Grundkurs Linguistik Programm der Vorlesung Januar 08.01. (11) Historiolinguistik 15.01. (12)...
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Grundkurs Linguistik
Programm der Vorlesung
Januar
08.01. (11) Historiolinguistik
15.01. (12) Sprache und Sprachen
22.01. (13) Computerlinguistik, Texttechnologie
29.01. (14) Kommunikation und Kognition
Februar
05.02. (15) Klinische Linguistik, Neurolinguistik
12.02. (16) Abschlussklausur
Historiolinguistik
1. Sprachwandel und Sprachverwandtschaft
Mit Beginn des 19. Jhds. etablierte sich die
Sprachwissenschaft als historisch-vergleichende
Sprachwissenschaft; Vorstufen heutiger
Sprachen wurden unter dem Blickwinkel der
Sprachverwandtschaft untersucht.
Beispiel: Verwandtschaft der Indoeuropäischen
Sprachen
Historiolinguistik I
IE
* bhrāter (Bruder)
* bher- (tragen)
Germanisch Sanskrit Griechisch Latein
bh b
(grimmsche Gesetz)
e ea (Englische e a bh – ph bh - f
Schreibkonvention)
bear bhar- pher- fer-
brother bhrátar phrāter frāter
Historiolinguistik II
Die Untersuchung und Rekonstruktion älterer
Sprachstufen führte zur Etablierung der
verschiedenen Philologien (Germanistik,
Romanistik, Anglistik, Slawistik) und zu
Grammatiken und Wörterbüchern älterer
Sprachstufen.
Mit dem Strukturalismus wurde ein neuer,
theorieorientierter Typ von Wissenschaft, ein
neuer, theorieorientierter Typ von
Sprachwissenschaft (Linguistik) als ein neues
Paradigma etabliert, das das historisch-
vergleichende ablöste und statt älterer
Historiolinguistik IIISprachstufen (Diachronie) gegenwärtige
Sprachstufen (Synchronie) untersuchte.
In neuerer Zeit gewinnen theoriegeleitete
Untersuchungen zum Sprachwandel stärker an
Bedeutung; es ergibt sich folgendes Bild:
(1) Sprache als System von Teilsystemen (Systemlinguistik)
(2) Sprachvarietäten als Sprachverhalten in unterschiedlichen sozialen Gruppen und Situationen (Varietätenlinguistik, Soziolinguistik)
*
(3) Sprachwandel als Veränderungen von (Teil-)Systemen oder Varietäten in der Zeit (Historiolinguistik)
Historiolinguistik IV(4) Sprachendynamik als Abfolge von Phasen:
Sprachentstehung – Sprachwandel – Sprachsterben (Creole-Sprachen; Sprachevolution)
2. Sprachwandel und Historiolinguistik
Grundlagen diachroner Sprachuntersuchung
(vgl. Linke et al. S. 309)
• Was wandelt sich in einer Sprache?
• Mit welcher Geschwindigkeit und innerhalb welcher Grenzen wandeln sich Sprachen?
• Wie beschreibt man Sprachwandel?
• Warum wandeln sich Sprachen?
Historiolinguistik V(5) Wie wird Sprachwandel von den Sprechern
wahrgenommen?
(6) Haben Sprachen einen Ursprung?
*
Grundsätzlich gilt:
• Sprachwandel kann jede der linguistischen Beschreibungsebenen, von der Phonetik bis zur Pragmatik, betreffen.
• Manche Sprachveränderungen bleiben auf eine Ebene beschränkt (z. B. Lautverschiebung, Veränderung der Lautform); andere haben Konsequenzen für mehrere sprachliche Ebenen (z. B. Umlaut).
Historiolinguistik VI• Manche Sprachveränderungen betreffen
nur wenige Bereiche (des Sprachsystems; der regionalen Ausbreitung), andere haben generelle Geltung.
• Sprachwandel wird begründet:
(a) aus Bedingungen des Sprachsystems (z. B. Einfluss e. Flexionsparadigmas)
(b) aus Kommunikationsbedingungen
- Prinzip der Ökonomie,
- Prinzip der Differenziertheit,
- Lautkontexteinflüsse für Sprecher/Hörer,
- Sprecheridentifikation
Historiolinguistk VII
(c) aus externen Bedingungen
- sozio-ökonomische Veränderungen (z. B. Migration: Stadtsprachen und Industrialisierung, Pidgin- und Creole-Sprachen, Aussterben von Sprachen)
- politische Veränderungen
1. Beispiel: hochdeutsche Lautverschiebung
Zeit: 5. – 8. Jhd.
