GESELLSCHAFT Die wundersame Reise des José Alvarenga · Bei José Alvarenga, damals noch 36 Jahre...

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Chocohuital, Costa Azul, Mexiko: Hier ist José Alvarenga im November 2012 losgefahren. Die Hütten der Fischer stehen direkt am Strand, zwischen den Mangroven FOTOS: YURI CORTEZAFP; AP Er fährt aufs Meer hinaus und verschwindet. 14 Monate später strandet er auf einer Insel im Nichts. Eine Geschichte über Lebenswillen und die Macht des Schicksals Die wundersame Reise des José Alvarenga Von Norbert Höfler und Alexandra Kraft GESELLSCHAFT

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Page 1: GESELLSCHAFT Die wundersame Reise des José Alvarenga · Bei José Alvarenga, damals noch 36 Jahre alt, stieg Ezequiel Córdoba, 22, mit ins Boot. Zu viel Nordwind, die Männer sollten

Chocohuital, Costa Azul, Mexiko: Hier ist José Alvarenga im November 2012 losgefahren. Die Hütten der Fischer stehen direkt am Strand, zwischen den Mangroven

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Er fährt aufs Meer hinaus und verschwindet. 14 Monate später strandet er auf einer Insel im Nichts. Eine Geschichte

über Lebenswillen und die Macht des Schicksals

Die wundersame Reise des José Alvarenga

Von Norbert Höfler und Alexandra Kraft

GESELLSCHAFT

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Nordpazifik

Südpazifik

NORD -AMERIKA

ASIEN

Marshall-inseln

Ebon-Atoll

Chocohuital,Costa Azul,

Mexiko

2000 km

SÜD -AMERIKA

AUSTRALIEN

warmeStrömung

kalteStrömung

vermuteteRoute

Nach 14 Monaten auf dem Ozean war sein Boot schon lange mit dem Leben im Meer verwachsen. Muscheln klebten am Rumpf, Algen und Seegras lockten die vorbeiziehenden Fische und Schildkrö-

ten an. Es war eine kleine schaukeln-de Welt für sich. Sie ernährte ihn.

Manchmal ruhte sich ein er- schöpf ter Zugvogel auf der Boots-kante aus. So auch an diesem beson-deren Tag. Ganz langsam, ganz ruhig kroch der Mann im Boot an ihn heran. Er schnappte den Vogel mit den Händen, riss ihm den Kopf ab und trank sein Blut. Dabei legte er seinen Kopf weit zurück in den Nacken, und auf einmal sah er: Land.

Zum ersten Mal seit 435 Tagen.Erst schwamm er, dann watete er.

Die Korallen im Wasser schnitten in seine Füße. Auf dem Trockenen sackte er zusammen. Saß da. Stöhn-te nur „Gott, o Gott, o Gott.“ Und schlief ein. Am nächsten Morgen schleppte er sich über eine Sand-bank zur nächsten Insel. Dort end-lich traf er Menschen.

Ola Fjeldstad, ein Anthropologie-student aus Norwegen, der im Süd-pazi!k auf Forschungsreise ist, war einer der Ersten, der dem Mann aus dem Meer begegnete. Haare und Bart des Mannes waren !lzig, seine Haut war ledrig und rot, bis auf eine zerschlissene Unterhose war er nackt. Der Bärtige sprach nur Spa-nisch. Ola verstand ihn trotzdem. Der Mann sagte, er heiße José Sal-vador Alvarenga, er komme aus Mexiko. Er sei seit sehr langer Zeit allein auf See gewesen. Der Norwe-ger holte Hilfe. Die Inselbehörden schickten ein Schi"f. Gut 20 Stunden später erreichten sie Majuro, die Hauptstadt der Marshallinseln im Pazi!schen Ozean.

Aus Dankbarkeit für seine Ret-tung schenkte José Alvarenga dem Studenten sein Boot, das später auf dem Ebon-Atoll der Marshallinseln an Land getrieben war. An Bord lagen Schildkrötenpanzer, Fischgrä-ten und eine große blaue Kunst-sto""kiste. Das Boot heißt „Cama-roneros de la Costa“. Auch eine Registriernummer ist zu erkennen: 0701343713-3. Später fanden die Behörden heraus, dass Name und Zi"fernfolge zu einem verschollenen

Kahn aus einem Fischerdorf in Mexiko passen.

