Guter Kunde, böser Kunde...die Welt» sind Ausdruck einer weitverbreiteten Annahme: KonsumentInnen...
Transcript of Guter Kunde, böser Kunde...die Welt» sind Ausdruck einer weitverbreiteten Annahme: KonsumentInnen...
Über das Für und Wider «ethischen» Konsums
Guter Kunde, böser Kunde
Wachsende Müllberge, steigender Meeresspiegel, vergiftete Bö-den, Kriege um Ressourcen, tote ArbeiterInnen in Fabriken und Bergwerken: Produktion, Transport, Bewerbung, Vertrieb und Ent-sorgung unserer täglich konsumierten Güter und Dienstleistungen haben schwerwiegende Folgen. Gegenwehr scheint aussichtslos. Denn die Welt wirkt unendlich komplex und die Möglichkeit, po-litisch Einfluss auszuüben, frustrierend begrenzt. Da erscheint «ethischer Konsum» eine naheliegende Option. Initiativen wie «Karmakonsum. New Spirit in Business» oder «Utopia: Die Verbrauchermacht – Unser Konsum verändert die Welt» sind Ausdruck einer weitverbreiteten Annahme: KonsumentInnen haben die Macht, die Welt zu verändern. Beim Einkaufen könnten die KonsumentInnen darüber abstimmen, was wie und wo produziert wird. Ungesunde Produkte lassen VerbraucherInnen ebenso im Regal stehen wie Güter, deren Pro-duktion auf Umweltzerstörung und Ausbeutung basiert. Statt-dessen wählen sie gesunde, nachhaltig produzierte Waren. Da-mit senden sie Signale an die Unternehmen: Wer die Umwelt über Gebühr belastet, wer seine ArbeiterInnen ausbeutet oder gesund-heitsgefährdende Ware herstellt, der muss umdenken – oder er fliegt aus dem Markt. Alles, was die VerbraucherInnen dafür be-nötigen, sind Informationen über die Produkte – und das richtige Bewusstsein, die Verantwortung fürs Ganze.Aber stimmt das wirklich? Ein Teil der kapitalismuskritischen Lin-ken meint, nachhaltiges Einkaufen bringe überhaupt nichts, und wettert gegen die «GutkäuferInnen» – frei nach dem alten Motto «es gibt kein richtiges Leben im falschen». Jegliches Bemühen um einen «ethisch orientierten» Konsum sei naiv. Das Plädoyer dafür zeige lediglich, dass das Kapital nun auch noch unsere Werte zu Geld machen kann.Vieles deutet darauf hin, dass die Idee der «Konsumentenmacht» gescheitert ist, schließlich ist der Kapitalismus in den letzten Jah-ren kaum nachhaltiger und gerechter geworden. Woran liegt’s? Nur am falschen Bewusstsein? Worin besteht die Macht von «Kö-nig Kunde» und wie weit reicht sie tatsächlich? Was können Ein-zelne mit ihrem verantwortungsvollen Einkauf beitragen – und was braucht es, um die Welt nicht nur zu verändern, sondern doch noch zu retten? Diese Fragen sollen im Folgenden anhand einiger beliebter Behauptungen beleuchtet werden.
Inhalt
Für� 21 Aufklärungistalles–WissenschafftKonsumentenmacht 22 SiegelundLabelbieteneinevernünftigeOrientierung
für«ethischen»Konsum 73 DerMarktfür«nachhaltige»Produktewächst 104 GroßunternehmenmüssenschonausWettbewerbsgründen
nachhaltigproduzieren 145 Ethiklohntsich 176 Waswirnichtkaufen,wirdnichtproduziert 187 SchuldistdieUnterschicht–diecheckteseinfachnicht 208 Wirmüssenwenigerkonsumieren 249 DerKaufneuesterTechnikhilftderUmwelt 2510 AusgleichszahlungenmachenUmweltzerstörungwiedergut 27
Wider� 3111 Dukannstkeinemtrauen,esistallesnurgelogen 3112 BevorderKapitalismusnichtabgeschafftist,istesegal,
wieichmichalsIndividuumverhalte 3213 «Geizistgeil»–dasistes,wasdieLeuteantreibt 3514 «Öko»und«fair»sindnureineMittelschichtsnische 36
Und�nun?�Schlussfolgerung�� 38
Glossar 41
Zum�Weiterlesen 43
2
FÜR
1
auFKläRung Ist alles – WIssen schaFFt Konsumentenmacht
«es wird Zeit, dass wir die ladenkasse zur Wahlurne machen.» Die Welt1
Was wird behauptet?Um«ethisch»konsumierenzukönnen,brauchendieVerbrau-cherInnenInformationenüberdieProduktionsbedingungenunddieZusammensetzungderWaren.WennalleMenschennurgenugüberdieumweltzerstörendenundmenschenunwür-digenKonsequenzenihresKonsumswissen,dannsindwirderRettungderWelteinenbedeutendenSchrittnähergekommen.Dannnämlichentscheidensichdiemeistenvonunsfürdietat-sächlichvorhandenenethischenKonsumalternativen.
Was ist dran? Wirver-undgebraucheninunseremAlltageineVielzahlvonProduktenundnutzenzahlreicheDienstleistungen.DieProduk-tionundihreBedingungenkontrollierenjedochnichtwir,son-derndieUnternehmen.UndderenZielist–vonwenigenAus-nahmeninNischenabgesehen(sieheBehauptung14)–nichtmitdemunserenidentisch.Wirwollenökologischproduzier-teWare,dieohneAusbeutunghergestelltwirdunddienichtgesundheitsschädlichist.DieUnternehmenwollenvorallemGewinnmachenundihreRentabilitäterhöhen.Umverantwor-tungsvolleKaufentscheidungentreffenzukönnen,brauchenwirwahreInformationenüberProduktundProduktionspro-zess.VerfügenwirüberdiesesWissen,könnenwirverantwor-tungsbewussteinkaufenundsodieProduktioninunseremSin-nebeeinflussen.
1 Leubecher,Marcel:DieMachtderKonsumentenkanndieWeltverändern,in:DieWelt,17.4.2014,un-ter:www.welt.de/debatte/kommentare/article127076903/Die-Macht-der-Konsumenten-kann-die-Welt-veraendern.html.
Greenwas
hing
4
Dasstimmtzwar.GleichzeitigisteskeinZufall,dassdasWissenderKonsumentInnenimmerzumangelhaftist.DennerstenshabenUnternehmenkeinInteressedaran,Informationenher-auszugeben,wennsieglauben,dassdiesedieKonsumentIn-nenabschrecken.VerbreitetsinddeswegenauchfalscheundverzerrteInformationen,umProduktedurch«Greenwashing»ökologischerdarzustellen,alssiesind.EinMitteldafüristdieWerbung:DiegeschätztenweltweitenWerbeausgabenfürdasJahr2014beliefensichaufetwa545MilliardenUS-Dollar,2dasistungefähr137MalsovielwiedasBudgetderWeltgesund-heitsorganisationimJahr2012/13.
Zweitens:WennwirunsmitderHerkunftalldervonunsge-kauftenDingeundinAnspruchgenommenenDienstleistungenbeschäftigenwollten,brauchtdassehrvielZeit.AusdemEin-kaufkannfürdiemeistenMenschenaberkeineWissenschaftwerden.
Drittens:SelbstwennwirdieseZeitinvestierenwürden,könn-tenwirdannauchdasentsprechendeWissenerlangen,dasunszum«ethischenKonsum»befähigt?DaskommtsehraufdasProduktan.DieEntstehungsbedingungenmancherPro-duktesindeinfachzuerfahren.KauftmaneinPaketButtervonderbenachbartenKooperative,kannmansehen,obdieKuhartgerechtgehaltenwirdundderMensch,dersieversorgt,diesselbstbestimmttutundordentlichbezahltwird.Soweitalsookay–abgesehendavon,dassnichtdasKalb,sondernMenschendieMilchbekommen,dassdieKuhbeiderMilch-produktionklimaschädlichesMethanausstößtunddassdie«Selbstbestimmung»derKooperativeaufgrundgegebenerKonkurrenzbedingungensehrbeschränktseinkann.«Selbstbestimmen»kannsienurdieArtundWeise,wiesieunterdengegebenenMarktbedingungenproduziert;dieseBedingungenselbstaberkannsienichtunterlaufen.
DieAngelegenheitmitderButtervonnebenanistalsonochrechtüberschaubar.BeiderButtermitBio-Siegel(sieheBe-hauptung2)vomSupermarktsiehtdieSacheschonandersaus:
2 Vgl.GlobalAdSpendingGrowthtoDoubleThisYear,9.7.2014,unter:www.emarketer.com/Article/Glo-bal-Ad-Spending-Growth-Double-This-Year/1010997.
5
WasgenaubedeutetdasEU-Bio-SiegelaufderButter,wieweitmusstedieMilchtransportiertwerden,uminderMolkereiver-arbeitetzuwerden?Nochkomplizierterwirdes,wenngefragtwird,wereigentlichdenSupermarktbesitztundwelchenEin-flussdieseEigentümerInnenbeispielsweiseaufpolitischeEnt-scheidungenwieLadenöffnungszeiten,LohnhöhederKassie-rerInnenoderdenAufkaufkleinererLädenhaben.AuchbeimApfel–selbstvomBauernnebenan–istesnichtganzleicht,«korrekt»einzukaufen,nämlichdannnicht,wennderApfelimFrühlingodernochspätererworbenwird.DennjenachBerech-nungsgrundlageistimMärzdieKlimabilanzeineshiesigen,überMonategekühltenApfelsnuretwa25ProzentbesseralsdieeinesfrischimportiertenApfelsausNeuseeland–jelängerdieEinlagerungeinesheimischenApfelsdauert,destomehrKohlendioxidwirdabgegeben.3
UnübersichtlicherwirdeserstrechtbeiWaren,dieinweitkom-plexerenVerarbeitungsschrittenhergestelltwerden.WoherkommendieRohstoffefürKaffeemaschine,Kühlschrank,Ra-dio,Computer,JackeoderSchuh,woundunterwelchenBe-dingungenwerdensiegeschraubt,gelötet,genäht,gewebt,ge-klebt,zusammengestecktundverpackt?WelcheUmweltbilanzhabendieProdukteinderHerstellung,ihremTransport,demVerkaufundihrerEntsorgung?BekleidungoderElektronikgerä-te–z.B.Computer–werdeninkompliziertenProduktionsnetz-werkenhergestellt.DiesbefreitdiehiesigenFirmenhäufigvonderjuristischenVerantwortung,wenneszuArbeitsrechtsver-letzungenoderUmweltverschmutzungenbeiderHerstellungdervonihnenverkauftenProduktekommt.AusKonkurrenz-gründenhabensiezudemmeistgarkeinInteresseanbessererTransparenz,denndannkönntenWettbewerberdieInformatio-nenzuihrenGunstenverwenden.
