"Gute Taten für Gute Daten" Artikel im GDI Impuls

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62 Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel Nummer 1 . 2013 ISSN 1422-0482 . CHF 35 . EUR 27 Data Data Data Dada Data Data Data Dada Dada Data Dada Dada Big Matthias Sutter Homo unoeconomicus Raymond Bär Der digitale Papiertiger Günter Faltin What would Dutti do? Mikrosekündlich generieren wir gigantische Datenmengen: im Haus, im Netz, im Laden. Rohstoff oder Müll? Eine Reise zu den Minen und Raffinerien der Datenzeit.

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Joana Breidenbach und Dennis Buchmann haben den Artikel "Gute Taten für Gute Daten" im GDI Impuls Magazin veröffentlicht. Hier kannst Du ihn kostenlos downloaden.

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Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel Nummer 1 . 2013

ISSN 1422-0482 . CHF 35 . EUR 27

Data

Data

Data

Dada

DataDa

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Dada

DadaDa

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Dada

DadaBig

Matthias SutterHomo unoeconomicus

Raymond BärDer digitale Papiertiger

Günter FaltinWhat would Dutti do?

Mikrosekündlich generieren wir gigantische Datenmengen: im Haus, im Netz, im Laden. Rohstoff oder Müll? Eine Reise zu den Minen und Raffinerien der Datenzeit.

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Thema: Big Data

AUTORENSUMMARIES THEMASUMMARIES IDEEN, WORKSHOPZUSATZIMPULSGDI-STUDIENGDI-KONFERENZENGDI GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUTEGDI-AGENDA 2013IMPRESSUM

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> Rätsel

BIG-DATA-BUCHSTABENSUPPEFinden Sie die fünfzehn derzeit wichtigsten Big-Data-

Firmen und/oder Personen?

> Technologie

Gunnar Sohn

SMART DATABig-Data-Systeme werden von Optimisten als digitale

Bohrmaschinen zur Schaffung von Reichtum

und Allwissenheit gesehen. Wie die Realität aussieht.

> Technologie

Alexander Ross

«DIE DATEN BLEIBEN SCHEU UND GRAUSAM»Datamining-Veteran Nicolas Bissantz über die

Differenz zwischen Goldgrube und Grubenunglück.

> Mobilität

Anja Dilk . Heike Littger

DATENVERKEHROb Auto, Bahn, Taxi oder Rad – aus Bewegungsdaten

lassen sich faszinierende Services erstellen. Wenn man

sie kombinieren kann. Und da beginnt das Problem.

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> Daten-Philanthropie

Joana Breidenbach . Dennis Buchmann

GUTE DATEN FÜR GUTE TATENWenn Daten das Blut des Internets sind – warum gibt es

dann noch keinen Datenspendedienst?

> Banken

Gespräch mit Raymond J. Bär

DER DIGITALE PAPIERTIGERWo sich im Finanzsektor Digitalisierung und Daten-

bearbeitung durchsetzen kann – und wo nicht.

> Die grosse Grafik

FÖRDERPROGRAMMEDas «Öl des 21. Jahrhunderts» erfordert komplexe

Technik. Einige Förder- und Raffiniermethoden.

> Steuern

Hans-Walter Forkel

BIG DATA – BIG TAXESWenn Daten der Rohstoff der Zukunft sind, dann

müssten sie etwas werden, was Rohstoffe schon immer

waren: eine wichtige Einnahmequelle des Staates.

> Matching

Christian Rauch

BIS DASS DER CODE EUCH VEREINTEin Blick in die Matching- und Algorithmenküchen der

Online-Partnerbörsen.

> Foto-Essay

Michael Tewes

MOBILE DATAImmer öfter werden Informationen ohne ihr bisheriges

Trägermedium verbreitet. Bald auch im Strassenverkehr?

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Ideen Workshop

> Verhaltensökonomie

Gespräch mit Matthias Sutter

HOMO UNOECONOMICUSWarum Verhaltensökonomie und Spieltheorie genau

das Gegenteil dessen erreichen, was Brachial-Feuilletonist

Frank Schirrmacher ihnen vorwirft.

> Einzelhandel

Claus Noppeney . Nada Endrissat

SUPERMÄRKTE ALS KREATIVE HOTSPOTSKünstler als Regalkräfte – wie soll das denn gehen? So

wie bei Whole Foods Market. Eine Feldstudie im Laden.

