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1 Gewaltrisiken und Ressourcen PD Dr. Haci-Halil Uslucan Universität Wien und Otto-von-Guericke Magdeburg Institut für Psychologie Kontakt: [email protected] www.uslucan.de

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Gewaltrisiken und Ressourcen

PD Dr. Haci-Halil UslucanUniversität Wien und Otto-von-Guericke Magdeburg

Institut für Psychologie

Kontakt: [email protected] www.uslucan.de

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Vortragsprogramm

Gewalt in Familien Jugendgewalt Gewalt in Migrantenfamilien Ressourcen und Fördermöglichkeiten in

pädagogischen Kontexten

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Elterliche Gewalt in der Kindheit

7,1

12,6

18,821,1

24,8

16,7

22,9

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Mißhandlung

Quelle: KFN Forschungsberichte Nr. 81 (2000)

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Gewaltrisiko : Eltern

Soziale Isolation der Familie: Isolierte Familien haben weniger soziale

Unterstützung; dadurch auch weniger soziale Kontrolle.

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Elternmerkmale als Gewaltrisiko

Bildung und Sozialschicht: Angehörige unterer sozialer Schichten

häufiger Vertreter; geringe Bildung der Eltern ein weiteres

Risiko;

Labile, disharmonische eheliche Beziehungen

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Elternmerkmale als Gewaltrisiko

Familiengröße: In Familien mit vielen Kindern kommt

häufiger Gewalt vor; hohe Kinderzahl vermutlich sowohl Ausdruck

desorganisierter Familien als auch Überforderung der Familien

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Elternmerkmale als Gewaltrisiko

Alter des Elternteils: Kindesmisshandlung tritt meistens bei

jüngeren Eltern auf; Bei Müttern unter 20 Jahren ist das am

stärksten

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Kindsmerkmale als Gewaltrisiko

Alter des Kindes Rund 51% der Gewalt erleiden Kinder im Altersbereich

von 0 bis 5 Jahren; 26% im Altersbereich von 6 bis 11 Jahren; 23% im Altersbereich von 12 bis 17 Jahren.

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Kindsmerkmale als Gewaltrisiko

Geschlecht des KindesNahezu keine Unterschiede; jedoch: bei härteren Gewaltakten überwiegen

die Jungen als Opfer die Rate der Mädchen (54% vs. 46%).

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Kindsmerkmale als Gewaltrisiko

Geschwisterposition des KindesHäufig sind Erstgeborene vermehrt

Opfer von Gewalt; vermutlich korreliert das mit dem jungen Alter der Mutter, was ein Risikofaktor für Gewalt ist.

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Kindsmerkmale als Gewaltrisiko

Verhaltensprobleme des Kindes Kinder mit Enuresis und Enkopris werden

häufiger Opfer von Gewalt; Ungehorsame, stehlende, lügende und

schulleistungsschwache Kinder werden häufiger Opfer von Gewalt.

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Auswirkungen von Gewalt auf Kinder

Kognitive AuswirkungenVerhaltensprobleme Sozioemotionale Schwierigkeiten

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Auswirkungen von Gewalt auf Kinderkognitive Auswirkungen

Misshandelte Kinder haben häufig geringere intellektuelle Leistungen; geringere Lese- und Rechenfertigkeiten

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Auswirkungen von Gewalt auf KinderVerhaltensprobleme

Misshandelte Kinder zeigen häufiger aggressive und antisoziale Verhaltensweisen; vermutlich nehmen sie Gleichaltrige eher feindseliger wahr, fühlen sich von ihnen provoziert.

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Auswirkungen von Gewalt auf KinderSozioemotionale Probleme

Gewalterfahrungen führen zu Ausbildung eines schwachen Selbstwertgefühls; Gewaltopfer haben Beziehungsprobleme zu ihren Erziehern und Erwachsenen; erfahren diese ambivalent (geliebte Personen fügen ihnen Schmerzen zu); zeigen vermehrt Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Depression.

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Intergenerationale Transmission von Gewalt

Eltern, die selbst als Kinder Gewalt erfahren haben, sind stärker dem Risiko ausgesetzt, auch bei der Erziehung ihrer eigenen Kinder Gewalt einzusetzen.

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Intergenerationale Transmission von Gewalt

Wenn Eltern zumindest zu einem der Elternteile oder zu einer relevanten Bezugsperson sichere Bindungen und positive Beziehungen hatten, wirkt das als ein wichtiger Pufferfaktor bei der Weitergabe von Gewalt.

