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Hans Poelzig Architekt Lehrer Künstler

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Hans PoelzigArchitekt Lehrer Künstler

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Wolfgang Pehnt, Matthias Schirren (Hg.)

Hans Poelzig1869 bis 1936

Architekt Lehrer KünstlerMit Beiträgen von

Hans-Stefan Bolz, Sylvia Claus, Claudia Dillmann, Heike Hambrock,

Christian Marquart, Hans-Dieter Nägelke, Wolfgang Pehnt, Matthias Schirren,

Peter Cachola Schmal, Jörg Stabenow, Wolfgang Voigt

Deutsche Verlags-Anstalt

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Das Buch entstand anlässlich der Ausstellung »Hans Poelzig. 1869 bis 1936. Architekt Lehrer Künstler«Akademie der Künste, Berlin, 14. Oktober 2007–6. Januar 2008Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, 23. Februar 2008–18. Mai 2008Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, AuslandspräsentationAusstellung der Akademie der Künste, Berlin, und des Institut für Auslandsbeziehung e.V., Stuttgart,in Zusammenarbeit mit dem Architekturmuseum der Technischen Universität BerlinGefördert durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und die Wüstenrot Stiftung, unterstützt durch das Deutsche Architekturmuseum, Frankfurt am Main, das Deutsche Filminstitut, Frankfurt am Main, und die Technische Universität Kaiserslautern

Abbildung auf der Umschlagvorderseite: Hans Poelzig, Emil Ferchland. Talsperre Klingenberg. Sachsen 1908–1914. Aussichtskanzel.Foto: Sabrina DohleAbbildung auf der Umschlagrückseite: Formenskizze. Um 1920. Kohle auf Tonpapier. DIFAbbildung Seite 2 (Frontispiz): Bühnenbildskizze zum Sommernachtstraum. 1926. Pastellkreide auf Tonpapier. NPHAbbildung Seite 7: Haus des Rundfunks. Berlin-Charlottenburg. 1928–1931. Nebentreppenhaus. Foto: Sabrina Dohle

Diese Ausgabe wurde auf chlor- und säurefrei gebleichtem, alterungsbeständigem Papier gedruckt.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2007für die abgebildeten Werke vonJean BazaineWalter GropiusCandida HöferWassily KandinskyAugust Sander

1. AuflageCopyright © 2007 Deutsche Verlags-Anstalt, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle Rechte vorbehaltenFarbaufnahmen von Bauten Poelzigs im heutigen Zustand: Sabrina Dohle,Technische Universität Kaiserslautern (Abweichungen siehe Bildnachweis Seite 266)Gestaltung: Alexandra Rusitschka und Rainald Schwarz, MünchenSatz: WIGEL, MünchenGesetzt aus der Berthold Garamond und Futura Lithographie: Helio Repro, MünchenDruck und Bindung: Freiburger Graphische BetriebePrinted in GermanyISBN: 978-3-421-03623-0

www.dva.de

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Dokumente und Anhang 183

Hans PoelzigLebensdaten 184

Briefe und SchriftenEine Auswahl unveröffentlichter oder schwer zugänglicher Äußerungen Poelzigs 190

Hans-Stefan BolzWerkverzeichnis 212

Literatur in Auswahl 252

Register Namen 258Register Orte 262

Bildnachweis 266

Die Autorinnen und Autoren 268

Vorwort 6

Wolfgang PehntWille zum AusdruckZu Leben und Werk Hans Poelzigs 10

Matthias SchirrenWiederholte SpiegelungenHans Poelzigs Architekturreflexionen 52

Hans-Dieter NägelkePoelzig vor PoelzigLehr- und Lernjahre des Architekten 84

Jörg StabenowInterpret des TechnischenHans Poelzig als Industriearchitekt 94

Peter Cachola Schmal, Wolfgang VoigtImmer eine große LinieDas Verwaltungsgebäude der I.G. Farbenindustrie in Frankfurt am Main und andere Verwaltungsbauten 112

Heike HambrockKollektive FestlichkeitTheater und Festbau der Zukunft 126

Claudia DillmannWirklichkeit im SpielFilm und Filmarchitektur 144

Christian MarquartGemalte BalladenEin Architekt als Maler 160

Sylvia ClausSchüler und SchuleHans Poelzigs Lehre 172

Inhalt

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Stadtmuseum BautzenAgentur für Bilder zur Zeitgeschichte, BerlinAkademie der Künste, Berlin, ArchivArchitekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der UniversitätsbibliothekBerlinische Galerie, Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur, BerlinBundespräsidialamt, BerlinDeutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, BerlinDeutsches Historisches Museum, BerlinCandida Höfer, Johnen/Schöttle, Berlin/KölnLandesarchiv BerlinStaatliche Museen zu Berlin, NationalgalerieLandesarchiv Nordrhein-Westfalen Hauptstaatsarchiv DüsseldorfStadtarchiv DüsseldorfDeutsches Architekturmuseum, Frankfurt am MainDeutsches Filminstitut – DIF e.V., Frankfurt am MainDZ BANK Kunstsammlung, Frankfurt am MainUniversität Frankfurt am MainMuseum für Kunst und Gewerbe HamburgNachlass Hans Poelzig, HamburgBadisches Landesmuseum KarlsruheLandesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv KarlsruheSüdwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Universität KarlsruheHistorisches Archiv des Erzbistums KölnPrivatbesitz, KölnMuseum Ludwig Köln/Fotografische SammlungenStiftung Galerie für Zeitgenössische Kunst LeipzigKunsthalle MannheimLandesarchiv Nordrhein-Westfalen Staatsarchiv MünsterDr. Roland Reichwein, MünsterPorzellanfabriken Christian Seltmann GmbH, Weiden i. d. Opf.Muzeum Architektury we WrocławiuMarkus Lüscher, Zürich

