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Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel Nummer 1 . 2013
ISSN 1422-0482 . CHF 35 . EUR 27
Data
Data
Data
Dada
DataDa
taData
Dada
DadaDa
ta
Dada
DadaBig
Matthias SutterHomo unoeconomicus
Raymond BärDer digitale Papiertiger
Günter FaltinWhat would Dutti do?
Mikrosekündlich generieren wir gigantische Datenmengen: im Haus, im Netz, im Laden. Rohstoff oder Müll? Eine Reise zu den Minen und Raffinerien der Datenzeit.
Thema: Big Data
AUTORENSUMMARIES THEMASUMMARIES IDEEN, WORKSHOPZUSATZIMPULSGDI-STUDIENGDI-KONFERENZENGDI GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUTEGDI-AGENDA 2013IMPRESSUM
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> Rätsel
BIG-DATA-BUCHSTABENSUPPEFinden Sie die fünfzehn derzeit wichtigsten Big-Data-
Firmen und/oder Personen?
> Technologie
Gunnar Sohn
SMART DATABig-Data-Systeme werden von Optimisten als digitale
Bohrmaschinen zur Schaffung von Reichtum
und Allwissenheit gesehen. Wie die Realität aussieht.
> Technologie
Alexander Ross
«DIE DATEN BLEIBEN SCHEU UND GRAUSAM»Datamining-Veteran Nicolas Bissantz über die
Differenz zwischen Goldgrube und Grubenunglück.
> Mobilität
Anja Dilk . Heike Littger
DATENVERKEHROb Auto, Bahn, Taxi oder Rad – aus Bewegungsdaten
lassen sich faszinierende Services erstellen. Wenn man
sie kombinieren kann. Und da beginnt das Problem.
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> Daten-Philanthropie
Joana Breidenbach . Dennis Buchmann
GUTE DATEN FÜR GUTE TATENWenn Daten das Blut des Internets sind – warum gibt es
dann noch keinen Datenspendedienst?
> Banken
Gespräch mit Raymond J. Bär
DER DIGITALE PAPIERTIGERWo sich im Finanzsektor Digitalisierung und Daten-
bearbeitung durchsetzen kann – und wo nicht.
> Die grosse Grafik
FÖRDERPROGRAMMEDas «Öl des 21. Jahrhunderts» erfordert komplexe
Technik. Einige Förder- und Raffiniermethoden.
> Steuern
Hans-Walter Forkel
BIG DATA – BIG TAXESWenn Daten der Rohstoff der Zukunft sind, dann
müssten sie etwas werden, was Rohstoffe schon immer
waren: eine wichtige Einnahmequelle des Staates.
> Matching
Christian Rauch
BIS DASS DER CODE EUCH VEREINTEin Blick in die Matching- und Algorithmenküchen der
Online-Partnerbörsen.
> Foto-Essay
Michael Tewes
MOBILE DATAImmer öfter werden Informationen ohne ihr bisheriges
Trägermedium verbreitet. Bald auch im Strassenverkehr?
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Ideen Workshop
> Verhaltensökonomie
Gespräch mit Matthias Sutter
HOMO UNOECONOMICUSWarum Verhaltensökonomie und Spieltheorie genau
das Gegenteil dessen erreichen, was Brachial-Feuilletonist
Frank Schirrmacher ihnen vorwirft.
> Einzelhandel
Claus Noppeney . Nada Endrissat
SUPERMÄRKTE ALS KREATIVE HOTSPOTSKünstler als Regalkräfte – wie soll das denn gehen? So
wie bei Whole Foods Market. Eine Feldstudie im Laden.
> Management
Markus Miessen
DER AUSSENSEITERErneuerung von innen stösst immer dann an Grenzen,
wenn ganze Strukturen sich wandeln müssen. Wie dann
von aussen die Entwicklung gestaltet werden kann.
> Entrepreneurship
Gespräch mit Günter Faltin
WHAT WOULD DUTTI DO?Welche Branche würde Gottlieb Duttweiler wohl revo-
lutionieren, wenn er heute noch einmal antreten würde?
Und wie? Ein Gedankenspiel.
