Gott auf der Spur - 9783957341051
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Transcript of Gott auf der Spur - 9783957341051
GOTT AUF DER SPUR
Ein Journalist triff t auf Menschen,deren Leben von Gott
vollkommen verändert wurde
Aus dem Englischen von Silvia Lutz
LEE STROBEL
Gehört jemand zu Christus,
dann ist er ein neuer Mensch.
Was vorher war, ist vergangen,
etwas Neues hat begonnen.
2. Korinther 5,17
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Einleitung
Auf der Suche nach Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
Kapitel 1: Ein Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Kapitel 2: Das Waisenkind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
Kapitel 3: Der Süchtige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Kapitel 4: Der Professor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Kapitel 5: Der Schlächter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Kapitel 6: Der Obdachlose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Kapitel 7: Der Pastor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Kapitel 8: Der verlorene Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Kapitel 9: Leere Hände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
Epilog: Gnade verweigern, Gnade gewähren . . . . . . . . . . . . . 224
Was sagt die Bibel zum Thema „Gnade“? . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Bücher zum Thema Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
11
Vorwort
Neues Leben und geist liche Erneuerung sind nur durch
Gottes Gnade möglich.
Stanley Grenz1
Gnade zu definieren kann so einfach sein. Man braucht dazu
eigentlich nur einen einzigen markanten Satz: „Gnade ist die
Gunst, die Gott Sündern erweist.“2 Diese knappe Definition lässt
sich in umfangreichen theologischen Abhandlungen natürlich
noch vertiefen. Aber im Kern ist Gnade ein unverdientes und
bedingungsloses Geschenk, das Gott uns aus Liebe macht und
das wir uns nicht verdienen oder erarbeiten können.
Gnade versetzt uns in die Lage, Gottes Einladung anzuneh-
men. Durch Gnade werden wir Teil seiner Familie, und sie gibt
uns die Kraft, uns zu verändern. Der Theologe Thomas C. Oden
sagt, Gnade sei nötig, „um die Wahrheit zu erkennen, die Sünde
zu meiden, sich richtig zu verhalten, angemessen zu beten, sich
nach Rettung auszustrecken, um erste Schritte im Glauben zu
machen und an ihm festzuhalten“.3 Gnade, schreibt er, sei nichts
anderes als „die treibende Kraft des christ lichen Lebens“.4
Definitionen sind wichtig, aber dieses Buch ist keine theo-
logische Abhandlung über Gnade. Es ist eine Sammlung von
Geschichten, die anschaulich darstellen, wie Gott Menschen-
leben von Grund auf umkrempeln kann: wie aus einem obdach-
losen Junkie ein ordinierter Pfarrer wird, aus einem Ehebrecher
12
ein Eheberater, aus einem rücksichtslosen Rebellen ein selbst-
loser Diener Gottes und aus einem Massenmörder ein Heiliger,
der Vergebung erfahren hat.
„[Durch Jesus] sind nicht nur die Sünden unserer Vergan-
genheit vergeben“, sagt Charles Colson, „Gottes Kraft und seine
Gnade verändern uns so, dass wir ein neues Leben führen kön-
nen.“5 Philip Yancey formuliert dies noch drastischer: „Wir kön-
nen nie so tief sinken, dass Gottes Gnade uns nicht erreichen
könnte. Gleichzeitig lässt uns Gottes Gnade nicht am Boden lie-
gen. Sie hilft uns auf und führt uns zu neuen Höhen.“6
Dieses Buch beschreibt eine ganz persön liche Reise. Den
Anstoß zu dieser Reise gab eine Auseinandersetzung mit mei-
nem Vater, die mich auf eine lebenslange Suche führte – ich
wollte das Rätsel der Gnade entschlüsseln. Auf diesem Weg fand
ich unbestreitbare Beweise für die Kraft der Gnade: im Leben
eines koreanischen Waisenkindes, das sich in einem Fuchsbau
zitternd mit ein wenig Stroh vor der Kälte schützte; in dem eines
süchtigen Teenagers in Amarillo, dem es gleichgültig war, ob
ihn seine nächste Spritze umbrachte; in dem eines obdachlosen
Kriminellen in Las Vegas, der in Mülleimern nach Pizzaresten
suchte; in dem eines gedemütigten Pastors in South Carolina,
dessen schamlose Heuchelei ans Licht kam; in dem des Sohnes
eines berühmten Predigers, der in Boston ein zügelloses Leben
führte; in dem eines Kambodschaners, der vor den Roten Khmer
floh, es dann aber mit einem berüchtigten Kriegsverbrecher zu
tun bekam.
