Geschichte des Berliner Mampe Likörs

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70 71 MARKEN-PORTRAIT { } Eine Geschichte über Cholera, Giftanschläge, Familienzerwürfnisse, Hitlers jüdische Soldaten, Aufstieg, Fall und Wiederauferstehung eines Kräuterlikörs. Fall und Wiederauferstehung. Im Spätsommer 1831 ist die »asiatische Hydra«, wie die mittel- alterliche Seuche Cholera auch genannt wird, zurück in Preußen. Über Russland und Polen eingeschleppt, wütet sie besonders in der Ge- gend um den Schiffbauerdamm unweit Mam- pes Grab. Alle Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie erweisen sich als nutzlos. Die Stadt verströmt einen miasmatischen Gestank aus Tod und allerlei Desinfektionsmittel. Be- rühmtheiten wie Blücher und Hegel erliegen ihr. Da braut der praktizierende Geheime Sani- tätsrat Dr. med. Carl Mampe im Pommerschen Stargard aus heilenden Kräutern und Alkohol einen Magenschnaps, den er »Bittere Tropfen« nennt und der nach den damaligen medizi- nischen Gepflogenheiten als Anti-Choleramit- tel Einzug in die Apotheken hält. Das Destil- lat wird noch bis zum Ende des ersten Welt- krieges an die deutschen Soldaten verteilt. Und dass der Glaube ein zahmer Dämon sein kann, beweist die abenteuerliche Wunderhei- lung des Christoph Schulz. Der ehemalige Bä- cker fand seine Berufung als Großtierjäger, vornehmlich für den Hagenbeck Zoo in Ham- burg. Er war zu seiner Zeit (1884 – 1958) eine kleine Berühmtheit und galt als Künstler. Auch in Zentral- und Ostafrika kannte man ihn. Allerdings machte er sich bei dem Häupt- ling der kongolesischen Naila derart unbeliebt, als er deren Totentanz filmte, der ihn gleich mit in das Reich der Ahnen schicken wollte. Man hatte seinen Tee vergiftet er verfiel in Seine Gebeine liegen auf einem Gottesacker in Berlin-Mitte, der auch als »Musikerfried- hof« bekannt ist. Die Namen Bach, Bechstein, Kollo und der Philosoph und Anarchist Au- gust Stirner gesellen sich zu einer illustren Nachbarschaft. Die Grabanlage I-1-29 der Sophiengemeinde II läßt seit 1899 einen Mann ruhen, dessen Kreationen eine Firmenhistorie nach sich zog, die voller obskurer und abenteuerlicher Er- eignisse steckt. Sie ist heute eine Pilgerstätte für seine zahlreichen Anhänger und Abhän- gigen: Carl Mampe, der Begründer eines Spi- rituosenimperiums sediert hier der Ewigkeit entgegen. Es gilt eine Geschichte zu erzählen von Cholera, Giftanschlägen, Familienzerwürf- nissen, Hitlers jüdischen Soldaten, Aufstieg, MAMPEKRIEGE DIE LEGENDE EINES KULTGETRÄNKES Text Markus Orschiedt Foto: Antje Plewinski

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Mampe Likör - vom glorreichen Beginn bis zum bitteren heutigen Nischendasein

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marken-portrait

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eine Geschichte über Cholera, Giftanschläge, Familienzerwürfnisse, Hitlers jüdische Soldaten, aufstieg, Fall und Wiederauferstehung

eines kräuterlikörs.

Fall und Wiederauferstehung. Im Spätsommer 1831 ist die »asiatische Hydra«, wie die mittel-alterliche Seuche Cholera auch genannt wird, zurück in Preußen. Über Russland und Polen eingeschleppt, wütet sie besonders in der Ge-gend um den Schiffbauerdamm unweit Mam-pes Grab. Alle Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie erweisen sich als nutzlos. Die Stadt verströmt einen miasmatischen Gestank aus Tod und allerlei Desinfektionsmittel. Be-rühmtheiten wie Blücher und Hegel erliegen ihr.

Da braut der praktizierende Geheime Sani-tätsrat Dr. med. Carl Mampe im Pommerschen Stargard aus heilenden Kräutern und Alkohol einen Magenschnaps, den er »Bittere Tropfen« nennt und der nach den damaligen medizi-

nischen Gepflogenheiten als Anti-Choleramit-tel Einzug in die Apotheken hält. Das Destil-lat wird noch bis zum Ende des ersten Welt-krieges an die deutschen Soldaten verteilt.

