Gesellschaft Die neue Patchwork- Religion · 54 schweizer illustrierte Die neue Patchwork-Religion...

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54 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE Die neue Patchwork- Religion Jeder glaubt, was er will! Passend zur individualisierten Gesellschaft suchen die Schweizer den Sinn des Lebens, wo sie wollen und wenn sie Zeit haben. Bibelkurse und Seminare zu «Feld-Wald-Wiesen»-Spiritualität boomen. Text STEPHANIE RINGEL Fotos FABIENNE BÜHLER D ie Osterbotschaft ist nichts für schwache Nerven. An Karfreitag wurde vor knapp 2000 Jahren im Alter von 35 Jahren ein Mann namens Jesus ans Kreuz genagelt. Nach seinem qualvollen Sterben beerdigten ihn seine Jünger in einem Steingrab. Am dritten Tag, also Sonntagmorgen, ereignet sich das Wunder der Auferstehung. Je nach Schrift bezeugen das Maria Magdalena (Johannes-Evangelium) oder eine Grup- pe von Frauen (Lukas-Evangelium). «Ich finde Ostern toll», sagt Silke Weinig. «Die Idee der Auferstehung ist unglaublich hoffnungsvoll!» Die 41-Jäh- rige lebt mit ihrem Mann in Winterthur, arbeitet als Managerin in einer Soft- warefirma und verantwortet Unterneh- mens-Kooperationen. Die Feiertage be- deuten ihr «Erneuerung und Aufbruch». Obwohl sie schon lange keinen Gottes- dienst mehr gefeiert hat, geschweige denn als getaufte Katholikin in den letz- ten Jahren in einem Beichtstuhl sass. Dabei ist sie christlich geprägt. Glaube spielte seit Kindertagen in ihrer Familie eine grosse Rolle. Im Religionsunterricht lernte sie, wie unterschiedlich die Welt- religionen die Frage beantworten: Was ist eigentlich der Sinn des Lebens? Die erste Abzweigung vom klassi- schen Weg führte Silke Weinig im Geo- grafie-Studium direkt in ein Yoga-Semi- nar. Dort lernte sie den Einklang von Körper, Geist und Seele und spürte: «Da kommt man wieder näher zu sich selbst.» Die zweite Abzweigung nahm sie 2008. Es sei krankheitsbedingt nicht ihr bes- tes Jahr gewesen. Krisen provozieren. Weinig wollte wissen: «Gibt es Dinge, die unser Leben beeinflussen und die mit dem Verstand nicht zu erklären sind?» Sie beginnt Meditation, besucht Schamanismus-Abende, probiert Aku- punktur und stellt ihre Ernährung um. Das Ziel steckt sie hoch: «Als ganzheit- licher Mensch wachsen.» Weder die römisch-katholische noch die reformierte Kirche boten zu- letzt überzeugende Lösungen für Men- schen wie Silke Weinig. Zwar gibt es in der Schweiz laut Bundesamt für Statis- tik 2,4 Millionen Reformierte und rund 3 Millionen Katholiken. 2010 traten aber allein im Kanton Zürich aus beiden Lan- deskirchen 11 099 Mitglieder aus. Liegt das am «Bodenpersonal» in den Gemein- den und seinen als verstaubt wahrge- nommenen Regeln? Der berufstätige, freiheitsliebende Mensch schläft am Sonntagmorgen eben gerne aus. In der Messe kann die kritische Kirchgängerin auch nicht aufstehen und zum Pfarrer sagen: «Entschuldigung, Ihre Predigt ist interessant, aber ich sehe das anders. Können wir das diskutieren?» GESELLSCHAFT

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Die neue Patchwork-ReligionJeder glaubt, was er will! Passend zur individualisierten Gesellschaft suchen die Schweizer den Sinn des Lebens, wo sie wollen und wenn sie Zeit haben. Bibelkurse und Seminare zu «Feld-Wald-Wiesen»-Spiritualität boomen.