Leihgeber

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Ein Unternehmen wie dieses verdankt sich zahlreichen Hel-fern. Wir danken allen Leihgebern, Autoren und Mitarbeitern derDeutschen Verlags-Anstalt München, Kolleginnen und Kollegen,besonders aber: Freifrau I. von Andrian-Werburg, GermanischesNationalmuseum, Nürnberg; Beate Dannhorn, Deutsches Film-institut – DIF, Frankfurt am Main; Dr. Carla Freudenreich, Deut-sche Verlags-Anstalt, Random House, München; Dr. Heike Ham-brock, Frankfurt am Main; Jerzy Ilkosz, Muzeum Architektury,Breslau; Dr. Annemarie Jaeggi, Bauhaus-Archiv, Museum für Ge-staltung, Berlin; Florian Kerner, Johnen Galerie, Berlin; Dr. Heid-run Laudel, Dresden; Dipl.-Ing. Markus Lüscher, Zürich;Dr. Friederike Mehlau-Wiebking, Winterthur; Dr. Ulrich Pohl-mann, Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum; Dr. ChristmutPraeger, Mannheim; Dr. Andreas Schätzke, Technische Univer-sität Kaiserslautern; Dipl.-Ing. Tanja Scheffler, Technische Uni-versität Dresden; Gudrun Schneider, Akademie der Künste,Berlin; Dr. Rosa von der Schulenburg, Akademie der Künste, Ber-lin; Sieglinde Weidner, Porzellanfabriken Christian Seltmann,Weiden i. d. Opf.

Der Dank gilt auch den Autoren, von deren Arbeiten wir be-sonders profitiert haben und die nicht in diesem Band vertreten

sind. Brigitte Mayer, München, schlug mit ihrer Dissertationüber Hans Poelzig in den achtziger Jahren eine erste Schneise indie bis dahin von Freunden und Schülern dominierte Literatur,aus der die Biographie von Theodor Heuss und die Publikatio-nen Julius Poseners nach wie vor hervorragen. Hartmut Frank er-arbeitete in Aufsätzen zu Früh- und Spätwerk Poelzigs wichtigeErkenntnisse zur ideologischen Fundierung von Poelzigs Kunst.Beate Störtkuhl vom Bundesinstitut für ostdeutsche Kultur undGeschichte in Oldenburg und Jerzy Ilkosz, Direktor des BreslauerArchitekturmuseums, haben gemeinsam mit Kollegen die Bres-lauer Jahre Poelzigs in einem deutsch-polnischen Gemeinschafts-unternehmen mit mustergültiger Akribie aufgearbeitet.

Die Nachkommen Hans Poelzigs haben das Projekt tatkräftigunterstützt. Vor allem Marlene Krüger-Poelzig und AngelikaBlaschke haben uns viele Stunden der Gespräche, der Beratungund der Ermunterung gewidmet. Ohne ihr Engagement wärenweder Ausstellung noch Katalog möglich gewesen.

Wolfgang PehntMatthias Schirren

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Abkürzungen oft zitierter Institutionen:

AdK Akademie der Künste, Berlin, ArchivATUB Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

in der UniversitätsbibliothekDAM Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am MainDIF Deutsches Filminstitut – DIF e.V., Frankfurt am MainGNM Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg,

Archiv Nachlass PoelzigNPH Nachlass Hans Poelzig, Hamburg

Abgekürzte Literaturangaben sind aus dem Verzeichnis »Literaturin Auswahl« (S. 252–257) zu entschlüsseln.

Essays

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In Äußerungen über den Architekten und Künstler Hans Poelzigkehrt ein Wort immer wieder, das der Meister auch selbst oft undgern gebraucht hat: ein Kerl. Als »Kerl«, als vitales Mannsbild, alsvulkanisches Naturereignis, als elementare Kraft, als »übermensch-lichen Schöpfer« haben ihn zeitgenössische Autoren wie AdolfBehne, Franz Landsberger, Walter Müller-Wulckow oder PaulWestheim charakterisiert.1 Vom »gewaltsamen, kraftgenialisch sichgebärdenden, renommierend auf den Tisch schlagenden Tempe-rament« schrieb mit weniger freundlichen Worten Karl Scheffler.2

Kann man sich vorstellen, dass Poelzigs seigneuraler Kollege PeterBehrens als »Kerl« bezeichnet worden wäre? Oder der Gentleman-Architekt und Bauhaus-Gründer Walter Gropius? Oder dessenübernächster Nachfolger im Amt des Bauhauschefs, der wortkargeLudwig Mies van der Rohe? Oder sein Kollege an der TechnischenHochschule Berlin, der stille Heinrich Tessenow? Nur für Poelzig,um 1920 immerhin ein Fünfzigjähriger und kein jugendlicher Heiß-sporn, schien den Zeitgenossen das Kraftwort angemessen.

Der geniale Himmelsbursche

Als die Äußerungen der Behne, Scheffler oder Westheim fielen,gehörte die kraftgenialische Attitude zum Verhaltenskodex der Ex-pressionisten-Generation. Aber die Einschätzung Poelzigs als einerVollblutnatur war nicht an diesen zeitgeschichtlichen Augenblickgebunden. Sie hielt sich durch die Jahre hindurch und bezeich-nete Züge der Person, wie die Zeitgenossen sie dauerhaft wahrnah-men und wie Poelzig selbst sie wahrgenommen wissen wollte. »Einganzer Kerl in dieser Zeit«, fand auch die Malerin Charlotte Beh-rend, die den Meister 1926 porträtierte, in offenbar sehr vergnüg-lichen Sitzungen. Der Herr Professor sang nicht ganz salonfähigeLieder, über die Malerin und Modell Lachtränen vergossen.3