AuchbeiDienstleistungenwiederStromversorgungsindwirmitkomplexenRegelungennationalerGesetzeundinterna-tionalerAbkommenkonfrontiert.ZumÖkostromanbieterzuwechselnhilftdemKlimadurchdieseRegelnnurbedingt:Auf-grunddesRegelwerksdesdeutschenErneuerbare-Energien-
3 Blanke,B./BurdickB.:EnergiebilanzenfürObstimporte.ÄpfelausDeutschlandoderÜbersee?,in:Erwerbs-Obstbau47/2005,S.143–148.
6
Gesetzes(EEG)importierenÖkostromanbietereherStromausgroßen,häufigskandinavischenoderösterreichischenWasser-kraftwerken,alsihndezentralzuproduzieren–dieVergütungs-regelndesEEGmachendenregionalerzeugten,klimafreund-licherenStromnämlichnichtwettbewerbsfähig.DerWechselzumÖkostromanbieterbedeutetdeshalboftweiteTransport-wegeundlangeStromtrassen,inklusivederdamiteinherge-hendenEnergieverluste.4
Konsumgüter–obnunGegenständeoderDienstleistungen–sindkeinebloßenDinge.SiewerdeninsozialenBeziehungen,inkomplexenBesitz-undMachtstrukturenundhäufigüberdenganzenGlobusverteiltgeplant,finanziert,hergestellt,transpor-tiert,beworbenundverkauft.Aufklärungistzwardringendnot-wendig,umdieseZusammenhängezuverstehen.Siekannje-dochnursehrbedingtdieBasisdafürschaffen,dasswirüberunserKaufverhaltenpositivenEinflussausüben.Wirwissenschlichtzuwenigundwerdenpermanentgetäuscht.DavonberichtenBücherwie«DieÖko-Lüge»vonStefanKreutzber-gerundähnlicheRatgeber.Andersgesagt:KönigKundehatnichtnurkeinWeisungsrechtgegenüberderProduktion,erweißnochnichteinmalgenau,wasinseinemKönigreichlosist,selbstwennersichbemüht.«ZumjetzigenZeitpunktistesun-möglich,VerantwortungfürdiegesamteKettederProduktionzuübernehmen»,gestehtJohannesMerckvonderweltweitagierendenHandels-undDienstleistungsgruppeOttoGroup.5WennsogarHerrMerckdasnichtkann,könnenesdieKonsu-mentInnenschongleichgarnicht.
4 Witt,Uwe:Ökostromanbieter–einAuslaufmodell,2013,unter:www.klimaretter.info/energie/hinter-grund/14908-oekostromanbieter-ein-auslaufmodell. 5 Zit.nach:Brauck,Markusu.a.:GuterKunde,böserKunde,in:DerSpiegel16/2015,S.66.
7
2
sIegel und label bIeten eIne veRnÜnFtIge oRIentIeRung FÜR «ethIschen» Konsum
«Weil es hilft, mit gutem gewissen einkaufen zu können.» Willi Weitzler, Journalist, über das Umweltzeichen «Blauer Engel»6
Was wird behauptet?DieVerbraucherInnenbenötigenInformationen,diesiesichselbstkaumbeschaffenkönnenunddiedieUnternehmennichtherausrückenwollen.HierleistenderStaatundVerbraucher-schutzorganisationenHilfestellung.SieprüfendieProdukteundihreHerkunftundvergebenNoten:Siegel und Label helfenKonsumentInnen,sichzuorientieren,undermöglichendamiteine«ethisch»begründeteKaufentscheidung.MittlerweilegibteseineVielzahlderartigerZertifizierungen–von«Bioland»und«Demeter»über«Fairtrade»und«EU-Bio-Siegel»biszum«Blau-enEngel»und«Stop-Climate-Change».
Was ist dran?InderTat,dreiViertelderbeieinerrepräsentativenErhebungBefragtengabenan,dassihnenSiegeldabeihelfen,«ethischkorrekte»Produktezukaufen.7DerBundesverbandDieVer-braucherinitiativee.V.machtmehrals1.000SiegelundLabelsaus,dieunseineOrientierungshilfebeimKaufvonWarenundDienstleistungenseinsollen.8NachAnsichtdesWirtschafts-journalistenCasparDohmenerweckendabeijedochungefähr80ProzentfalscheoderübertriebeneHoffnungen.9
BeidenSiegelntrifftmanabermalsaufdasProblemZeit.Esistaufwendig,diediversenSiegelundLabelsfürdieunterschied-lichenProduktezustudieren,dievondenverschiedenstenOr-ganisationenvergebenwerden.Aberauchdievertrauenswür-digenunterihnengehenvielfachnuraufEinzelaspektevon
6 www.blauer-engel.de/de. 7 Lebensqualität.OttoGroupTrendstudie2013.StudiezumethischenKon-sum,unter:www.ottogroup.com/media/docs/de/trendstudie/1_Otto_Group_Trendstudie_2013.pdf,S.35. 8 Vgl.http://label-online.de/ueber-label-online/. 9 Vgl.Dohmen,Caspar:OttoMoralverbraucher.VomSinnundUnsinnengagiertenKonsumierens,Zürich2014,S.183.
8
ProduktionundVertriebeinundstoßeninderPraxisaufvieleHindernisse.EinBeispiel:DieFairWearFoundation(FWF)giltalseinederstrengstenOrganisationen,wennesumdieKon-trollederBekleidungsindustriegeht.SiebeurteiltdieArbeits-rechtssituationindenNähfabriken,indenenihreMitgliedsun-ternehmenBekleidungfertigenlassen.IndenKontrollgremiensindauchGewerkschaftenundkritischeNGOsvertreten.DieFWFmagernsthaftanverbessertenArbeitsbedingungeninte-ressiertsein,dochsagtsieselbst,dasssiekeinezu100ProzentfairproduzierteKleidunggarantierenkann.DasistimmerhinehrlichundsprichtfürdieGlaubwürdigkeitderFWF.
«100Prozentfair»könnendievonFWFkontrolliertenProduk-teunteranderemausfolgendenGründennichtsein:DieFWFkontrolliertnurdenletztenFertigungsschrittderBekleidungs-produktion–dasZuschneidenundNähen.AlleanderenEtap-penderWertschöpfungwiederBaumwollanbau,dasSpinnen,WebenoderFärbenbleibenunberücksichtigt–obindiesenvor-gelagertenFertigungsschrittenArbeitsrechteverletztwerdenodernicht.UndUmweltschädenberücksichtigtdieFWFselbstindenvonihruntersuchtenFabrikennicht,esseidenn,essindArbeitsrechtebetroffen.10DieFWFhatsichmitdem«CodeofLabourPractice»eineigenesRegelwerkgegeben.DiesesistqualitativsehrvielbesseralsdasandererOrganisationen.Al-lerdingsbedeutetbeispielsweisedasselbstgesteckteZiel,dasseinzumLebenausreichenderLohngezahltwerdensoll,nochnicht,dassdiesauchtatsächlichpassiert.DieListederEin-schränkungenließesichnochweiterfortsetzen.AllerKritikzumTrotzhatdieFWFzumindestdasPotenzial,Gewerkschaftsar-beitaufFabrikebenezustärken;obdiesinjedemFalltatsächlichgelingt,stehtaufeinemanderenBlatt.GewerkschaftlicheOrga-nisierungwiederumisteinezentraleVoraussetzungdafür,dassbestehendeArbeitsgesetzeindenProduktionsländernüber-hauptzurAnwendungkommenbeziehungsweiseverbessertwerden.GegendieTatsache,dassMitgliedsunternehmenderFWFnachInformationenkritischerKundInnenundAngestell-terinRüstungsindustrieundFinanzspekulationverstricktsind(hessnatur),11kannaberauchdieFWFnichtsausrichten.
10 Vgl.www.fairwear.org/595/about/faq/. 11 Vgl.HeuschreckefrisstÖkomode,in:taz,7.4.2014,unter:www.taz.de/!136326/.
10
Eszeigtsich:DerTeufelstecktimDetail.Sogarbeieineran-erkanntenundals«streng»bezeichnetenInstitutionistesauf-wendig,siewirklichzubeurteilen,mitanderenzuvergleichenundAktualisierungenihrerPolitikzuverfolgen.SelbstwersichdieZeitnimmt,umsichumfassendmitdenSiegelnundLabelsfürKleidung,Fisch,Holz,Nahrungsmittel,Farbeetc.auseinan-derzusetzenundstetsaufdemaktuellenStandzusein,kannbloßinwenigenFälleneinewirklichbefriedigendeEntschei-dungtreffen.MeistsindnurAnnäherungenmöglich,unddiesbeiWeitemnichtbeiallenvonunskonsumiertenProduktenundDienstleistungen.InstitutionenwiedieFWFsindkeinEr-satzfürflächendeckendestaatlicheKontrollenzurEinhaltungvonArbeits-oderUmweltstandards.ErnsthafteLabelsundSie-gelbietenaberReferenzpunkte,umstaatliche,allgemeingülti-geRegulierungenzufordern.
3
deR maRKt FÜR «nachhaltIge» PRoduKte Wächst
«die ganze Welt im bio-boom» 3sat12
Was wird behauptet?DerMarktfür«nachhaltige»Produktewirdimmergrößer.DieLeutewollen«öko»und«fair»kaufen–dasAngebotnimmtent-sprechendzu.GehtdieseEntwicklungweiter,soistesnureineFragederZeit,bisdiegesamteProduktpalettenachhaltigist.
Was ist dran?Esstimmt,dieZahljenerMenschen,dieangeben,gelegentlichoderhäufig«ethischkorrekte»Produktezukaufen,istindenletztenJahrengestiegen.LauteinerStudiederOttoGrouper-warbenimJahr2011bereits84ProzentderBefragtenmindes-tensgelegentlich«ethischkorrekte»Produkte,2013warenesschon89Prozent.KauftenimJahr2009nur26Prozentnach
12 www.3sat.de/page/?source=/boerse/magazin/175623/index.html.
11
eigenenAngabenhäufigProdukte,die«ethischkorrekt»herge-stelltwurden,sowarenesimJahr2011bereits41ProzentundimJahr2013sogar56Prozent.13ZwarkommenandereStudi-ennichtzuganzsoeuphorischenErgebnissen,dochauchEnt-wicklungeneinzelnerSpartenwiederVerkaufvonProduktenmitdemFairtrade-Siegellassendaraufschließen,dassderSatzstimmt:DerMarktfür«nachhaltigeProdukte»wächst.
GleichwohlgibtesEinwände:Erstensdürfendiebeeindrucken-denZahlenzumWachstumdesfairenHandelsunddemInte-ressederVerbraucherInnennichtdarüberhinwegtäuschen,dassessichweiterhinnurumeineNischehandelt.GemessenamgesamtenUmsatzvolumendesdeutschenEinzelhandelslagderAnteildesFairTradeimJahr2011beinur0,1Prozent,beiBio-Produktenwarenes4Prozent.14
Zweitensfinden«nachhaltige»ProduktezwarmehrKäuferIn-nen,dochwirdunter«Nachhaltigkeit»sehrUnterschiedlichesverstanden.DasBundesministeriumfürwirtschaftlicheZu-sammenarbeit(BMZ)hatNachhaltigkeitganzobenaufseineAgendagesetzt.EsführtUnternehmenundNichtregierungs-organisationenzusammen,damitdiesefürbestimmteProduk-teNachhaltigkeitsstandardssetzen.SozumBeispielfürdeninzahlreichenErzeugnissenverwendetenRohstoffPalmöl.DasForumNachhaltigesPalmöl(FONAP)arbeitetmitfinanziellerundpersonellerUnterstützungderDeutschenGesellschaftfürinternationaleZusammenarbeit(GIZ),Rewe,HenkeloderUni-lever,beteiligtistaberauchdieNaturschutzorganisationWorldWildlifeFund(WWF).DasForumsetztsichoffiziellzumZiel,«möglichstschnell100%[…]zertifiziertesPalmölundPalm-kernöl»fürdendeutschen,österreichischenundSchweizerMarktverfügbarzumachen.DabeiverweistFONAPauf«an-spruchsvolleZertifizierungssysteme»wiedasdesRoundtableonSustainablePalmOil(RSPO).ZwarmerktdasForumVerbes-serungsbedarfandiesemSysteman,erwecktaberdenEin-druck,alsermöglichtendievonihmunterstütztenZertifizierun-gentatsächlichdenBezugvon«nachhaltigem»Palmöl.AndereOrganisationenweisenallerdingsdaraufhin,dassderRSPO
13 Lebensqualität.OttoGroupTrendstudie2013,S.13. 14 Vgl.BerlinerZeitung,21.12.2011.
12
mitnichtenNaturzerstörungundschwereMenschenrechts-verletzungenverhindert.15Eskannnunalsogutsein,dassderAbsatzvon«nachhaltigemPalmöl»imSinnederindustriellenFinanziersdesRundenTischeszunimmt,dennwiedieobengenanntenStudienzeigen,istdieBereitschaftvorhanden,ent-sprechenddeklarierteProduktezukaufen.Diesbedeutetje-dochnicht,dassdamitauchMenschenrechtegewahrtundNaturzerstörungverhindertwerden.«IchhabeinIndonesienversucht,dieses‹nachhaltige›Palmölzufinden.GefundenhabeichnurunvorstellbareZerstörungundfurchtbaresLeid»,soKa-thrinHartmann,AutorindesBuches«AuskontrolliertemRaub-bau».16
DassdieNaturschutzorganisationWWFimFONAPmitarbeitet,machtdieProdukteleidernicht«nachhaltig».DerWWFmagdaraufhoffen,Zertifizierungssystemevoninnenzureformie-ren–vermutlichstammendieselbstkritischenAnmerkungendesFONAPvonihm–,machtsichaberunterdengegebenenVoraussetzungenzumprofitbringendenWerbeträgerfürEinzel-handels-undLebensmittelriesen.