> Zwischenruf
Joël Luc Cachelin
DIE KRAFT DES VERGESSENSVergessen hält uns gesund, steigert die Stimmung und
ist der Beweis, dass wir noch immer Menschen sind.
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> Mode
Katrin Kruse
VON HOSE UND IGELDie Dynamik von «Fast Fashion» hat die Modeindustrie
in die Krise gestürzt. Nachhaltige «Slow Fashion» kann
ihr eine neue Perspektive verschaffen.
> Recycling
Mirjam Hauser
IN ENTSORGUNGSKETTENIdeen für alle Glieder der Entsorgungskette aus der GDI-
Studie zur Zukunft des Recyclings.
> Kolumne
Peter Felixberger
REBELLEN MIT LEIDENSCHAFTGute neue Bücher von Gunter Dueck, Pernille Tranberg,
Steffan Heuer, Chris Anderson und Wolfgang Streeck.
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Joana Breidenbach . Dennis Buchmann
Gute Datenfür gute Taten
58W H O L ED A T A
V O L U N T E E R D O N O R
Donation NumberExpiry DateCentre Identi ty
GB
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GDI Impuls . Nummer 1 . 2013
Das Banale braucht man nicht zu schälen: Wissen ist Macht.
Wissen erhält man, indem man Informationen auswertet.
Informationen erhält man, indem man Daten sammelt. Diese
Daten fallen heute vor allem als Späne der digitalen Kommu-
nikation an: wenn man einen Suchbegriff eingibt, online ein-
kauft oder mit dem Handy Zeit und Raum seines Lauftrai-
nings aufzeichnet. Und da sich Computer mehr und mehr in
den Dingen des Alltags verstecken, fallen sie demnächst auch
an, wenn man Auto fährt, den Kühlschrank öffnet oder auf
den Lichtschalter drückt. Wer also aus solchen Daten Informa-
tionen extrahieren und daraus Wissen ableiten kann, der hat
Macht. Und der hat auch die Macht, viel Gutes zu tun.
Wenn Daten das «Blut des Internets» sind, wie es Europas
Justizkommissarin Viviane Reding ausdrückt – warum gibt es
dann noch keinen Datenspendedienst? Denn wie Blut können
gespendete Daten anderen Menschen helfen. Jeder Einzelne
von uns kann seine Daten direkt spenden. Oder Unternehmen,
bei denen die Daten vieler Menschen lagern, spenden sie für
den guten Zweck. Noch bedeutet soziales Engagement vor
allem, Geld oder Zeit (Ehrenamt) zu spenden. In Zukunft wird
die Datenspende als dritter Pfeiler heranwachsen.
Schon heute helfen Daten dabei, Ereignisse schneller vor-
herzusagen. So nutzt Google Flu die Häufigkeit bestimmter
Suchbegriffe, um daraus die Wahrscheinlichkeit von Grippe-
erkrankungen und deren Ausbreitung abzuleiten. Die Vor-
hersage ist genauso treffend wie die der US-Seuchenbehörde
CDC – aber viel schneller. Social-Media-Analysen in den USA
Wenn Daten das Blut des Internets sind – warum gibt es dann noch keinen Datenspende-
dienst? Je stärker sich Daten als Wirtschaftsgut etablieren, desto näher rückt auch eine Daten-
Philanthropie, die aus Daten das Beste für die Allgemeinheit herausholt.
und Irland konnten drei Monate vor dem Ansteigen der offi-
ziellen Arbeitslosenstatistik zeigen, dass viele Menschen um
ihren Job fürchteten. Und die Anzahl von Tweets aus Indone-
sien, die den Preis von Reis erwähnten, korrelierte eng mit
realen Preiserhöhungen für das Grundnahrungsmittel, die
sich aus offiziellen Statistiken wesentlich später ergaben.
SCHOCK-REAKTIONEN Diese Vorhersagen zu Arbeitslosigkeit
und Reispreisschwankungen sind dem Institut Global Pulse
zu verdanken. Es wurde 2009 vom UN-Generalsekretariat
gegründet, um die Auswirkungen von globalen Krisen nicht
erst Monate später beschreiben, sondern vorhersagen zu kön-
nen. Daten können quasi im Moment ihrer Entstehung aus-
gewertet werden, sodass noch genug Zeit zum Handeln bleibt.
