Gruber / Oberhummer / PuntiGam Wer nichts weiß, muss alles ... · Buch Dass wir nur 10 Prozent...

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GRUBER / OBERHUMMER / PUNTIGAM Wer nichts weiß, muss alles glauben

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Gruber / Oberhummer / PuntiGam

Wer nichts weiß, muss alles glauben

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Buch

Dass wir nur 10 Prozent unseres Gehirns verwenden, ist ein trug-schluss und geht zurück auf das experiment von marie-Jean-Pierre Flourens, der tauben so lange teile des Gehirns entfernt hat, bis nur noch 10 Prozent übrig waren. Damit konnten sie gerade noch den Futternapf finden und die Wasserschale. mehr nicht. Wenn man aber mit 10 Prozent des Gehirns noch den Futternapf findet und die Wasser-schale, dann hat Flourens mit seinen Versuchen quasi den Cluburlaub vorweggenommen. und dort ist man mit 10 Prozent mitunter sogar

overdressed.

aber was ist ein Gedanke? Wo entsteht er im Gehirn und wann? und ist es schwieriger zu denken: »Du Sautrottel!« als »Die raumzeit ist gekrümmt«? Wo kann man in einem Paralleluniversum am billigsten urlaub machen? Was nimmt eine Kannibalengalaxie zum nachtisch? und wie bastelt man ein blutwunder? achtung, aufgepasst! Denn:

Wer nichts weiß, muss alles glauben.als »schärfste boygroup der milchstraße«, bestehend aus den beiden Physikern Prof. heinz Oberhummer und Werner Gruber sowie dem preisgekrönten Satiriker martin Puntigam, begeistert das Science busters trio seit Jahren sein Publikum auf der bühne, im rundfunk

und Fernsehen.

Autoren

Werner Gruber lehrt experimentalphysik an der uni Wien, ist neurophysiker, experte für Fragen der alltagsphysik und Verfasser der bestseller »unglaublich einfach. einfach unglaublich« und »Die

Genussformel«.

univ.-Prof. Dr. heinz Oberhummer, Kern- und astrophysiker an der tu Wien, sorgte mit seinen arbeiten über die Feinabstimmung des universums für internationales aufsehen. Sein buch »Kann das alles

Zufall sein?« wurde Wissenschaftsbuch des Jahres 2009.

martin Puntigam, Kabarettist und autor, arbeitet u. a. für die OrF- radiosender Ö1 und Fm4. er wurde ausgezeichnet mit dem »Salzburger Stier«, dem »Prix Pantheon« und dem »Österreichischen

Kleinkunstpreis«.

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Wer nichts weiß, muss alles glauben

Science busters

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Verlagsgruppe random house FSC® n001967Das FSC®-zertifizierte Papier Lux Cream für dieses buch

liefert Stora enso, Finnland.

1. auflagetaschenbuchausgabe Dezember 2013Wilhelm Goldmann Verlag, münchen,

in der Verlagsgruppe random house GmbhCopyright © der Originalausgabe 2010

by ecowin Verlag, SalzburgLektorat: mag. Josef rabl

Grafiken und Daumenkino: Werner Gruberumschlaggestaltung: unO Werbeagentur, münchen

umschlagmotiv: ingo Pertramer, büro albaKF · herstellung: Str.

Druck und bindung: CPi – Clausen & bosse, LeckPrinted in Germany

iSbn: 978-3-442-15776-1www.goldmann-verlag.de

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www.fsc.org

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Gewidmet den Assistenten der Science Busters im Rabenhof Theater:

Alexander, Doris, Martina, Abdula,Josch, Harald, Renato und seinem Team

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

TEIL IWer nichts weiß … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Kapitel 1: Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Fact-Box: Singularität, Schwarze Löcher, Ereignis-horizont, Quantenvakuum, Hawking-Strahlung . . . . . . 29Bastelanleitung: Schwarzes Loch to go . . . . . . . . . . . . 31

Kapitel 2: Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Rezept für den perfekten Schweinsbraten . . . . . . . . . . 38Fact-Box: Dunkle Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46Fact-Box: Kosmische Hintergrundstrahlung . . . . . . . . 50Fact-Box: Sterne, Galaxien, Galaxienhaufen, Dunkler Fluss, Multiversum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Kapitel 3: Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Fact-Box: Wasser, Methan, Alkohol . . . . . . . . . . . . . . . 57Fact-Box: Mars-Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Fact-Box: Deinococcus radiodurans . . . . . . . . . . . . . . 66Außerirdisches Leben entdeckt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Fact-Box: It’s a Small World . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Kapitel 4: Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Fact-Box: Déjà-vu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78Fact-Box: Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78Fact-Box: Das Libet-Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