Noch in den Würdigungen zum 60. Geburtstag im Jahre 1929,als in der avantgardistischen Kunstszene Neue Sachlichkeit ange-sagt war, findet sich die würzige Vokabel wieder. Frankfurts Stadt-planer Ernst May, obgleich er sich zu einer »anderen Richtung« desBauens bekannte, sah in seinem Berliner Kollegen »ein Stück Natur,ein[en] Kerl von Fleisch und Blut«.4 Und wenn schon nicht dasWort vom »Kerl« fiel, dann waren es Prädikate wie der »genialsteHimmelsbursche«, dem man »in dieser figurenarmen Zeit« begeg-nete. Oder der große Junge mit der »ungehemmten Natürlichkeiteines Kindes«, »ein junger Mann von sechzig Jahren«. Bruno Tautwusste Poelzigs inneres Alter sogar genau zu bestimmen: »60 Jah-re – unmöglich! Wenn er lacht, bleibt er für alle Zeiten 9 Jahre alt.«5

Wolfgang Pehnt

Wille zum AusdruckZu Leben und Werk Hans Poelzigs

Poelzig hat diese Rolle dankbar akzeptiert, die letzten Lebensjah-re ausgenommen; er verdankte ihr sein Alleinstellungsmerkmalauf der zeitgenössischen Architekturbühne. Seine Begabung, sichselbst, den Poelzig, zu spielen, bewunderte schon sein erster Bio-graph, Theodor Heuss, in seiner von keiner späteren Darstellungübertroffenen Lebens- und Werkschilderung.6

Was man in der Person wahrzunehmen glaubte, überbordendeKraft und starken Auftritt, erkannte man im Werk wieder. Schonim ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, das auch das erste Jahr-zehnt in Poelzigs Œuvre war, wuchsen die Entwürfe ins Titanische.Die monumentalen Entwürfe für drei Wassertürme in Hamburg,nach den Heiligen Drei Königen benannt, die Talsperre im sächsi-schen Klingenberg, deren gekrümmte Mauer sich dramatisch ge-gen den Druck des gestauten Wassers stemmt, oder die erodierteBastion des Bismarckdenkmals, die er in den Hang der Elisenhöhebei Bingerbrück rammen wollte, nahmen in den Augen ihrer Be-trachter zyklopische Ausmaße an. Phantasie half nach, Zahlenwurden gern nach oben aufgerundet. Die Zauberhöhle des BerlinerGroßen Schauspielhauses (1919), die 3 500 Zuschauer fasste, wurdeimmer wieder als »Theater der Fünftausend« apostrophiert.

In den späteren zwanziger Jahren geriet Poelzig dann tatsäch-lich an – redlich in Wettbewerben erstrittene – Aufträge, die nichtnur für die damalige Zeit kolossal waren, auch wenn sie stärker alsdie vorausgegangenen genialischen Projekte durch den Nutzzweckbestimmt waren. Der Berliner Thermenpalast, ein gewaltiges, über-kuppeltes Hallenbad, sollte 2 650 Liegeplätze bieten, die Sport-halle, gleichfalls unrealisiert, 25 000 Zuschauer unter einer Rund-kuppel von 138 Metern Spannweite vereinen. Am Funkhaus an derBerliner Masurenallee, dem »Riesenfunkpalast«, beeindruckten die150 Meter Fassadenlänge und die »unermeßlichen Dimensionen«des großen Konzertsaals.7 Das Konzerngebäude der I.G. Farben inFrankfurt am Main, eine Stadtkrone am Rande der Innenstadt, wur-de als »Haus der zweitausend Fenster« gefeiert oder geschmäht undgalt als das größte Verwaltungsgebäude Europas.8 Die »Schauburg«,die er 1932 als gewaltiges, mit Massenveranstaltungen bespielbaresReichsehrenmal in Thüringen entwarf, näherte sich mit 20000 pro-jektierten Sitzplätzen den Größenordnungen, die bei den Thing-stätten des Dritten Reiches üblich wurden: 170 Meter lang und155 Meter breit. Poelzig avancierte zum Baumeister der Superlative,der große Massen bewegt, Baumassen und Menschenmassen. Vom»Mut, der das Unmögliche begehrt«, sprach Poelzig selbst.9

Charlotte Behrend-Corinth. Porträt des Architekten Hans Poelzig. 1926. Öl auf Leinwand. Nationalgalerie, Staatliche Museen, Berlin

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Manchen Zeitgenossen mochte Poelzig als ein Meister Ger-hardt unserer Tage erscheinen, der die Dome der Gegenwart, ihreGroßbauten, errichtet und seinen Pakt mit dem Zeitgeist geschlos-sen hat, oder als ein zweiter Prometheus. »Nur der Haß gegen dieGötter ist schöpferisch und bringt, erkämpft den Menschen dasNeue.«10 In den expressionistischen Tagen, in denen sich der Künst-ler gern zum Dämon stilisierte und Walter Gropius beispielsweiseals nietzscheanischer Übermensch auftrat, liest man auch bei Poel-zig: »In mir wohnen viele Seelen oder Teufel, wie man es nennenwill.«11 Ein ferner, verzerrter Nachklang dieses dämonisierten Cha-rakterbildes findet sich in einem abstrusen amerikanischen Filmaus dem Jahre 1934, The Black Cat. Die zentrale Figur, ein Archi-tekt namens Hjalmar Poelzig, feiert schwarze Messen und errich-tet sein Werk über den Gräbern des Weltkriegs. Inszeniert hatden Hollywood-Streifen Edgar G. Ulmer. Dessen Tätigkeit alsjunger Mann beim Film hatte einst mit Handlangerdiensten beider Produktion des Golem-Filmes in den Szenenbildern HansPoelzigs begonnen.12