Hilary Hosia, Fotograf der lokalen Zeitung der Marshallinseln, hat die Ankunft des Schi""brüchigen doku-mentiert. Er erlebte auch dessen Verwandlung, als ihm im Kranken-haus von Majuro Haare und Bart geschnitten wurden. „José wollte einen Schnitt, wie ihn die jungen Inselbewohner tragen. Das war ihm ganz wichtig.“

Die wundersame Reise des José Alvarenga begann vor über einem Jahr, am 21. November 2012 im Dorf Chocohuital, Costa Azul, an der me-xikanischen Pazi!kküste. Die Fi-scher hier arbeiten für eine Fische-reikooperative, der auch die Boote gehören: o"fene Kähne aus Fieber-glas, etwa sieben Meter lang mit 75 PS starken Außenbordmotoren von Yamaha. Dazu ein kleines Hand-funkgerät, das 100 Kilometer weit sendet, und ein tragbares GPS zur Navigation. Die Fischer kennen die Macken der alten Geräte, sobald sie feucht werden, fallen sie aus. An Bord ist immer auch eine große

Die Meeresströ-mungen passen zu den Schilde-rungen des Schi!brüchigen – auf dieser Route könnte sein Boot ge-trieben sein

Mit kleinen Schritten an

Land: José Alvarenga, 37,

wird von Sanitä-tern gestützt. Seine Knöchel

sind geschwol-len, wohl durch

die lange Zeit im Boot und die starke Sonne

„Wenn es regnete – oh, wie glück lich war ich! Ich habe die Zeit vergessen. Ich habe daran gedacht, mich um zubringen“

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Thermokiste aus Kunststo!f, gefüllt mit gehacktem Eis, um damit den Fang frisch zu halten. Sie ist 1,50 Me-ter lang, einen Meter breit und hoch. Wenn die Männer Schutz vor Regen oder Sonne suchen, klettern sie in die Kiste, unter den Deckel. Mit Netz und Haken fangen sie Thun"sch, Doraden und manchmal auch Haie. Das Pfund bringt rund 25 Pesos, etwa 1,40 Euro. Die Fischer arbeiten immer zu zweit. Bei José Alvarenga, damals noch 36 Jahre alt, stieg Ezequiel Córdoba, 22, mit ins Boot.

Zu viel Nordwind, die Männer sollten im Hafen bleiben, hieß es an diesem Tag. Aber José hörte nicht. Um kurz vor ein Uhr mittags zog er am Startseil des alten Motors, eines der etwas moderneren Boote bekam er nicht, dafür war seine Ausbeute nicht gut genug. 250 Liter Benzin und 20 Liter Trinkwasser nahm er mit. Ein Messer hatte er lässig in den Bund seiner kurzen Hose gesteckt. Ezequiel Córdoba saß vorne.

Bellarmino Rodríguez, der Chef der Kooperative, versuchte noch, die beiden aufzuhalten und rief José zu:

„Bleib hier, du musst nicht raus! Geh morgen!“ Aber der bekreuzigte sich nur, blickte auf den Strand mit sei-ner Hütte, dem Mangrovenbaum und tuckerte los. „Bis später!“

Drei Boote gerieten an jenem Tag in Seenot. Eines wurde am nächsten Tag gerettet. Eins blieb für immer verschollen. Und eins taucht 14 Mo-nate später und 10 000 Kilometer westlich auf einem der abgelege-nen Pazi"k-Atolle der Marshall-inseln wieder auf.

Bellarmino Rodríguez erinnert sich noch an den letzten Funk-spruch von Alvarenga: „Mein Motor läuft nicht mehr. Schickt mir Hilfe, wenn ihr könnt. Wenn ihr nicht könnt, ich komme zurecht.“ Die Fischer von Chocochuital kennen das ungeschriebene Gesetz: Wenn ein Boot nicht zurückkommt, wird acht Tage lang gesucht. Danach gilt es als verloren.

