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D ie dunkle Seite der Wucht hat ihre Tücken: „Schönes Teil. Jau, die macht an...“, ungefähr das waren sinngemäß die letzten klaren Gedan- ken, bevor ich mich auf das blau-weiße Alt- Superbike schwinge. Als der Trumm unter mir röchelnd erwacht, wird augenblicklich klar: Normal war doch irgend- wie anders. Rustikaler Sound mit viel Bass. Beunruhigend dicht unterm eigenen Gemächt saugt ein Trichterquartett quasi spürbar an der Atmosphäre. Völlig schamlos und klar vernehmlich. Na, das kann ja heiter werden. Doch die Kupplung läßt sich recht zivil bedienen, und die Fuhre setzt sich schließlich ganz unkapriziös und harmlos in Be- wegung. Knapp oberhalb des Standgas-Levels sind die unteren Gänge rasch durchsortiert. Dritter Gang, die Drehzahlnadel zittert irgendwo bei Halbfünf. Das rechte Handgelenk juckt, wir schenken ein: Augenblicklich ver- sucht mir die Fuhre den Lenker zu entreißen, das Heck winselt um Grip. Als der Pneu schließlich auf dem Asphalt einrastet, verwandelt sich der Apparat in ein ballistisches Geschoß. Absätze und Bodenwellen quittiert die Lenkung mit leichtem Bocken. Kein Wunder, denn das Vorderrad wird recht leicht (...), und einen Lenkungsdämpfer gibt’s hier nicht. Zeit für den nächsten Gang? Hmm. Dabei ist die 8.000er Marke nicht mal erreicht. Egal. Da: Vierter Gang, und sie macht’s schon wieder. Die Alte geht buch- stäblich ab wie ein Zäpfchen. Gute Güte, das gibt’s doch gar nicht... Abrissbirne Drehzahlniveau und Leistungsentwicklung wollen hier nach aktuellen Maßstäben einfach nicht zusammenpassen. Bereits in unteren Drehzahlregionen brennt der olle Langhuber ein performantes Feuerwerk ab, das schlicht und ergreifend schwindelig macht. Selbst im letzten Gang sind drei Viertel der kompletten Touren-Skala nicht nur irgendwie nutzbar, sondern auch noch unverschämt druck- voll – und zwischen 7.000 und 9.500 wird’s dann völlig per- vers: Was moderne Supersportler runde 3.000 U/min spä- ter abliefern, rotzt der unscheinbare Oldie in komprimier- ter Form kackfrech schon weit vor der 10.000er Marke ’raus. Expresszuschlag inklusive. Eine Art Größenwahn macht sich breit, nicht nur in den Handschuhen wird es feucht. Die nächste Ecke naht. Bremsen, bloß bremsen (...) – aber der Horizont stürzt dermaßen fix ins Visier, daß man sich fast zwangsläufig erst mal verschätzt. Das Ding Das Blaue Wunder Ein etwas anderes Superbike auf GS 1000-Basis Wes Cooley erfuhr damit einst ganze AMA-Meisterschaften, und Herr Yosihmura höchstpersönlich konnte lange Zeit einfach nicht die Finger von ihr lassen – die Rede ist von Suzukis Mutter aller Superbikes, der sagenhaften GS 1000S. Thema heute: Eine Extrem-Variante der Neuzeit. Pics: Dennis Witschel | Text: Hendrik Sloot 60 | F B GS 1000/1327

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Die dunkle Seite der Wucht hat ihre Tücken: „Schönes Teil. Jau, die macht an...“, ungefähr das waren sinngemäß die letzten klaren Gedan-ken, bevor ich mich auf das blau-weiße Alt-

