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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 1 Volume 27 | September 2019 Swing is the Thing! - Mitteilungsblatt aus Leipzig für Freunde swingender Musik in aller Welt Beilage: Rolf Kühn NEW ORLEANS JAZZ auf Schallplatten Satchmo in der DDR Ahnungslos in New Orleans Bunk Johnson Billie Holiday Günter Baby Sommer 10. Magdeburger Jazznacht Quedlinburg swingt 2019 Dixieland Festival Dresden 2019 Der Pianist Stephan König Blaue Vögel und World War II Songs Desert Island Discs (2) Die Opa Hirchleitner Story and all that Jazz HAPPY BIRTHDAY, ROLF KÜHN!

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 1

Volume 27 | September 2019

Swing is the Thing! - Mitteilungsblatt aus Leipzig für Freunde swingender Musik in aller Welt

Beilage: Rolf Kühn

NEW ORLEANS JAZZ auf Schallplatten

Satchmo in der DDR

Ahnungslos in New Orleans

Bunk Johnson

Billie Holiday

Günter Baby Sommer

10. Magdeburger Jazznacht

Quedlinburg swingt 2019

Dixieland Festival Dresden 2019

Der Pianist Stephan König

Blaue Vögel und World War II Songs

Desert Island Discs (2)

Die Opa Hirchleitner Story

… and a l l that Jazz

HAPPY BIRTHDAY, ROLF KÜHN!

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 2

Liebe Jazzfreunde,

Mit dieser Ausgabe war es wie mit einem

Einkaufszettel für den Supermarkt. Man

schreibt sich Sachen auf, die man kaufen

will und kommt mit was ganz anderem im

Einkaufswagen wieder raus. Ich habe auf-

gehört zu zählen, wie oft ich das Inhaltsver-

zeichnis umgeschrieben habe und Mitarbei-

ter auf allen Vieren anflehen musste, um

deren Beiträge wiederholt verschieben zu

dürfen. Immerzu kamen uns neue Anregun-

gen, die sich mit anderen ergänzten, in die

Quere. Die Produzentin der BBC-Sendung

über Satchmos Tour in der DDR Sabine

Schereck hat ihren englischen Text, den

sie auf der Webseite der BBC veröffent-

lichte, exklusiv für unser Blatt überarbeitet

und übersetzt, wofür wir uns herzlich be-

danken. Bodo Buchholz berichtet über die

Magdeburger Jazznacht, eine Initiative, die

in unserer medialen Welt kaum Aufmerk-

samkeit erregt. Unsere Hamburger Reise-

freunde swingten nach Quedlinburg oder

umgekehrt. Gerhard Klußmeier, dessen Ge-

schichten über Jazztitel wir fortsetzen und

der noch ein Buch als Plädoyer für die

Volksmusik empfiehlt, reflektiert über die-

se Swingreise. Auch wir waren auf den

Spuren des Jazz noch weiter östlich unter-

wegs und sind zur Dixie-Meile während

des Internationalen Dixieland Festivals in

Dresden gefahren. Der Klarinettist Peter

Glessing hat uns anschließend freundli-

cherweise für die zweifelhaften Eindrücke

mit besserer Musik auf der anderen Seite

der Elbe beim Kig Dixieland Festival ent-

schädigt. Noch einmal wurden wir später

zum Internationalen Jazz & Blues Festival

in Edinburgh entschädigt, worüber wir im

Dezember schwätzeln und ein Interview

mit dem Begründer des Scottish Jazz Ar-

chive Norrie Thomson geplant haben.

Grund für die Verlagerung anderer Texte

ist auch das Jubiläum eines ganz Großen

des Jazz. Der Klarinett-Artist Rolf Kühn

wird in diesem Monat 90 Jahre jung und ist

das Paradebeispiel für „Young at Heart“. In

einem Sonderteil würdigen wir den Aus-

nahmemusiker und haben ausgewählte

Freunde, Musiker und Weggefährten um

ein paar nette Worte gebeten. Auch wenn

es Leipzig nicht fertig bringt, wenigstens

ein Konzert mit ihm zu organisieren, ge-

schweige denn für das von Kathrin Brigl

geschriebene und noch nie aufgeführte Mu-

ED

IT

OR

IA

L

INHALT Beilage: Rolf Kühn zum

Jubiläum Seite 19

BBC dokumentiert die Louis Armstrong Tour in der DDR Seite 3

New Orleans Jazz auf Schall-platte (2) Seite 4

Wie Bunk Johnson aufgenom-men wurde Seite 7

Ahnungslos in New Orleans Seite 10

Die Opa Hirchleitner Story (7) Seite 12

Dresdner Dixieland Festival Seite 16

The Artistry of Peter Glessing Seite 17

Eine Art Unfall: Wie Billie Holi-day entdeckt wurde Seite 18

Von Geheimnissen hinter Jazz-Titeln (15) Seite 15

10. Magdeburger Jazznacht Seite 24

Quedlinburg swingt wieder Seite 26

Hoffnung für alle—World War II Songs Seite 28

Pianist Stephan König Seite 30

Percussion Stuff Seite 32

Desert Island Discs (2) Seite 33

Call & Response Seite 34

Schallplatten & Bücher Seite 36

Titelbild:

JAZZ BAR in Edinburgh, UK Die Jazz Bar in Edinburgh ist Schottlands „most prominent multi-award winning jazz venue“ und hat sieben Nächte in der Woche Live Jazz im Programm. Während des Edinburgh Jazz & Blues Festivals ist sie offizielle Spielstätte bis früh um 4 Uhr, wo mit am Festival beteiligten Musikern Jam Sessions abgehal-ten werden. Letzter Einlass dafür ist 3 Uhr. Jeden Montag finden hier öffentliche Proben der Jazz Bar Big Band statt. In ihr spielen renommierte lokale Musiker der Edinburgher Jazzszene.

Foto: Detlef A. Ott, 2019

sical „Oh, Lola!“ Interesse aufzubringen,

wofür Rolf Kühn wunderbare Musik kompo-

niert hat, wird er im Inner Circle der Leipzi-

ger Jazzfreunde hoch verehrt. Jaja, „Times

are changing“. Das war schon mal so, als

die swingende Musik Hoffnung für viele

Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg war.

Freddy Schauweckers zweiten Teil dar-

über „Hoffnung für alle—World War II

Songs“ kann man nun lesen. Genauso wie

den von Sigi Schmidt-Joos über seine Re-

cherchen zum New Orleans Jazz auf Schall-

platten, über dessen Erkenntnisse viele ge-

nauso ahnungslos waren, wie der junge Jour-

nalist Stephan Schulz, als er frisch aus der

DDR entlassen nach der Wende in New Or-

leans unterwegs war und auf humorvolle Art

seine damalige Ahnungslosigkeit schildert.

Dann gibt es noch einen Jambalaya aus Mu-

sikerporträts, Konzert-, Buch– und Schall-

plattenbesprechungen der Kategorien jung,

alt und älter, wobei Klaus Kirst dieses Mal

überredet wurde, eine Auswahl an Tonträ-

gern für die einsame Insel vorzustellen, ohne

sich einen Aufenthalt auf einer solchen vor-

stellen zu können, meint er.

In diesem Sinne viel Vergnügen bei der

Jazztüre, let the good times roll &

keep swingin‘ Detlef A. Ott

IMPRESSUM Herausgeber: JUST FOR SWING Just For Swing ist eine Non-Profit Organisation zur Verbreitung des Swing-Virus Redaktion: Detlef A. Ott (Herausgeber ) Mitarbeit an dieser Ausgabe: Eberhard Amende, Bodo Buchholz, Peter J. Colev, Phil J. Crumley, Gerhard Evertz, Peter Glessing, Gerhard Klußmeier, Klaus Kirst, Kerstin Ott, Hendrik Ott-Loffhagen, Bert Noglik, Steffen Pohle, Ralph Powell, Freddy Schauwecker, Sabine Schereck, Sigi Schmidt-Joos, Stephan Schulz, Volker Stiehler Telefon: +49 (0)341 5 61 43 62 E-Mail: [email protected] Web: www.jazzfan24.de/JFS/ (kostenloser Download) Die Gazette erscheint vierteljährlich und wird durch ehrenamtliche Mitarbeiter gestaltet. Für unaufgefordert eingesandtes Material besteht keine Rückgabe-pflicht. Alle Beiträge sowie das Bildmaterial sind urheberrechtlich geschützt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des jeweiligen Autors und nicht die Meinung der Redaktion wieder.

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Zuschauern ausverkauft waren, also insgesamt 18000 Besucher.“ Das war in Ost-Berlin. Der alte Fried-richstadtpalast, wo das Konzert statt-fand, existiert nicht mehr. Er stand gleich neben dem Theater am Schiff-bauerdamm, das heute besser unter dem Namen Berliner Ensemble be-kannt ist. Genau an diesem Theater war knapp 40 Jahre zuvor während der Ur-aufführung der ‚Dreigroschenoper’ 1928 ‚Die Moritat von Mackie Messer’ zum ersten Mal zu hören. Dank Arm-strong war der Song 1965 bereits ein internationaler Hit namens ‚Mack the Knife’, dessen Jazzversion er bereits 1956 aufgenommen hatte.

Die Obrigkeiten der DDR waren über-rascht von Armstrongs Popularität, da

er vor 1965 nur wenig in den staatlich gelenkten Zeitungen erwähnt wurde. Erst Ende Januar des Jahres kündigten

die Zeitungen an, dass das Plattenlabel der DDR, Amiga, zwei Schallplatten mit Louis Armstrongs Musik herausbrachte: ‚Louis Armstrong’ und ‚Louis Arm-strong Oldtime Jazz’. Sie enthielten Aufnahmen aus den 20er und 30er Jah-ren mit Armstrongs Bands den Hot Five und Hot Seven.

Louis Armstrongs Tournee in der DDR war eine Sensation, aber als ich Schmidt-Joos danach fragte, was die westdeut-sche Presse daraus machte, hatte er nicht viel zu sagen: „Es war nicht mehr als eine Information innerhalb der Nach-richten.”

„Armstrong öffnete Türen”

„Armstrong öffnete Türen”, bestätigen Karlheinz Drechsel und Ronald Trisch. Für Trisch bedeutete es, dass es leichter war, Konzerte mit Jazzbands zu buchen. Er erinnert sich besonders gern an ein Mittagessen mit Louis Armstrong, der mit viel Freude ein Eisbein verspeiste. Es wurde zu Armstrongs Lieblingsge-richt auf der Tour.

V or einigen Jahren erzählte mir der Journalist Siegfried Schmidt-Joos, dass er an ei-nem Buch über Jazz in der

DDR arbeitete. Für mich als West Berli-nerin war die DDR immer der graue und grausige Staat auf der anderen Seite der Mauer. Die Verknüpfung von Jazz und der DDR schien eine sonderbare. Wenn es dort aber Jazz gab, ist es sicher ein weißer Fleck auf der Karte, der es wert schien, erkundet zu werden.

Und dann kam Louis Armstrong, d.h. ich stieß auf seine Tour durch die DDR im Jahre 1965, als ich das Thema weiter recherchierte – gemeinsam mit anderen Entdeckungen. Dies waren nicht nur Fakten wie die 60.000 Menschen, die Armstrongs Konzerte besuchten oder wie Fans an die heißbegehrten Tickets kamen in einem Land, das den Kapitalis-mus ablehnte. Sicher konnten einige Karten gekauft werden, aber andere wur-den über staatliche Einrichtungen ver-teilt.

Ronald Trisch arbeitete für die Künst-leragentur der DDR, die für das Arran-gieren der Tour dort verantwortlich war. Er erinnert sich: „Das hat es nur ein einziges Mal gegeben im Friedrichstadt-palast, dass sechs Konzerte, zwei Kon-zerte an drei Tagen, mit je dreitausend

Louis, der Jazz in der DDR und

Schätze, die es zu entdecken gilt

von Sabine Schereck, London

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New O rl e a n s J a z z

a u f S c h a l l p l a t te n

TEIL 2

Siegfried Schmidt-Joos

„Eines Nachmittags im Jahre 1940 fuh-ren Kid Rena und Big Eye Louis Nelson kreuz und quer durch New Orleans, um Jim Robinson zu suchen. Sie fanden ihn auf den Stufen einer verwitterten Kneipe sitzend, die Posaune auf dem Schoß‚ den Kopf in die Arme gestützt, schlafend. Sie weckten ihn auf, nahmen ihn mit ins Studio und bespielten zusammen mit Willie Santiago, Joe Rena, Albert Glen-ny und Alphonse Picou eine Reihe bewe-gender Schallplatten für Heywood Brown jr. Plattenmarke Delta Records. Das ‚New Orleans Revival' hatte begon-nen. Ein paar Bands begannen in den Lokalen entlang der Bourbon Street wie-der zu spielen und einige der alten Musi-ker nahmen Schallplatten auf. Aber es hatte in der Entwicklung der New Or-leans-Musik einen elfjährigen Bruch gegeben, der unmöglich zu überbrücken war. . ."

Mit diesen Sätzen beschrieb der verlässli-che New Orleans-Chronist Samuel B. Charters den Beginn jenes zweiten Auf-bruchs des traditionellen Jazz, der im Lau-fe der nächsten zwanzig Jahre einige we-nige Dokumente verschütteten musikali-schen Genies und eine nach Zehntausen-den zählende Schallplattenflut seichter, wertloser Imitationen hervorbringen soll-te. Freilich ist dieser Beginn nur im vollen Bewusstsein der Willkür solcher Festle-gungen auf den 21. August 1940 zu datie-ren. Eine ganze Reihe von Tendenzen führte schließlich zur Wiederentdeckung des New Orleans Jazz, die sämtlich nicht von der Mississippistadt selbst ausgingen. Im November und Dezember des Jahres I938 hatte der französische Kritiker Hug-hes Panassié in New York mehrere Auf-nahmesitzungen mit Tommy Ladnier (tp), Sidney Bechet (cl, ss), Mezz Mezzrow (cl), Teddy Bunn (g) und anderen organi-siert, deren musikalische Resultate den klassischen Meisterwerken aus den zwan-ziger Jahren einige späte Höhepunkte hinzufügten (Electrola E 83 045). Im Mai 1940 machte Louis Armstrong, der sich

ein Jahrzehnt lang ausschließlich mit Big Band-Musik beschäftigt hatte, zusam-men mit Sidney Bechet wieder Aufnah-men in Combo-Besetzung (Brunswick 10 068). Unabhängig voneinander er-schlossen in New York die „Bob Cats", ein Dixielandensemble innerhalb der Swing-Band von Bob Crosby

(Brunswick 86 050), und in San Francis-co Lu Watters Yerba Buena Jazz Band (Good Time Jazz L 12001) für sich das Repertoire klassischer New Orleans-Stücke. In beiden Fällen ging es - wie Joachim E. Berendt gezeigt hat - zunächst nicht um die Wie-derentdeckung eines Stils, sondern allein um die Ausweitung des Reper-toires: „Man wollte einfach andere Num-

mern spielen. Erst als man dann diese anderen Nummern spielte, entdeckte man den Stil, zu dem sie gehören.“

Sowohl New York als auch San Francisco und Los Angeles wurden dann später zu Hochburgen der New Orleans-Begeisterung. Aber weil in beiden Fällen von vornherein jeder historische Ehrgeiz und bis zum gewissen Grade auch ausge-prägtes Stilbewusstsein fehlten, entstand in New York um Musiker wie Eddie Con-don und Wild Bill Davison (etwa Philips Philips – B07023L) und in San Francisco um Turk Murphy, Lu Watters, Bob Helm, Wally Rose und andere (Riverside RLP 2513) eine moderne Abart des traditionel-len Jazz, die sich vom eigentlichen Revi-val in New Orleans selbst wesentlich un-terschied. Die Dixieland Jubilees, die Gene Norman und Frank Bull von 1947 an regelmäßig im Shrine Auditorium von Los Angeles präsentierten, waren Mam-mutsessions, bei denen nicht selten bis zu vierzig Musikern improvisierend nebenei-

nander auf dem Podium standen, und bei denen es nicht auf die histori-

sche Echtheit der Soli, sondern auf Stimmung und Atmosphäre ankam (etwa Gene Norman GNP 13)

Die ernsthafte theoretische Beschäftigung mit dem New

Orleans Jazz begann 1935 mit einem großen Artikel von Charles

Edward Smith im „Esquire“-Magazin. Sie fand ihren Höhepunkt in Frederic Ramsey‘s großartiger Buch-Dokumentation des frühen Jazz „Jazzmen“, die 1939 erschien, und an der viele namhafte Jazzforscher mitgearbeitet hatten. Die meisten Informationen des „New Orleans"-Kapitels von „Jazzmen" stammen von Bunk Johnson, den Ramsey mit viel Mühe auf einer Reis- und Zucker-rohr-Plantage in der Nähe von New Or-leans als Lastwagenfahrer wiederentdeckt hatte. 1939 schrieb Bunk Johnson in ei-nem Brief an Frederic Ramsey jr. folgen-des erschütterndes Bekenntnis:

Eine ganze Reihe von Tendenzen führte schließlich zur Wiederentdeckung des

New Orleans Jazz, die sämtlich nicht von der Mississippistadt

selbst ausgingen.

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„Ich fahre einen LKW mit Anhänger, und das bringt mir bloß einen Dollar fünfund-siebzig pro Tag, und damit kommt man nicht weit. Ich habe mich damit abgefun-den, bis an mein Lebensende schwer ar-beiten zu müssen; denn ich habe keinen, dem ich mein Herz ausschütten kann, und meine Kinder können mir in diesem Fall auch nicht helfen. Ich bin seit etwa fünf Jahren völlig fertig... Mir bleibt nichts anderes übrig, als wie Simson meine Schultern unter das Joch zu beugen und mich weiter in dieser Tretmühle zu schin-den und meine Musik zu vergessen."

Das New Orleans Revival fand in New Orleans eine durch künstlerische Auszeh-rung demoralisierte Musikergeneration vor. Der Trompeter Charlie Love arbeitete in den dreißiger Jahren in einer Taxi-Tanzhalle, in der von 20 bis 24 Uhr ohne Pause gespielt werden musste. Die Rhyth-musgruppe spielte buchstäblich ohne Un-terbrechung, während sich Love mit sei-nem Klarinettisten von Stück zu Stück ablöste. Das Honorar betrug für Love als Bandleader 1,20 Dollar pro Nacht, für die Musiker noch weniger. Kid Rena ver-zeichnete in diesem Jahrzehnt ein Durch-schnittseinkommen von 85 Cents pro Nacht, und der Posaunist Harrison Brazlee erzählte, dass er in vier Jahren ganze vier Jobs als Musiker gehabt habe jeweils für ein paar Stunden bei Pick-nicks. Abseits der Canal Street mit ihren Taxi Dance Halls, welche die Musiker mit einigem Recht „Bergwerke“ nannten, gab es bis zu den Jahren des Revivals Musik nur in wenigen engen Flüsterkneipen wie Luthjen's, Mannie's, Mama Lou's, Tyler's, Mamie's oder dem Harmony Inn. Eine größere Band als ein Trio konnte dort schon aus Raumgründen nicht verpflichtet werden, und an den Wänden prangten Schilder wie „Jitterbug verboten“ oder „Bitte, rauchen Sie nicht während des Tanzes.“ In solchen Lokalen verdienten sich George Lewis, Big Eye Louis Nelson oder Emile Barnes gelegentlich ein paar Cents. Auch später, als der New Orleans Jazz oder das, was man dafür hielt, bereits seine weltweiten Triumphe feierte, wur-den die Arbeitsbedingungen der farbigen New Orleans Musiker nicht wesentlich besser. Keine der zwischen 1940 und 1954 in New Orleans aufgenommenen Schallplatten mit farbigen Musikern konnte von regulären, fest bestehenden Bands eingespielt werden. Sie alle waren sagenannte „Pick Up Bands", die nur für die Plattensitzung zusammengestellt wur-den. Erst 1954 produzierte Jim McGarrelI

einige Titel mit den Dance Hall Bands von Peter Bocage und Emile Barnes, die jedoch bis heute unveröffentlicht blie-ben. Was Bunk Johnson 1940 an Fre-deric Ramsey schrieb blieb für viele Jahre gültig: „Ihr wisst ja alle genau, wie man hier unten im Süden den schwarzen Mann behandelt. Wir haben keine Studios für Farbige. Hier bilden sich alle furchtbar viel auf ihre Hautfar-be ein. In all diesen kleinen Landstädten ist man als Neger zweite Garnitur und muss zurückstehen und warten, bis man dran ist. So ist es auch hier. Denkt bitte nicht schlecht von mir. Denkt lieber schlecht von den Leuten, die mich so behandeln. Ihr alle tut Euer Bestes für mich und versucht, mich noch einmal auf die Beine zu bringen. Und wenn ich sage ‚auf die Beine, dann meine ich damit: Ich möchte noch ein einziges Mal in meinem Leben wieder Trompete spielen können. Denn ich weiß, ich hätte auch jetzt noch das Zeug dazu. Aber zum Trompete spielen braucht man eins, und das ist ein Gebiss, auf das man sich ver-lassen kann. Und gerade das fehlt mir so dringend. Neue Zähne und eine gute Trompete, und der alte Bunk ist wieder obenauf."

Bunk Johnson bekam das Gebiss und die Trompete und wurde zur Verkörperung des Revivals. Im Frühjahr 1942 be-schlossen Bill Russell und Gene Willi-ams, zwei New Orleans-Enthusiasten aus Chicago, nach New Orleans zu fah-ren und Bunk Johnson aufzunehmen. Dave Stuart, der Besitzer des Jazz Man Record Shop in Chicago, hatte die Ver-öffentlichung der Aufnahmen verspro-chen. Am 11. Juni 1942 kam die Sitzung zustande, Es spielten Bunk Johnson (tp), George Lewis (cl), Jim Robinson (tb), Walter Decou (p), Lawrence Marrero

(bj), Austin Young (b) und Ernest Rogers (dm). Neun Titel wurden unter unsäglich schwierigen technischen Umständen mit einem alten, transportablen Gerät ge-schnitten; Sie enthielten mit den Worten von Sam Charters „einen der aufregends-ten und komplexesten Ensembleklänge, die man je auf Schallplatten gehört hatte".