Kaufen Menschen in einer Region plötzlich weniger Handy-
Gesprächsguthaben, greifen ihre Sparreserven an und ver-
zeichnen Wettersensoren kaum Niederschlag, so sind das
Indikatoren, die auf eine Krise hinweisen.
Richard Kirkpatrick, Leiter von Global Pulse, sagt: «Die
Analyse von Mustern in Big Data kann die Art und Weise re-
volutionieren, wie wir auf globale Krisen wie ökonomische
Schocks, Seuchen oder Naturkatastrophen reagieren. Wir for-
mulieren und testen Hypothesen und entwickeln Methoden,
mit denen wir Echtzeitdaten ernten und ein Echtzeitverständ-
nis von menschlichem Wohlbefinden bekommen können.»
Während Daten in der Wirtschaft als Grundlage für besse-
re, objektive Entscheidungen hoch geschätzt werden – seit dem
Daten-Philanthropie . Gute Daten für gute Taten . Joana Breidenbach, Dennis Buchmann
Weltwirtschaftsforum 2012 gelten sie als eigenständige Asset-
klasse –, mangelt es im sozialen Sektor aber in den meisten
Fällen selbst an grundlegenden Daten. NGOs, Stiftungen und
Geldgeber bemühen sich, Gutes zu tun. Dabei sind viele aber so
intransparent, dass sie nicht voneinander lernen können. Sie
stochern mit ihrer eigenen Arbeit im Dunkeln und verstehen
oft nicht einmal ihre eigenen Zahlen. Es mangelt auch an einer
gemeinsamen Informationsinfrastruktur, über die man sich
abstimmen könnte – wenn man denn wollte. (Die Angst vor
Wettbewerbsnachteilen im Kampf um Spenden ist gross.)
Geldgeber wissen oft nicht, wer wo tätig ist und welche
Organisationen gute Arbeit leisten. Das gilt für Ministerien,
Stiftungen und sozial engagierte Unternehmen genauso wie
für Einzelpersonen. Das führt dazu, dass manche Themen
und Regionen doppelt und dreifach finanziert werden, wäh-
rend andere keine Gelder erhalten. Hier können gezielte
Datenspenden helfen: Insbesondere in den USA haben grosse
Organisationen wie die Weltbank, aber auch Stiftungen erste
Schritte getan, um mehr Transparenz zu erzeugen.
Die Hewlett-Stiftung hat gerade ihre gesamte Förderhisto-
rie in einer visuell ansprechenden Heatmap veröffentlicht, und
Ende 2012 schlossen sich fünfzehn grosse Stiftungen zum
sogenannten Reporting Commitment zusammen: In Zukunft
werden sie ihre Ausgaben und Projekte in einem standardisier-
ten Format öffentlich zugänglich machen. (Wie wichtig eine
solche Standardisierung ist, zeigt die Tatsache, dass momentan
allein 82 verschiedene Begriffe für «allgemeine Verwaltungs-
kosten» verwendet werden.)
Auch andere Initiativen wie die International Aid Transpa-
rency Initiative (IATI) oder Washfunders werben bei interna-
tionalen Entwicklungsorganisationen und NGOs darum, dass
sie ihre Daten öffentlich zur Verfügung stellen. Denn nur so
können Projekte gut koordiniert werden, Partner gefunden
und Missbrauch und Korruption aufgedeckt werden.
OPEN KNOWLEDGE Daten zu veröffentlichen, ist zwar eine Art
Datenspende an die Öffentlichkeit. Aber gerade wenn von
staatlichen Institutionen, die von Steuergeldern bezahlt wer-
den, gefordert wird, Daten der Allgemeinheit zur Verfügung
zu stellen, spricht man von der Open-Data-Bewegung. Bei-
spielsweise setzen sich die Open Knowledge Foundation oder
das Open Data Network für Daten als Allgemeingut ein.
