HAFTUNG DES VR FÜR STEUERN UND AHV -...

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Foto: Bilderbox.de VON STEFANIE MEIER-GUBSER N ach Aktienrecht haftet der Verwaltungs- rat für jeden Schaden, den er der Gesell- schaft, den Aktionären oder den Gläubi- gern aufgrund einer Pflichtverletzung zufügt (Art. 754 OR). Der Fiskus kann als Gläubiger der Gesellschaft den Verwaltungsrat also grundsätz- lich aktienrechtlich für ausstehende Steuern und So- zialversicherungsbeiträge belangen. Allerdings ste- hen dem Staat auch verschiedene spezialgesetzliche Bestimmungen zur Verfügung. Die dort verankerte Mithaftung von Organen und Liquidatoren stellt für den Staat häufig ein griffigeres Mittel dar, den Ver- waltungsrat in die Verantwortung zu nehmen. Auf die allgemeine aktienrechtliche Norm werden sich die Behörden daher nur dann berufen, wenn speziel- le Haftungsnormen fehlen. Garantenhaftung für Steuerschulden Die Haftung des Verwaltungsrats für Steuerschulden der Gesellschaft nahm ihren Anfang 1965 mit der Ein- führung von Artikel 15 des Verrechnungssteuergeset- zes (VStG). Seither wurde sie ständig ausgebaut. Wäh- rend die aktienrechtliche Haftung eine Verschuldens- haftung ist – also ein Verschulden des Verwaltungs- rats – voraussetzt ist die Haftung für Steuerschulden gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine so- genannte Garantenhaftung: Jedes einzelne Verwal- tungsratsmitglied haftet allein aufgrund seiner Funk- tion solidarisch und mit seinem ganzen Vermögen für die Steuerschulden der Gesellschaft. Dies hat für den Fiskus den Vorteil, dass er weder eine Pflichtverlet- zung, noch deren Kausalität und Adäquanz zum Scha- den belegen muss. Immerhin kann der Verwaltungs- rat theoretisch den positiven Nachweis erbringen, dass er «alles ihm Zumutbare» zur Erfüllung der Steu- erforderung getan und die «nach den Umständen ge- botene Sorgfalt» angewendet hat. Ein Nachweis, an den die Gerichte strenge Anforderungen stellen und der in der Praxis nur schwer gelingt. HAFTUNG DES VR FÜR STEUERN UND AHV Verrechnungssteuer: Nach Artikel 15 VStG haftet der Verwaltungsrat für ausstehende Verrechnungs- steuerforderungen, wenn er als Liquidator bei der Auflösung der Gesellschaft mitgewirkt hat oder wenn die Gesellschaft ihren Sitz ins Ausland verlegt. Sowohl der Begriff der Auflösung der Gesellschaft als auch der Begriff der Liquidatoren wird von der Recht- sprechung sehr weit gefasst. So gilt zum Beispiel auch die Aushöhlung einer Gesellschaft als Auflö- sung. Einen formellen Liquidationsbeschluss braucht es nicht. Haftbar ist, wer in der massgeben- den Zeit Organ der Gesellschaft war. Der Zeitpunkt bestimmt sich nach der ersten Vermögensdisposition, die vom Gesellschaftszweck nicht mehr gedeckt war. Problematisch ist, dass sich der Zeitpunkt kaum exakt bestimmen lässt und die Steuerverwaltung einen grossen Ermessenspielraum hat.Das Risiko, für Verrechnungssteuerforderungen zu haften, ist Der Verwaltungsrat haftet solidarisch für Steuern der Gesellschaft und Sozialversicherungsbeiträge. Er tut daher gut daran, die Risiken nicht nur zu kennen, sondern auch regelmäs- sig zu überwachen und aktiv zu minimieren. 24 www.vrpraxis.ch 4/2012 vr4_2012_24_25_Layout 1 12.11.12 13:32 Seite 24

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VO N S T E FA N I E M E I E R - G U B S E R

Nach Aktienrecht haftet der Verwaltungs-rat für jeden Schaden, den er der Gesell-schaft, den Aktionären oder den Gläubi-gern aufgrund einer Pflichtverletzung

zufügt (Art. 754 OR). Der Fiskus kann als Gläubigerder Gesellschaft den Verwaltungsrat also grundsätz-lich aktienrechtlich für ausstehende Steuern und So-zialversicherungsbeiträge belangen. Allerdings ste-hen dem Staat auch verschiedene spezialgesetzlicheBestimmungen zur Verfügung. Die dort verankerteMithaftung von Organen und Liquidatoren stellt fürden Staat häufig ein griffigeres Mittel dar, den Ver-waltungsrat in die Verantwortung zu nehmen. Aufdie allgemeine aktienrechtliche Norm werden sichdie Behörden daher nur dann berufen, wenn speziel-le Haftungsnormen fehlen.