Diese Stücke, veröffentlicht auf den „Jazz Man”- Platten 8, 9, 10 und 16, wurden später von Sammlern und Kennern als erstrangige Kostbarkeiten gehandelt. Noch im Herbst des gleichen Jahres kam Gene Williams nach New Orleans zurück und nahm für sein eigenes, schnell ge-gründetes Label „Jazz Information” 12 Takes mit einer leicht veränderten Bunk Johnson-George Lewis-Band auf. Wenn-gleich der neue Posaunist Albert Warner auch nicht die gleiche Kraft zu investieren hatte wie Joe Robinson auf den Jazz Man-Seiten, fielen diese Stücke doch nicht allzu sehr hinter der ersten Aufnahmeserie ab. Im Frühjahr 1943 hielt sich Bunk Johnson in San Francisco auf und bespiel-te dort eine Schallplatte für „American Music” - den Titel „Make Me A Pallet On The Floor", in dem er nur von Bertha Consoulin am Piano begleitet wurde. Ein Jahr später, bei einem weiteren Besuch an der Westküste, spielte er eine Reihe von Stücken zusammen mit der Yerba Buena Jazzband für Good Time Jazz ein (z.B. auf Good Time Jazz EP 1016; Abb. links)). Bill Russell startete im Mai '43 einen weiteren New Orleans-Trip, um eine George Lewis-Gruppe aufzunehmen, in der Kid Howard an Stelle von Bunk Johnson Trompete spielte. Die verwend-baren zehn Titel erschienen zunächst auf dem Etikett ,,Climax" und wurden im Zeitalter der Langspielplatte noch einmal von Blue Note im Zusammenhang vorge-legt (BLP 1205 und 1206).

Die großen Jahre der Band von Bunk Johnson und George Lewis wurden die Jahre 1944 und '45. In der San Jacinto Hall und in der Wohnung von George Lewis produzierte Bill Russell am 30. Juli, 3. August und 5. August 1944 und am 17. Februar, 14. und 18. Mai, 09. Juli und 05. August 1945 ein jazzhistorisches Werk von erstaunlichem Reichtum. Unter den Namen von Bunk Johnson, George Lewis, Jim Robinson und Kid Shots Ma-dison spielte in all diesen Dates eine von Aufnahme zu Aufnahme nur unwesentlich veränderte Band fast hundert Titel, die seinerzeit alle auf American Music er-schienen und heute durch eine großzügige Wiederveröffentlichungs-Aktion der Fir-

Die Musik des Revivals in New Orleans entstand unter gänzlich

anderen gesellschaftlichen Vorzeichen als die Platten der

Armstrong Hot Five. Hier war eine ausgebrannte Generation mit verbissenem Eifer am Werk, mehr als ein

Jahrzehnt bitterster Fronarbeit musikalisch zu überspielen.

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ma Storyville zu großen Teilen auf dem europäischen Markt greifbar sind (Storyville SLP 128, 127 und SEP 401 sowie Riverside RLP 12-119). Die Rhyth-musgruppen dieser Studiobands bestanden in der Regel aus Law-rence Marrero (bj), Alcide Pava-geau (b) und Baby Dodds (dm). Dodds hatte Bill Russell aus Chi-cago mitgebracht, weil es in der Mississippistadt nicht einen einzi-gen Schlagzeuger mehr gab, wel-cher dem musikalischen Niveau entsprach, das die New Orleans-Rhythmusgruppen einst gehabt hatten. Misst man diese Aufnah-men an den Meisterwerken von Armstrong, Jelly Roll Morton und King Oliver aus den zwanziger Jahren, so liegen qualitativ Wel-ten dazwischen. Die Phrasierung ist oft ungelenk. Immer wieder tauchen die gleichen musikali-schen Floskeln auf. Die Subtilität und der Einfallsreichtum der alten Platten fehlen. Nur selten gelingt einem der Beteiligten ein Solo von einigem Rang. Jedoch wäre eine alleinige Beurteilung nach diesem Maßstab ungerecht und historisch und soziologisch fehlerhaft. Die Musik des Revivals in New Orleans ent-stand unter gänzlich anderen gesellschaft-lichen Vorzeichen als die Platten der Armstrong Hot Five. Hier war eine ausge-brannte Generation mit verbissenem Eifer am Werk, mehr als ein Jahrzehnt bitterster Fronarbeit musikalisch zu überspielen. Bunk Johnson, George Lewis und ihre Freunde fühlten sich als Wortführer der musikalischen Mission, Amerika die eige-ne, vergessene Musik zurückzugeben. Dass dies oft über ihre Kräfte ging, bezeu-gen nicht nur ihre Schallplatten. Die Ma-nagerin von George Lewis, Dorothee Tait, erzählt: „Während seines ganzen Lebens war er von Krankheit geplagt, und trotz-dem hat er immer gespielt, jahraus, jah-rein, nächtelang auch dann, wenn er tags-über zehn Stunden als Auslader auf den Docks von New Orleans gearbeitet hatte. Manchmal spielte er für fünfundsiebzig Cents die Nacht. Oft brauchte er die fünf-undsiebzig Cents, aber es gab auch Zeiten, wo er sie nicht brauchte. Er spielte trotzdem, weil er spielen musste. In New York spielte er zwei Monate lang, obwohl er schwer herz-krank war, bis er schließlich auf dem Bandstand zusammenbrach, mitten in einem Stück. Kurz da-nach trat er schon wieder in San Francisco auf. Vor ein paar Jahren spiel-te er in New Orleans eine vier Stunden-lange Straßenparade, nachdem er drei Wochen vorher noch in Lebensgefahr geschwebt hatte und operiert worden war. Seine Frau lief auf dem Bürgersteig ne-benher um dabei zu sein, falls er umfallen würde. Die Antwort auf die oft gestellte Frage: Wo hat George Lewis seinen Ton her? - liegt in diesen Dingen. Sie liegt im

Herzen und Geist eines Mannes, der vierundvierzig Jahre lang spielte -trotz aller Unbill des Lebens und seiner Ge-sundheit."

Die ersten Aufnahmen, die Bill Russell mit George Lewis in Triobesetzung in dessen Wohnung machte, kamen mit bandagiertem Oberkörper zustande. Eine herabfallende Ladung hatte Lewis an der Schulter so schwer verletzt, dass er zu Hafenarbeiten untauglich wurde. Die erschütternde Tragik dieser späten Gene-ration von New Orleans—Musikanten liegt in der Diskrepanz zwischen ihrem enthusiastischen künstlerischen Gestal-tungswillen und seinem oft unbefriedi-genden Ergebnis. Einige der Musiker, besonders George Lewis, mit dem man das Revival in späteren Jahren mehr und mehr identifizierte, scheinen diese Tra-gik auch durchaus empfunden zu haben. Über ihrem Spiel liegt an manchen Glanzpunkten eine seltsam verhaltene Melancholie, eine Resignation von er-staunlicher Tiefe und Überzeugungs-kraft.

Die Schallplattenveröffentlichungen von Bunk Johnson und George Lewis auf Jazz Man, Jazz Information, Climax und American Music verschafften den Musi-kern aus New Orleans um 1945 eine unverhoffte Popularität in den ganzen USA. Im Herbst 1945 verpflichtete das New Yorker Stuyvesant Casino die Bunk Johnson Band, und zum ersten

Mal nahmen nun die großen New Yorker Plattenfirmen das Revival der alten New Orleans—Musik zur Kenntnis. Die ameri-kanische Decca produzierte am 21. No-

vember I945 vier Titel, deren ei-ner "My Maryland” fast zu einem Bestseller wurde (Brunswick 10 186), RCA Victor folgte am 6. und 19. Dezember mit neun Ein-spielungen, von denen heute vier in Deutschland greifbar sind (RCA EPA 9696). Nach New Orleans selbst aber kamen die großen Firmen bis in die fünfziger Jahre hinein nicht. Alle Platten, die dort während der großen Jahre des Revivals aufgenommen wur-den, verdanken ihre Existenz For-schern und Liebhabern der New Orleans—Musik, welche diese Aufnahmen häufig unter schwieri-gen technischen Bedingungen und unter persönlichen Opfern besorg-ten. Und die Plattenmarken, unter deren Etiketten diese Stücke zu-erst erschienen, waren einem brei-teren Käuferpublikum in der Re-gel noch nicht einmal dem Namen nach bekannt. Heywood Brouns Aufnahmen mit der Kid Rena

Band von 1940, von denen wir eingangs sprachen, erschienen auf dem Delta-Label (heute Riverside RLP l2-119) Bill Russell arbeitete für American Music, Climax und Jazz Man. Dante Bolletino schnitt 1950 ein paar Seiten mit der George Lewis Band, die er unter den Etiketten Paradox und Pax herausbrachte. lm gleichen Jahr waren Dave Stuart und Lester Koenig von Good Time Jazz zu Aufnahmen in New Orleans. Orin Blackstone produzierte Schallplatten mit der Band von Herb Mo-rand für eine Marke namens "New Or-leans" und Rudi Blesh, der Autor des Bu-ches "Shining Trumpets", stellte sich 1946 die "Original Zenith Brass Band” für Auf-nahmen seines Etiketts Circle Records wieder zusammen. Der Gesamteindruck lautet: Auch in den vierziger Jahren, als der New Orleans Jazz seinen Siegeszug in die Welt antrat und auf vier Kontinenten nachgeahmt wurde, ist die Ausbeute von in New Orleans selbst aufgenommenen

Schallplatten gering. Sporadisch und zufällig kamen von Zeit zu Zeit Aufnahmen Zustande, ohne dass sich eine der kultur- und tradi-tionsbeflissenen Institutionen Ame-rikas die Mühe gemacht hätte, eine wirklich authentische Dokumenta-tion der Musik von New Orleans zu starten. Erst in den fünfziger Jahren, als Joe Mares seine Platten-

marke Southland gründete, wurde - wie-derum auf Privatinitiative eines Enthusias-ten - eine solche Dokumentation begon-nen. Das aber ist ein anderes Kapitel.

(jazz-echo | 2/1963,

vom Autor 2019 überarbeitet)

Abbildungen: Archiv D. Ott

Die erschütternde Tragik dieser späten Generation von New Orleans Musikanten liegt in der Diskrepanz zwischen ihrem

enthusiastischen künstlerischen Gestaltungswillen und seinem oft

unbefriedigenden Ergebnis.

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 7

I m Frühsommer 1942 schrieb Willie Bunk Johnson in ei-nem seiner typischen Briefe - er setzte einen Punkt zwi-

schen jedes Wort - dass er mit seiner neuen Trompete nun genü-gend gespielt habe und für Auf-nahmen bereit sei. Zum Beweis schickte er mir selbst nur mit Solo- Trompete aufgenommene Ace-tatplatten der Größe von 6“. Diese Aufzeichnungen gingen leider verloren. Ich kann mich auch nicht mehr an die einzelnen Stü-cke erinnern. Ich weiß nur noch, dass die Soli nicht besonders be-rauschend klangen und mir für den Augenblick den Blues be-scherten.

Trotzdem war uns bewusst, dass er so schnell wie möglich aufge-nommen werden musste: Die Zeit für die Originale aus New Orleans lief ab und durch den Zweiten Weltkrieg würden wir mit Sicherheit einige von ihnen zusätzlich noch verlieren. Also nahm ich Kontakt mit Bill Colburn (einem echten Jazzliebhaber) und Hal McIntyre (einem Discjockey) in San Francisco auf, um sie zu fragen, ob sie mit mir am ersten Juni nach Louisiana fahren würden, um Bunk zu besuchen und um

Am Donnerstag, den 4. Juni 1942, kamen wir drei aus dem Westen in New Iberia an und mieteten uns sofort im Stadtzentrum in einem großen Haus ein, von dem ich glaube, dass es The Shadows war. Nachdem wir geduscht hatten, um uns etwas abzukühlen - das Wetter war heiß und feucht - und nach-dem wir uns eingerichtet hatten, aßen wir zu Abend und fuhren anschließend durch die Stadt zu Bunks Haus. Obwohl wir alle Bunk als einen alten Freund be-trachteten, ich mit ihm mehrere Jahre korrespondiert hatte, hatte keiner von uns sich jemals zuvor mit ihm getroffen. Wir waren ziemlich aufgeregt.

Bunk saß auf seiner Veranda und wartete schon auf uns. Er winkte uns zu, als wir vorfuhren, aus dem Auto sprangen und über den Hof

rannten, um ihn zu begrüßen. Es ging ab wie ein Feuerwerk und vom ersten Au-genblick waren wir dicke Freunde. Und Bunk, der die bemerkenswertesten Erin-nerungen an jeden hatte, den ich jemals kannte - noch bemerkenswerter als Jelly Roll Morton -, beantwortete ruhig unsere Fragen, die von drei Geschichtshungrigen gierig gestellt wurden. Am Ende war es

mir bei den Aufnahmen behilflich zu sein. Sie waren sofort bereit. Anschlie-ßend rief ich William Russell (die obers-te Autorität in Sachen New Orleans Jazz) in Pittsburgh und Gene Williams (damals Herausgeber von Jazz Informa-tion) in New York an und vereinbarte mit ihnen, uns in Bunks Heimatstadt New Iberia zu treffen.

WIE WIR BUNK AUFGENOMMEN HABEN!! Von David Stuart, 1942 ins Deutsche übertragen von Detlef A. Ott

Längere Covertexte auf Schallplatten liest man selten, wenn diese dem Hörer die Musik erklären wollen. Anders sieht es mit Geschichten rund um die Entstehung von Aufnahmen und deren Prota-gonisten aus. Wie im vorliegenden Fall und durch den aufschlussreichen Beitrag von Sigi Schmidt-Joos über „New Orleans Jazz auf Schallplatten“ inspiriert, hielten wir es für eine gute Idee, den Covertext der 1962 auf Langspielplatte wiederveröffentlichten Aufnahmen Bunk Johnsons, geschrieben von David Stuart, ins Deutsche zu übertragen. Stuart er- zählt nicht nur das abenteuerliche Zustandekommen der legendären Aufnahmen mit dem Kornettisten, sondern entwickelt gleichzeitig eine eindrucksvolle Momentaufnahme des vom Rassismus ge-prägten Süden der USA und den Bedingungen, unter denen die farbigen Musiker und jene, die diese unterstützten, dort arbei-ten mussten. Die neun, auf Acetat eingespielten Stücke und ein Interview mit Bunk wurden ursprünglich für das Label „Jazz Man“ gemacht und 1942 als 78rpm Schallplatten - auf 50 Stück limitiert, laut Ralph Gleason signiert und numme-riert - veröffentlicht. Sie galten jahrelang als Sammlerstücke. Besonders erwähnenswert fand Gleason das neunminütige In-terview: Bunks Worte seien eloquent, bewegend und ein roman-tisches Testament „a sort of free style folk poetry“. Bei einigen von Stuart verwendeten Floskeln kamen auch „native speaker“ ins Rät- seln, sodass wir uns an wenigen Stellen für eine freie Übersetzung ent- schieden haben, ohne den Sinn zu entstellen, das glauben wir zumindest.

Jazz Man Records 78 label | Bunk Johnson‘s Original Superior Band,

Moose March

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 8

Bunk, der vorschlug, wir könnten ihn gern auch ein oder zwei Stücke spielen hören.

Dafür waren wir schließlich 2000 Meilen gefahren, Wir folgten ihm trotzdem mit einer gewissen Sorge ins Innere des Hau-ses. Immerhin hatte er eine ganze Reihe von Jahren nicht wirklich das Horn gebla-sen, und erst vor kurzem war er mit einem Gebiss und einer neuen Trompete ausgestattet worden. Sein Kornett war 1932 zerstört worden, und seine Zähne bald darauf eben-so. Seitdem hatte er auf Reisfeldern gearbeitet, Zuckerrohr geschlagen und nur hin und wieder etwas Mu-sik unterrichtet.

Die Sorge allerdings war grundlos. Bunk nahm sein Kornett aus dem Koffer und streichelte liebevoll das goldene Ende, drückte mehrmals die Ventile hoch und runter und begann einen langsamen Blues zu spielen, der mir die Tränen in die Augen trieb. Es brachte mich fast um! Wenn ich jetzt noch daran denke, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Er spielte seine Musik aus dem Kopf genauso, wie wir es uns erhofft hatten. Es war unglaublich! Bunk spielte noch einige Stücke. Danach unterhielten wir uns noch ein paar Stun-den bis er schließlich sagte "Ich stehe immer sehr zeitig zur Arbeit auf.“ und uns müde verabschiedete.

Bill Russell und Gene Williams trafen am darauffolgenden Tag ein. Am Abend wa-ren wir wieder bei Bunk, um noch mehr Musik von ihm zu hören und über die Aufnahmesession zu beraten. Es wurde beschlossen, dass wir fünf am nächsten Tag nach New Orleans fahren sollten, um dort eine Band zusammenzustellen. Bunk würde am Montag mit dem Bus nachkom-men. Bis dahin würde jedes fehlende In-strument für ihn bereit stehen.

Die 150 Meilen Fahrt nach New Orleans war angenehm, vor allem die fünfzig Mei-len entlang des Bayou Teche. Am Sams-tagabend besuchten wir Johnny St. Cyr, den ehemaligen Banjo Spieler der Hot Five. Er spielte in einem Dime-Dance-Joint, einem schmutzigen Laden und ver-diente $ 1,50 für acht Stunden Arbeit. Wir nahmen an einem Tisch Platz, ver-scheuchten die aufdringlichen Animierda-men und beobachteten die Band. Ich glau-be mich zu erinnern, dass sie den Titel High Society gespielt haben, allerdings nicht besonders gut. Auf jeden Fall gab es den Mädels die Gelegenheit, mit ihren Tricks von Zeit zu Zeit ein paar Münzen zu ergattern. Die Band war nur mittelmä-ßig, nur St. Cyr spielte recht gut und der Bassist, den keiner von uns kannte. Er hieß Austin Young und war nur zu gern bereit, an der Aufnahmesession mit Bunk Johnson teilzunehmen.

Leider teilte uns St. Cyr mit, dass er bei der Aufnahme nicht dabei sein könne. St. Cyr zu verlieren, war für uns ein Schlag. Jedoch hatten wir dafür eine neue Entde-

ckung in Austin Young gemacht. Von St. Cyr aus erfuhren wir noch, wo Louis de Lisle Nelson arbeitete: "Big Eye" Louis spielte 1905 mit dem Golden Rule Orchestra im Fewclothes Cabaret in The District Klarinette. 1941 hatte ich ihn gehört und er spielte gut. Nur leider jetzt nicht mehr: die Zeit lief uns davon. Eine

zweite Enttäuschung. Aber in der Band war noch ein guter, solider Schlagzeu-ger, Ernest Rogers, ein weiterer Musiker, der uns unbekannt war. Auch er sagte uns, dass er gerne mit Bunk Aufnahmen machen würde.

Danach gingen wir zu Bett und schliefen am Sonntag erst einmal aus. Am Montag dann kam Bunk an. Es sollte sein erster Auftritt in der Stadt seit zwanzig Jahren werden! Wir berichteten ihm von "Big Eye" und dass wir am Sonntag Alphonse Picou gesehen hätten, aber dass er nicht besonders gut spielen würde.

"Erinnern Sie sich an jemanden beson-ders, den Sie empfehlen würden?"

"Ja", sagte er sofort. "George Lewis. Ich glaube, er wohnt in der 827 St Phillip Street."

"Sind Sie sicher, dass er gut spielen kann?"

„Ja, das bin ich. Ich habe mit ihm übri-gens in jener Nacht, als Evan Thomas ermordet wurde, in dessen Band ge-spielt. Das war in Rayne, 35 Meilen au-ßerhalb von New Iberia. Wir spielten gerade in einem großen Saal, als dieser Bastard John Gilbey mit einem großen Messer reinkam. Er war betrunken und hatte geschworen, Evan zu töten, weil dieser ihn angeblich mit seiner Frau betrogen hätte. Evan war es zwar nicht gewesen, aber das spielte keine Rolle mehr. Gilbey springt auf die Bühne und Evan, ein großer Mann, duckt sich hinter den kleinen George Lewis. Gilbey reicht direkt über George und schneidet Evan die Kehle durch. Das Blut ergießt sich über den armen George. Als Gilbey aus dem Laden rennt, versuchen wir so schnell wie möglich unsere Sachen zu-sammenzupacken, um dieser Hölle zu entkommen. Bald darauf kam er mit ei-ner Waffe wieder zurück. Mann, er war total verrückt geworden! Wir stürmten kopfüber durch die hinteren Fenster ins Freie. Von draußen hörten wir ihn brül-

len, fluchen und plötzlich ein schreckli-ches Krachen und Schlagen. Er war da-bei, unsere ganzen Instrumente zu zerstö-ren. Er trat auf meinem Kornett herum und machte es für immer unbrauchbar. Er schlitzte die Trommeln auf, trat in die Basstrommel. Die ganze verdammte Band war ruiniert! Danach ging ich wieder

nach New Iberia und habe seit dem nicht mehr gespielt. Das war wäh-rend Thanksgiving 1932“, erzählte er. Dann fügte er noch hinzu: "George ist ein guter Klarinettist."

Um mehr zu erreichen, beschlossen wir, uns zu trennen. Also machten sich Colburn und Williams auf die Suche nach dem Posaunisten Jim Robinson, während Bunk uns—Russell, McIntyre und mich— zu Lewis nach Hause leitete. Ein schlanker, gutaussehender Mann von mittlerer Statur antwortete auf

unser Klopfen in der St. Phillip Street 827.

"Hallo George", sagte Bunk.

"Hallo, Bunk. Ist lange her."

"10 Jahre."

Bunk stellte uns George vor und George stellte uns seine Frau Jeanette vor. Wir mochten George sofort. Und dieser schüchterne und zurückhaltende Mann mochte uns auch. In seiner Biographie erinnerte er sich: "Sie stellten Fragen und wir redeten lange. Sie hatten etwas an sich, das anders war und mir ein gutes Gefühl gab. Es war etwas in der Art und Weise, wie sie mit mir und Jeanette spra-chen und wie sie sich verhielten. Sie ga-ben mir die Hand und später fragte David mich, ob ich ein Instrument hätte, und ich holte es heraus und spielte einiges für sie.“

George holte die übelste Klarinette, die ich je gesehen habe und die mit Gummi-bändern zusammengehalten war, heraus. Die Klappen waren locker, eine fehlte vollständig. Das Polster auf der Oktavtas-te bestand aus einer Kugel gehärteten Kaugummis. Und trotzdem hat er für uns auf recht passable Weise gespielt! Over the Wave hieß das Stück und zum zweiten Mal in weniger als einer Woche füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich fühlte mich ein bisschen dumm und sentimental, bis ich Russells und McIntyres Augen sah. Augenblicklich fiel mir ein, dass ich auf dem Weg zu George an einem Musik-geschäft vorbeigekommen war. Während er das nächste Stück begann, lief ich los und kaufte für ihn zwei Böhm-Klarinetten. Die alte Klarinette gab er mir. Die besitze ich noch heute. Mit der neuen spielte er dann wirklich großartig. Es war wunderbar. Und wir hatten einen Klarinettisten für unsere Session.

