 168 | α I η 50, 64, 71, 72, 78, 99, 107 b, c, 168, 172 | η 162 | ä aus äo 79, 91

Diphthonge: ai > e 163 | ai pseudoaiol. für ä 68 j ει ) Î 161 I οι ) υ 163 I υι ) ü 172 I αυ ) av af 163 | αο εο diphth. = αυ ευ 117 | ευ )

ev ef 163 I ou > δ ) ü 161 | ai > â 164 ¡ ηι > η (ει) 164 | ωι ) ω 164

Kontraktion: iï ) ϊ 161 | εο ) ου ευ 53, 64 | αε ) dor. η 53 ¡ unkontrahiert άείρειν 97, τείχεος usw. 97, -έά 108

K o n s o n a n t i s m u s β für F 166 ! F im Tsak.

71 I ζ el. = δ 166 | -s > -r lak. tsak. 71 I s ) h intervok. tsak.

Page 277: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

Register 129

71 I μμ pseudoaiol. für μ 70 ¡ Ten. asp. ) Spirans 166 | θ ) lak. tsak. σ 71 | Media ) Spi-rans 163, 166 I nt mp ) ngr. nd mb 132 | ρσ — σσ 64, 107 a, 158, 159, 168, 169 | σσ — ττ 61, 64, 65, 97, 107 a, 108, 118, 157, 158, 168, 169

D e k l i n a t i o n Ν. Sg. -αις für -ας 68 | Dat.

-ωι, -οι 61 I Dat. -ει, -ι 58 Gen. -εως, -ιος 107 c | Akk. -αν für -α 32, 174 ¡ Akk. -κλήν 63, 174 ! Dat. Pl. -εσσι, -οις für -σι 53, 66 ] παϊσι = πάν-τεσσι, πασι 68 | Ν. Pl. -εν für -ες 53, 70 ¡ Akk. Pl. -ες für -ας 32, 92 ! Akk. Pl. -ove, -ονς, -ος 53, -οις 58 j 1. Dekl. Mask, -ας, -α, -ας, -α 78, 79, 91, 102, 107 c, 115, 145, 150, -ης, -ου 115 I 1. Dekl. -Q, -ης (-ας) 99, 172, -ρα, -ρης, -ρη 172 | -ις, - IV aus -ιος, -ιον 20 ¡ 2. att. Dekl. 107 a, 158, 173 | Neu-tra auf -ας, -εος 101 | -ας, -αδος, (-άτος), -ους, -οϋδος (-οϋτος) 102

K o n j u g a t i o n Augment: άναχωρήθην 132

I περιέσσευσεν 159 Endungen: -α und -αν für

1. Sg. und 3. Pl. -ov 32, 179 I 2. Sg. -ες für -ας 13, 179 |

c) W o r t 'Αβραάμ, "Αβραμος 150 αγγαρος 135 αγημα 78 άγρειν: προαγρημμένω 70

1. Pl. -μες, -μεν 53 | 3. Pl. -αν für -ασι 153, 178 | 3. Pl. -σαν 54, 158, 176, 177 a—c | 2. Sg. -σαι 177 d ¡ 3. Pl. -ατο 157, 158, 159 I 3. Sg. έντί, 3. P. Pl. εστί 70 | 3. Sg. ήν 70 | Inf. -μεν, -εν, -ην, -μειν 53, 66, 107 b

Verbaltypen: Mischung von -άω und -έω 32, 121, 180 | 2. Sg. Med. -άσαι 177 a | μι-Verba 181 ¡ είμί: ενι, ngr. είναι 84; ήμην, ήμεθα, είμαι είσαι 181 c

Tempora: Fut. dor. 53 | έφιλονικήσουσιν 132

S y n t a x Dual 157, 158, 182 ¡ Nom.

abs. 151 ¡ Dat. 183 d | Dat. abs. 146 I Artikel 151 | Prä-positionen 183 I Medium 184 I Fut. 185 I Perf. 178, 186 [ Konjunktiv 187 | Optativ 158, 188—195 I Inf. 196—198 I hebr. inf. abs. 151 | Partizip 184, 199 I Relativsätze 151 Gen. für Adj. 151