Superbike schwinge. Als der Trumm unter mir röchelnd erwacht, wird augenblicklich klar: Normal war doch irgend-wie anders. Rustikaler Sound mit viel Bass. Beunruhigend dicht unterm eigenen Gemächt saugt ein Trichterquartett quasi spürbar an der Atmosphäre. Völlig schamlos und klar vernehmlich. Na, das kann ja heiter werden. Doch die Kupplung läßt sich recht zivil bedienen, und die Fuhre setzt sich schließlich ganz unkapriziös und harmlos in Be-wegung. Knapp oberhalb des Standgas-Levels sind die unteren Gänge rasch durchsortiert. Dritter Gang, die Drehzahlnadel zittert irgendwo bei Halbfünf. Das rechte Handgelenk juckt, wir schenken ein: Augenblicklich ver-sucht mir die Fuhre den Lenker zu entreißen, das Heck winselt um Grip. Als der Pneu schließlich auf dem Asphalt einrastet, verwandelt sich der Apparat in ein ballistisches Geschoß. Absätze und Bodenwellen quittiert die Lenkung mit leichtem Bocken. Kein Wunder, denn das Vorderrad wird recht leicht (...), und einen Lenkungsdämpfer gibt’s hier nicht. Zeit für den nächsten Gang? Hmm. Dabei ist die 8.000er Marke nicht mal erreicht. Egal. Da: Vierter Gang, und sie macht’s schon wieder. Die Alte geht buch-stäblich ab wie ein Zäpfchen. Gute Güte, das gibt’s doch gar nicht...

Abrissbirne

Drehzahlniveau und Leistungsentwicklung wollen hier nach aktuellen Maßstäben einfach nicht zusammenpassen. Bereits in unteren Drehzahlregionen brennt der olle Langhuber ein performantes Feuerwerk ab, das schlicht und ergreifend schwindelig macht. Selbst im letzten Gang sind drei Viertel der kompletten Touren-Skala nicht nur irgendwie nutzbar, sondern auch noch unverschämt druck-voll – und zwischen 7.000 und 9.500 wird’s dann völlig per-vers: Was moderne Supersportler runde 3.000 U/min spä-ter abliefern, rotzt der unscheinbare Oldie in komprimier-ter Form kackfrech schon weit vor der 10.000er Marke ’raus. Expresszuschlag inklusive. Eine Art Größenwahn macht sich breit, nicht nur in den Handschuhen wird es feucht. Die nächste Ecke naht. Bremsen, bloß bremsen (...) – aber der Horizont stürzt dermaßen fix ins Visier, daß man sich fast zwangsläufig erst mal verschätzt. Das Ding

Das Blaue WunderEin etwas anderes Superbike auf GS 1000-Basis

Wes Cooley erfuhr damit einst ganze AMA-Meisterschaften,

und Herr Yosihmura höchstpersönlich konnte lange Zeit einfach

nicht die Finger von ihr lassen – die Rede ist von Suzukis Mutter

aller Superbikes, der sagenhaften GS 1000S. Thema heute: Eine

Extrem-Variante der Neuzeit.

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Das Blaue WunderEin etwas anderes Superbike auf GS 1000-Basis

Standardprogramm bei Alteisen-Ren-nern der Legends-Klasse: Modifizierte GSX-R-Komponenten und hochwertige Federelemente in multiverstellbarer Güte.

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ist ein Hot Rod. Doch kaum ist der Gashahn geschlossen, läßt sich das gummibereifte Kraftwerk willig umklappen. Zahm und freundlich agiert das Fahrgestell. Und am Kur-venscheitel kann man sich den Luxus erlauben, das Gas ganz entspannt aus dem Drehzahlkeller anzulegen – das fühlt sich richtig gut an, und mehr als genug Schmackes ist ja sowieso da. Kaum zu glauben, daß Rahmen und Mo-tor im Grunde runde 30 Jahre auf dem Buckel haben.