George schlug seinen besten Freund Law-rence Marrero als Banjospieler vor und Walter Decou als Pianist. Als wir uns bedankt hatten, vereinbarten wir, ihn in

George holte die übelste Klarinette, die ich je gesehen habe und die mit Gummi-bändern zusammengehalten war, heraus.

Die Klappen waren locker, eine fehlte vollständig. Das Polster auf der Oktav-taste bestand aus einer Kugel gehärteten Kaugummis. Und trotzdem hat er für uns auf recht passable Weise gespielt!

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 9

ein oder zwei Tagen anzurufen und mach-ten uns auf den Weg zu Decou. Auf dem Weg sah Bunk einen großen Mann mit einem Posaunenkoffer, der langsam den Bürgersteig entlang lief. "Mann, den gro-ßen Kerl erkenne an jedem Ort." Wir hiel-ten neben ihm an: Es war Jim Robinson. Nach einer herzlichen Begrüßung erzählte ich ihm von unseren Aufnahmeplänen, und sofort war er regelrecht "verrückt danach", mit dem alten Mann zu spielen.

Ein paar Häuserblocks weiter trafen wir Colburn und Williams und fuhren nun zu sechst zu Decou. Decou meinte, er könne jederzeit spielen, wir bräuchten ihn nur anrufen. Während wir mit ihm noch über den günstigsten Tag sprachen, entdeckten wir noch eine andere Seite an Bunk. Plötz-lich setzte der sich ans Klavier und spielte einen herrlichen Maple Leaf Rag und überraschte jeden von uns. Keiner von uns hatte die geringste Ahnung, dass er auch dieses Instrument spielen konnte.

Nachdem wir die Band zusammengestellt hatten, musste als nächstes das Problem des Aufnahmestudios und der Ausrüstung gelöst werden. Wir schickten Williams mit einem Empfehlungsschreiben zum besten Tonstudio der Stadt. Er kehrte ver-zweifelt und wütend zurück und sagte: "Keine Chance, keine Neger in ihrem li-lienweißen Studio!" Wir versuchten es noch mit dem einzigen anderen professio-nellen Studio und bekamen dieselbe ver-dammte Antwort. Den Rest der Tage ver-brachten wir den ganzen Dienstag und einen Teil des Mittwochs damit, nach einer Ausrüstung und einem Raum zu suchen, der für Aufnahmen geeignet und verfügbar war. Nichts!!

Am Mittwochnachmittag schlenderten wir von all dem angewidert und schweißnass in Grunewalds Musikladen, um Acetat-platten zu finden. Der junge Mann hinter der Theke sagte, dass er nur noch eine Schachtel mit zwölf Scheiben habe, die einzigen in New Orleans! Wir schnappten sie uns und schilderten ihm gleich noch unser Problem. Zufällig hatte er ein Heim-Aufnahmegerät, einen kleinen Presto, den er uns gerne ausleihen würde. Und im dritten Stock des Grunewalds befände sich auch ein Showroom für Klaviere, den man sicher als Studio nutzen könne. Ob wir interessiert wären?

Es tut mir leid, dass ich mich nicht mehr an den Namen dieses jungen Mannes erin-nern kann: Er muss an dieser Stelle aber unbedingt als ein Freund des Jazz erwähnt werden.

Am Donnerstagnachmittag nahmen wir dann die Stücke auf. Ernest Rogers, der Schlagzeuger, der in einer Eisengießerei arbeitete, war erst gegen drei Uhr verfüg-bar. Grunewalds Laden schloss allerdings um sechs. Somit blieb mit nur drei Stun-den kaum Zeit für echte Proben. Auch hatten wir nur das Dutzend Acetatschei-ben. Also mussten die ersten Takes klap-pen, Wiederholungen waren ausgeschlos-

diesem Album zu hören sind, in den drei uns zur Verfügung stehenden Stunden aufgenommen. Ein- oder zweimal ließ die Kraft von Bunks Lippen nach und er un-terbrach acht Takte lang sein Spiel. Den Rest der Zeit blies er sich das Herz und die Lungen aus dem Leib, ebenso George, Jim und die Rhythmusgruppe. Decou kann man leider so gut wie gar nicht hö-ren, obwohl er die ganze Zeit auf das Kla-vier eingehämmert hat. Das Aufnahmege-rät war einfach nicht in der Lage, die gan-ze Musik so aufzunehmen, wie sie an diesem Nachmittag gespielt wurde.

Die zweite Nummer war Ain’t Gonna Study War No More. Sie wurde als Down By the Riverside veröffentlicht (unter wel-chem Titel es seitdem aufgenommen wird). Ich dachte, dass es politisch nicht gut wäre, den richtigen Titel zu verwen-den, da wir uns im Zweiten Weltkrieg befanden. Storyville Blues war die dritte Nummer. Das Stück Storyville wurde aus mehreren Titeln ausgewählt, weil es ein gut klingendes Wort ist und, soweit ich wusste, zuvor nicht als Songtitel verwen-det wurde. Bunk schlug Moose March vor, nachdem ich nach einer Nummer fragte, die er um die Jahrhundertwende in der Band zu den Mardi Gras-Paraden gespielt hatte. The Moose, so hieß eine der zahlreichen Geheimgesellschaften jener Zeit. Keiner der anderen kannte die Melodie. Also spielte Bunk sie vor, dann gingen sie gemeinsam das Stück ein paar Mal durch und nahmen es schließlich auf. Ich persönlich halte es für eine der besten Jazz-Aufnahmen. Ebenso wie Bunk's Blues.

Das Interview mit Bunk wurde am folgen-den Tag auf die restlichen drei Acetat-scheiben verteilt aufgenommen. Gene Williams leitet das Gespräch ein, bevor Bunk seine Geschichte an einem Stück erzählt. Am Samstag verließen wir Bill Russell und New Orleans mit zwölf Ace-tatplatten im Kasten und mit Bunk und Williams als zusätzliche Passagiere (Gene beschloss, uns drei nach Kalifornien zu-rückzufahren)

Von DAVID STUART, 24. Mai 1942. David Stuart, der ursprüngliche Inhaber des Jazz Man-Plattenladens, den er von 1938 bis 1942 in Hollywood betrieb, war zu verschiedenen Zeiten: Filmspezialist, Spezialist für deutsche Briefmarken: be-sonders der Zeit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg, Autor und leitender Angestellter bei Good Time Jazz. Er ist Mitinhaber der Primus-Stuart Galleries in Hollywood, Händler für moderne Kunst.

Titelfoto von Bunk Johnson von Francis Wolff. Design von Kershaw, Smith / Tri-Arts. Albumcover und Liner © 1962 von Contemporary Records, Inc. Gedruckt in den USA.

sen. Nachdem wir die Klaviere verscho-ben hatten, hatten wir genügend Platz für die Band und die Ausrüstung. Nur eine Sache war noch nervend: Der Raum befand sich im obersten Stockwerk unter einem klapprigen Wellblechdach. In der Nachmittagshitze war es wie in einem Backofen. Als wir die Fenster öffneten, um etwas Luft reinzulassen, hörten wir das Hundegebell, Hupen und Klingeln der Straßenbahn. Aber irgendwie schien das alles nicht mehr wirklich zu stören: Es ging nur noch darum, Bunk und George und die Band aufzunehmen.

Um das Abenteuer endlich zu starten, suchte Bunk ein Stück raus, das jeder kannte - Y es, Lord, I’m Crippled and Cannot Walk. Das Mikrofon des Presto war gerade mal groß genug, um ein oder zwei Instrumente gut hörbar aufzuneh-men, die anderen der Band nur schwä-cher. Also stand Bunk vorn mit George an seiner Seite und die anderen bildeten einen Halbkreis um sie. Das stellte sich schließlich als glückliche Lösung heraus. Die Band ging die Nummer einmal durch, danach gab Bunk den Takt stamp-fend vor und die Legende nahm ihren Lauf.

Einiges wurde auf Acetat geschnitten, ein Teil flog durchs Fenster und klatsch-te auf die Straße. Colburn ging drei Stü-cke später eine Kiste Bier holen. Als er zurückkam, erzählte er uns, dass er zwei Häuserblocks weiter noch den Weary Blues gehört habe und dass die Leute auf der Straße still dastanden und die Hände an die Ohren gehalten haben, um besser hören zu können. Das meiste da-von ging uns im „Studio“ wirklich ins Ohr. Für mich wurde der Tag zum aufre-gendsten in meinem Leben. Ich kann mit Sicherheit dasselbe auch für die anderen sagen, einschließlich des jungen Man-nes, der die Ausrüstung besaß. Er rannte wie ein Besessener los, um andere Grunewald-Angestellte und Freunde zu holen, damit sie die "alten Männer" spie-len hören konnten.

Zuvor am Tag hatte ich Orin Blackstone, den Bix-Spezialisten, angerufen und ihn gebeten, vorbeizukommen. Er sagte, er könnte es einrichten, aber er glaube nicht, dass es viel Sinn machen würde, da keiner der alten Musiker mehr gut spielen würde. Er kam, als die Band gerade Moose March aufzeichnete. Die Musiker bliesen ihn fast an seinen Schreibtisch im Timer-Picayune zurück. Er lehnte an der Wand und konnte nur noch ungläubig den Kopf schütteln. Spä-ter am Nachmittag kamen drei alte Trin-ker von der Straße, schlurften mit den Füßen zum Takt, schlugen sich auf die Schenkel und schwenkten die Hände in der Luft. Ich sage es gern noch einmal, es war der grandioseste Tag in meinem Leben und höchstwahrscheinlich im Leben vieler anderer!

Die Band hat die neun Nummern, die auf

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 10

V or fünfundzwanzig Jahren lief ich durch New Or-leans. Ich war 22 Jahre alt, ein Nachwuchsjour-

nalist aus Ostdeutschland, der von Jazz so viel Ahnung hatte wie ein Mönch vom Sex.

Alleine wäre ich wohl nie auf den Gedanken gekommen, nach New Orleans zu fliegen. Doch der Zufall wollte es, dass ich in die Fänge der US-Regierung geriet, was in mei-nem Fall sehr angenehm war.

Die US-Regierung hatte nach dem Mauerfall ein Austauschprogramm für Journalisten aus Ostdeutschland aufgelegt. Ich hatte an der Aus-schreibung teilgenommen und war zu einem Auswahlgespräch nach Berlin eingeladen wurden. Vor mir saßen vier Männer in dunklen Anzü-gen und eine Frau in einem dunklen Kleid. Sie sahen aus wie die Beset-zung in einem Strafprozess. Um die steife Atmosphäre etwas aufzulo-ckern, legte ich der Auswahlkom-mission einige meiner Fotos auf den Tisch, die ich ein Jahr zuvor in Israel aufgenommen hatte. Damit brach das Eis. Die Auswahlkommission

und ich, wir verstanden uns präch-tig. Einige Tage später kam per Post die Einladung für die USA-Reise. Sie führte mich und ein gu-tes Dutzend weiterer Nachwuchs-journalisten nach New York, Washington DC, Denver, San Fran-cisco und New Orleans.

Unser Dolmetscher hieß Patrick E. Nieburg. Er war Sicherheitsberater unter John F. Kennedy und Chair-man des US-Aufsichtsgremiums beim RIAS gewesen. Jedenfalls glaube ich, dass Patrick mir das so erzählt hat. Sicher bin ich mir aber nicht mehr. Es ist so lange her. Gut möglich, dass einige meiner Erin-nerungen hier zu Legenden wer-den.

Ich weiß aber noch genau, dass un-sere Reisegruppe in New Orleans zur Mittagszeit in ein Restaurant einkehrte. Ich bestellte mir Reis mit Garnelen, ohne zu wissen, was Gar-nelen sind. Ich hatte sie bis dato noch nicht gegessen. Die Garnelen lagen hübsch angerichtet auf mei-nem Reis. Ich aß sie mit einem gro-ßen Löffel und wunderte mich über ihre schuppenähnliche Schale, lies mir aber nichts anmerken, zerkaute sie tapfer und schluckte sie hinunter. Irgendwann unterbrach Patrick mein Mittagsmal und zeigte mir, wie man den Panzer aufbricht und entfernt. Es war mir ziemlich peinlich. Ich war ein Ossi in den USA. Ein Kind der sozialistischen Provinz. Das Ge-genteil von weltläufig. Zum Glück kannte ich damals Kiwis bereits. Die gab es nämlich zum Nachtisch, und ich hielt sie nicht für Kartoffeln.

Ahnungslos in New Orleans

Von Stephan Schulz

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 11

Nach dem Mittagessen trafen wir uns mit einer Jazzjournalistin aus New Orleans. Ich weiß noch, dass wir in ihrem Garten saßen, umringt von verführerisch dufteten Blumen. Wie die Frau hieß, weiß ich nicht mehr, aber ich vermute, dass es eine bekannte Journalistin war. An der Universität von New Orleans saß ich dann wenig später einem Dozenten oder Professor aus der Marsalis-Familie gegenüber. War es Ellis Marsalis oder sogar Wynton Marsa-lis? Ich traue es mir kaum zu sagen, aber ich weiß es schlichtweg nicht mehr.

Ich lernte in New Orleans berühmte Musiker, Journalisten und Politiker kennen, und ich war an den bekann-testen Orten der Stadt, aber so rich-tig bewusst wurde mir das erst nach meiner USA-Reise. Nehmen wir nur die Preservation Hall, den berühm-

ten Jazzclub. Jeder kennt ihn, nur ich, ich kannte ihn damals nicht. Meine musikalischen Wurzeln lie-gen in den 1980ern. Ich hörte Bands wie Sisters of Mercy und Depeche Mode. Erst Jahre später, als ich mein Buch „What a Wonderful World. Als Louis Armstrong durch den Os-ten tourte“ schrieb, entdeckte ich den Jazz für mich. Während meines New-Orleans-Aufenthaltes waren die Heiligtümer des Jazz aber noch unbekanntes Terrain für mich. Und so spazierte ich am Mississippi ah-nungslos durch das French Quarter mitten hinein in die Preservation Hall. Ich sehe mich noch mit mei-nem Fotoapparat, eine Minolta 7xi

ter den Musikern hing eine uralte vergilbte Tapete. Vermutlich die Gründungstapete der Preservation Hall. In meiner Erinnerung saß das Publikum dicht gedrängt vor den Musikern auf der Erde, auf Sitzkis-sen, vielleicht auch auf Holzbänken. Einige standen auch. Das Licht in der Preservation Hall war sehr de-zent. Gut möglich, dass nur Kerzen brannten. Es war eine einzigartige Atmosphäre.

Als ich die Preservation Hall wieder verließ, kaufte ich mir noch eine Single. Sie trägt den Titel:

Kid Thomas—New Orleans Jazz

Fotos: Stephan Schulz

mit eingelegtem Dia-Film, in einem Türrahmen stehen und eine Jazzband fotografieren, die mich schwer beeindruckte. Die farbigen Musiker müssen alle um die achtzig Jahre alt gewe-sen sein, was ihnen aber nicht anzumerken war. Ihre Musik war pure Lebensfreude. Hin-

Stephan Schulz (Jg. 1972) arbeitet als politischer Journalist beim MDR.

Er wurde bekannt durch das Buch „What a Wonderful World—als Louis Armstrong durch den Osten tourte“, das mit dem „Swinging Hamburg Award“ ausgezeichnet wurde. Sein Faible für skurrile und witzige Kurzgeschichten veranlasste ihn, über seine Jugend in der DDR zu schreiben. Das Buch „Bück Dich, Genosse!“ erschien beim Eu-lenspiegel Verlag. Die hier abgedruckte Geschichte schrieb Stephan Schulz exklusiv für unser Blatt.

Das Louis Armstrong Buch haben wir als JUST FOR SWING PUBLIKATION neu verlegt. Es kann jederzeit über EPUBLI und AMAZON käuflich erworben werden.

Im Jazzclub „Fritzel‘s“ wurde der Tag der Deut-schen Einheit gefeiert. Aus Bocholt in Deutschland

trat die Doohackedoodles Jazzband auf.

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 12

doch nahm er solch erhebende Anteil-nahme an seinem Schicksal als gutes Omen für die Zukunft und schied gefaß-ten Mutes.—

Konnte er doch nicht ahnen, daß gar bald die Kriegsfurie über die Welt her-einbrechen und mehr als ein Jahrzehnt vergehen würde, ehe er ins ferne Ame-rika zurückkehren sollte.

Nach langer und strapaziöser Fahrt er-reichte er das Heimatstädtchen, schloß die Mutter in die Arme, drückte dem leidenden Vater Balthasar die Hand und widmete sich sogleich dem elterlichen Geschäft. Er, der jahrelang nur der Mu-sik gelebt hatte, erinnerte sich seines schon in der Jugend beachteten merkan-tilen Sinns und erreichte es, daß schon bald der Bollhausener Kurzwarenhandel auf sichereren Füßen stand als je zuvor, so daß Georg auch oft Zeit und Gele-genheit fand, die Posaune aus dem Etui zu holen und der geliebten Musik zu huldigen.

Kantor Schilch freilich, der das musika-lische Talent unseres Freundes schon in dessen jüngsten Jahren entdeckt und gefördert hatte, lebte nicht mehr und konnte sich an der künstlerischen Größe seines Schützlings nicht mehr erfreuen.

Die Freunde und Mitmusikanten aus früheren Jahren aber standen verwundert der musikalischen Offenbarung gegen-über, die ihnen da in Gestalt von fremdar-tigen Tönen und Rhythmen aus Georgs Posaune in die Ohren drang, und sie baten ihn, ihnen behilflich zu sein, diese neue Kunst zu erlernen. Hirchleitner machte sich voll Ei-fer an die Arbeit und wählte unter den Musikanten Bollhau-sens diejenigen aus, die ihm am fähigsten

erschienen: Alfred Wimms, den Klari-nettisten, Gustav Moser, der trefflich das Piston zu blasen verstand, und dem Georg bei einem Trödler in Regensburg eine Trompete kaufte; Xaver Dempflin-ger mußte sich von der Laute auf ein ebenfalls auf geheimnisvolle Art erwor-benes Banjo umstellen. Josef Rilfechter blies im Kirchenchor die Tuba und ver-

hause geworden war. Der Schmerz um den Verlust der geliebten Jazz-Atmosphäre wurde gemildert, durch das feste Versprechen, das er den Freunden und sich selbst gab, sobald wie möglich wieder das Schiff gen

Westen zu besteigen. Als sich am Rei-setage nahezu sämtliche Musiker des Storyville-Viertels am Quai einfanden und zum letzten Mal „High Society“ intonierten, in welches Stück Georg von der Reling aus mit Macht ein-stimmte, drohte ihn zwar die Rührung zu übermannen, und nur mit Mühe konnte er die Tränen zurückhalten,

Z ahlreiche Jazzfreunde, die trotz gründlicher Kenntnisse der Materie noch vor wenigen Mo-naten verabsäumten, sich des

Nestors des deutschen Jazzlebens zu erinnern, werden durch den bisherigen Lebensbericht des Erwähnten nachdenk-lich geworden sein und ihr oft aus wenig gründlichen Quellen stammendes Wis-sen revidieren müssen. Geriet die Ge-schichte Georg Hirchleitners seit Beginn ihrer Veröffentlichung über Nacht ins Gespräch der Interessierten, und erfuhr der bedeutende Posaunist dieserart eine posthume und verdiente Würdigung, so dürften die jüngsten Enthüllungen gera-dezu sensationell in der Fachwelt einge-schlagen haben. Wer, so fragt man sich—in– und ausländische Experten eingeschlossen—hätte es sich träumen lassen, daß das Rätsle um die Herkunft des Wortes „Jazz“ eine so frappierend einfache, einleuchtende und wahrheits-gemäße Lösung finden würde? Gerade dadurch erlangt die Existenz des großen Menschen Hirchleitner eine tiefgehende Bedeutung, die uns, selbst bei Hintan-setzung allen vaterländischen Stolzes, doch ein wenig optimistischer in die Zukunft blicken läßt…

Die Zeit des ersten Amerika-Aufenthaltes, der erhebende Erfolge im Süden des Staates Louisiana sollte für Georg jedoch ein jähes Ende finden. Am 23. März 1912 erreichte ihn eine Eilpost aus der Hei-mat, der er entnehmen mußte, daß sein ge-liebter Vater krank darniederliege. Die Mutter bat Georg mit inständigen Worten, sich unter Benutzung des nächsten Damp-fers nach dem heimat-lichen Bollhausen einzuschiffen und die Leitung des väterli-chen Geschäftes bis zur Genesung des alten Meisters Hirch-leitner zu übernehmen. Georg, ein ge-horsamer Sohn, schnürte sein Ränzel, umarmte voll Wehmuth die unzähligen Freunde heiterer Tage und die herzens-guten Verwandten, und nahm gewiß nicht leichten Herzens Abschied vom ungebundenen Musikantenleben und von Amerika, das ihm zum zweiten Zu-

Die Opa Hirchle i tner Story Tei l 7

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 13

Georg aber über-traf bei diesem Konzert sich selbst und riß seine Kollegen zu wirklich künstle-rischen Leistun-gen mit, was vor allem von Com-tesse Hermine, der Tochter des Fürsten, anerkennend vermerkt wurde. Dieses bezaubernde Fräulein hatte sich seit zartestem Kindesalter des Klavier-spiels befleißigt und es in dieser Kunst zu beachtlichen Leistungen gebracht. In einer Pause, als die Gäste eifrig über die neuartige Musik diskutierten, trat sie zu Georg und erklärte ihm frank

und frei, wie es ihre Art war, daß in seiner Kapelle allein der

Klavierschemel unberück-sichtigt geblieben sei.

Betroffen erwiderte Georg, daß er in der Tat gewohnt sei, mit einem Pianisten zu spielen, daß ihm jedoch in der Heimat keiner begegnet sei, der dieses Instru-ment genügend be-herrsche. „Aber, Herr Hirchleitner“,

züchtig errötend schlug die Comtesse

die Augen nieder, „haben Sie denn gar nicht

an mich gedacht?“

„Aber, gnädigste Comtes-se‚ wären Sie denn bereit, in unserer Band -“, stam-melte der verdutzte Musi-

ker und . . .