Bekennender Preuße

Woher bezog Poelzig, der sich als ein Ausbund an Temperamentinszenierte, die Kraft zu seinen vielen Aktivitäten? Poelzigs Her-kunft ist von Legenden umgeben. Seinen Namen trägt ein Ritter-gut im Thüringischen, nördlich von Ronneburg gelegen. DurchKauf und Erbgang kam es an die Herzöge von Sachsen-Coburg.Eine geschiedene Gattin des Herzogs Ernst I. von Sachsen-Coburg,Mutter des späteren britischen Prinzgemahls Albert, heiratete inzweiter Ehe den Haudegen Alexander von Hanstein, dem das Her-zogshaus Gut und Grafentitel Poelzig überließ. Eine Tochter desGrafen aus dessen eigener zweiter Ehe, Clara Henriette Maria,heiratete den Engländer George Acland Ames. Hans war bereitsihr sechstes Kind. Ames erkannte jedoch die Vaterschaft nicht an.Der Junge wuchs im brandenburgischen Dorf Stolpe bei demKantor Emil Liese auf und trug zunächst dessen Familiennamen.Von seiner Herkunft erfuhr er erst als Heranwachsender. Das Ver-hältnis zu den Pflegeeltern, vor allem zum musikliebenden Vater

Entwurf Thermenpalast. Berlin 1928

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Wolfgang Pehnt / Wille zum Ausdruck

Liese, scheint herzlich gewesen zu sein; als junger Mann hat erihn vielfach in liebevollen Zeichnungen und Skizzen festgehal-ten. Von der eigenen Mutter, die nach ihrer Trennung von Amesauf Schloss Poelzig lebte und ihren Sohn nur selten inkognito be-suchte, bewahrte er eine lediglich schattenhafte Erinnerung. Siestarb 1879, als der Junge zehn Jahre alt war.13

Dieses Schicksal, das mancher sensiblen Natur Verwundun-gen zugefügt hätte, scheint Hans Poelzig ohne größere Narbenverarbeitet zu haben – es sei denn, das Bramarbarisierende, Auf-trumpfende, die ständigen Bekundungen seiner schöpferischen Po-tenz nach außen hin wären als Kompensation kindlicher Defizitezu verstehen. Poelzig besuchte ein humanistisches Gymnasium

in Potsdam, wo er in einer Schülerpension lebte, und von 1888 bis1894 die Technische Hochschule in Charlottenburg, das damalsnoch eine selbständige Stadt war. Die Familie Ames half finanziell,wozu sie möglicherweise aufgrund eines Erbschaftsvertrags ver-pflichtet war.14 Preußischer Barock und preußischer Klassizismuswaren in Potsdam und dann in Berlin und Charlottenburg selbst-verständliche Augenerlebnisse des jungen Poelzig.

Poelzig, der in der Mark aufwuchs und einige Jahre seines Le-bens in Potsdam verbrachte – seine Gymnasiumszeit, die Jahre, indenen er Meisteratelier und privates Büro in den feudalen Wirt-schaftsflügeln (»Communs«) hinter dem Potsdamer Neuen Palais

hatte –, empfand sich als Preuße. »Ich bin fanatischer Preuße,nicht Deutscher, das schlappe Gesindel liebe ich nicht, mit blon-dem Vollbart, dünnem Haar, schwachen Gliedern, schmerzge-beugt und weltbürgerlichem Idealismus.«15 Eine schmeichelhafteBestätigung dieses gefühlten Preußentums muss ihm 1916 das BuchArthur Moeller van den Brucks Der Preußische Stil verschafft haben.Der »konservative Revolutionär« Moeller van den Bruck, der dasalte Preußen in moderner Form wiederbeleben wollte (»Preußenmuß sein«), berief sich unter den neueren Baumeistern vor allemauf Peter Behrens. Doch auch Poelzig wurde als Kronzeuge eines

Jean Legeay, Karl von Gontard. Kolonnade der Communs. Potsdam 1766–1769

Wettbewerbsentwurf Königliches Opernhaus Berlin. 1912. Lichtpause. ATUB

Vater [Liese]. 4. Oct.[18]87. Bleistift. In:Skizzenbuch »EmilLiese«. NPH

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neuen Preußentums benannt: »Nicht nur das Gefühl für Flächeund flächige Wirkung erneuerte sich, auch dasjenige für plastischeDurchbildung des architektonischen Körpers kehrte zurück – undals Poelzig seinen überschwänglichen Entwurf für die neue BerlinerOper schuf, für dieses musische und zugleich repräsentative Haus,da schien zwischen Rokoko und Frühklassizismus, zwischen Kno-belsdorff und Schinkel, zwischen Gluck und Mozart nun wirklichdie spielende und würdevolle, heitere und ganz wunderbare Ver-bindung geschlagen zu sein.«16

Aber das Volumen des ungebauten Opernhauses und erst rechtseine reiche Fassadenstruktur entzogen sich den vertrauten Größen-verhältnissen und der Diskretion des preußischen Klassizismus.Treffender war die Bemerkung Schefflers, der den Vergleich zu ret-ten suchte, indem er behauptete, Poelzig habe »das Preußentumins Großstädtische so sehr übersetzt, daß es amerikanische Zügeangenommen hat«.17 Kritiker wie Kritisierter suchten jedenfalls dieInanspruchnahme Poelzigs als Testamentsvollstrecker des nationa-len Erbes in der Moderne offenzuhalten.

In Poelzigs positivem Preußen-Bild war Berlin nicht mitge-meint. Von der Hauptstadt galt: »In dieser dünnen Luft steht keineForm, sie sei denn von Papier.«18 Auf dürrem Kiefernboden ent-standen, habe die Stadt eine trockene, phantasielose Menschenarthervorgebracht, der jeder Überschwang fremd sei. Karl Schefflers

Philippika gegen die Kolonialstadt Berlin scheint in Poelzigs Ur-teil durch. Berlin besitze »etwas von der Formlosigkeit einer mo-dernen Arbeitsstadt«, ohne Sinn für den schönen Überfluss derKünste und die feinere Lebensart, hatte der Kunstkritiker geschrie-ben. Schefflers Berlin-Buch brachte verbreitete Vorbehalte gegen-über diesem Ort »nüchterner Lebenspraxis« zum Ausdruck undhalf sie seinerseits verbreiten. Die Chance der Stadt sah Schefflerin der »monumentalen Nützlichkeit« der Großstadtidee. Sie zuverwirklichen bedurfte es laut Scheffler der starken Organisato-ren, der »außerordentlichen Willensmenschen mit der großen Lei-denschaft zur Tat«.19 In deren Beschreibung könnte man ein PorträtPoelzigs vermuten, wenn Scheffler nicht Poelzigs Arbeit sehr kri-tisch bewertet hätte.