Esstimmtalso:DerMarktfürals«ethischkorrekt»bezeichneteProduktewächst.VieleMenschenwollengern«Gutestun».Dasisterfreulich.DieFrageistnur,wasgenaujeweils«ethischkorrekt»oder«nachhaltig»bedeutet?FürjeneProduktemittat-sächlichhohenStandards,wiees«elpuente»,«GEPA»,«Deme-ter»oder«Bioland»inihremjeweilsspezifischenBereichsind,giltleiderbisaufWeiteres:IhreProduktebefindensichineinerNischeundwerdendortsolangebleiben,bisesnichtmehrumZertifizierungenundLabelsgeht,sondernstrenge,allgemeinverbindlicheRegelnundGesetzeerlassenundumgesetztwer-den(sieheBehauptung4).
15 Vgl.z.B.Greenpeace:LizenzzumTöten.DieRegenwaldzerstörungderPalmölindustrietreibtdenSu-matra-TigerandenRanddesAussterbens,Amsterdam2013,unter:www.greenpeace.de/sites/www.green-peace.de/files/publications/report_lizenz_zum_toeten.pdf;ILRF:EmptyAssurances.Threecasestudiesrevealserioushumanrightsabusesatindustrycertifiedpalmoilplantations,includinglabortraffickingandchildlabor,2013,unter:www.laborrights.org/sites/default/files/publications-and-resources/Empty%20Assurances.pdf. 16 DieLügevonderGreenEconomy.InterviewmitKathrinHartmann,29.10.2015,unter:www.nachdenkseiten.de/?p=28143.
13
Das�Fairphone
SeitEnde2013istdassogenannteFairphoneaufdemMarkt,produziertvoneinemniederländischenUnterneh-men.AuchwennsichdieInitiativesehrbemüht,ein«fai-res»Produktzuverkaufen,sokannesfürdieinzwischenzweiteLieferungnurbeivierderungefähr30imSmart-phoneverwendetenMetallenachweisen,dasssie«kon-fliktfrei»abgebautwurden–alsonichtderBürgerkriegs-finanzierungdienten.Konfliktfreibedeutetallerdingsnochnicht,dassauchdieimRohstoffabbauweitver-breitetenMenschenrechtsverletzungensowieUmwelt-verschmutzungausgeschlossensind.HinsichtlichderRechtederFabrikarbeiterInnen,diedasFairphonebau-en,istauchnochvielessehrverbesserungsbedürftig.LobenswertistdasFairphoneaberaufjedenFallalsVer-such,Elektroschrottzuvermeiden.Soistesmöglich,indemFairphoneverschiedeneKomponentenzuersetzen,undesistexplizitzureparieren.AlleinschonwegendesletztenAspektsistessicherbesser,einFairphonealseinherkömmlichesSmartphonezukaufen.Abermansoll-tenichtdenken,nuneinwirklich«faires»ProduktindenHändenzuhalten.17
17 Vgl.www.fairphone.com/de/undkritischz.B.www.social-startups.de/fairphone/.
14
4
gRossunteRnehmen mÜssen schon aus WettbeWeRbsgRÜnden nachhaltIg PRoduZIeRen
«die großen marken können es sich gar nicht mehr leisten, nicht nachhaltig zu produzieren.» Carsten Schmitz-Hoffmann, GIZ18
Was wird behauptet?DieKundInnenverlangeneinwandfreieWaren.DiesemBedürf-nismüssensichdieUnternehmenbeugen.InsbesonderegroßeKonzernemüssennachhaltigproduzieren,sonstwirdihrImagebeschädigtundihreGewinnebrechenweg.
Was ist dran?Esstimmt,dassesfürUnternehmensehrschädlichseinkann,wennvonihnenzuverantwortendeVerstößegegenUmwelt-oderMenschenrechteaufgedecktwerden.MeistgeschiehtdiesimRahmenvonzivilgesellschaftlichenKampagnenge-genbestimmteUnternehmen.SohatdieKampagnegegenShellEndeder1990erJahredazugeführt,dasskeineÖlplatt-formenmehrimOstatlantikundinderNordseeversenktwer-dendürfen.AuchhatdieKampagnefüreinAbkommenzumBrand-undGebäudeschutzimJahr2013dazubeigetragen,dassbeidenTextilfabrikeninBangladeschdieEinsturzgefahrverringertundderBrandschutzetwaserhöhtwurde.AllerdingsgibtesmindestensvierschwerwiegendeEinwändegegendieBehauptung,Unternehmenkönntengarnichtanders,alsnach-haltigzuhandeln.
Erstens:FürUnternehmenistdie«nachhaltige»ProduktionmittlerweileeinWerbeargument.Dasversuchensiezunutzen,wobeisichdieVerbraucherInnenniedaraufverlassenkönnen,obdieInformationenzurProduktionstimmenoderobessichnurumkleinereVeränderungendesProduktionsablaufshan-delt,dieletztlichgarnichtsbewirken,dasUnternehmenaber
18 Zit.nach:Hannen,Petra:DerschlafendeRieseisterwacht,in:Akzente4/2013,S.14.
15
gutdastehenlassen.Zudemziehtdasblaming–alsodasAn-prangerneinesUnternehmens–immerauchnamingnachsich.WenndasUnternehmendemöffentlichenDrucknachgibtundzumBeispielernsthaftversucht,dieArbeitsbedingungeninei-nerseinerZuliefererfabrikenzuverändern,kommteineKampa-gnenorganisationkaumdrumherum,wenigstenseinpaarposi-tiveWortezurVerhaltensänderungfallenzulassen.DiemeistenUnternehmennutzenihrEingehenaufdieForderungendannalsEigenwerbung.JegrößerdieKonzernesind,destomehrKa-pazitätenhabensiedafür.SohatesbeispielsweisederMode-riesePrimarkgeschafft,seineMitverantwortungbeimEinsturzeinerTextilfabrikinBangladeschsozunutzen,dassdievonihmgeleistetenHilfszahlungenzurWerbemaßnahmewurden.Ob-wohlPrimarkdengrausamenTodvonüber1.000NäherInnenmitzuverantwortenhatte,konntesichdasUnternehmenalsWohltäterdarstellen–einDesasterwurdezurQuellevonPro-fit.19
Zweitens:Boykott-undUnternehmenskampagnenhabenei-neneueBerufsgruppegeschaffen:dieCSR-Verantwortlichen.CSR stehtfürCorporateSocialResponsibility(SozialeUnter-nehmensverantwortung).AlsReaktionaufdieKampagnege-gendieVersenkungderÖlplattformBrentSparinderNord-seeveröffentlichtederÖlmultiShellalsersterWeltkonzernimJahr1998einenCSR-Report.20AndenMenschenrechtsverlet-zungenundUmweltverschmutzungendurchdieÖlförderungvonShellinNigeriaundanderswohateinsolcherBerichtje-dochnichtsgeändert.DassinHeizungen,AutosundFlugzeu-genverfeuertesErdölnachwievorderKlimakillerNummereinsist,kannaucheinCSR-Berichtnurmühsamschönreden–Shellmüsstesichselbstabschaffen.
AlleindieBezeichnungCSRisteinProblem.Siesuggeriert,dassUnternehmensoetwaswieeinsozialesGewissenha-benundaussichherausgesellschaftlichverantwortlichhan-delnwürden.SobehauptetetwaSiemensaufseinerWebseite:«GesellschaftlicherundgeschäftlicherVerantwortunggerecht
19 Vgl.PrimarkkommtseinenVerpflictungenbeiderlangfristigenEntschädigungderRanaPlaza-Opfernach,17.3.2014,unter:www.primark-bangladesh.com/de/;vgl.auchwww.primark.com/de/our-ethics/news/rana-plaza. 20 Vgl.Dohmen:OttoMoralverbraucher,S.57.
16
zuwerden,heißtfürSiemens:WirschützendieUmwelt,diemenschlicheGesundheitundschonendienatürlichenRessour-cen.»21Unternehmenlassensichaber–CSRhinoderher–beiihremHandelninderRegelnichtvonethischenÜberlegungenleiten,sondernsiehandelnprofitorientiertundnutzendafürihreCSR-Abteilungen.«CSRistfürunseinKatalysatorfürWachs-tumundInnovation»,sagtderChefvonNike.22
Drittens:DieVerbraucherInnenundihreOrganisationenhabenmeistnichtgenügendRessourcen,umUnternehmenanzu-prangern.KommenUmwelt-undArbeitsrechtsverletzungenandieÖffentlichkeit–wasseltengenuggeschieht–,dannmüs-senauchdieKapazitätenvorhandensein,Kampagnen,mitde-nenDruckaufgebautwird,erfolgreichzuEndezuführen.DievonvielenalswichtigeKontrollinstanzgelobteZivilgesellschaftistaberangesichtsknapperfinanziellerundpersonellerRes-sourcenundteilweiseauchpolitischerAbhängigkeitennurbe-schränktdazuinderLage.ZudemmussdieMissachtungvonArbeits-undUmweltstandardsauchöffentlichskandalisierbarsein,dasheißt,dasProblemmussineinePressemitteilungpas-sen,esmussschnellerklärbarsein–Komplexitätisthinderlich.
Viertens:ÖkonomischeBeziehungensindnichtnuraufeinPro-duktzureduzieren.SomageinegroßeMarkewieStarbucksauchEspressoverkaufen,derdasFairtrade-Logoträgt.DasUn-ternehmenistabergleichzeitigdafürberüchtigt,jedenTrickzunutzen,ummöglichstkeineSteuernzuzahlen.23ImSchulter-schlussmitanderengroßenUnternehmenwurdenalleHebeldesLobbyismusinBewegunggesetzt,umdielegalenSteuer-schlupflöcheroffenzuhaltenundstrengereKontrollenderFi-nanzämterzuverhindern.DieentgangenenSteuereinnahmenfehlendannfürzentraleöffentlicheDienstleistungenwieBil-dungoderGesundheit.Dieweltweite,täglichzunehmendeUn-gleichheit–auchhervorgerufendurchskandalösePraktikenderUnternehmensbesteuerung–wirddurch«ethischenKonsum»nichtbeendet.
