Hans-Dietrich Sander - Wir fahren in die Hölle mit Pauken und Trompeten

download Hans-Dietrich Sander - Wir fahren in die Hölle mit Pauken und Trompeten

If you can't read please download the document

description

„Wir fahren in die Hölle mit Pauken und Trompeten", dachte Franz Biberkopf bei seiner letzten Verhaftung in Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" von 1929, der die Linien des Verfalls der Weimarer Republik apokalyptisch auszog. Dieser Satz stand über meiner Rezension zur Neuauflage in der Welt am 8. April 1961, als ich noch nicht ahnte, daß eines Tages Bonn genau so untergangsreif sein würde, wie mir Pankow damals schon erschien (das ich 1957 ohne Hoffnung auf irgendeine sozialistische Zukunft verlassen hatte)...

Transcript of Hans-Dietrich Sander - Wir fahren in die Hölle mit Pauken und Trompeten

HANS-DIETRICH SANDER WIR FAHREN IN DIE HLLE MIT PAUKEN UND TROMPETEN Das vergangene Jahr war schlimm. Keiner kann froh sein, da es vorber ist. Es ging mit Ungeheuern schwanger, deren Ausschlupf bevorsteht. Wir fahren in die Hlle mit Pauken und Trompeten", dachte Franz Biberkopf bei seiner letzten Verhaftung in Alfred Dblins Roman "Berlin Alexanderplatz" von 1929, der die Linien des Verfalls der Weimarer Republik apokalyptisch auszog. Dieser Satz stand ber meiner Rezension zur Neuauflage in der Welt am 8. April 1961, als ich noch nicht ahnte, da eines Tages Bonn genau so untergangsreif sein wrde, wie mir Pankow damals schon erschien (das ich 1957 ohne Hoffnung auf irgendeine sozialistische Zukunft verlassen hatte). Es hat mehr als dreiig Jahre gedauert, aber dieser Tag ist nun gekommen. Er bringt fr alle, denen so lange gar kannibalisch wohl" war als wie fnfhundert Suen" ein frchterliches Erwachen. Die Deutschen hatten 1945 einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Sie verpfndeten ihre Seele fr den Wohlstand. Es klappte vorzglich, weil die hllische Zauberey ihnen das Auerbachsche Verlies als eine freie Wildbahn vorgaukelte. Der Teufel hilft den Seinen, Gott nicht", sagte einmal Vera Piroschkow. Das ist aber nur der Fall bis an den Tag, an dem der Teufel seinen Preis einfordert; denn sein Trachten und sein Werk ist die Zerstrung. Nichts anderes vollzieht sich vor unseren Augen. Der hysterische Zulauf zu den Lichterketten ist Ausdruck eines hilflosen Exorzismus. Man fleht um den Beistand von Geistern, die tot sind. Auch Lichtermeere knnen die tiefe Kluft nicht ausblenden, die den Grundkonsens zerrissen hat, auf dem der politische berbau glaubte, sich fr ewig etabliert zu haben. Endzeit", zetert der Spiegel, Gute Nacht, Kanzler", flstert der Stern. Es spricht fr den infernalischen Charakter dieser Abwrtsdrift, da ihr etwas Zwangslufiges anhaftete. Es war zu keinem einzigen Zeitpunkt mglich, den Niedergang zu bremsen oder das Steuer herumzuwerfen. Ich nahm an drei vergeblichen Versuchen teil, denen es an Einfllen und Ausfllen wahrlich nicht ermangelte: um die Mitte der 60erJahre, als mich zum ersten Mal die Schatten der politischen Dmmerung streiften, die sacht auf Bonn herabsank, in Hans Zehrers Welt, in den 70er Jahren in Caspar v. Schrenck-Notzings Criticn und Willy Schlamms Zeitbhne. Damals konnte man die Fehlentwicklungen noch zurcknehmen. Niemand wollte hren. Die Stabilisierungsversuche wurden borniert bekmpft und rigide ausgegrenzt. Danach machte ich mir Gedanken ber einen nationalen Neubau von Grund auf. Das war in den 80erJahren, in denen es vielfltige Anstze zu einer nationalen Renaissance gab. Sie erlebten dasselbe Schicksal. Htte Westdeutschland sich dieser Renaissance nicht verweigert, wre es 1989 wohl vorbereitet gewesen auf die Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland. Aber der Herr und Meister Bonns, jener verrterische, nichtswrdige Geist", wie Faust ihn im Elend verzweifelnd nannte, hatte eine andere Disposition. Selbst heute, wo die Folgen eine Not hervorgerufen haben, die unter den herrschendem Verhltnissen nicht tilgbar ist, geschieht nichts, was das Zerstrungswerk nicht frdert, nicht beschleunigt. Vor wenigen Tagen erklrte Gnter Schabowski, der letzte Ostberliner Parteisekretr vor der EnquteKommission zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", es habe an der Spitze keinen Realittsverlust", sondern eine ausgefeilte Technik der Realittsverdrngung" gegeben; keine Horde von Verbldeten", sondern eine Truppe von Verblendeten" habe das Land ins Verderben gefhrt; es sei die Diktatur einer Minderheit gewesen, die ber ihre Minderheitenposition genau Bescheid wute und ihre krude Machtgier ideologisch motivierte (vgl. FAZ, 29. 1.) Alle diese Umschreibungen lassen sich heute auch auf die Bonner Machtelite bertragen. Es steckt aber in Bonn noch mehr hinter der ideologischen Motivation - so wie das auch in Pankow war.