S u f f i x e -άριον = lat. -ärius 142 |

-άριος 145 ] -άτος 145 | -ήσιος = lat. -ensis 145 ¡ -ιανός 145 | -ΐνος 145 [ -ισσα 169 ¡ Neutra auf -μα 103 ¡ -νδος = -νΟος 132

e g i s t e r Άγρίπ,πας 145 άϋάρης άθήρας άθάρας 76 α'ι — εί 53, 64 α'ιές — αίέν 53

Page 278: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

130 Register

άκαταστασία 113 άκκόρ, tsak. akhó 71 'Ακύλας 144 αλληλούια 149 αλως, αλων 173 άμήν 149 άμφί 157 δν 64, 83, 107 b άνά — ôv 58 ανάδοχος, άνδοκά 90 άνδριίάνταν 174 άνθρωπος u. άνήρ „jemand"

149 ανοίγω 181 b άόρτης 133 απαρτίζω 159 άπηλιώτης 98 από 183 b αποκρίνομαι: άπεκρίθην 184 άποκτείνω: άπέκταγκεν 159 Άπολλωνάριν, Dativ 13 άποστελώ σε 13 αρξ = άρκτος 132 άροπάνοι, mak. 117 αρσενον 13 αρσην — αρρην 159, 169 άρτάβη 135 Άρταμίτης 72 ας, αως 61 άσσάριον 141, 142 ασφαλίζω 32 ατέλεια 50 ατρέκεια 36 αττα 169 αττασι, lak. = άνάστηθι 71 'Αττικός 6, 17, 18 αυγή 173 Αύγουστάλιος 145 Αύγουστος, Άουστ- 145 αύτοί — σφεΐς 159 αυτοκράτωρ 142 αφες c. conj. 187 άφίω — άφίημι 181 b

βάϊς, βαΐον 136, 153 βάλλειν 20 βάννεια, tsak. vanne 71 βαρεϊσϋαι 110 βαρις 136 βασιλικοί, -λισταί 11 Βερενίκη, mak. 131 Βίλιππος, mak. 131 βλίττειν 169 βουλά 53 βούλομαι: Ιβουλόμην „ich

möchte" 192 c βουνός 32» 85, 86 βρώμα 32 βύρσα 169

γαμείν: έγαμήθην 184 γενέσια 159 -γεως, -γεος, -γειος, -γαιος

173 γήρας (-ος), γήρους 101 γητικά mak. 117 γίγνομαι: γίνομαι 6, 100,

γενη-θήναι 159, έγένετο δέ u. dgl. 151; μή γένοιτο 189

γι(γ)νώσκω 100 γρηγορείν 159 γυνέκα, tsak. 71

δαβελός, δαλός 71 Δαβ(ε)ί"δ, Δαβίδης 150, 161 δεκάετες 159 δεκανός 136 δεκαπέντε 97 δέν ngr. = ούδέν 72 δέρρις 169 δέσμιος 110 δημοτική 157 δηνάριον 141, 142 διαθήκη 149 δίδω 181 b δίεδρον 20

Page 279: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

Register 131

διεκι thess. = διότι 60 διηνεκής, διανεκής 99 δίχαλος 78 δουμος phryg. 134 δύνομαι = δύναμαι 181 b διιοΐν, δυειν, δυσ'ιν 62, 118,

182 δώραξ, mak. 131 δωρίζειν 47, 49

έάν e. ind. 13 έάν τι(ς) und εϊ τι(ς) αν, ε'ί

τι(ς) κα 83 εγγυος 85, 86 είκοσι 54, 107 b είναι ngr. = ενι, έστίν 84 ειμί: ής 159, εστουσαν 60 ειρήνη 149 εις — ές 158 εί τι(ς) αν (κα> 83 έκατόνταρχος 142 έκβάλλειν 6, 32 έλαια, έλάα 107 a Ελλάς 43, Ελληνικός 6, έλ-