Jede einzelne dieser Geschichten ist ein Teil im Puzzle von
Gottes Gnade. Sie zeigen, dass Gnade nicht bei der Vergebung
haltmacht; dass wir durch Gnade angenommen und sogar von
Gott als seine Kinder willkommen geheißen werden; dass Gnade
13
neue Hoffnung wachsen lässt, wenn alles verloren scheint; dass
sie auch in die schlimmsten Situationen hineinreicht; und dass
sie uns hilft, den Menschen zu vergeben, die uns tiefe Wunden
zugefügt haben, und sogar uns selbst zu vergeben. Mit anderen
Worten: Wir alle sind auf Gottes Gnade angewiesen.
Nicht nur der christ liche Glaube ist unter den Weltreligionen
einzigartig, auch die Gnade, die Jesus schenkt, ist einmalig. Wenn
wir Gnade wirklich verstehen wollen, helfen Definitionen und
Erläuterungen manchmal nicht weiter. Wir müssen sie im Leben
von Menschen in Aktion sehen.
Die Bibel ist eine unvergleich liche Sammlung von Gnaden-
geschichten. Als Jesus seinen Nachfolgern begreiflich machen
wollte, was Gnade ist, erzählte er das Gleichnis vom verlorenen
Sohn. „Jesus hat viel von Gnade gesprochen, hauptsächlich durch
Geschichten“, betont auch Philip Yancey.7
Lesen Sie diese wahren Berichte von Menschen, deren Verän-
derung so radikal ist, dass sie nur das Werk eines barmherzigen
Gottes sein kann. Ich wünsche Ihnen, dass Sie darin gewisser-
maßen auch Ihre eigene Geschichte wiederfinden.
14
Einleitung
Auf der Suche nach Gnade
Gott wartet darauf, dass wir nach ihm suchen.
Zu schade, dass er bei vielen Menschen viel zu lange
vergeblich warten muss.
A. W. Tozer1
Er saß zurückgelehnt auf seinem Ruhesessel im Wohnzimmer,
und seine Augen wanderten zwischen dem Fernseher und mir
hin und her, als wollte er sich nicht dazu herablassen, unserer
Auseinandersetzung seine gesamte Aufmerksamkeit zu schenken.
Mit lauter Stimme machte er mir Vorhaltungen und schimpfte
wütend, aber er schaute mich kein einziges Mal direkt an.
Es war der Abend vor meiner Schulabschlussfeier. Mein Vater
hatte mich dabei erwischt, dass ich ihn angelogen hatte.
Schließlich stellte er seinen Sessel in Sitzposition und schaute
mich doch direkt an. Seine Augen waren hinter seinen dicken
Brillengläsern nur schmale, wütende Schlitze. Er hob die linke
Hand und deutete bei jedem der folgenden Worte gereizt auf
mich: „Du bist mir so egal, meine Liebe zu dir würde noch nicht
einmal einen Fingerhut füllen.“
Er wartete, während seine Worte folgenschwer im Raum hin-
15
gen. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass ich mich rechtferti-
gen, mich verteidigen, etwas stammeln oder mich entschuldigen
oder klein beigeben würde. Dass ich irgendwie reagieren würde.
Aber ich starrte ihn nur mit glühendem Gesicht finster an. Nach
ein paar angespannten Momenten seufzte er schwer, begab sich
wieder in Liegeposition und schaute weiter fern.
In diesem Moment wandte ich mich von meinem Vater ab und
ging zur Tür.
Ich brauchte ihn nicht. Ich war ungestüm, ich war getrieben
und ehrgeizig. Ich würde mich auch ohne seine Hilfe in der Welt
zurechtfinden. Immerhin würde ich bei einem Ferienjob als Re-
porter einer kleinen Zeitung in Woodstock, Illinois, fast hundert
Dollar in der Woche verdienen und in einer Pension wohnen.
Während ich die Hintertür zuknallte und mit der Sporttasche,
die ich eilig gepackt hatte, Richtung Bahnhof stapfte, schmie-
dete ich Pläne. Ich würde fragen, ob ich eine Festanstellung bei
der Zeitung bekommen könnte. Viele Reporter hatten es auch
ohne Studium zu etwas gebracht, warum sollte ich das nicht
auch schaffen? Ich würde mir schon bald einen Namen machen.