(Continuiret im nächsten Journal)

stand sein Handwerk wohl, während Georg als Trommler den Peter Kurflin-ger, Sohn des dem Leser bereits bekann-ten Postboten, verpflichtete. Kurflinger junior hatte durch seine Zugehörigkeit zur Blaskapelle der Freiwilligen Feuerwehr bereits einige Übung in der Handhabung dieses Instruments und verfeinerte seine Technik unter der An-leitung Georgs. Nun hatte Fürst Baul, der dem geneigten Leser ebenfalls aus der Schilderung der Jugend unseres Helden bekannt sein dürfte, schon des öfteren von der merk-würdigen Musik raunen hören, die im Hinterstübchen des Bollhausener Dorf-kruges erklang, und war—von wahrhaft fortschrittlichem und aufgeschlossenem Adel—begierig‚ sie zu hören. Kurzer-hand lud er musikverständige Gäste aus nah und fern auf sein Schloß, bat Georg Hirchleitner durch einen livrierten Boten, am gleichen Abend mit seinen Musikern zu erscheinen und sein Debut zu geben. Je-ner 27. September des Jahres 1913 aber sollte als der Tag in die Geschichte des Jazz eingehen, an dem zum ersten Male in Deutschland eine Jazzband öffentlich auftrat. Im spätsommerlich durch-wärmten Garten des fürstli-chen Palastes waren bunte Lampions und Girlanden aufgehängt, bequeme Stüh-le und Sessel boten den zahlreichen adligen und bürgerlichen Gästen Platz, während in dem von Ker-zen feierlich erleuchteten Pavillon in Form einer aufgerichteten Muschel die festlich gekleideten Musikanten saßen oder standen. Mit Ausnahme von Georg klopfte ihnen allen gewaltig das Herz, denn eine soeben erst erlernte Fertigkeit vor so erlauchtem Auditorium zu produ-zieren, verleitet gewiß nicht jedermann zur Gleichmütigkeit. Georg hob die Po-saune, klopfte mit dem Stiefelabsatz, und vor den versammelten Musikfreunden erklang „Alexanders Ragtime Band“, eine Melodie, die kurz vor Georgs Ab-schied aus New Orleans bekannt und beliebt geworden war.

Am meisten beeindruckt war wohl der Fürst selbst, denn er war es, der die Mu-siker ermunterte, bis tief in die Nacht hinein aufzuspielen. Somit kann der Fürst Baul, der damalige Landesherr von Bollhausen an der Donau—das einer alten Chronik zufolge, in früherer Zeit Baulhausen hieß—als der erste authenti-sche (und, leider, bis heute fast einzige) deutsche Mäzen der Jazzmusik gelten.

Der Teil 7 erschien im Original im Jazzmagazin schlagzeug Nr. 19 im März 1959—Abb.

Fürst Baul, Landesherr

von Bollhausen

Not Funny

A nfang Mai wurde in sämtli-che Probenräume von städti-schen Bands in der Baracke der Leipziger Stadtwerke in

der Roscherstraße eingebrochen. Un-terschiedlichste Musiker haben seit Jahren hier ihr Domizil. Die Täter gin-gen dabei professionell und systema-tisch vor und arbeiteten sich ungestört durch den gesamten Gebäudetrakt.

Der Schaden, der angerichtet wurde, ist nicht nur materieller Art sondern betrifft auch in einem besonde-ren Fall die jahrelange Ar-beit eines DJs, der sämtliche Festplatten mit seinen Werken

verloren hat und einen nicht wiedergut-zumachenden Schaden erlitt. Nachdem die Täter hochwertige Technik, Com-puter und teure Instrumente gestohlen hatten, warfen sie beim „Abtransport“ noch einzelne Keyboards auf die Stra-ße, die für sie scheinbar nicht zu ge-brauchen waren.

Trotz des erheblichen Schocks und einer unbändigen Wut über Leute, die aus welchen Gründen auch immer Mu-sikern diesen Schaden zugefügt haben, gab es noch einen Moment, der für verhaltene Heiterkeit sorgte. In einem Probenraum, der von den Dieben be-senrein übergeben wurde, ließ man zumindest ein Instrument stehen... Es klingt wie ein alter Witz: Es war das Banjo! Sollte sich da möglicherweise ein Insider zu guter Letzt noch einen bösen Scherz erlaubt haben?

Fotos: Bernd Hoffmann

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 14

Durch die Schlichtheit der oft im Kollektiv gespielten Musik mit einfachen, eingäng-igen Melodien konnte weltweit eine Art Jazz-Volksbewegung mit leichtem Zugang für Amateurmusiker wie auch Zuhörer ent-stehen. Entscheidenden Anteil hatten daran bis in die 1970er Jahre britische Bands und vor allem die nach Europa gesandten und eingeladenen, als Schöpfer und Veteranen des (New-Orleans-)-Jazz herausgestellten Musiker um den gerade mal 60jährigen Klarinettisten George Lewis (1900-1968) und seine kaum älteren Mitspieler (1959 erste Tournee).

Hierzu hatte der englische Trompeter Ken Colyer (1928-1988) einen Anstoß gegeben, war dieser doch zum “Studium” des vorgeblich einzig echten Jazz in die Geburtsstadt dieser Musik gereist und hatte, 1953 zurückgekehrt, missionarisch eine bald ausufernde Bewegung,“Trad” genannt, in Gang gesetzt.

Einer, der davon erfasst und fasziniert wurde und sich 1964 nach Colyers Vorbild als 22jähriger zur Stadt seiner und aller Jazzfans Träume aufmachte – bald aber blieb – ist der englische Trompeter Clive Wilson und Autor, der sich dort sogar eta-blierte. Wilson war überaus ehrgeizig und wurde so Teil dieser historisch verklärten Musik-Szene der Crescent City.

Er schildert in diesem illustrierten Buch ausführlich seinen durchaus nicht einfachen Weg dorthin wie auch den Kontrast zwischen den gehegten Wunschvorstellun-gen und der erlebten, auch krassen Realität. Faktenreich beschreibt er die Musik-Vielfalt der Stadt und mit vielen Anekdoten vor allem seine Begegnungen mit den als legendär bezeichneten Musikern, die ihm Vorbild waren und wurden: Punch Miller, George Guesnon, Kid Howard, Percy Humphrey, Peter Bocage u. v. a.

Diese traf und hörte Wilson u.a. in der drei Jahre vor seiner Ankunft zur Bewahrung der volkstümlichen Jazzklänge in der St. Peter Street geschaffenen, auf “Alt” getrimmten, “Preservation Hall”, welche durch eine gemeinnützige “Preservation Hall Foundation” betrieben wird.

Schnell wurde Wilson, wie er schreibt, eingeladen, in die Marching Bands mit ih-ren berühmten Namen sowie bei den eta-blierten Jazzbands mit “einzusteigen” und auszuhelfen.

Clive Wilson gelang mit dieser Autobio-grafie eine persönlich direkt belegte Dar-stellung eines inzwischen durch etliche Einflüsse erweiterten und durchaus be-merkenswerten regionalen Jazz-Panoramas. Es ist zudem eine aufschlussreiche und le-senswerte Liebeserklärung eines “weißen” Insiders an die immer noch überwiegend von Afro-Amerikanern gepflegten Jazz-Klänge. Wilson wurde durch strikte Inte-gration und vor allem ohne Hochmut einer der ihren, wurde schnell auch familiär aufgenommen und entwickelte sich – wie es ein Video bei Youtube mit dem “West End Blues” belegt – zu einem beachtlichen Trompeter, schließlich sogar zu einer Leit-figur in der Stadt des Jazz. Ein empfehlen-swertes Buch, besonders für Kritiker dieses Genres.

Gerhard Klußmeier

Ein Plädoyer für die “Volksmusik des Jazz”

Clive Wilson: “Time Of My Life, A Jazz Journey from London to New Orle-ans” (englisch);

University Press of Mississippi, Jackson 2019. ISBN 978-1-4968-2117-1

D as Credo dieser Autobiografie: Ein Loblied auf die seit Ende der 1930er Jahre als “Original New Orleans Jazz” bezeichnete Musik

von Bunk Johnson / George-Lewis und deren Nachfolger.

Man sollte allerdings solche Klänge nicht vorschnell arrogant abwerten oder abtun. Denn sie ist mit und neben dem Blues eine Art “Volksmusik des Jazz”.

Diese vereinfachte Jazz-Form ist auch nicht, wie vielfach behauptet, die Urform dieser Musik, die sich einst aus der dortigen Tanzmusik entwickelte, sondern sie ergab sich erst um 1917 zwangsläufig nach Schlie-ßung der Vergnügungs-und Musikstätten im Stadtteil Storyville von New Orleans durch zurückgebliebene oder aus welchen Gründen auch immer zurückgelassene Musiker. Diese waren bis dahin überwiegend die Sidemen derjenigen gewesen, die derzeit vor allem nach Chicago zogen, also Begleiter der bis-her in New Orleans maßgebenden Musiker, die weiterhin nicht nur mehr wollten, sondern durchaus auch mehr konnten … Oli-ver, Armstrong, Dodds, Noone, Ory u.a.

In der Stadt verblieben die meisten ihrer bisherigen Mitstreiter, die dann ohne Leitfi-guren und Vorbilder eine simplifizierte Jazzform weiterführten, die in New Orleans wie auch in anderen Orten – trotz etlicher Schallplatten-Produktionen – recht schnell in Bedeutungslosigkeit ausklang.

Ende der 1930er Jahre wurden die zum Teil verarmten Protagonisten quasi wie-derentdeckt, als Urväter des Jazz bezeichnet und entsprechend vermarktet. Ihre Musik in-itiierte ein Revival in den USA, und erlebte einen wahren Boom nach Ende des Krieges vor allem in Europa.

Für Freunde des traditionellen Jazz wie immer eine Fundgrube mit inte-ressanten Recherchen zum Jazz und der Jazzszene in und um Hamburg. Die Hefte kann man über die Web-seite bestellen:

www.swinginghamburg.de oder per E-Mail bei

[email protected]

Westarp Verlagsgesellschaft mbH ISBN13: 978-3-96004-020-0

Das 450-Seiten starke Buch unseres Mitarbeiters und Posaunisten Freddy Schauwecker erscheint Mitte Oktober im Buchhandel zum Preis von 23,80 €

Das schöne Coverbild ist ein Auszug

aus dem Gemälde "Buddy's Dream" und wurde von Chris Osborne, New Milford,

USA gestaltet und mit ihrer freundli-chen Genehmigung für das Buch zur

Verfügung gestellt.

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 15

Gerhard Klußmeier, Rosengarten Was ist damit eigentlich gemeint?

Von „Geheimnissen“ hinter Jazz-Titeln (Teil 15)

gern auf dem Klavier herum. Er spielte ständig dieses kleine Stück, und ich schrieb ein Arrangement dazu und fügte einen Mittelteil ein. Ich nannte es nach Elmer, und die Gäste fanden es toll. Nachdem wir es am 10. April 1941 ein-gespielt hatten, rief Glenn Miller an und sagte, er wolle das Stück spielen, brau-che aber einen Text dazu. Ich rief daher Sammy Gallop an, der drunten im Loop arbeitete. Er nahm die U-Bahn, kam rüber, holte die Noten, ging fort und rief mich 20 Minuten später mit dem fertigen Text an. Er hatte ihn auf dem Rückweg zu seinem Büro in der Bahn geschrie-ben, und wir mussten nicht ein einziges Wort ändern. Nachdem Elmer Albrecht das Einbalsamieren aufgegeben hatte, um nur noch zu komponieren, versuchte er einen weiteren Hit zu landen und schrieb Elmer ‚Done It Again‘. Aber diesmal schaffte er es nicht“. Elmerʼs Tune kam durch Dick Jurgens als Instru-mental und mit Gesang durch Glenn Miller in die Charts.

[Iʼve Got A Gal In] Kalamazoo

(Gordon-Warren)

Glenn Miller, 20. Mai 1942

Dieser Song wurde für Tex Beneke, Ma-rion Hutton und die Modernaires zum Spielfilm „Orchestra Wives“ geschrie-ben (1942, mit George Montgomery, so-wie der gesamten Miller-Band). Die Produzenten wünschten sich etwas wie Chattanooga Choo Choo, den Hit aus Millers erstem Film („Adoptiertes Glück“ / „Sun Valley Serenade“. 1941). Harry Warren, der Komponist des Hits über Chattanooga in Tennessee sah sich nach einer anderen Stadt um. Er erzählte darüber: „Ich hatte einen Dum-dum-dum-dum-Rhythmus im Kopf, und deshalb beschlossen Mack Gordon und ich, ei-nen Namen zu unterlegen. Als kleiner Junge war ich in Kalamazoo (Michigan) gewesen und hatte meinen Namen in die Bahnhofsmauer eingeritzt. Auf dieser Grundlage entstand der Text. Es war nicht das erste Lied, das seinen Titel ausbuchstabierte, aber es war ein wirk-samer Kniff.“ Kalamazoo war für den Oscar nominiert (prämiert wurde White Christmas). Tommy Dorsey, Benny Goodman und Paul Whiteman nahmen diesen Titel derzeit ebenfalls auf, doch nur Millers Aufnahme erreichte die Charts.

Fortsetzung folgt

When You And I Were Young, Maggie (Johnson-Butterfield)

u.a. Red Nichols, New York, 18. September 1934 / Tommy Ladnier (mit Sidney Bechet), New York, 28. November 1938

Nicht nur ein Klassiker des traditionel-len Jazz sondern auch als langsame Bal-lade unzählige Male von vielen Künst-lern interpretiert und aufgenommen. Hierzu gibt es eine etwas längere Histo-rie. Zuerst gab es den Text, ein Gedicht, dies wurde 1864 von dem 25jährigen kanadischen Schullehrer George Washington Johnson (1839-1917) aus Hamilton (Kanada, Provinz Ontario) ge-schrieben. Eine seiner Schülerinnen war Margaret „Maggie“ Clark. Sie verliebten sich und heirateten in dem Jahr, als das Gedicht entstand. Während ihrer zuneh-mend schweren Krankheit war George zum Rand des Niagara-Steilhangs ge-gangen, überblickte die heutige Innen-stadt von Hamilton und schrieb die Zei-len in der Gewissheit, niemals das zu er-leben, was sein Gedicht optimistisch aussagte: Im Alter gemeinsam an die Zeit zurück denken zu können „when you and I were young, Maggie“. Es wurde 1864 in einer Sammlung seiner Gedichte mit dem Titel „Maple Leaves“ veröffentlicht. Maggies Gesund-heitszustand verschlech-terte sich schnell und

sie starb bereits am 12. Mai 1865, im Alter von nur 20 Jahren. Der Kompo-nist James Austin Butterfield (1837-1891) aus Indianapolis (USA) vertonte 1866 das Gedicht und als Song wurde „When You and I Were Young, Mag-gie“ weltweit populär. Der Autor hei-ratete später erneut und starb 1917. Das Schulhaus, in dem sich die beiden Liebenden trafen, steht immer noch auf der Böschung oberhalb von Hamilton, und vor dem alten Gebäude wurde eine Gedenktafel mit dem Namen des Lie-des aufgestellt. Am Haus von Maggies Kindheit erinnert ebenfalls eine gold-umrahmte Tafel an sie und an das durch sie inspirierte Lied.

2005 wurde der Song in die kanadi-schen Songwriters Hall of Fame aufge-nommen.

Elmer's Tune

(Gallop-Jurgens-Albrecht)

Dick Jurgens, 10. April 1941 / Bob Crosby, 30. Juni 1941 / Glenn Miller & His Or-chestra, 11. August 1941 jeweils in New York / Benny Goodman 15. August 1941 in Chicago.

Das spritzige kleine Stück wurde von einem nebenberuflichen Komponisten geschrieben, der als Einbalsamierer in Chicago arbeitete: Elmer Albrecht (1901-1959). In seiner Freizeit hielt er sich gern im Aragon Ballroom (Chicago) auf und hörte Dick Jurgens und seinem Hausorchester bei den Pro-ben zu. „Elmer war immer während seiner Mittagspause da,“ erinnerte sich Jurgens, „und klimperte mit zwei Fin-

Maggie und George

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 16

V on den einen seit längerer Zeit als „Dixie-Stadl“ tituliert, von ande-ren jedes Jahr wie Weihnachten herbeigesehnt, ist dem Internatio-

nalen Dixieland Festival in Dresden in Sachen Eigenwer-bung kein Superlativ zu gering. „300 Musiker, über 37 Bands aus 11 Nationen auf über 70 Bühnen!“. Auch, dass man 186 Stunden Musik hören könne, Bands auf eine Teilnahme beim Dixieland Festival so lange warten müssten, wie der DDR-Bürger für den Kauf eines Tra-bis, was nicht unbedingt ein Indiz für Qualität sein muss, stimmt ganz nebenbei auch nicht, wenn man die regelmäßi-ge Widerkehr diverser Bands wie Lamarotte Jazzband aus den Niederlanden in Betracht zieht. Es scheint, als würde die Quali-tät der Musik an manchen Stel-len eine zweitrangige Rolle spielen und die kommerzielle Seite eines fast als Unterneh-men fungierenden Festivalveranstalters, der betont, ohne größere staatliche Unterstüt-zung und Fördermittel auszukommen, die Oberhand haben. Wenn man als Alleinstel-lungsmerkmal immer wieder Geschichten mit politischem Anstrich bemüht, die die Entstehung des Festivals beschreiben, wie jene, dass man skeptischen Kulturfunktionä-ren der DDR das Dixieland Festival nur schmackhaft machen konnte, weil man ihnen erklärte, dass es sich beim Dixieland um „so ein Zwischending von Singebewegung der FDJ und Böhmischer Blasmusik“ handeln würde, hat das einen schalen Beigeschmack, wenn die Musik teilweise dann so klingt und manche Band sich einem schwer zu definie-renden Publikumsgeschmack anzubiedern scheint.

Am 26. Mai 2019 fand ein Showcase von am Festival teilnehmenden Bands auf der Prager „Shopping“meile statt. Dort bebte das Pfla-

chen Swing-Dance ein.

Einige Bühnen weiter spielte die „Blaa Man-dag Jazzband“ aus Dänemark, wo der traditi-onelle Jazz noch eine hohe Reputation ge-nießt, gegen die sich laut unterhaltenden Menschen in der Nähe der Bühne an. Die älteren Herren wirkten abgekämpft und hat-ten wenig Überraschendes zu bieten. Im Bemühen um die Gunst des eng um die Büh-ne sich scharenden Publikums quälte man sich durch Titel wie „Blueberry Hill“ und verjazzte auch deutsche Schlager, das Publi-kum zum Mitsingen auffordernd.

Die Band „Jazz á Bichon“ aus Frankreich schien am anderen Ende der Prager Straße vollkommen fehl am Platz. Ihre Musik war es in Bezug auf das Anliegen des Festivals nicht! Sie agierten in der Tradition der Hot Five und Hot Seven von Louis Armstrong mit einer Trompeterin als Frontfrau wohltu-end stilecht, unverschnörkelt und elegant. Sie spielten feinsten klassischen Jazz ohne Mätzchen zur Schau zu stellen. Die Wirkung ihres Auftritts verpuffte leider in einer Um-gebung von Billigläden und einkaufswütiger Menschen, während die Lamarotte Jazzband aus den Niederlanden mit an Hau-drauf-Blasmusik erinnernder Stilistik um gute Laune bei den Umstehenden besorgt war und geballte Aufmerksamkeit auf sich zog. Die anschließend auftretenden Musiker der Oldtime Jazz Company Leuna hatten es nicht leicht, dem viel entgegenzusetzen, wurden aber herzlich beklatscht.

Ein Musiker resignierte angesichts der At-mosphäre auf der Jazzmeile: „An irgendei-nem Punkt kann man das nicht mehr hören. Für eingefleischte Fans des wahren Jazz ist das zu viel angepasste Musik, die dem Volks-fest, dem Biergarten und dem einfachen Schlager-Fan wohltut.“

Diese Eindrücke lassen keine Rückschlüsse auf andere Konzerte des Festivals zu, das in der lokalen Presse positive Resonanz statisti-scher Zahlen wegen erhielt. Der MDR räum-te dem Festival am Abend ganze zwei Minu-ten Sendezeit ein, was auch gut so war, bei solch fachunkundigen Redakteuren!

Das bevorstehende 50. Jubiläum, das schon geplant ist und einige altbekannte Jazzbands aus dem In- und Ausland wie die Dutch Swing College Band aus Holland verpflich-tet hat, könnte auch Anlass sein, wieder mehr über Qualität statt Quantität von Musik nachzudenken, damit es dem Festival, das in der Vergangenheit wirklich große Momente hatte, nicht wie dem in Sacramento ergeht.

Traditioneller Jazz muss nicht als antiquiert oder Alte-Leute-Musik empfunden werden. Er kann mit neuen Impulsen immer wieder für Begeisterung sorgen. Dazu gehört, dass gute Musik sich nur in einer ansprechenden

Umgebung entfalten kann. Da-für muss man den Rahmen schaffen und sich hin und wie-der einigen Ballastes und lieb-gewordener Gewohnheiten ent-ledigen und darf wie am Bei-spiel der Jazzmeile nicht nur kommerzielle Gesichtspunkte im Blick haben. Vielleicht soll-ten sich die Organisatoren mal nach jungen Bands umschauen. Die gibt es mittlerweile wieder häufig.

Text: Detlef A. Ott

Fotos: Kerstin Ott

ster. Allerdings nicht nur der Musik, son-dern der vielen Menschen wegen, die in den überdimensionierten Einkaufs-tempeln, die Dresdens Innenstadt

dominieren, ihr Geld ausgaben. Die Büh-nen des Dixieland Festivals wirkten hinge-gen wie verlorene Inseln der Glückselig-keit.

Die ersten Klänge der Brass Band Ra-kovnik aus der Tschechischen Republik drangen vom Alt-markt an unser Ohr. Sie wa-ren auch gleichzeitig die letzten des etwas lustlos zele-brierten Abschlusschorusses. Ein mäßig begeistertes Publi-kum hatte die Aufmerksam-keit schon auf die Bierstän-den des Sponsors des Festi-vals „Feldschlösschen“ verla-gert.

Einige hundert Meter weiter zog die Dresdner Band „Elb Meadow Ramblers“ - sie spielt im 55. Jahr und in drit-ter Generation - ein großes Publikum an. Der Saxopho-nist erklärte, dass man eigent-lich Swing statt Dixieland

spielen würde, was man mit wohlfeilen Arrangements u.a. von Titeln Duke Elling-tons recht professionell tat. Der Bläsersatz, die swingende Rhythmusgruppe und gute Soli zeugten von hoher Spielkunst, in An-betracht der quirligen Atmosphäre vor der Bühne etwas schaumgebremst. Trotzdem, lud die Band auch Tanzwillige zu einer Gratis-Showeinlage fürs Publikum in Sa-

Jazz á Bichon aus Frankreich

Die Dresdner Band „Elb Meadow Ramblers“ sorgte professionell für swingende

Stimmung.