> Management

Markus Miessen

DER AUSSENSEITERErneuerung von innen stösst immer dann an Grenzen,

wenn ganze Strukturen sich wandeln müssen. Wie dann

von aussen die Entwicklung gestaltet werden kann.

> Entrepreneurship

Gespräch mit Günter Faltin

WHAT WOULD DUTTI DO?Welche Branche würde Gottlieb Duttweiler wohl revo-

lutionieren, wenn er heute noch einmal antreten würde?

Und wie? Ein Gedankenspiel.

> Zwischenruf

Joël Luc Cachelin

DIE KRAFT DES VERGESSENSVergessen hält uns gesund, steigert die Stimmung und

ist der Beweis, dass wir noch immer Menschen sind.

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> Mode

Katrin Kruse

VON HOSE UND IGELDie Dynamik von «Fast Fashion» hat die Modeindustrie

in die Krise gestürzt. Nachhaltige «Slow Fashion» kann

ihr eine neue Perspektive verschaffen.

> Recycling

Mirjam Hauser

IN ENTSORGUNGSKETTENIdeen für alle Glieder der Entsorgungskette aus der GDI-

Studie zur Zukunft des Recyclings.

> Kolumne

Peter Felixberger

REBELLEN MIT LEIDENSCHAFTGute neue Bücher von Gunter Dueck, Pernille Tranberg,

Steffan Heuer, Chris Anderson und Wolfgang Streeck.

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Joana Breidenbach . Dennis Buchmann

Gute Datenfür gute Taten

58W H O L ED A T A

V O L U N T E E R D O N O R

Donation NumberExpiry DateCentre Identi ty

GB

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GDI Impuls . Nummer 1 . 2013

Das Banale braucht man nicht zu schälen: Wissen ist Macht.

Wissen erhält man, indem man Informationen auswertet.

Informationen erhält man, indem man Daten sammelt. Diese

Daten fallen heute vor allem als Späne der digitalen Kommu-

nikation an: wenn man einen Suchbegriff eingibt, online ein-

kauft oder mit dem Handy Zeit und Raum seines Lauftrai-

nings aufzeichnet. Und da sich Computer mehr und mehr in

den Dingen des Alltags verstecken, fallen sie demnächst auch

an, wenn man Auto fährt, den Kühlschrank öffnet oder auf

den Lichtschalter drückt. Wer also aus solchen Daten Informa-

tionen extrahieren und daraus Wissen ableiten kann, der hat

Macht. Und der hat auch die Macht, viel Gutes zu tun.

Wenn Daten das «Blut des Internets» sind, wie es Europas

Justizkommissarin Viviane Reding ausdrückt – warum gibt es

dann noch keinen Datenspendedienst? Denn wie Blut können

gespendete Daten anderen Menschen helfen. Jeder Einzelne

von uns kann seine Daten direkt spenden. Oder Unternehmen,

bei denen die Daten vieler Menschen lagern, spenden sie für

den guten Zweck. Noch bedeutet soziales Engagement vor

allem, Geld oder Zeit (Ehrenamt) zu spenden. In Zukunft wird

die Datenspende als dritter Pfeiler heranwachsen.

Schon heute helfen Daten dabei, Ereignisse schneller vor-

herzusagen. So nutzt Google Flu die Häufigkeit bestimmter

Suchbegriffe, um daraus die Wahrscheinlichkeit von Grippe-

erkrankungen und deren Ausbreitung abzuleiten. Die Vor-

hersage ist genauso treffend wie die der US-Seuchenbehörde

CDC – aber viel schneller. Social-Media-Analysen in den USA

Wenn Daten das Blut des Internets sind – warum gibt es dann noch keinen Datenspende-

dienst? Je stärker sich Daten als Wirtschaftsgut etablieren, desto näher rückt auch eine Daten-

Philanthropie, die aus Daten das Beste für die Allgemeinheit herausholt.

und Irland konnten drei Monate vor dem Ansteigen der offi-

ziellen Arbeitslosenstatistik zeigen, dass viele Menschen um

ihren Job fürchteten. Und die Anzahl von Tweets aus Indone-

sien, die den Preis von Reis erwähnten, korrelierte eng mit

realen Preiserhöhungen für das Grundnahrungsmittel, die

sich aus offiziellen Statistiken wesentlich später ergaben.