Als Pankow Bonn in den Scho gefallen war, verkndete man, gefeit gegen eine Entfesselung nationaler Impulse, den von des Gedankens Blsse angekrnkelten Aufschwung Ost". Seitdem der keine sonderliche Sogwirkung zeitigte, schraubte man die Erwartung auf den Solidarpakt" herunter, der offensichtlich nur noch die Schden begrenzen will. Dennoch wachsen auch die Zweifel in seine Durchsetzbarkeit. Ende Januar sagte der schsische Ministerprsident Kurt Biedenkopf, wenn Bonn zugunsten der neuen Lnder das Volumen der ffentlichen Haushalte nicht um drei Prozent krzen knnte, dann ist dies fr mich die Abdankungserklrung der politischen Klasse". Er sagte dies mit Recht. Aber sagen wir es lieber przis: es kme einer Abdankungserklrung nahe. Konsequenzen werden in Machterhaltungskartellen nicht mehr gezogen. Auch Biedenkopf wrde nicht abdanken wollen. Wre die Realitt Bezugspunkt politischer Entscheidungen, htte die politische Klasse wegen Unvermgen in vielen Bereichen schon lngst abdanken mssen. Dann wrde es aber auch nicht so infernalisch abwrts gehen knnen. Die Vereinigungsproblematik ist schon schlimm genug. Bonn mu es noch schlimmer haben, indem es unbeeindruckbar auf das Tempo der Europisierung drckt, die dem globalen Trend am Ende des Jahrhunderts entgegensteht und deshalb von der Mehrheit, um die sich Bonn so wenig kmmert wie einst Pankow, instinktiv abgelehnt wird. Die politische Klasse Bonns ist gewi nicht so verbldet, nicht zu sehen, da aus der zerbrechenden Weltnachkriegsordnung die unterdrckten und gegngelten Vlker berall als neue Subjekte hervortreten, sei es friedlich, revolutionr oder kriegerisch. Wohl aber ist sie verblendet genug, zu whnen, man msse und knne diesen weltgeschichtlichen Proze, von dem ber 3000 Vlkerschaften erfat sind, in Europa auer Kraft setzen. Da sie dabei zuvrderst den Siegern der beiden Weltkriege willfhrig ist, die uns im Zustand der Knechtschaft erhalten wollen, ist alles andere als eine Entlastung. Verblendung ist indessen nicht am Werk, wenn sich die politische Klasse Bonns ber die offenkundige Tendenz hinwegsetzt, da in einer europischen Union alles das eskalieren wrde, was am deutschen Wirtschaftswunder inzwischen fragwrdig geworden ist: Rezession und Inflation, Branchenkrisen, Firmenpleiten, steigende Arbeitslosigkeit. Sie sieht es nur zu gut. Aber es interessiert sie nicht, weil sie im Maastricht-Europa auf gute Posten setzt, die sie bei Fortdauer nationalstaatlicher Strukturen nicht halten knnte. Wessen Seele dem Teufel gehrt, findet nichts dabei. Die fhrenden Krfte der bundesdeutschen Wirtschaft sind um keinen Deut anders ambitioniert. Das trifft auch auf gestandene Mnner zu, die mit Bonn in Konflikt gerieten. Der aus finanzpolitischen Grnden zurckgetretene Bundesbankprsident Phl se gern im britischen Oberhaus. Die Wirtschaft sei international geworden, sagte er am 5. Januar dem SZ-Magazin. Er sollte sich allerdings nicht billig darber beklagen, wenn sich der Kanzler Kohl nicht fr seine Ansicht ber einen besseren Aufbau in Mitteldeutschland interessiere. Karl Otto Phl interessiert sich auch nicht die Bohne fr Ansichten, die in der sogenannten Weltwirtschaft die Wurzel aller gegenwrtigen konomischen und sozialen bel sehen. Noch schneller als die Auflsung des Sozialstaates vollzieht sich der Abbau des Rechtsstaates in Deutschland. Es spricht vieles dafr, da die richterliche Erlaubnis fr die Ausreise des Angeklagten Erich Honecker nach Chile ein lange vorbereiteter Coup war; seine Frau Margot wre ihm dann, als ihn Moskau nach Berlin berstellte, nur als Quartiermeisterin vorausgefahren. Meine berzeugung, da eine Generalamnestie die sauberste Lsung gewesen wre, wird davon nur bestrkt. Man kann nicht aus Opportunittsgrnden, wie immer humanitr sie verbrmt werden, die Mauerschtzenprozesse fortsetzen und den deutschen Hauptverantwortlichen freilassen, ohne das Rechtsempfinden nicht zutiefst zu verletzen. Unsere mitteldeutschen Landsleute mssen sich auch in diesem Bereich als verarscht vorkommen. Nichts hlt die politische Hllenfhrt der erweiterten Bundesrepublik mehr auf.