21 NachhaltigkeitbeiSiemens.InterneRichtlinien,unter:www.siemens.com/about/sustainability/de/nachhaltigkeit-bei-siemens/interne-richtlinien.php. 22 Vgl.FaireGeschäfte:DiewirtschaftlicheMachtdesGuten,in:Wirtschaftswoche38/2007,S.64. 23 Vgl.z.B.Schröder,Thorsten:StarbucksunddieSteu-er-Clique,in:DieZeit,2.1.2015,unter:www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2014-12/steuern-starbucks-google-amazon.
17
AndersalsvomeingangszitiertenGIZ-Vertreterpostuliert,kön-nenessichUnternehmen,insbesonderedie«großenMarken»,alsoweiterhingetrostleisten,nichtnachhaltigzuproduzieren.HierunddaeinpaarwerbewirksameAktivitäten,eineProdukt-linie,die«nachhaltiger»istalsdieanderen,reichtmeistschonvölligaus,umwiedermehrGewinnzumachenundsicheinge-nerell«nachhaltiges»Imagezugeben.DiegenannteBehaup-tunglenktzudemvomBedarfallgemeinverbindlicher,gesetz-licherRegulierungenunddamitauchKontrollenab.Diesesinddringendnötig,dennwiesonstsollendieverzweigtenProduk-tionsnetzekontrolliertwerden,wennnichteinklagbareRegelnangewendetwerden?«DerKundeübernimmtdieRollenationa-lerPolitik»24–dasbleibteinTraum.
5
ethIK lohnt sIch
«das geschäft mit der gerechtigkeit»Tagesspiegel25
Was wird behauptet?UnternehmenwerdennichtnurvonaußenzunachhaltigerProduktiongezwungen,siehabendaranaucheineigenes,wirtschaftlichesInteresse.Sie«entdeckeneinengigantischenWachstumsmarkt:ImmermehrKundInnenverlangenethischeinwandfreieProdukte.SiewollenmitgutemGewissengenie-ßenundfordernfaireGeschäfte.MoralimBusinesszahltsichjetztaus.[…]DerTrendgehtzumGuten.[…]SozialeVerantwor-tungrücktnuninsZentrumunternehmerischenHandelns.»26
Was ist dran?EshandeltsichhierumeineganzähnlicheArgumentationwiebeidervorigenBehauptung,dassdieUnternehmenschonausreinwirtschaftlichenGründennachhaltigproduzierenwürden.Allerdingswirdhiersogarbehauptet:DasStrebennachProfit
24 FaireGeschäfte,S.60. 25 Schulze,Katrin:DerfaireHandelboomt,in:DerTagesspiegel,3.12.2011,unter:www.tagesspiegel.de/wirtschaft/das-geschaeft-mit-der-gerechtigkeit-der-faire-handel-boomt/5918078.html. 26 FaireGeschäfte,S.57f.
18
und«faireGeschäfte»seiengarkeinGegensatz,sondernbilde-teneinharmonischesGanzes,bedingtensich.NichtdieFurchtvorStrafe,sonderndieAussichtaufguteGeschäftebringedieKonzernedazu,ihreArbeitnehmerInnenfairzubezahlen,dieUmweltzuschonenundguteProdukteanzubieten.
AuchhiergeltendieschonobengenanntenEinwände:Unter-nehmenwollen,dassdieKundschaftdavonüberzeugtist,dasssieinihremHandelneiner«Moral»folgen.UmdiesenEindruckzuerwecken,lassensiesichallerleiTrickseinfallen.AuchdieAussichtaufGewinndurch«ethische»ProdukteändertnichtsanderTatsache,dassesdenUnternehmenumGewinngehtunddie«ethische»Produktion–oderihrAnschein–dafürledig-licheinMittelist.
Letztlichstecktin«Ethiklohntsich»dieBehauptung,staatlicheKontrolleseiüberflüssig,derMarktregledasselbst.EsistdieneoliberaleTheorievomperfektenMarkt–beiderallerdingsdieperfektinformiertenKonsumentInneninEchtzeitalleneu-enInformationenverarbeiten.DashatmitderRealitätsowiesonichtszutun.
6
Was WIR nIcht KauFen, WIRd nIcht PRoduZIeRt
«die macht der Konsumenten kann die Welt verändern.»Die Welt27
Was wird behauptet?WasUnternehmenproduzieren,hängtvondenWünschenderKundschaftab.WasdieKundInnennichtwollen,könnenUnter-nehmennichtamMarktabsetzen.Undwennsienichtsverkau-fen,gehensiepleite.DahermüssensieihreProduktionaufdieBefriedigungderKäuferwünscheausrichten.DasgibtdenVer-
27 Leubecher:DieMachtderKonsumenten.
19
braucherInnenMachtüberdieProduktionderUnternehmen–dieFirmenmüssendarumkonkurrieren,denKonsumentInnendasBestmöglicheanzubieten.«UnverantwortlicheKonzernewerdengleichsamabgewählt.»28
Was ist dran?Esistunbestreitbar:DieUnternehmenmüssenihreProdukteandieKundInnenverkaufenunddieKundInnenmüssendiePro-duktewollen.InihrerKaufentscheidungsindsiefrei.WasdenKundInnennichtgefällt,erwerbensienicht,dasUnternehmengehtunteroderfolgtdemKundenbedürfnismitneuenProduk-ten.Soweit,sogut.AberdamitistdasVerhältnisvonProduzentundKonsumentnichthinlänglichbegriffen.Schonimgenann-tenModellistklar:DieBefriedigungdermenschlichenBedürf-nisseistnichtdasZielkapitalistischerUnternehmen,ansons-tenmüsstensienichtperMarktmechanismusdazugezwungenwerden,aufKundenwünscheeinzugehen.
FürUnternehmenistnichtdasmenschlicheBedürfnisansichwichtig,sonderndaszahlungsfähigeBedürfnis.WervielHun-ger,aberkeinGeldhat,derkommtnichtanNahrungsmittel.DieBefriedigungderKonsumentenwünscheistfürdieUnterneh-mennichtdasfinaleZiel,sondernnurdasMittel,umandasGeldderKundInnenzukommen.WäreesdasZielderUnter-nehmen,dieKonsumentInnenzufriedenzustellen,würdedasErzeugenimmerneuerKundenbedürfnissedurchWerbungundneueProdukteebensowenigSinnmachenwiedieHer-stellungvonProduktenmitkünstlichbegrenzterLebensdauer.29
DieUnternehmenkoordinierendiemittlerweileglobalenPro-duktionsketten,sieorganisierendieZulieferer,siebestimmenüberdieZusammensetzungderWaren,ihreInhaltsstoffeundQualität.Erstwennallesfertigist,wennalleBestandteileverar-beitetundkombiniertsind,wennalleLieferanten,RohstoffeundArbeiterInnenbezahltundalleSchadstoffeausgestoßensind,dannstehtganzamEndedasfertigeProduktimRegal–unddieVerbraucherInnenhabendieWahl,diebloßeinJaodereinNeinkennt.ObdieVerpackungdanntatsächlichauchrecycledwird,
28 FaireGeschäfte,S.60. 29 «EinArtikel,dersichnichtabnutzt,isteineTragödiefürsGeschäft»,Werbe-zeitschriftvon1928,zit.nach:www.arte.tv/de/kaufen-fuer-die-muellhalde/3714422,CmC=3714270.html.
20
istletztlichebenfallsnochungewiss.Kurzgesagt:Ausgangs-punktderRedevonder«MachtderKonsumentInnen»istihrerealeOhnmachtalsProduzentInnen,alsoalsArbeitnehmerIn-nen.AlssolchestehensievollständigimDienstdesUnterneh-menszielsRentabilität.Wie,welcheundwozuWarenproduziertwerden,daraufhabensiekaumEinfluss.
7
schuld Ist dIe unteRschIcht – dIe checKt es eInFach nIcht
«nicht armut ist das hauptproblem der unterschicht, sondern der massenhafte Konsum von Fast Food und tv.» Paul Nolte30
Was wird behauptet?«DieUnterschicht»–alsoMenschenmitgeringemEinkommen,dieamwenigstengesellschaftlicheTeilhabeundpolitischenEinflusshaben–kauftvielzuvielein,unddasauchnochganzbesondersunachtsam:Billigstklamotten,stinkendesPlastik-spielzeug,vielzuvielFleisch,Fastfood,Chips,Marshmallows,Gameboys–allesmöglichstbillig.DadurchträgtsiedieHaupt-schuldanUmweltzerstörungundMenschenrechtsverletzungenbeiderProduktionvonGüternundDienstleistungen.Würdedie«Unterschicht»ihrVerhaltenändern,wäresehrvielfürÖkologieundArbeitsrechtegewonnen.Abersiekapierteseinfachnicht.
Was ist dran?WiederistdieArgumentationimerstenTeildesAbsatzesnichtfalsch.SowiediemeistenaufdemPlanetenlebendenMenschen,soversuchenauchjenemitwenigEinkommenundkurzemBil-dungswegmöglichstvielausdemzumachen,wassiezurVerfü-gunghaben.JegeringerdasEinkommen,umsowichtigerwirdderPreisbeiderKaufentscheidung.«EthischenKonsum»mussmansichleistenkönnen:EinegrobeBerechnungdesStatisti-
30 PaulNolte:DasgroßeFressen,in:DieZeit,17.12.2003,unter:www.zeit.de/2003/52/Essay_Nolte.
21
schenBundesamtsAnfang2015zeigte:ÖkologischeKonsum-gütersindum83Prozentteureralskonventionellhergestellte.31
Esgehtaberauchdarum,dassKonsumdasGefühlvongesell-schaftlicherTeilhabevermittelnkann.MitKlamottenausdemSecondhandshopoderdemKinderradvomUmsonstladenistmannämlichschnellnochstärkerausgeschlossen.«DenKin-dernwasbietenkönnen»bedeutetebenoft,ihnenetwaszukaufen.DerBurgerbeiMcDonaldsstehtbeiihnenhöherimKursalsdieButterstulleaufderParkbank.DiesesStatusdenkenkannmankritisieren,esistaberkeineEigenheitärmererMen-schen.ZudemkannErfolginderSchnäppchenjagdmanchemauchdarüberhinweghelfen,sonstsooft–undobjektiv–imLe-benbenachteiligtwordenzusein.
KompensatorischerKonsumistabernichtaufdie«Unter-schicht»beschränkt,sonderneinallgemeinesPhänomen.ErverweistaufallgemeinegesellschaftlicheProblemewieHetze,Unsicherheit,Stress,derenUrsachemeistimArbeitslebenzufindenundauchdortzubekämpfenist.«WoechtepolitischeBeteiligunganderGestaltungvonÖkonomieundGesellschaftversagtbleibt,gibtprivaterKonsumeinStückKontrolleüberpersönlicheEntscheidungenundPräferenzenzurück.»32
Überdie«konsumgeilenUnterschichten»zuschimpfenlenktvonmehrerenDingengleichzeitigab:ÄrmereMenschenkau-feneher«schmutzige»Produkte,MenschenmithöherenEin-kommenaberhabeneinengrößerenökologischenFußabdruck,alsoeinenhöherenRessourcen-undEnergieverbrauch.Dasgiltauchfürökologisch«bewusst»handelndeMittelschichten:«DieüberdurchschnittlicheNeigungzumökologischenKonsumindengehobenensozialenMilieusbedeutet[…]keineswegs,dassdieVerhaltensweisenundKonsummusterdieserMilieusimAlltaginsgesamttatsächlichumweltschonendersind.»33Denn
31 Haubach,Christan/Held,Benjamin:IstökologischerKonsumteurer?,in:WISTA1/2015,unter:www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/2015/01/OekologischerKonsum_012015.pdf?__blob=publicationFile. 32 Steckner,Anne/Candeias,Mario:Geizistgarnichtgeil.ÜberKonsumweisen,KlassenundKritik,Standpunkte11/2014,hrsg.vonderRosa-Luxemburg-Stiftung,Berlin2014,S.3. 33 SodasSinus-InstitutineinerStudieüberLebensstile,zit.nach:Blättel-Mink,Birgit:KonsumundNachhaltig-keit–einWiderspruch?WiesoziokulturelleMilieusLebensstilundKonsumverhaltenbestimmen,Frankfurt2010,unter:www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/36050723/06Bl__ttel-Mink.pdf?.