SCHOCK-REAKTIONEN Diese Vorhersagen zu Arbeitslosigkeit

und Reispreisschwankungen sind dem Institut Global Pulse

zu verdanken. Es wurde 2009 vom UN-Generalsekretariat

gegründet, um die Auswirkungen von globalen Krisen nicht

erst Monate später beschreiben, sondern vorhersagen zu kön-

nen. Daten können quasi im Moment ihrer Entstehung aus-

gewertet werden, sodass noch genug Zeit zum Handeln bleibt.

Kaufen Menschen in einer Region plötzlich weniger Handy-

Gesprächsguthaben, greifen ihre Sparreserven an und ver-

zeichnen Wettersensoren kaum Niederschlag, so sind das

Indikatoren, die auf eine Krise hinweisen.

Richard Kirkpatrick, Leiter von Global Pulse, sagt: «Die

Analyse von Mustern in Big Data kann die Art und Weise re-

volutionieren, wie wir auf globale Krisen wie ökonomische

Schocks, Seuchen oder Naturkatastrophen reagieren. Wir for-

mulieren und testen Hypothesen und entwickeln Methoden,

mit denen wir Echtzeitdaten ernten und ein Echtzeitverständ-

nis von menschlichem Wohlbefinden bekommen können.»

Während Daten in der Wirtschaft als Grundlage für besse-

re, objektive Entscheidungen hoch geschätzt werden – seit dem

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Daten-Philanthropie . Gute Daten für gute Taten . Joana Breidenbach, Dennis Buchmann

Weltwirtschaftsforum 2012 gelten sie als eigenständige Asset-

klasse –, mangelt es im sozialen Sektor aber in den meisten

Fällen selbst an grundlegenden Daten. NGOs, Stiftungen und

Geldgeber bemühen sich, Gutes zu tun. Dabei sind viele aber so

intransparent, dass sie nicht voneinander lernen können. Sie

stochern mit ihrer eigenen Arbeit im Dunkeln und verstehen

oft nicht einmal ihre eigenen Zahlen. Es mangelt auch an einer

gemeinsamen Informationsinfrastruktur, über die man sich

abstimmen könnte – wenn man denn wollte. (Die Angst vor

Wettbewerbsnachteilen im Kampf um Spenden ist gross.)

Geldgeber wissen oft nicht, wer wo tätig ist und welche

Organisationen gute Arbeit leisten. Das gilt für Ministerien,

Stiftungen und sozial engagierte Unternehmen genauso wie

für Einzelpersonen. Das führt dazu, dass manche Themen

und Regionen doppelt und dreifach finanziert werden, wäh-

rend andere keine Gelder erhalten. Hier können gezielte

Datenspenden helfen: Insbesondere in den USA haben grosse

Organisationen wie die Weltbank, aber auch Stiftungen erste

Schritte getan, um mehr Transparenz zu erzeugen.

Die Hewlett-Stiftung hat gerade ihre gesamte Förderhisto-

rie in einer visuell ansprechenden Heatmap veröffentlicht, und

Ende 2012 schlossen sich fünfzehn grosse Stiftungen zum

sogenannten Reporting Commitment zusammen: In Zukunft

werden sie ihre Ausgaben und Projekte in einem standardisier-

ten Format öffentlich zugänglich machen. (Wie wichtig eine

solche Standardisierung ist, zeigt die Tatsache, dass momentan

allein 82 verschiedene Begriffe für «allgemeine Verwaltungs-

kosten» verwendet werden.)

Auch andere Initiativen wie die International Aid Transpa-

rency Initiative (IATI) oder Washfunders werben bei interna-

tionalen Entwicklungsorganisationen und NGOs darum, dass

sie ihre Daten öffentlich zur Verfügung stellen. Denn nur so

können Projekte gut koordiniert werden, Partner gefunden

und Missbrauch und Korruption aufgedeckt werden.