Als Metropole jedoch bot die geschmähte deutsch-preußischeHauptstadt ihrem langjährigen (und gern berlinernden) BewohnerPoelzig ein Ambiente, auf das er nach seinen ersten beiden be-ruflichen Hauptstationen Breslau und Dresden nicht verzichtenkonnte. Hatten in der schlesischen Provinz Gleichgültigkeit undZurückhaltung geherrscht – »schwer ist der Boden um Breslauherum«20 – und an der Elbe die tolerante Milde des sächsischenKunstmilieus, so wehte im intellektuellen Berlin die scharfe Luftdes Konkurrenzdenkens auch unter Künstlern und ihren Auftrag-gebern. Karriereförderliche Kontakte ließen sich hier zu Ministe-rien und Verbänden herstellen. Die Milieus der Künstler und Me-dienleute, Theater, Kino und Presse boten Chancen und Anregun-gen, die anderswo in Deutschland nicht zu finden waren. Viele

Kino Capitol. Berlin-Charlottenburg 1924–1926

Porzellan-Palais. Leipzig 1918–1921

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spätere Aufträge Poelzigs haben mit jener temporeichen Haupt-stadtzivilisation zu tun, die erst im künstlichen Licht der langenGroßstadtnächte zu ihrem eigentlichen Leben erwacht. PoelzigsBühnen- und Filmprojekte, die projektierten oder realisierten Kon-zertsäle, Kinos, Veranstaltungs- und Sporthallen, das Haus desRundfunks, dessen Bauherr die Reichsrundfunk-Gesellschaft war,die Planungen für Großverwaltungen, Kaufhausmagnaten undReichsbehörden gehörten zur Metropolenkultur, denkbar nur inder politisch-ökonomischen Zentrale des Staates.

Poelzigs Verdikt gegen das »schlappe Gesindel« der Deutschen(im Gegensatz zu den Preußen) erstreckte sich nicht auf derenKunstproduktion. In den expressionistischen Jahren kurz nachdem Ersten Weltkrieg, als solche Bekenntnisse in der Luft lagen,finden sich bei ihm Hymnen auf die künstlerische Vergangenheit

der Deutschen, auf »die vielgestaltige, mystisch tiefe, groteske undliebliche Seele der Deutschen«, auf ihre »starke und zugleich krauseArt«, auf die reichen Spät- und Übergangsstile der romanischenDome, die deutsche Sondergotik, die nordische Spätrenaissance,das Barock der Asam, Prandtauer und Pöppelmann. »Wo ist dasVolk in Europa, das dem Zwinger in Dresden, dem süddeutschenoder österreichischen Barock etwas Wesensgleiches entgegenstellenkönnte?«21 Poelzig spielte hier – sozusagen mit Pedal – auf derKlaviatur nationalkonservativer Klischees, die von der zeitgenös-sischen deutschen Kunstgeschichte, von Georg Dehio bis WilhelmPinder, reichlich bedient wurden.

Als Garant deutscher Kunsttraditionen sahen andere AutorenPoelzig selbst. »Er wird gar nicht wissen, wie deutsch dies Aufrau-schen, dies ins Unendliche Steigen, sich Dehnen, sich ins Ewige

Hans Poelzig mit Marlene Moeschke. Entwurf fürAelteste Volkstedter Porzellanmanufaktur. 1920. Bleistiftauf Papier. Kunsthalle Mannheim

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verlieren, dies immer Suchende, nie Ruhende eigentlich ist. Er wirdnicht wissen, daß seine eigene neue – oder immer gewesene – Linieschon anfängt bei Dürer, dessen Holzschnittbäume sich ebensorauschend aus dem Boden und ins Leben hinein winden wie Poel-zigs Kandelaber, daß sie da ist, diese Linie, bei Albrecht Altdorfer,bei Grünewald, daß sie Rembrandts Geheimnis bestimmt und alsHöchstes in zahllosen deutschen Schlössern und Kirchen des18. Jahrhunderts beseligende Triumphe feiert«, umschrieb 1921 FritzWichert, Gründungsdirektor der Mannheimer Kunsthalle, ange-

sichts der wildbewegten Porzellan-Schöpfungen Poelzigs den Ortdieses Künstlers in der deutschen Kunstgeschichte.22 Dass inWicherts Aufzählung Rembrandt kurzerhand in den deutschenSeelenhaushalt eingemeindet wurde, entsprach der Ideologie, dieJulius Langbehn 1890 in seinem enorm erfolgreichen Traktat Rem-brandt als Erzieher unter die Leute gebracht hatte.

Poelzigs kunsthistorische Bildungsreisen beschränkten sichmehr oder weniger auf den deutschen Sprachraum. In RichtungUSA hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg ein reger Fachtou-rismus entwickelt, der sich nach 1918 zu einem wahren Touristen-strom steigerte. Gropius, Wassili Luckhardt, May, Mendelsohn,Bruno Paul, Rading, Bruno Taut, Poelzigs Freund Martin Wagnerund wer nicht alles ließen sich von der Skyline New Yorks oderChicagos beeindrucken. Poelzig war nicht darunter. Er begnügtesich damit, Hochhaus-Silhouetten auf dem Zeichenpapier zuimaginieren, so wie er auch 1916 den verwegenen Eingriff in dasStadtbild Istanbuls, das Haus der Freundschaft, plante, ohne denOrt in Augenschein zu nehmen. Fast alle anderen Teilnehmer desWettbewerbs hatten den Bauplatz besichtigt.