Denn mit offenen Daten kommt es zu einem Kulturwandel in
Staat, Verwaltung und damit der Gesellschaft. Es kommt zu
einer Stärkung der Bürgerrechte, weil geheimnisvolle Amts-
stuben transparenter werden. Und innovativer: In den jetzi-
gen Strukturen sind Politik und Verwaltung träge und bieten
kaum Anreize, sich von innen zu erneuern. Eine Öffnung der
NGOs haben keine gemeinsameInformationsinfrastruktur, überdie sie sich abstimmen könnten.
Vereinzelt gibt es schon Organisationen, die dem sozialen Sektor mit Datenanalysen unter die Arme greifen. Die Organisation Data Kind arbeitet für NGOs wie Refugees United oder DC Action for Children. Letztere kümmert sich um Kinder in Washington und wollte die Hebel ihrer Arbeit bes-ser verstehen, um wirksamere Programme ent-wickeln zu können. Während eines Hackathons – eines 48-stündigen Workshops – kamen Akti-visten und Sozialarbeiter mit Datenexperten, Ent-wicklern und Designern zusammen. Mit der Hilfe
der «Hacker» gelang es, interaktive Landkarten zu erstellen, auf denen die Lebensbedingungen in verschiedenen Stadtvierteln entlang verschiede-ner Dimensionen sichtbar wurden. Diese können nun miteinander in Verbindung gesetzt und mit Hypothesen getestet werden. Wie verhalten sich Einkommen und Anteil alleinerziehender Mütter zu Schulnoten und Jugendarbeitslosigkeit? Oder gibt es eine Korrelation zwischen der Häufigkeit von Lebensmittelläden und Gang-Gewalt?
Ein Muster stach in den Analysen besonders hervor: In Stadtvierteln mit einer Vorschulinfra-struktur schlossen die Schüler drei Jahre später
doppelt so gut in Rechnen und Lesen ab wie die in Vierteln ohne Kindergärten und Vorschulen. Der Bürgermeister brachte daraufhin eine Geset-zesvorlage ein, nach der nun in der ganzen Stadt in Vorschulen investiert werden soll.
Data-Charity
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le:
data
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.org
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allein in den USA 140 000 bis 190 000 Menschen mit daten-
analytischer Expertise auf dem Arbeitsmarkt fehlen – sowie
1,5 Millionen Manager, die aufgrund von Datenanalysen Ent-
scheidungen treffen können.
Weil es an Datenkompetenz mangelt, werden immer mehr
Hackathons veranstaltet, auf denen Datenbesitzer mit Daten-
auswertern zusammenkommen. So organisiert die NGO Code
for America die Begegnung zwischen Stadtverwaltungen und
Programmierern, damit diese gemeinsam überlegen, welche
digitalen Werkzeuge dem öffentlichen Sektor helfen, urbane
Herausforderungen zu meistern.
PROJEKT-ERFOLGSMESSUNG Datenspenden aus privaten und
Unternehmensquellen könnten Open Data sehr gut anrei-
chern: Eine Projektgruppe an der Humboldt-Viadrina School
of Governance in Berlin arbeitet derzeit an Karten, die mit
einer Vielzahl an Datenquellen die Lebensqualität einzelner
Regionen in Echtzeit abbilden. Luftqualität könnte beispiels-
weise mit der Häufigkeit von Krankheiten und Arbeitslosig-
keit korreliert werden. Zumindest könnte man auch mit einer
solch neuen, vernetzten Sicht den Erfolg oder Misserfolg so-
zialer Programme und Reformen genauer und schneller mes-
sen, als es die bislang üblichen Ex-Post-Evaluationen können.
Wie nützlich solche Karten sein können, zeigen uns die
Analysen des Justice Mapping Center in New York, die die
Adressen aller amerikanischen Gefängnisinsassen aggregie-
ren. Die Analysen weisen auf die sogenannten Million-Dollar-
Blocks hin, Strassenzüge, aus denen so viele Gefangene kom-
men, dass ihre Gefangenschaft über eine Million US-Dollar
jährlich kostet. Dank der Datenanalyse kann in den betroffe-
nen Wohngebieten gezielter in Jugendzentren, Drogenbetreu-
ung oder Nachbarschaftshilfen investiert werden.