Garantenhaftung für SteuerschuldenDie Haftung des Verwaltungsrats für Steuerschuldender Gesellschaft nahm ihren Anfang 1965 mit der Ein-führung von Artikel 15 des Verrechnungssteuergeset-zes (VStG). Seither wurde sie ständig ausgebaut. Wäh-rend die aktienrechtliche Haftung eine Verschuldens-haftung ist – also ein Verschulden des Verwaltungs-rats – voraussetzt ist die Haftung für Steuerschuldengemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine so-genannte Garantenhaftung: Jedes einzelne Verwal-tungsratsmitglied haftet allein aufgrund seiner Funk-tion solidarisch und mit seinem ganzen Vermögen fürdie Steuerschulden der Gesellschaft. Dies hat für denFiskus den Vorteil, dass er weder eine Pflichtverlet-zung, noch deren Kausalität und Adäquanz zum Scha-den belegen muss. Immerhin kann der Verwaltungs-rat theoretisch den positiven Nachweis erbringen,dass er «alles ihm Zumutbare» zur Erfüllung der Steu-erforderung getan und die «nach den Umständen ge-botene Sorgfalt» angewendet hat. Ein Nachweis, anden die Gerichte strenge Anforderungen stellen undder in der Praxis nur schwer gelingt.

HAFTUNG DES VR FÜR STEUERN UND AHV

Verrechnungssteuer: Nach Artikel 15 VStG haftetder Verwaltungsrat für ausstehende Verrechnungs-steuerforderungen, wenn er als Liquidator bei derAuflösung der Gesellschaft mitgewirkt hat oder wenndie Gesellschaft ihren Sitz ins Ausland verlegt.Sowohl der Begriff der Auflösung der Gesellschaft alsauch der Begriff der Liquidatoren wird von der Recht-sprechung sehr weit gefasst. So gilt zum Beispielauch die Aushöhlung einer Gesellschaft als Auflö-sung. Einen formellen Liquidationsbeschlussbraucht es nicht. Haftbar ist, wer in der massgeben-den Zeit Organ der Gesellschaft war. Der Zeitpunktbestimmt sich nach der ersten Vermögensdisposition,die vom Gesellschaftszweck nicht mehr gedeckt war.Problematisch ist, dass sich der Zeitpunkt kaumexakt bestimmen lässt und die Steuerverwaltungeinen grossen Ermessenspielraum hat.Das Risiko,für Verrechnungssteuerforderungen zu haften, ist

Der Verwaltungsrat haftet solidarischfür Steuern der Gesellschaft und Sozialversicherungsbeiträge. Er tutdaher gut daran, die Risiken nicht nurzu kennen, sondern auch regelmäs-sig zu überwachen und aktiv zu minimieren.

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langt – so dass die Haftung faktisch auch hier zumin-dest in die Nähe einer Garantenhaftung rückt.

SolidaritätSolidarische Haftung bedeutet, dass der Gläubigerein einzelnes Verwaltungsratsmitglied für die ganzeHaftungssumme belangen kann, unabhängig davonwie gross dessen effektiver Anteil am Schaden res-pektive der ausstehenden Forderung ist. Es liegtdann am so zur Rechenschaft gezoge-nen Verwaltungsratsmitglied allen-falls Regressansprüche gegenüberweiteren haftpflichtigen Personen gel-tend zu machen.

PraxistippsDas Haftungsrisiko ist bei Gesellschaf-ten, die von einem einzelnen Aktionärbeherrscht werden höher. Hier istdaher besondere Vorsicht geboten.– Gegebenenfalls muss der Verwal-

tungsrat von der Gesellschaft die Hin-terlegung der aufgelaufenen Steuernverlangen oder die Steuerverwaltungzu einer entsprechenden Verfügungveranlassen.