Es gibt kein rhrenderes und verzweifelteres Beispiel fr das Entsetzen, das die Mehrheit der Deutschen gepackt hat, als die Naivitt, die pikareske Provokation des jdischen Schriftstellers Jakov Lind buchstblich zu nehmen, Kohl heie in Wirklichkeit Kohn. Es steht in seinem Roman "Der Erfinder": Wir mssen uns beeilen, . .. Bei der nchsten Wahl mu Gary Hart gewinnen. Hart hie frher Herz. Frau Bonner, Sacharows Gattin, mu Gorbatschow ablsen. Je schneller, desto besser. Fr Pakistan wnsche ich mir das Frulein Bhutto. Alte sephardische Familie, hie frher Baruchia, mit dem Messiah aus Smyrna verwandt. Der Urgrovater des jetzigen deutschen Bundeskanzlers schrieb sich noch mit einem -nstatt mit einem -l-, war ein Hausierer aus Buscacz. Ich habe Urkunden, Beweise. Eine ganze Bibliothek von Beweisen im Tresor der Nationalbibliothek von Vaduz. Da Alphonso in Argentinien sephardisch betet, ist kein Geheimnis, aber wer kennt schon den wahren Namen von Mao Tse-tung? ,Moshe-Zung' ". Das ist zweifellos Celine nachempfunden. Die dreiste bertreibung zeigt die Persiflage an. Vielen aber schien das eines dunklen Rtsels Lsung: sie vermochten nicht zu glauben, da ein deutscher Kanzler eine solche Politik machen kann. Den meisten Zeitgenossen sind leider die metaphysischen Dimensionen der Geschichte abhanden gekommen. Glimmt im Deutschtum heute noch irgendwo ein faustischer Funke, den Franz Josef Strau aus naheliegenden Grnden vorschwefelte, brauchen die Deutschen als Volk eine Hllenfahrt nicht zu frchten. In der christlichen Mythologie fuhr auch Jesus in die Hlle - vor seiner Himmelfahrt. Die Deutschen haben eine Hllenfahrt sogar bitter ntig. Als Katharsis. Das sind die Pauken und Trompeten. Der Teufel arbeitet am Ende doch Gott in die Hnde: als die Kraft, die stets das Bse will und doch das Gute schafft. Goethes "Faust" ist eine Theodizee der Hlle, die das Bse verschlingt. Der Teufel ist ein Versucher im Auftrag. Es ist nicht anzunehmen, da die Patres Ecstaticus, Profundus und Seraphicus sich mit ihm aufwendig um die Seelen streiten, die eine Hlle verdient haben. Wer jedoch seine Identitt nicht preisgegeben hat, auch wenn er nichts weiter erreicht haben sollte, kann vertrauen, von ihnen dem Doktor Marianus empfohlen zu werden, damit er ihn, unter dem Gesang der Engel Gerettet ist das edle Glied der Geisterwelt vom Bsen: Wer immer strebend sich bemht, den knnen wir erlsen" der Mater Gloriosa zufhrt. Ich schliee in der Zuversicht, da sich jeder dieses Gleichnis ins Vergngliche zurckbersetzen kann. STAATSBRIEFE 1/1993