Text Stephanie RingeL Fotos Fabienne bühLeR

D ie Osterbotschaft ist nichts für schwache Nerven. An Karfreitag wurde vor knapp 2000 Jahren im

Alter von 35 Jahren ein Mann namens Jesus ans Kreuz genagelt. Nach seinem qualvollen Sterben beerdigten ihn seine Jünger in einem Steingrab. Am dritten Tag, also Sonntagmorgen, ereignet sich das Wunder der Auferstehung. Je nach Schrift bezeugen das Maria Magdalena (Johannes-Evangelium) oder eine Grup-pe von Frauen (Lukas-Evangelium).

«Ich finde Ostern toll», sagt Silke Weinig. «Die Idee der Auferstehung ist unglaublich hoffnungsvoll!» Die 41-Jäh-rige lebt mit ihrem Mann in Winterthur, arbeitet als Managerin in einer Soft-warefirma und verantwortet Unterneh-mens-Kooperationen. Die Feiertage be-deuten ihr «Erneuerung und Aufbruch».

Obwohl sie schon lange keinen Gottes-dienst mehr gefeiert hat, geschweige denn als getaufte Katholikin in den letz-ten Jahren in einem Beichtstuhl sass. Dabei ist sie christlich geprägt. Glaube spielte seit Kindertagen in ihrer Familie eine grosse Rolle. Im Religionsunterricht lernte sie, wie unterschiedlich die Welt-religionen die Frage beantworten: Was ist eigentlich der Sinn des Lebens?

Die erste abzweigung vom klassi-schen Weg führte Silke Weinig im Geo-grafie-Studium direkt in ein Yoga-Semi-nar. Dort lernte sie den Einklang von Körper, Geist und Seele und spürte: «Da kommt man wieder näher zu sich selbst.» Die zweite Abzweigung nahm sie 2008. Es sei krankheitsbedingt nicht ihr bes-tes Jahr gewesen. Krisen provozieren. Weinig wollte wissen: «Gibt es Dinge, die unser Leben beeinflussen und die mit dem Verstand nicht zu erklären sind?» Sie beginnt Meditation, besucht

Schamanismus-Abende, probiert Aku-punktur und stellt ihre Ernährung um. Das Ziel steckt sie hoch: «Als ganzheit-licher Mensch wachsen.»

Weder die römisch-katholische noch die reformierte Kirche boten zu-letzt überzeugende Lösungen für Men-schen wie Silke Weinig. Zwar gibt es in der Schweiz laut Bundesamt für Statis-tik 2,4 Millionen Reformierte und rund 3 Millionen Katholiken. 2010 traten aber allein im Kanton Zürich aus beiden Lan-deskirchen 11 099 Mitglieder aus. Liegt das am «Bodenpersonal» in den Gemein-den und seinen als verstaubt wahrge-nommenen Regeln? Der berufstätige, freiheitsliebende Mensch schläft am Sonntagmorgen eben gerne aus. In der Messe kann die kritische Kirchgängerin auch nicht aufstehen und zum Pfarrer sagen: «Entschuldigung, Ihre Predigt ist interessant, aber ich sehe das anders. Können wir das diskutieren?»

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Die Gründe für Kirchenaustritte sei-en so komplex wie unsere Gesellschaft, erklärt Ralph Kunz, Professor für Theo-logie an der Universität Zürich. «Wir se-hen eine wachsende Tendenz zur ‹wil-den› Religiosität, die sich ausserhalb der Kirche etabliert.» Ausgehend davon wird Spiritualität sogar als Forschungsthema immer wichtiger. Unter Religionen wie Christentum, Judentum, Islam oder Hinduismus versteht man die Glaubens-gemeinschaften. Religiöse Menschen orientieren sich an gemeinsamen Regeln und Überlieferungen.

Spirituell sein bedeutet dagegen, frei zu fragen: Woher komme ich? Warum lebe ich? Warum bin ich eigentlich glück-lich? «Die Sehnsucht nach dem Göttlich-Spirituellen ist ein Megatrend», betont Ralph Kunz. Anzeichen dafür gibts dutzendfach. Da führt die politische Wochenzeitung «Die Zeit» plötzlich eine neue Rubrik «Glauben & Zweifeln» ein.