22
achtendieseökologischdenkendenundgutverdienendenMenschenauchaufMülltrennungundregionaleoderökologi-scheProdukte,sowohnensiedochingrößerenWohnungen,machenhäufigerFernreisenundfahrengrößereAutosalsdiesogenannteUnterschicht.34
Wervon«Unterschicht»spricht,darfvonderOberschichtnichtschweigen.FürDeutschlandwirdgeschätzt,dassdiereichstenzehnProzentderBevölkerung63bis74ProzentdesGesamt-vermögensbesitzen.35Globalgesehengehörtdemreichstenei-nenProzentderBevölkerungmittlerweilemehralsdieHälftedesweltweitenVermögens.IhrReichtumnimmttäglichrasantzu.ZumeinenistderökologischeFußabdruckdieserReichengroß,zumanderenhabensiemehrGeld,alssiekonsumierenkönnen.Deswegeninvestierensie–mehrnochalsdiebes-serverdienendenMittelschichten–insozerstörerischeDingewieInvestmentfondsundImmobilienblasen,siekaufenLandundvormalsöffentlicheDienstleistungenoderspekulierenaufNahrungsmittel.IhnengehörenzumeistdieFabrikenundKon-zerne,dieArbeitnehmerInnenundUmweltalsauszubeutendeRessourcenutzen.Sieachtendarauf,dasssichihrReichtumvermehrt.DafürwerdenniedrigeLöhne,langeArbeitszeitenundgeringeArbeitssicherheitinKaufgenommen.Fallsstren-geUmwelt-,Arbeitsschutz-oderVerbrauchergesetzedasfürihrenGewinnessenzielleWachstumgefährden,wirdentspre-chendpolitischerDruckausgeübt,dieseGesetzeabzuschwä-chen.InternationaleInvestitionsabkommengarantierendabeidienötigeRechtssicherheit.SowurdenaufBasisvonInvesti-tionsabkommenbereitsmehrfachRegierungenvonKonzernenverklagtundverurteilt,weildievonihnenerlassenenGesetzedieEigentumsrechtederInvestorenverletzenwürden.36
WozudientalsoderabwertendeBlickaufdiesogenanntenUn-terschichten?Umsichzudistanzieren.Lebensstilisteinwich-tigesMomentdereigenensozialenAufwertung.Diegutaus-gebildetenMittelschichtenkönnensichabhebenvondenen
34 Ebd. 35 Freiberger,Harald:Sehrvielreicheralsgedacht,in:SüddeustcheZeitung,11.2.2015,unter:www.sueddeutsche.de/wirtschaft/statistik-ueber-vermoegen-sehr-viel-reicher-als-gedacht-1.2345008. 36 EineSammlungvonBeispielensolcherUrteilefindetsichin:FriendsoftheEarth:ThehiddencostofEUtradedeals.Investor-StateDisputeSettlmentCasestakenagainstEUMemberStates,2014,unter:www.foeeurope.org/hidden-cost-eu-trade-deals.
23
24
«daunten».Manselbsthat’sverstandenundbekommtsozialeAnerkennungfür«ethischenKonsum»,obwohlmaneigentlichselbstweiß,dassmansomanchemWerbetrickerliegtunddieeigenepolitischeVerantwortung«direktandieMarketingabtei-lungen»37delegiert.
8
WIR mÜssen WenIgeR KonsumIeRen
«Wir müssen verzichten lernen.»Prof. Armin Reller38
Was wird behauptet?Obarmoderreich:Wiralleverbrauchenzuviel.DerDrangderMenschennachimmermehrführtzuuntragbarenBelas-tungenderUmwelt.DieWelt«verliertihreBalance,unddaransindwirMenschenschuld»,sagtderbritischeThronfolgerPrinzCharles.39Dasgehtnichtmehrsoweiter.«DiegroßeSauseistvorüber,dieBargeschlossen»,schreibtMeinhardMiegel.40Wirmüssenunsallebeschränken.
Was ist dran?UnzweifelhaftnimmtderRessourcenverbrauchderMenschheitzu.DergrößteTeildesVerbrauchsgehtdabeiaufdasKontoderMenschenimglobalenNorden,alsoinNordamerika,Westeuro-paundJapan.AberauchLänderwieChinaholenrasantauf.DerVerbrauchderMenschheitinsgesamtführtüberkurzoderlangindieKatastrophe.SoweitderzutreffendeBefund,gegendenabereingrundsätzlicherEinwanderhobenwerdenkann:
Weristgemeintmit«wir»?DieKritikanderallgemeinen«Kon-sumgeilheit»lässtalleUnterschiedeverschwinden–obVor-
37 Hartmann,Kathrin:EndederMärchenstunde.WiedieIndustriedieLohasunddieLifestyle-Ökosver-einnahmt,München2009,S.20. 38 Hungbaur,Daniela:Ressourcenexperte:«Wirmüssenverzichtenlernen».InterviewmitArminReller,in:AugsburgerAllgemeine,21.12.2011,unter:www.augsburger-all-gemeine.de/wirtschaft/Ressourcenexperte-Wir-muessen-verzichten-lernen-id18101636.html. 39 Zit.nach:Neubacher,Alexander:Hilfe,dieLohaskommen,SpiegelOnline,14.3.2012,unter:www.spiegel.de/politik/deutschland/oeko-fimmel-schadet-der-umwelt-a-820853.html. 40 Miegel,Meinhard:Exit.WohlstandohneWachstum,Berlin2010,S.165.
25
standsvorsitzenderoderObdachloser,obThronfolgeroderMaurer,obFinanzinvestoroderKrankenschwester,dasspieltalleskeineRollemehrbeidemBefund:«DieMenschheit»oder«derMensch»istzugefräßig.
DiesesWirtilgtallerelevantenUnterschiedezwischendenMenschen,denGeschlechtern,denNationalitätenunddenKlassen,zwischendenHerrschendenunddenBeherrschten,zwischendenProfiteurInnenunddenBenachteiligten.DaherverhallenAppellean«dieMenschheit»stetsfolgenlos.NichtnurdieProduktion,auchder«KonsumisteineKlassenfrage».41
DerKapitalismusbrauchtdasewigeWachstum.DaserkenntmananalltäglichenKlagendarüber,dassdasBruttoinlandspro-duktdiesesJahr«nur»umXProzentzunehmenwird,dassUnter-nehmenYseinenUmsatz«nur»umsoundsovielEurosteigernkonnte,undanErfolgsmeldungenwieder,dass«derprivateKon-sumdiesesJahrdasWachstumträgt».Andersgesagt:WürdendieKonsumentInnendemRufnachVerzichttatsächlichfolgen,brächedieWirtschaftzusammen.DenndieAusgabenderMen-schensinddieEinnahmenderUnternehmen–unddiemüssensteigen,ganzunabhängigvondenBedürfnissenderIndividuen.
9
deR KauF neuesteR technIK hIlFt deR umWelt
«beim einkauf das Klima retten»n-tv42
Was wird behauptet?TechnischeInnovationensinddieLösung,umdenRessourcen-verbrauchzuminimieren.EsgibtmehrundmehrGeräte,dievorallemimEnergieverbrauchsparsamersind.WennalleMen-schennurnochdieseGerätekaufen,tragensiezumSchutzderUmweltundvorallemdesKlimasbei.
41 Steckner/Candeias:Geizistgarnichtgeil,S.1. 42 Buhse,Malte:BeimEinkaufdasKlimaretten,n-tv,22.10.2007,unter:www.n-tv.de/wissen/Beim-Einkauf-das-Klima-retten-article229830.html.
26
Was ist dran?DieseBehauptungistnichtganzfalsch:BeiKühlschränken,Au-tos,Glühbirnenetc.gibtesdieMöglichkeit,energiesparendereAlternativenzuwählen.Diesbedeutetleidernochnicht,dasstatsächlichauchinsgesamtwenigerEnergieverbrauchtwird.VieleGerätebenötigenwohlimVerhältniszuihrerLeistungwe-nigerStrom,dasieabergrößergewordensind,wirddieEin-sparungganzoderteilweisewiederaufgefressen.AußerdemachtenvieleMenschenzwarinzwischenbeimKaufvontech-nischenGerätenaufderenEnergieeffizienz,dadieGerätenunabereffizientersind,kannmansieauchmehrnutzen,seiesausökologischenoderfinanziellenErwägungen:DasDrei-Liter-Au-towirdmehrgefahren,dieEnergiesparlampenichtmehraus-geschaltet.EineandereReaktionkannsein,dassmanmitdemeingespartenGeldandereenergieintensiveLeistungenkauft(z.B.mehrfliegt)odersichmehrGeräteanschafft.Letztlichent-wickelnUnternehmeneffizientereProduktezudemZweck,ihrWachstumvoranzutreiben,mehrumzusetzenunddasbedeu-tetmeist:mehrProduktezuverkaufen.
AlldaserzeugteinenNebeneffektdertechnischenInnovation:densogenanntenRebound-Effekt(rebound=Rückschlag).DaseinzelneGerätverbrauchtwenigerRessourcen,gleich-zeitigwerdenimmermehrvonihnenhergestelltundverkauft,wasdenEinspareffektzunichtemacht.Jenachdem,wasindieBerechnungeinbezogenwird,gehenStudiendavonaus,dasszwischen10undmanchmalsogar100ProzentderimZugetechnischerInnovationeingespartenEnergiedurchRebound-Effektewiederzunichtegemachtwerden.43Rebound-Effektesindschwerzuberechnen.DennsiemüssennebenderisoliertkalkuliertenEinsparungdesjeweiligenGerätsauchverändertesVerhaltenvonUnternehmenundKonsumentInnenberücksichti-gensowieallgemeinzurKenntnisnehmen,wiesichgesteigerteEnergieeffizienzaufdasWirtschaftswachstumauswirkt.DenndieGeschichtedesKapitalismuszeigt,dasstechnischeEnergie-einsparungeninsgesamt zueinemgrößerenWachstumundda-mitzumehrundnichtzuwenigerEnergieverbrauchbeigetragenhaben.
43 Vgl.Satorius,Tilman:DerRebound-Effekt.ÜberdiedieunerwünschtenFolgendererwünschtenEner-gieeffizienz,unter:www.santarius.de/wp-content/uploads/2012/03/Der-Rebound-Effekt-2012.pdf.