TEIL II… muss alles glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Neuronendaumenkino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Kapitel 5: Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107Rezept für ein Do-it-yourself-Blutwunder . . . . . . . . . . 111Rezept für den See Genezareth 2.0 . . . . . . . . . . . . . . . . 115Fact-Box: Berechnung der Anzahl der Jesusatome . . . . 118Fact-Box: Antimaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120Fact-Box: Schizophrene Psychosen . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Kapitel 6: Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135Rezept für ein Gulasch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138Fact-Box: Oxytocin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142Fact-Box: Homosexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145Experiment: Schwerelosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Kapitel 7: Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157Fact-Box: Trinkwasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160Fact-Box: Homöopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165Fact-Box: Blindstudien, Doppelblindstudien . . . . . . . . 168Anleitung zum homöopathischen Komasaufen . . . . . . 170Mondlandung für zu Hause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

Kapitel 8: Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193Fact-Box: Sternbild Centaurus und Galaxie Centaurus A 198Fact-Box: Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209Profi-Tipp: Ein Jahr freiwillig beim Bundesheer . . . . . . 217Nahtodesanzeige Werner Gruber . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

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Einleitung

ABDULA!!!Wenn Werner Gruber beim Aufbau eines Experiments Hilfebraucht, oder einfach nur um einen Kaffee bittet, den er dann abermeistens sowieso kalt werden lässt, dann schallt sein kräftiges Or-gan in Überzimmerlautstärke durch das Wiener Rabenhof Theater.Und alle wissen: Die Science Busters sind wieder indahouse.

Mit „Herzlich willkommen bei einer neuen Show der ScienceBusters!“ beginnt nahezu jede Vorführung. 27 verschiedene Pro-gramme werden es bis zum Erscheinen dieses Buches sein, die dieScience Busters in knapp drei Jahren als Uraufführungen auf dieBühne gebracht haben. Praktisch von Beginn an ausverkauft.Keine Show ist wie die andere, einfach deshalb, weil es keinen fer-tigen Text gibt. Es gibt zwar einen genauen Ablaufplan, wannwelches Thema verhandelt wird, der Rest ist Improvisation. Werübrigens beim Namen Abdula an einen wehrlosen Hilfsarbeitermit Migrationshintergrund denkt, der von den Science Bustersschamlos ausgebeutet wird, während sie selbst in warmer Esels-milch baden, der irrt. Herr Abdula, oder davor Alexander, Doris,Martina, die für die Produktionsassistenz verantwortlich zeich-nen, sowie Josch und Harald, die für Ton und Licht sorgen, haben keinen geringen Anteil am Gelingen der Shows, weshalbihnen dieses Buch gewidmet ist.

Nach einer kurzen Aufwärmphase im Rahmen des Projekts„Science in Film“1 lernten Univ.-Prof. Heinz Oberhummer (Theo -

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1 In Zusammenarbeit mit Stefan Faltermann

retische Physik, TU Wien), Univ.-Lekt. Werner Gruber (Experi-mentalphysik, Univ. Wien) und Martin Puntigam (Studienabbre-cher, Univ. Graz) den Visual Artist und Art Director ChristianGallei kennen und wurden die Science Busters. Thomas Gratzerund sein Team im Wiener Rabenhof Theater boten der schärfstenScience Boygroup der Milchstraße Herberge an und am 7. No-vember 2007 ging es los mit der ersten Premiere „Im Weltall gibtes keine Bohnen – Warum der Mensch zum Mond will und wie“.

Seitdem ist kein Ende abzusehen. Die Science Busters schlagenmit einer regelmäßigen Radiokolumne auf FM4, Auftritten in derFernsehsendung „Dorfers Donnerstalk“, der Show „Science Bus-ters for Kids“ (Koproduktion mit dem Rabenhof Theater unddem Theater der Jugend, Wien) eine Schneise der naturwissen-schaftlichen Aufklärung durch das Land. Und mittlerweile auchdarüber hinaus. Liechtenstein und Deutschland sind schon gefal-len, die Schweiz braucht gar nicht so zu schauen, sie kommt auchnoch dran! Seit Ende 2011 zeigen sie im ORF-Fernsehen mit einer wöchentlichen Show, wie man Naturwissenschaften, Unter-haltung und gute Quoten aufs trefflichste vermählt.