Die Agentur C schaltet in Gratistageszei-tungen grosse Anzeigen mit Bibelzitaten. Fernando Heynen, Hockeyspieler beim EHC Visp, lässt sich in einer Kirche foto-grafieren und spricht ausführlich übers Beten. Mister-Schweiz-Kandidat Nicolas Scandamarre gibt als Lieblingsthema «Religion und Spiritualität» an.

Allerdings sind das Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was in diesen Tagen an Schweizer Kiosken passiert. Zwischen Zeitschriften wie «Praline», «Auto Motor und Sport» und «Brigitte» steckt seit letzter Woche ein neues Ma-gazin. Es heisst «Das Neue Testament», kostet CHF 16.50, Titelgeschichte der ersten Ausgabe: «Damit ihr Hoffnung habt» aus dem Petrusbrief. 242 Seiten, nur fünf Bilder, dafür viel Text, und zwar die Evangelien, die Apostelgeschichte, Briefe und die Offenbarung.

Ach du lieber Gott, könnte man sagen. Jetzt verlässt auch noch die Hei-

lige Schrift den Altar und drängt auf den freien Markt der Spiritualität, raus aus ihrem Korsett von kirchlicher Liturgie!

«In der Gesellschaft lässt sich ein wachsendes Interesse an nicht institu-tionalisierten, gemeinschaftsunabhän-gigen Angeboten feststellen. Vorträge über «Heilung», Wanderungen zu «Orten der Kraft» oder Bücher über Engel sind Beispiele dafür, schreibt Dorothea Lüd-deckens in ihrem unlängst erschienenen Buch «Fluide Religion». Suchen wir uns also zusammen, was uns passt, und bas-teln uns unsere eigene Heilslehre? Ent-stehen neue Patchwork-Religionen, in denen sich der Glaube an Gott und der Glaube an die Heilkraft von Rosenquarz nicht ausschliessen?

uBuddha, Gott, Laden-Seelsorge Seit zehn Jahren bietet das Medita-tionszentrum Beatenberg im Kanton Bern Vipassana-Meditationskurse an.

«Näher bei sich selbst» Silke Weinig praktiziert seit knapp 20 Jahren Yoga. Sie will als «ganzheitlicher Mensch» wachsen.

«Wald-und-Wiesen- Spiri tualität» Das Kloster Kappel ZH passt sich dem Trend an und bietet Kurse zu Spiritualität an. Pfarrer Markus Sahli sagt: «Uns kann nichts Besseres passieren, als dass die Menschen so die Schöpfung wieder entdecken.»

High Heels und Seelsorge Pfarrer

Johnson Eliezer- Jensen hat die Kanzel gegen den Ladentisch

vertauscht. Kunden suchen in seiner Bou-tique CPH im Zürcher

Niederdorf neben Kleidern immer öfter

geistlichen Zuspruch.

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Gesellschaft

11 099Allein 2010 sind im

Kanton Zürich 6161

Katholiken aus ihrer

Kirche ausgetreten. Aus

der reformierten etwas

weniger: 4938. Macht

zusammen: 11 099.

Zentrumsleiter Fred von Allmen sagt: «Wir ermöglichen in geschütztem Rah-men eine tief greifende Herzens- und Geistesschulung.» Die Seminare wur-zeln im Buddhismus und sollen den Men-schen helfen, seelisch zu wachsen. Es geht daher im Lehrplan vor allem um buddhistische Inhalte. Seit zwei Jahren erlebt Fred von Allmen eine zunehmen-de Nachfrage nach Kursen wie «Liebe-volle Güte», «Achtsamkeit» oder «Um-gang mit schwierigen Gefühlen». Die Teilnehmer sind im Schnitt 40 Jahre plus. «Sie spüren plötzlich, dass es mehr geben muss als das Streben nach Geld und persönlicher Freiheit. Ihnen fehlt oft jede Verbindung zu Gefühlen und inneren Werten», sagt er.