OPEN KNOWLEDGE Daten zu veröffentlichen, ist zwar eine Art

Datenspende an die Öffentlichkeit. Aber gerade wenn von

staatlichen Institutionen, die von Steuergeldern bezahlt wer-

den, gefordert wird, Daten der Allgemeinheit zur Verfügung

zu stellen, spricht man von der Open-Data-Bewegung. Bei-

spielsweise setzen sich die Open Knowledge Foundation oder

das Open Data Network für Daten als Allgemeingut ein.

Denn mit offenen Daten kommt es zu einem Kulturwandel in

Staat, Verwaltung und damit der Gesellschaft. Es kommt zu

einer Stärkung der Bürgerrechte, weil geheimnisvolle Amts-

stuben transparenter werden. Und innovativer: In den jetzi-

gen Strukturen sind Politik und Verwaltung träge und bieten

kaum Anreize, sich von innen zu erneuern. Eine Öffnung der

NGOs haben keine gemeinsameInformationsinfrastruktur, überdie sie sich abstimmen könnten.

Vereinzelt gibt es schon Organisationen, die dem sozialen Sektor mit Datenanalysen unter die Arme greifen. Die Organisation Data Kind arbeitet für NGOs wie Refugees United oder DC Action for Children. Letztere kümmert sich um Kinder in Washington und wollte die Hebel ihrer Arbeit bes-ser verstehen, um wirksamere Programme ent-wickeln zu können. Während eines Hackathons – eines 48-stündigen Workshops – kamen Akti-visten und Sozialarbeiter mit Datenexperten, Ent-wicklern und Designern zusammen. Mit der Hilfe

der «Hacker» gelang es, interaktive Landkarten zu erstellen, auf denen die Lebensbedingungen in verschiedenen Stadtvierteln entlang verschiede-ner Dimensionen sichtbar wurden. Diese können nun miteinander in Verbindung gesetzt und mit Hypothesen getestet werden. Wie verhalten sich Einkommen und Anteil alleinerziehender Mütter zu Schulnoten und Jugendarbeitslosigkeit? Oder gibt es eine Korrelation zwischen der Häufigkeit von Lebensmittelläden und Gang-Gewalt?

Ein Muster stach in den Analysen besonders hervor: In Stadtvierteln mit einer Vorschulinfra-struktur schlossen die Schüler drei Jahre später

doppelt so gut in Rechnen und Lesen ab wie die in Vierteln ohne Kindergärten und Vorschulen. Der Bürgermeister brachte daraufhin eine Geset-zesvorlage ein, nach der nun in der ganzen Stadt in Vorschulen investiert werden soll.

Data-Charity

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allein in den USA 140 000 bis 190 000 Menschen mit daten-

analytischer Expertise auf dem Arbeitsmarkt fehlen – sowie

1,5 Millionen Manager, die aufgrund von Datenanalysen Ent-

scheidungen treffen können.

Weil es an Datenkompetenz mangelt, werden immer mehr

Hackathons veranstaltet, auf denen Datenbesitzer mit Daten-

auswertern zusammenkommen. So organisiert die NGO Code

for America die Begegnung zwischen Stadtverwaltungen und

Programmierern, damit diese gemeinsam überlegen, welche

digitalen Werkzeuge dem öffentlichen Sektor helfen, urbane

Herausforderungen zu meistern.

PROJEKT-ERFOLGSMESSUNG Datenspenden aus privaten und

Unternehmensquellen könnten Open Data sehr gut anrei-

chern: Eine Projektgruppe an der Humboldt-Viadrina School

of Governance in Berlin arbeitet derzeit an Karten, die mit

einer Vielzahl an Datenquellen die Lebensqualität einzelner

Regionen in Echtzeit abbilden. Luftqualität könnte beispiels-

weise mit der Häufigkeit von Krankheiten und Arbeitslosig-

keit korreliert werden. Zumindest könnte man auch mit einer

solch neuen, vernetzten Sicht den Erfolg oder Misserfolg so-

zialer Programme und Reformen genauer und schneller mes-

sen, als es die bislang üblichen Ex-Post-Evaluationen können.

Wie nützlich solche Karten sein können, zeigen uns die

Analysen des Justice Mapping Center in New York, die die

Adressen aller amerikanischen Gefängnisinsassen aggregie-

ren. Die Analysen weisen auf die sogenannten Million-Dollar-

Blocks hin, Strassenzüge, aus denen so viele Gefangene kom-

men, dass ihre Gefangenschaft über eine Million US-Dollar

jährlich kostet. Dank der Datenanalyse kann in den betroffe-

nen Wohngebieten gezielter in Jugendzentren, Drogenbetreu-

ung oder Nachbarschaftshilfen investiert werden.

