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Glauben – Fragen – Denken

Basisthemen in der Begegnung von Philosophie und Theologie

Basismodul-Vorlesung Prof. Dr. Dr. Klaus Müller

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Themen der Vorlesung1) Vernunft und Glaube2) Modelle im Verhältnis von Philosophie und

Theologie3) Sein und Schein – Von der Wahrheit und ihren

Problemen4) Weite und Grenze der Sprache5) Kunst des Verstehens (Hermeneutik)6) Was sollen wir tun? (Ethik)7) Rätselwesen Mensch (Anthropologie)8) Hoffnung, die Gründe kennt 9) Zwischen Verdacht und Verteidigung –

Panorama moderner Religionskritik10) Die philosophische Gottesfrage

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1. Vernunft und Glaube – allererste Annäherung

• Fragen:

1.1 Was macht die Philosophie im Theologie-Studium? Was hat die Vernunft mit dem Glauben zu tun?

1.2 Wie findet man ins Philosophieren hinein?

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1.1 Was macht die Philosophie im Theologie-Studium?

• Philosophie als „Hausteufel“ in der Theologie

• Im Ursprung des Christentums: 1 Petr 3,15 „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“

kritische Verpflichtung auf Wahrheit des Geglaubten

• Merksatz: Auch das Übervernünftige muss sich von der Vernunft als ihr selbst nicht widersprechend nachvollziehen lassen.

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Drei Beispiele für die Verwebung von Glauben und Vernunft

• Beispiel I: Ein Bischof hat Kummer– Bonifatius und die Frage nach der Taufformel– Bonifatius vs. Virgil über die Antipoden

• Beispiel II: Das Kreuz mit der Vorsehung– Streit um die Frage von Prädestination und Freiheit

• Beispiel III: Eucharistie und Logik– Abendmahlsstreit

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1.2 Wie findet man ins Philosophieren hinein?

Einstiege:

„Erotik“: Philosophie als etwas, das fasziniert. Als nach Wissen verlangendes Nichtwissen.

I: „Staunen“II: „Zweifeln“III: „Sprechen“

Entdecken von unhintergehbaren Momenten:I: Gedanke des UnendlichenII: Grenze des Zweifels: „Ich denke, also bin ich“III: Nicht widerlegbares Wissen: Ich meine mich in

Subjektgebrauchssätzen

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1. Vernunft und Glaube – allererste Annäherung

Glaube und Vernunft eng verwoben

Glaube darf dem Anspruch von Vernunft nicht zuwiderlaufen

• Aber wie lässt sich das Verhältnis von Vernunft und Glaube genauer bestimmen?

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2. Modelle im Verhältnis von Philosophie undTheologie – systematisch und historisch

Fragen:2.1 Wie verhielten sich Religiosität und Philosophie im

frühgriechischen Raum zueinander?

2.2 Welche Einstellungen zur Philosophie finden sich im Laufe der Geschichte in der christlichen Theologie?

2.3-2.4 Welche Zuordnung findet sich bei Thomas von Aquin, Justin und Anselm von Canterbury?

2.4 Ist unsere Vernunft überhaupt verlässlich?

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2.1 Wie verhielten sich Religiosität und Philosophie im frühgriechischen Raum zueinander?

• Ursprungszusammenhang: Philosophie aus der Religion

• Bedingungsverhältnis von Theologie und Philosophie

– Frühe „Theologen“, z.B. Homer, Hesiod– Vorsokratiker: Anaximander, Xenophon, Heraklit– Sophisten

-> Philosophie versteht sich als Theologie, Religion wird Thema der Philosophie (zumeist als Religionskritik)

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2.2 Welche Einstellungen zur Philosophie finden sich in der christlichen Theologie?

Johanneische Linie: vernunftoptimistisch

(Johannes: greift Heraklits Grundwort „logos“ auf und identifiziert es mit JC

Paulinische Linie:

vernunftskeptisch

(Paulus: Botschaft v. Kreuz und Auferstehung unvereinbar mit philosoph. Theologie)

-Justin der Märtyrer-Klemens von Alexandrien-Augustinus-Anselm v. Canterbury-Thomas von Aquin-Descartes-Kant

-Tertullian-Othloh-Petrus Damiani-Bernhard von Clairvaux-B. Pascal-L. Schestow-M. Heidegger

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2.3 Welche Zuordnung findet sich bei Justin, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin?

• Thomas‘ Vermittlungsmodell/Stockwerk-Theologie

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• Justin: Dialektik von Philosophie und Theologie– Durch Dienst aneinander kommen beide zu sich

• Radikalisierung bei Anselm v. Canterbury1) Theologische Radikalisierung: Vernunft ist durch

Sünde beeinträchtigt; sie braucht das Glaubenslicht2) Philosophische Radikalisierung: Vernunft wird durch

den Glauben zur Autonomie befreit und kann Glaubenswahrheiten erfassen fides quaerens intellectum

Philosophie und Theologie helfen sich gegenseitig „auf die Sprünge“ und lassen sich zu sich selbst finden

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2.4 Aber ist unsere Vernunft überhaupt verlässlich?

• I. Kant– Vernunft hat Täuschungsquellen– Aber: man kann die Beziehung zu außerhalb

der Vernunft Liegendem zum Gegenstand machen

• F. Nietzsche: Radikalisierung– Generalverdacht: Alles kann Täuschung sein– Wahrheit = Illusionen, von denen man

vergessen hat, dass sie Illusionen sind

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3. Sein und Schein – Von der Wahrheit und ihren Problemen

• Fragen:

3.1 Ist Wahrheitserkenntnis mit unseren Sinnen - Sehen und Hören - möglich?

3.1 Welche Wahrheitstheorien gibt es?

3.3 Wie steht es um die Erkenntnis von Wirklichkeit in der virtuellen Welt?

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3.1 Ist Wahrheitserkenntnis mit unseren Sinnen Sehen und Hören möglich?

Hören und Sehen in griechischer Philosophie

Hörprimat Sehprimat

Pythagoras - Denken am Hören orientiert-> Wirklichkeit von Harmonien bestimmt

Heraklit - Augen sind bessere Zeugen als Ohren

Platon -Höhlengleichnis--> Sehprimat bei gleichzeitiger Kritik an Sinnen

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Platons HöhlengleichnisPoliteia 514a-517a

„[...] vergleiche dir unsere Natur in bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang längs der ganzen Höhle hat. In dieser seien sie gefesselt an Hals und Schenkeln, so daß sie auf demselben Fleck bleiben und auch nur nach vornhin sehen, den Kopf aber herumzudrehen der Fessel wegen nicht vermögend sind. Licht aber haben sie von einem Feuer, welches von oben und von ferne her hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen geht obenher ein Weg, längs diesem sieh eine Mauer aufgeführt, wie die Schranken, welche die Gaukler vor den Zuschauern sich erbauten, über welche herüber sie ihre Kunststücke zeigen.

Ich sehe, sagte er.Sieh nun längs dieser Mauer Menschen allerlei Gefäße tragen, die über die

Mauer herüberragen, und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder und von allerlei Arbeit; einige, wie natürlich, reden dabei, andere schweigen.

Ein gar wunderliches Bild, sprach er, stellst du dar und wunderliche Gefangene.

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Uns ganz ähnliche, entgegnete ich. Denn zuerst, meinst du wohl, daß

dergleichen Menschen von sich selbst und voneinander etwas anderes zu sehen bekommen als die Schatten, welche das Feuer auf die ihnen gegenüberstehende Wand der Höhle wirft? Wie sollten sie, sprach er, wenn sie gezwungen sind, zeitlebens den Kopf unbeweglich zu halten!

Und von dem Vorübergetragenen nicht eben dieses?Was sonst?Wenn sie nun miteinander reden könnten, glaubst du nicht, daß sie auch

pflegen würden, dieses Vorhandene zu benennen, was sie sähen?Notwendig.Und wie, wenn ihr Kerker auch einen Widerhall hätte von drüben her,

meinst du, wenn einer von den Vorübergehenden spräche, sie würden denken, etwas anderes rede als der eben vorübergehende Schatten?

Nein, beim Zeus, sagte er.Auf keine Weise also können diese irgend etwas anderes für das Wahre

halten als die Schatten jener Kunstwerke?Ganz unmöglich.Nun betrachte auch, sprach ich, die Lösung und Heilung von ihren Banden

und ihrem Unverstande, wie es damit natürlich stehen würde, wenn ihnen folgendes begegnete.

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Wenn einer entfesselt wäre und gezwungen würde, sogleich aufzustehen, den

Hals herumzudrehen, zu gehen und gegen das Licht zu sehen und, indem er das täte, immer Schmerzen hätte und wegen des flimmernden Glanzes nicht recht vermöchte, jene Dinge zu erkennen, wovon er vorher die Schatten sah, was meinst du wohl, würde er sagen, wenn ihm einer versicherte, damals habe er lauter Nichtiges gesehen, jetzt aber, dem Seienden näher und zu dem mehr Seienden gewendet, sähe er richtiger, und, ihm jedes Vorübergehende zeigend, ihn fragte und zu antworten zwänge, was es sei? Meinst du nicht, er werde ganz verwirrt sein und glauben, was er damals gesehen, sei doch wirklicher als was ihm jetzt gezeigt werde? Bei weitem, antwortete er.

Und wenn man ihn gar in das Licht selbst zu sehen nötigte, würden ihm wohl die Augen schmerzen und er würde fliehen und zu jenem zurückkehren, was er anzusehen imstande ist, fest überzeugt, dies sei weit gewisser als das zuletzt Gezeigte?

Allerdings.Und, sprach ich, wenn ihn einer mit Gewalt von dort durch den unwegsamen

und steilen Aufgang schleppte und nicht losließe, bis er ihn an das Licht der Sonne gebracht hätte, wird er nicht viel Schmerzen haben und sich gar ungern schleppen lassen? Und wenn er nun an das Licht kommt und die Augen voll Strahlen hat, wird er nichts sehen können von dem, was ihm nun für das Wahre gegeben wird.

Freilich nicht, sagte er, wenigstens nicht sogleich.Gewöhnung also, meine ich, wird er nötig haben, um das Obere zu sehen. Und

zuerst würde er Schatten am leichtesten erkennen, hernach die Bilder der Menschen und der anderen Dinge im Wasser und dann erst sie selbst [...].

Wie sollte er nicht! [...]

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Und wie, wenn er nun seiner ersten Wohnung gedenkt und der

dortigen Weisheit und der damaligen Mitgefangenen, meinst du nicht, er werde sich selbst glücklich preisen über die Veränderung, jene aber beklagen?

Ganz gewiß. [...]Auch das bedenke noch, sprach ich. Wenn ein solcher nun wieder

hinunterstiege und sich auf denselben Schemel setzte, würden ihm die Augen dann nicht ganz voll Dunkelheit sein, da er so plötzlich von der Sonne herkommt?

Ganz gewiß.Und wenn er wieder in der Begutachtung jener Schatten wetteifern

sollte mit denen, die immer dort gefangen gewesen, während es ihm noch vor den Augen flimmert, ehe er sie wieder dazu einrichtet, und das möchte keine kleine Zeit seines Aufenthalts dauern, würde man ihn nicht auslachen und von ihm sagen, er sei mit verdorbenen Augen von oben zurückgekommen und es lohne nicht, daß man versuche hinaufzukommen; sondern man müsse jeden, der sie lösen und hinaufbringen wollte, wenn man seiner nur habhaft werden und ihn umbringen könnte, auch wirklich umbringen?

So sprächen sie ganz gewiß, sagte er.“

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Platons Höhlengleichnis

Quelle: http://www.allmystery.de/i/ta3e6fc_hoehle.jpg

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3.1 Ist Wahrheitserkenntnis mit unseren Sinnen Sehen und Hören möglich?

• Platons Höhlengleichnis ist Erkenntniskritik– > Sehen im metaphorischen Sinne

• Seit Platon: Erkenntniskritik als philosophisches Zentralthema

• Neuzeit: – F. Nietzsche: Erkenntnisse entstehen nur durch

physiolog. Reaktion auf Außenweltreiz – Wahrheit gibt es nicht

Was gilt in Sachen Erkenntnis?

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3.2 Welche Wahrheitstheorien gibt es?

• Korrespondenztheorie (Thomas v. Aquin)

– Wahrheit: Entsprechung von Intellekt und Sache

• Spielart: Evolutionäre Erkenntnistheorie

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• Kohärenztheorie

a. Wenn zwei zu ein- und derselben Theorie gehörige Aussagen einander widersprechen, muss mindestens eine davon falsch sein.

b. Wahr ist der Satz, der sich mit den unaufgebbaren Teilen und der größeren Zahl wichtiger Teile einer Theorie vereinbaren lässt.

• Holismus (Quine)• Translogische Kohärenz (Wittgenstein)

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• Konsenstheorie (Jürgen Habermas)

– Wahr ist, worüber im Diskurs – bei Erfüllung von bestimmten Voraussetzungen – ein Konsens erzielt wird.

Voraussetzungen:(a) Unterstellung eines Wahrheitsanspruch (b) Sich wechselseitig für wahrhaftig halten(c) Geltungskriterium: nur Qualität eines Arguments (d) Konsens: Resultat der Zustimmung zum stärksten aufgebotenen Argument(e) Zustimmung muss frei erfolgen

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3.3 Wie steht es um die Erkenntnis von Wirklichkeit in der virtuellen Welt?

• Prozess der Telematisierung– Virtualität: Ontologisch gesehen Nichtseiendes („Virtuelles“) wird

als existent behauptet

– Neue Dimensionen eröffnet, z.B.• Kriegsführung: Neue Medien werden zur Waffe• Im Netz Spiel mit der eigenen Identität möglich

Gibt es überhaupt eine ‚virtuelle Realität‘ und eine ‚eigentliche Wirklichkeit‘?

• Konsequenzen für die Gottesfrage– R. Spaemann– Wahr-/Unwahr-Unterscheidung

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4. Weite und Grenze der Sprache• Fragen: 4.1 Welche sprachkritischen und

sprachphilosophische Konzepte gab es im Laufe der Geschichte (Beispiele)?

4.2-4.4 Welche drei Richtungen der Sprachphilosophie sind in der Neuzeit entstanden?

4.5-4.6 Was bedeutet die Reflexion über Sprache für die Theologie?

4.7 Wie gelingt Metaphorik?

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4.1 Welche sprachkritischen und sprachphilosophische Konzepte gab es im Laufe der Geschichte (Beispiele)?

• Platon: Vorbehalt gegenüber der Sprache

„Wenn ich [...] die Absicht gehabt hätte, es [sc. seine Lehre; K. M.] könne für weite Kreise hinreichend geschrieben und gesagt werden, was hätte ich dann Herrlicheres tun können in meinem Leben, als dies niederzuschreiben zum großen Nutzen für die Menschen und allen die wahre Natur ans Licht zu ziehen? Doch ich meine, daß für die Menschen ein Versuch damit in der beschriebenen Art nicht gut wäre, außer für einige wenige, die es jedoch auch selbst nach wenigen Hinweisen herausfinden können. Alle übrigen würden sich entweder mit unaufrichtiger Geringschätzung aufblasen und damit der Sache nicht gerecht werden oder mit der hohen, eitlen Hoffnung, sie hätten irgend etwas Erhabenes gelernt.“ (Platon: Siebenter Brief. 341d-e.)

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• Aristoteles: Konventionalität der Sprache

„Es sind also die Laute, zu denen die Stimme gebildet wird, Zeichen der in der Seele hervorgerufenen Vorstellungen, und die Schrift ist wieder Zeichen der Laute. Und wie nicht alle dieselbe Schrift haben, so sind auch die Laute nicht bei allen dieselben. Was aber durch beide an erster Stelle angezeigt wird, die einfachen seelischen Vorstellungen, sind bei allen Menschen dieselben, und ebenso sind es die Dinge, deren Abbilder die Vorstellungen sind. [...] Das Nomen ist also ein Laut, der konventionell etwas bedeutet, ohne eine Zeit einzuschließen, und ohne daß ein Teil von ihm eine Bedeutung für sich hat.“ (Aristoteles: Peri hermenias. 16a.)

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• Augustinus: Semiotik

– Sprache und Denken– Sprache und Sache– Sprache als Zeichen

• Kritische Revision durch Thomas von Aquin

– Eigenständigkeit der weltlichen Wirklichkeit

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4.2-4.4 Welche drei Richtungen der Sprachphilosophie sind in der Neuzeit entstanden?

• Dialogische Sprachphilosophie (Cohen, Rosenzweig)

– Korrelation Mensch-Gott, Gebot-Gebet, Ich-Du

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• Hermeneutische Sprachphilosophie (Heidegger, Gadamer)

– Heidegger: „Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch.“

– Gadamer: „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache.“

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• Analytische Sprachphilosophie

– Linguistic turn

– 2 Richtungen der analyt. Sprachphilosophie

– Wittgenstein: Sprachspiel, Lebensform, Familienähnlichkeit

Russell Moore

Wissenschafts-sprache

Alltagssprache

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4.5 - 4.6 Was bedeutet die Reflexion über Sprache für die Theologie?

• Problembewusstsein in der Bibel– Gottesname JHWH

• Analogielehre– IV. Laterankonzil:

„[...] zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, daß zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“ (DH 806)

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4.7 Wie gelingt Metaphorik?

• Beispiele des Nikolaus von Cues

– > Disclosure-Ereignis– > Sprengmetaphorik

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5. Kunst des Verstehens• Fragen:

5.1 In welchem Zusammenhang gab das Christentum der Hermeneutik einen entscheidenden Impuls?

5.2-5.3 Welche theologischen Hermeneutiken entwickelten Schleiermacher und Gadamer?

5.4-5.5 Welche Probleme sieht die Postmoderne in hermeneutischen Konzepten?

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5.1 In welchem Zusammenhang gab das Christentum der Hermeneutik einen entscheidenden Impuls?

• Wahrheitsanspruch des Christentum vs. Widersprüche in der Schrift?

• Hermeneutik des mehrfachen Schriftsinns– Origenes– Augustinus de Dacia

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5.2-5.3 Welche theologischen Hermeneutiken entwickelten Schleiermacher und Gadamer?

• Vermittlung zwischen historisch-kritischer und pietistischer Hermeneutik

• I: Schleiermacher– Theologische Hermeneutik als Unterfall einer

universalen Hermeneutik– Wechselseitiges Verhältnis von

Sprachuniversum und konkretem Sprachfall

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• II: Gadamer

• „Das Verstehen ist selber nicht so sehr als eine Handlung der Subjektivität zu denken, sondern als Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln.“(GADAMER, Hans-Georg: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 6. Aufl. Tübingen 1990. (Gesammelte Werke;1). 295.)

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• Systematische Grundbegriffe bei Gadamer:

1) Vorurteil

2) Hermeneutischer Zirkel

3) Zeitenabstand

4) Wirkungsgeschichte

5) Horizontverschmelzung

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5.4-5.5 Welche Probleme sieht die Postmoderne in hermeneutischen Konzepten?

• Postmoderne: Primat des Plurals

– Vs. die Einheit der Vernunft, der Sprache, der Geschichte

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• Postmoderne und Hermeneutik

„Hermeneutik hat der Versuchung zu widerstehen, aus vielen Sinnen einen Sinn, aus vielen Kulturen eine Kultur, aus vielen Religionen eine Religion, aus vielen Wahrheiten eine Wahrheit herstellen zu wollen. Sie will nicht den anderen die eine Vernunft erschließen, sondern selbst der Vernunft der anderen gegenüber aufgeschlossen sein.“

(Mall, Ram A.: Philosophie im Vergleich der Kulturen. Interkulturelle Philosophie – eine neue Orientierung. Darmstadt 1995. 92)

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6. Was sollen wir tun?

• Fragen:

6.1 – 6.3 Welche Modelle philosophischer Ethik werden mit den Begriffen Tugendethik, Pflichtethik und Diskursethik beschrieben?

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• Tugendethik (Aristoteles) = teleologische/eudamonistische Ethik

– Moralisches Handeln orientiert an der Mitte (als Optimum)

– Ziel moralischer Existenz: Das Glück (eudamonia), d.h. „gut leben“

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• Pflichtethik (Kant)

– Prüfstein von Sittlichkeit: Kategorischer Imperativ

„Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“

(Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. In: Ders.: Kants gesammelte Schriften. Hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften.Bd. IV. Berlin 1911. 385-463. Hier 421).

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• Diskursethik (Apel)

– Formales Prinzip: Diskurs innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft

– Voraussetzungen für Kommunikationspartner:(a) Unterstellung eines Wahrheitsanspruch (b) Sich wechselseitig für wahrhaftig halten(c) Geltungskriterium: nur Qualität eines Arguments (d) Konsens: Resultat der Zustimmung zum stärksten aufgebotenen Argument(e) Zustimmung muss frei erfolgen

– Ergänzung: „Verantwortungsethik“

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7. Rätselwesen Mensch

7.1 Welche Aspekte menschlicher Selbsterfahrung lassen sich feststellen?

7.2 Welche Modelle einer Verhältnisbestimmung von Leib und Seele gibt es?

7.3 Wie steht es um das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein?

7.4-7.9 Was lässt sich zur Geschichte der Subjektivität in philosophisch-theologischen Reflexionen sagen?

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7.1 Welche Aspekte menschlicher Selbsterfahrung lassen sich feststellen?

• „Geworfenheit des Menschen“ (Heidegger) und Doppeldimension menschlicher Selbsterfahrung

• Unhintergehbarkeit der Subjektivität– „What is it like to be a bat?“ (Thomas Nagel)

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7.2 Welche Modelle einer Verhältnisbestimmung von Leib und Seele gibt es?

• 4 Grundmodelle

1) Dualismus

2) Idealistischer Monismus

3) Materialistischer Monismus

4) Hylemorphismus

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7.3 Wie steht es um das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein?

• Neuro-Modell der Subjektivität

– Zentrale Resultate der Neurobiologiea) Parallelismus von Gehirn und Geist

b) Freier Wille als Illusion

-> philosophische Interpretation von Bewusstsein notwendig

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7.4-7.9 Welche Bedeutung hat die Subjektivität in der jüdisch-christlichen Tradition? Welche in

der Moderne?

• Jüdisch-christliche Tradition– Große Relevanz des Individuums im Verhältnis zu Gott

• Subjektivität als Angelpunkt der Moderne– Descartes: „Cogito, ergo sum“

• Subjektivitätsdiskurs– Herrschaftsanspruch des Subjekts?– Präreflexivität des Selbstbewusstseins– Verhältnis Subjekt und Person?– Selbsterhaltung des Subjekts?

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8. Hoffnung, die Gründe kennt

• Fragen:

8.1 Was ist Religionsphilosophie? In welchem Kontext entstand sie als eigene Disziplin?

8.2 Was zeichnete Spinozas Philosophie aus und welche Rolle spielte sie in der „Sattelzeit“?

8.3 Welche systematischen Fragen kennzeichneten die „Sattelzeit“?

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8.1 Was ist Religionsphilosophie? In welchem Kontext entstand sie als eigene Disziplin?

• Kants Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“– Philosophische Einholung von Religion

• Streit über Möglichkeit und Notwendigkeit von Religionsphilosophie in 3 Streitfällen– Im Hintergrund: Spinozismus

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8.2 Was zeichnete Spinozas Philosophie aus und welche Rolle spielte sie in der „Sattelzeit“?

• „Deus sive natura“– Endliches als Implikation des Absoluten– Freiheit als Notwendigkeit– Theismuskritik– Radikaler Rationalismus ist Gottesliebe

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8.3 Welche systematischen Fragen kennzeichneten die „Sattelzeit“?

• Pantheismusstreit (Jacobi vs. Mendelssohn)

• Atheismusstreit (Fichte)

• Theismusstreit (Jacobi vs. Schelling)

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9. Panorama moderner Religionskritik

• Fragen:

9.1-9.5 Welches sind die klassischen Modelle neuzeitlicher Religionskritik?

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• 9.1 Religion als Projektion (Feuerbach)

- „Gott ist der Spiegel des Menschen.“

(Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. In: Ders.: Werke in sechs Bänden.

Bd. 5. Hg. v. E. Thies. Frankfurt a.M. 1976. 73)

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- „Die Religion im allgemeinen [...] ist identisch mit dem

Selbstbewußtsein, mit dem Bewußtsein des Menschen von seinem Wesen. Aber die Religion ist, allgemein ausgedrückt, Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts andres sein als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen, Wesen [...]. Das Bewußtsein des Unendlichen ist nichts andres als das Bewußtsein von der Unendlichkeit des Bewußtseins. Oder: Im Bewusstsein des Unendlichen ist dem Bewußten nur die Unendlichkeit des eignen Wesens Gegenstand.“

(Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. In: Ders.: Werke in sechs Bänden.

Bd. 5. Hg. v. E. Thies. Frankfurt a.M. 1976. 18-19.)

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• 9.2 Religion als gesellschaftliches Sedativum (Marx/Engels)

- Religion als „Opium des Volks“ (Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. In:

Ders../Engels, Friedrich. Studienausgabe. Bd. I. Philosophie. Hg. v. Iring Fetscher. Frankfurt a.M. 1971. 17-30. Hier 17.)

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- „Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“

(Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. In: Ders../Engels, Friedrich. Studienausgabe. Bd. I. Philosophie. Hg. v. Iring Fetscher. Frankfurt a.M. 1971. 17-30. Hier 17-18).

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• 9.3 Religion als Ressentiment und

Kompensation (Nietzsche)

- „Sie [Christentum und Buddhismus; K. M.] suchen zu erhalten, im Leben festzuhalten, was sich nur irgend halten lässt, ja sie nehmen grundsätzlich für sie Partei, als Religionen für Leidende, sie geben allen Denen recht, welche am Leben wie an einer Krankheit leiden, und möchten es durchsetzen, dass jede andre Empfindung des Lebens als falsch gelte und unmöglich werde. Möchte man diese schonende und erhaltende Fürsorge, insofern sie neben allen anderen auch dem höchsten, bisher fast immer auch leidensten Typus des Menschen gilt und galt, noch so hoch anschlagen: in der Gesammt-Abrechnung gehören die bisherigen, nämlichen souveränen Religionen zu den Hauptursachen, welche den Typus ,Mensch’ auf einer niedrigeren Stufe festhielten, — sie erhielten zu viel von dem, was zu Grunde gehn sollte.“

(Nietzsche, Friedrich: Jenseits von Gut und Böse. In: DERS.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Bd. 5. 2. Aufl. München; Berlin; New York 1988. 9-243. Hier 81-82. § 62.)

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„ Gott ist tot“

1) Gefangenen-Parabel

„Die Gefangenen. — Eines Morgens traten die Gefangenen in den Arbeitshof; der Wärter fehlte. Die Einen von ihnen giengen, wie es ihre Art war, sofort an die Arbeit, Andere standen müssig und blickten trotzig umher. Da trat Einer vor und sagte laut: ‚Arbeitet, so viel ihr wollt oder thut Nichts: es ist Alles gleich. Eure geheimen Anschläge sind an’s Licht gekommen, der Gefängniswärter hat euch neulich belauscht und will in den nächsten Tagen ein fürchterliches Gericht über euch ergehen lassen. Ihr kennt ihn, er ist hart und nachträgerischen Sinnes. Nun aber merkt auf: ihr habt mich bisher verkannt; ich bin nicht, was ich scheine, sondern viel mehr: ich bin der Sohn des Gefängnisswärters und gelte Alles bei ihm. Ich kann euch retten, ich will euch retten; aber, wohlgemerkt, nur Diejenigen von euch, welche mir glauben, dass ich der Sohn des Gefängnisswärters bin; die Uebrigen mögen die Früchte ihres Unglaubens ernten.’

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‚Nun, sagte nach einigem Schweigen ein älterer Gefangener, was kann dir daran gelegen sein, ob wir es dir glauben oder nicht glauben? Bist du wirklich der Sohn und vermagst du Das, was du sagst, so lege ein gutes Wort für uns Alle ein: es wäre wirklich recht gutmüthig von dir. Das Gerede von Glauben und Unglauben aber lass’ bei Seite!’ ‚Und, rief ein jüngerer Mann dazwischen, ich glaub’ es ihm auch nicht: er hat sich nur Etwas in den Kopf gesetzt. Ich wette, in acht Tage befinden wir uns gerade noch so hier wie heute, und der Gefängniswärter weiss Nichts.’ ‚Und wenn er etwas gewusst hat, so weiss er’s nicht mehr’, sagte der Letzte der Gefangenen, der jetzt erst in den Hof hinabkam; ‚der Gefängnisswärter ist eben plötzlich gestorben’. — Holla, schrien mehrere durcheinander, holla! Herr Sohn, Herr Sohn, wie steht es mit der Erbschaft? Sind wir vielleicht jetzt deine Gefangenen? — ‚Ich habe es euch gesagt, entgegnete der Angeredete mild, ich werde Jeden freilassen, der an mich glaubt, so gewiss als mein Vater noch lebt’. — Die Gefangenen lachten nicht, zuckten aber mit den Achseln und liessen ihn stehen.“

(Nietzsche, Friedrich: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. In: DERS.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Bd. 2. 2. Aufl. München; Berlin; New York 1988. 590-591.)

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2) Parabel vom „tollen Menschen“

„Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ‚Ich suche Gott! Ich suche Gott!’ — Da dort gerade Viele von Denen zusammen standen, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verloren gegangen? sagte der Eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der Andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? — so schrieen und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. ‚Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, — ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder!

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Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? […] Man erzählt noch, dass der tolle Mensch des selbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur diess entgegnet: ‚Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?’“(Nietzsche, Friedrich: Die Fröhliche Wissenschaft. In: Ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Bd. 3. 2. Aufl. München; Berlin; New York 1980. 343-651. Hier 481-482)

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- „Der christliche Gottesbegriff — Gott als Krankengott, Gott als Spinne, Gott als Geist — ist einer der corruptesten Gottesbegriffe, die auf Erden erreicht worden sind; [...] Gott zum Widerspruch des Lebens abgeartet, statt dessen Verklärung und ewiges Ja zu sein! [...] Gott die Formel fürjede Verleumdung des ‚Diesseits’, für jede Lüge vom ‚Jenseits’! In Gott das Nichts vergöttlicht, der Wille zum Nichts heilig gesprochen!“(Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist. In: Ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Bd. 6. 2. Aufl. München; Berlin; New York 1988. 165-253. Hier 185.)

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• 9.4 Religion als Krankheit (Freud)

- „Der letzte Grund der Religion ist die infantile Hilflosigkeit des Menschen“(Zit. nach: JONES, Ernest: Leben und Werk von Sigmund Freud. Bd. 2. Bern; Stuttgart 1962. 413.)

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- „Kritiker beharren darauf, einen Menschen, der sich zum Gefühl der menschlichen Kleinheit und Ohnmacht vor dem Ganzen der Welt bekannt, für ‚tief religiös’ zu erklären, obwohl nicht dieses Gefühl das Wesen der Religiosität ausmacht, sondern erst der nächste Schritt, die Reaktion darauf, die gegen dies Gefühl eine Abhilfe sucht. Wer nicht weiter geht, wer sich demütig mit der geringfügigen Rolle des Menschen in der großen Welt bescheidet, der ist vielmehr irreligiös im wahrsten Sinne des Wortes.“

(Freud, Sigmund: Die Zukunft einer Illusion (1927). In: Ders.: Studienausgabe. Bd. 9. Hg. v. A. Mitscherlich, A. Richards und J. Strachey. Frankfurt a.M. 1974. 135-189. Hier 166.)

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• 9.5 Religion als Ausdruck vorwissenschaftlichen Bewusstseins (Comte, Weber)

– Comte: Drei-Stadien-Gesetz:• Theologische,• Metaphysiche,• Positive Methode des menschlichen Geistes

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– Weber: Religion = Rationalitätsform, die durch

die in ihr wirkende Dynamik selbst überholt wird.

• Rationalisierung/„Entzauberung“ in ethischer und kognitiver Dimension

– Habermas• Ethische Rationalisierung in Erlösungsreligionen,

kognitive in kosmologisch-metaphysischen Weltbildern vollzogen

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10. Die philosophische Gottesfrage

• Fragen:

10.1 Was sind Gottesbeweise und wozu dienen sie?

10.2 Welche klassischen Argumenttypen gibt es?

10.3-10.6 Welche Gottesbeweise führen Thomas von Aquin, Anselm von Canterbury, Immanuel Kant und Robert Spaemann durch?

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10.1 Was sind Gottesbeweise und wozu dienen sie?

• Gottesbeweis = Benennung von Gründen für Vernunftgemäßheit der Annahme einer Existenz Gottes

• RelevanzI: Selbstvergewisserung

II: Kommunikative Redlichkeit

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10.2 Welche klassischen Argumenttypen gibt es?

a) Historischer (ethnologischer) Gottesbeweisb) Axiologischer (eudaimonologischer)

Gottesbeweisc) Noetischer (ideologischer, nomologischer)

Gottesbeweisd) Stufenbeweise) Kosmologische Argumentef) Physikotheologische Argumenteg) Ontologisches Argumenth) Deontologischer (ethikotheologischer,

moralischer) Gottesbeweis

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• „Alle Wege, die man in dieser Absicht einschlagen mag, fangen entweder von der bestimmten Erfahrung und der dadurch erkannten besonderen Beschaffenheit unserer Sinnenwelt an und steigen von ihr nach Gesetzen der Kausalität bis zur höchsten Ursache außer der Welt hinauf; oder sie legen nur unbestimmte Erfahrung, d. i. irgend ein Dasein, empirisch zum Grunde; oder sie abstrahiren endlich von aller Erfahrung und schließen gänzlich a priori aus bloßen Begriffen auf das Dasein einer höchsten Ursache. Der erste Beweis ist der physikotheologische, der zweite der kosmologische, der dritte der ontologische Beweis. Mehr giebt es ihrer nicht, und mehr kann es auch nicht geben.“

(Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. (2. Aufl. 1787) In: Ders.: Kant’s gesammelte Schriften. Hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Bd. III. Berlin 1911. 1-552. Hier 396.)

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10.3-10.6 Welche Gottesbeweise führen Thomas von Aquin, Anselm von Canterbury, Immanuel

Kant und Robert Spaemann durch?

1) Die „Quinque viae“ des Thomas von Aquin

2) Der ontologische Gottesbeweis von Anselm von Canterbury

3) Der moralische Gottesbeweis bei Immanuel Kant

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1) Die „Quinque viae“ des Thomas von Aquin

a) Erster Weg: Ausgehend von der Bewegung…

b) Zweiter Weg: …vom Gedanken der Wirkursache

c) Dritter Weg: …vom Unterschied des möglichen und notwendigen Seins

d) Vierter Weg: …von den Seinsstufen

e) Fünfter Weg: … von der Weltordnung

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a) Erster Weg

„Fünf Wege gibt es, das Dasein Gottes zu beweisen. Der erste und nächstliegende Weg geht von der Bewegung aus. Es ist eine sichere und durch das Zeugnis der Sinne zuverlässig verbürgte Tatsache, dass es in der Welt Bewegung gibt. Alles aber, was in Bewegung ist, wird von einem anderen bewegt. Denn in Bewegung sein kann etwas nur, sofern es unterwegs ist zum Ziel der Bewegung. Bewegen aber kann etwas nur, sofern es irgendwie schon im Ziel steht. Bewegen [im weitesten Sinne; K. M.] heißt nämlich nichts anderes als: ein Ding aus seinen Möglichkeiten überführen in die entsprechenden Wirklichkeiten. Dies kann aber nur geschehen durch ein Sein, das bereits in der entsprechenden Wirklichkeit steht. So bewirkt z. B. etwas ‚tatsächlich’ Glühendes wie das Feuer, daß ein anderes z. B. das Holz, zu dessen Möglichkeiten es gehört, glühend zu sein, und ‚in der Tat’ glühend wird. Das Feuer also ‚bewegt’ das Holz und verändert es dadurch. Es ist aber nicht möglich, daß ein und dasselbe Ding in bezug auf dieselbe Seinsvollkommenheit ‚schon’ ist und zugleich ‚noch nicht’ ist, was es sein könnte.

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Möglich ist das nur in bezug auf verschiedene Seinsformen oder Seinsvollkommenheiten. Was z. B. in Wirklichkeit heiß ist, kann nicht zugleich dem bloßen Vermögen nach heiß sein, sondern ist dem Vermögen nach kalt. Ebenso ist es unmöglich, daß ein und dasselbe Ding in bezug auf dasselbe Sein in einer und derselben Bewegung zugleich bewegend und bewegt sein oder — was dasselbe ist —: es ist unmöglich, daß etwas [im strengen Sinne; K. M.] sich selbst bewegt. Also muß alles, was in Bewegung ist, von einem anderen bewegt sein. — Wenn demnach das, wovon etwas seine Bewegung erhält, selbst auch in Bewegung ist, so muß auch dieses wieder von einem anderen bewegt sein, und dieses wieder von einem anderen. Das kann aber unmöglich so ins Unendliche fortgehen, da wir dann kein erstes Bewegendes und infolgedessen überhaupt kein Bewegendes hätten. Denn die späteren Beweger bewegen ja nur in Kraft des ersten Bewegers, wie der Stock [sich; K. M.] nur insoweit bewegen kann, als er bewegt ist von einer Hand. Wir müssen also unbedingt zu einem ersten Bewegenden kommen, das von keinem bewegt ist. Dieses erste Bewegende aber meinen alle, wenn sie von ,Gott’ sprechen.“

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b) Zweiter Weg

„Der zweite Weg geht vom Gedanken der Wirkursache aus. Wir stellen nämlich fest, daß es in der sichtbaren Welt eine Über- und Unterordnung von Wirkursachen gibt; dabei ist es niemals festgestellt worden und ist auch nicht möglich, daß etwas seine eigene Wirk- oder Entstehungsursache ist. Denn dann müßte es sich selbst im Sein vorausgehen, und das ist unmöglich. Es ist aber ebenso unmöglich, in der Über- und Unterordnung von Wirkursachen ins Unendliche zu gehen, sowohl nach oben als auch nach unten. Denn in dieser Ordnung von Wirkursachen ist das Erste die Ursache des Mittleren und das Mittlere die Ursache des Letzten, ob nun viele Zwischenglieder sind oder nur eines. Mit der Ursache fällt auch die Wirkung. Gibt es also kein Erstes in dieser Ordnung, dann kann es auch kein Letztes und kein Mittleres geben. Lassen wir die Reihe der Ursachen aber ins Unendliche gehen, dann kommen wir nie an eine erste Ursache und so werden wir weder eine letzte Wirkung noch Mittel-Ursachen haben. Das widerspricht aber den offenbaren Tatsachen. Wir müssen also notwendig eine erste Wirk- oder Entstehungsursache annehmen: und die wird von allen ,Gott’ genannt.“

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c) Dritter Weg

„Der dritte Weg geht aus von dem Unterschied des bloß möglichen und des notwendigen Seins. Wir stellen wieder fest, daß es unter den Dingen solche gibt, die geradesogut sein wie auch nicht sein können. Darunter fällt alles, was dem Entstehen und Vergehen unterworfen ist. Es ist aber unmöglich, daß die Dinge dieserart immer sind oder gewesen sind; denn das, was möglicherweise nicht ist, ist irgendwann einmal auch tatsächlich nicht da oder nicht da gewesen. Wenn es also für alle Dinge gelten würde, daß sie möglicherweise nicht da sind oder nicht da gewesen sind, dann muß es eine Zeit gegeben haben, wo überhaupt nichts war. Wenn aber das wahr wäre, könnte auch heute nichts sein. Denn was nicht ist, fängt nur an zu sein durch etwas, was bereits ist. Gab es aber überhaupt kein Sein, dann war es auch unmöglich, daß etwas anfing zu sein, und so wäre auch heute noch nichts da, und das ist offenbar falsch.

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Also kann nicht alles in den Bereich jener Dinge gehören, die [selbst, nachdem sie sind; K. M.] geradesogut auch nicht sein können; sondern es muß etwas geben unter den Dingen, das notwendig [d. h. ohne die Möglichkeit des Nichtseins; K. M.] ist. Alles notwendige Sein aber hat den Grund seiner Notwendigkeit entweder in einem anderen oder nicht in einem anderen [sondern in sich selbst; K.M.]. In der Ordnung der notwendigen Wesen, die den Grund ihrer Notwendigkeit in einem anderen haben, können wir nun aber nicht ins Unendliche gehen, sowenig wie bei den Wirkursachen. Wir müssen also ein Sein annehmen, das durch sich notwendig ist und das den Grund seiner Notwendigkeit nicht in einem anderen Sein hat, das vielmehr selbst der Grund für die Notwendigkeit aller anderen notwendigen Wesen ist. Dieses notwendige Wesen aber wird von allen ,Gott’ genannt.“

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d) Vierter Weg

„Der vierte Weg geht aus von den Seinsstufen, die wir in den Dingen finden. Wir stellen nämlich fest, daß das eine mehr oder weniger gut, wahr, edel ist als das andere. Ein Mehr oder Weniger wird aber von verschiedenen Dingen nur insofern ausgesagt, als diese sich in verschiedenem Grade einem Höchsten nähern. So ist dasjenige wärmer, was dem höchsten Grad der Wärme näher kommt als ein anderes. Es gibt also etwas, das ,höchst’ wahr, ,höchst’ gut, ,höchst’ edel und damit im höchsten Grade ,Sein’ ist. Denn nach Aristoteles ist das ,höchst’ Wahre auch das ,höchst’ Wirkliche. Was aber innerhalb einer Gattung das Wesen der Gattung am reinsten verkörpert, das ist Ursache all dessen, was zur Gattung gehört, wie z. B. das Feuer nach Aristoteles als das ,zuhöchst’ Warme die Ursache aller warmen Dinge ist. So muß es auch etwas geben, das für alle Wesen die Ursache ihres Seins, ihres Gutseins und jedweder ihrer Seinsvollkommenheiten ist: und dieses nennen wir ,Gott’.“

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e) Fünfter Weg

„Der fünfte Weg geht aus von der Weltordnung. Wir stellen fest, daß unter den Dingen manche, die keine Erkenntnis haben, wie z. B. die Naturkörper, dennoch auf ein festes Ziel hin tätig sind. Das zeigt sich darin, daß sie immer oder doch in der Regel in der gleichen Weise tätig sind und stets das Beste erreichen. Das beweist aber, daß sie nicht zufällig, sondern irgendwie absichtlich ihr Ziel erreichen. Die vernunftlosen Wesen sind aber nur insofern absichtlich, d. h. auf ein Ziel hin tätig, als sie von einem erkennenden geistigen Wesen auf ein Ziel hingeordnet sind, wie der Pfeil vom Schützen. Es muß also ein geistigerkennendes Wesen geben, von dem alle Naturdinge auf ihr Ziel hingeordnet werden: und dieses nennen wir ,Gott’.“

Alle Zitate: Thomas von Aquin: Summa Theologiae. I, q.2, a3 c.

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2) Der ontologische Gottesbeweis von Anselm von Canterbury

• Aus dem Werk Proslogion:

„Also, Herr, der Du die Glaubenseinsicht gibst, verleihe mir, daß ich, soweit Du es nützlich weißt, einsehe, daß Du bist, wie wir glauben, und das bist, was wir glauben. Und zwar glauben wir, daß Du etwas bist, über dem nichts Größeres gedacht werden kann. Gibt es also ein solches Wesen nicht, weil ,der Tor in seinem Herzen gesprochen hat: es ist kein Gott?’ Aber sicherlich, wenn dieser Tor eben das hört, was ich sage: ,etwas, über dem nichts Größeres gedacht werden kann’, versteht er, was er hört; und was er versteht, ist in seinem Verstande, auch wenn er nicht einsieht, daß dies existiert. Denn ein anderes ist es, daß ein Ding im Verstande ist, ein anderes, einzusehen, daß das Ding existiert. Denn wenn ein Maler vorausdenkt, was er schaffen wird, hat er zwar im Verstande, erkennt aber noch nicht, daß existiert, was er noch nicht geschaffen hat.

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Wenn er aber schon geschaffen hat, hat er sowohl im Verstande, als er auch einsieht, daß existiert, was er bereits geschaffen hat. So wird also auch der Tor überführt, daß wenigstens im Verstande etwas ist, über dem nichts Größeres gedacht werden kann, weil er das versteht, wenn er es hört, und was immer verstanden wird, ist im Verstande. Und sicherlich kann ,das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann’, nicht im Verstande allein sein. Denn wenn es wenigstens im Verstande allein ist, kann gedacht werden, daß es auch in Wirklichkeit existiere — was größer ist. Wenn also ,das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann’, im Verstande allein ist, so ist eben ,das, über dem Größeres nicht gedacht werden kann’, [etwas; K. M.] über dem Größeres gedacht werden kann. Das aber kann gewiß nicht sein. Es existiert also ohne Zweifel ,etwas, über dem Größeres nicht gedacht werden kann’, sowohl im Verstande als auch in Wirklichkeit.“

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• Argumentschritte

(a) Begriffliches Sein = wirkliches Sein des Begriffenen

wirkliches Sein ist „mehr“ als nur Begriffensein

Bsp.: Ein gemaltes Bild ist mehr als ein geplantes.

(b) Deswegen muss etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, existieren, denn

(c) würde es nicht existieren, dann ließe sich über das nichtexistierende, weil nur gedachte Größte, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, hinaus eben doch noch ein Größeres denken, nämlich ein existierendes denkbar Größtes.

(d) Damit erweist sich die Leugnung der Existenz des denkbar Größten als ein Widerspruch, der aus der Unvollständigkeit des Reflexionsganges resultiert.

Das, worüber h. G. nicht gedacht werden kann (nichtexistent)

Das, worüber h. G. nicht gedacht werden kann (existent)

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3) Der moralische Gottesbeweis bei Immanuel Kant

• Gotteserkenntnis nur in praktischer Vernunft (Moral)

• Kategorischer Imperativ: „[H]andle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“

• Gottespostulat, um Vernünftigkeit einer Handlung nach dem Kategorischen Imperativ zu gewährleisten

Glückswürdigkeit + Glücksseligkeit

Gott

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4) Argument aus dem Futurum exactum

„Das jetzige Bewusstsein von dem, was jetzt ist, impliziert das Bewusstsein des künftigen Gewesenseins, oder es hebt sich selbst auf. Aber was ist der ontologische Status dieses Gewesenseins, wenn alle Spuren verweht sein werden, wenn das Universum nicht mehr sein wird? [...] Die Unvermeidlichkeit des Futurum exactum impliziert die Unvermeidlichkeit, einen ‚Ort’ zu denken, wo alles, was geschieht, für immer aufgehoben ist. Oder wir müssen den absurden Gedanken akzeptieren, dass einmal nicht mehr gewesen sein wird, was jetzt ist, und was eben deshalb auch jetzt nicht wirklich ist.“(Spaemann, Robert: Das unsterbliche Gerücht. In: Merkur 53 (1999). 772-783. Hier 783.)

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…zum Schluss

„Nach Gott zu fragen, sei es in der Weise der Theologie, sei es mit Blick auf das Religiöse in der säkularen Welt, ist ein Exerzitium. [....] Wer es ausschlägt, nimmt Schaden – der Gläubige an seiner Seele, der Ungläubige an seinem Intellekt.“

(Bohrer, K.-H./Scheel, K.: Vorwort zum Sonderheft: „Nach Gott fragen. Über das Religiöse“. In: Merkur 53 (1999). 771.)