Ich würde die Redakteure der Chicagoer Zeitungen beeindru-
cken und irgendwann den Durchbruch schaffen. Ich würde mir
zusammen mit meiner Freundin eine Wohnung suchen. Ich war
fest entschlossen, es aus eigener Kraft zu schaffen und nie wieder
nach Hause zurückzukehren.
Eines Tages würde ich es ihm heimzahlen. Es würde der Tag
kommen, an dem mein Vater die Chicago Tribune aufrollen und
meinen Namen unter einem Exklusivbericht auf der Titelseite
lesen würde. Ich würde es ihm schon zeigen.
Ich war auf einer Mission. Und von Zorn getrieben. Doch
was ich damals noch nicht erkennen konnte: Als ich an jenem
16
schwülen Juniabend die Straße entlangstapfte, befand ich mich
in Wirklichkeit auf einer ganz anderen Mission. Und diese würde
eines Tages mein Leben auf eine Weise verändern, die ich mir nie
hätte vorstellen können.
An jenem Tag nahm meine lebenslange Suche nach Gnade
ihren Anfang.
17
Kapitel 1
Ein FehlerEines Tages wirst du das verstehen
Die Psychoanalyse … führt uns täglich vor Augen, wie
jugend liche Personen den religiösen Glauben verlieren,
sobald die Autorität des Vaters bei ihnen zusammenbricht.
Sigmund Freud1
18
Erst auf ihrem Sterbebett bestätigte mir meine Mutter, was ich
durch jahrelange Therapie nur geahnt hatte: Meine Existenz
war ein Fehler, wenigstens in den Augen meines Vaters.
Meine Eltern hatten zunächst nur drei Kinder – ein Mädchen
und dann zwei Jungen. Mein Vater stürzte sich in seine Rolle als
Vater. Er trainierte seine Söhne im Baseballverein der Kleinen,
leitete eine Pfadfindergruppe, war Vorsitzender des Elternbeirats,
unternahm Familienurlaube und besuchte Sportveranstaltungen
und Abschlussfeiern.
Nach mehreren Jahren kam dann die unerwartete Nachricht,
dass meine Mutter mit mir schwanger war.
„Dein Vater war … Sagen wir einfach, er war überrascht“,
erzählte mir meine Mutter in den letzten Wochen ihres Lebens,
als der Krebs sie ans Bett fesselte und wir uns stundenlang unter-
hielten. Dieses Thema hatten wir nie zuvor angesprochen, aber
wir waren gerade in ein offenes Gespräch über unsere Familie
vertieft, und ich wollte diese Gelegenheit nutzen, um einige Ant-
worten zu bekommen.
„Inwiefern überrascht?“
Sie betrachtete mich nachdenklich. „Nicht positiv überrascht“,
antwortete sie schließlich mitfühlend.
„Was war er dann? Wütend?“
„Ich würde nicht gerade ,wütend‘ sagen. Frustriert vielleicht.
Verärgert wegen der Situation. Er hatte einfach andere Pläne.
Und dann überredete ich ihn, noch ein weiteres Baby zu bekom-
men, damit du einen Spielkameraden hättest.“ Das Ergebnis war
meine jüngere Schwester.
Jetzt ergab alles einen Sinn. Als ich Jahre zuvor meinem Thera-
peuten von der Beziehung zu meinem Vater erzählt hatte, von der
emotionalen Distanz, dem fehlenden Engagement, den ständigen
19
Auseinandersetzungen und Wutausbrüchen, hatte er vermutet,
dass meine ungeplante Ankunft in der Familie die Zukunftspläne
meines Vaters durcheinandergebracht haben könnte.
Ich konnte mir vorstellen, dass mein Vater damals das Gefühl
gehabt hatte, nach drei Kindern endlich Zeit für sich selbst ver-
dient zu haben. Finanziell ging es ihm gut, er wollte bestimmt
gerne reisen und seine Freiheit genießen. Jetzt hatte meine Mut-
ter mir diese Annahmen endlich bestätigt.
Unsere Familie wohnte in einer Wohngegend im Nordwesten
von Chicago, in der überwiegend die obere Mittelklasse lebte.