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Intergenerationale Transmission von Gewalt:Bindungstheorie

Gewaltausübende Eltern haben vielfach selbst unsichere Bindungen erlebt;

Zurückweisung führt zur Ausbildung eines schwachen Selbstwertgefühls; geringe Überzeugung von sich selbst;

grundlegendes Mißtrauen in zwischenmenschliche Beziehungen.

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Intergenerationale Transmission von Gewalt:Intergenerationale Transmission von Gewalt:Soziologische ErklSoziologische Erkläärungrung

Gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt in der Gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt in der Erziehung von Kindern; Erziehung von Kindern;

ÜÜberforderungen und Belastungen der Familie berforderungen und Belastungen der Familie durch Armut,durch Armut,•• Arbeitslosigkeit undArbeitslosigkeit und•• mangelnder sozialer Unterstmangelnder sozialer Unterstüützungtzung

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Aggression als Mittel, Bedrohung zu reduzieren

Aggression hat emotional entspannende Wirkung zur Folge, weil die Angst verringert wird.

Die Angst wird immer häufiger über aggressive Akte abgebaut (Verstärkungsfunktion der Aggression

Die häufige Aggression führt zu sozialer Ablehnung und vergeltenden, aggressiven Akten der anderen.

Modell der Aggressionsverstärkung

Erhöhte Bedrohungswahrnehmung durch die als feindselig wahrgenommene Umwelt

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Neutralisierungstechniken (Vgl. Lösel & Bliesener, 2003)

Ablehnung der Verantw ortung: Der Jugendliche sieht sich selbst als Opfer. Die Um stände der

S ituation veranlassten ihn, sich so zu verhalten.

Ablehnung des Unrechts: Der verm eintlich angerichtete Schaden durch die eigene

Gewalthandlung wird verleugnet.

Abw ertung der Opfer: Das Opfer wird abgewertet und dadurch die Tat von einem anderen

Standpunkt aus als eine rechtm äßige Handlung um bewertet.

Verdam m ung der Verdam m enden: Jugendliche verweisen darauf, dass diejenigen, die auf

das Unrecht ihrer Handlung hinweisen, selber häufig norm verletztend handeln und deshalb kein

Recht haben, über sie zu richten.

Berufung auf höhere Instanzen: Die Tat wird als M ittel dargestellt, um Gerechtigkeit auf einem

höheren Niveau herzustellen.

M etapher des Hauptbuches: Die norm verletzende Handlung wird als eine (erlaubte)

Ausnahm e in einer Reihe von ansonsten norm gerechten Taten aufgeführt.

Verteidigung der Notw endigkeit: Die Handlung wird als einziger Ausweg bzw. als die einzige

Lösung eines Problem s dargestellt.

Wie gehen Jugendliche mit eigener Gewalt um?

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Gewaltbelastung in türkischen Familien

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Unsere Wahrnehmung des Fremden/der Fremden

Öffentlicher Diskurs über Migration und Männlichkeit:

Assoziation mit Ehrenmorde, religiösem Fanatismus und Jugendgewalt;

Verfestigung dieser „besonderen Geschlechterbeziehungen“ in Migrantencommunities durch mediale „Alltagsbilder“ und „soapoperas“:

„Macho-Murat“ mit einer ungebändigten Sexualität, Frauenverachtung und Aggression

Andere Dimensionen der Geschlechtlichkeit bei Migranten kaum thematisiert.

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Zivilisatorische Veränderung in modernen Gesellschaften:

Verschiebung der Machtverhältnisse der Geschlechter zugunsten von Frauen

und eine Verschiebung zwischen den Schichten zugunsten Höhergebildeter und Höherqualifizierter.

Beide Entwicklungen zusammen: Dequalifizierung und Depotenzierung von Männern der Unterschicht + kulturelle Abwertung körperlich ausgelebter Männlichkeit.

Kränkungspotenzial und Konfliktpotenzial in dieser Schicht; Anfälligkeit für rechtsradikale, chauvinistische und gewaltbilligende Strömungen

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Kulturgeschichtliche Gewaltrisiken

Hohe Toleranz für Gewalt; Wertschätzung von Dominanz und Maskulinität; Interpersonelle Austragung von Konflikten und keine

Delegation an die Zentralmacht; Unausweichlichkeit von Gewalt bei Ehrverletzungen.