Stilfragen

Der maßgebliche Hochschullehrer in Poelzigs Ausbildungsjahrenwar Carl Schäfer (1844–1908, vgl. S. 54–56, 84–88). Poelzig gedachteseiner noch in der großen Rede, die er 1931 vor dem Bund DeutscherArchitekten hielt. Ähnlich wie später Poelzig selbst war Schäfereine Kraftnatur, pädagogisch hochbegabt, dazu ein Despot, ein»eifriger Gott«, wie Fritz Schumacher – ein genauer AltersgenossePoelzigs – den Lehrer nannte. »Je berühmter die Herren waren, umso weniger schienen sie mir lebendig geblieben«, meinte Schu-macher über das Charlottenburger Lehrpersonal. Schäfer war dieAusnahme, er gab seinen Schülern »festen Boden zum Vorwärts-schreiten unter den Füßen«.23

Der Rang seiner Schüler spricht für Schäfer. Neben Poelzig undSchumacher gehörten Hermann Muthesius oder Paul Schmitt-henner dazu. Schäfers Eingriffe in Baudenkmäler wie das Heidel-berger Schloss oder den Dom in Meißen, die er in einen fiktivenIdealzustand zu überführen suchte, zogen in den beginnendenAuseinandersetzungen um die Grundsätze der Denkmalpflege,um Restaurieren oder Konservieren, Rekonstruktion oder Erhal-tung heftige Kritik auf sich. Poelzig dagegen erlebte seinen »un-vergeßlichen Lehrer«24 als einen neogotischen Architekten, der wieEugène Emmanuel Viollet-le-Duc in der Gotik vor allem das ge-

Carl Schäfer. Hörsaalgebäude der Universität. Marburg 1872–1877

Kaiserliche Palastaula (Basilika). Trier um 310 n. Chr.

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löste konstruktive Problem sah. Form war bei Viollet wie bei Schä-fer durch ihren Dienst innerhalb der Konstruktion bestimmt. »Ererklärte auf Grund seiner großen handwerklichen Sachkunde undseiner konstruktiven Denkklarheit überall das Warum der Erschei-nungen.«25 Schäfer vermittelte seinen Studenten nicht nur dasHandwerk, sondern auch den Stolz darauf – für Poelzig eineLehre fürs Leben.

Verständlicherweise erinnert Poelzigs »Stadthaus«-Entwurf fürden Schinkelpreis des Berliner Architekten- und Ingenieur-Vereins1898 an Schäfers Marburger Hörsaalgebäude von 1872–1877, eklek-tisch nicht nur in der Beziehung aufs Vorbild Gotik, sondernauch in der Mischung der malerischen Elemente innerhalb desEntwurfs. Über dem gotisierenden Ensemble ragt auf dem Fest-saaltrakt ein Falthelm in rheinischem Übergangsstil empor. Aneinem der zahlreichen Türme und Türmchen probierte der wer-dende Architekt sogar bisher ungesehene Formen aus. In Poelzigsspäterer expressionistischer Phase wurde die Gotik dann noch ein-mal unter einem anderen Aspekt eine Berufungsinstanz, als leuch-tendes Vorbild einer ars magna, die alle Sonderkünste zum Gesamt-kunstwerk zusammenführte und unter dem Handwerk »etwas ganzund gar Geistiges« verstand.26

Welchen baugeschichtlichen Interessen der junge Poelzig da-mals nachging, darüber gibt das Itinerar der Reise Auskunft, dieer mit dem Stipendium des Schinkelpreises im Sommer 1898 un-ternahm. Sein Studienkollege Blunck absolvierte eine klassischeKavalierstour durch Italien, Frankreich und Spanien. Poelzig da-gegen blieb in deutschsprachigen Landen, was auch der Reisekassevon Kantor Lieses Pflegesohn bekömmlicher war. Blunck war imgroßen Stil unterwegs in Neapel, Granada, Barcelona und Paris,Poelzig sehr viel bescheidener in St. Goar, Wimpfen und Melk.Barocke Baudenkmäler machten einen größeren Teil von PoelzigsReisezielen aus. Die Faszination dieser Epoche hielt sich für ihn, inder Dresdner Zeit ein ergriffener Anhänger des Barock, jetzt nochin Grenzen. Man spürt, dass die kunsthistorische Neubewertungdieses Stils durch Robert Dohme und vor allem durch CorneliusGurlitt in dessen dreibändiger Geschichte des Barockstiles (Stuttgart1887–1889) erst seit wenigen Jahren im Gange war.

Prägend für Poelzigs künftige Arbeit war die Beschäftigung mitromanischen Bauzeugnissen. Die Kaiserdome in Mainz, Wormsund Speyer, aber auch die Benediktinerabtei Maria Laach und dieDome von Würzburg und Bamberg waren prominente Baudenk-mäler seiner Reiseroute. Die Mauerschwere der romanischen Bau-werke, in die unterschiedliche Schichten eingetieft werden konn-ten, ihr physisch-psychisches Gewicht, die überfangenden Rund-

bögen, die zugleich römische Großbauten wie die Palastaula inTrier27 evozierten, die Wirkung des Kolossalen mussten einen Ar-chitekten beeindrucken, der zumindest in einem Teil seines Werksdie »ruhige Monumentalität des Massen-Stils«28 suchte. Im wilhel-minischen Kaiserreich war Neoromanik zu einer Art Staatsstil ge-worden. Mit Vorliebe wurde er an den westlichen und östlichenStaatsgrenzen, aber auch in der Kapitale (»Romanisches Viertel«)eingesetzt. Anders als bei der in den französischen Kronlandenentstandenen Gotik musste das Recht der historischen Erstgeburthier nicht dem Erbfeind Frankreich überlassen werden. Von derAachener Pfalzkapelle Karls des Großen bis zum staufischen Casteldel Monte Friedrichs II. war Romanik mit mittelalterlicher Reichs-ideologie verknüpft. »Eine ganz neue, im romanischen Stile