Eine ähnliche Erfahrung macht Rachel Stoessel. Als Geschäftsführerin von Alphalive weiss sie, dass erlebnis-orientierte Bibelkurse in sind. Die inter-nationale Einrichtung wird in der Schweiz von Christen aus allen Kirchen unterstützt. Sie bietet jährlich 500 Kur-se in der gesamten Schweiz an. An zehn Abenden lernt man den christlichen Glauben kennen. Kursorte sind Restau-rants, Jugendgruppen, Privat- oder Schulhäuser, auch Kirchen. Rachel Stoessel sagt: «Bei uns melden sich im-mer mehr Atheisten an.» Das Durch-schnittsalter ist mit 36 Jahren tief. Vom Arbeiter bis zum Akademiker ist jede Gesellschaftsschicht vertreten.

Was Johnson Eliezer-Jensen macht, hat nichts und gleichzeitig alles mit

Religion und Spiritualität zu tun. Der gebürtige Inder ist 22 Jahre als refor-mierter Pfarrer tätig, während seine Frau Mette in Bern die dänische Kleider-boutique CPH betreibt. Vor drei Jahren steigt er aus dem aktiven Pfarrdienst aus und in einen Ableger von CPH in Zürich ein – inspiriert von der Geschichte über die Israeliten, die in die Wüste zogen und darauf vertrauten, dass Gott sie auch dort versorgt. Tauscht Kanzel gegen Ladentisch und merkt doch bald, dass er zwischen Blusen, Hosen und Schuhen mehr geistlicher Gesprächspartner ist als je zuvor. Manchmal reicht ein «Wie geht es Ihnen?», eine Freundlichkeit, die übers reine Verkaufen-Wollen hinaus-geht. Sogar Konsum braucht Seele, Herz, Ehrlichkeit. Eliezer-Jensen sagt es anders: «Ich stelle fest, dass die Men-schen Antworten suchen.» Da kommt die Mutter in den Laden und berichtet bald von den Problemen mit ihrer Tochter. Die Mathematikerin fühlt sich leer, und als sie im Gespräch heraus-findet, dass Eliezer-Jensen Pfarrer ist, fordert sie ihn als Seelsorger und nimmt seinen Rat an, die biblischen Psalmen zu lesen.

Die Bibel sei in erster Linie eine Sammlung von Geschichten, sagt Elie-zer-Jensen. «Geschichten, an denen man die Antwort auf die Frage nach dem Sinn und Ziel der eigenen Existenz und der Welt ablesen kann.» Er hat keine Bibel auf dem Verkaufstisch liegen. Aber die richtigen Zitate im Kopf, falls er gefor-dert wird. Und das ist keine abgeklärte Strategie für bessere Verkaufszahlen.

uDie Macht der Zahlen Ist die ganze Patchwork-Bewegung überhaupt messbar? Mit Zahlen und Daten ein-deutig beweisbar? Der Buchmarkt für religiös-spirituelle Fach literatur läuft je-denfalls glänzend. Hape Kerkelings Wan-derbuch über den Jakobsweg, «Ich bin dann mal weg», hat sich seit 2006 über vier Millionen Mal verkauft. Papst Bene-dikt XVI. hat in schneller Folge die Bücher «Licht der Welt» und «Jesus von Nazareth» veröffentlicht. Beide Werke schossen sofort auf Platz 1 der «Spiegel»-Bestsellerliste. Der Schweizer Theologe Hans Küng hält sich mit seinem «Ist die Kirche noch zu retten?» seit Wochen unter den ersten 20, zusammen mit Titeln wie «Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?» oder «Glück kommt selten allein».

Jörg Stolz, Religionssoziologe an der Universität Lausanne, hat Religiosität in der modernen Welt im Rahmen des na-tionalen Forschungsprogrammes NFP 58

untersucht. Er stellt fest: «Die Gesamt-entwicklung deutet bis jetzt eher in Richtung einer weiteren Distanzierung von Religion hin zu Religionslosigkeit.» Jedes Jahr sterben mehr Reformierte, als geboren werden, im Jahresdurch-schnitt macht das 10 000 Reformierte weniger – ein grosses Dorf. Aber seine Untersuchung bestätigt auch: Institutio-nelle Religiosität wird bei manchen Men-schen von alternativer Spiritualität abgelöst. Im Schlussbericht des NFP 58 ist gar die Rede von «einer spirituellen Revolution». Anstatt für Rosenkranz und Weihwasser würden diese Menschen sich in Zukunft für heilende Kristalle interessieren, Bewegungstherapien und Naturrituale praktizieren. Ein Schrei- Seminar in italienischen Olivenhainen wirkt dann nicht mehr nur lächerlich.