27
AuchsagtdieEnergieeffizienz imVerbrauchnochnichtsüberdengesamtenRessourcenverbrauchinderHerstellungoderdieMöglichkeitenderEntsorgungaus.Sokanneshäu-figdurchausumweltschonendersein,einegebrauchte,dafürwenigerenergieeffizienteWaschmaschinezukaufenalseineneue,wesentlichenergieeffizientere.44
10
ausgleIchsZahlungen machen umWeltZeRstöRung WIedeR gut
«Kompensieren sie Ihre Flug-emissionen!» Lufthansa48
Was wird behauptet?MitAusgleichszahlungen,sogenanntenOffsets,könnenPri-vatpersonenoderUnternehmendievonihnenverursachteUm-weltzerstörung«ungeschehen»machen.FürdieprivatenVer-braucherInnenbietensichOffsetsbesondersdannan,wennsievielfliegen.DahersagtGeoffreyLipman,stellvertretenderGe-neralsekretärderWelttourismusorganisationderVereintenNa-tionen:«WennSiewirklichverantwortungsbewusstseinwol-len,kompensierenSiedieCO2-EmissionenIhrer[Flug-]ReiseperOffset-Zahlungen.»49
Was ist dran?Offsets,sokönntemanaufdenerstenBlickmeinen,ermög-licheneinen«ethischenKonsum»,obwohlgarnichtsethischistandemerworbenenProduktoderdererworbenenDienst-leistung.Offsetsbasierenaufderinden1990erJahrenindenglobalenKlimaverhandlungendiskutiertenIdee,dassUmwelt-belastungenwiederAusstoßvonKohlendioxidmitGeldausge-glichenwerdenkönnen.
44 Vgl.Devoldere,Tomu.a.:TheEco-EfficiencyofReuseCentresCriticallyExplored.TheWashingMachi-neCase.KatholiekeUniversiteitLeuven,DepartmentofMechanicalEngineering,2006,unter:www.repa-ratur-revolution.de/wp-content/uploads/Studie_ReUse_Waschmaschine-kritisch-untersucht.pdf. 45 ht-tp://lufthansa.myclimate.org/de/flight_calculators/new. 46 Zitiertunter:http://sustentabilidade.allianz.com.br/?1126/tourismus-und-klimaschutz-ein-widerspruch-interview-geoffrey-lipman.
28
DasklimarelevanteOffsetting–obnunalsAblassfürdaspriva-teFliegenoderfürdie«klimaneutrale»Paketlieferung–basiertaufderAuffassung,dassinIndustrieländernverursachteEmis-sionendurchInvestitioneninwenigerindustrialisiertenLän-dernausgeglichenwerdenkönnen.FürPrivatpersonenwerdeninsbesondereAusgleichszahlungenfürFlugreisenangeboten.FlugreisendekönnenanOrganisationenspenden,diedanndasGeldin«Klimaschutzprojekte»wieWasserkraftwerkeoderBiogasanlageninAsien,AfrikaoderLateinamerikainvestieren.Damitwürdesich,sodieIdee,dasausgestoßeneKohlendioxidwiederneutralisieren.Mansolleallerdingsdaraufachten,dassdiedasGeldempfangendeOrganisationdasQualitätssiegel«GoldStandard»hat.47
Nunmagder«GoldStandard»alshöchsterQualitätsstandardbeiKompensationsprojekten48mehrUmwelt-undSozialstan-dardsberücksichtigenalsandereSiegel,erändertabernichtsdaran,dassdasgesamteSystemklimapolitischerAusgleichs-zahlungeninzweierleiHinsichtproblematischist:ErstenssindsieeineungewisseWetteaufdieZukunft,zweitensschaffensiegrundsätzlichfalscheökonomischeAnreizstrukturen.
ZumerstenEinwand:FüreinOffsetting-Projektmussnachge-wiesenwerden,dassdiesesProjekttatsächlichzusätzlich–alsonurwegenderOffset-Gelder–gebautwerdenkonnteundohnediesesProjektmehrKohlenstoffdioxidinderLuftwäre.Dadie-ser«Nachweis»reinhypothetischist(ervergleichteinenrealenZustandmiteinernichteingetretenenSituation),isternichtzubelegenundhöchstanfälligfürManipulationen.
ZumzweitenEinwand:Selbstwennessichumein«zusätzli-ches»Projekthandelnsollte,istesimbestenFalleinNullsum-menspiel–sokannzwartheoretischdurchdieOffset-Maß-nahmeglobalgesehendasausgestoßeneKohlendioxidnichtzugenommenhaben.Esgababerauchkeinedringendbenö-tigteVerringerungdesAusstoßes.DennindenIndustrieländernschafftdasOffsettingfürUnternehmenwiePrivatpersonendenAnreiz,möglichstwenigzuändern–mankannjaanderswoso-
47 Vgl.www.planet-wissen.de/natur_technik/naturschutz/globaler_wandel/der_oekologische_fussab-druck.jsp. 48 Vgl.http://klimaohnegrenzen.de/kompensieren/gold-standard.
29
genannteVerschmutzungsrechte(sieheKasten)wiedereinspa-renundsodasindividuelleGewissenberuhigen.Daranändertauchein«GoldStandard»nichts.
IndenLändernAsiens,LateinamerikasoderAfrikas,indenendieentsprechendenAnlagengebautwerden,kannkapital-intensivesOffsettingzudemdenabsurdenEffekthaben,dassesnotwendigeGesetzezumKlimaschutzverhindert. Wieso?Weilklimaschützende,allgemeinverbindlicheVorschriftenindiesenLänderndenOffset-InvestitionendasWasserabgrabenwürden.BeibesserenklimarelevantenGesetzenwäredasOff-set-ProjektkeinezusätzlicheCO2-vermeidendeInvestition,son-dernschlichtgesetzeskonformunddamitnichtmehralsOffset-Projektanerkannt.
DassdieKlimarettungdurchAusgleichszahlungeninjeneLän-derausgelagertwerdensoll,dieamwenigstenfürdenKlima-wandelverantwortlichsind–nämlichdieMehrzahlderLänderdessogenanntenglobalenSüdens–,mutetvordiesemHinter-grundvollendsabsurdan.
UndnocheinweitererEinwand,insbesonderegegenprivateAusgleichszahlungenfürsFliegen:KlimaschädlichistFliegennichtnurdurchausgestoßenesKohlendioxid,sondernauchdurchStickoxide.DurchsieentstehtdasingroßerHöhesehrklimaschädlicheOzon.ZudemwirktdiedurchdieKondensstrei-fenausgelösteWolkenbildungerderwärmend49–gegenbeidePhänomeneistkeinOffset-Krautgewachsen,zumalnochvölligunklarist,welcheweiterenEffekteinsbesonderedieWolkenbil-dunghat.Werfindet,dassFliegenkeineguteIdeeist,sollteesinderTatmöglichstminimierenundsichfürdieBesteuerungvonFlugbenzininderEUeinsetzen,füreinenexzellentenundbilligenFernverkehrmitBusundBahnsowiefürkürzereWegevonMenschenundGütern.
49 WDR:WierettenwirdasKlimawirklich?Scriptzurwdr-Sendereihe«Quarks&Co.»,Köln2007,unter:www.wdr.de/tv/applications/fernsehen/wissen/quarks/pdf/Q_Klima2.pdf.
30
Verschmutzungsrechte
Mitdem1997verabschiedetenKyoto-ProtokollwurdederHandelmitsogenanntenVerschmutzungsrechtenoderZertifikatenetabliert.UnternehmenundStaatenkönnensichdamitdieErlaubniskaufen,bestimmteMengenanKohlendioxidauszustoßen.WennsieaufderBörsewei-tereVerschmutzungsrechteerwerben–z.B.vonUnter-nehmen,diewenigeralsgeplantausgestoßenhabenunddamitihreZertifikateverkaufenkonnten–,könnensiemehrKohlendioxidproduzieren.EineweitereMöglich-keit,ingrößeremMaßeverschmutzenzukönnen,istder«Nachweis»,dassinwenigerindustrialisiertenLänderninProjekteinvestiertwurde,diehelfensollen,zukünftigeCO2-Emissionenzuverhindern.DieserMechanismuswirdCleanDevelopmentMechanism(CDM)genanntundistdieBasisfürdiemeistenindiesemAbschnittdargestell-tenKohlendioxid-Offsets.
31
WIdeR
11
du Kannst KeInem tRauen, es Ist alles nuR gelogen
«der große bioschwindel»NDR50
Was wird behauptet?AngesichtsdesLabel-Dschungels,derpolitischenEinflussnah-mederIndustrieaufUmwelt-undSozialstandards,dersub-stanzlosenPR-MaßnahmenvonUnternehmengibtesnureineSchlussfolgerung:Traueniemandem,LugundBetrugaufallenKanälendes«ethischenKonsums»!
Was ist dran?Esstimmt,derSchwindelmitdemNachhaltigkeits-EtikettisteingroßesÄrgernis.DennochgibtesKontrollorganisationen,dieweiterhinglaubwürdigsind.NebenProduktenausdenEi-ne-Welt-Lädenist«ethischerKonsum»imBereichErnährungundLandwirtschaftvermutlichameinfachsten.InDeutsch-landhabenbeispielsweisedieOrganisationen«Bioland»und«Demeter»inBezugaufdieHaltungvonTierenoderdieBewirt-schaftungvonAnbauflächenhoheStandardsundkontrollierendieseaktiv.AuchvieleBäuerinnenundBauern,dieinderAr-beitsgemeinschaftbäuerlicheLandwirtschaft(AbL)organisiertsindundkonventionell–alsonichtnachMaßgabendesökolo-gischenLandbaus–arbeiten,bemühensichumLandschafts-schutz,artgerechteTierhaltungodergentechnikfreieProdukte.Aberwiedergilt:Esistnirgendwoperfekt.HochwertigeBio-La-belsagennochnichtsüberdieLöhneundArbeitsbedingungenaufdenHöfenaus,auchgutkontrollierteBio-ProduktekönneninzwischeneinenlangenTransportweghaben.
50 http://daserste.ndr.de/guentherjauch/rueckblick/bioschwindel101.html.
32
Generellgilt:Esdauertziemlichlange,bismansicheinumfas-sendesBildverschaffthat.Undnatürlichsteckt,wieamBeispielderFairWearFoundationgezeigt,derTeufelimDetail(sieheBehauptung2).IndenmeistenFällenwirdzudemnuraufeinMerkmalgeachtet:«fair»oder«bio»,ArbeitsrechteoderUm-weltschutz.
GleichwohlsindinTeilbereichenAnnäherungenaneinen«ethi-schenKonsum»möglich.SomachtesfürdieGenossInnendesNäherei-KollektivsinNicaraguaeinengroßenUnterschied,obsieaufdemdeutschenMarktvieleAbnehmerInnenfindenodernicht.GleichesgiltfürihreKollegInnenausderBaumwollge-nossenschaftinPeru.51 «EthischerKonsum»hatdamitauchdasPotenzial,ProjektesolidarischerÖkonomiezuunterstützen,dieeinederKeimzelleneineranderenGesellschaftseinkönnen.
12
bevoR deR KaPItalIsmus nIcht abgeschaFFt Ist, Ist es egal, WIe Ich mIch als IndIvIduum veRhalte
«Fairer handel gaukelt dem verbraucher eine macht vor, die er nicht hat. und spielt dem globalen Kapital damit in die hände.»Der Freitag52
Was wird behauptet?«EsgibtkeinrichtigesLebenimfalschen»(TheodorW.Adorno).WirhandelnalsKonsumentInnenimKapitalismus«notwendigfalsch»,reproduzierenimmerdas«Schweinesystem».WiesollichbeimEinkaufen«ethisch»richtighandeln,wennselbstdieeventuellfairundökologischproduzierteKleidungimInternetbestelltunddasPaketdannvomviertenPaketausliefererdesTa-geszumDumpinglohnausgeliefertwird?