Und dass der Glaube ein zahmer Dämon sein kann, beweist die abenteuerliche Wunderhei-lung des Christoph Schulz. Der ehemalige Bä-cker fand seine Berufung als Großtierjäger, vornehmlich für den Hagenbeck Zoo in Ham-burg. Er war zu seiner Zeit (1884 – 1958) eine kleine Berühmtheit und galt als Künstler. Auch in Zentral- und Ostafrika kannte man ihn. Allerdings machte er sich bei dem Häupt-ling der kongolesischen Naila derart unbeliebt, als er deren Totentanz filmte, der ihn gleich mit in das Reich der Ahnen schicken wollte. Man hatte seinen Tee vergiftet er verfiel in

Seine Gebeine liegen auf einem Gottesacker in Berlin-Mitte, der auch als »Musikerfried-hof« bekannt ist. Die Namen Bach, Bechstein, Kollo und der Philosoph und Anarchist Au-gust Stirner gesellen sich zu einer illustren Nachbarschaft.

Die Grabanlage I-1-29 der Sophiengemeinde II läßt seit 1899 einen Mann ruhen, dessen Kreationen eine Firmenhistorie nach sich zog, die voller obskurer und abenteuerlicher Er-eignisse steckt. Sie ist heute eine Pilgerstätte für seine zahlreichen Anhänger und Abhän-gigen: Carl mampe, der Begründer eines Spi-rituosenimperiums sediert hier der Ewigkeit entgegen. Es gilt eine Geschichte zu erzählen von Cholera, Giftanschlägen, Familienzerwürf-nissen, Hitlers jüdischen Soldaten, Aufstieg,

MaMpekriege

Die LegenDe eines kuLtgetränkes

Text Markus Orschiedt

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Mampe vermachte das Originalrezept seinen beiden Stiefbrüdern Ferdinand Johann und Carl Mampe. Brüder im Geiste waren sie al-lerdings nicht. Während Ferdinand in Star-gard blieb und eine Fabrik für die Tropfen eröffnete, ging Carl nach Köslin und später nach Berlin, um es diesem gleichzutun. Er nannte seinen Likör »Halb und Halb« und wie es in solchen Fällen häufig ist (Adidas/Puma oder Aldi), flogen von nun an die Fet-zen. Es folgten Verleumdungen, der Einsatz von Provokateuren und Detektiven und un-zählige Gerichtsprozesse.

eine katatonische Muskelstarre und verlor auch sein Sprechvermögen. Seine Frau reagierte geistesgegenwärtig und rief ihn ins Leben zu-rück, indem sie ihm die »Bitteren Tropfen« verabreichte – es wirkte.

mampekriege – mampesiege

All diese Mythen und Mysterien sind angetan von einer gedeihlichen und kontinuierlichen Entwickung des Produkts auszugehen. Statt-dessen musste die Dynastie einige »bittere Pillen« schlucken. Der altruistische Dr. Carl

Auch als nach dem zweiten Weltkrieg die Er-ben von Ferdinand Johann vor den Russen nach Hamburg geflüchtet waren, tobte die Schlacht weiter. Selbst die zuständigen Rich-ter waren dessen bald überdrüssig und emp-fahlen eine Zusammenlegung der Betriebe, scheiterten aber an den jeweiligen Eitelkeiten. Und dies obwohl beide Parteien fürchteten, dass die Käufer eines Tages den Preis der Li-köre in Verbindung mit den enormen Pro-zesskosten bringen könnten.

Doch es gibt auch Positives zu vermerken. Bei-de Unternehmen glänzten mit weiteren Ent-wicklungen flüssiger Spezialitäten und Kuri-ositäten. Die Berliner kamen neben der Signa-turmarke »Halb und Halb«, mit »Mampe Alter Stamm«, »Mamper Diktiner« und »Mampe Pommeranze«, die Hamburger mit dem be-rühmten Whiskey »Two Monks« – getreu dem Markenlogo – auf den Markt. Darüber hinaus wurden Vodka und Gin produziert.