Daten helfen also. Um nun den Privatmenschen oder Un-
ternehmen dazu anzuregen, Daten zu spenden, müssen auch
neue Institutionen, Gesetze und Prozesse geschaffen werden,
die vor allem eines sicherstellen: dass ein Datenspender dem
Empfänger vertrauen kann.
Auf dem US-Arbeitsmarkt fehlenmehr als 100 000 Menschen mit datenanalytischer Expertise.
GDI Impuls . Nummer 1 . 2013
Daten würde Mängel aufdecken und böte dem Nutzer (Kun-
den) die Chance, sich für Verbesserungen einzusetzen. Pro-
grammierer könnten beispielsweise eigene Schnittstellen und
Anwendungen entwickeln.
Einige Staaten haben bereits erste Datenportale, etwa data.
gov.uk, data.gov (USA) oder opendata.go.ke in Kenia. Auf dem
Datenportal Metroboston Datacommon werden Daten bei-
spielsweise gezielt für die Allgemeinheit aufbereitet und visua-
lisiert, um die Lebensbedingungen in der Region transparent
zu machen und sie zu verstehen. Stadtplaner, Journalisten oder
Bürger können so fundierte Entscheidungen treffen.
Daten werden also vom Staat zunehmend freigesetzt. Es
wird Zeit, sie zum Wohle der Allgemeinheit zu nutzen.
BIG-DATA-PHILANTHROPIE Eine der eloquentesten Fürsprecher
eines datengetriebenen sozialen Sektors ist die amerikanische
Philanthropieberaterin Lucy Bernholz. In ihrer Vision legen
Stiftungen, NGOs und internationale Organisationen der Ent-
wicklungszusammenarbeit nicht nur ihre Geldströme, son-
dern ihr gesamtes Wissen über sozialen Fortschritt offen und
tragen aktiv zu einer transparenten Informationslandschaft
bei. Denn je mehr Daten sie haben, desto bessere Arbeit kön-
nen NGOs und Sozialunternehmen leisten.
Auch Patrick Meier vom weltweit erfolgreichsten Open-
Source-Kartierungsdienst Ushahidi fordert eine «Big-Data-
Philanthropie». So entsteht beispielsweise bei Katastrophen-
hilfe (Ushahidi wurde auch nach dem Erdbeben in Haiti
genutzt) Big Data, das via Social-Media-Plattformen wie Twit-
ter generiert und geteilt wird. Diese Daten werten dann viele
digital kompetente Menschen ehrenamtlich aus. Zugleich gibt
es eine Reihe von Dienstleistern, die sich auf Social-Media-
Analysen spezialisiert haben (Unternehmen wie Crimson
Hexa gon, Geofeedia, Netbase oder Social Flow). Diese könn-
ten sich zu einer Art digitalen CSR-(Corporate Social Respon-
sibility-)Gruppe für humanitäre Notfälle zusammentun.
Eine Herausforderung wird sein, die Daten zu verstehen.
Die Berater von McKinsey schätzen anhand ihrer Daten, dass
Einige Staaten haben bereitsOpen-Data-Portale: die USA,Grossbritannien – und Kenia.
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Daten-Philanthropie . Gute Daten für gute Taten . Joana Breidenbach, Dennis Buchmann
DATEN-TÜV Menschen haben Angst, ihre Daten weiterzugeben,
weil sie damit auch ein Stück ihrer Privatsphäre weitergeben.
Und weil digitale Daten im Gegensatz zu etwa einem Tonband
kaum mit letzter Gewissheit vernichtet werden können, muss
sich der Datenspender sicher sein können, dass er anonym
bleiben kann. Ähnlich wie bei einem Anwalt, Steuerberater
oder Arzt könnte ein Datenverwalter dafür sorgen (und dafür
Verantwortung tragen), dass Daten des Einzelnen durch ihn
geprüft und nur über ihn weitergegeben werden. Auch Zerti-
fikate können sicherstellen, dass kein Schindluder mit den
eigenen Daten getrieben wird – eine Art Daten-TÜV.