51 Vgl.www.zuendstoff-clothing.de/Marken/Produkte/zuendstoff/id/843c7587-7649-f94f-a94c-9d952b0eb7a5. 52 Beiß,Regine:Mogelpackung«FairTrade»,in:DerFeitag,26.4.2013,unter:www.frei-tag.de/autoren/schlachtreif/mogelpackung-fair-trade.
33
Was ist dran?FürunsertäglichesLebengibtesinSachenKonsuminderTatnurvorsichtigeAnnäherungenandas,wasdiemeistenvonunsfürmoralischrichtigerachten.AberdasWort«Annäherungen»deutetschondaraufhin:Ganzundimmernur«falsch»mussderVersuchdannauchnichtsein–ausmehrerenGründen.
Erstens:EsgibtkeinenKönigswegzur«großenTransforma-tion»,eswirdmitSicherheiteineVielzahlvonAnsatzpunktenbrauchen.EinerdavonwirddieExistenzgelebterAlternativensein.IneinerGesellschaft,inderwirtagein,tagausimmerwie-derlernen,unsinKonkurrenzzuanderenzusehen,müssenwirunsKollektivität,SolidaritätundalternativesWirtschaftenerstwiederantrainieren.EinigebeginnendamitheuteinAnbau-kooperativenundÄhnlichem.Darauflässtsichaufbauen.
Zweitens:AngesichtsderfortschreitendenKlimakatastrophe(undanderersozialökologischerDesaster)müssenwirauchVerzichtüben,dennesdauertlange,bissicheinmaletabliertekulturelleMusterwirklichändern.AuchwennderökologischeFußabdruckproportionalzumEinkommenzunimmt,sokönnenauchMenschenmitetwasdünneremGeldbeutelnichtsowei-termachenwiebisher:DeralltäglicheKonsumsüdafrikanischerTraubenodermarokkanischerBohnen,derVier-Tage-Urlaubs-QuickienachMallorcaoderdasimmerneuesteTabletsindbeiehrlicherBetrachtungebenfallsökologischerIrrsinn.
Drittensunterstützt«ethischerKonsum»sozialeundtechnischeInnovationen,diewirdringendbenötigen,umdenweltweitenRessourcenverbrauchzuminimieren.DieWirkungendieserInnovationenwerdenineinemSystem,dasaufpermanentesWachstumausgelegtist,oftwiedernegativkompensiert(sieheBehauptung6);isoliertbetrachtetsindsieabersehrwichtigundkönnteneineweitpositivereWirkungentfalten–wennsiedennmalTeileiner«anderenWelt»werden.
Dasbedeutet:Esistgut,wennnichtVattenfall,RWEundEONunserGeldbekommen,sondernbeispielsweisedie«Stromre-bellen»EWSausdemSchwarzwald.Siebeziehenzwar–unteranderemwegenderRegelndesErneuerbare-Energien-Geset-zes(EEG)–ihrenStromvorallemausSkandinavien,habenaber
34
wichtigeImpulsefürdieDemokratisierungderEnergieversor-gungundderumweltfreundlichenStromproduktiongesetzt.Auchistesgut,dieMilch«bio»vonnebenanzukaufen–diekonkreteKuhwirdesunsdanken,ihreWieseauch,unddengroßenMolkereienhabenwireinenEuroproLitervorenthalten.DasistnichtdasBeste.Aberesistbesseralsnichts.
EsistalsonichtvonNachteil,daraufzuachten,wofürwirunserGeldausgeben,oderzuversuchen,Sachenzureparierenoderneuzuverwenden(dassogenannteupcycling)–wirsolltenunsbloßkeinenIllusionendarüberhingeben,wiewirkmächtigwirdamitalsIndividuenwirklichsind.EinessolltenwirbeiNach-barschaftsmilchundReparaturnichtvergessen:PolitischeIni-tiativeimSinnevonkollektivemundöffentlichemEngagementwirdweitmehrgebrauchtalsindividuelleVerhaltensänderun-gen.Soistesfüreinedemokratische,sozialeundökologischeEnergieversorgungweitzielführender,sichfürgenuindemo-kratischkontrollierteStadtwerkeimöffentlichenBesitzmitei-nemhohenAnteilerneuerbarerbeziehungsweiseeffizienterEnergiequelleneinzusetzen,alseinfachnurdenStromanbieterzuwechseln.
PolitischeInitiativenkönnenübrigensmanchmalauchganzbanalanmutendeZielehaben.SoisteszumBeispielsinnvoll,sichdafüreinzusetzen,dassHerstellervontechnischenGerä-tengesetzlich verpflichtetwerden,ihreProduktereparierbar,re-cyclebarundauchaktualisierbarherzustellen.Dasheißt,dassmansieauseinanderbauenoderdurchdenAustauscheinzel-nerKomponentenaufdenneuestentechnischenStandbringenkann–ohnedassdasgesamteGerätgleichindenMülleimerwandert.DashörtsichimerstenMomentbelanglosan,wider-sprichtaberfundamentalderWachstumslogikundwirdMüll-bergeundRessourcenverbrauchreduzieren.DieIdeendafürkommenausder«Repair-Bewegung»,alsovonMenschen,diezunächstInitiativendeskritischenKonsumszuzuordnenwären.
35
13
«geIZ Ist geIl» – das Ist es, Was dIe leute antReIbt
«sonderangebot lässt gute vorsätze vergessen.»Die Welt53
Was wird behauptet?Obwirwollenodernicht:DieLeutekaufenbilligein,sieach-tenaufdenPreis,vielleichtnochaufdieQualitätundsonstaufnichts.
Was ist dran?Klar,MenschenhandelnmeistnachökonomischenGesichts-punkten,siegreifenzudenpreiswerterenAlternativen,undwenn’sgeht,achtensiedabeiauchnochaufQualität.DerPreis-druckistinvielenBereicheneingroßesHindernisfüreineöko-logischereodersozialverträglichereProduktion.DieserDruckist,ganzimSinnemarktwirtschaftlicherKonkurrenz,politischgewollt.
SogibtesseitJahreneinenKampfderMilchbäuerinnenund-bauernfüreineneinigermaßen«fairen»Milchpreis.DieEUtutjedochalles,umdiesunmöglichzumachen.SiehebtdieMilchquotenaufundüberlässtdiePreisentwicklungdemWelt-markt–mitverheerendenKonsequenzenfürdiebäuerlicheLandwirtschaft,dieKüheunddenUmwelt-undLandschafts-schutzsowieKleinbäuerinnenund-bauerninanderenLändern,derenMärktemitbilligerMilchgeflutetwerden.NunkannmanmitRechteinwenden:DieLeute,diewenigGeldhaben,profitie-rendochvondenniedrigenPreisen.Daistnatürlichwasdran.DieFrageistnur:WiesosindsovieleMenschenüberhauptda-raufangewiesen,MilchzumDumpingpreiszukaufen?WeilesinvielenBereicheninDeutschlandüberJahreeinesinkendeReallohnentwicklunggabunddieBezügefürHartzIVbisher
53 Gassmann,Michael/Stocker,Frank:DasparadoxeEinkaufsverhaltenderDeutschen,in:DieWelt,19.10.2015,unter:www.welt.de/wirtschaft/article147762791/Das-paradoxe-Einkaufsverhalten-der-Deut-schen.html.
36
nurlächerlichgestiegensind.DernunendlicheingeführteMin-destlohnwirdvielengerademal,wennüberhaupt,fürdieall-täglichenGrundausgabenreichen.DiePreisentwicklungistal-soauchimmerdurchpolitischeEntscheidungenbestimmtunddiesozialeAuswirkungdieserPreiseebenfalls.Einfachisoliertdavonauszugehen,dass«dieLeutenunmalbilligkaufenwol-len»,greiftzukurz.
Außerdem:EsgibtzwarinvielenBereicheneinenZusammen-hangzwischendemVerkaufspreiseinesProduktsunddenAr-beitsbedingungenderProduzierenden.AllerdingsgarantierteinhoherPreisnochlangenichtdieEinhaltungvonArbeits-undUmweltrechten.EinhöhererPreisbedeutetofteinfachhöhereGewinnmargenund,wenn’sgutläuft,einebessereQualitätdesProdukts.
14
«öKo» und «FaIR» sInd nuR eIne mIttelschIchtsnIsche
«bionade-bourgeoisie» Die Welt54
Was wird behauptet?Der«ethischeKonsum»wirdstetseineNischederMittelschich-tenbleiben.DamitwirderniezueinempolitischenFaktorwer-denunddenRuchdesElitärennichtloswerden.
Was ist dran?InderTatistdavonauszugehen,dasseineöko-faireProduktion,diedenNamentatsächlichverdient,wohlauflängereZeitmar-ginalbleibenwird.Allerdingsbedeutetdasnicht,dassdieseNi-schekeinepolitischeWirkungentfaltenkann.
InitiativenwiedieEine-Welt-LädenhabenüberdenVertriebih-rerProdukteunddieentsprechendenBildungsmaßnahmenda-
54 Tholl,Gregor:Lifestyle-Ökos–selbstgefällig,spießig,neoliberal?,in:DieWelt,29.10.2009,unter:www.welt.de/lifestyle/article5002718/Lifestyle-Oekos-selbstgefaellig-spiessig-neoliberal.html.
37
zubeigetragen,dasswirheutesehrvielmehrüberdieArbeits-bedingungenaufKaffee-oderBananenplantagenwissen.DieDiskussionüber«ethischenKonsum»unddieBeschäftigungmitunterschiedlichenProduktions-undArbeitsbedingungenlässtunsmehrüberdiesozialenundökologischenBeziehun-generfahren,dieinjedemProduktstecken.«EthischerKon-sum»kannauchdabeihelfen,dassernstzunehmendeöko-fai-reProduktionsbedingungenundInnovationenalsReferenzenherangezogenwerden,umallgemeinverbindlicheRegelnauf-zustellenunddurchzusetzen.
UndnichtzuletztkannsichindemBemühenumeinen«ethi-schenKonsum»derRespektgegenüberjenenMenschenaus-drücken,diedasProdukthergestellthaben,sowiederWunsch,natürlicheRessourcenzuschonen.Esstimmt:Sowie«ethi-scherKonsum»häufigthematisiertwird–vorallemalsLife-style–,isteseinThemaderakademischenMittelschichten.Diesmussabernichtsobleiben.GewerkschaftenkönntenzumBeispielihreStreik-T-ShirtsbeiKollektiveninNicaraguabezie-hen.NichtalsAblenkungvonihremeigenenArbeitskonflikt,sondernalsZeichenderkonkretenSolidarität.