Das Markenzeichen von Mampe Berlin ist der Elefant und so landete man einen besonderen Coup, als zwei vom Hamburger Hagenbeck Tierpark (sic!) gespendete Zwergelefanten im Berliner Zoo auf die Namen Carl und Mampe getauft wurden. Als ständige Publikumsver-tretungen – heute schimpft sich das »gelabelt« – wurden Gaststätten und Kneipen mit dem Namen »Mampes Gute Stube« eingerichtet. Doch der sicherlich legendärste Kassenknüller in den 60er- und 70er-Jahren war der »Luft-hansa-Cocktail«. Ein Likörgemisch aus Oran-ge, Aprikose und Pomeranze, das sich auch hervorragend mit Sekt aufgießen läßt. Seit 2006 hat die Airline den Cocktail wieder an Bord, nachdem Berentzen – die auch »Halb und Halb« vertreiben – die Produktion wieder aufgenommen hat. Die Kultflasche von damals gibt es nur noch im Internet, heute hat sie die Form eines Boston Shakers. Anschließend gab es noch Versuche im Sportsponsoring, wie bei Hertha BSC und im Motorsport, bevor es still wurde um Mampe.

Im Jahre 2003 erschien auf Deutsch das auf-sehenerregende Buch des amerikanischen Hi-storikers Bryan Rigg mit dem irritierenden Titel »Hitlers jüdische Soldaten«. Die Präsen-tationen des Buches erwiesen sich als wahre Publikumsmagneten und es ist noch heute er-hältlich. Das Thema spielte bisher in der hi-storischen Forschung kaum eine Rolle und schlug hohe Wellen. Zwischen 60- und 90tau-send sogenannte »Viertel-« und »Halbjuden« dienten in der Wehrmacht oder der SS. Da-runter so bekannte Nachkriegspolitiker wie der Oberleutnant der Wehrmacht Helmut Schmidt oder Egon Bahr.

»Mampe halb und halb« nannten sich diese Männer jüdischer Herkunft mit verzweifeltem Sarkasmus aber auch unerschütterlichem Hu-mor, die versuchten inmitten des Mordappa-rates zu überleben, während die übrige jü-dische Bevölkerung dem Inferno und der Shoa

entgegensahen. Viele wurden auf Geheiß von Hitler persönlich zu »Ehrenariern« erklärt und blieben doch stets der Willkür ausgesetzt. Wie müssen sich diese Männer gefühlt haben? Ein unfassbarer Vorgang in dieser ohnehin an Grausamkeiten nicht zu überbietenden Epo-che der deutschen Geschichte.

Vor einigen Jahren setzte auch die Wieder-auferstehung in den Szene-Bars ein. Hier ver-schmähte man die üblichen Absacker der Marktführer und Vodka galt als Ausweis für Spießertum. In Berlin-Mitte, dort wo alles sei-nen Anfang nahm, existiert noch heute eine Eckkneipe namens »Alt Berlin«. Sie wurde von den alten Pächtern durch ein paar En-thusiasten übernommen und der alte Claim »Denn das Schönste aller Dinge, ist ein Schluck bei Heinz und Inge!« ziert immer noch das Schaufenster. Außer Fassbier, Mampe und ein paar Buletten hält sich das restliche Angebot arg in Grenzen. Das Alt Belin ist ein Treff-punkt für alle promovierten und unpromo-vierten Mitte-Alkoholiker, Agenturdickstrahl-pisser, Liebesbekümmerte, verwirrte Touristen und Andersverrückte, in dem sich legendäre Szenen vor dem Hintergrund der »Halb und Halb«-Methomanie abspielten. Eine Mampe-bühne.

Die Mampemanie äußert sich heute in Mam-pepartys mit DJ Mampe, einem virtuellen Mampemuseum und haufenweise Mampe-Devotionalien im Internet, deren Raritäten zu astronomischen Preisen angeboten und auch gekauft werden. Da werden keine halben Sa-chen gemacht.

Der Mampe-Elefant ist auch eines der Exponate im Werbefigurenmuseum. Hier findet sich auch ein passender Slogan aus den 70er-Jahren.

Mampe ist ein Kräuterlikör »aus der guten alten Zeit«. Lange Zeit war er untergetaucht und kaum zu finden. Nun erlebt Mampe seinen zweiten Frühling und er-freut die Fans der Kräuterliköre. Mampe hat einen einzigartigen, bitter-süßlichen Geschmack, der durch die Herstellung aus Bitter-Orangen resultiert. Durch diese Eigenschaften ist er ein idealer Digestif, der also am besten nach einem feinen Essen wohl ge-kühlt serviert wird.— spirituosenworld.de— werbefiguren-museum.de

Marken-Portrait — Mampenkriege

Foto

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Hertha mal obenauf

»Geh zu mampe, gieß Dir einen auf die Lampe. kannste

doppelt sehn, brauchst nicht zu ruhnke gehn.« (ruhnke

war ein Berliner optiker) — Berliner Volksmund