Das „Atom-Katapult“

Klar, daß es hier nicht mit rechten Dingen zugeht: Der rustikale Brutalo-Bolide entstand bei Old-School-Superbi-kes unter den kundigen Händen von Ingo Wrubel – sozusa-gen als technische Visitenkarte des Hauses. Ingo ist ein ausgemachter Motor-Experte, der nicht nur in der Classic Superbike-Szene einen famosen Ruf genießt. Mittlerweile legendär ist sein GS 1000-Erdgeschoß, das in Fachkreisen

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als Blaues Wunder berüchtigt ist - wenn er damit die Start- aufstellungen der CSBK aufmischt, ist auch schon mal vom „Atom-Katapult“ die Rede. Eine wunderschöne Wort-schöpfung, die altes Kriegsgerät mit modernen Zeiten ver-bindet und damit den Nagel ziemlich exakt auf den Kopf trifft. Fairerweise muß man dabei natürlich feststellen, daß der Motor eigentlich nicht zum GS 1000-Chassis ge-hört: Das Vierventil-Aggregat des Blauen Wunders sieht zwar (bis auf den Zylinderkopf) genauso wie der originale GS-Zweiventiler aus – und ist in diesem Fall auch noch genauso alt wie der Rahmen (beide sind Baujahr 1980), aber der GSX-Treibsatz vereint mit modernem Brenn-raum-Design und rollengelagerter Langhub-Auslegung die Vorteile zweier Motor-Generationen in einem geradezu schußfesten Gehäuse. Und verfügt damit selbstverständ-lich über beste Voraussetzungen für Extrem-Frisuren – die großen GSX-Motoren sind in Dragster-Kreisen nicht ohne Grund auch heutzutage noch sehr beliebt.

Kraft- und Fahrwerk

Um’s gleich vorweg zu nehmen: Bei diesem „gemachten“ GSX-Motor handelt es sich um kein gewagtes Highend-Abenteuer – sondern um solide Handwerksarbeit mit Knowhow. Natürlich in fortgeschrittenem Stadium. Doch ähnliche Ausbaustufen sind bei OSS (Old-School-Superbi-kes) tatsächlich auch schon für den schnöden Straßenbe-trieb realisiert worden. Die Gelegenheit bei eben genau

diesem Motortyp fällt auch recht verlockend aus. Der Zy-linderkopf bekam neben feinjustierten REC-Nockenwellen und deutlich erhöhter Verdichtung die üblichen Kanalar-beiten spendiert. Inklusive bearbeiteter Ventilsitze sowie größerer Ventile. Ein Stockwerk tiefer ging’s allerdings in die Vollen. Denn hier wurden im Serien(!)-Zylinderbankett exorbitante XXL-Buchsen nebst 80er REC-Kolben instal-liert – wobei der Bock zum Gärtner wurde, denn OSS ver-treibt REC-Technik für den Motorrad-Sektor. Bei 60 Milli-metern Hub (verstiftete Serien-Kurbelwelle) resultieren daraus beachtliche 1.327 kubische Zentimeter. Dem Ge-häuseoberteil ließ Ingo zugunsten Motor-interner Aerody-namik einige Modifizierungen angedeihen, die sich späte-stens ab 6.000 U/min recht deutlich bemerkbar machen – verminderter Streß in der Mechanik sorgt für Laufruhe, Drehwilligkeit und natürlich auch Leistung. Hinzu kom-men penibel abgestimmte Mikuni-Flachschieber der Kon-fektionsgröße 40 – und eine verlängerte Endübersetzung, denn „...sonst ist das Teil in den unteren drei Gängen ein-fach unfahrbar“. Tja, und beim letzten Prüfstandsbesuch zerrten dann recht abenteuerliche 185 Pferde bei 9.500 U/min an der Kurbelwelle – und damit ist noch nicht mal das Ende der Fahnenstange erreicht. Angesichts dieser drama-tischen Messwerte wirkt das modifizierte Fahrwerk beina-he schon zu simpel: Bis auf die unteren Motorhalterungen bedurfte der Rahmen überhaupt keiner Änderung, wäh-rend der Rest auf dem „Suzuki-Baukasten“-Prinzip ba-siert. Hamamatsu sei Dank. Gabel, Bremsen und Schwin-

Simpel, rustikal... – und drückt ziemlich ätzende 185 PS ab: Der 1327er Bigblock hat bei 9.500 U/min fertig.