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 17

The Artistry of Peter Glessing Der Klarinettist Peter Glessing beim Kig Dixieland Festival in Dresden

Während des diesjährigen Kig Dixieland Festivals in Dresdens Markthallen vom

17. bis 26. Mai, welches wieder parallel zum Internationalen Dixieland Festival

stattfand, agierte unser Freund Peter Glessing aus Frankfurt mit seinem Trio, dem

der Banjospieler Henrik Dahn und der Tubaspieler Dirk Reccius angehören, auch

als Türöffner für die im Basement stattfindenden Konzerte unterschiedlichster

Bands. Mit unglaublicher Energie, Spielfreude, technischer Brillanz und körperli-

chem Einsatz (!) befeuerte er halbstündig mit Klassikern des swingenden Jazz die

Fußgängerzone, sorgte für manch sporadischen Stopp der flanierenden Fußgänger

und für euphorischen Szenen-Applaus. Glessings Buffet-Schwarzwurzel hörte man

seines kräftigen Tons wegen weithin teilweise wie eine Trompete, schluchzte in

Klezmer-Manier, kreischte schrill, klang warm im tiefen Register und durchlief

schwerelos alle Oktaven mit rasanten Glissandi. Wenn Musiker in der Lage sind,

mit der Art und Weise, wie sie spielen und egal, wo sie spielen, jedem ein Lächeln

ins Gesicht zu zaubern, ist das große Kunst. Dies beherrscht der Vollblutmusiker

Peter Glessing mit seinen Mitmusikern und jeder Note, die er spielt, aufs vorzüg-

lichste. (DO)

W illiam Davison (1906-1989) erhielt seinen Spitznamen nicht seiner Spielweise wegen. Er war fünfmal verheiratet und

war einem guten Drink nie abgeneigt. Er war ein typisches Gewächs der Chicagoer Jazzszene der 1920er Jahre, was noch in späteren Jahren an seinen Manieren zu er-kennen war. Dadurch konnte sein fabelhaftes Spiel schon mal in den Hintergrund geraten, als er beispielsweise den Trompeter von Papa Bue‘s Viking Jazzband, Keith Smith, aus der Band kickte, nachdem er in den Siebzigern nach Dänemark übergesiedelt war. Er begrüßte alle Musiker der Band au-ßer den Trompeter, zu dem er gesagt haben soll: „Ich habe Dich nicht deswegen nicht gegrüßt, weil ich Dich nicht gesehen hätte.“ Andererseits war er ein begnadeter Musiker, auch wenn er kaum Noten lesen konnte und ließ keine Gelegenheit aus, seinen Ansatz zu trainieren. Besucher in seinem Haus mussten in Kauf nehmen, dass er plötzlich den Raum verließ, um kurzzeitig sein Kornett zu bla-sen. Bekannt ist er Jazzfreunden durch viele Platten besonders mit verschiedenen traditio-

nellen Bands auch aus Osteuropa wie der Benkö Dixieland Band aus Budapest oder den Warschauer Oldtimers. Die Aufnahmen dieses Londoner Labels hingegen ragen der seltenen Konstellation wegen aus der Vielzahl von Platten mit

ihm heraus. Hier wird der Kornettist nur von zwei Gitarristen und einem Bassisten beglei-tet, wofür man als alleiniger Bläser starke Nerven, einen langen Atem und viel Erfah-rung braucht, um keine Langeweile aufkom-men zu lassen. Das Repertoire besteht aus Klassikern wie „Am I Blue“, „Running Wild“, „I Want To Be Happy“ und wird genüsslich swingend interpretiert. Davisons Kunst einer Art Happy-go-lucky Spielweise steht zwar im Mittelpunkt, der eigentliche Star dieser Aufnahme allerdings ist für mich der kaum bekannte Gitarrist Denny Wright (Denys Justin Wright, 1924-1992), der in London als Session-Musiker bekannt war und hier in bester Django Reinhardt Traditi-on die Gitarre zupft, stellenweise unisono auf Davisons Melodieläufe eingeht, mit perfektem Timing begleitet und mit hervor-ragende Soli brilliert und dadurch jedem Stück eine Frischzellenkur verpasst. (DO) Wild Bill Davison—Running Wild JSP Records 1044 Aufgenommen: Oktober 1981 in “Pizza On The Park”, London

Freunde des swingenden Jazz werden nach wie vor auf Flohmärkten oder Charity Läden bei lang gesuchten Raritäten zu sensati-

onellen Preisen fündig. Oft verbergen sich in den Kisten auch Aufnahmen, von denen man noch nie gehört hat und die auch

schwer im Internet zu finden sind. Dazu zählt auch diese Schallplatte mit Wild Bill Davison auf dem Londoner Label JSP.

Wild Bill Davison (cornet), Denny Wright & Paul Sealey (g),

Harvey Weston (b)

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 18

D ass ich immer mal wieder politisch oder sozial tätig wurde, lag an meiner Liebe zum Jazz und an Menschen, die

mir begegneten und diesen Enthusiasmus mit mir teilten. Wo immer ich ein neues musikalisches Talent entdeckte, brachte ich auch meine Freunde hin, damit sie sich meiner Begeisterung anschließen und an einer großen Karriere beteiligen konnten.

Im April 1933 stoppte ich bei meinen täglichen Rundfahrten durch Harlem einmal vor Monette Moores Flüsterkneipe in der 133rd Street. Ich erwartete dort Monette zu hören, die eine ausgezeichnete Bluessängerin war. Sie hatte jedoch einen Job in einer Broadway-Show angenommen, und ein junges Mädchen namens Billie Holiday vertrat sie. Die Pianistin Dot Hill begleitete Billie. Zu den ersten Stücken, die sie sang, gehörte Wouldja For A Big Red Apple? Es war der zweite Song, zu dem Johnny Mercer den Text geschrieben hatte.

Billie war erst zwei Jahre zuvor aus Baltimore nach New York gekommen. Da war sie fünfzehn, hatte sich aber schon als Prostituierte herumgetrieben und war auch schon im Gefängnis gewesen. Sie war keine Bluessängerin, aber sie sang Popsongs auf eine ganz eigene, unverwechselbare Art. Sie verfügte über ein erstaunliches Ohr, war absolut textsicher und phrasierte perfekt. Sie bewunderte den Sound von Louis Armstrong und sang, wie er Trompete spielte - das ist nicht übertrieben. Außerdem war sie einfach schön. Ihr Aussehen und ihre Haltung waren absolut damenhaft. Das ließ nie nach, nicht mal in ihren entwürdigten letzten Jahren. In dieser Nacht ging mir auf, dass sie die beste Jazzsängerin war, die ich je gehört hatte.

Meine Entdeckung Billie Holidays war jene Art Unfall, von der ich immer träumte, eine Belohnung, die ich manchmal dafür erhielt, dass ich überall hinfuhr, wo jemand auftrat. Meistens war ich dann enttäuscht, aber hin und wieder bekam das Ganze einen Sinn. Später, als Monette Moores Club zugemacht wurde, ging Billie ins Hotcha, 134th Street und Seventh Avenue, mit einem abgeteilten Raum hinter der Bar, in dem man ihr besser zuhören konnte.

Natürlich schleppte ich jeden zu ihren Auftritten, den ich kannte, darunter auch den Bassisten und späteren Plattenproduzenten Artie Bernstein, der sofort begriff, wie großartig sie war. Ich hatte einen Star gefunden und begann, im „Melody Maker“ über sie zu schreiben.

Als ich Billie Holiday zum ersten Mal hörte, war sie siebzehn und ich gerade mal zweiundzwanzig. Unmittelbar konnte ich sehr wenig für sie tun. Niemand wollte sie produzieren. Außerhalb Harlems kannte sie keiner, und ein Vokalist, der nicht wie Louis Armstrong ein Instrument spielte, wurde als Jazzsänger nicht einmal wahrgenommen. Ich kriegte sie nicht aus dem Kopf, aber alles, was ich im Moment für sie anstellen konnte, war über sie reden und schreiben.

Aus „John Hammond on Record, An Autobiography with Irving

Townshend“, Penguin Books, New York, 1981, S. 91

übertragen von Siegfried Schmidt-Joos

P.S. Am 27. November 1933 nahm John Hammond mit einer Band unter Leitung von Benny Goodman im Columbia-Studio an New Yorks Fifths Avenue Billie Holidays erste Schallplatte auf: Your Mother´s Son in Law b/w Riffin The Scotch. Nach historischen Zeugnissen wurde die Platte nur 300 Mal verkauft.

Die Aufnahme kann man sich auf Youtube anhören:

https://www.youtube.com/watch?v=hGkb5-dCWMY

Benny Goodman and his Orchestra

feat.

Billie Holiday (voc)

Benny Goodman (cl)

Jack Teagarden (tb)

Charlie Teagarden (tp)

Joe Sullivan (p)

Ihr Begleitpianist war jetzt Bobby Henderson, ein entfernter Verwandter von Fats Waller, der im Stride-Stil glänzte und ein ähnliches Charisma hatte wie sie.

Zweifellos würde auch aus ihm etwas werden. Er konnte gut komponieren, und seine Klaviertechnik war beeindruckend. Je besser Billies Begleiter waren, das wurde mir dabei klar, desto besser sang sie.

Nacht für Nacht ging ich ins Hotcha, ins Yeah Man, Pod´s und Jerry´s Log Cabin, in den Alhambra Grill, ins Dickie Wells´und andere Speakeasys in Harlem, um sie zu hören. Sie zog herum, lebte von Trinkgeldern und nahm jede Gage, die man ihr bot. Mit der Zeit lernte ich sie besser kennen und erkannte, dass sie mit ihrem Aussehen oft ihren Gemütszustand kaschierte, der ganz schön trübe sein konnte. Sie rauchte Marihuana und trank ein bisschen, aber noch längst nicht in dem Ausmaß wie später.

Eine Art Unfall John Hammond: „Wie ich Billie Holiday entdeckte“

Hintergrundbild: William P. Gottlieb | Collection at the Library of Congress | Billie Holiday at the Downbeat club, a jazz club in New York City. Wikipedia: In accordance with the wishes of William Gottlieb, the photographs in this collection entered into the public domain on February 16, 2010.

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 19

Lime City Swing Club, Tanzorchester des Senders Leipzig unter Leitung von Kurt Henkels, RIAS

Tanzorchester von Werner Müller, Benny Goodman Orchestra in New York, freischaffender Musi-

ker in unterschiedlichsten Formationen und Stilrichtungen - Rolf Kühns Lebensweg enthält viele Kur-

ven und Wendungen, umschiffte Höhen und Tiefen, von Maxi Sickert in der unentbehrlichen Fundgrube,

dem Buch „Clarinet Bird—Rolf Kühn—ein Leben mit Jazz“ aufgeschrieben und dort nachzulesen. Das

Leben des Ausnahmeklarinettisten, der 1929 in Köln geboren wurde, in Leipzig aufwuchs und von da in

die Welt zog ist auch die kontroverse Geschichte des Jazz in Deutschland, die eng mit seinem Namen

verbunden ist. Nun wird Rolf Kühn, den Bert Noglik im Beitrag „Hochseilartist, Zen-Mönch und Jazz-

master“ auf sehr persönliche Weise ehrt, 90 Jahre jung.

Lieber Rolf, mit großem Respekt verbeugen wir uns vor Deinem musikalischen Lebenswerk und

wünschen Dir für noch viele Jahre „the best of everything“, Gesundheit und dass Du Deiner Klari-

nette immer noch die wundervollsten Töne entlockst und diese Dir eine treue Begleiterin bleibe.

Wir haben zum Jubiläum Freunde, Weggefährten und Kollegen um ein paar persönliche Worte ge-

beten, die wir Dir mit Swing und Freude überreichen.

Keep swingin‘ Deine Leipziger Jazzfreunde, i.V. Detlef A. Ott

Happy Birthday, Rolf Kühn 29. September 1929

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 20

"Le style est l'homme". Keine Frage, dass das, was man im umfassen-den Sinn als Stil be-greift, den Menschen ausmacht oder ihn zu-mindest darstellt. Rolf Kühn hat Stil, in der Art, sich zu geben, sich zu unterhalten, sich zu präsentieren. Aber na-türlich ist das, was er ausstrahlt, zugleich der Ausdruck einer inneren Haltung. Ich denke, man darf Rolf Kühn als nobel bezeichnen - ein Wort, das heute fast aus der Mode gekommen ist, aber nichts von seiner Bedeutung verloren hat. Nobel und gütig, kon-zentriert und zugleich sehr relaxt. Darin hat er durchaus etwas Amerikanisches und zwar als Gegenteil zu dem sich aus-breitenden Banalen eben jene Verfeine-rung, die in der Geschichte des Jazz Un-terhaltung zur großen Kunst werden ließ und populäre Motive zu funkelnden Edelsteinen stilisierte. Diese Eleganz und die Bewegungsenergie des Swing haben Rolf Kühn schon fasziniert, als er im Elternhaus von Jutta Hipp die ersten Jazzplatten hörte. Die Erfahrung des Jazz als Botschaft und als Business haben ihn in jenen Jahren geprägt, in denen er sich aus mutigem, eigenem Entschluss auf das Leben im damaligen Zentrum des Jazz und den Daseinskampf in New York einließ. Freilich spielten stets auch die familiären Prägungen hinein. Rolf Kühn musste früh lernen, was es heißt, von der sogenannten Volksgemeinschaft ausge-schlossen zu sein, sich aus Eigenem be-haupten zu müssen. Und er fand die bes-ten Vorbilder in seinen Eltern. Sein bis zum heutigen Tag mit Hingabe betriebe-nes kontinuierliches Üben hängt natürlich auch mit der Artistentradition zusammen. Erst wenn man das Handwerk perfekt be-herrscht, beginnt die Kunst. Und nur Exzel-lenz kann sich hoch hinaus wagen. Da ist er, Rolf Kühn, noch heute auf der Bühne so etwas wie ein Hochseilartist. Das Üben hat aber noch eine andere Dimension - eine fast meditative, den Übungen der Zen-Mönche verwandt. Es ist innere Einkehr, Trai-ning in Beständigkeit und fortwährende An-strengung, ein besserer Mensch zu werden. Dass man nur so ein

besserer Musiker werden kann, ist etwas, das Jün-gere von ihm lernen kön-nen und sollten. Immer weiter gehen und über das hinaus gehen, was man schon erreicht hat und wofür man geschätzt wird. Darin gleicht Rolf ganz dem Streben seines Bruders Joachim. Die Disziplin ist der Refe-renzpunkt für die Frei-heit. Denn wirkliche Freiheit bedeutet ja nicht, sinnlos in den Tag hinein zu leben oder zu spielen, was einem eben gerade so einfällt. Freie Musik

mit gestaltender Kraft, wie Rolf Kühn sie hervorbringt, wird beseelt von star-ker Mitteilung und vermag deshalb, andere zu berühren. Für diese Art von Freiheit geht Rolf Kühn große Risiken ein, begibt er sich immer wieder auf unbekanntes Terrain. Dabei gelingen ihm grandiose Einblicke und Aussich-ten. Der Stil macht den Menschen und den Musiker aus. Und im Jazz natürlich auch der Ton. Rolf Kühns Ton ist oft charakterisiert worden mit Worten wie warm, rund und vollendet - verbale Ver-suche der Annäherung an einen Klang, der sich letztlich der Beschreibung ent-zieht. Wem er zu Herzen geht, weiß wie das gemeint ist. Seit ich Rolf Kühn zum ersten Mal hör-te, das war im Quartett mit Joachim in der Leipziger Kongresshalle, ich ging damals noch zur Schule, wusste ich, dass das die Musik ist, mit der ich mein Leben zubringen möchte. Mich mit Rolf Kühn und seiner wunderbaren Lebens-gefährtin Melanie verbunden zu wissen, empfinde ich als einen Glücksfall und ein Geschenk.

Bert Noglik

Mein Freund Rolf

Z u einer Geburtstagsparty vor einiger Zeit trug er bescheiden einige auf dem Instrument virtu-os geblasene Vignetten aus dem

Great American Songbook bei und ent-zückte damit die Gäste: It´s Only A Paper Moon, I Can´t Get Started, Memories Of You. Zur Beisetzung von Kathrins Mutter, unserer Nanni, auf einem kleinen Fried-hof in Berlin-Halensee im engsten Fami-lienkreis spielte er Benny Goodmans Ballade Goodbye derart herzergreifend, dass in der Friedhofskapelle die Tränen flossen. Ich bin sehr froh über diese Nä-he. Über die Jahre hat sich unsere Freundschaft so entwickelt, dass kaum eine Woche vergeht, in der wir uns nicht sehen oder zumindest miteinander telefo-nieren. Immer gibt es etwas auszutau-schen, etwas abzustimmen, etwas zu er-zählen. Unsere gemeinsamen Interessen betreffen nicht nur den Jazz (diesen in erster Linie), aber auch zur deutschen und internationalen Musical-Szene, zu den Premieren am Broadway und am Londo-ner West End, zu Film, Literatur und Politik finden wir meist zu gleichen oder ähnlichen Einschätzungen und Perspekti-ven. Es ist die Neugier, glaube ich, die uns am meisten verbindet. Ich bewundere ihn sehr. Das kommt in den Liner Notes zum Ausdruck, die ich zu einigen seiner vielen LPs und CDs schreiben durfte, und wir haben auch eine Menge gemeinsame Erinnerungen. Einmal flogen wir für ein paar Stunden zusammen nach Ibiza. Als wir spät abends nach Hamburg zu-rückflogen, hatte er spontan das Haus gekauft, das sein berühmter Bruder Joachim nun seit langem bewohnt. Über all das könnte ich viele Seiten schreiben und habe es auch schon getan. Die große Geschichte „Mein Freund Rolf Kühn“ ist im „Jazz-Podium“ 6/ 2017 auf den Seiten 12 bis 18 zu finden.

Siegfried Schmidt-Joos

Hochsei lart is t , Zen -Mönch und Jazzmaster Zum 90. von Rolf Kühn

Titelblatt Jazzpodium

September 1967

Titelblatt Jazzpodium Januar 1998

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 21

H allo Rolf, es ist nicht zu glauben, dass Du neun Lebens-jahrzehnte hinter Dir gelassen hast. Dazu möchte ich gratulieren als einer, der Dich als gro-ßen Jazzmusiker verehrt, der zudem noch aus Leipzig

kommt und bei einem Gewandhausmusiker das Klarinettenspiel erlernt hat. Ich hatte das Glück, Dich in Deinem Leipziger Freun-deskreis bei Thomas Buhé und Götz Wagner persönlich kennen zu lernen. Wenn wir uns bei Letzteren leider nicht mehr treffen kön-nen, so wünsche ich mir, dass wir uns bei Deinem nächsten Besuch in Leipzig bei bester Gesundheit wiedersehen werden. Nochmals alles Gute für Dich und einen Chorus bester swingender Wünsche.

Volker Stiehler

E ines Tages kam Pablo Picasso in Vallauris ins Atelier seines Metallarbeiter-Freundes ,der seine Skulpturen erarbeitet hatte. Er knallte ihm einen Haufen Geld-

scheine auf den Tisch. “Dein Lohn“, sagte er freund-lich. Sein Mitarbeiter schaute ihn verblüfft an:„ Ist doch viel zu viel, Meister“. „Ach was“ grinste Pi-casso, „ist doch bloß Papier." Wenn man den ‚kühnen‘ Klarinettisten Rolf heutzuta-ge in den Konzerten bestaunt, wie er sein Instrument zum Leuchten bringt, ihm die leidenschaftlichsten Töne entlockt und ihn darauf anspricht wie er das hin-kriegt mit neunzig Jahren auf dem Buckel, grinst er genau so charming wie der Pablo P.:„Ist doch bloß eine Zahl, sonst nichts.“ Kathrin Brigl

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Eintrag 7.März. 1962 im Gästebuch der

Gaststätte Neumann in Leipzig – Gohlis, wo nach Messekonzerten

Jam Sessions stattfanden.

R olf Kühn interessierte mich als Autor und Jazz-Liebhaber aus verschiedenen Gründen: Er hatte Kindheit und Jugend in Leipzig verbracht, die Familie erlebte die Nazizeit höchst gefährdet wegen seiner jüdischen Mutter und er ist einer der

Künstler, der nach dem Krieg aus Sachsen in die Welt ging und auf seinem Gebiet internationalen Ruhm erfuhr.

Das müssten doch genügend Gründe sein, damit das MDR Fernsehen diesen Jazz-Musiker mit einem Filmbeitrag ehren würde. Dachte ich. Ein Mann, der mit Benny Goodman durch die Welt getourt war!

Aber beim MDR galt vermutlich Jazz nicht gerade als Quotenbringer. Ich landete nicht mit meiner Idee. Als ich das verärgert der Redakteu-rin Katrin Wenzel vom Radiosender MDR Kultur erzählte, lud sie mich ein: „Dann mach das doch bei uns.“

Im Juni 2013 holten wir Rolf Kühn vom Leipziger Hauptbahnhof ab. Er kam den Bahnsteig in Jeans und mit einem schicken kleinen Tuch am Hals entlang geschlendert und kein Mensch hätte da gedacht, dass hier ein fast 84jähriger kommt.

Ich sprach mit Rolf über sein Leipzig und wir standen am ehemaligen Wohnhaus in der Lützner Straße, am früheren Kino Edda-Lichtspiele. Er zeigt mir, wo sein Vater Kurt Kühn, ein bekannter Artist, seinen Zigarren- und Zigarettenladen hatte und wo sich einst das Café Römi-sches Haus befand. Hier hatte ihn Kurt Henkels entdeckt. Und wir standen im Hof vom ehemaligen Funkhaus Leipzig. Dort spielte er im MDR Rundfunkorchester von Kurt Henkels - es wurde live gesendet.

Was für ein Leben! Zu seiner großen Begabung fügte Rolf Kühn Dis-ziplin und Fleiß dazu und wurde ein Welt-Klarinettist.

Lieber Rolf, ich grüße Dich aus Deiner alten Heimatstadt mit dem alten Geburtstagswunsch „Masel Tov bis 120“. Da hättest Du noch dreißig Jahre Zeit für Auftritte und CD-Produktionen…

Mit herzlichen Grüßen Dein Bernd-Lutz Lange

Am 21. 09. wird auf 3Sat die 90minütige Dokumentation „Brüder Kühn – zwei

Musiker spielen sich frei“ ausgestrahlt.

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Rolf Kühn gewinnt den Critics Poll im Downbeat Magazine 1962

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 22

1966 (EVÖ:2006)

1956

1965

1959 1962

Ausgewählte akustische Wegmarken von Rolf Kühn...