– Beim Kauf von Gesellschaften, Aktien-mänteln oder Grundstücken emp-fiehlt es sich abzuklären, ob öffentlich-rechtliche Forderungen offen sind res-pektive sich von den Steuerbehörden schriftlich be-stätigen zu lassen, dass keine offenen Steuerforde-rungen bestehen.

– Die regelmässige Überwachung der Deklarationund der Bezahlung von Steuern und Sozialversiche-rungsbeiträgen ist unumgänglich.

– Ein Rücktritt (und die Veranlassung der Streichungaus dem Handelsregister) kann ein allfälliges Risikoeinschränken.

– Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung (häu-fig sogenannte D&O-Versicherungen) erlaubt unterUmständen und je nach Police eine Abwälzung desRisikos. Er entbindet den Verwaltungsrat jedochnicht von seinen Sorgfaltspflichten! •

insbesondere dann erhöht, wenn die Gesellschaftvon einem einzigen Aktionär beherrscht wird, derfaktisch ohne weiteres auf das Gesellschaftsvermö-gen zugreifen kann.Direkte Bundessteuer: Die Haftung des Verwaltungs-rats für Forderungen der direkten Bundessteuer istähnlich ausgestaltet wie diejenige für Forderungender Verrechnungssteuer. Seit dem 1. Januar 1995 haf-ten der Verwaltungsrat und die Liquidatoren nachBeendigung der Steuerpflicht oder Sitzverlegung derGesellschaft ins Ausland solidarisch für noch ausste-hende Steuerforderungen (Art. 55 DBG). Zudem haf-tet der Verwaltungsrat auch, wenn er Geschäftsbe-triebe oder Betriebsstätten in der Schweiz auflöstoder Grundstücke in der Schweiz (oder durch solchegesicherte Forderungen) veräussert.Mehrwertsteuer & Kantonale Steuergesetze: Auchdie Regelung des Mehrwertsteuergesetzes (MWSTG)lehnt sich an diejenige des VStG an. Nach Artikel 15haften nach Beendigung der Steuerpflicht der juristi-schen Person die mit der Liquidation betrauten Perso-nen solidarisch für ausstehende Mehrwertsteuerforde-rungen respektive die mit der Geschäftsführungbetrauten Personen bei einer Sitzverlegung ins Aus-land. Einige kantonale Steuergesetze sehen analogder Bundesgesetzgebung ebenfalls eine Mithaftungdes Verwaltungsrats für Steuerschulden der Gesell-schaft vor. Die Regelungen sind jedoch uneinheitlich.

Verschuldenshaftung für Sozial -versicherungsbeiträgeDas praktisch grössere Risiko für Verwaltungsräteist die Haftung für ausstehende Sozialversicherungs-beiträge. Obwohl Artikel 52 des Bundesgesetzes überdie Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)ursprünglich nur eine Haftpflicht des Arbeitgebers(also der Gesellschaft) vorsah, hatte die Rechtspre-chung den Anwendungsbereich über den Gesetzes-wortlaut hinaus auf die verantwortlichen Organe aus-gedehnt. Diese Praxis hat nun Eingang gefunden inden Gesetzestext: Subsidiär zur juristischen Personhaften von Gesetzes wegen unter anderem auch dieVerwaltungsratsmitglieder solidarisch für ausstehen-de AHV-, IV-, EO- und ALV-Beiträge. In Betracht fallenausstehende Beiträge, die bis zum Ausscheiden desVerwaltungsratsmitglieds fällig geworden sind.

Die Haftung ist als Verschuldenshaftung kon-zipiert. Die Ausgleichskasse muss grundsätzlich so-wohl den Schaden als auch die Pflichtverletzung, dieKausalität und die Adäquanz beweisen. Der Verwal-tungsrat ist zum Gegenbeweis zugelassen. Die Ge-richtspraxis stellt allerdings eine erhöhte Sorgfalts-pflicht an den Verwaltungsrat – obwohl das Gesetzeine absichtliche oder grobfahrlässige Verletzung ver-

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Recht

SIVGSchweizerisches Institut für Verwaltungsräte

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AUTORIN

Stefanie Meier-Gubser, lic.iur., Rechtsanwältin, ist Geschäfts-führerin des Schweizerischen Instituts für Verwaltungsrätesivg. Das sivg unterstützt und fördert die professionelle Aus-übung des Verwaltungsratsmandats.

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