uDie Lust auf neue Angepasstheit Die Landeskirchen haben das längst be-griffen und folgen diesem Trend. Christ-liche Seelsorge in der Gemeinde und im Spital, Familienbetreuungen, Dienste für sozial Benachteiligte bleiben ihr typisches Handlungsfeld. Darin sind die Mitarbeiter kompetent und genies-sen Wertschätzung. Überraschend ist das Seminarprogramm: Das Lassalle-Haus, jesuitische Bildungseinrichtung in Bad Schönbrunn ZG, bietet neben klassischen Exerzitien und Kontem-plation auch «Lichtheilung», «Yoga- Aufbau» und «Zen-Meditation» an. Die Nachfrage ist gross. 40 Leute können die Einführungskurse be suchen. Sie seien seit geraumer Zeit immer gut aus-gebucht, sagt Pressesprecherin Andrea Zwicknagel.

Gleiches bestätigt Pfarrer Markus Sahli, theologischer Leiter des refor-mierten Klosters Kappel. Er hat das Dreimonatsprogramm des Bildungshau-ses unter das Thema «Natur und Spiri-tualität» gestellt. «Unsere traditionell-christlichen Kurse erreichen noch knapp die Teilnehmergrenze. Ein Kurs zu Feld-Wald-Wiesen-Spiritualität ist kein Pro-blem», sagt Sahli. Klostertage, Rückzug auf Zeit, Angebote für Sinnsuche stossen auf wachsendes Interesse. «Uns kann als Landeskirche nichts Besseres passieren, als wenn die Menschen auf diesem Weg die Schöpfung wieder als Schöpfung entdecken!»

Einen ähnlichen Erfolg erlebt die Bäuerinnenschule im Kloster Fahr bei Zürich. Während sechs Monaten lernen junge Frauen Haushaltsführung, Garten-bewirtschaftung, Ernährungslehre und Produkteverwertung. Zweimal pro Wo-che nehmen sie an den Gebetszeiten

uBuddhismus: Meditationszentrum Beatenberg, www.karuna.chuReformierte Kirche: Kloster Kappel in Kappel am Albis ZH, www.klosterkappel.chuKatholische Kirche: Lassalle-Haus, www.lassalle-haus.chuKloster-Tage: Kloster Fahr, www.kloster-fahr.chuBibelkurse: Alphalive, www.alphalive.ch

Kurse, KLoster & co.

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der Benediktinerinnen teil. Fast 10 000 Franken kostet die Internats-Ausbildung im Kloster. Freie Plätze gibt es erst wie-der nächstes Jahr. Priorin Irene erzählt, dass in die Klosterschule nicht nur ange-hende Bäuerinnen kommen. Sie hätten immer öfter Verkäuferinnen, Floristin-nen oder Studentinnen, die bei den Schwestern ihre spirituellen Wurzeln suchen. «Wir bieten Werte, die gesucht werden. So Alltägliches wie zusammen essen, lernen, arbeiten.»

Spiritualität als Lebensinhalt ist keine Revolution. Aber für die Masse der Menschen ist dieser Weg neu. Silke Weinig, die Katholikin, Yoga-Lieb-haberin, Schamanismus-Interessierte, sagt: «Ich bin noch nicht da, wo ich sein will. Aber ich nähere mich meinen Träumen.» Fragen wie Karrierekick und Neuanfang oder Familie und Beständig-keit bleiben wichtig, sind aber nicht fundamental. Ostern feiert sie mit Mann, Eltern und Bruder in New York. Und im Sommer möchte sie Etappen des Jakobspilgerwegs in der Schweiz wandern. «Wo Menschen mit Hoffnun-gen sind», sagt sie lächelnd, «gibt es immer gute Energie.»

u «Ich wusste nicht, wie Glauben geht»