1969

1960

1980 1996

2003

1965

2018 2009 2016

1972 1989

In Zusammenarbeit mit Rolf Kühn selbst hat MPS eine 9 LP Box zusammengestellt, um den 90. Geburtstag und das Leben dieser wahren deutschen Jazzikone zu feiern. Das Boxset enthält sieben auf MPS erschienene Alben inklusive eines neuen, exklusiv in diesem Boxset enthaltenen Albums mit Aufnahmen von den Berliner Jazztagen 1966 sowie vom Newport Festival 1967 - all neu für Vinyl gemastert. Zusätzlich ist ein 12-seitiges Booklet mit Texten von Bert Noglik und Sigi Schmidt-Joos in Box-Größe enthalten. Das Boxset ist weltweit auf 1.000 Stück limitiert und enthält die Alben: Total Space (1975), Symphonic Swampfire (1979), Cucu Ear (1980) Stereo (2015 - zum ersten Mal auf Vinyl), Spotlights (2016 – zum ersten Mal auf Vinyl), Yellow + Blue (2018 - zum ersten Mal auf Vinyl) und Rolf + Joachim Kühn – Live: Berlin ’66 / Newport ’67 (2019 – exklusiv in diesem Boxset)

JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 22

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 23

Archivfunde: Das Willem Breuker Kollektiv aus Holland spielt auf dem Leipziger Marktplatz während der Leipziger Jazztage in den neunziger Jahren, was wohl nicht bei jedem auf Gegenlie-be stieß. Foto: D. Ott

I n der Ausgabe Volume 28 (März 2019) dieser Gazette berichteten wir über das außergewöhnliche Konzert des Frank-Bartsch-

Quintetts. Saxophonist war Frank No-wicky.

Nun finden 30 Jahre nach der Friedli-chen Revolution, dem Leipziger Herbst ´89, in diesem Jahr unterschiedliche Erinnerungsveranstaltungen statt, eine davon war am 10. Juni 2019. An die-sem Tag vor 30 Jahren hatten Leipziger ein Straßenmusikfestival organisiert, welches die Polizei zu verhindern suchte und ca. 80 Menschen verhaftet hatte. Der Protest der Leipziger landete u.a. beim damaligen Gewandhauska-pellmeister Kurt Masur, der in einer Veranstaltung am 28. August 1989 die Staatsmacht mit den Straßenmusikan-ten konfrontierte. Auf Anfrage des Gewandhauses war von der Leipziger Hochschule für Musik ein Student „delegiert“ worden, um an der Veran-staltung mitzuwirken. Dieser spielte

vor dem Neuen Gewandhaus Straßen-musik und wirkte auch noch während der Veranstaltung im Foyer des Neuen Gewandhauses mit und bot Stücke von John Coltrane in bemerkenswerter Qua-lität.

Bei der Vorbereitung der Erinnerungs-veranstaltung zur Straßenmusik suchte man nach dem Studenten. Ein Foto (hier rechts) zeigte den damals 16-jährigen Frank Nowicky.

So lag es nahe, den mittlerweile bekann-ten Jazzmusiker zur Mitwirkung an der Erinnerungsveranstaltung zu bitten. Spontane Zusage! Und dann spielte Frank vor dem Veranstaltungsgebäude Runde Ecke (Stasimuseum) Jazz vom Feinsten und lud die Menschen ein.

Bei einem Bier nach der Veranstaltung mit Akteuren des Abends war Frank Nowicky ein interessanter Gesprächs-partner, nicht nur zum Thema Jazz!!

Text und Fotos: Volker Stiehler

Das Leipziger Straßenmusikfest ival 1989—2019 und

Der Leipziger Jazzmusiker Frank Nowicky

Wolfgang Lackerschmid ist seit den siebziger Jahren gleichermaßen als Vibraphon – Virtu-ose, Bandleader und Komponist erfolgreich. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren u.a. seine le-gendären Duoaufnahmen mit Chet Baker sowie seine Zusammenarbeit mit Attila Zoller.

Stefanie Schlesinger studier te klassischen Gesang in Augsburg und ist seit fast zwei Jahrzehnten auf den (Jazz-)Bühnen im In- und Ausland unterwegs. Die gebürtige Bambergerin kombiniert frische Standard-Interpretationen und Jazzvarianten klassischer Arien mit modernem Repertoire, u.a. Lyrikvertonungen. Viele ihrer Stücke stammen aus eigener Feder oder aus dem umfangreichen Song-Werk ihres Partners Wolfgang Lackerschmid.

Kurz vor Redakti-onsschluss erreich-te uns noch das Pressematerial zum neuen Buch von Wolfram Knauer über der Geschichte des Jazz in Deutsch-land, das im Sep-tember im Reclam Verlag erscheint

und in dieser Form überfällig ist. Es war nur eine Frage der Zeit, dass aus dem Fundus des Archivs des Jazzinsti-tuts in Darmstadt die vielen Mosaik-steine an Material zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden, die die recht kontroverse Rezeption dieser Musik hierzulande über einen Zeitraum von nun mehr als hundert Jahren reflektiert.

Wolfram Knauer, der das lebendige Jazzinstitut mit dessen lobenswerter Öffentlichkeitsarbeit seit 1990 leitet, hat in anderthalbjähriger Arbeit unter-schiedlichste Quellen ausgewertet und in elf Kapiteln die Geschichte des Jazz in Deutschland – auch aus einem sub-jektiven Blickwinkel heraus - aufgear-beitet. Mit einem persönlichen Nach-wort erklärt Knauer seine Liebe zum Jazz. Das Buch hat mehr als 500 Sei-ten, schaut zurück auf die zaghaften Anfänge während der Kaiserzeit, den ersten Jazz-Boom während der Weima-rer Republik, die dunklen Jahre wäh-rend der Naziherrschaft, die zweigeteil-

te und manchmal doch irgendwie ähnliche Entwicklung des Jazz im geteilten Deutsch-land, wobei dem Jazz in der DDR zwei um-fangreiche Kapitel gewidmet sind und schaut auf gegenwärtige Trends und Ent-

Erscheint Ende September 2019 auch als E-Book zum Preis von

36,00 € ISBN: 978-3-15-011227-4

wicklungen. Ein Buch, das schon nach einem ersten Durchblick mehr als neugierig macht, uns noch lange beschäftigen wird. In der Dezember Ausgabe wollen wir es ausführlich besprechen. (DO)

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 24

Wie kam der Jazz in Euer Leben? WR: Während meiner Armeezeit (NVA) gründete ich mit Bernd

Großheim (Musiker bei der Fortunaband Gröningen) eine Band, die den traditionellen Jazz spielte. Ich war der Saxo-phonist.

UN: Mein Vater nahm mich zu einem Konzert von Chris Barber nach Berlin mit. Es war für mich das Schlüsselerlebnis. Die-se Musik faszinierte und interessierte mich. Denn hier wird Lebensfreude den Zuhörern geschenkt, wenn sie mitwippen und klatschen.

Welche Musikstile des Jazz favorisiert Ihr? WR: Alle Stile des traditionellen Jazz, vom Blues, über New Or-

leans Dixieland, Swing, Boogie bis zu den Anfängen des Be-pop. Der Modern Jazz und Free Jazz erreichen mich jedoch nicht.

UN: Ich bin für die alten Songs offen, doch mein Favorit ist der Jazzrock.

Wie habt Ihr Euch gefunden? WR: In den 1980er Jahren arbeitete ich beim Rat der Stadt Mag-

deburg als Abteilungsleiter Kultur. Nach der Wende wurde ich Bürgermeister in Gommern. Wir organisierten 2010 das Stadtfest. Neben der bekannten Musik nahmen wir den Pro-grammpunkt Dixieland auf. Es war ein Versuch, Ausgang ungewiss. Die Spiellust und Lebensfreude der niederländi-schen Bands hat den Gästen sehr gefallen und uns Organisa-toren Mut gemacht. Tage zuvor fand das erste Konzert im Hundertwasserhaus statt. Es war ausverkauft.

UN: Seit Jahren bin ich der Kunst zugetan. Während des Studi-ums an der Ingenieurschule für Bauwesen in Magdeburg war ich Mitglied des Kabaretts und organisierte viele Veranstal-tungen. Nach der Wende wurde aus meinem Hobby meine berufliche Selbständigkeit mit der „agentur b“. Wolfgang Rauls kenne ich seit den 80er Jahren. Kulturinteressierte Bürger treffen sich in Magdeburg fast zwangsläufig.

WR: Die Resonanz der Besucher unserer ersten Dixielandveran-staltung war so gut, dass wir beide die Konzertreihe fortset-zen wollten. Leider schloss sich die Tür im Hundertwasser-haus. Die „Werktore“ des Technikmuseums öffneten sich. U-we war mit seinem Unternehmen der Mitorganisator des „Hengstmann Sommerkabaretts“ im Technikmuseum. Am letzten Sonntag ihrer Spielzeit durften wir Bühne und Gelän-de des Technikmuseums inklusive Caterer nutzen. Welch ein Gewinn! Die Magdeburger Jazznacht hat ein Zuhause gefun-den.

Wieviel Bands und Musiker waren von 2010 bis 2019 da? WR: Bis 2018 waren es 28 Formationen. Mit drei Bands haben

wir 2010 begonnen. Im ersten Jahr waren es: Efkes Anders Jasskapel (NL), The Juggets (NL) und The New Orleans Dixielandband (A). Zwei Formationen wurden bis dato zweimal eingeladen, wie z.B. der Klarinettist und Bandlea-der Wolfgang Friedrich mit seiner „New Orleans Dixie-landband“. (Foto)

In diesem Jahr sind vier Bands und der junge Pianist, Dan Popek, dabei. Dan Popek zählt mit seinen 23 Jahren schon heute zu den gefragtesten Jazz-, Klassik-,Boogie-Woogie- und Blues-Pianisten.

Welche Bands und Musiker sind für Euch die Favoriten (u.a. als Publikumslieblinge, wegen der guten Musik, Show oder Authentizi-tät etc.) der letzten Jahre? Das soll nicht bedeuten, dass die Leis-tung der Anderen damit geschmälert ist. WR: Musikalisch und darüber hinaus vom „Mitnehmen des Publi-

kums“, durch seine vielen kleinen Anekdoten ist es Thomas Stelzer. Nils Conrad, der Schlagzeuger und Bandleader der “Nils Conrad and his amazing jazzband“, begrüßten wir 2017 und 2015 mit der Traditional Old Merry Tale Jazzband. Die Fans waren begeistert, dass er mit seinen Sticks artistische rhythmische Einlagen vorführte, die Band im Rhythmus hielt und alle nur jazzten. Noch zu erwäh-nen sind die „Jensens New Orleans Jazz Band“ (DK). Kurt Jensen (cl, ts, voc) der auf grund körperlicher Ein-schränkung während des Konzertes sitzen muss, bringt er so viel Sound und Groove rüber, dass die Fans mit-genommen wurden und es mit anhal-tendem Applaus honorierten.

UN: Bis jetzt überzeugten mich alle einge-ladenen Musiker. Ein Highlight wa-ren für mich Thomas Stelzer, der Blues und Boogie Pianist, sowie Bernd Kleinow, das Bluesurgestein der DDR. (Foto)

Welche positiven oder negativen Erlebnisse gab es?

WR: Wir warteten auf den Auftritt der Juggets im Hundertwasser-haus. Keiner da, obwohl sie sich angemeldet hatten. Schließ-lich fand ich sie vor dem Hundertwasserhaus, fröhlich in einer Touristengruppe musizierend. Sofort kamen sie mit und lie-ferten ein tolles Konzert ab. Die Musiker gratulierten uns hin-terher für das jazzaufgeschlossene, ja frenetische, Magdebur-ger Publikum.

UN: Die Musiker haben keine Starallüren, sind bodenständig, au-thentisch und lieben das, was sie tun. Keine besonderen Vor-kommnisse. Kleine oder große Probleme müssen gelöst wer-den, nicht vor dem Publikum, und sind schnell wieder verges-sen.

Welche Chancen seht ihr, dass jüngeres Publikum an den traditio-nellen Jazz herangeführt werden kann? WR und UN (gemeinsam): Ja, wie kriegt man das hin? Mit jungen Musikern, die diese

Musik spielen, vielleicht. Wie sehen die Zukunftspläne mit der Magdeburger Jazznacht aus? WR: Das Technikmuseum wird noch von einem Verein betreut und

soll im Mai in die Trägerschaft der Stadt übergehen. Gesprä-che laufen. Für dieses Jahr und 2020 wird die Magdeburger Jazznacht im Technikmuseum stattfinden können.

Wir werden weitermachen. UN: Hoffen wir, dass die Kosten uns in der Zukunft nicht erschla-

gen. Ich danke Euch für das Gespräch! Ergänzen will ich, dass Magdeburg sich für 2025 als Kulturhauptstadt Europas bewerben will. Jede kulturelle und musikalische Initiative füllt die Bewerbungsmappe. Mein ganz persönlicher Wunsch ist, dass das Technikmuseum weiterhin die kabarettistische Sommerresidenz der Hengstmänner und das Sonntagswohnzimmer, Mitte Juli eines je-den Jahres, für die Jazznacht bleibt.

10. Magdeburger Jazznacht 2019 von Bodo Buchholz

D er traditionelle Jazz und der Dixieland führen ein Nischenda-

sein in der heutigen musikalischen Szene. Wenn seit Jahren im

Technikmuseum alle Stühle und Nischen, im wahrsten Sinne

des Wortes, besetzt sind, kann man von einer Erfolgsgeschich-

te der Magdeburger Jazznacht sprechen.

Anlässlich des Jubiläums interviewte ich im Mai 2019 die Organisatoren

der Magdeburger Jazznacht: Wolfgang Rauls (WR) und Uwe Nuss (UN).

Aus beruflichen Gründen konnte Sabine Lichtenfeld nicht teilnehmen.

Das Organisationsteam, v.l.n.r.: Sabine Lichtenfeld, Uwe Nuss, Wolfgang Rauls

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 25

Anmerkung des Autors:

Noch vor Redaktionsschluss des nächsten Heftes fand die 10. Magdeburger Jazznacht im Technikmuseum statt. In seinen Grußworten des neuen Direktors, Herrn Dr. Neumann, an Or-ganisatoren und Gäste, betonte er, dass die Jazznacht ein Pfei-ler der Magdeburger Kulturszene im Technikmuseum ist und erhalten bleibt.

Nach verjazzten Arbeiterliedern, Second Line Standards, so-wie den bekannten Dixie-, Swing- und Jazzsongs des Ameri-can Songbook durch die „Lockeren Stadtmusikanten“ aus Halle, der Phönix Brassband aus Hofheim/Taunus, den Dixie

Bones aus Nürnberg sowie der Feurthstreet Lumber Factory aus Susteren (NL) dargeboten, endete der Abend mit einer After Show Party die Dan Popek bestritt. Ein junger Blues und Boogie Pianist, der in seinem Repertoire neben klassi-schen Stücken auch Michael Jackson am Piano auferstehen lässt. „It was not Bad. It was very good….der gesamte Jazz-abend- danke an Musiker und Organisatoren ….

Weitere Bilder und Informationen zur Magdeburger Jazz-nacht von 2010 bis 2019 finden Sie unter: http://www.magdeburger-jazznacht.de/

Fotos im Uhrzeigersinn: Die Feurthstreet Lumber Factory mit der Sängerin Linda Kolen erhielt am Ende ihres Auftritts Standing Ovations. (v.l.n.r.: Marcel Dewaide, Piet van den Bos, Henk Borrenbergs, Wim Slot, Ruud Huijnen. Nicht im Bild: Jos van Mer und Luug Wolfs) Dan Popek: Erfüllte Zuhörerwünsche und hatte viel Spaß an seinem Piano. Der Banjoman Jos van Mer (hatte am 14.7.2019 Geburtstag. Der Moderator gratulierte ihm und der Saal sang spontan „Happy Birthday“.) New Orleans Dixielandband: Wolfgang Friedrich (bl, cl), Hubert Bründlmayer (dr), Walter Kortan (tp), Thomas Scherrer (bj/ g), Georg Schrattenholzer (tb), Andy Humpel-(sousa) Fotos: B. Buchholz/ B. Bender (New Orleans Dixielandband)

Liebt Queen El izabeth Jazz? Ob sie swingenden Klängen zugeneigt ist und mit Prinz Philip das Tanzbein schwingt, bleibt wohl ihr Geheimnis. Auf alle Fälle wachsen in ihrem Garten auf Schloss Balmoral in Schottland Kartoffeln der Sorte „Jazzy“, wie wir zufällig entdeckten. Die Kartoffelsorte hat einen angenehmen Geschmack, eine dünne Schale und braucht nur zehn Minuten gekocht zu werden. Sie trägt ihren Namen also zu Recht. Auch steht im Gartenhaus der Queen ein Grammophon mit Schelllackplatten der Marke „His Master‘s Voice“, wobei beim Blick durchs Fenster nicht zu er-kennen war, welche Stücke in die Rillen gepresst wurden. (DO)

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 26

nicht wie der anfangs zitierte Stan Kenton einst bei Hamptons Musik ausrastete, war ich nach wenigen Takten voll drin und dabei … denn, die Musik war durchaus gut, die Bands zeigten schon an dem Abend eigenes Profil und swingten durch-weg – eine „Absackerparty“ mit den Di-xie Hot Licks aus Pilsen (Tschechien) beendete heiter den ersten Tag des Festi-vals.

Damit könnte eigentlich der Bericht zum Jazzfest im nördlichen Harzvorland von Sachsen-Anhalt beendet werden. Schließ-lich waren die Auftaktbands auch an den anderen Tagen mehrfach im Einsatz. Und

„Quedlinburg swingt“ … in Bronze gegossen? Das könnte man durchaus annehmen. Doch diese „Münzenberger Musikanten“ auf dem Marktplatz von Quedlinburg, 1976 geschaffen vom hie-sigen Bildhauer Prof. Wolfgang Dreysse (* 1947), haben trotz Saxophon (erfunden um 1840) keinen Jazz- Bezug. Das Denkmal soll an böhmische und ungarische Flüchtlinge des Dreißigjähri-gen Krieges (1618 bis 1648) erinnern, die sich im Stadtteil Münzenberg ansie-delten, kein Handwerk und keinen Han-del betreiben durften und zu Bettelmu-sikanten wurden. Dreysse verband mit seiner Figuren-Ausführung in zeitloser und neutraler Kleidung den Wunsch nach Aufrechterhaltung der musikali-schen Tradition der heutigen Weltkul-turerbe-Stadt. Also wohl doch ein swin-gendes Jazz-Denkmal?

Stan Kenton: Wenn ich in ein Lionel- Hampton-Konzert gehe, sage ich mir vor-her: „Ich gehe natürlich nur hin, um das Ganze zu beobachten. Mitmachen will ich nicht.“ Nach einer halben Stunde aber bin ich genauso, wie das Publikum um mich herum. Ich schreie, stampfe mit den Fü-ßen, ich kann mich einfach nicht halten“

Dieses Bekenntnis (1956 im „Jazzpodium“ zu lesen) kam mir spontan wieder in den Sinn, als wir uns im März mit Freunden dazu entschlossen hatten, die 17. Quedlin-burger Dixieland- und Swingtage, genannt „Quedlinburg swingt“, zu besuchen. Denn die elf im Flyer aufgeführten Bands ver-sprachen mir vom Namen her eigentlich nicht viel von meiner direkt bevorzugten Musik rund um den klassischen Swing und Mainstream mit großen und weniger gro-ßen Formationen, dafür viel vom durchaus auch recht gerne gehörten Hot-Jazz der klassischen Spielarten: Boogiemenʼs Frieds, Dreamboat Ramblers, Dixie Hot Licks, MachMaJaTzz, Dixie Bones, Swingfield, Old Time Memory Band, Combo Gurilly, Southland New Orleans Jazz Band, Blue Bayou, Vierer Jatz Bande.

Doch alle Vorbehalte verschwanden erst einmal durch den Gedanken, die schöne Fachwerkstadt an der Bode (Zufluss der Saale) nach einem Besuch zur Adventszeit, nun auch im Sommer erleben zu können. Das Eröffnungskonzert hinter dem Rathaus am Freitagabend ab 19:30 Uhr gab schon einen Gesamteindruck dieses Festivals: Die Dixie Hot Licks, Old Dixie Bones, die Southland New Orleans Jazzband with Friends (mit u.a. Hauke Strebel von den Jazz Lips und Peter Dettenborn) sowie die Oldtime Memory Jazzband boten das Pub-likum begeisternden Two Beat Jazz – und es zeigte sich schon dabei: Die Tuba bzw. das Sousaphon war das Instrument der drei Tage, und Standards wie Royal Garden Blues, Bourbon Street Parade, die Saints und Hallo kleines Fräulein hatten nahezu alle Bands im Repertoire. Wenn ich auch

so ließe sich die Feststellung abgewandelt auf alles andere, was dort noch ablief über-tragen, wenn, ja wenn da nicht noch mehr zu erleben, zu hören gewesen wäre. Denn die Initiatoren vom „Freundeskreis Qued-linburg swingt e.V.“ hatten ein durchaus abwechslungsreiches Festival-Programm vorbereitet.

Am Sonnabend (Samstag heißt es dort!) mussten wir allerdings auf „Jazz in der City“ und „Jazz am Nachmittag“ verzich-ten, hatten wir doch die Fahrt mit dem „Dixie-Train“ (zivil: Selketalbahn) ge-bucht, der historischen Dampflock-Bahn, eine der drei Harzer Schmal spur bahnen. Nach „Anheizen im Lokschuppen“ durch die Band Blue Bayou aus Berlin ging die Fahrt durch eine abwechslungsreiche, z.T. skurrile Gegend. Sieben Bands unterhielten uns in den Waggons von Quedlinburg über Gernrode zur Station Silberhütte. Ein wahrlich rundum begeisterndes, – auch und besonders in Bezug auf die Landschaft – erhabenes Jazzvergnügen.