Aber warum?

Ein sehr dicker Experimentalphysiker, ein dicker Kabarettist undein alter Professor für Theoretische Physik, bis Herbst 2011unterstützt von einem glatzköpfigen VJ2 (und seit damals von dreiabgemagerten VJs mit erstklassigen Ringen unter den Augen) –warum sollen sich die Menschen das anschauen?

Noch dazu, wo Physik in der Schule bei den Kindern ungefährso beliebt ist wie ein eitriger Steißbeinzwilling. Man weiß: dasgibt es, es ist sicher unangenehm und man möchte auf jeden Fallnichts damit zu tun haben.

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2 Visual Artist, Videokünstler

Warum also? Ganz einfach. Weil Physik fantastisch sein kann.Alles im Universum ist Physik, und die Science Busters sind in derLage, das verständlich und unterhaltsam zu präsentieren. Farben-froh, live und sexy. Mit Filmausschnitten, teilweise unfassbarenGrafiken und zahlreichen Experimenten, zum Teil überwältigend,zum Teil unverschämt einfach, aber gerade dadurch faszinierend.Etwa wie man Außerirdische jederzeit mit einem Feuerball begrü-ßen kann, ohne die ganze Zeit einen auffälligen Flammenwerferim Vorzimmer liegen haben zu müssen. Man braucht dafür nureinen Kanister, ein Kunststoffpanzerrohr, Lykopodium und einpaar Kerzen, solche, wie man sie auf eine Geburtstagstorte steckt,wo sind jetzt die Kerzen wieder, die müssen doch irgendwo sein,vielleicht in der Garderobe, sonst muss noch schnell wer zumSupermarkt …

A B D U L A ! ! !

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TEIL I

Wer nichts weiß …

Kapitel 1: Universum

Ein inniges Gebet ist eine hervorragende Mordwaffe. Wenn dieUmstände passen, tötet es effektiv, unauffällig und ohne Spurenzu hinterlassen. Und der Superbonus dabei: Beten ist nichtschwer, das kann jeder. Man braucht dazu keine Kraft – wie beimErwürgen, keinen Waffenschein – wie beim Erschießen, keinetechnischen Kenntnisse – wie beim Bau einer Bombe. „Mein Herzist klein, darf niemand rein, außer du, mein liebes Jesulein“, undschon muss der Notar die Hinterlassenschaft regeln.

Untersucht haben die potenzielle Gemeingefährlichkeit desBetens Forscherinnen und Forscher in den USA, unter anderemder Harvard Medical School, im Rahmen der LangzeitstudieSTEP. (STEP steht für „Study of the Therapeutic Effects of Inter-cessory Prayer“ – Studie zum therapeutischen Einfluss fürspre-chenden Betens.)

Es handelt sich dabei um die bislang ausführlichste Studie zuder Frage, ob für jemanden zu beten tatsächlich seine Heilungs-chancen erhöht, sie umfasste 1800 Bypass-Patienten, die operiertwurden, und dauerte fast zehn Jahre. Fragen Sie nicht, warumman so was nach 2000 Jahren Christentum noch macht, dakönnte man eigentlich wissen, dass beten nicht der Schlüssel zumGlück ist angesichts der letzten zwei Jahrtausende, aber bitte. Be-vor man betet, kann man von mir aus auch übers Beten forschen.Hauptsache, die Kinder nehmen keine Drogen …

Wie wurde geprüft?Gläubige sollten für die Bypass-Patienten beten, das Fürspra-

chegebet durften sie frei nach ihrer religiösen Gewohnheit gestal-ten. Einzige Bedingung: Im Gebet musste die Bitte um „eine erfolgreiche Operation mit einer schnellen gesundheitlichen

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Genesung und ohne Komplikationen“ enthalten sein. Theolo-gisch natürlich eine Frechheit, so ein Pipifax-Kindergebet, aberman kann getrost davon ausgehen, dass die Menschen in der Re-gel nicht um viel mehr beten als um ihren eigenen Vorteil.

Die 1800 Probanden wurden in drei Gruppen von jeweilsrund 600 Operationskandidatinnen und -kandidaten aufgeteilt:Für Gruppe eins wurde gebetet, sie wusste aber nichts davon.Für Gruppe zwei wurde nicht gebetet. Die 600 Probanden derdritten Gruppe wurden in die Gebete ihrer Kirchen-Gemeindeneingeschlossen und darüber informiert, dass für sie gebetetwürde.