ληνίζειν, -ιστί 7, -ισμός 1, Έλληνίς 122

εν: e. acc. 66, instr. 151 ενδοι, ένδον 70 ενεκα, -κεν, εϊνεκεν 62, 97 gvi 84 έντρέπεσθαι, έντροπή 32 έξ 183 b έξείργειν, έξίλλειν 6 έπάρχειος 142 έπιλαθεΐν = -θέσθαι 13 έπιμελεϊσθαι c. dat. 13 έργασίαν διδόναι 142 έριιηνεύματα 19 "Ερση 169 έρχομαι, ήρχόμην 181 b έρωτώ 'ίνα 13 ές — εις 158 Ισθειν 159

έσοΐ = σοΰ 13 éthe tsak. = εστε 71 εΰμορφος 110 εύποιΐα 20 εύρακύλων 142 έφέτος 171 εως „Morgenröte" 173

ζην: ζήσω 159 ζυγός 20

ήμερα: καθ' ήμέραν 159, 179 ήμ-, άμ-, ύμ-, αμμ-, ΰμμ- 107 b ηνεγκον, -κα 179 -ηνός 134 ήσσα, ήσσάσθαι, ήττ- 64, 108,

169

θά ngr. = θέλω ίνα 185 θαρρεϊν (-ρσ-) 169 θεϊνος, θειος, θίνος 53 θέλω: ήθελον „ich möchte"

192 c Θεσσαλονίκη 169 Θευγένης 64 θύρσος 169

'Ιακώβ, 'Ιάκωβος 150 ίαρός, ίερόΰ 53, 54 ίβις 136 'ιδεϊν: έφείδε 171 îjaTSDUv 174 ίκανόν διδόναι 142 (/Γ)ίκατι 53, 54, 107 b 'ίλεως 173 ίμάτιον 161 ίν ark. = έν 66 "ίνα 185, 187, 198 b—f ϊνα τί 159 'Ινδός 36 'Ιούλιος 144 ίστάν, ίστάνειν 181 b ϊστημι: εστακα 97

Page 280: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

132 Register

κα 64, 83, 107 b καθαρεύουσα 157, 183 καθ' έτος, καθ' ιδίαν 171 καθομιλουμένη 157 καθώρ el. = καθώς 55 Καίσαρ 142 καίω, κάω 107 a καλώς, κάλος 173 καμμύειν 159 κατά, κατ 58; κατά c. acc.

183 c καταδίχιον, κάδδιχος 70 κατέαγμα 20 καυσία 133 κεβαλή mak. 131 κεντ(ο)υρίων 142, 144 κήνσος 142 Κηφδς 150 κι ngr. = ούκί 72 κλάσση = classis 145 κλείς 164, κλείν 159 Κλήμης 145 κοδράντης 142, 144 Κοδράτος 144 κοινή 6, 8, 38 κοινός 6 Κοϊντος 144 κολοκάσιον 153 κολωνία 142 κόμμι 136 κοράσιον 94 -κόσιοι, -κάτιοι 53 κο(υ)στωδία 142, 144 Κουαρτος 144 κρέας: κρέη 101 κριτής, -τήριον 85, 87 κρύβω 105 κυένσαν, ark. 66 κυκλάτος 145 κυναγός 78 Κυρίνιος 144

λαγάζω 72

λαμβάνω: λά(μ)ψομαι, λήμψομαι 106

λανός 72 λαξός, λατόμος 80 λαός, -λας 64, 81, 173 λεγιών 142, -νάριος 145 λέντιον 142 Λέντολος 144 Λεύκιος 143 λιβερτΐνος 142 λιμπάνω 20 λίτρον 76 λοχαγός 78 λυκαονιστί 125

μά, thess. 60 Μααρκος 143 μάκων 78 ματτύη 133 μεγιστάνες 80, 159 μεθαύριον 171 μεμβράνη 141, 142 μέντον = μέντοι 70 -μέτρης 99 Μήδος 36 μην ιά ν 113 μηχανάριος 145 μικρός, σμ- 159 μίλιον 141, 142 μίσγω 105 μόδιος 142 μοιχδν 85, 88 μονόσιροι 153

νά c. conj. ngr. 187, 196 νακόρος, νεωκόρος 49, 81 ναός 81, 97, 173 νάσος, νασίδα 72 νεοδημοτική 157 Νέρβα 144 νερόν 20 Νίγρος 145 νίτρον, λίτρον 76