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Jugendgewalt im interethnischen KontextBefunde des KFN (2000)

Migrantenjugendliche deutlich stärker gewaltbelastet als deutsche Jugendliche

Migrantenjugendliche auch deutlich häufiger Opfer von elterlicher Gewalt

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Studien zu Gewalt von Migrantenjugendlichen in Schulen

Migrantenjugendliche Gewaltbereiter und billigen Gewalt eher alsdeutsche Schüler; Deutsche lügen und beleidigen mehr, Migrantenjugendliche prügeln sich häufiger und zeigen vandalistisches Verhalten (Funk, 1995b)

Deutsche Jugendliche begehen öfter leichte Körperverletzungen, Migrantenjugendliche bei stärkeren Körperverletzungen vermehrt vertreten (Spaun, 1994)

Kein allgemeiner Zusammenhang zwischen Migrantenanteil und Gewaltniveau an der Schule; erst bei einem Migrantenanteil von über 30% scheint Gewaltbereitschaft zu steigen (Schwind, 1995)

Der Migrantenanteil in einer Schulklasse führt teilweise zu einer höheren Gewalttätigkeit der ganzen Klasse, nicht jedoch der Migrantenjugendlichen

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Studie:Elterliche Erziehung im interkulturellen Kontext

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Theoretischer Hintergrund

Elterlicher Erziehungsstil stellt einen bedeutsamen Prädiktor für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen dar.

Kultureller Kontext eine der wesentlichen Determinanten erzieherischer Erwartungen und Haltungen (Darling & Steinberg, 1993).

Hohe Anomieerfahrungen türkischer Migranten: Die deutsche Gesellschaft wird vielfach als ungeordnet, und das soziale Leben als diffus und undurchsichtig erlebt (Uslucan, 2005.)

Diese Verunsicherungen haben Auswirkungen auf die Erziehung und Sozialisation von Migrantenkinder und -jugendliche.

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Theoretischer Hintergrund

Familien türkischer Herkunft in der Aufnahmegesellschaft vielfach einen stärker behütenden und kontrollierenden Erziehungsstil als deutsche Familien und auch Familien in der Türkei (Nauck, 1990).

Mit zunehmender Aufenthaltsdauer eine eher an Deutschen orientierte Autonomiebestrebung Jugendlicher

Konflikte gegenüber den stärker kollektivistischen Orientierungen der Familie.

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Theoretischer Hintergrund

Intensivere Akkulturation der Kinder

Wahrgenommene Entfernung von den Werten der Herkunftskultur

Spannungen im erzieherischen Kontext.

Verstärkte Disziplinierung der Kinder und der Erinnerung an eigenkulturelle Verhaltensweisen.

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Fragestellungen

Welche Unterschiede lassen sich im konkreten Erziehungsverhaltentürkischer und deutscher Eltern identifizieren?

Welche Unterschiede zeigen sich bei türkischen und deutschen Jugendlichen in der Erfahrung des elterlichen Erziehungsverhaltens?

Inwiefern gibt es eine Übereinstimmung zwischen elterlichen Erziehungsstilen und den Perzeptionen Jugendlicher im ethnischenVergleich?

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Stichprobenkennzeichnung

304

214

Deutsche

Türken

Rekrutierungskontext: Berliner Oberschulen in den Bezirken Neukölln, Kreuzberg, Charlottenburg und Steglitz-Zehlendorf

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Stichprobenkennzeichnung: Schüler

Deutsche Türken Altersdurchschnitt 13.6 (SD .67) 13.94 (SD .63) Geschlechtsspezifische Zusammensetzung

53 % männl. 47 % weibl.

45 % männl. 55 % weibl.