Das Ergebnis: In Gruppe eins und zwei traten ungefähr ingleich vielen Fällen Komplikationen auf. In Gruppe drei aber tra-ten in deutlich mehr Fällen Komplikationen auf, und zwar umfast zehn Prozent mehr.

Warum war das so?Es entsteht ein gewisser Stressfaktor, der die Genesung behin-

dern kann. Der Patient mag sich denken: „Die beten für mich,also muss es mir wirklich schlecht gehen.“ Oder: „Ich mussschnell gesund werden, weil die ja alle für mich beten.“ Oder erdenkt sich: „Wenn die jetzt auch noch beten für mich, dannschleich ich mich endgültig.“ Wie auch immer.

Dass Gebete wirkungslos sind, ist nicht besonders sensatio-nell, das war zu erwarten, aber die Pointe an der Geschichte lau-tet: Ein nicht unbeträchtlicher finanzieller Beitrag zur Studiewurde von der Templeton Foundation bereitgestellt. John MarksTempleton war ein erfolgreicher britischer Börsenmakler, alsPresbyterianer aber auch sehr gläubig. Mit seinem Templeton-Preis, der weltweit höchstdotierten Auszeichnung für Einzelper-sonen (1.000.000 Pfund Sterling), werden Menschen gewürdigt,die die Verbindung zwischen Wissenschaft und Religion unter-mauern. Als ob das wer brauchen würde. Wer glauben will, sollglauben, wozu braucht wer noch Wissenschaft, wenn er Wunderfür möglich hält?

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Eigentlich sollte STEP natürlich beweisen, welch positiveKraft im Gebet steckt, herausgekommen ist das Gegenteil.

Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. MillionenDollar sind in den vergangenen Jahren in die Erforschung vonGlauben und Religion investiert worden, unter anderem um zubeweisen, dass Glaube genetisch determiniert ist.

Gezeigt hat sich – wenig überraschend –, dass Glaube und Re-ligion vor allem gesellschaftspolitische Phänomene sind: Je mehrAngst Menschen haben, je unsicherer ihr sozialer Status ist und jestärker sie an hierarchische Strukturen glauben und ihnen folgen,desto eher sind sie bereit, an einen Gott zu glauben. Wohlha-bende, aufgeklärte und furchtlose Menschen haben Religion alsogar nicht nötig. Oder, um es mit den Worten von Marie von Eb-ner-Eschenbach zu sagen: Wer nichts weiß, muss alles glauben.

Aber was wissen wir überhaupt?

Dass beten nicht hilft. Gut, aber das wird auch zukünftige Zög -lingsgenerationen nicht vor dem handfesten Zugriff ihrer spiri-tuellen Vorgesetzten schützen.

Die Fortschritte in den Naturwissenschaften in den letzten200 Jahren waren enorm, aber was wissen wir wirklich?

Wenn wir einmal davon ausgehen, dass es keinen Gott gibt,wofür es sehr gute Gründe gibt, woher kommen wir dann? Wiesind wir entstanden und wann und warum? Und warum sollenwir das alles wissen wollen, und was nützt uns dieses Wissen,wenn wir nicht einmal wissen, dass man Investmentbankern nichtüber den Weg trauen darf?

Der Reihe nach.Setzen Sie sich jetzt bitte gut hin und halten Sie sich fest, denn

was nun kommt, ist eine große Unverschämtheit: Warum etwaspassiert, ist in der Physik grundsätzlich einmal egal. Komplettwurscht. Powidl. Blunzn, wie der Österreicher so sagt. Suchen Siesich was aus. Da können Sie alle Physikerinnen und Physiker amSpieß braten und Ihnen gleichzeitig androhen, dass sie lebenslang

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nur noch belebtes Wasser trinken müssen, und zwar kostenpflich-tig, die werden Ihnen nichts anderes sagen.

Und wer ist dran schuld?Weiß man auch nicht. Was man aber weiß, ist, dass man Fra-

gen nach dem „Warum“ einfach nicht immer beantworten kann,wenn man sich in Physik auskennt.

Der Erste, der das erkannt hat, war der Erste der Physiker: Ga-lileo Galilei. Fragt man nach dem „Warum“, impliziert das, dasses jemand veranlasst hat. Also meinte Galilei, dass wir uns in derPhysik darauf beschränken sollten, nach dem „Wie“ zu fragen.