Daten helfen also. Um nun den Privatmenschen oder Un-

ternehmen dazu anzuregen, Daten zu spenden, müssen auch

neue Institutionen, Gesetze und Prozesse geschaffen werden,

die vor allem eines sicherstellen: dass ein Datenspender dem

Empfänger vertrauen kann.

Auf dem US-Arbeitsmarkt fehlenmehr als 100 000 Menschen mit datenanalytischer Expertise.

GDI Impuls . Nummer 1 . 2013

Daten würde Mängel aufdecken und böte dem Nutzer (Kun-

den) die Chance, sich für Verbesserungen einzusetzen. Pro-

grammierer könnten beispielsweise eigene Schnittstellen und

Anwendungen entwickeln.

Einige Staaten haben bereits erste Datenportale, etwa data.

gov.uk, data.gov (USA) oder opendata.go.ke in Kenia. Auf dem

Datenportal Metroboston Datacommon werden Daten bei-

spielsweise gezielt für die Allgemeinheit aufbereitet und visua-

lisiert, um die Lebensbedingungen in der Region transparent

zu machen und sie zu verstehen. Stadtplaner, Journalisten oder

Bürger können so fundierte Entscheidungen treffen.

Daten werden also vom Staat zunehmend freigesetzt. Es

wird Zeit, sie zum Wohle der Allgemeinheit zu nutzen.

BIG-DATA-PHILANTHROPIE Eine der eloquentesten Fürsprecher

eines datengetriebenen sozialen Sektors ist die amerikanische

Philanthropieberaterin Lucy Bernholz. In ihrer Vision legen

Stiftungen, NGOs und internationale Organisationen der Ent-

wicklungszusammenarbeit nicht nur ihre Geldströme, son-

dern ihr gesamtes Wissen über sozialen Fortschritt offen und

tragen aktiv zu einer transparenten Informationslandschaft

bei. Denn je mehr Daten sie haben, desto bessere Arbeit kön-

nen NGOs und Sozialunternehmen leisten.

Auch Patrick Meier vom weltweit erfolgreichsten Open-

Source-Kartierungsdienst Ushahidi fordert eine «Big-Data-

Philanthropie». So entsteht beispielsweise bei Katastrophen-

hilfe (Ushahidi wurde auch nach dem Erdbeben in Haiti

genutzt) Big Data, das via Social-Media-Plattformen wie Twit-

ter generiert und geteilt wird. Diese Daten werten dann viele

digital kompetente Menschen ehrenamtlich aus. Zugleich gibt

es eine Reihe von Dienstleistern, die sich auf Social-Media-

Analysen spezialisiert haben (Unternehmen wie Crimson

Hexa gon, Geofeedia, Netbase oder Social Flow). Diese könn-

ten sich zu einer Art digitalen CSR-(Corporate Social Respon-

sibility-)Gruppe für humanitäre Notfälle zusammentun.

Eine Herausforderung wird sein, die Daten zu verstehen.

Die Berater von McKinsey schätzen anhand ihrer Daten, dass

Einige Staaten haben bereitsOpen-Data-Portale: die USA,Grossbritannien – und Kenia.

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Daten-Philanthropie . Gute Daten für gute Taten . Joana Breidenbach, Dennis Buchmann

DATEN-TÜV Menschen haben Angst, ihre Daten weiterzugeben,

weil sie damit auch ein Stück ihrer Privatsphäre weitergeben.

Und weil digitale Daten im Gegensatz zu etwa einem Tonband

kaum mit letzter Gewissheit vernichtet werden können, muss

sich der Datenspender sicher sein können, dass er anonym

bleiben kann. Ähnlich wie bei einem Anwalt, Steuerberater

oder Arzt könnte ein Datenverwalter dafür sorgen (und dafür

Verantwortung tragen), dass Daten des Einzelnen durch ihn

geprüft und nur über ihn weitergegeben werden. Auch Zerti-

fikate können sicherstellen, dass kein Schindluder mit den

eigenen Daten getrieben wird – eine Art Daten-TÜV.