Ausbreitung:
vor allem: im ober-/süddeutschen Raum
abgeschwächt: im mitteldeutschen Raum
nicht mehr: im nieder-/norddeutschen Raum
Historiolinguistik VIII
Betroffene Konsonanten: die stimmlosen Verschlusslaute /p/, /t/, /k/
Ergebnis:
• Sprachwandel als Wandel des Phonemsystems
• Phonemspaltung (je nach Position im Wort)
/pf/ (Anlaut)
/p/
/f/ (Inlaut)
Historiolinguistik IX
• Entstehung eines neuen Phonems (im Germanischen): /pf/
• Abschwächung der Verschlusslaute ( Reibelaute)
• Zwischenstadien: über Allophone Phonemisierung
• Stärkung der Opposition im Phonemsystem
stimmhaft/stimmlos
Verschlusslaute/Reibelaute
Erklärung:Systeminterne vs. Systemexterne Bedingungen (partielle Anpassung derfränkischen Oberschicht and dieunterworfenen südgermanischen Stämme).
Historiolinguistik X
Ausgangspunkt Ergebnis
Anlaut Inlaut Anlaut Inlaut
/p/ /p/ /pf/ /f/
plum open Pflaume offen
/pp/ oder K+/p/ /pf/
apple Apfel
stump stumpf
/t/ /t/ /ts/ /s/
tongue eat Zunge essen
/tt/oder K+/t/ /ts/
sit sitzen
salt Salz
/k/ /k/ /kx/oder/x/ /x/
can,können make (k)schöne machen
//kk/oder K+/k/ /kx/oder /x/
acre,Acker A(k)cher
think,denken dän(k)che
grundsätzliche Bedingungen des Sprachwandels
Historiolinguistik XI
2. Beispiel: der i-Umlaut
• Wechsel des Stammsilbenvokals bei Flexion und Derivation zur Markierung morphologischer Opposition
z. B.: Gast – Gästeich fahre – du fährst
ich nahm – ich nähme lang – länger
Kraft – kräftig nahe – Nähe
/a///, /u/ /ü/, /o/ /ö/,/au/ /äu/
Aber: Hund – Hunde ich sage – du sagst
stumm – stummer Saft – saftig ruhig – Ruhe
Historiolinguistik XII
historische Phasen
1. althochdeutsche Zeit (750-1050): Primärumlaut /a/ /e/ bei /i/ in nachfolgender Silbe gast - gesti (Gast – Gäste)
2. mittelhochdeutsche Zeit: Sekundärumlaute /a:/ /:/ /o/ /ö/ /u/ /ü/ etc.
hus – hiuser guot – güete
(Haus – Häuser) (gut – Güte)
Die Vokale werden artikulatorisch in Richtung
auf einen i-Laut verschoben
rekonstruierbare Stufen des Lautwandels
(0) gast – gastí
Historiolinguistik XIII
(1) gast – gesti -kombinatorischer Lautwandel
durch Assimilation,
- Umlaute zunächst als Allophone
(2) gast – gést(e) - Änderung im Wortakzent (Stammsilbenbetonung,
Nebensilbenabschwächung)
/i/ /e/ // ø
(Zeichenunga Zeichnung)
- aus den Allomorphen
der Pluralmarkierung
gesti, geste
Historiolinguistik XIV
werden neue Morphe der Pluralmarkierung:
i-Umlaut + //
(3) boum – bouma - Analogiebildung,
Baum – Bäume keine Assimilation,
kein /o/ in der Folge-
silbe,
- neue Form der Reali-
sierung des Morphems:
Plural
• Mit dem Umlaut entstand ein polyfunktiona-
les Mittel der Plural-, Tempus-, Komparativ-,
Diminutiv-Markierung sowie der Derivation.