Nach 90 Minuten kam der Jazz in Silber-hütte an, „einem kleinen und ruhigen Erho-lungsort“ – so die Angabe in den Prospek-ten. Doch mit der Ruhe war es dann erst einmal vorbei, denn dort auf dem „Waldhof“ kam es zur Bandbattle und Jam-Session mit den Dixie Bones (Nürnberg), Dreamboat Ramblers (Stolberg), der Com-bo Gurilly, der Vierer Jatz Bande (beide Berlin), Oldtime Memory Jazzband (Jena) und Southland NO Jazzband (Hamburg), Swingfield (Oschatz). „Sieger“ waren sie letztlich alle… und diejenigen Zuschauer auch, die einen der viel zu wenigen Sitz-plätze und – wie schon beim Eröffnungs-konzert – das Glück hatten, ein Getränk ergattern konnten … bei der Hitze eine arge Qual… (Minus-Punkt…) Um 16.30 Uhr ging es dann mit jazzigen Klängen zurück – die Bands hatten die Waggons gewechselt. Und wieder: Trotz Enge im Zug und manchmal heftigem Rütteln, ka-men „unsere“ – Swingfield als Trio mit dem grandiosen Posaunisten Jörg Richter und die ebenfalls auf „Abteil-Enge“ redu-zierten Old Dixie Bones – nicht aus dem Takt. Das Konzert am Samstagabend – es war ein Konzert! – stimmte den „Tuba-verwöhnten“ Jazzfreund wieder sehr milde: Die zwei Stunden mit den sieben Top-Musikern von MachMaJaTzz aus Düssel-dorf brachten Swing vom Feinsten – ein Genuss, den Solisten mit ihren ausgefeilten Arrangements zuzuhören Aber auch merk-würdig: Gegenüber den ausgelassenen Bands, die wir bis dahin gehört hatten, vermisste man dann fast irgendwie ein bisschen, sagen wir mal:

„Publikumszugewandtheit“ (nein, nein: kein Minuspunkt!) Vom Besuch des „Musikalischen Frühschoppen“ ab 10:30 Uhr an drei Spielstätten und von der Ab-schlussveranstaltung (von 13.30 Uhr an) hielt uns leider die wahrlich unerträgliche

Quedl inburg swingte und stompte wieder!

Gerhard Klußmeier, Rosengarten

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 27

Hitze von 39 Grad ab, sodass wir das Fest und diese wunderschöne Stadt fast flucht-artig verlassen mussten. Die Bands aber, so erfuhren wir später, ließen sich von den Temperaturen nicht unterkriegen und sich auch nicht davon abhalten, freudig und temperamentvoll die Jazzfreunde in Stim-mung zu bringen… und es gelang ihnen… wieder.

Zum Schluss dieses „Reiseberichts“ ein großer Dank an „Quedlinburg swingt“!: Ihr habt ein lebendiges Jazzfest der Freude arrangiert. Es waren Bands aus sechs Bun-

desländern und eine aus dem Ausland ver-treten – ohne Einschränkung ein großer Pluspunkt! – die Stilvielfalt war (nach meiner Meinung!) ein wenig zu einseitig, ich weiß: das lässt sich nicht immer ver-meiden. Ein kleiner gut gemeinter Vor-schlag noch: Die vier Abendkonzerte und die drei Frühschoppen Veranstaltungen begannen jeweils zur selben Uhrzeit. Eine Zeitversetzung um eine Stunde, hätte den Jazzfreunden Gelegenheit gegeben, mehre-re Bands – z.B. zuvor nicht erlebte – zu hören oder bei Fehlentscheidung zu wech-seln. Und schade: leider war auch diesmal die Jugend im Publikum kaum vertreten. „Es war ein sehr schönes Festival für uns – vor allem die Session oben auf dem Berg zusammen mit der Oldtime Memory Jazz-

band aus Jena“ – so Hartmut Entricht von der Hamburger South-land New Orleans Jazz Band – und damit spricht er ganz sicher-lich allen, die dabei sein konnten – und so auch uns – aus dem Herzen.

Fotos:

G. Klußmeier

Und vom 26. bis 28. Juni 2020 heißt es zum 18. Mal:

„Ouedlinburg swingt“

Gewusst? – Der älteste noch existierende Schallplattenladen der Welt

M ittlerweile gibt es ja un-

zählige Publikatio-

nen, die die Schall-

platte hochleben las-

sen und sich der Renaissance der

schwarzen und manchmal farbigen

Scheiben widmen. In einem informati-

ven Buch „Going for a Song – A Chro-

nicle of the UK Record Shop“ des Neu-

seeländers Garth Cartwright von 2017

erfährt man, dass sich der älteste noch

existierende Plattenladen in Cardiff, der

Hauptstadt von Wales, befindet. Er heißt

Spillers Records (27, Morgan Arcade,

Cardiff) und wurde 1894 eröffnet. Seit-

dem werden hier Tonträger verkauft.

Der Laden überlebte zwei Welt-

kriege, ökonomische Krisen und

das Kommen und Gehen unter-

schiedlichster Tonträger von der

Wachswalze, Schellackplatte, Vi-

nylplatte, CD und wieder zurück zur

Vinylplatte. Aber nicht nur wegen die-

ser Information ist das Buch ein lesens-

wertes, mit Liebe zum Detail verfasstes

Almanach für Vinylfreunde, die sich

hin und wieder auf die Insel begeben

und sich von einem Buch- und Schall-

plattenladen zum nächsten hangeln.

(DO)

D er Mensch von Kultur ist von der Natur dazu verdammt, ein beträchtliches Maß an sozialer Ächtung zu erleiden. Das liegt daran, dass die Kultur selbst in ihren einfachsten, frühesten Sta-dien dazu neigt, das menschliche Leben mit all seinem verbitterten Gezänk aus dem Abstand der Vogelperspektive zu betrachten; sie nimmt eine Haltung der Kontemplation und kritischen

Scharfsinns ein, die den Vereinsmeiern mehr als alles andere zuwider ist. Keine Partei ergreifen, nicht den anderen verteufeln und sich selbst für heilig erklären ist das nicht höchst verdächtig?

(John Cowper Powys „The meaning of culture“, 1929)

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Z u dieser Zeit waren zahlreiche Interpreten verschiedener mu-sikalischer Stilrichtungen zur Truppenbetreuung im Einsatz.

Hervorragende Entertainer und unzäh-lige Bands mit bekannten Musikern wurden beispielsweise nach Europa geschickt um dort aufzuheitern, den Krieg kurzfristig vergessen zu lassen, vielleicht aber auch um zu motivieren. Oft mit dabei waren namhafte Sänge-rinnen und Sänger. Auch die Andrew Sisters und Marlene Dietrich, die 1939 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte.

„In the Mood“ gilt als das musikali-sche Symbol der Verbündeten in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Für die deutsche Wehrmacht war es „Lili Marlen“, gesungen von Lale Ander-sens. Das deutsche Soldatenlied über-haupt. Es kam im August 1939 auf den Markt und schon kurz nach dem Er-scheinen war diese Schallplatte der erste deutsche Millionenseller.

Im 1954 gedrehten Spielfilm „Die Glenn Miller Story“ wird der legendäre Bandleader, Posaunist etc. von James Steward dargestellt. In 1 h 55 min wer-den darin die wichtigsten Stationen des Lebens und des Erfolgs von Miller und

seiner Band dargestellt. Zahlreiche musikalische Wegbegleiter sind auch dabei.

Im Juli 1940 begann die deutsche Wehrmacht die Luftschlacht um Eng-land. Über Monate wurden Raketen auf England geschossen. Fast 45.000 Men-schen starben. Teile von London wur-

den zerstört. Viele der Bevölkerung flüchteten in die Stationen der Londo-ner Underground. Währenddessen tobten über dem Ärmelkanal erbitterte Luftkämpfe.

Imposant stehen sie da. Unüberseh-bar. Die östlich und westlich der Stadt Dover verlaufenden Kreidefelsen. Die weiße Steilküste Südenglands. Bis Frankreich sind’s gerademal um die 40 km. Beeindruckend. Gigantisch. Hundert Meter hoch. Ein uneinnehm-bares Bollwerk. So jedenfalls sieht es aus.

Ähnlich vielleicht, wie die mächtigen Festungsmauern der kämpferisch un-möglich einzunehmenden Stadt Troja, wie’s die griechische und römische Mythologie schildert.

Schon vor mehr als 2000 Jahren wussten die Römer von der strategi-schen Bedeutung von Dover und stati-onierten dort ihre britannische Flotte. Auch um von dort aus die Meerenge zu kontrollieren. In der Zeit der napo-leonischen Kriege wurde die einstige Siedlung zur Garnisonsstadt, da die

Bevölkerung ständig damit rechnete, dass Napoleon mit seinen Truppen eine Invasion startet, den Ort zerstören und die Burg auf den Kreidefelsen stürmen und besetzen. In die-ser Zeit wurde damit begon-nen, unter der Burg und in den Kreidefelsen ein stark ver-zweigtes System von Tunneln anzulegen. Diese Anlage wur-de permanent erweitert und kontinuierlich mit zeitgemä-ßen Geräten, Anlagen und Systemen zur Verteidigung aktualisiert. In erster Linie, weil diese Klippen England symbolisieren und möglicher-weise erfolgreich verteidigt

werden müssten. Dazu kommt, dass Dover Castle schon immer als Schlüssel zu England galt.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde diese Tunnelanlage zunächst als Luftschutzkeller ge-nutzt, später auch als mili-tärische Kommandozen-

trale und Lazarett. Von dort aus dele-gierte man 1940 die Evakuierung der britischen und französischen Soldaten aus der Schlacht von Dünkirchen. Klar, dass bei der Luftschlacht um England 1940 und 1941 die deutsche Luftwaffe diese militärischen Anlagen besonders im Visier hatte. Heftige, schonungslose und stundenlange Luftkämpfe am Him-mel von Südengland waren die Folge, die sich oft über und bei Dover kon-zentrierten. Es war die Zeit, als es in Europa überall brannte, wo bald an die 60 Millionen Menschen umgekommen waren und bei Deutschen und Alliier-ten auf Heimkehr und Frieden gehofft wurde. Nicht nur von der Zivilbevölke-rung.

Etliche hatten die Hoffnung nicht ver-loren. Fast jeder suchte Trost. Dabei half die Musik. Die Zeit der „War Songs“ des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundene Absatz von Schallplatten war gekommen. Bei den Amerikanern war’s, wie erwähnt, in erster Linie Glenn Miller mit „In the Mood“. Lale Anderson war es in erster Linie bei den Deutschen mit „Lili

Hoffnung für a l le (2) Blaue Vögel und World War II Songs

Von Freddy Schauwecker

Glenn Miller, 1942 https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1d/Glenn_Miller_Billboard.jpg

Die 1917 bei London geborene Vera Lynn hatte den Höhe-punkt ihrer Karriere in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Liebevoll nannte man sie auch „The Forces‘ Sweetheart“. Sie wurde 1969 geadelt und erhielt den Titel „Dame“. Mit ihrem Album „We’ll meet again-The very Best of Very Lynn“ gelangte sie 2009 auf Platz 1 der „Britischen Album Charts“ und war im Alter von 92 Jahren die älteste lebende Sängerin, die unter den Top 20 gelistet wurde. Plattenhülle: Hits Of The Blitz - Vera Lynn With Tony Osborne And His Orchestra LP (Archiv Ott)

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Marleen“, dem Song, der eigentlich ein Shanty, ein Seemannslied, werden sollte.

Aber nicht nur diese beiden Titel lie-ßen die Kassen klingeln. Auch mit dabei waren die Andrew Sisters, u. a. mit dem „Boogie Woogie Bugle Boy“, Woody Herman mit „At a Woodchop-per’s Ball“, Doris Day u.a. mit „Sentimental Journey“ und die Mills Brothers mit „Paper Doll“, um einige zu nennen.

Der 1911 in New York geborene Wal-ter Kent komponierte 1941 die Melodie der slowly zu spielenden Nummer „(There’ll be Bluebirds over) The White Cliffs of Do-ver“. Sein amerikanischer Kolle-ge Nat Burton schrieb den Text dazu. Er war nie vor Ort gewe-sen. Aber er hatte das Empfinden der Bevölkerung und der Solda-ten aus Sicht der Alliierten voll getroffen. Mit seinen etwas dra-matisch, vielleicht auch überzo-gen hoffnungsvoll klingenden Worte.

Im Text auch mit verarbeitet hat-te Burton die Bluebirds, den Be-griff, der seit Ewigkeit für Opti-mismus und Glückseligkeit steht. Die damaligen Uniformen des männlichen Personals der engli-schen Luftwaffe waren blau. Demzufolge wurden diese Jungs auch „Boys in Blue“ genannt. Sie und vor allem die Vögel der Royal Air Force waren die Hoffnungsträger aller auf dem britischen Kon-tingent. Bei den Maschi-nen der Royal Air Force (RAF) waren die Unterseiten blau ge-spritzt. Beide Flügel und der Rumpf. Somit wurden auch diese Flieger in Zusammenhang mit den Bluebirds gebracht. Also mit der ersehnten Hoff-nung auf Frieden und der notwendigen Sicherheit.

Die mit Abstand erfolgreichste Inter-pretin von „White Cliffs of Dover “ war die bei London geborene Vera Lynn, die liebevoll auch „The Forces’ Sweetheart“ genannt wurde. Die Auf-nahme dieses Titels 1942 war einer ihrer größten Erfolge. Sie wurde oft frenetisch gefeiert. Sängerinnen wie Connie Francis, Sänger der Klasse und des Bekanntheitsgrades von Bing Crosby, verschiedene Gesangsgruppen und renommierte Bands bedienten sich ebenfalls dieses Titels.

Absoluter Hit aber wurde Vera Lynns Kriegszeiten-Klassiker „We’ll meet again“, der im September 1939 heraus

kam. Auch ein World War II Song. Hierbei ist deutlich das Verlangen nach einem Wiedersehen zu hören. Hier oder da, aber sicher irgendwann, wie’s im Text heißt. Zwei Jahre vor Kriegsende, 1943, kam ein Musical mit gleichem Namen heraus. Ein Jahr davor war schon ein Film mit glei-chem Titel in den Kinos angelaufen.

Bei beiden spielte Lynn die Hauptrol-le. Mit ihrem Album „We‘ll meet again - The Best of Vera Lynn“ ge-langte sie 2009 auf Platz 1 der Briti-

schen Alben Charts und war im Alter von 92 Jahren die älteste lebende Sän-gerin, die unter den Top 20 gelistet wurde. Am 20. März 2017, ihrem hundertsten Geburtstag, setzte sie noch eins drauf: Sie schenk-te sich das Album „Vera Lynn 100“ mit ihren größten Hits. Über sie meinte der britische Sänger und Schauspieler Harry Secombe: „Nicht Churchill hat die Nazis be-siegt. Vera hat sie zu Tode gesungen“.

Den deutschen Liebha-bern des Dixieland Revival bzw. dem Brit Jazz fiel der Song „White Cliffs of Dover“ spätestens durch die Aufnahme des englischen Klarinettisten Acker Bilk auf. Er hat-

te, wie bekannt, in den 1950er Jahren ein kürzeres Gastspiel in der Band von Ken Colyer. Mit seiner 1958 gegründe-ten Paramount Jazzband brachte Bilk seine Version dieses Titels auf Platte.

Das Label Columbia kam im August 1960 mit dieser Aufnahme als Vinyl 7’’ Single und einer Laufzeit von 2 min und 20 sec auf den Markt. Schon nach kurzer Zeit gehörte dieser Song mit zu den Favoriten vieler Fans. Mit den ersten Veröffentlichungen von Mr. Acker Bilk hatte man sich in Deutsch-

land schwer getan. Mit diesem Titel allerdings war ihm der Durchbruch gelungen und schon nach kurzer Zeit wurde dieses Stück direkt mit dem sympathischen und beliebten „Gentleman mit Melone“, dem „Great Master of Clarinet“, in Verbindung gebracht. Ähnlich vielleicht, wie es beispielswei-se bei Chris Barber und dem Langzeit-Ohrwurm „Ice Cream“ der Fall ist.

Mr. Acker Bilk and His Pa-ramount Jazzband tourten etliche Jahre auch durch England und Deutschland. Bald waren sie wegen ihrer musikalischen Qualität und der hervorragenden Performance überall beliebt. Mit den Klari-netten-Instrumental-Solo-Titeln „Stranger on the Shore“ und „Summer Set“ war Bilk,

Sohn eines Predigers und einer Orga-nistin, in den Charts vertreten und er-reichte über ein paar Monate gute Ver-kaufszahlen.

Bei vielen Zuhörern kommen beim Gesang von „White Cliffs of Dover“ durch den Ende 2014 verstorbenen Mr. Acker Bilk immer wieder Erinne-rungen an die Überfahrt mit der Fähre von Frankreich nach England auf. Er-innerungen vielleicht daran, als zum

ersten Mal und schon nach kur-zer Zeit das englische Fest-

land mit seinen eindrucks-vollen, gigantischen, weißen Klippen von Dover in Sicht.

Wegen der Beliebtheit und dem Erfolg dieses Titels spielen und sin-

gen seit Mitte der 1960er Jahre Dixieland

Bands auch diese Nummer. Auch heute noch wird bei

derartigen Veranstaltungen da-nach gefragt. Allerdings nicht mehr so häufig wie einst.

ENDE

Markenzeichen des 1929 in der englischen Grafschaft Somerset geborenen Mr. Acker Bilk waren Melone und Ziegenbart. In den 1950er spielte er auch in der Band von Ken Colyer. Die Musiker seiner 1958 gegründeten Pa-ramount Jazzband trugen, wie er auch, hauptsächlich far-bige, gestreifte Westen.

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meiner Stunden selber wählen kann, je nachdem, welche künstlerischen Projek-te im Jahr anstehen.“ Bei diesen ver-knüpft König ohne Scheuklappen stilis-tische Elemente des Jazz mit Klassik und zeitgenössischer Musik. Was für ihn Jazz sei, darüber sagt er: „Jazz ist für mich die Möglichkeit, zu improvisie-ren. Für mich gibt es eigentlich nur zwei ‚Schubladen‘, die ich akzeptiere. ‚Komponierte Musik‘ und ‚Improvisierte Musik‘. Komponierte Musik gibt es in jedem Genre: Klassik, Barock, Jazz. Die improvisierte Musik gibt es fast nur noch im Jazz. Beide können sich natürlich berühren oder überlappen. Das macht es für mich so reizvoll, denn beide Bereiche sind mir wichtig. Improvisation kann gebunden sein an einen Jazzstandard oder an eine Komposition von mir. Auch spiele ich gern komplett freie Improvisationen. Frei heißt aber nicht, dass es keine Harmonien und keinen Rhythmus gibt, sondern frei im Sinne, dass ich keine Komposition als Ausgangspunkt neh-me.“

Das Wesen des Jazz hat sich ihm durch das eigene Musizieren erst erschlossen: „Bei mir war es nicht so, dass ich die eine Schallplatte gehört und gesagt habe, so will ich auch klingen. Bei mir war es eher so, dass ich irgendwann entschieden habe, nicht nur Kompositi-onen zu spielen. Ich wollte mich ans Klavier setzen und einfach losspielen.

D ie lokale Presse nannte ihn kürzlich den „Jazz-Guru“ von Leipzig. Dass diese Betite-lung zu eng gefasst ist, spürt

man sofort, wenn man mit Stephan Kö-nig über dessen Aktivitäten als Pianist, Komponist, Arrangeur, Orchesterleiter und Hochschullehrer ins Gespräch kommt. „Eigentlich sehe ich mich nicht als Jazzmusiker. Ich sehe mich als Musi-ker, der verschiedene Sachen macht. Ich komponiere, leite Orchester und spiele selbst Klavier, entweder komponierte oder improvisierte Musik. Ein Teil davon ist Jazz.“ Fragt man ihn, wo er Schwer-punkte setzt, antwortet er ohne zu Zö-gern: „Der Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Vielfältigkeit. Das ist bei mir schon immer so gewesen. Ich konnte mich da nie festlegen. Deswegen habe ich auch drei Hauptfächer Dirigieren, Klavier und Komposition studiert. Der Jazz kam später als weitere Farbe und Möglichkeit dazu, Musik zu machen.“

Der 1963 in Berlin geborene König durchlief eine klassische Musikausbil-dung an der Spezialschule in Halle/S. und nahm unmittelbar nach erfolgrei-chem Studienabschluss an der Hoch-schule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig eine Stelle als Lehrer dort an. „Das habe ich aber nach zwei Jahren beendet, weil ich gemerkt habe, dass mich das zu sehr einengt. Ich habe stattdessen einen Lehrauftrag angenom-men, wo ich semesterweise die Anzahl

Dass das Jazz war, habe ich erst später gemerkt. Das Schöne am Improvisieren ist, dass man auf seinen momentanen Zustand eingehen kann, dass man das spielt, was man gerade empfindet. Wenn man melancholisch ist, spielt man an-ders, als wenn man elektrisiert ist.“

Stephan Königs Verdienste bezüglich der Entwicklung besonders einer agilen Leipziger Jazzszene in den 1990er Jah-ren können nicht hoch genug gewürdigt werden. Schon zu DDR-Zeiten nutzte er Freiräume, organisierte Jazzabende im Schauspielhaus, gründete nach der Wen-de Mitte der neunziger Jahre die Initiati-ve Leipziger Jazzmusiker „LeipJAZZig“ und zeichnete als künstlerischer Leiter des Vereins „Jazz Kosmos e.V.“ bis zu dessen Auflösung für die Programmge-staltung verantwortlich.