Bildungshintergrund

Hauptschule 17.8 % 23.8 % Realschule 10.8 % 41.6 % Gesamtschule 22.4 % 3.7 % Gymnasium 49.0 % 30.8 %

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Stichprobenkennzeichnung: Eltern

Deutsche Türken Gesamt 412 239 Zusammensetzung der Eltern

225 Mütter (M) 187 Väter (V).

131 Mütter (M) 108 Väter (V).

Altersdurchschnitt der Eltern

43.18 (SD 5.35) M 46.0 (SD 6.94) V

38.23 (SD 4.88) M 41.86 (SD 5.90) V

Durchschnittliche Kinderzahl

2.21 (SD 1.04)

3.26 (SD 1.22)

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Aufenthaltsdauer türkischer Eltern in Deutschland(Angaben in Jahren bis zum Zeitpunkt der Befragung im Sommer 2003)

Mütter VäterN 129 103Minimum 4 7Maximum 39 38Mittelwert 21.48 24.93Standardabweichung 6.91 6.17

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Stichprobenkennzeichnung: Bildungshintergrund der Eltern

0

10

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40

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Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich:

Elternsicht

Türken Deutsche (N = 129) (N = 226)

Variablen M SD M SD p d

Aggressive Strenge (M) 1.74 .61 1.58 .44 .00 .30 Unterstützung (M) 4.17 .67 4.25 .44 .19 -.14 Verhaltensdisziplin (M) 3.71 .77 2.68 .62 .00 1.48 Inkonsistenz (M) 2.04 .62 1.75 .49 .00 .52 Aggressive Strenge (V) 1.75 .63 1.57 .50 .01 .32 Unterstützung (V) 3.90 .66 4.01 .53 .13 -.17 Verhaltensdisziplin (V) 3.59 .75 2.69 .64 .00 1.51 Inkonsistenz (V) 2.06 .63 1.83 .58 .00 .38

Ergebnisse

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Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich:

Jugendlichensicht

Türken Deutsche (N = 207) (N = 298)

Variablen M SD M SD p d Aggressive Strenge (M) 1.76 .62 1.63 .61 .02 .21 Unterstützung (M) 3.77 .80 3.68 .79 .23 .11 Verhaltensdisziplin (M) 3.52 .76 2.72 .73 .00 1.07 Inkonsistenz (M) 1.89 .64 1.80 .62 .12 .14 Aggressive Strenge (V) 1.69 .60 1.59 .66 .10 .16 Unterstützung (V) 3.47 .84 3.39 .93 .32 .09 Verhaltensdisziplin (V) 3.39 .87 2.52 .82 .00 1.58 Inkonsistenz (V) 1.82 .63 1.66 .65 .01 .25

Ergebnisse

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Elterliche Erziehungsstile in Abhängigkeit des Bildungshintergrundes (Hauptschule als höchster Bildungsabschluß) Mittelwerte und Standardabweichungen

Türkische Eltern Deutsche Eltern

Variablen N M SD N M SD F p Aggressive Strenge (M) 33 1.67 .54 46 1.86 .54 2.44 .12 Unterstützung (M) 35 4.22 .70 47 4.11 .47 .82 .36 Verhaltensdisziplin (M) 36 3.51 .83 46 3.00 .52 11.74 .00 Inkonsistenz (M) 32 1.94 .48 44 2.03 .55 .60 .43 Aggressive Strenge (V) 32 1.77 .73 36 1.80 .69 .32 .86 Unterstützung (V) 30 3.97 .63 38 3.95 .60 .00 .92 Verhaltensdisziplin (V) 36 3.83 .68 38 3.09 .66 22.0 .00 Inkonsistenz (V) 34 2.11 .61 37 2.08 .74 .02 .88

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Jugendliche Gewaltbelastungen im interethnischen VergleichHäusliche Gewalterfahrungen und alltägliche Gewaltbelastungen von

Jugendlichen; (Mittelwerte, Standardabweichungen und Effektstärken)

Deutsche Türken

Gewaltdimension M SD M SD d p

Mütterliche

Gewalterfahrung

1.07 .24 1.09 .23 .08 .50

Väterliche

Gewalterfahrung

1.11 .29 1.10 .28 .03 .56

Beobachtete

Elterngewalt

1.18 .45 1.28 .58 .19 .03

Gewaltakzeptanz 1.83 .77 2.18 .86 .43 .00 Aktive Gewalttat 1.42 .44 1.48 .54 .12 .16

Viktimisierung im

Peer-Kontext

1.68 .64 1.48 .55 .33 .00

Uslucan, Fuhrer & Mayer (2005). Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund

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Jugendliche Gewaltbelastungen im ethnischen Vergleich(parallelisierter Vergleich: Schultyp Hauptschule; N = 52 (D) und N = 49 (T))

p<.1

n.s.

n.s.