Mein Vater arbeitete hart, um seine Kanzlei aufzubauen, und er
versorgte uns mit allem, was wir brauchten. Materiell hatten wir
mehr als genug. Er war ein treuer Ehemann, hatte einen guten
Ruf und viele Freunde.
Aber meine Beziehung zu ihm war immer eisig. Vielleicht
brauchte ich einfach mehr Bestätigung als andere Kinder, ich weiß
es nicht. Als ich zur Welt kam, hatte er jedenfalls keine Lust mehr,
mit mir zu den Pfadfindern zu gehen, meine Baseballspiele zu be-
suchen, bei meinen Schulwettkämpfen zuzusehen oder an meinen
Abschlussfeiern teilzunehmen. Ich kann mich auch an kein ein-
ziges tiefgehendes Gespräch mit ihm erinnern. Ich hörte von ihm
nie die Worte, nach denen ich mich am meisten gesehnt hatte.
Im Laufe der Zeit lernte ich, dass ich seine Aufmerksamkeit
nur durch Leistung erlangte. Also bemühte ich mich um gute
Noten, war Jahrgangsstufensprecher, engagierte mich als Redak-
teur bei der Schülerzeitung und schrieb sogar eine Kolumne für
die Lokalzeitung. Trotzdem war er mit keiner meiner Leistungen
zufrieden. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass
ich von meinem Vater einmal ein Wort des Lobes gehört hätte.
Kein einziges.
20
Meine Eltern waren Mitglieder der evangelisch-lutherischen
Kirche. Mein Vater saß im Kirchenvorstand und gab unentgelt-
lich Ratschläge in juristischen Fragen, obwohl er sonntagvormit-
tags statt in der Kirche normalerweise auf dem Golfplatz anzu-
treffen war.
Ich kann mich noch an einen Sonntag in meiner Kindheit erin-
nern, als die ganze Familie gemeinsam zum Gottesdienst fuhr.
Anschließend brachte mein Vater die Familie nach Hause, aber
mich vergaß er. Es ist, als sei es erst gestern gewesen, als ich mich
ängstlich und panisch in der Kirche umgesehen und mit pochen-
dem Herzen vergeblich meinen Vater gesucht habe. Es war natür-
lich nur ein Versehen gewesen, aber mir fiel es schwer, darin nicht
ein Sinnbild für den Zustand unserer Beziehung zu sehen.
Väter und GottvertrauenAls ich ungefähr zwölf war, gerieten mein Vater und ich wegen
irgendetwas aneinander. Ich schämte mich anschließend und
hatte Schuldgefühle, und als ich im Bett lag, nahm ich mir fest
vor, mich in Zukunft besser zu benehmen, gehorsamer zu sein
und mich mehr anzustrengen, damit mein Vater mich annahm.
Ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten erinnern, die zu
unserem Konflikt an jenem Abend geführt hatten, aber das, was
danach geschah, ist für mich auch fünfzig Jahre später immer
noch lebendig.
Ich träumte, dass ich mir in der Küche ein Sandwich machte,
als plötzlich ein strahlender Engel erschien und mir erzählte,
wie wunderbar und herrlich der Himmel sei. Ich hörte ihm eine
Weile zu und sagte dann ganz nüchtern: „Da gehe ich hin.“ Ich
meinte damit natürlich, am Ende meines Lebens.
21
Die Antwort des Engels verblüffte mich: „Woher willst du das
wissen?“
Woher ich das weiß? Was für eine Frage ist das denn? „Äh, ich
versuche, ein braves Kind zu sein“, stammelte ich. „Ich versu-
che, das zu tun, was meine Eltern mir sagen. Ich versuche, mich
anständig zu benehmen. Ich gehe zur Kirche.“
Der Engel erwiderte: „Das zählt nicht.“
Jetzt war ich sprachlos. Wie konnte das alles nicht zählen:
meine Bemühungen, brav zu sein, pflichtbewusst zu sein, die
Erwartungen meiner Eltern und Lehrer zu erfüllen? Panik stieg
in mir auf. Ich brachte kein Wort über die Lippen.
Der Engel ließ mich eine Weile schmoren. Dann sagte er:
„Eines Tages wirst du das verstehen.“ Im nächsten Moment war
er verschwunden und ich wachte schweißgebadet auf.