Was in den vielen Monaten auf dem Boot passiert ist, weiß nur José Alvarenga. Dem stern erzählt er, wie ein „normaler Tag“ für ihn war. Er spricht leise, langsam, sucht nach

Worten: „Ich lag im Boot und war-tete auf Vögel. Manchmal hörte ich auch ein Geräusch. Es machte tump, tump, tump am Boot. Erst war ich erschrocken. Dann lugte ich über die Kante und sah eine Schildkröte. Ja, eine Schildkröte! Ich langte runter und zog sie aus dem Wasser. So habe ich viele Schildkröten gefangen. Wie viele, weiß ich nicht mehr. Wenn es regnete, habe ich frisches Wasser im Rumpf des Bootes gesammelt. Ich bin in die Kiste gekrochen, um mich vor starkem Regen und der Sonne zu schützen.“

Auch eine Woche nach seiner Rettung "ndet sich José Alvarenga in der Welt an Land noch nicht rich-tig zurecht. Bei Daten und Namen kommt er oft durcheinander. Auf Fragen von Ärzten, von Behörden oder Journalisten antwortet er nur kurz. Es strengt ihn an.

Der Tod des Kameraden„Mein Kamerad Ezequiel hat auch versucht, Schildkrötenblut zu trin-ken. Aber er musste sich übergeben. Er hielt sich die Nase zu beim Essen, wegen des Geruchs. Ich habe ihm geholfen. Ich weiß nicht, ob er nicht essen wollte, nicht konnte oder ob sein Körper es nicht vertrug. Ich weiß es nicht. Er wurde krank. Er starb. Ich habe seinen Körper nach fünf Tagen ins Meer geworfen. Was hätte ich sonst machen sollen?“

Zum Überleben "ng er auch kleine Fische. „Ich tauchte meine Hände ins Wasser und bewegte die Finger auf und ab. Damit habe ich die Fische angelockt. Ich konnte sie dann schnappen. Ich habe Regen-wasser gesammelt, und wenn keines da war, meinen Urin getrunken. Wenn es regnete – oh, wie glücklich war ich! Ich habe die Zeit vergessen. Wusste nicht mehr, welcher Tag gerade war. Nur die Tageszeit. Son-nenaufgang. Sonnenuntergang. Ich habe daran gedacht, mich umzu-bringen. Aber ich hatte Angst davor.“

Stimmt seine Erzählung, ist José Alvarenga der erste Schi!!brüchige, der es allein auf o!fener See so unfassbar lange ausgehalten hat. Gut 14 Monate. 4

Nach dem Friseurbesuch kam Alvarenga zunächst wieder ins Kranken-haus. Er leidet unter Dehydrie-rung und ver-mutlich Skorbut

„Wenn es regnete – oh, wie glück lich war ich! Ich habe die Zeit vergessen. Ich habe daran gedacht, mich um zubringen“ José Alvarenga

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Eine ähnlich qualvolle Reise erlit-ten im Jahr 2005 fünf Fischer, eben-falls aus Mexiko. Sie waren in ihrem Boot nach Westen getrieben, fast auf dem gleichen Kurs wie José Alvaren-ga. Nach neun Monaten wurden sie von einem taiwanesischen Trawler 200 Meilen östlich der Marshall-inseln aus dem Pazi!k geborgen. Drei der fünf hatten überlebt. Auch sie berichteten, dass sie Seevögel gefangen und Schildkrötenblut getrunken hatten.

José Alvarenga war allein auf dem Meer. In einer Welt, die nur Sonne und Sterne kennt, nur den Horizont und die Himmelsrichtungen. Er hatte keine Ahnung, wo er sein könnte. Sein Boot konnte er nicht steuern. Er war machtlos. Wie Treib-gut. Wie scha"ft man das, 14 Mona-te lang? Wie viel Einsamkeit kann ein Mensch ertragen, ohne verrückt zu werden? Wie lange die Ohnmacht aushalten, ohne sich etwas anzu-tun?

José sagt, er habe sich mit den Ge-danken an seine Frau geklammert. Und an seine Tochter, die er zuletzt als Baby gesehen hatte. Er habe sich

immer wieder vorgestellt, wie es wäre, mit ihnen zusammen Tortil-las zu essen. Sein Körper, seine See-le, seine Nerven – José Alvarenga muss ein starker Mensch sein.

Er sei schon immer ein Sonderling gewesen, sagen seine Freunde, die Fischer von Chocohuital. Einer, der wenig redet und viel isst – ohne da-bei wählerisch zu sein. „La Chancha“, das Schweinchen, haben sie ihn des-wegen genannt. Ihm hat das nichts ausgemacht.