Sind die Prozesse sicher und vertrauenswürdig, muss dem
Spender plausibel gemacht werden, warum seine Daten wichtig
für das Allgemeinwohl sind. Es könnte eine Datenallmende für
gesellschaftlich und sozial relevante Themen entstehen, die
von Aktivisten, Politikern und Geldgebern verwendet würde,
um bessere Entscheidungen treffen zu können. Ein erster An-
satz ist das Projekt Open Data Commons, das ähnlich wie die
Creative Commons Strukturen für freie Daten schaffen will.
In der Arztpraxis hängt dann ein Plakat: «Spenden Sie Ihre
Diagnose-Daten, und verhelfen Sie sich und anderen zu besseren
Therapien». Was das genau bedeutet, ist variabel, denn aus Da-
ten lässt sich verschiedenes Wissen ableiten. Ob das Krebsregis-
ter davon profitiert, das in Deutschland für 2013 geplant ist, oder
Leberspezialisten – die Muster der Erkenntnis sind in Daten
anfangs oft unklar, und vielleicht ergibt sich erst später, wenn
neue Analysemethoden vorliegen, ein neuer Zusammenhang.
Denn im Gegensatz zu Geldspenden können Daten nicht ausge-
geben werden. Bei jeder Datenspende könnte sich der Spender
entscheiden: Sollen die Daten nur an gemeinnützige Organisa-
tionen oder auch an Unternehmen gehen, die die Daten eventuell
sogar weiterverkaufen? Und dürfen gemeinnützige Organisa-
tionen mit meinen Daten kostenpflichtige Dienste und Anwen-
dungen füttern, die zur Refinanzierung der NGO beitragen?
Der Einzelspender kann also im Alltag an zertifizierte Stel-
len oder direkt an NGOs Daten spenden: Bei der Spendenplatt-
form betterplace.org würden Menschen neben Geld oder Zeit
(Ehrenamt) beispielsweise auch ihre Daten spenden. Wer möch-
te, lässt sich beim mobilen Spenden orten oder erlaubt am Rech-
ner die Aufzeichnung der Mausbewegung.
Einige digital affine NGOs sind schon aktiv auf der Suche
nach Datenspendern. «Wir werden an verschiedene Daten-
anbieter herantreten und fragen, ob sie uns Daten spenden
können», sagt Christoph Bünte, Programmierer bei Wheel-
map.org. Die Online-Karte zeigt, basierend auf Daten der Open
Streetmap, welche Orte für Rollstuhlfahrer proble matisch sind.
Gibt es eine Rampe? Verwehrt eine hohe Stufe den Zugang?
Tausende Menschen sammeln die Informa tionen mit ihrem
Handy (Informationsspender) und tragen sie bei Wheel map
ein. So wurden bislang über 300 000 Orte, also Restaurants,
Behörden oder Läden, klassifiziert. «Wenn jemand viele Daten
über die Barrierefreiheit von Orten hat, könnte eine Spende
helfen, die Daten bei uns aufzubereiten und zu aggregieren.»
DATEN-SPONSORING Ein Weg wird also sein, Datenspender und
Empfänger bilateral zusammenzubringen. Doch nur selten
wissen die einen, was sie wollen, und die anderen, wie sie mit
Daten helfen können. So sagte ein Manager eines grossen Me-
dienhauses in Deutschland vor kurzem in einem Flurgespräch:
«Wir haben so unglaublich viele Daten und wissen nichts damit
anzufangen. Kann die nicht irgendjemand gebrauchen?»
Die Datenspende wird Teil des CSR-Engagements vieler
Unternehmen. Fotos von Übergaben grosser Pappschecks
funktionieren vielleicht noch für die Sparkasse in Klein Dis-
nack. Wichtiger ist jedoch die langfristige Geschichte, die durch
gesellschaftliches Engagement entsteht. Und die lässt sich mit
Daten gut erzählen: Gäbe eine Supermarktkette anonymisierte
Informationen zu Einkäufen frei, könnten Hacker diese mit
weiteren offenen Daten korrelieren und etwa neue Muster bei
Fettleibigkeit unter Teenagern erkennen.