Sind die Prozesse sicher und vertrauenswürdig, muss dem

Spender plausibel gemacht werden, warum seine Daten wichtig

für das Allgemeinwohl sind. Es könnte eine Datenallmende für

gesellschaftlich und sozial relevante Themen entstehen, die

von Aktivisten, Politikern und Geldgebern verwendet würde,

um bessere Entscheidungen treffen zu können. Ein erster An-

satz ist das Projekt Open Data Commons, das ähnlich wie die

Creative Commons Strukturen für freie Daten schaffen will.

In der Arztpraxis hängt dann ein Plakat: «Spenden Sie Ihre

Diagnose-Daten, und verhelfen Sie sich und anderen zu besseren

Therapien». Was das genau bedeutet, ist variabel, denn aus Da-

ten lässt sich verschiedenes Wissen ableiten. Ob das Krebsregis-

ter davon profitiert, das in Deutschland für 2013 geplant ist, oder

Leberspezialisten – die Muster der Erkenntnis sind in Daten

anfangs oft unklar, und vielleicht ergibt sich erst später, wenn

neue Analysemethoden vorliegen, ein neuer Zusammenhang.

Denn im Gegensatz zu Geldspenden können Daten nicht ausge-

geben werden. Bei jeder Datenspende könnte sich der Spender

entscheiden: Sollen die Daten nur an gemeinnützige Organisa-

tionen oder auch an Unternehmen gehen, die die Daten eventuell

sogar weiterverkaufen? Und dürfen gemeinnützige Organisa-

tionen mit meinen Daten kostenpflichtige Dienste und Anwen-

dungen füttern, die zur Refinanzierung der NGO beitragen?

Der Einzelspender kann also im Alltag an zertifizierte Stel-

len oder direkt an NGOs Daten spenden: Bei der Spendenplatt-

form betterplace.org würden Menschen neben Geld oder Zeit

(Ehrenamt) beispielsweise auch ihre Daten spenden. Wer möch-

te, lässt sich beim mobilen Spenden orten oder erlaubt am Rech-

ner die Aufzeichnung der Mausbewegung.

Einige digital affine NGOs sind schon aktiv auf der Suche

nach Datenspendern. «Wir werden an verschiedene Daten-

anbieter herantreten und fragen, ob sie uns Daten spenden

können», sagt Christoph Bünte, Programmierer bei Wheel-

map.org. Die Online-Karte zeigt, basierend auf Daten der Open

Streetmap, welche Orte für Rollstuhlfahrer proble matisch sind.

Gibt es eine Rampe? Verwehrt eine hohe Stufe den Zugang?

Tausende Menschen sammeln die Informa tionen mit ihrem

Handy (Informationsspender) und tragen sie bei Wheel map

ein. So wurden bislang über 300 000 Orte, also Restaurants,

Behörden oder Läden, klassifiziert. «Wenn jemand viele Daten

über die Barrierefreiheit von Orten hat, könnte eine Spende

helfen, die Daten bei uns aufzubereiten und zu aggregieren.»

DATEN-SPONSORING Ein Weg wird also sein, Datenspender und

Empfänger bilateral zusammenzubringen. Doch nur selten

wissen die einen, was sie wollen, und die anderen, wie sie mit

Daten helfen können. So sagte ein Manager eines grossen Me-

dienhauses in Deutschland vor kurzem in einem Flurgespräch:

«Wir haben so unglaublich viele Daten und wissen nichts damit

anzufangen. Kann die nicht irgendjemand gebrauchen?»

Die Datenspende wird Teil des CSR-Engagements vieler

Unternehmen. Fotos von Übergaben grosser Pappschecks

funktionieren vielleicht noch für die Sparkasse in Klein Dis-

nack. Wichtiger ist jedoch die langfristige Geschichte, die durch

gesellschaftliches Engagement entsteht. Und die lässt sich mit

Daten gut erzählen: Gäbe eine Supermarktkette anonymisierte

Informationen zu Einkäufen frei, könnten Hacker diese mit

weiteren offenen Daten korrelieren und etwa neue Muster bei

Fettleibigkeit unter Teenagern erkennen.