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Suzuki GS 1000, Bj’80Aufgebaut von: Old-School-Superbikes (Ingo Wrubel), Dorfstraße 18a, 23911 Ziethen/Ratzeburg, Fon: 04541/857999eMail: [email protected]: www.old-school-superbikes.de

AntriebMotor: GSX 1100, auf 1327 ccm aufgebohrt, 80 mm-REC-Kolben, stark modifizierter Zylinderkopf, Ver-dichtung 12,5 : 1, jeweils 2 mm größere Ventile (29er Einlaß- und 25er Auslaß-Ventile), REC-Nockenwellen, modifiziertes Gehäuseoberteil, geänderte Ölpumpen-Übersetzung, verstärkte Kupplung, längere Sekundär-Übersetzung, Dyna 2000-Zündung, Lichtmaschine entfernt (stark modifizierter Deckel), kein E-Starter185 PS (an der Kurbelwelle) bei 9.500 U/min, 155 NM bei 7.200 U/minGemischaufbereitung: 40er Mikuni RS-Flachschieber-vergaserKühler: 19-reihiger Racimex mit ThermostatAuspuff: Harris-4-1 mit modifiziertem „Schalldämpfer“

Rahmen/Fahrwerk/BremsenRahmen: Suzuki GS 1000Schwinge: GSX-R 1100, modifiziert, aufgeschweißte FederbeinaufnahmenFederbeine: Wilbers, voll einstellbarGabel: GSX-R 1100, modifizierte AbstimmungGabelbrücken: GSX-R 1100, oben modifiziert (Lenker-aufnahme)Räder: GSF 1200 Bandit, vorn 3,5“ x 17“, hinten 5,5“ x 17“Bereifung: Bridgestone Battlax BT-002, vorn 120/70/17, hinten 180/55/17Lenker: Micron-SuperbikeBremsen: vorn Tokico-Sechskolbenzangen, Brembo-Gußscheiben, Stahlflexleitungen, hinten GSF 1200, StahlflexleitungFußrastenanlage: modifizierte GSX-R-Grundplatten, Eigenbau-Mechanik

BodyTank: GS 1000Verkleidung: GS 1000S-Replikat, rahmenfeste Monta-ge (Eigenbau-Halterung)Höcker:GS 1000, Giuliari-Sitzbank, modifiziertKotflügel: GSG MototechnikArmaturen: radiale 19“-Bremspumpe, GSX-R/SRAD-KupplungshebeleiInstrumente: GSX-R-Drehzahlmesser

Gewichte/Füllmengen190 Kilo ohne Benzin (18 Liter)

TECH

NIS

CH

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ATEN

ge (letztere für Stereo-Federbeine modifiziert) stammen aus der 11er GSX-R-Serie der frühen ’90er, während das Räderwerk modernen Banditen entliehen wurde. Mittels multi(höhen)verstellbarer Wilbers-Federbeine stellte der OSS-Profi die Geometrie noch ein wenig auf die Nase – fertig war die Laube. Obwohl Ingo aus beruflichen Gründen (...) mit diesem Monstrum noch nicht mal alle Läufe der vergangenen CSBK-Saison bestreiten konnte, sah das Endresultat doch recht erfreulich aus (Nachzulesen ab Seite 36 dieser FB-Ausgabe). Von dem Gerät hätte sich vermutlich nicht nur Mr Cooley all’ zu gern sämtliche Arme ausreißen lassen: Solch ein Blaues Wunder erlebt man doch gern. n FB

Das „Atom-Katapult“ mit der Nummer 27 wirbelt öfter mal die Startaufstellung durcheinander – hier zum Beispiel beim Fische-reihafenrennen.

Riecht hier schwer nach Adrenalin und Benzin: Oldschool-Superbiker Ingo W. aus Z. mit seinem Brutalo-Eisen. Die Trophäe (2. Platz beim Fischereihafenrennen) auf dem Sitz gab’s gleich beim ersten Versuch, ein Rennen zu bestreiten – daher auch das besonders breite Grinsen.

Herr Cooley hatte einst dasselbe Problem: Lichtmaschine am-putiert, E-Starter samt Freilauf entfernt, Deckel ordentlich zurechtgestutzt – und trotzdem setzt die Fuhre manchmal hart auf.

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