„Warum fallen Körper nach unten?“ wäre ein schönes Beispielfür eine „Warum“-Frage. Die Antwort könnte lauten: „aufgrundder Schwerkraft“ oder fachlich besser formuliert: „aufgrund derGravitation“. Die Begriffe Schwerkraft und Gravitation sind abernur Wörter. Genauso gut könnte man antworten: „Na, weil sie im-mer schon nach unten gefallen sind.“

Stellen wir uns aber die Frage „Wie fallen Körper nach un-ten?“, können wir eine eindeutige Antwort geben:

s(t) = |h(t) – h0| = 1gt2–2

Dabei versteht man unter s(t) die in der Zeit t zurückgelegte Stre-cke s, g ist die Erdbeschleunigung mit g = 9,81 m/s2. h0 entsprichtder Starthöhe, und h(t) ist die Höhe zum Zeitpunkt t. Damit wis-sen wir, wann sich ein Körper unter Vernachlässigung des Luft-widerstandes in der Nähe der Erde befindet.

Durch Einstein hat sich dann eine Verbesserung der Formelergeben. Aber auch Einstein konnte „nur“ die Frage nach dem„Wie“ klären und auch nicht das „Warum“.

Betrachten wir das allgemeine Gravitationsgesetz:

F = – Gm1m2–––––––––r2

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G ist die Gravitationskonstante, m1 und m2 sind die beiden Mas-sen, die sich anziehen, und r ist der Abstand der beiden Massen.Daraus ergibt sich dann eine Anziehungskraft F.

Warum steht über dem r ein Zweier? Eine gute Frage, aber siekann nicht beantwortet werden. Es ist das Gravitationsgesetz undes funktioniert, wenn man die Natur beschreiben will.

Aber Vorsicht, es gibt auch Ausnahmen. Die Frage „Warum istder Himmel blau?“ kann in der Physik beantwortet werden.Man benötigt hierfür einige Effekte aus den Naturgesetzen undschon kann man diese Frage erklären.3 Das kommt daher, dassdiese Frage eher eine technische Frage ist. In der Technik undteilweise in der Biologie kann man die Frage nach dem „Warum“stellen: Warum erwärmt der Mikrowellenherd Speisen? Warumist es in der Nacht dunkel? Warum ist das Cordon bleu so be-liebt? Die Antwort auf die letzte Frage ist allerdings sehr leicht:Das Cordon bleu ist deshalb so beliebt, weil der Mensch an sichgierig ist. Und wenn er Schinken, Käse und ein Wiener Schnitzelauf einmal bekommen kann, dann nimmt er das lieber als nur einSchnitzel.

Die Frage „Warum wollen wir das alles wissen?“ ist schonwieder deutlich schwerer zu beantworten. Nicht zuletzt deshalb,weil niemand genau sagen kann, ob wir wirklich etwas wissenwollen können. Der sogenannte freie Wille ist in den letzten Jah-ren nämlich ganz schön ins Gerede gekommen, und Geisteswis-senschaften und Naturwissenschaften stehen einander in dieserFrage als nahezu unversöhnliche Feinde gegenüber.

Wobei die Neurowissenschaft diesbezüglich relativ entspanntist. Ihrer Meinung nach haben wir keinen freien Willen, das wirdaber nicht groß diskutiert. Nach Meinung der Philosophie, vor

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3 Eine vorzügliche Erklärung findet man im Buch von Werner Gruber: Un-glaublich einfach. Einfach unglaublich. Physik für jeden Tag. Ecowin: Salz-burg 2006.

allem im deutschsprachigen Raum, hat die Neurowissenschaftkeine Ahnung, wovon sie spricht.

Von Albert Einstein gibt es folgendes Zitat: „Ich weiß ehrlichnicht, was die Leute meinen, wenn sie von der Freiheit desmenschlichen Willens sprechen. Ich habe zum Beispiel das Ge-fühl, dass ich irgendetwas will; aber was das mit Freiheit zu tunhat, kann ich überhaupt nicht verstehen. Ich spüre, dass ich meinePfeife anzünden will und tue das auch; aber wie kann ich das mitder Idee der Freiheit verbinden? Was liegt hinter dem Willensakt,dass ich meine Pfeife anzünden will? Ein anderer Willensakt?Schopenhauer hat einmal gesagt: ‚Der Mensch kann tun was erwill; er kann aber nicht wollen was er will.‘“

Das Thema beschäftigt die Menschen also schon länger. Auchwir wollen uns später etwas eingehender damit befassen, an die-ser Stelle nur so viel: Dem Gehirn ist es völlig egal, ob es einenfreien Willen hat oder nicht. Das Gehirn kann nur Muster. Erken-nen und herstellen. That’s it.

