Gespräch mit Frieda Sternberg, LPG-Mitbegründerin | MDR · PDF fileStichwort: LPG...
Transcript of Gespräch mit Frieda Sternberg, LPG-Mitbegründerin | MDR · PDF fileStichwort: LPG...
Stichwort: LPG
Gespräch mit Frieda Sternberg,
LPG-Mitbegründerin
Frieda Sternberg - Mitbegründerin und ehemalige
LPG-Vorsitzende der LPG "Ernst Thälmann" in Bennewitz
bei Wurzen - trat 1946 in die SPD ein und war nach der
Zwangsvereinigung mit der KPD Mitglied der SED. 1954
bis 1958 und 1963 bis 1989 war sie Kandidat des ZK der
SED.
MDR: Frau Sternberg, welche Erinnerungen haben sie an
das Ende des Krieges und den Neubeginn danach?
Frieda Sternberg: Nach dem Krieg landete ich mit meinen
Kindern, meinem Vater und meiner Schwester im Ratsgut Canitz
bei Wurzen. Ich arbeitete als Landarbeiterin. Das Gut, ein
Wassergut, gehörte der Stadt Leipzig und wurde bei der
Bodenreform nicht aufgeteilt. Zunächst einmal war ich
überglücklich, dass der Krieg zu Ende war, wir zu essen und zu
trinken hatten und die Kinder am Leben waren. Zu den
schlimmsten Erinnerungen gehörte aber, wie wir auf der Flucht
aus Ostpreußen behandelt wurden, die Diskriminierung bis hin
zu Schlägen.
Das war 1945, als wir einige Zeit in Böhmen waren. Man hat uns
die Lebensmittel während der langen Märsche verweigert,
obwohl die Scheunen und Ställe der Bauern voll waren. Nur
Brennessel und Sauerampfer haben uns am Leben gehalten.
Sie gehörten 1952 zu den Mitbegründern der LPG "Ernst
Thälmann" in Bennewitz und haben die LPG Bennewitz zu
einer der leistungsstärksten und bekanntesten in der
DDR gemacht. Wie haben die einzelnen Bauern der
Genossenschaft gelebt, wie viel haben sie zum Beispiel
verdient?
Die Genossenschaftsbauern wurden nach Leistung bezahlt, ihr
Einkommen richtete sich nach den ökonomischen Ergebnissen
der Genossenschaft. Von Seiten des Staates wurde ein
Mindesteinkommen gesichert.
Als die Vollkollektivierung durchgesetzt wurde, fühlten
sich viele Bauern brutal enteignet. Blieb das Gefühl des
Verlustes, oder sahen die Bauern später in der
Großraumlandwirtschaft auch Vorteile?
Mit der Vollkollektivierung wurde der Produktions- und
Reproduktionsprozess einheitlicher gestaltet. Die
landwirtschaftlichen Betriebe entwickelten sich zu großen,
spezialisierten Einheiten. Im Laufe der Jahrzehnte wurden aus
den ehemaligen Einzelbauern und ihren Kindern Spezialisten der
Landwirtschaft, die ihren Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung
leisteten. Der Verlust ihres Kleinbetriebes wurde durch
Anerkennung ihrer Leistungen, eine gesicherte
Zukunftsperspektive und die soziale Sicherheit der Familie
ersetzt.
Landwirtschaft
Ernteeinsatz
Lexikon: Kleingärtner in der
DDR
Gespräch mit Frieda Sternberg, LPG-Mitbegründerin | MDR.DE http://www.mdr.de/damals/lexikon/1514515-hintergrund-1514449.html
1 von 2 09.02.2011 18:58
© 2011
MITTELDEUTSCHER
RUNDFUNK
Der Beruf des Genossenschaftsbauern wurde dem des Arbeiters
angeglichen. Erstmals konnte regelmäßig Urlaub gemacht
werden, die Arbeit nach den Interessen und Neigungen
wahrgenommen werden. Ein regelmäßiges Einkommen war
gesichert. Die Vorteile waren also eindeutig die der sozialen
Sicherheit, der sicheren Zukunft, des 8-Stunden-Tags und des
möglichen Urlaubs.
Und wo lagen die Schattenseiten?
Probleme gab es bei der Gewöhnung an die Arbeit im Kollektiv,
auch war die Durchsetzung der genossenschaftlichen Demokratie
nicht immer einfach. Es muss Pünktlichkeit und Disziplin
herrschen, wenn alle gemeinsam an etwas arbeiten, und das fiel
nicht allen leicht. Und prinzipiell bringt eine großflächige Tier-
und Pflanzenproduktion auch ihre eigenen Probleme mit sich,
über die ja viel geredet wird.
Die Bauern der DDR haben es immer geschafft, die
Bevölkerung ausreichend mit Nahrungsmitteln zu
versorgen. Grundnahrungsmittel waren so billig, dass
vieles auch in die Mülltonne wanderte. Was ging in Ihnen
vor, wenn sie die Verschwendung sahen?
Die Verschwendung von Nahrungsmitteln ist in erster Linie eine
Missachtung der Arbeit der Bauern. Das trifft übrigens auf jede
Gesellschaft zu.
Private Viehhaltung war für viele Bauern eine
Selbstverständlichkeit. Wie unterstützte die LPG dabei
ihre Mitglieder?
Private Viehhaltung war in der Tat eine Selbstverständlichkeit
und wurde von den Genossenschaften gefördert. Ferkel, Kälber
und Hühner wurden jedem, der Aufzuchtsmöglichkeiten hatte,
billig zur Verfügung gestellt. Ein halber Hektar Land oder die
Ernte davon standen der Familie zu. Für Mastverträge wurde
Futter vom Staat zur Verfügung gestellt. Denen, die über
Nebengebäude zur Aufzucht verfügten, wurde so eine weitere
Einnahmequelle eröffnet.
In den Medien wurde die Ernte mit Artikelserien
begleitet, es war von der "Ernteschlacht" die Rede. Wie
wirkte diese Berichterstattung auf Sie?
In den Medien wurde die Klasse der Genossenschaftsbauern
gleichberechtigt mit der Arbeiterklasse geachtet. Die Erfolge der
genossenschaftlichen Arbeit wurden publiziert (in der DDR
wurden 96 Prozent der benötigten Nahrungsmittel selbst
hergestellt). Man verwies richtig darauf, dass diese Erfolge nur
mit Unterstützung der Arbeiterklasse möglich waren, das betrifft
besonders die Erntehelfer aus der Industrie und die Entwicklung
der nötigen Technik für die Großproduktion. Die positive
Anerkennung durch den Staat führte zu einer bewussten Klasse
der Genossenschaftsbauern.
Zuletzt aktualisiert: 02. August 2004, 18:25 Uhr
Gespräch mit Frieda Sternberg, LPG-Mitbegründerin | MDR.DE http://www.mdr.de/damals/lexikon/1514515-hintergrund-1514449.html
2 von 2 09.02.2011 18:58