Lars Kloth, Sie haben einen Bibelkurs belegt. Warum?Er war Teil meines Weges zu-

rück in die Kirche. Bibel lesen ohne Erklärung frustriert. Ich wollte verstehen, wie ich die Texte aus heutigem Verständnis interpretieren kann. Nun lesen Sie regelmässig?Selten. Wenn, dann die Psalmen. Da ich als Lektor aktiv bin, beschäftige ich mich trotzdem mit Bibelzitaten, damit ich den Text gut wiedergeben kann.Wie sieht Ihr Alltag als Christ aus?Jeder kann für sich alleine den Dialog mit Gott führen. Mir reicht das nicht. Ich gehe jeden zweiten Sonntag in die Kirche. In der Gruppe spüre ich den Heiligen Geist. Feste Gebetszeiten

halte ich nicht ein. Aber ich bedanke mich kurz, wenn etwas Schönes pas-siert oder ich das Gefühl habe, Gott lenkt meinen Weg. Ich habe Ökonomie studiert, schnell und erfolgreich. Eine Prüfung habe ich nie bestanden. Da half alles nichts, Zusatzkurse, Lern-gruppen – hoffnungslos. Es war mein erstes grosses Scheitern, sehr schmerz-haft. Schliesslich wechselte ich in die Wirtschaftsinformatik. Heute weiss ich: Es sollte nicht sein, es war ein Zeichen, einen anderen Weg zu gehen.Was sagt Ihre Familie? Sie sind evangelisch getauft.Meine Eltern waren nicht religiös. Ich wusste gar nicht, wie Glauben geht. Heute sagen sie zu mir: Toll, dass du dazu stehst! Ich habe

Erst reformierter Christ, dann Atheist. Heute engagiert sich Lars Kloth als katholischer Lektor in seiner Gemein-de. Hier erklärt er, warum es Rituale und Religion braucht.

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«Ich wusste nicht, wie Glauben geht»erst jetzt entdeckt, dass meine Gross­mutter begeisterte Kirchgängerin war, aber ihr Mann davon nichts hielt. Jetzt ist sie Witwe. Wenn ich sie besuche, gehen wir gemeinsam in die Messe.Warum sind Sie konvertiert?Es fing mit der Konfirmation an. Meine Mitschüler besuchten den Vorberei­tungskurs. Viele wussten nicht, was das sollte. Ich war nicht in der Stim­mung, zu machen, was alle machen. Und entschied: Das ist nichts für mich. Ich fand, Religion beeinflusst meinen freien Willen. Später, im Wirtschafts­studium, war ich eher materiell orien­tiert. Ich dachte, schnell viel Geld verdienen sei ein guter Weg. Und dann zogen Sie aus Norddeutsch-land in die Schweiz.Vielleicht hat der Umzug bewirkt, dass ich mehr Fragen gestellt habe: Was ist mein Weg? Was ist der Zweck des Lebens. Einmal habe ich mich in einen

katholischen Gottesdienst geschlichen, nichts begriffen …… und trotzdem Feuer gefangen?Testhalber war ich auch bei den Reformierten. Beides ist eine Momentaufnahme. Aber die Katho­liken sind verbindlicher im Ritus, das gefiel mir. Ein einwöchiger Kloster­aufenthalt brachte die Entscheidung. Die Mönche lebten ihren Glauben überzeugend. Die Bibel ist ein Gerüst. Interessant ist erst, wie man ihre Inhalte im Alltag umsetzt. Ich glaube zum Beispiel an Leben nach dem Tod, habe deshalb weniger Angst zu sterben und weiss mich in guten Händen. Katholizismus steht auch für sexfreies Leben vor der Ehe, für Zölibat …… grundsätzlich sind das wichtige Wertaussagen. Aber die müssen auf die Lebenswirklichkeit übertragen werden. Stichwort Verhütung: Natürlich ist sie

wichtig! Man sollte nur so viele Kinder zeugen, wie man ernähren kann.Ihr Lieblings-Bibelzitat?Markus 8, Vers 36: «Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüsst?» Ich möchte bewusst ge stalten, wie ich lebe.

Lars Kloth ist Wirtschaftsinformatiker. Er liebt Reisen, Zigarrenrauchen und Schwimmen. Der 36-jährige Single lebt in Thalwil ZH.