grundsätzliche Bedingungen des Sprachwandels
Historiolinguistik XV3. Beispiel: Sprachwechsel in Berlin und
Brandenburg (Mitte des 19. Jhds. bis heute)
vgl. Joachim Gessinger; Forschungsgruppe am Institut für Germanistik, Universität Potsdam;
www.uni-potsdam.de/u/germanistik/ls_dia/umfrage/index.htm
Mehrsprachigkeit in Brandenburg
• hochdeutsche Schriftsprache
• niederdeutsche Sprechsprache
• Berlinisch – (Land-Berlinisch, lokal gefärbt)
• ostmitteldeutsche Sprechsprache (SO-Brandenburg)
• standardnahe Sprechsprache
• minoritäre Sprachen (z. B. Sorbisch)
Historiolinguistik XVI
Mehrsprachigkeit in Berlin
• hochdeutsche Schriftsprache
• standardnahe Sprechsprache
• Berlinisch-S1(Stadt-Berlinisch, gehobene Varietät)
• Berlinisch-S2(Stadt-Berlinisch, untere Varietät)
• niederdeutsche Sprechsprache
• minoritäre Sprachen (z. B. Jiddisch)
Bewertungen:
• Standardnähe
• Prestige
• Reichweite
Historiolinguistik XVII
Mehrsprachigkeit in Brandenburg
In einem Zeitraum von etwa 150 Jahren hat die niederdeutsche Sprechsprache ihre Vormachtstellung verloren; diesen Platz hat Berlinisch-L eingenommen, mit Ausnahme in Süd-Ost-Brandenburg (omd Sprechsprache).
Auffällig dort ist die geringe Distanz zwischen (omd-geprägter) Schriftsprache und Sprechsprache. Auffällig im übrigen Land ist die große Diskrepanz zwischen Schriftsprache und niederdeutscher Sprechsprache.
Den Platz einer standardnahen Sprechsprache hat dort Berlinisch-L eingenommen, das der Schriftsprache näher war. Die Landbevölkerung machte die sich entwickelnde Metropole Berlin zu ihrem sprachlich-kulturellen Zentrum.
Historiolinguistik XVIIIMehrsprachigkeit in Berlin
Berlinisch war zunächst eine obersächsisch überformte niederdeutsche Sprechsprache (Stadtmundart), deren Sprecher sich zunehmend vom Niederdeutschen des Umlandes distanzierten und die zunehmend unter schriftsprachlichem Einfluss standen.
Im 19. Jhd.: Aufstieg zur größten Industriestadt Europas. Durch Zuwanderung wurden berlinnahe Dörfer in vier Jahrzehnten Großstädte. Für Zuwanderer und Arbeitsmigranten hatte Berlinisch-S2 mehr Prestige und Standardnähe als die niederdeutsche Sprechsprache; zwischen beiden Sprechsprachen gab es zahlreiche lautliche, lexikalische und grammatische Übereinstimmungen. Berlinisch wurde zur sich ausbreitenden Stadtsprache.
Historiolinguistik XIX
grundsätzliche Bedingungen des Sprach- wandels
(vgl. Historische Soziolinguistik:
Sociolinguistica Bd. 13 (1999); James Milroy.
Linguistic variation and change. On the
historical sociolinguistics of English (1992))
3. Sprachwandel und Sprachevolution
Relevanz von Untersuchungen von Pidgin
und Creole-Sprachen:
• Ausgehend von Pidgin-Sprachen entwickeln Creole-Sprachen neue Strukturen; Sprachentstehung kann beobachetet werden.
Historiolinguistik XX
• Sprachwandel erfolgt hier schneller; zugrundeliegende Prinzipien können besser untersucht werden.
Bedingungen für Sprachsterben:
„Language death occurs in unstable bilingual
or multilingual speech communities as a result
of language shift from a regressive minority
language to a dominant majority language“.
(Dressler, 1988, Language Death in: Newmeyer (ed.)
Linguistics Volume IV 184-192)
Historiolinguistik XXIBeispiel: De-CreolisierungGuyana Creole: mi gii am
mi bin gii ammi bin gii iimi bin gi iimi di gii iimi di gi hiia di gi iia di gii iia did gi iia did giv iia did giv hiia giv iia giv ima giv hima geev iia geev ima geev him
English: I gave him
(S.Romaine (1989)in: N.Dorian(ed.) Investigating Obsolence
Historiolinguistik XXII
Sprachevolution:
Sprachen und Arten sind Systeme, die durch
Dauer und Wandel existieren; durch
Strukturen, die von Generation zu Generation
weitergegeben werden. Voneinander getrennte
Varietäten entwickeln sich anders; aus
zufälligen Varianten entstehen in
kommunizierenden Gruppen: Varietäten und
Sprachen.
Grundkurs Linguistik
Programm der Vorlesung
Januar
08.01. (11) Historiolinguistik
15.01. (12) Sprache und Sprachen
22.01. (13) Computerlinguistik, Texttechnologie
29.01. (14) Kommunikation und Kognition
Februar
05.02. (15) Klinische Linguistik, Neurolinguistik
12.02. (16) Abschlussklausur