Twitter zum Beispiel spendete schon 2010 sein komplettes

Archiv der öffentlichen Tweets an die Library of Congress. Die

Milliarden von Kurznachrichten sind ein echter Datenschatz.

Der Bibliothekar der Library of Congress, James Billington,

Es könnte eine Daten-Allmendefür gesellschaftlich und sozialrelevante Themen entstehen.

Im Gegensatz zu Geldspendenkönnen Datenspenden nicht ausgegeben werden.

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spricht von einem «aussergewöhnlichen Potenzial für die Er-

forschung unseres Alltags». Die grosse Herausforderung ist

nun, Erkenntnisse, die über 140 Zeichen hinausgehen, aus der

Datenmasse zu extrahieren.

DATEN-SENSIBILITÄT Weltweit fordern Bürger und Regierungen

mehr Datensicherheit. Die Unternehmen stehen unter Druck,

dem Einzelnen grössere Kontrolle über seine Daten zu geben,

da sie sonst rechtliche Schwierigkeiten bekommen werden. Ben

Scott, ehemaliger Innovation Adviser von Hillary Clinton und

zurzeit Fellow der Stiftung neue Verantwortung in Berlin,

glaubt, dass es zu einem der folgenden Systeme kommen wird:

Als Nutzer von Google, Amazon, Facebook oder Ähnlichem

wird man nach dem Einloggen gefragt, ob man seine Daten

dem Unternehmen zur Verfügung stellt und dafür alle Dienst-

leistungen (z. B. Google Earth) kostenlos erhält oder ob man

lieber die Daten behält, dann aber für Dienstleistungen zahlt.

Als Zusatz-Option ist ein Button denkbar, auf dem etwa steht:

«Spenden Sie Ihre Daten an diese Organisation und helfen ihr

so, das Problem des Analphabetismus zu lösen.» So würde das

Unternehmen gemeinsam mit dem Einzelnen Gutes tun.

Die Daten werden also auf zwei Ebenen gespendet: Bei

Unternehmen wird der Staat weiter auf Öffnung der Daten-

bestände drängen und dabei das Interesse der Öffentlichkeit

als Argument anführen. Einige CSR-Abteilungen werden dem

zuvorkommen und ihre nicht sensiblen Daten in eine Art

Datenallmende einzahlen. In Daten-Hubs (die grosse Cloud-

Service-Anbieter wie Cisco oder IBM betreiben) werden die

Daten vorsortiert und zur weiteren Verwendung aufbereitet.

Auf der individuellen Ebene wird die Datenspende zum Ver-

schwinden des «komischen Gefühls» beitragen. Viele Men-

schen gruselt die Vorstellung, dass Nike die eigenen Jogging-

Daten speichert oder Apple sogar das genaue Bewegungsmuster

des Handynutzers der letzten drei Monate. Ein vertrauens-

würdiger Datenanwalt etwa in Form einer App wird dafür

sorgen, dass die Datenmengen für den Einzelnen verständlich

bleiben – eine Art private Datensammelstelle, die dem Nutzer

jederzeit zeigt, welche Daten er wofür und an welche Organi-

sation gespendet hat. So kann Vertrauen aufgebaut werden.

Wie in einer Art Chronik sind dort dann auch die Erfolge

gelistet, die mit den eigenen Daten erzielt wurden:

> Dank Ihrer Datenspende beim Arzt ist das Krebsregister

nun noch aussagekräftiger.

> Dank Ihrer Datenspende an der Ladenkasse können wir er-

nährungsbedingte Volkskrankheiten besser verstehen.

> Dank Ihrer Website-Nutzungsdaten können wir Online-

Lernangebote verbessern.

> Dank Ihrer Kühlschrankdaten können wir Geräte mit höhe-

rem Wirkungsgrad bauen.

Noch sind technische Entwicklungen, juristische Prozesse und

Wissensmanagement mit der Fülle von Daten überfordert.

Doch je stärker sich Daten als Wirtschaftsgut etablieren, desto

näher rückt auch eine Datenphilanthropie, die aus Daten das

Beste für die Allgemeinheit herausholt. <

Link zum Themawww.betterplace-lab.orgwww.betterplace.org

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GDI Impuls . Nummer 1 . 2013

Page 10: "Gute Taten für Gute Daten" Artikel im GDI Impuls

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