Das ist der einzige Traum aus meiner Kindheit, an den ich
mich noch heute erinnere. Im Laufe der Jahre ging er mir öfter
durch den Kopf, aber ich schüttelte diese Erinnerung immer wie-
der ab. Es war doch nur ein Traum gewesen.
Als ich älter wurde, wuchs meine Verwirrung in Bezug auf
geist liche Fragen. Meine Eltern bestanden darauf, dass ich als
Teenager zum Konfirmandenunterricht ging. „Aber ich bin nicht
sicher, ob ich das alles überhaupt glaube“, sagte ich zu meinem
Vater. Seine strenge Antwort lautete: „Du gehst in den Konfir-
mandenunterricht! Dort kannst du deine Fragen stellen.“
Im Konfirmandenunterricht ging es hauptsächlich darum, den
Katechismus auswendig zu lernen. Fragen wurden nur widerwil-
lig geduldet und oberflächlich beantwortet. Am Ende hatte ich
mehr Zweifel als am Anfang. Ich ließ diese Veranstaltung über
mich ergehen, denn wenn ich endlich konfirmiert war, durfte ich
selbst entscheiden, ob ich weiterhin zur Kirche gehen wollte oder
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nicht. Und ich wusste genau, wie meine Entscheidung ausfallen
würde.
Damals hatte ich noch keine Ahnung davon, dass die Bezie-
hung eines jungen Menschen zu seinem Vater auch seine Einstel-
lung zu Gott stark prägen kann. Ich wusste nicht, dass sich viele
bekannte Atheisten von ihren Vätern im Stich gelassen gefühlt
haben oder zutiefst von ihnen enttäuscht gewesen sind und des-
halb nicht den Wunsch verspürt haben, ihren himmlischen Vater
kennenzulernen2, darunter Friedrich Nietzsche, David Hume,
Bertrand Russell, Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Arthur Scho-
penhauer, Ludwig Feuerbach, Baron d’Holbach, Voltaire, H. G.
Wells und Madalyn Murray O’Hair.
Das erfuhr ich erst später, als ich mich mit Josh McDowell
anfreundete, dessen Vater ein gewalttätiger Alkoholiker war.
„Ich wuchs mit der Vorstellung auf, dass Väter eben ihre Kin-
der verletzen“, erklärte Josh mir. „Man erzählte mir zwar, dass
es einen himmlischen Vater gibt, der uns liebt, aber das machte
mich nicht unbedingt glücklich. Im Gegenteil. Diese Aussage tat
mir weh, denn ich konnte einfach keinen Unterschied zwischen
einem himmlischen Vater und einem irdischen Vater erkennen.“
Josh sagt von sich selbst, dass er ein „starrsinniger Agnostiker“
war, bis er das Christentum auf den Prüfstand stellte und dabei
zu der Überzeugung gelangte, dass es der Wahrheit entsprach.3
In meinen Teeniejahren begann ich immer mehr, am Chris-
tentum zu zweifeln; hinzu kam, dass meine Lehrer behaupteten,
die Wissenschaft mache Gott überflüssig. Dadurch entwickelte
ich mich immer mehr zum Skeptiker. Aber etwas fehlte – sowohl
in meiner Familie als auch meiner Seele –, was in mir eine immer
größere Sehnsucht nach etwas Undefinierbarem weckte, das ich
damals selbst nicht erklären konnte.
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Jahre später war ich gerade auf dem Northwest Highway in
Palatine, Illinois, unterwegs – ich kann mich noch genau an die
Stelle, die Uhrzeit und das sonnige Wetter erinnern –, als ich im
Radio einen Sender suchte und etwas hörte, das mir die Tränen
in die Augen trieb.
Ich verstand nicht alles, aber es ging um Väter und Glauben
und Gott und Hoffnung. Die Stimme im Radio gehörte einer
Frau, die etwa in meinem Alter war, in ihrer Jugend aber einem
entsetz lichen Grauen und einer unvorstellbaren Brutalität aus-
gesetzt gewesen war. Sie hatte das genaue Gegenteil von meiner
behüteten Kindheit erlebt und doch fühlte ich mich auf der Stelle
mit ihr verbunden.
Ich musste sie unbedingt ausfindig machen. Ich musste mit ihr
sprechen und mich in einem persön lichen Gespräch nach ihrer
Geschichte erkundigen. Ich musste ihr meine Fragen stellen.
Irgendwie wusste ich, dass sie mir helfen könnte zu begreifen,
was Gnade ist.