2,17

1,55

1,83

2,46

1,65 1,56

1

1,4

1,8

2,2

2,6

3

Gewalt

akze

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Gewalt

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Viktim

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ung

Deutsche

Türkische

p<.05

p<.05

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Jugendliche Gewaltbelastungen im Geschlechtervergleich

1

1,4

1,8

2,2

2,6

3

Gewalt

akzep

tanz

Gewalt

tat

Viktimisi

erung

DeutscheJungenTürkischeJungenDeutscheMädchenTürkischeMädchen

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Ergebnisse

Wenden Müttern wenig Gewalt in der Erziehung an, ist auch die Gewaltausübung des Kindes gering; diese ist hoch bei erfahrener mütterlicher Gewalt.

Der Zusammenhang ist aber geringer bei Müttern mit einer besseren Integration.K

örpe

rlich

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Juge

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hoch

Körperliche Gewaltanwendung von türkischen Müttern in der Erziehung

niedrig

niedrige Integrationder türkischen Mütter

hohe Integrationder türkischen Mütter

niedrig hoch

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V. Resilienz

Wie kommt es, dass trotz elterlicher Risiken wie Arbeitslosigkeit, Armut, Psychotischer Erkrankung und Scheidungserfahrung der Eltern die Kinder relativ erfolgreich ihr Leben meistern?

Wie kommt es, dass trotz eigener Risiken wie Geburtskomplikationen, körperliche Behinderung etc. sie dennoch einen hohen Grad an Widerstandskraft, Robustheit („Hardiness“) zeigen?

Resilienz umschreibt also die Fähigkeit, relativ unbeschadet mit den Folgen belastender Lebensumstände umzugehen und Bewältigungskompetenzen zu entwickeln.

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V. Resilienz und Gewalt:

Verschiedene Studien konnten zeigen, dass eine überdurchschnittliche Intelligenz für antisoziale Entwicklungen abpuffern kann (Egeland et al., 1993; Lösel & Bliesener, 1994). Intelligente Kinder sind eher in der Lage, zu planen, negative Konsequenzen wahrzunehmen und auch nicht-aggressive Verhaltensweisen zu entwickeln.

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V. Resilienz und Gewalt:

Andererseits zeigen Studien, dass Intelligenz auch eine Risikofunktion für depressive und andere internalisierende Störungen aufweisen kann (Luther, 1991). Stärkere Differenzierung bei intelligenten führt vielleicht dazu, dass sie sensitiver auf Stress reagieren.

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V. Resilienz und Gewalt:

Uneinheitlich: Deutung des Selbstwertgefühls

Ein ausgeprägtes Selbstwerterleben - gewöhnlich ein Schutzfaktor –kann in einigen Konstellationen auch als Risikofaktor zu wirken,etwa bei Aggressivität: Studien konnten zeigen, dass persistent gewalttätige Personen eine übersteigerte Selbsteinschätzung haben (Baumeister et al. 1996).

Ein positives Selbstbild kann zur Folge haben, dass junge Menschen

andere abwerten und sich nicht angemessen von anderen respektiert fühlen, auf die sie aggressiv reagieren.

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Risikomildernde Faktoren im Kindes- und Jugendalter

Kindbezogene Faktoren Weibliches Geschlecht Erstgeborenes Kind Positives Temperament (flexibel,

aktiv, offen) Überdurchschnittliche Intelligenz Positives Sozialverhalten Positives Selbstwertgefühl und

Selbstwirksamkeitsüberzeugung Aktives Bewältigungsverhalten

Umgebungsfaktoren Stabile emotionale Beziehung

zu einer Bezugsperson Offenes, unterstützendes

Erziehungsklima Familiärer Zusammenhalt und

soziale Unterstützung Positive

Freundschaftsbeziehungen Positive Schulerfahrungen

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Risiken der Gewaltweitergabe

Ontogenetisch Mikrosyst. Exosystem Makrosystem

Gewalterfahrung Eheliche Unzufriedenheit

Arbeitslosig-keit;

Kulturelle Akzeptanz von Gewalt;

Geringes Selbstwertgefühl

Kinder mit Verhaltensprob-lemen;

Isolation; geringe soziale Unterstützung;

Kinder als Besitz;

Niedriger IQ gesundheitlich anfällige Kinder

negativ erlebte Eltern-Kind-Beziehung des Elternteils

Ökonomische Depression

Geringe interpersonale Fähigkeiten

Alleineltern-schaft und Armut

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Risikomildernde Faktoren der Gewaltweitergabe