Vor 13 Jahren war José aus Garita Palmera, El Salvador, in die mexika-nische Provinz Chiapas gekommen. Er hatte seine Frau mit dem gemein-samen Baby zurückgelassen und wollte eigentlich in die USA weiter-ziehen, so wie sein Bruder. Aber der junge Vater, der schon Clown und Feuerschlucker gewesen war, kam nicht weiter nach „America“ und blieb im Dorf hängen. Er wurde Fischer, eine andere Arbeit gab es hier nicht für ihn, der illegal im Land war. Aber es reichte ihm zum Überleben. „Er war nicht der Flei-ßigste“, sagt Bellarmino Rodríguez, Chef der Fischereikooperative. Der

66-Jährige zeigt, was von der Hütte, in der José Alvarenga gewohnt hat, übrig ist: ein Trümmerhaufen aus Latten und Palmwedeln, gleich unten am Strand. Meist habe Alvarenga auf dem Betonboden ge-schlafen. In einen Tisch hat er einen Namen geschnitzt: „Paola“. Viel-leicht war sie für José der Grund zum Bleiben?

Zaubertrank SchildkrötenblutEin paar Schritte von Josés Hütte entfernt schaukeln unter einem Wellblechdach zwölf Fischer in Hängematten. Einer liegt mit einer Decke über dem Kopf in einer Kühl-kiste. Der Fernseher in der Mitte des Platzes übertönt das Rauschen des Meeres. Fischhälften trocknen in der Sonne, ein gefundenes Fressen für die Fliegen.

Alle paar Stunden ruft Willie an, der Fischhändler aus dem 100 Kilo-meter entfernten Ort Paredón. Wil-lie hat Internet und kann sagen, ob das Meer ruhig genug ist für den nächsten Fischzug. Gibt er sein Okay, klettern die Männer aus den Hängematten und steigen in die Boote. Viele sind sehr jung, manche Teenager.

Ein Greis mit nur noch einem Schneidezahn klaubt Muscheln und Schnecken aus dem Wasser. „Wenn man die mit dem Messer au"bricht und anschneidet, kann man das Blut trinken. Sehr lecker“, sagt Bellarmi-no Rodríguez, der danebensteht. José Alvarenga habe das auch immer getrunken, noch lieber aber das Blut von Schildkröten. „Das ist so schön salzig“, sagt Rodríguez und lächelt. Das Blut helfe außerdem gegen Bronchitis und mache stark. Ein wahrer Zaubertrank. 4

Oben: „Camaro-neros“, das Boot, mit dem der Schi!brüchige verschollen war, am Strand vom Ebon-Atoll, Marshallinseln. Links: die Familie in El Salvador – seine Tochter Fátima, seine Eltern Ricardo und María Julia

Lebensretter: das Messer an Bord. Lebenszeichen: „Amigo, letzte Nacht habe ich mich aus dem Meer gerettet“, schreibt José, als er an Land kommt

Für die Familie ist es ein

Wunder Gottes

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„José hat die Köder für die Fische und sogar Hundefutter gegessen“, sagt Rodríguez. Aber nicht, weil er kein Geld hatte, sondern weil es ihm geschmeckt habe. Wenn jemand so eine lange Zeit auf dem o!fenen Meer überleben könne, dann er.

Stimmt die Geschichte?Trotz der langen Haare und des Bartes haben sie José im Fernsehen sofort erkannt, sagen die Fischer. Wie er da eine Cola-Dose hält und in die Kameras winkt. Einer aus ihrem Dorf im Fernsehen! Eine Sen-sation. Bellarmino Rodríguez trägt seit Tagen einen Ausdruck aus dem Internet in der Hosentasche, das Foto von José nach seiner Rettung. Fischhändler Willie hat es ihm mitgebracht. „Ja, das ist er. Er ist es, er hat es gescha!ft. Ich weiß, dass es stimmt. Ich habe gesehen, wie er an diesem Morgen aufs Meer hinaus-gefahren ist und nicht mehr zurück-kam.“ Außerdem kann man auf den Fotos auch Alvarengas Unterhose sehen. Schwach ist der Schriftzug „Leo Poldo“ zu lesen. Die Marke tragen hier viele Fischer.

Seitdem das erste Foto von José Alvarenga um die Welt ging, rätseln Mediziner, Meeresforscher und See-leute darüber, ob seine Geschichte stimmen kann. Oder ob alles nur ein clever organisierter Betrug ist, ein Märchen, mit dem man Geld ver-dienen kann.