Page 281: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

Register 133

νομικάριος 145 νοσσός 169

ξεναγός 78 ξύν — σύν 158

Όαλέριος, Ούαλ- 144 όβελός — όδελός 54 όδαγός 78 οίδα: οϊδασι 159 ολίγος: ούχ ολ. 171 όνάλουμα 60 όράω: έώρη 53 όρκιζε tv 85, 89 όρνιθ-, όρνιχ- 82 δστις, ήτις = ος, ή 20, 104 δτα — δτε 58 οτι „dass" 198 a ο ύ Μ ς usw. 20, 97, 109

παϊξαι 159 πάπυρος 136 παράδεισος 135 παραύα 76 παρεμβολή 133 πέδε = πέντε 132 πειθαρχείν c. gen. 36 πεϊν = πιεϊν 161 πείπτω = πίπτω 161 πεπεροίτον 20 περί c. dat. 157 περισσεύω : περιέσσευσεν

159 Περσεύς 169 Πέρσης 36 Πέτησις 11 Πέτρος 150 πήσσειν 169, 181 b πίεσαι = πίχ] 177 d πίστις = lat. fides 138 πλέως, πλήρης 173 Πομπήιος 144 πόρρω, πρόσω 169

πός, ποτί, πρός 53, 55, 66 ποταπός 159 ποΰ Relativpartikel 151 πραιτώριον 142 πρόσωπον, προσωπολημψία

usw. 149 πώς „dass" 198 a

φάκος 111 ρήμα 149 ρήσσειν 20, 169, 181 b 'Ροΰφος 144 φύεσθαι 111

ρύμη 97, 133, 159

Σαβαώθ 149 2αούλ, Σαϋλος, Παύλος 150 σάρισα 133 σατες ( = τήτες), σατινός 49 Σαυνϊται 145 Σεβαστός 142 Σεμπετόσιρις 11 Σεροΐλιος 144 Σευήρος 144 σικάριος 142 σιμικίνθιον 142 σκάνδαλον 149 σκηπτοΰχος 111 σκοϊδος, mak. 117, 133 σκορπίζω 181b σκυταλίδες 153 σουδάριον 141, 142 σπείρα 142 σπεκουλάτωρ 142 στήκω 20 στρατ- — στροτ- 58, 61 στρατηγός „praetor" 142 στρεφη-, στραφη-, στρεφθη-,

στραφθη- 70 σύγκλητος „senatus" 142 συκή, συκομορέα 108 Σύλλας 144 συμβούλιον 142

Page 282: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

134 Register

Συμεών, Σίμων 150 Συμπέτησις 11 συνήθεια 6 συνίω = συνίημι 181 b συριστί, Συροφοινίκισσα 122

τάχιον 159 τειννύω 121 Τειχιοΰσσα 169 τελέως 97 τεσσαρ- 53 τέτορες, τετρώκοντα 53, 93 τηνεΐ 49 τίθω = τίθημι 181 b τίτλος 142 τοί = οί 49 τρώγω 32 Τύλλιος 140

ϋγεια 161 ύιγένω σε 13 υιός 63; „Individuum" 149 ύπάγω 32 ύπατος „consul" 142 ύσσός 169

φάγεσαι 177 d φαγί ngr. 196 φιλί ngr. 196 Φλάυιος, Φλάβιος 144 Φιλιππηνός 134 Φιλιππήσιοι 145 Φούριος 144 φραγέλλιον 142

χερρόνησος (-ρσ-) 169 χιλ-, χειλ- 53, 58, 161 χιλίαρχος 142 χορηγός 99 χορτάζω 32, 181 b χρασθαι 118 -χρεως, -χρέος 173 Χριστιανοί 145 -χρως, χρους 173 χώρτη „cohors" 145

ψυχή „ipse" 149

ώδε 20 ώσαννά 149 ώφελε c. ind aor. 113

L a t e i n i s c h e W ö r t e r u n d S u f f i x e (siehe in den §§ 142—145)