Jahrhundertausstellung. Breslau 1911–1913Detailstudie Ausstellungsgebäude. Schwarze Kreide auf Transparentpapier. Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur

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schlummernde Möglichkeit offenbart sich hier: er ist geeignet, fürdie Vorstellung einer ganz verallgemeinernden ›Urbaukunst‹ be-stimmende Anregungen zu geben.«29

Poelzig hat Stilformen nie wörtlich übernommen. Aber er hatsie auch nicht von vornherein abgelehnt. »Ich weiß ja ohnediesnicht, was ein Künstler ohne die Vergangenheit machen will, […]ohne sie zu fressen mit Haut und Haaren, um sie zu überwindenund etwas zu schaffen, was neben ihr Bestand hat.« Sein Meister-schüler Rudolf Schwarz sprach, als ob er diesen Satz gekannt hätte,von einer »fast biologischen Einverleibung des Geschichtsstoffes«.30

Man durfte sich nicht in die Abhängigkeit von der Geschichtebegeben. Doch man sollte sich auch nicht ihren Maßstäben undLehren verweigern. »Auch ich hasse die Historie, soweit sie micheinzwängen will, und liebe die Vergangenheit, soweit sie künstle-rische Instinkte bei mir weckt.«31 Dazu taugte ihm die mittelalter-liche Burgruine wie der buddhistische Stupa, die kristalline Kathe-drale wie die barocke Massenregie, der ernste Rundbogen wie dieflächenverzehrende Rocaille.

Dass alle historischen Erinnerungen vor den Anforderungender Gegenwart, der neuen Nutzungen und der modernen Kon-struktionsarten, zu bestehen hatten, bedeutete für ihn eine Selbst-verständlichkeit von Anfang an. Im Übrigen aber ließ sich für Glie-

derung und Disposition, sogar für die Arbeit am Grundriss Gewinnaus der Beschäftigung mit der Historie ziehen. Julius Posener sprachvon einem »Eklektizismus der Methoden«, nicht der Formen beiPoelzig.32 Er ließ es nicht zu einem endgültigen Bruch mit der Ver-gangenheit kommen, wie ihn seine avantgardistischen Kollegenvom Neuen Bauen nach 1920 vollzogen oder zumindest vollzogenzu haben behaupteten. Die freie Konvertierbarkeit des tradiertenMaterials, die der Student an der Hochschule gelernt hatte, wirktebeim Meister nach. Es war eine der Eigenschaften, die seine Bautenvon denen der Radikalmoderne unterschieden und Poelzigs Son-derstatus in der neuen Architekturszene begründeten. Noch 1929,zu Poelzigs 60. Geburtstag, äußerte Adolf Behne als Parteigängerdes Neuen Bauens den herzlichen Wunsch, der Meister, »der zugleichen Teilen Mensch des Mittelalters, des Barocks und der Ge-genwart« sei, möge sich »wieder einmal ganz fest und stark auf die-se Erde stellen« – auf den Boden der zeitgenössischen Tatsachen.Denn in der Gegenwart sei er »leider immer nur als Gast«.33

Manchmal findet sich ein Gebrauch historischer Zitate, dergeradezu an postmoderne Usancen erinnert. Sogar die Ambiva-lenz der Deutungen, die »Mehrfachkodierung«, die bei den Post-modernen zum Verfahren gehörte,34 beherrschte Poelzig. So bezo-gen sich die in Beton gegossenen Stützen und Kapitelle der Pergola

Jahrhundertausstellung.Breslau 1911–1913Pergola

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und die zahlreichen dorischen Halb- und Vollsäulen am Ausstel-lungsgebäude auf dem Breslauer Ausstellungsgelände von 1913 einer-seits auf die Eigenart des viskosen Materials, das in Schalungen zuseiner Form erhärtet wird, andererseits auf den Gedenkanlass, dieErinnerung an das heroische Zeitalter der napoleonischen Kriegevon 1813, als Preußens künftiger Architekturregent Karl FriedrichSchinkel das Erbe von Friedrich Gillys Revolutionsklassizismusanzutreten begann.

Poelzig, der die historischen Stile in wechselnden Graden derWeiterverarbeitung und Abstrahierung nutzte, sie ebenso oft aberauch gänzlich beiseite ließ, hat auch das klassisch-klassizistischeRepertoire aufgegriffen und transformiert. Noch das KraftwerkSchulau, das er 1927/28 zusammen mit Werner Issel an der Unter-elbe errichtete, ist mit einer monotaktischen Folge stockwerks-übergreifender, bis zu einer Attikazone reichender Mauerstreifengegliedert, die an den Industrieklassizismus der Vorkriegszeit den-ken lässt. Poelzig selbst hatte das Motiv bei entsprechenden Auf-gaben mehrmals verwendet,35 neben und nach den mit Rundbögengeschlossenen, gebäudehohen Lisenen, die er oft am Außenbaueinsetzte.

Reformwille und Heimatschutz

Die große Form zu entwickeln, dafür gab es in den allererstenBreslauer Jahren noch wenig Anlass. »Breslau ist die Großstadt inDeutschland, die die allergeringste Prätention hat.«36 Der Einwoh-nerzahl der Stadt entsprach diese Zurückhaltung nicht; mit über420000 Einwohnern war sie die fünftgrößte im Reich. Poelzig wur-de im Jahre 1900 aufgrund eines verwegenen Aktes von Protektion37

an die Königliche Kunst- und Kunstgewerbeschule berufen. Aneigenen sichtbaren Leistungen hatte der Einunddreißigjährige bisdahin nichts aufzuweisen. Seine kurze Tätigkeit im TechnischenBüro des Ministeriums für Öffentliche Arbeiten bot keinen ein-leuchtenden Befähigungsnachweis für die pädagogische Arbeit inder Schule. Umso überraschender war die Souveränität, mit dersich der junge Architekt durchsetzte und Anerkennung und Re-spekt bei Lehrerkollegen und Schülern erwarb.