Lothar Stramma, Ozeanograf und Pazi"kexperte des Helmholtz-Zen-trums in Kiel, sagt, dass einiges für die Version des Fischers spreche. „Die Route ist absolut plausibel. Die Meeresströmungen, vor allem der Nordäquatorialstrom, würden zu den Schilderungen passen.“

Der Segler Uwe Röttgering hat den Pazi"k von West nach Ost in 146 Tagen allein auf einer Alumi-niumyacht durchquert. Er sagt: „Wenn man es nicht gerade mit einem Wirbelsturm zu tun be-kommt, halte ich es für gut möglich, dass auch ein einfacher Fischerkahn dort ein Jahr lang übersteht. Der Pazi"k ist ein sehr einsames Meer. Dort unentdeckt zu bleiben, ist nicht unwahrscheinlich. Ich selbst habe über Wochen kein Schi!f ge-sehen.“ Auch auf Röttgerings Schi!f landeten erschöpfte Seevögel. „Ich hatte welche in der Hand. Aber an diesen Tieren ist fast nichts dran. Seevögel sind de"nitiv keine Brat-hähnchen.“ Röttgering sagt, dass er dennoch skeptisch sei.

Mike Tipton, Physiologe an der Portsmouth-Universität in Südeng-land, beschäftigt sich seit Jahren mit Überlebensgeschichten von Schi!f-brüchigen. Er zählt auf, was für die Wahrheit von Alvarengas Geschich-te spricht: Schon eine Wasserration von 200 Millilitern pro Tag erhöhe die Überlebenschancen beträcht-lich. Alvarenga konnte immer wie-der Regenwasser au!fangen. Außer-dem seien Schildkrötenblut und -fett extrem nahrhaft, Fischaugen eine gute Flüssigkeits- und Nähr-sto!fquelle. Der Körper kann den Sto!fwechsel stark reduzieren und kommt so mit 1000 bis 1500 Kalo-rien am Tag aus.

Tipton glaubt, dass der Mann nur überlebt hat, weil er die Einsamkeit auf dem Meer kannte. Der Schock des Ausgesetztseins wäre sonst viel dramatischer gewesen.

Im Krankenhaus der Inselhaupt-stadt Majuro halten sie das Über-leben des Schi!!brüchigen für ein

„medizinisches Wunder“. Für seine Familie ist es ein Wunder Gottes.

In Garita Palmera, seinem Geburtsort in El Salvador, hatten sie José für tot gehalten. Seit Jahren haben sie nichts mehr von ihm ge-hört. Dann kam der Anruf von den Marshallinseln: José lebt.

Im Wohnzimmer ihres kleinen Lehmhauses haben die Eltern die Erinnerungen an den verlorenen Sohn au!bewahrt, Fotos zeigen ihn als jungen Mann. „Die Leute haben gesagt, er sei bei einer Messerste-cherei umgebracht worden“, sagt Ricardo, der Vater. Nun soll seine wundersame Rückkehr gefeiert werden. „Wir machen ein Fest für Gott. Für dieses Geschenk des Lebens!“

Fátima, die Tochter des Schi!f- brüchigen, hat keine Erinnerung an ihren Vater. Die Großeltern haben ihr erzählt, dass er in Mexiko als Fischer arbeiten wollte. Dass ihn das Meer und die Ferne so verzückt hätten.

In seinem neuen Leben will José Alvarenga am liebsten zu seinen Eltern zurückkehren. Auf dem Boot habe er von ihnen geträumt: „Da-von, wie meine Eltern Brot backen. Ich konnte das Brot riechen. So schön! Doch dann wachte ich auf und sah wieder nur den Himmel. Den Himmel und das Meer.“ 2

Bellarmino Rodríguez (r.), Chef der Fische-reikooperative, und die anderen Fischer erfuhren im Fernsehen von José Alvarengas Rettung

Einsam auf der Insel: Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe“ von 1719 erzählt die Geschichte eines Schi!-brüchigen. Der Überlebens-kampf des Menschen in auswegloser Situation wurde zum Grundmo-tiv vieler Bücher und Filme

„Ich habe gesehen, wie er an diesem Morgen aufs

Meer gefahren ist und nicht mehr zurückkam“

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Alexandra Kraft und Norbert Höfler recherchierten in Mexiko und den USA; Merlin Rodríguez in

El Salvador, Hilary Hosia in Majuro. Außerdem halfen Joachim Rienhardt, Andreas Spinrath und Anuschka Tomat