Page 283: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

KLEINE TEXTE FÜR VORLESUNGEN UND ÜBUNGEN

112. Supplementum Euripideum. Bearbeitet von H. von Arnim. 80 Seiten. 1913. DM 3,75

121. Historische griechische Inschriften bis auf Alexander den Großen. Ausgewählt und erklärt von Emst Nachmanson. 60 Seiten. 1913. DM 2,80

137. Vitae Homeri et Hesiodi. In usum scholaium edid. Udal-ricus de Wilamowitz-Moellendorf. Neudruck. 57 Seiten. 1929. DM 2,70

156. Historische griechische Epigramme. Ausgewählt von Fried-rich Frhr. Hiller von Gaertringen. 64 Seiten. 1926. DM 5 , -

159. Ilias Homeri. Die Bücher von dem Khrig so zwischen den Grichen und Troianern von der stat Troja beschehen. Ho-meri des viertreflichen weltberühmten Poeten und ge-schichtsschreibers. In griechischer sprach von Im gar woll und herrlich beschriben und durch mich Johannem Baptis: Rexium verteuscht, allen lustig zu lesen. 1584. Hrsg. von Richard Newald. 56 Seiten. 1929. DM 6 , -

165. Nachklassisches Griechisch. Von Albert Debrunner. 58 Sei-ten. 1933. DM 5,25

169. Supplementum Aeschyleum. Edidit Hans Joachim Mette. 86 Seiten. 1939. DM 6 , -

169a. Nachtrag zum Supplementum Aeschyleum. Edidit Hans Joachim Mette. 42 Seiten. 1949. DM 4,~

185. Menandri Sicyonius. Edidit Rudolfus Kassel. IV, 44 Seiten. 1965. DM 9,80

186. Hystoria Tartarorum C. de Bridia Monachi. Edidit et annota-tionibus instruxit Alf Önnerfors. X, 44 Seiten. 1 Faltkarte. 1967. DM 9,80

187. Nova fragmenta Euripidea in papyris reperta. Edidit Colinus Austin. 116 Seiten. 1967. DM 20,-

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Page 284: Geschichte der griechischen Sprache (2 B¤nde)

Einführung ins Griechische Für Universitätskurse und zum. Selbststudium Erwachsener. Auf sprachwissenschaftlicher Grundlage. Von Friedrich Slotty. 5., unveränderte Auflage. Oktav. VIII, 274 Seiten. Mit Wörterbuch (118 Seiten). 1964. Ganzleinen DM 16,-(Mengenpreis bei Abnahme von 10 Expl. je DM 14,50)

Handbuch der neugriechischen Volkssprache Grammatik, Texte, Glossar. Von Albert Thumb. 2., ver-besserte und vermehrte Auflage. Mit 1 Schrifttafel. Oktav. XXXI, 359 Seiten. 1910. Nachdruck geplant. Subskrip-tionspreis Ganzleinen DM 58,-

Die griechischen Wörter im Deutschen Von Franz Dornseiff. Oktav. 157 Seiten. 1950. Ganzleinen DM 6,50

Lexikon to Pindar Von William G. Slater. Groß-Oktav. Etwa 650 Seiten. 1969. Ganzleinen etwa DM 200,- Im Druck

Studien und Interpretationen zur antiken Literatur, Religion und Geschichte

Von Georg Rohde. Oktav. Mit 1 Frontispiz. X, 322 Seiten. 1963. Ganzleinen DM 18,-

Kleine Schriften zum klassischen Altertum Von Eduard Norden. Herausgegeben von Bernhard Kytzler. Mit 1 Faksimile. Groß-Oktav. XVI, 706 Seiten. 1966. Ganz-leinen DM 88,-

Ausgewählte Schriften Von Ernst Kapp. Herausgegeben von Hans und Inez Diller. Mit 1 Frontispiz. Groß-Oktav. 337 Seiten. 1968. Ganzleinen DM 78,-

Kleine Schriften Vorreden · Entwürfe. Von Johann Joachim Winckelmann, Herausgegeben von Walter Rehm. Mit einer Einleitung von Hellmut Sichtermann. Mit 1 Frontispiz und 4 Abbildungen. Groß-Oktav. XXXVI, 535 Seiten. 1968. Ganzleinen DM 88,-

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