Ontogenetisch Mikrosystem Exosystem Makrosystem

Positive Beziehung zu einer Bezugsperson

Gesunde Kinder Soziale Unterstützung

Respekt betonende Kultur

Hohe Intelligenz und Begabung

Unterstützender Ehepartner

Geringe Stresserfahrungen im Alltag;

Kulturelle Ächtung von Gewalt

Physische Attraktivität

Ökonomische Sicherheit

Frömmigkeit Ökonomischer Wohlstand

Gute interpersonale Fähigkeiten

Therapeutische Interventionen

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V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

1) In den ersten beiden Lebensjahren etablierte sichere Mutter-Kind

Bindung eine bedeutsame Entwicklungsressource.

Dieser Befund sollte in Erziehungs- und Familienberatungsstellen, Jugendämtern etc., insbesondere gegenüber Migrantenfamilien und –müttern stärker kommuniziert werden.

Kaum Wissen um Entwicklungsgesetzlichkeiten, Entwicklungstempo und sensible Phasen in der Entwicklung des Kindes.

Auswirkungen unsicherer Bindung bleiben nicht auf die Kindheit begrenzt, sondern sind auch in der Jugendphase wirksam. Unsichergebundene Jugendliche zeigen weniger Ich-Flexibilität, negatives Selbstkonzept, stärkere Hilflosigkeit und Feindseligkeit (Seiffge-Krenke & Becker-Stoll, 2004).

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2) In Schulkontexten sollten (Migranten-)Jugendliche noch stärker

verantwortungsvolle Positionen – ungeachtet möglicherweise ihrer geringeren sprachlichen Kompetenzen – erhalten.

Sie werden sich dann stärker mit der Aufgabe identifizieren, die inneren Bindungen zur Schule wachsen, und sie machen dadurch Erfahrungender Nützlichkeit und der Selbstwirksamkeit.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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3) Schulprojekte wie „Großer Bruder“, „Große Schwester“, (Buddy-

Projekte) bei denen kompetente ältere Jugendliche Risikokindern (Kindern aus chaotischen, ungeordneten Elternhäusern, Elternhäusern mit psychischer Erkrankung der Eltern etc.) zugeordnet werden und eine Teilverantwortungen für sie übernehmen, haben resilienzförderndeWirkung, weil dadurch dieses ältere Kind – im Gegensatz zu den Eltern, die in diesen Konstellationen nicht als Vorbilder taugen - dann zu Rollenvorbildern werden können.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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4) Eines der stabilsten Befunde in der Migrationsforschung ist das

Phänomen, dass Migranteneltern in der Regel hohe Bildungsaspirationen für ihre Kinder haben, die oft mit hohen, zum Teil unrealistischen, Erwartungen an die Kinder gekoppelt sind, wobei häufig aus dem Mangel an eigenen Kompetenzen zugleich die schulische Unterstützung des Kindes gering ist (Nauck & Diefenbach, 1997).

Bei ausbleibendem oder geringem Erfolg der Kinder führt dieses Auseinander klaffen dann vielfach zu Enttäuschungen auf Seiten der Eltern und psychischen Belastungen bei Kindern.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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Hohe Erwartungen dem Umstand geschuldet, dass sozialer Aufstieg und anerkannte Berufe für viele Migranteneltern nur mit akademischen Berufen wie Arzt und Anwalt verknüpft sind.

Daher gilt es, in Kontexten der Schul- und Berufsberatung Migranteneltern zum einen auf die belastende Wirkung hoher Erwartungen bei fehlender Unterstützung hinzuweisen - die sich in aggressiven Akten nach außen oder in depressiven Verstimmungen nach innen entladen können -, und zum anderen ihnen in einer verständlichen Weise die Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten auch durch handwerklich-technische Berufe zu kommunizieren.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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5) Eine Reihe von Studien zeigt, dass ein positives Schulklima eine

fördernde und schützende Wirkung hat; vor allem eine gute Beziehung zum Lehrer, den die Schüler als an ihnen interessiert und sie herausfordernd wahrnehmen.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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An diesen Befund anknüpfend, lässt sich folgern, dass eine Verbesserung des Schulklimas und mehr persönliches Engagement der Lehrkräfte mit Migrantenkindern resilienzfördernd sind.