38
und nun? schlussFolgeRung
Zugegebenermaßen:Essiehtdurchausdüsteraus.DasPlä-doyerfürdieMachtdes«ethischen»KonsumsüberschätztdieMachtderKonsumentInnen.DieglobalenProduktions-bedingungensindvielzukomplex,dieInformationenüberProduktionsketten zu nebulös und Alternativen zumeistschlichtnichtvorhanden,umwirklich«ethisch»handelnzukönnen.AuchLabels,selbstwennsieernstzunehmensind,gebenmeistnurfürbestimmteProdukteundfürbestimmteProdukteigenschafteneineOrientierung.UnternehmenhabendabeinurinsehrwenigenAusnahmefälleneintatsächliches(undnichtnurgeheucheltes)InteresseanderRespektierungvonArbeitsrechtenundUmweltschutzentlangihrergesam-tenLieferkette;dasistvorwiegenddannderFall,wennsieei-neMarktnischebesetzen,fürdiediesdaswesentlicheMerk-malist–undselbstdannsindhiernurAnnäherungenmöglich.DenmeistenUnternehmenabergehteslediglichumeinnach-haltigesImage.FürdiesesImagewurdeneigensAbteilungenderCorporateSocialResponsibility(CSR)insLebengerufen.Siearbeitendaran,dassderScheineinesnachhaltigprodu-zierendenUnternehmensgewahrtbleibt.JegrößerdasUn-ternehmen,destogrößersindauchdieKapazitätendafür.DieKapazitätenderanderenSeite–vonNGOsoderGewerkschaf-ten–sindhingegensehrvielgeringer.DamitistdieWahr-scheinlichkeit,dassdieserScheinzerstörtundeffektiverDruckaufdieentsprechendenUnternehmenausgeübtwerdenkann,relativklein.DasPlädoyerfürmehr«sozialeUnternehmensver-antwortung»lenktzudemdavonab,dassdringendstrengere,gesetzlichverbindlicheRegelnfürTransparenzundHaftungbeidirektenInvestitionenundindenLieferkettenvonUnter-nehmenverabschiedetwerdenmüssen.Auchsagtdie«Nach-haltigkeit»einzelnerProduktenochlangenichtsdarüberaus,welchennegativen politischenEinflusseinUnternehmenaufLohnentwicklung,UmweltgesetzeoderFinanzpolitiknimmt.
«DieMachtderKonsumentInnen»istoftleiderillusorisch,weilsieeinwesentlichesElementkapitalistischerProduktionigno-riert:ohneWachstum,ohneProfitekeineProduktion.Marktsät-tigungistGiftfürdenProfit,deswegenbrauchtesWerbung,politischakzeptierteodergarunterstützteDesinformations-
39
kampagnensowieProdukte,dienichtlangehalten.IndividuelleKaufentscheidungenwerdendagegenkaumetwasausrichtenkönnen,auchvermeintlicheAlternativenwiedieKompensati-onszahlungenfürdeneigenenCO2-AusstoßsindeinIrrwegmitoftschlimmenFolgen.
Werfüreinen«ethischenKonsum»plädiert,kannmitdemFin-geraufjenezeigen,diediesnichtzuihremAnliegenmachen–meistMenschenmitniedrigemEinkommenundkurzemBil-dungsweg,diesogenannteUnterschicht.Dabeiwirdignoriert,dassder«ökologischeFußabdruck»beihöheremEinkommenzunimmtunddassdieWohlhabendenundReichennichtnurressourcenintensiverleben,sondernmeistensauchallesda-fürtun,dassihregesellschaftlichePositionerhaltenbleibt,sichihrVermögenvermehrtundihrpolitischerEinflussbestehenbleibt–mitkatastrophalenFolgenfürdieöffentlicheDaseins-vorsorge,dieÖkologie,dieDemokratieundfürganzeStaats-haushalte.
Unddennoch:DasBemühenum«ethischenKonsum»kannsehrsinnvollundtatsächlichemanzipatorischsein.SogibtesinmanchenBereichen,vorallembeiLebensmittelnundinEine-Welt-Läden,sinnvolleundvertrauenswürdigeMöglichkeiten,zumindestannähernd«ethisch»einzukaufen.Diehieretablier-tenStandardskönnenwiederumwichtigeReferenzenundVor-bilderfürallgemeinverbindlicheRegelnsein.AuchunterstütztdasPlädoyerfüreinen«ethischen»KonsumtechnischeNeue-rungenwiedasWindradoderdieSolarzelle,dienichterstineinerGesellschaftohneWachstumszwangschonkleineVer-besserungenerzielenkönnen.Undschließlichentstehenausder«ethischen»KonsumbewegungIdeen,diezuForderungennachAllgemeinverbindlichemwerdenkönnen–wiebeispiels-weisedergesetzlicheZwangzurReparierbarkeitvontechni-schenGerätenoderdieMöglichkeit,dieserecyclenzukönnenundzumüssen.
DasPlädoyerfüreinen«ethischenKonsum»verweistaußerdemaufdieZukunft:KollektiveundökologischeProduktionseinhei-tenzuunterstützenbedeutetnichtnur,dabeizuhelfen,konkre-teLebenssituationenzuverbessern,sondernauch,wichtigeElementeeinersolidarischenGesellschaftzustärken.Zudem
40
müssenauchwir,diewirunsSmartphones,Flachbildschirme,Flugreisen,weitgereistesObst,AutofahrenoderFleischleistenkönnenundoftauchleisten,wissen:Wirmüssenüben,zuver-zichten.DennauchwennderökologischeFußabdruckmitstei-gendemEinkommentendenziellgrößerwird,istderRessour-cenverbrauchauchderwenigerBetuchteninDeutschlandfürdieErdenichtmehrtragbar.
NachdiesemWissenzuhandelnistjedochehereineethischeHaltungalseinepolitischeMachtposition.Dennalleindadurch,dasswirVerzichtfürunsindividuellumsetzen,ändertsichgarnichts.Auchdannnicht,wenndarauseineVerzichtsbewegungentsteht,dieaufdiesogenanntenUnterschichtenherabblicktunddieEigentumsverhältnisseunsererGesellschaftignoriert.Denndiesesorgendafür,dassdasWachstumunddamitderRessourcenverbrauchimmerweitergehen,dasswirkeinenDurchblickhaben,wiedievonunskonsumiertenGüterentste-hen,unddassdaswolkigeGeredevonNachhaltigkeitunsdenVerstandvernebelt.
InsofernwilldieseBroschürekeineAbsageanden«ethischenKonsum»sein,sonderneineAufforderung,aktivzuwerden.«EthischerKonsum»isthilfreich,abereingutesGewissenistsoeinfachnichtzuhaben.
41
glossaR
CSRistdieAbkürzungfürCorporateSocialResponsibility,zuDeutsch:sozialeUnternehmensverantwortung.DieVertreterInnendiesesKon-zeptesgehendavonaus,dassUnternehmeneinstarkesEigeninteres-sehaben,ökologischundsozialverantwortlichzuhandeln.AlsStrate-giesetzensieaufSelbstverpflichtungenstattaufgesetzlicheRegeln.KritikerInnenführendagegenan,dassSelbstverpflichtungeninkeinerFormgreifenundesstattdessenrechtlichverbindlicheRegelngebenmuss.Ethischer Konsummeint,dassdiegekauftenGüterundDienstleistun-genvollständigumweltfreundlichunduntervollständigerRespektie-rungvonArbeits-undMenschenrechtenhergestellt,transportiertundverkauftwurden.Auchwenndies,wennüberhaupt,nurinAnnäherun-genmöglichist,wirdderBegriffhierverwendet.Offset bedeutetimZusammenhangmit«ethischemKonsum»Aus-gleichszahlungen,diedieUmweltzerstörunganeinemOrtanandererStellewiederausgleichensollen.OffsetzahlungenwerdennichtnurbeiKohlendioxid-Emissionengetätigt,sondernbeispielsweiseauch,umdurchGroßprojektezerstörteBiotopezu«ersetzen».OffsetzahlungenstehenzumeinenwegenihrerfehlendenWirksamkeitundnegativenEffekte,aberauchwegenderdurchsiebetriebenenpreislichenBewer-tungvonNaturinderKritik.Ökologischer FußabdrucksetztdenjeweiligenRessourcenverbraucheinesMenscheninsVerhältniszur«Biokapazität»derErde,alsozudenvorhandenenWäldern,Seen,Wüstenetc.DieEinheit,inderderAb-druckgemessenwird,heißtglobalerHektar(gha).Seitden1980erJahrenverbrauchtdieWeltbevölkerungmehrgha,alsdasÖkosys-temdauerhaftbereitstellenkann.IndemjeweiligenindividuellenVer-brauchgibtesjedochbeträchtlicheUnterschiedesowohlzwischenLändernalsauchzwischendenEinkommensschichten(sieheBe-hauptung9).Reboundheißt«Rückschlag»undbezeichnetdenunerwünschtenEffektbeitechnischenInnovationen,derenergetischeEinsparungendurchdasVerhaltenvonUnternehmenundVerbraucherInnenab-schwächtodergarwiederaufhebt.Eskannauchzueinemvollständi-genRückschlag–backlash–kommen,nämlichdann,wennesdurchdietechnischermöglichteEnergieeinsparungameinzelnenGerätzubeschleunigtemökonomischemWachstumkommtundinsgesamtmehrEnergieverbrauchtwirdalsvordertechnischenWeiterentwick-lung.
42
Siegel und LabelsindEmbleme,diedieQualitätsprüfungeinesPro-duktesoderaucheinesUnternehmenshinsichtlicheinerbestimmtenEigenschaftbestätigensollen–dasFairtrade-Siegel,derUmweltengeloderdasEmblemderFairWearFoundation.
43
Zum WeIteRlesen
Brot für die Welt: TestedeinenökologischenFußabdruck!,unter:www.fussabdruck.de/.Geden, Oliver: StrategischerKonsumstattnachhaltigerPolitik?,in:Transit.EuropäischeRevue36(Winter2008/09),S.132–141,unter:www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/fachpublikationen/Kritik_des_KS__klimabewussten_Kon...nsit___Europ_ische_Revue_.pdf.GEPA: FalscherWeg!Wieviel«fair»mussrein?,unter:www.fairtrade.de/index.php/sID/7a61da7a46e58ee99c4be88dfbf0030b/lan/de.Hartmann, Kathrin: EndederMärchenstunde.WiedieIndustriedieLohasundLifestyle-Ökosvereinnahmt,München2009.Kill, Jutta: EconomicValuationofNature.ThePricetoPayforCon-versation?ACriticalExploration,hrsg.vonderRosa-Luxemburg-Stif-tung,Brüssel2014,unter:www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pd-fs/sonst_publikationen/Economic-Valuation-of-Nature.pdf(alsbaldindeutscherÜbersetzungerhältlich).Steckner, Anne/Candeias, Mario: Geizistgarnichtgeil.ÜberKon-sumweisen,KlassenundKritik,Standpunkte11/2014,hrsg.vonderRosa-Luxemburg-Stiftung,Berlin2014,unter:www.rosalux.de/filead-min/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_11-2014.pdf.
ImpressumluxemburgargumenteNr.13wirdherausgegebenvonderRosa-Luxemburg-StiftungV.i.S.d.P.:StefanThimmelFranz-Mehring-Platz1·10243Berlin·www.rosalux.deISSN2193-5831·Redaktionsschluss:November2016AutorInnen: AGKritischerKonsumRedaktion:SteffenKühne,TadzioMüllerundStefanThimmelIllustrationen: MediaServiceGmbHDruckundKommunikationunterVerwendungvonMaterialvonfreepikLektorat:TEXT-ARBEIT,BerlinSatz/Herstellung:MediaServiceGmbHDruckundKommunikationGedrucktaufCircleoffsetPremiumWhite,100%Recycling
aKtuelle veRöFFentlIchungen
StephanKaufmannundEvaRothgeRechte aRmut?Mythen und Fakten zur Ungleichheit in DeutschlandluxemburgargumenteNr.1148Seiten,Oktober2016ISSN2193-5831Download unter: www.rosalux.de/publication/42683
StefanieMajer«Pass auF, deR WIll deInen KeKs!»Mythen und Fakten zur neuen sozialen UnsicherheitluxemburgargumenteNr.1256Seiten,Oktober2016ISSN2193-5831Download unter: www.rosalux.de/publication/42726
Bestellung beider Publikationen unter [email protected] oder unter Tel.�030�44310-123