Im Nachhinein hat Poelzig seine Meriten bei der Reformie-rung des Breslauer Unterrichts heruntergespielt.38 Schulwerkstättenals Versuchs- und Lehrateliers, wie sie im Zusammenhang mit derKunstgewerbereform eingeführt und besonders intensiv nach demKrieg gefordert wurden, existierten in Breslau bereits.39 Sie wurdenvon Poelzig ausgebaut und um weitere Werkstätten erweitert. Sein

Verdienst sah er in der Zusammenführung der Lehrwerkstättenbei gemeinsamen Aufgaben wie dem Ausbau des Rathauses inLöwenberg. Poelzig selbst leitete die Tischlerei und führte Lehr-veranstaltungen unter dem Etikett »Materialstillehre« ein, die füralle Schüler offenstanden (vgl. S. 172–182).

Die Bauaufträge, die den jungen Architekten in den erstenBreslauer Jahren erreichten, betrafen Einfamilienhäuser, Woh-nungsbauten in der Stadt, Restaurierungen und Um- oder An-bauten von kirchlichen Bauwerken, den Neubau der Dorfkirchein Maltsch (1902–1907) und als bedeutendste Kommission denUmbau und die Erweiterung des aus Gotik und Renaissancestammenden Rathauses in Löwenberg (1903–1905). Die Handschrift,die Poelzig für diese Bauten entwickelte, war eine charaktervolle,malerische Variante dessen, was Lebensreform, Heimatschutzund Landhaus-Bewegung auch anderswo förderten. Mit unserenheutigen Augen gesehen, stach keines dieser behaglichen Gebäudeaus seinen lokalen Umgebungen als provozierend fremdartiger

Hans Heckner. Kaliwerk. Aschersleben 1912

Hans Poelzig, Werner Issel. Kraftwerk Schulau, Unterelbe 1927/28

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Eingriff hervor. Das Breslauer Straßenpublikum sah es freilichanders und nahm vor allem an der Farbigkeit Anstoß, wie Hein-rich Lauterbach über die Reaktionen der Leute auf die von seinemVater initiierte Gruppe mehrstöckiger Wohnhäuser (1907–1912)berichtete.40

Bauten dieser Jahre suggerieren Gewicht, das auf dem Bodenlastet, und Schutz, den sie ihren Bewohnern verheißen. Die abge-winkelten oder ausgekurvten Silhouetten der Einfamilienhäuser,die ziegelbehängten Giebelseiten, die eigensinnigen Erker, überdie Dächer wie Kapuzen tief herabgezogen sind, und die rundbo-gigen Tür- oder Fensteröffnungen machen deutlich, dass hier ei-ner an seiner eigenen Originalität arbeitete. Helle Putzstreifen imdunkleren Rauputz deuten – nicht vorhandenes – Holz- oder Be-tongefach an, konnten hier in Schlesien aber auch an die Traditiongroßer Fachwerkbauten wie der Friedenskirche in Schweidnitz er-innern. Einige dieser Bauten fanden bereits den Weg in die über-regionale Fachpresse. Der zeitgenössische Jugendstil hinterließnur wenige Spuren bei Poelzig, am auffälligsten in den Entwürfenfür einen Orgelprospekt und für das Meublement im Musiksaalder Breslauer Universität (1902).

Von der Laufbahn mancher bauenden Zeitgenossen, die ihrDebüt zu gleicher Zeit hatten, unterschied sich Poelzigs Karrieredarin, dass er eine solide Fachausbildung genossen hatte. DieJahrhundertwende war die letzte Epoche, in der noch zahlreichenKünstlern aus anderen Fächern der Zugang zur Architekturszenegelang. Jugendstilkünstler wie Peter Behrens, Fritz H. Ehmcke,August Endell, Bernhard Hoetger, Albin Müller, Bernhard Pankok,Bruno Paul oder Richard Riemerschmid, die von der Emphase desvegetabilen oder geometrisierenden Art Nouveau, seiner Dekora-tionslust und seinem Drang nach durchkomponierten Ensemblesgetragen waren, fanden auch ohne Staatsprüfungen den Einstiegins Baufach. Für ihren Laien-Enthusiasmus hatten sie und ihre Bau-herren nicht selten einen hohen Preis zu zahlen. Gegen Grundriss-mängel wie beim frühen Henry van de Velde oder Konstruktions-fehler wie beim frühen Peter Behrens war Poelzig gefeit. Auch alsin späteren Jahren die Emotionen aufschäumten, konnten seineAuftraggeber von der technischen Machbarkeit selbst seiner phan-tastischen Entwürfe überzeugt sein.

Max Wislicenus. Hans Poelzig. Um 1906. Öl aufLeinwand. Im Hintergrund WettbewerbsentwurfWasserturm »Kaspar«, Am Waisenhaus, Hamburg1906/07. Stadtmuseum Bautzen

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Dorfkirche. Maltsch, Niederschlesien 1902–1907Außenansicht. Tempera auf Karton. ATUBGrundriss Erdgeschoss, Emporengeschoss. Tusche aufTransparentpapier. ATUBInnenansichtDeckengewölbe, heutiger Zustand

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Rathaus. Löwenberg, Nieder-schlesien 1903–1905Außenansicht, heutiger ZustandGrundriss Erdgeschoss, Ober-geschoss. Tusche auf Karton. ATUBTrauzimmer 1905?–1908?

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