Vor allem kann ein Schulklima, das die kulturelle Vielfalt ihrer Schüler als Reichtum und nicht als Hemmnis betrachtet, einen Beitrag zurResilienz leisten, weil dadurch dem Einzelnen das Gefühl von Wichtigkeit, Bedeutung und Anerkennung gegeben wird (Speck-Hamdan, 1999).

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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6) Des Weiteren zeigen Migrantenjugendliche (nicht nur diese, sondern auch

deutsche), die mit Gewaltbelastungen auffallen, in der Regel gleichzeitig auch schlechte Schulleistungen.

Hier ist es pädagogisch ratsam, ihre Leistungen nicht nur an einer sozialen Bezugsnorm – meistens die gleichaltrige deutsche Altersgruppe in der Klasse – zu messen. Denn dann spüren sie, dass sie trotz Anstrengungen vielfach nicht die erforderlichen Leistungen bringen und sind geneigt, zu resignieren. Förderlicher ist es dagegen, die individuellen Entwicklungsschritte und Verbesserungen zu berücksichtigen und diese dann zu würdigen.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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7) So können bspw. positive Erfahrungen mit Tutorensystemen in der Lehr-

Lern-Forschung modifiziert auch bei Migrantenkindern eingesetzt werden:

Ihnen sollten vermehrt in der Kita bzw. Schule die Aufgabe gegeben werden, unabhängig von ihrer Leistung anderen Kindern etwas beizubringen. Davon profitieren Lehrende in der Regel viel stärker als Lernende, weil das Wissen anders organisiert und eigens neu aufbereitet werden muss und somit eine größere Verarbeitungstiefe erreicht wird. So werden Leistungsverbesserungen auch bei leistungsschwächeren Schülern erreicht.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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8) Neben Thematisierung von Gewalt und Gewaltfolgen im Unterricht

auch stärker handlungsorientierte Formen des Unterrichts (und nicht nur Frontalunterricht) praktizieren, die Jugendliche stärker einbeziehen, ihnen dadurch Partizipation ermöglichen und in Folge dessen sie weniger mit Ohnmachtserfahrungen in der Schule konfrontieren (gewaltpräventive Wirkung; Gollon, 2003).

Diesen Zusammenhang gilt es von frühester Schulzeit insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund zu nutzen, damit sie in der Schule nicht nur Versagenserfahrungen, sondern auch eigene Stärken zur Geltung kommen lassen können.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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9) Ferner kann sich, was ausländische Kinder betrifft, das symbolische

Kapital, das sie mit ihrer Mehrsprachigkeit haben, (vorausgesetzt, sie sprechen beide Sprachen relativ gut) als ein wichtiger Schutzfaktor dienen.

Deshalb wären auch hier Förderaspekte anzusetzen, weil Mehrsprachigkeit indirekt Ressourcen erweitert und Kinder und Jugendliche weniger vulnerabel macht.

Forderungen, mehr oder ausschließlich Deutsch zu sprechen, „verschenken“ dieses Kapital.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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10) Mit Blick auf die Erfahrungen der Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens sind

auch religiöse Überzeugungen im Leben von Risikokindern (in diesem speziellen Fall von Migrantenkindern) als ein Schutzfaktor zu betrachten. Sie geben ihnen ein Gefühl, dass ihr Leben einen Sinn und eine Bedeutung hat; vermitteln das Gefühl oder die Überzeugung, dass sich die Dinge trotz Not und Schmerz am Ende zum Guten wenden können.

Insofern ist die Diskussion bspw. um den Islamunterricht nicht nur aus politischer, sondern auch aus entwicklungspsychologischer Perspektive zu führen.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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11) Und nicht zuletzt: Gerade wenn Migranten und Jugendliche mit Migrationshintergrund unter einer höheren Anzahl bzw. an intensiveren Risiken leiden, wie offensichtlich es in vielen Studien klar wird (Collatz, 1998, Uslucan, 2000; Uslucan, 2005a, b), dann müsste auch eine ganz „normale“, unauffällige Lebensführung von ihnen zunächst erstaunlich und erklärungsbedürftig sein.

Deshalb: nicht nur stets die außergewöhnlichen positiven Fälle loben, sondern auch die Anstrengungen „zur Normalität“ bei den „Unauffälligen“besonders zu honorieren und anerkennen.

V. Resilienzförderung bei Migrantenkindern und -jugendlichen

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Andere WahrnehmungenAndere Wahrnehmungen……

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Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit !