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An der Wichtigkeit ökonomischer Bildung wird wenig gezweifelt. Sie wird seit Jahren betont – von Wissenschaftlern, Lehrern, Politikern, Eltern, aber auch von Unternehmern und Bankern, die die wirt- schaftlichen Kenntnisse von Kindern und Jugendlichen und auch von vielen erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern bemängeln. Nachhaltig sollte ökonomisches Wissen und Handeln sein. Nur so versetzt es Menschen in die Lage, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und abzuschätzen, wie sich das eige- ne Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt. Viele aktuelle Krisen, allen voran die Finanzmarktkrise, lassen diesen Blick jedoch oftmals vermissen. Das konstatiert auch Walter Hirche, Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission: „Ursachen der Krise waren auch kurz- fristiges Denken und Verkennen der Komplexität. Wir benötigen sicher neue Regeln für das Finanzsystem. Wir brauchen aber vor allem einen Mentalitätswandel, der wegführt von kurzfristiger Gewinnorientierung. Wir brauchen einen Mentalitätswandel durch Bildung.“ Wie aber sollte ökonomische Bildung beschaffen sein, die diesen Ansprüchen gerecht wird? Die Staaten der Vereinten Nationen haben diese Frage unter dem Titel „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ins Zentrum ihrer UN-Dekade für die Jahre 2005 bis 2014 gesetzt. In diesem Jahr hat die Dekade das Thema „Geld“ als Jahresthema. Auf ihrer Internetseite finden sich viele Beispiele dafür – Veranstaltungen und Projekte, Materialien und Meldungen, bei denen es um Finanzkompetenz, fairen Handel, Konsum und Unternehmensverantwortung, aber auch um finanzielle Verbraucherbildung geht. Wie kommt es, trotz der hohen Relevanz ökonomischer Bildung, dass viele Schülerinnen und Schüler wenig darüber lernen und wissen? Welche Inhalte sind wichtig – auch mit Blick auf ihre Nachhaltigkeit? In einer Ausgabe des Bankspiegels lassen sich diese Fragen nur in Ansätzen beantworten. Wir sehen unser Titelthema daher als eine erste Standortbestimmung und zeigen auf den folgenden Seiten, was uns als sozial-ökologische Bank an diesem Thema wichtig ist. Ralf Lilienthal hat mit Experten gesprochen, die sich theoretisch mit dem Thema befassen, aber auch ganz praxisnah ökonomisches Wissen vermitteln. Thomas Jorberg zeigt in seinem Essay, welches grundlegende Verständnis von Ökonomie vermittelt wer- den sollte, und fordert eine Bildungsoffensive. Bestimmt werden wir das Thema in Zukunft weiter verfol- gen. Wir freuen uns auch auf Ihre Anregungen! Ökonomische Bildung auf dem Prüfstand Wie wird ökonomisches Wissen vermittelt, das nachhaltigen Ansprüchen genügt? 09 Thema Bankspiegel I Ausgabe 1 I 2010 Thema Ökonomische Bildung

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Ein Artikel von Ralf Lilienthal für den Bankspiegel 1/2010 der GLS Bank

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An der Wichtigkeit ökonomischer Bildung wird wenig gezweifelt. Sie wird seit Jahren betont – von Wissenschaftlern, Lehrern, Politikern, Eltern, aber auch von Unternehmern und Bankern, die die wirt-schaftlichen Kenntnisse von Kindern und Jugendlichen und auch von vielen erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern bemängeln. Nachhaltig sollte ökonomisches Wissen und Handeln sein. Nur so versetzt es Menschen in die Lage, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und abzuschätzen, wie sich das eige-ne Handeln auf künftige Generationen oder das Leben in anderen Weltregionen auswirkt. Viele aktuelle Krisen, allen voran die Finanzmarktkrise, lassen diesen Blick jedoch oftmals vermissen. Das konstatiert auch Walter Hirche, Präsident der Deutschen UNESCO-Kommission: „Ursachen der Krise waren auch kurz-fristiges Denken und Verkennen der Komplexität. Wir benötigen sicher neue Regeln für das Finanzsystem. Wir brauchen aber vor allem einen Mentalitätswandel, der wegführt von kurzfristiger Gewinnorientierung. Wir brauchen einen Mentalitätswandel durch Bildung.“

Wie aber sollte ökonomische Bildung beschaffen sein, die diesen Ansprüchen gerecht wird? Die Staaten der Vereinten Nationen haben diese Frage unter dem Titel „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ins Zentrum ihrer UN-Dekade für die Jahre 2005 bis 2014 gesetzt. In diesem Jahr hat die Dekade das Thema „Geld“ als Jahresthema. Auf ihrer Internetseite finden sich viele Beispiele dafür – Veranstaltungen und Projekte, Materialien und Meldungen, bei denen es um Finanzkompetenz, fairen Handel, Konsum und Unternehmensverantwortung, aber auch um finanzielle Verbraucherbildung geht.

Wie kommt es, trotz der hohen Relevanz ökonomischer Bildung, dass viele Schülerinnen und Schüler wenig darüber lernen und wissen? Welche Inhalte sind wichtig – auch mit Blick auf ihre Nachhaltigkeit? In einer Ausgabe des Bankspiegels lassen sich diese Fragen nur in Ansätzen beantworten. Wir sehen unser Titelthema daher als eine erste Standortbestimmung und zeigen auf den folgenden Seiten, was uns als sozial-ökologische Bank an diesem Thema wichtig ist. Ralf Lilienthal hat mit Experten gesprochen, die sich theoretisch mit dem Thema befassen, aber auch ganz praxisnah ökonomisches Wissen vermitteln. Thomas Jorberg zeigt in seinem Essay, welches grundlegende Verständnis von Ökonomie vermittelt wer-den sollte, und fordert eine Bildungsoffensive. Bestimmt werden wir das Thema in Zukunft weiter verfol-gen. Wir freuen uns auch auf Ihre Anregungen!

Ökonomische Bildung auf dem Prüfstand Wie wird ökonomisches Wissen vermittelt, das nachhaltigen Ansprüchen genügt?

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Bankspiegel I Ausgabe 1 I 2010

Thema Ökonomische Bildung

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„Über Geld spricht man nicht.“ Tatsächlich? Wer die Zeitungen aufschlägt, Nach-richten hört oder den Wirtschaftsvorträgen der Stammtischdozenten lauscht, findet das Gegenteil wahr: Alle Welt redet über Geld. Über die verpufften Milliarden im großen Investmentspiel, über Manager-Millionengehälter und -abfindungen, über nächstens notwendig werdende Tausender für Miete, Heizung, Benzin, Kranken-versicherung oder private Rentenvorsorge. Und über ein paar Hartz-4-Regelsatz-Hunderter spricht man auch. Beruhigend oder gar ermunternd ist das in aller Regel nicht. Vor allem auch deshalb nicht, weil wir auf wirtschaftlich-gesellschaftlichem Feld zwar die überwiegend negativen Wirkungen erleben, die dahinterliegenden Ursachen aber selten sehen, geschweige denn wirklich verstehen.

Wirtschaft – die moderne, hoch technisierte, hochkomplexe Realwirtschaft – ist kompliziert. Und die globale Finanzwirtschaft, mit ihren selbst für Insider gelegent-lich undurchschaubaren Meta-Derivaten, sowieso. Also ist fundierte ökonomische Bildung Mangelware und demnach ein wertvolles, stark nachgefragtes Gut? Wie man’s nimmt. Denn während die Ratgeber- und Börsenguruliteratur, die Hoch- glanzwirtschaftsmagazine und TV-Wallstreet-Erklärer längst boomten, war es um die ökonomische und finanzielle Allgemeinbildung an unseren Schulen und Hochschulen lange Zeit schlecht bestellt. Und heute? Die ökonomische Bildung habe zwar seit dem Ende der Neunzigerjahre in den Lehrplänen stark zugenommen, sagt Birgit Weber, Professorin für Didaktik der Sozialwissenschaften und stellver-tretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Ökonomische Bildung, sie vermisse aber dennoch eine die verschiedenen Schultypen und Altersstufen umfas-sende, systematische ökonomische Schulbildung. Ihre Forderung: „Schüler sollen befähigt werden, in ökonomisch geprägten Lebenssituationen (als Konsumenten,

Produzenten, Berufswähler, Erwerbstätige und Investoren) angemes-sen, selbstbestimmt und verantwortlich Entscheidungen zu treffen und dabei auch die Konsequenzen für andere zu sehen.“ Auch sollen sie selbstständig urteilen können, wenn es um ökonomische Zu- sammenhänge und Probleme geht.

Während das Ziel einer den Namen verdienenden ökonomischen All- gemeinbildung unbestritten scheint, ist es insbesondere um die Aus-bildung und Qualifikation der Unterrichtenden nicht immer gut bestellt. Kein Wunder, dass der Ruf nach einem eigenen Schulfach „Wirtschaft“ immer lauter wird. Doch der Schluss „Wenn kein eigenes Fach, dann keine eigene Lehrerausbildung, dann keine ordentliche Versorgung der Schüler“ ist keineswegs zwingend. Denn, so Weber: „Soziale, politische, ökonomische und ökologische Fragen sind untrennbar miteinander ver-bunden“. Und ganz gleich ob wir unser Geld verdienen, ausgeben oder investieren – ob, warum und wie wir das tun, hängt ganz gewiss nicht alleine von unserem ökonomischen Einsichtsvermögen ab. Mit anderen Worten: Ökonomische Bildung ist von Anfang an mehr als eine Art redu-zierter Volks- und Betriebswirtschaftslehre (Anmerkung 1).

Während sich Fachdidaktiker wie Birgit Weber um die Fundamente einer umfassenden ökonomischen Schulbildung bemühen, werden außerschulisch seit einiger Zeit fleißig „Care-Pakete“ geschnürt. Banken, Sparkassen und Wirtschaftsverbände geben, zumeist kostenlos, Bro-schüren und Unterrichtsmaterialien zur ökonomischen Bildung heraus, schicken Manager und Meister in die Klassen, laden zu Börsenspielen und Betriebspraktika ein. „Nicht alles ist manipulativ, auch wenn natürlich mit jedem Angebot die Interessen einer Gruppe transportiert werden“, meint Birgit Weber und denkt über einen unabhängigen „Schul-TÜV“ für ökonomische Lehrmaterialien nach. Noch wichtiger aber seien „urteilsfähige Lehrkräfte, die zwischen Nutzen und Schaden unterschei-den können. Dabei geht es nicht so sehr darum, ob sich irgendwo ein falscher Satz eingeschlichen hat. Wichtiger ist: Was wird ausgeblendet? Was steht nicht drin?“ (Anmerkung 2)

Anmerkung 1: „Allerdings bedarf es einer festen Verankerung in einem Fach (zum Beispiel auch in einem Integrationsfach Sozialwissenschaften, Politik-Wirtschaft oder Wirtschaft-Recht). Mit ein wenig Wirtschaft in Mathematik, Deutsch, Ge- schichte und Erdkunde ist es jedenfalls nicht getan!“ (Birgit Weber)

Anmerkung 2: „In einer Bankbroschüre für Kinder wurde ausgiebig erläutert, wie Banken das Geld im Tresor sicher aufbewahren. Zweifellos trifft dies das Interesse der Kinder. Schließlich glauben nicht wenige von ihnen, dass Banken – sozusagen als gute öffentliche Einrichtungen – dazu da sind, das Geld vor Räubern und den eigenen Bedürfnissen zu schützen. Was eine Täuschung ist, denn das Geld der Sparer liegt nicht im Tresor der Banken. Außerdem wird verschwiegen, wie Banken ihr Geld verdienen und dass sie Unternehmen mit eigenen Interessen sind.“ (Birgit Weber)

Von Ralf Lilienthal

„Wirtschaft – das sind wir!“ Aktuelle Perspektiven ökonomischer Schulbildung

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„Vom Flohmarkt über den Wochen- und Supermarkt zum Weltmarkt“

„Freiheitliche Wissensgesellschaften sind auf die Initiative und Kom-petenz der Individuen angewiesen. Sie müssen lernen, sich als soziale‚Unternehmer ihrer Arbeitskraft und Daseinssorge’ zu verstehen und zu verhalten.“ Michael-Burkhard Piorkowsky, Professor für Haushalts- und Konsumökonomik an der Universität Bonn, hat aus dieser immerwichtiger werdenden Maxime ganz eigene, die ökonomische Schul-bildung betreffende Schlussfolgerungen gezogen (Anmerkung 3). SeineGrundeinsicht: Die Bedeutung der privaten Haushalte wird von den orthodoxen ökonomischen Theorien vernachlässigt. Sie stellen die gro-ßen Funktionsprinzipien und Kreisläufe dar und reduzieren das Wirt-schaftssystem auf den Geld- und Güterkreislauf. Was für Piorkowsky im Umkehrschluss heißt: „Wenn kein Geld fließt, findet keine Wirtschaft statt. Doch in der Realität geht es nicht ohne diese elementaren Dinge privater Bedürfnisbefriedigung und kreativer Selbstorganisation.“

Genau hier, auf dem Feld der Alltags- und Lebensökonomie setzt auch Piorkowskys pädagogisches Grundschul-Projekt „Planspiel Dorf“ an. Zweimal je eine Woche lang üben die Dritt- und Viertklässler auf einem 20 Quadratmeter großen Dorf-Spielplan den „wirtschaftlichen Ernstfall“. Sie begegnen eigenen und fremden Bedürfnissen, begreifen, „dass sie immer etwas weggeben müssen, wenn sie etwas bekommen wollen. Dass man die Ressourcen, über die man verfügt – Raum, Zeit und Geld –, einteilen muss. Dass man an morgen und übermorgen denken muss.“ Und sie bekommen, ohne pädagogisch erhobenen Zeigefinger, ein Gespür für die ökologischen und sozialen Folgen wirtschaftlicher Entscheidungen. Eine Projekt-Geschichte mit Moral: „Wenn alles gut geht steht am Ende die Einsicht: Wirtschaft – das sind nicht die Unter-nehmen, Wirtschaft – das sind wir!“

Und wie sieht es mit der ökonomischen Bildung in Waldorfschulen aus? „Wirtschaft ist an Waldorfschulen kein eigenes Fach“ sagt Christian B. Schad, Waldorflehrer und Mitverantwortlicher der Landes-arbeitsgemeinschaft der Freien Waldorfschulen. In einigen Unterrichts-epochen und Praktika kommen ökonomische Inhalte vor, aber ein gut durchdachtes Gesamtkonzept findet man kaum. Vielmehr hängt es vom Wissen und Engagement einzelner Lehrerinnen und Lehrer ab, was ver-mittelt wird. Und so gibt es Lehrer wie Christian B. Schad, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Seine Art, die Inhalte zu vermitteln, ist, wie er sagt, nicht spektakulär, aber systematisch und phänomenologisch. „Wir gehen von der Familie zur Weltwirtschaft, von der Gemeinde bis zur UNO und lassen uns dabei von Fragen leiten: Was passiert? Wer ist für was verantwortlich? Welche Idee steckt dahinter? Gibt es Alternativen?“

Ja, es gibt Alternativen, sogar innerhalb der Schule, und Schad ver-mag ausführlich und begeisternd darüber zu berichten. Waldorfschüler als Firmengründer und erfolgreiche Sozial-Entrepreneure. Und dass es Alternativen selbst im Großen gibt, darauf hoffen seine Schüler auch: „Sie wollen, jetzt nach der globalen Wirtschaftskrise, wissen, ob es jenseits von Kapitalismus und Staatssozialismus, andere, gerechtere Wirtschaftsformen gibt.“

„Man kann auch als Konsument viel bewirken!“

Es ist die Legende von sechs Freundinnen, die die Welt veränder-ten. Die Geschichte einer bewegenden Idee. Das Schülerfirma-Projekt eines Waldorflehrers in der deutschen Provinz: der Chiemgauer. Kaum ein Wirtschafts- oder Politmagazin, das nicht darüber berichtet hätte. Über den Lehrer Christian Gelleri, der die fast vergessene Idee der „Regionalwährung“ aufgegriffen hatte. Über sechs Neuntklässlerinnen, die etwas tun wollten. Und über eine bayrische Region, die sichtbar davon profitiert hat. „Wir haben unheimlich viel gelernt.“ Die Grundlagen der Unternehmensführung, ein Bewusstsein für das Netzwerk einer Region auf der einen und die Einflüsse der globalen Wirtschaft auf der anderen Seite. Und nicht zuletzt: „Selbstbewusstsein.“ Das sagt Mirjam Fochler, die ehemalige Geschäftsführerin des Chiemgauer-Projekts. Heute studiert sie – „nicht ganz zufällig“ – Wirtschaft an der Universität Witten / Herdecke und erinnert an ein allzu leicht vergessenes Ziel wah-rer ökonomischer Bildung: „Glück! Die Freude am Zusammenleben, die in den gegenwärtigen Gesellschaftsstrukturen verloren gegangen ist.“

„Es ist nicht nur für Jugendliche paradox, dass man auf den wirtschaft-lichen Abstieg eines Staates wetten und damit Geld verdienen kann. Ein von der Realwirtschaft abgekoppeltes Spiel, das für manche zur gefährlichen Verführung wird, bei anderen dagegen Ablehnung und Rückzug provoziert.“ Michael Zech, Waldorflehrer und Dozent am Kasseler Lehrerseminar für Waldorfpädagogik, hat die Flucht vieler Jugendlicher ins Private nicht nur konstatiert, er hat auch, zusammen mit anderen, darauf reagiert. Die Antwort? Ein halbjährliches, themenorientiertes Jugendsymposion (Anmerkung 4). Das nächste Thema: Geld. Denn wer in dieser Welt „verantwortlich und selbstbestimmt handeln will, muss sich zwangsläufig mit den Themen Nachhaltigkeit und Geld auseinan-dersetzen.“ Zech setzt dabei auf die „guten Beispiele“: Mikrokredite, ökologische Fonds, alternatives Unternehmertum. Vor allem aber auf die viel zu selten geübte Tugend des Zu-Ende-Denkens. „Wir brauchen, gerade auf ökonomischem Feld, mehr ausgeübte Philosophie, ein inhalt-volles Bewusstsein davon, dass und warum alternatives, ethisches Wirt-schaften tatsächlich funktioniert.

Der Chiemgauer – von der Schülerinitiative zu einer er-folgreichen Regionalwährung

Die Regionalwährung Chiemgauer wurde 2002 von einem Lehrer und sechs Schülern der Waldorfschule Chiemgau ins Leben gerufen, um Wirtschaft und Einrichtungen vor Ort zu stärken. Mittlerweile ist der Chiemgauer Europas erfolgreichsteRegionalwährung, mit einem Um-satz von 4 Millionen und knapp 600 beteiligten Unternehmen. www.chiemgauer.info

Anmerkung 3: Prof. Piorkowsky und seine Mitarbeiter haben für die verschiedenen staatlichen Schulformen ein mehrstufi-ges modulares System ausgearbeitet, das bereits an einigen Modellschulen umgesetzt werden konnte (Förderung durch die Heinz Nixdorf Stiftung, Verbreitung der Materialien durch die Bundeszentrale für politische Bildung).

Schulprojekt „Planspiel Dorf“ –spielerisch wirtschaftlicheZusammenhänge erfahren

Ein Team der Uni Bonn hat ein Kon-zept entwickelt, um Dritt- und Viert-klässlern spielerisch ein Verständnis von Wirtschaft zu vermitteln. Die Schülerinnen und Schüler lernen da-bei, mit knappen Ressourcen um-zugehen und Entscheidungen zutreffen, die für die gesamte Gemein-schaft tragbar sind. www.ich-bin-meine-zukunft.de

Anmerkung 4: Das 1. Kasseler Jugendsymposion fand im Dezember 2009 statt und widmete sich dem Begriff der Wirk-lichkeit. Das nächste Symposion „Geld“ findet vom 3. bis 6. Juni 2010 statt. www.jugendsymposion.de

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3Was ist Ziel der Wirtschaft? Was ist der Sinn unternehmerischer Tätigkeit? Stehen Ökologie und Ökonomie im Widerspruch? Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Wirtschaft? Die über-wiegende Mehrheit, vor allem jüngere Menschen, antwortet darauf: Ziel der Wirtschaft und Unternehmen ist, Gewinne zu machen. Dies steht im Widerspruch zu sozialen und ökolo-gischen Fragen. Nachhaltigkeit bedeutet, dass man in der Wirtschaft auch auf soziale und ökologische Kriterien achten sollte! So plausibel das zunächst klingen mag, es zeigt doch auf erschreckende Art, welches Missverständnis im Allgemeinen über den Sinn wirtschaftlicher Tätigkeit und über das, was Ökonomie ist, herrscht.

Dass die Gier nach immer höheren Profiten bei Unternehmen und deren Führungskräften, allen voran den Investmentbankern, die ganze Weltwirtschaft destabilisiert hat, sind Auswüchse des Systems. Sie sind allerdings eingebettet und verankert in dem allgemeinen Missverständ-nis, Sinn und Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit sei eben die Gewinnmaximierung. Im Kontext dieses allgemeingesellschaftlichen Missverständnisses ist es für diese Leistungsträger der Gewinnmaximierung unverständlich, warum sie dafür auch noch kritisiert werden. Strebt nicht auch der Kleinanleger nur nach dem höchsten Zinssatz?

Wenn nun die Gewinnmaximierung nicht das Ziel von Unternehmen, Wirtschaft und letztlich auch von Banken ist, was ist dann Sinn, Ziel und Zweck? Im Prinzip ganz einfach die Produk-tion von Gütern und Dienstleistungen für ihre Kunden – noch etwas weiter gefasst ist es die Befriedigung der unterschiedlichsten Bedürfnisse der Menschen. Ähnlich hat dies auch der Begründer der Marktwirtschaft Adam Smith gesehen, als er in seinem Buch „Wealth of Nations“ das Wohl der Menschen und nicht die Gewinnerzielung in den Mittelpunkt stellte. Der Gewinn ist dabei nicht das Ziel, sondern der Gradmesser. Das Ergebnis, das aufzeigt, ob dieses Ziel effizient verfolgt wurde. Ökonomie und Gewinn sind kein Selbstzweck, sie können richtig verstanden nicht im Widerspruch zu sozialen oder ökologischen Zielen stehen. Denn ökonomisch handeln heißt, ein Ziel mit den geringstmöglichen Mitteln zu erreichen oder mit gegebenen Mitteln möglichst viel vom Ziel zu erreichen. Gewinn entsteht dann, wenn dies erfolgreich und effizient geschieht.

In diesem Sinne steht das heutige Verständnis von Gewinn und Ökonomie auf dem Kopf. Es ist zum Selbstzweck, zum Ziel selbst geworden. Die Produktion von Gütern und Dienstleistungen dient lediglich als Mittel zur Gewinnmaximierung.

Brauchen wir schärfere Vorschriften und Rahmenbedingungen, um die entstehenden sozialen und ökologischen Kollateralschäden bei Mensch und Natur zu reduzieren? Können wir das dann „nachhaltig“ nennen? Wohl kaum – und noch nicht einmal „ökonomisch nachhaltig“. Denn wer zahlt den Gewinn? Niemand anderes als der Kunde. Doch ein Kunde, der zum Bei-spiel ein Auto kaufen möchte, will nicht mehr nur reduziert werden auf sein „schnell, bequem und potentes Image“, ihm ist auch die gesunde Luft, ein intaktes Klima, soziale Gerechtigkeit und kulturell-geistige Freiheit wichtig. Und ihm ist heute bewusst, dass dies alles irgendwie zusammenhängt.

„Ökonomie ist eine Form der sozialen Interaktion“

„Was unserem Bildungswesen fehlt, ist das ‚Thinking out of the box’. Die Einstellung ist nach wie vor: ‚Der Lehrer weiß es und die Schüler lernen es.’ Aber man kann auch weiter fragen: Warum ist etwas so? Was für eine Grundannahme steckt dahinter? Kann es nicht auch anders sein?“

Über Nachhaltigkeit, Geld und Sozialethik nach- und weiterdenken, dort, wodie Reflexionen im traditionellen Bankertum meist enden, ist für Katharina Beck, Projektmanagerin am Institute for Social Banking, eine ganz grundlegende Fähig- keit. Eine, die den Studenten des dreijährigen, berufsbegleitenden Master- Studiengangs Social Banking and Social Finance genauso zugute kommt wie den Teilnehmern der Summer School (und aller anderen Veranstaltungen des Instituts). Die Kernfrage: Was macht Social Banking und allgemein alternatives Wirtschaften aus? Beck: „Ökonomie ist eine Form der sozialen Interaktion. Wirtschaften ist Teil des Menschen. Das Geld dient dem Menschen bei diesem Wirtschaften, nicht umgekehrt.“ Wer weiter denkt und den Maßstab Mensch an die konkreten Inhalte der Ökonomie anlegt, wird überall die Zäune einreißen, mit denen sich die einsei- tig profitorientierten Institutionen umgeben: „Zinsen? Ich kann mich entschei- den, darauf zu verzichten. Transparenz? Ich will wissen, was die Bank mit meinem Geld macht.“

Fazit: Es gibt noch viel zu tun auf dem Gebiet der ökonomischen Bildung. Während sich die einen „bestausgebildetes Humankapital“ erhoffen, kämpfen andere für den „mündigen Wirtschaftsbürger“, der wirtschaftliche Zusammenhänge erkennt, die Politik fordert und selbst für ein nachhaltiges Wirtschaften eintritt.

Die zentralen Herausforderungen? Leitlinien und Methoden, die den ökonomischen Sachverhalten und dem Wesen der Kinder und Jugendlichen gleichermaßen gerecht werden. Eine Lehrerbildung, die didaktisch souveräne und kreative Ökonomen in die Schulen entlässt – Lehrerinnen und Lehrer, die neben den wirtschaftlichen auch soziologische, juristische, politische, ökologische und philosophische Kompeten-zen mitbringen. Ein Wettstreit der ökonomischen Bildungsangebote. Und Schüler, die mit Fantasie, Mut und Klugheit ungeahnte Unternehmungen in eine Welt hinein-stellen, deren Bewahrung schon bald in ihren Händen liegen wird.

Institute for Social Banking –Weiterbildung für einverantwortungsvolles Geld- und Bankwesen

Das Institute for Social Banking schult Menschen aus dem Geld-, Finanz- und Versicherungswesen darin, ihre Arbeit in einem ethisch und sozial-ökologischen Sinn zu begreifen. Hierfür werden Seminare, ein eigens konzeptionierter Master- Studiengang in Social Banking und Social Finance (M. A.) und eine Summer School angeboten.www.social-banking.org

Konturen eines Bildungsnotstands Vorstandssprecher Thomas Jorberg über die größer werdende Kluft zwischen wirtschaftlicher Realität und dem, was die meisten Menschen darüber wissen

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Bankspiegel I Ausgabe 1 I 2010 Bankspiegel I Ausgabe 1 I 2010

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Auch dem geldgierigen Spekulanten an den Rohstoffmärkten dämmert heute (zugegeben noch viel zu schwach), dass der durch Spekulation nach oben getriebene Weizenpreis zu Hungersnöten führen kann, die auch durch eine kleine Weihnachtsspende an „Brot für die Welt“ nicht zu kompensieren sind.

Wirtschaft und Banken sind für den Menschen da und nicht umgekehrt. Die Gewinnmaximierung als abstraktes Ziel anstatt als notwendiges Ergebnis steht dem im Wege.

Daher sind die drei Begriffe der Nachhaltigkeit „sozial, ökologisch, ökonomisch“ oder „people, planet, profit“ (PPP – triple bottom line) nicht gleichwertig, sind sozial (people) und ökologisch (planet) keine Rahmen oder Nebenbedingungen von ökonomisch (profit). Die einzig sinnvolle Priorisierung ist:

1. Wirtschaft ist für die Menschen (alle) und deren Bedürfnisdeckung da.2. Dies muss im Einklang sowie unter Bewahrung und Weiterentwicklung der Natur, der Schöpfung und des Klimas geschehen.3. Ökonomie, Gewinn und Markt sind das Instrument, um dies zu realisieren.

Diese Fragen nach den Grundlagen, den Zielen und den Instrumenten der Wirtschaft sind ent-scheidend und werden immer entscheidender für das Leben, ja das Überleben der Menschen auf unserem relativ kleinen Planeten sein. Kein gesellschaftlicher Bereich dominiert unser Leben mehr als die Wirtschaft.

Und doch kommt dieser Bereich in der Schul- und Universitätsbildung so gut wie nicht vor.Kinder und Jugendliche nehmen ohne Grundlagen und Vorbildung das wirtschaftliche Geschehen wahr – eine Reflexion dieser Wahrnehmung findet im Grunde genommen kaum statt. Dabei geht es nicht darum, technische und betriebswirtschaftliche Fähigkeiten in der Schule auszubilden. Es geht darum, Schülern und Studenten die Grundlagen, den Sinn von Wirtschaften und Ökonomie zu vermitteln.

Wie soll ein Schüler, der jeden Abend in den Nachrichten die Entwicklung des DAX sieht, ver-stehen, dass die Börse im Grunde ein sinnvolles Instrument zur Beschaffung von Eigenkapital für unternehmerische Tätigkeit ist und kein Spielkasino, in dem man mit Geldeinsatz Geld gewinnen oder auch verlieren kann?

Insofern ist es kaum übertrieben, von einem wirtschaftlichen Bildungsnotstand zu sprechen.

Leider gibt es in diesem Sinne wenig signifikante Unterschiede zwischen staatlichen, privaten, Waldorf- oder kirchlichen Schulen.

Es bedarf daher dringend einer Bildungsoffensive in unseren Schulen: Grundlagen der Wirt-schaft für den Menschen.

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