Dass wir überhaupt etwas wissen, oder zumindest zu wissen glau-ben können, ist ein Phänomen, das wir uns noch immer nichtganz erklären können, und jetzt kommt’s: Dass wir uns über-haupt Gedanken machen können, was im Gehirn passiert, dazubrauchen wir das Gehirn selbst. Das Gehirn ist praktisch sein eigener Untersuchungsausschuss. Zustände wie in der katholi-schen Kirche Österreichs, wo der Kardinal die Kommission zurUntersuchung der Gewalttaten und Missbrauchsfälle in seinerFirma selbst bestellt.

Darüber hinaus ist das Gehirn selbst praktisch auch nochblind; das Gehirn, das für unser Bild der Außenwelt und somit dieRepräsentation der Realität verantwortlich ist, sieht diese Weltgar nicht direkt. Nur über die Augen. Unsere Wahrnehmung derWelt sind von einem Supercomputer hochgerechnete Mutmaßun-gen und Sinneseindrücke.

Warum soll man so jemandem über den Weg trauen?

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Gut, wenden da die Anatomen ein, die Augen sind eigentlichein Teil des Gehirns, also sieht das Gehirn die Welt sehr wohl. Undwas ist dann mit blinden Menschen, hören die deshalb auf zu den-ken? Dem Vernehmen nach ist rund die Hälfte des menschlichenGehirns mit der Verarbeitung von Seheindrücken beschäftigt. Hatdiese Hälfte bei blinden Menschen dann die ganze Zeit frei?

Ja, wahrscheinlich, werden manche denken, denn angeblichverwenden wir ja nur zehn Prozent unseres Gehirns. Aber das istauch Unsinn, wir verwenden natürlich 100 Prozent unseres Ge-hirns, es kommt nur darauf an, was wir daraus machen. Undmanchmal ist das eben nicht besonders viel. Aber es sind trotz-dem 100 Prozent.

Das mit den zehn Prozent ist ein Trugschluss und geht zurückauf Marie-Jean-Pierre Flourens, einen französischen Physiologen,der im 19. Jahrhundert Tauben Teile des Gehirns entfernte. Undzwar Taubenvögeln, nicht tauben Menschen, dafür war dann erstdas 20. Jahrhundert zuständig.

Flourens entfernte alles, bis nur noch zehn Prozent übrig wa-ren. Die meisten Tauben waren danach aber nicht mehr quietsch-fidel, sondern sind daran gestorben, und nur jene, die die Pro -zedur überlebten, konnten mit zehn Prozent der Gehirnmasse gerade noch den Futternapf finden und die Wasserschale. Mehrnicht. In freier Wildbahn hätten sie keine Chance gehabt. Wennman aber mit zehn Prozent des Gehirns noch den Futternapf fin-det und die Wasserschale, dann hat Flourens mit seinen Versu-chen quasi den Cluburlaub vorweggenommen. Und dort ist manmit zehn Prozent mitunter sogar noch eher overdressed.

Was es mit dem Gehirn auf sich hat und mit seinen Mustern, wases kann und was nicht, und warum man es regelmäßig gießen soll,darauf kommen wir im Kapitel 4 zu sprechen. Davor wollen(oder möchten, wenn Ihnen das besser gefällt) wir aber einmalschauen, was wir heute eigentlich wissen. Über uns und das ge-samte Universum und überhaupt alles.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Science Busters, Werner Gruber, Heinz Oberhummer,Martin Puntigam

Wer nichts weiß, muss alles glauben

Taschenbuch, Broschur, 240 Seiten, 12,5 x 18,7 cmISBN: 978-3-442-15776-1

Goldmann

Erscheinungstermin: November 2013

Die SCIENCE BUSTERS stellen nicht nur weltbewegende Fragen, sie können sie auchfachkundig beantworten Moderne Physik ist die Erfolgsgeschichte der Menschheit. Denn die Naturgesetze gelten immerund überall und für alle. Für Außerirdische genauso wie für uns. Vor der Physik sind alle gleich.Fantastisch. Dennoch: Physik war lange das meistgehasste Schulfach, und Physiker galten nichtgerade als sexy. Seit es die Science Busters gibt, ist alles anders. Die „schärfste Boygroup derMilchstraße“, die „Chippendales der Physik“ beweisen, dass Topwissenschaft und Spitzenhumorkeine Feinde sein müssen.