Twitter zum Beispiel spendete schon 2010 sein komplettes
Archiv der öffentlichen Tweets an die Library of Congress. Die
Milliarden von Kurznachrichten sind ein echter Datenschatz.
Der Bibliothekar der Library of Congress, James Billington,
Es könnte eine Daten-Allmendefür gesellschaftlich und sozialrelevante Themen entstehen.
Im Gegensatz zu Geldspendenkönnen Datenspenden nicht ausgegeben werden.
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spricht von einem «aussergewöhnlichen Potenzial für die Er-
forschung unseres Alltags». Die grosse Herausforderung ist
nun, Erkenntnisse, die über 140 Zeichen hinausgehen, aus der
Datenmasse zu extrahieren.
DATEN-SENSIBILITÄT Weltweit fordern Bürger und Regierungen
mehr Datensicherheit. Die Unternehmen stehen unter Druck,
dem Einzelnen grössere Kontrolle über seine Daten zu geben,
da sie sonst rechtliche Schwierigkeiten bekommen werden. Ben
Scott, ehemaliger Innovation Adviser von Hillary Clinton und
zurzeit Fellow der Stiftung neue Verantwortung in Berlin,
glaubt, dass es zu einem der folgenden Systeme kommen wird:
Als Nutzer von Google, Amazon, Facebook oder Ähnlichem
wird man nach dem Einloggen gefragt, ob man seine Daten
dem Unternehmen zur Verfügung stellt und dafür alle Dienst-
leistungen (z. B. Google Earth) kostenlos erhält oder ob man
lieber die Daten behält, dann aber für Dienstleistungen zahlt.
Als Zusatz-Option ist ein Button denkbar, auf dem etwa steht:
«Spenden Sie Ihre Daten an diese Organisation und helfen ihr
so, das Problem des Analphabetismus zu lösen.» So würde das
Unternehmen gemeinsam mit dem Einzelnen Gutes tun.
Die Daten werden also auf zwei Ebenen gespendet: Bei
Unternehmen wird der Staat weiter auf Öffnung der Daten-
bestände drängen und dabei das Interesse der Öffentlichkeit
als Argument anführen. Einige CSR-Abteilungen werden dem
zuvorkommen und ihre nicht sensiblen Daten in eine Art
Datenallmende einzahlen. In Daten-Hubs (die grosse Cloud-
Service-Anbieter wie Cisco oder IBM betreiben) werden die
Daten vorsortiert und zur weiteren Verwendung aufbereitet.
Auf der individuellen Ebene wird die Datenspende zum Ver-
schwinden des «komischen Gefühls» beitragen. Viele Men-
schen gruselt die Vorstellung, dass Nike die eigenen Jogging-
Daten speichert oder Apple sogar das genaue Bewegungsmuster
des Handynutzers der letzten drei Monate. Ein vertrauens-
würdiger Datenanwalt etwa in Form einer App wird dafür
sorgen, dass die Datenmengen für den Einzelnen verständlich
bleiben – eine Art private Datensammelstelle, die dem Nutzer
jederzeit zeigt, welche Daten er wofür und an welche Organi-
sation gespendet hat. So kann Vertrauen aufgebaut werden.
Wie in einer Art Chronik sind dort dann auch die Erfolge
gelistet, die mit den eigenen Daten erzielt wurden:
> Dank Ihrer Datenspende beim Arzt ist das Krebsregister
nun noch aussagekräftiger.
> Dank Ihrer Datenspende an der Ladenkasse können wir er-
nährungsbedingte Volkskrankheiten besser verstehen.
> Dank Ihrer Website-Nutzungsdaten können wir Online-
Lernangebote verbessern.
> Dank Ihrer Kühlschrankdaten können wir Geräte mit höhe-
rem Wirkungsgrad bauen.
Noch sind technische Entwicklungen, juristische Prozesse und
Wissensmanagement mit der Fülle von Daten überfordert.
Doch je stärker sich Daten als Wirtschaftsgut etablieren, desto
näher rückt auch eine Datenphilanthropie, die aus Daten das
Beste für die Allgemeinheit herausholt. <
Link zum Themawww.betterplace-lab.orgwww.betterplace.org
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GDI Impuls . Nummer 1 . 2013
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