1998 gründete er eine der interessantes-ten Jazzformationen des Landes, das LeipJAZZig Orkester, welches im ver-gangenen Jahr 20jähriges Bestehen fei-ern konnte und auch in der Elbphilhar-monie in Hamburg bejubelt wurde. Dass es sich um eine besondere Formation handelt, soll auch in der Schreibweise des Namens „Orkester“ zum Ausdruck kommen. Hier bündelt König all seine Fähigkeiten als Komponist, Arrangeur, Pianist und Organisator und entwickelt stetig einen von Jazz, Rock, Folklore, Minimal-Music bis hin zur Klassik ge-prägten einzigartigen Sound: „Das Or-

Schwerpunkt: Vielfältigkeit Stetige Veränderung als Kontinuum - der Leipziger Pianist Stephan König

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kester hat für mich einen hohen Stellen-wert. Das sind alles Musiker, mit denen ich sehr gern zusammenspiele. Mit vielen von ihnen habe ich in kleinen Besetzun-gen, vom Duo bis zum Quartett, gespielt, bevor die Idee entstanden ist, diese wun-derbaren Musiker alle zusammen auf eine Bühne zu bringen. Ich wollte keine Big Band im klassischen Sinne mit einem festgefügten Saxophonsatz oder eine Art klassisches Kammerorchester, sondern einen Verbund gleichgesinnter Solisten, mit denen ich meine kompositorischen Vorstellungen realisieren kann. Seit mehr als 20 Jahren spielen wir fast in der Originalbesetzung und haben jedes Jahr ein neues Programm, entweder mit Kompositionen von mir oder meinen Bearbeitungen anderer Kompositionen. Die Auftritte sind langfristig geplant aber auch rar, was ich nicht schlimm finde. Würde ich ein Programm 25 Mal hintereinander spielen, hätte es nicht mehr diese besondere Energie, die erst entstehen kann, wenn man sich nur hin und wieder zusammenfindet und keine Routine entstehen kann. Das spürt auch das Publikum. Jeder Auftritt ist ein elekt-risierendes Zusammentreffen von 14 Solisten.“

Trotz seiner vielseitigen Aktivitäten ist man etwas verblüfft darüber, dass sein Name in den Medien weniger präsent ist als der manch anderer Künstler. Den Grund vermutet er zum einen in seiner Vielfalt: „Andererseits ist das ja auch keine populäre Musik für einen breiten Kreis, die ich mache. Das ist schon eine spezielle Musik. Dadurch, dass ich so viel Verschiedenes mache, ist es etwas schwieriger, Aufmerksamkeit zu errei-chen, als jemand, der nur ein Projekt verfolgt und darauf seine ganze Energie lenkt.“

In welchem Verhältnis die Lehrtätigkeit zu seinem künstlerischen Beruf stehe, dazu sagt König: „Unterrichten ist sehr schön, weil man immer selber dabei lernt. Wenn man etwas vermittelt, denkt man über diese Sachen nach und be-kommt neue Impulse. Das Niveau an der

HMT in Leipzig ist ziemlich hoch, was durch die hier unterrichtenden Profes-soren wesentlich geprägt ist und sich in hohen Bewerberzahlen ausdrückt. Ich unterrichte im Moment klassisches Kla-vier für Jazzmusik-Studenten. Aber auch während meiner Lehrtätigkeit habe ich unterschiedlichste Dinge ge-macht, den Jazz-Chor geleitet, Kompo-sition, Improvisation, Gehörbildung und Theorie unterrichtet. Ich versuche den Studierenden zu vermitteln, nicht nur im Jazz eine eigenen Handschrift zu finden, sondern sich vielseitig zu orien-tieren, sodass man weiß, wie es sich anfühlt, eine Sängerin zu begleiten, wie man einen schönen Tango spielen kann oder was bei Theater-Musik wichtig ist, damit man später die Chance hat, mit Musik auch Geld zu verdienen.“

Aktuell hat er mit der Sängerin Uschi Brüning zusammen ein Projekt mit

chansonhaft-intimen und jazzig arran-gierten „Herzensliedern“ in Angriff genommen. Das wurde vom MDR an-geregt: „Der hatte die Idee, zum popu-lären Lied ‚Am Fenster‘ der DDR Rockband City, das 40 Jahre alt wurde, Neuinterpretationen in Auftrag zu ge-ben. Es wurden verschiedene Künstler angefragt, unter anderem Uschi und ich. Ich habe lange überlegt, was man

mit diesem Ohrwurm, wo die Geige eine wichtige Rolle spielt, überhaupt machen kann und in welcher Form. Schließlich entschlossen wir uns, das nur zu zweit zu machen. Das war die einzige Chance, die schöne Melodie und den Text nochmal ganz neu und in reduzierter Form zu interpretieren. Ich habe neue Harmonien geschrieben, sodass wir klanglich über-haupt nicht in die Nähe des Originals kommen. Als wir das dann aufgenommen haben, fühlte sich das richtig gut an, sodass wir uns entschieden, ein ganzes Programm daraus zu machen mit Lie-dern , die einen im Leben begleitet und sich festgehakt haben und die ich neu arrangiert habe. Darunter sind Hits wie ‚Als ich fortging‘ oder ‚Über sieben Brü-cken musst du gehen‘, die wir neu arran-giert haben. Auch ein Udo Lindenberg Titel ist dabei. Das Projekt macht uns beiden großen Spaß, weil es eine Heraus-forderung ist, in dieser Konstellation - Klavier und Stimme - wie auf dem Prä-sentierteller zu agieren, wo jeder Ton wichtig ist.“

Sein größtes Ziel als Musiker ist es, ein perfektes Konzert zu spielen: „Das heißt für mich, dass ich merke, dass jeder Ton der richtige ist. Das sind ganz seltene Momente in den 100 bis 150 Konzerten, die ich im Jahr gebe, wo ich dieses Ge-fühl erlebe und zwischendurch denke, ja so will ich es. Jazz ist eben eine sehr komplexe Musik. Deswegen muss der Jazz auch mehr in den Konzertsaal und in die Medien. Und wir müssen es schaf-fen, wieder mehr Leute ins Konzert zu bringen. Die Atmosphäre des Improvisie-rens live zu erleben, macht die Einzigar-tigkeit dieser Musik aus.“

Interview mit Stephan König am 10. April 2019 in der HMT „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig

Fotos: Steffen Pohle | Detlef A. Ott

Text: Detlef A. Ott

Erschien unter dem Titel „Präsentierteller der Vielfalt“ leicht verändert und mit anderen

Fotos im JAZZPODIUM 7-8/2019

Stephan König (p) mit seinem Duo-Partner Michael Arnold (ts) wa hrend des Jubila umskonzertes zum 20ja hrigen Bestehen von „LeipJAZZig“ am 14. Januar 2017 in der Schille, Leipzig

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Schlagzeug, Gongs, Becken, Marimba, Vibraphon, Trompete, Flügelhorn, Pfeifen, Schalmei, Rasseln, Klanghöl-zern und der eigenen Stimme ver-schmelzen sie Klänge und Geräusche, erforschen die harmonische Wechsel-wirkung unterschiedlichsten Instru-mentariums und schaffen damit einen einzigartig raumfüllenden Klangkos-mos.

Am 1. Juni 2019 kam das Ensemble nach elf Jahren wieder in den Medien-campus villa ida Leipzig, in Original-besetzung. Zwei Stunden verzauberten sie mit spielerischer Leichtigkeit, viel Witz, Fantasie, südländischem Tempe-rament und großer Lust am gemeinsa-men Spiel die zahlreichen Zuhörer, die nun schon seit 164 Konzerten der mu-sikalischen Reihe campus inter|national die Treue halten und dieses Kleinod kultureller Unabhängigkeit zu schätzen wissen. Der subtropische Abend hätte keinen besseren Hintergrund für eine Musik bilden können, deren Wurzeln irgendwo in Afrika zu finden sind. Mit kongenialer Sensibilität schlug man von da einen großen musikalischen Bogen bis in die raue Jetztzeit, u.a. mit

B ei einem Schlagzeugkonzert denkt man zunächst an laute Rhythmen. Mit den ersten Takten von Percussion Staff

verflüchtigte sich diese Vermutung und man hatte sofort das Gefühl, für Francesco D’Auria, Marco Castiglioni, Mauro Gnecci, Pietro Stefanoni und Fausto Tagliabue bedeute perkussiv zu

spielen, dies nicht nur rhythmisch zu tun, sondern dass dies sehr wohl sinn-lich, harmonisch und melodiehaft ge-schehen kann. Große Lautstärke ist dem Musikalischen sowieso abträglich. Ihr Lehrmeister für diese hohe Kunst sen-sibler Vitalität heißt Baby Sommer, dessen Klangwelten so vielschichtig sind, wie die Anzahl an Materialien vom Blech bis zur Feder, mit denen man diese entstehen lassen kann. Die fünf Italiener waren seine Schüler. 35 Jahre ist das her. Da traf man sich im Land der Zitronen und Oliven, lehrte, lernte, tauschte sich aus. Der Kontakt ging danach nicht verloren und immer wieder mal finden sich die in die Jahre gekommenen Schüler mit ihrem Sangoma der Trommeln zusammen. Mit

einem Titel von Baby Sommer namens „DDS: Dresden Destruction Sehnsucht“.

Sommer benennt seine Einflüsse als Schlagzeuger von Baby Dodds, Max Roach bis hin zu Art Blakey, dem er in musikalischer Verbundenheit an diesem Abend das Stück „Art to Art“ widmete. In jedem Rhythmus der längeren und kürzeren Preziosen des Konzerts steckte

immer auch eine verborgene Harmonie, die Geschichten erzählen will. Traum-haft schön und berührend wurde es, wenn Marimba und Vibraphon über dem Grundton der Basstrommel in hö-here Sphären aufstiegen, das Flügelhorn mit gedämpfter Zurückhaltung dem Ton der Trommeln folgte und man mit ge-schlossenen Augen spürte, wie sich die Energie, die von der Bühne ausging, im Zuhören verdichtete.

Kurzweiliger kann ein Konzert kaum sein oder um es mit dem griechischen Philosophen Platon zu sagen: „Das We-sen des Schönen und Guten ist im richti-gen Maß enthalten.“

Text/ Fotos: Detlef A. Ott

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gen mit Satchmos musikali-scher Autobiographie, wobei Goetze die Zwischentexte, kongenial übersetzt, sehr origi-nell sprach.

Nun zu den Schallplatten: die ersten Jazz-Aufnahmen waren Schellacks von Graeme Bell aus Prag mit dem blauen Sup-raphon-Etikett, die ich dann später auch als 45er bekam. Dann erstand ich dank Bezie-hungen aus dem Musikhaus Luge in Jena jugoslawische Importplatten. Eine der ersten war ein Sampler This is Jazz No.1 u.a. mit Bessie Smith, Porter Grainger (p) und Charlie Green (tb) Put It Right Here. Aus der gleichen Quelle jazz classics mit der Dutch Swing College Band. Auf Amiga American Folk Blues mit Sun-nyland Slim, Willie Dixon, Hubert Sumlin und Clifton James 1964. Negro Spirituals, Plattenbeilage zum gleichna-migen Buch von Siegfried Schmidt-Joos u.a. 1961.

Die Jazz-Tribune-Serie Fats Waller, die ich Ende der 1980er Jahre von einem Schweizer Jazzfreund erhielt. Zu Anfang hörte ich auch gern Die Moldau unter Karajan, die Aufnahmen der Dreigroschen-oper -Uraufführung und Die schöne Helena von Peter Hacks nach Jacques Offenbach im Deutschen Theater in Ost-Berlin 1959.

Das alles und noch viel mehr möchte ich mir gern auf der Insel wieder anhören.

Desert Is land Discs (2)

S eit 1942 gibt es eine Kult-sendung auf BBC 4 na-mens Desert Islands Discs. Im Verlaufe der Jahre

wurden Persönlichkeiten aus Poli-tik, Kultur, Wissenschaft und Sport befragt, welche ihrer Lieblingsmu-sik und Lieblingsbücher sie auf eine einsame Insel mitnehmen wür-den. Ähnliche Sendungen gibt es auch im Deutschlandfunk, wo Pro-minente ihre Musik vorstellen und dazu passende Geschichten erzäh-len wie „Klassik-Pop-et cetera“.

Uns kam die Idee, dass es für unser Leserinnen und Leser interessant und auflockernd wäre, in unregel-mäßigem Abstand eine ähnliche Liste - auch als Anregung für zu Hörendes - einzuführen. Deswegen habe ich vor einigen Wochen ge-fragt, wer Schallplatten oder Jazz-standards, die zu den unumstößli-chen „all time favourites“ gehören mit einer kurzen Story oder Begrün-dung nennen möchte. Heute: …

Klaus Kirst Jazzposaunist aus Leipzig

D ie einsame Insel ist nicht mein Lebens-ziel, da ich Gesel-ligkeit bevorzuge.

Falls es doch eintreten sollte, möchte ich zunächst einige Bücher mitschleppen: Horst H. Lange Die Deutsche Jazz-Discographie, J. E. Berendt Blues, Alfons M. Dauer Jazz ,

Bohländers Jazzführer und natürlich Horst Geldmachers herrlich gestaltetes O Susanna.

Ich infizierte mich mit dem Jazzvirus Ende der 1950er Jah-re in Jena, als ich nach Klaus Steckels Abgang (JFSG 10/2015) diese New Orleans Band unter dem Klarinettisten Klaus Schneider erstmals hör-te. Daraufhin beschlagnahmte ich das Smaragd Tonbandgerät meines Vaters und nahm an den Wochenenden nachts Jazz-sendungen auf. Viele Tonbän-der füllten sich in den nächsten Jahren. Ich bevorzugte Werner Goetze vom Bayrischen Rund-funk, weil der ziemlich stö-rungsfrei reinkam. Eine der ersten Aufnahmen war Dr. Jazz Stomp von J. R. Morton, aller-dings mit Mikro vor dem Kof-ferradio(!). Goetzes discogra-phische Hinweise vervollstän-digte ich mit Horst H. Lange, dessen Buch ich mehr als fünf Jahre von der Unibibliothek Jena ausgeliehen hatte. Jack Teagardens Solo in On the Sunny Side of the Street mit den All Stars in Boston 1947 riss mich vom Stuhl. Die CD ergatterte ich erst Anfang der 2000er in einem Kaufhaus. Stark waren auch die Sendun-

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“Allema“, sehr spaßig (heute) zu lesen, wie die kleinkarierte “DDR-Zensur“ (damals) bei Klaus Kirsts Lieddichtung auf dem Dixieland Festival in

Dresden angewandt wurde. Ein englischer Text, auch gekauderwelscht, kein Problem, aber ein eigener satirischer deutscher Lied-text, das ging nicht und schon gar nicht über den Sender, zu gefährlich. (Ich kann mich noch erinnern, wie die Sendereihe ei-ner populären Jugendsendung, bei der wir spielten, abgesetzt wurde und die ganze Re-daktion von Berlin nach Bitterfeld “strafversetzt“ wurde, für ein halbes Jahr, wenn ich mich recht erinnere.)

Die ganze Aufregung um diese Textzeilen ist heute nicht mehr zu verstehen (zum Glück), war damals aber bitterernst. Worte konnten mächtig werden und daher kam ja die große Furcht der Zuständigen; also Kunst wurde, so gesehen, doch sehr ernst genommen.

Rolf Wachowius, 26. Mai 2019

Ich bewundere jedes Mal aufs Neue Deinen Einsatz für die Gazette und gehe davon aus, dass Du viel Lob bekommst.

Und womit? Mit Recht!

Karl Heinz Böhm, Berlin

Ich freue mich immer über die Gazette, vie-len Dank!

Stefan Heilig, jazzclub leipzig

Vielen Dank für die Mühe und Neugier mit der wieder eine interessante Ausgabe ent-standen ist. Ich wünsche Euch einen schönen erholsamen Sommer und Viele Grüße,

Peter Kroneberger, Stadtroda

Die “Gazette” selbst habe ich eben “ausgelesen” und bin ganz beeindruckt von dem Heft. Ich habe wirklich jeden Artikel komplett gelesen. Es passiert selten, dass mich in einer Zeitschrift jeder Artikel fesselt. Und diesmal gab´ es wieder diesen Moment. Ich fühle mich nach dieser Lektüre richtig wohl.

<…>

Mir hat Dein Artikel über das Uschi Brüning-Buch sehr gut gefallen. Das Buch selbst hatte ich mir schon kurz nach Veröffentlichung gekauft und hab´ es an einem Sonntag komplett gelesen. Danach hatte ich das Gefühl, viel gelernt zu haben von der Mu-sikszene in der DDR. Ich bin ja ein “alter” Westberliner (geb. 1968) aber habe mich immer für die Kultur in der DDR interessiert. Bin vor der Wende, ab Mitte der 80er Jahre immer wieder nach “Ost-Berlin” gefahren und habe mir vieles dort angesehen.

Uschi Brüning habe ich das erste Mal “live in concert” im Dezember 1989

zusammen mit der RIAS-Big Band unter Barry Ross im Berliner Lokal “Joe am KuDamm”. Das war schon toll. Quasi eine erste Ost-West-Session kurz nach der Wen-de. “Luten” war natürlich auch mit dabei. Hubert Katzenbeier (Posaune) auch. An die anderen Gastmusiker kann ich mich nicht mehr erinnern. Anfang der 90er Jahre habe ich “Uschi & Luten” im RIAS Studio 10 gesehen. Damals fanden da noch Konzerte statt. Ich glaube, es hieß “Enfant”-Projekt oder ähnlich. Und in den letzten Jahren habe ich alle Konzerte mit ihr und Manfred Krug hier in Berlin gesehen. Und davon gab es ja glücklicherweise einige. Bei dem Konzert im Kammermusiksaal 2007 war ich natürlich auch. Da hast Du ja schöne Fotos in der neuen “Gazette” drin. Das war ein ganz besonderes Konzert. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es selten Konzer-te mit Manfred Krug und Big Band.

Christian Mürmann, Berlin

Herzlichen Dank für die zwei Ausgaben der Swing Gazette. Sehr ansprechend ge-macht und durch die Bank interessante Artikel. Schön, dass es so etwas noch gibt.

Rolf Schubert, Andalusien

Danke für die wie immer sehr schöne und informative Gazette!

Dr. Thomas Brückner, Leipzig

Herzlichen Dank für die neue Swing Gazet-te. Es macht immer wieder Spaß, sie zu lesen bei den vielen interessanten Beiträ-gen. So langsam komme ich wieder an meine Buchprojekte. Ich bin dabei ein altes Projekt, das ich vor drei Jahren begonnen habe wieder weiter zu bearbeiten. Es sind

Dokumente aus den 1940er und 1950er Jah-ren, die noch nicht veröffentlich wurden. Es ist die Zeit des Deutschen Swing Clubs und Deutschen Hot Clubs.

Gerhard Evertz, Hannover

Schon wieder herrlich-swingendes Lesever-gnügen - tolle Beitragsauswahl mit fundier-ten interessanten Abhandlungen - großer Dank der Jazzgemeinde gilt Dir und Deinen Mitstreitern - der Ruf der besten Jazzzeit-schrift in Deutschland galt bisher dem "schlagzeug" - nun hat Deine Gazette, dem schon lange den Rang abgelaufen. Let it go weiter so

Gruß Gerhard Klussmeier, Hamburg

In Österreich gibt es Dinge, die deutlich schneller funktionieren als die Post - nämlich zum Beispiel Ibiza-Gate, Kickl-Rausschmiss, Neuwahlen, Misstrauensanträ-ge ... Wundert es da, dass ich die neueste GAZETTE nicht so schnell erhalten habe, wie Sie erhofften? Nun, jetzt ist sie da. Und sie macht wieder rundum Freude (nicht nur wegen des eigenen Cozy-Corner-Beitrags). Aufschlussreiche Rückblicke (Siggi Schmidt-Joos; Schauwecker; Liepolt) und Aktuelles wechseln sich in einem lesenswerten Mix ab. Amüsiert habe ich mich natürlich über Klaus Kirsts Reminiszenzen zu "E Sachse is is gewiss schon da". Richtig losprusten konnte ich allerdings nicht, wenn ich an solche Dumpfbacken wie den beschriebenen "Mann aus dem Hintergrund" denke, der einen grau-en Schleier über das hellste Licht zu werfen vermochte.

Dieter Drescher, Österreich

Habe Samstag die Juni-Ausgabe von JFSG erhalten und mich gefreut. Vielen Dank. Ist wieder ganz schön was zusammen gekom-men. Hast Dir wieder viel Mühe ge-macht. Gratulation.

Freddy Schauwecker, Düsseldorf

Hello, Brother Detlef, meinen Dank für das Juni-Heft und für Deinen persönlichen Gruß.

Habe eben die ersten Leseeindrücke daraus gesammelt. Wiederum ist die Vielfalt der Themen, wiederum die tolle Aufmachung und wiederum der große und bestimmende Anteil gerade auch Deiner Beiträge zu bewundern! - alle Achtung!

Heiner Mückenberger, Iserloh

Herzlichen Dank für die tolle Konzert-besprechung! Es hat mich sehr gefreut, dich in Chemnitz kennenzulernen.

Paulo Morello

Die Gazette ist wie immer fantastisch. Danke, dass ich der erste bin, der seine Island Discs vorstel-len durfte.

Peter Glessing

Die hot & blue jazz band

veranstaltet am

21. September 2019

in der Weihertalmühle bei Stadtroda

das jenaer jazz meeting Nr.VI

Beginn 16.00 Uhr

Eintritt frei

Kürzlich las ich im Editorial der Programmzeitschrift des Deutschlandfunks über Hass-Mails und Pöbeleien, denen Redakteure und Journalisten heutzutage ausgesetzt sind und dies nicht nur anonymer Art. Hingegen freuen wir uns jedes Mal um so mehr über viele nette Zuschriften und Kommentare, die uns nach Erscheinen eines Mitteilungsblattes erreichen. Einige davon drucken wir ab, weil sie Beiträge ergänzen und ganz nebenbei beweisen, dass wer Musik macht, weniger krisenanfällig ist.

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 35

Für Drechsel bedeutet Armstrongs Tour ebenfalls ein Schatz voller wertvoller Erinnerungen; die Künstleragentur hatte ihn nämlich gefragt, ob er Armstrongs Konzerte ankündigen und ihn auf der Tournee begleiten würde. Als Arm-strong am Nachmittag des 21. März 1965 am Flughafen Schönefeld in Ost-Berlin ankam, war es kalt und windig. Drechsel kann sich noch genau daran erinnern, wie Armstrong die Halle be-trat, willkommen geheißen wurde, kurz mit Journalisten sprach und dann schnurstracks zu den Jazz Optimisten Berlin ging, die zu seiner Begrüßung ‚When It’s Sleepy Time Down South’ angestimmt hatten. Mit diesem Titel eröffnete er stets seine Konzerte. „Er sagte: ‚Pardon me, I have to sing. That's my song’”, erzählt Drechsel, und Arm-strong sang mit der Band. „Absolute Stille. Louis’ Stimme war in der Luft.“ Die Aufnahme von Armstrongs Ankunft ist selbst ein Schatz. Sie wurde mir per-sönlich gegeben und – wie sich später herausstellte – war sie nicht mal in ei-nem öffentlichen Archiv zu finden.

Armstrongs heitere Natur schien auch durch, als er mit seiner Band The All Stars nach den Konzerten in Leipzig schnell zurück nach Berlin musste. Es gab nur noch ein Frachtflugzeug zu die-ser späten Stunde und Drechsel war da-bei: „Es gab nur sehr einfache Sitze und das Flugzeug hat sich viel bewegt. Es war sehr schlechtes Wetter. Die Musiker und ich litten sehr. Der Magen machte uns zu schaffen. Aber Louis lachte. Er war glücklich.“

Ich erwähnte, dass der Friedrichstadtpa-last, in dem Armstrong auftrat, nicht mehr existiert, auch das Hotel Berolina, in dem er in Berlin gewohnt hat, steht nicht mehr. In Leipzig allerdings, erhebt sich die alte Messehalle noch hoch em-por. Es ist eine riesige, graue, nüchterne Halle, die inzwischen in ein Shopping-center umgewandelt wurde, da das neue Messegelände nun außerhalb des Zent-rums liegt. Das Hotel Deutschland steht auch noch, obwohl es nun unter einem anderen Namen fungiert und von einer internationalen Hotelkette betrieben wird. Es wurde umfangreich renoviert, so dass auch Armstrongs Suite nicht mehr existiert. Als Armstrong im März 1965 zu Besuch kam, war das erstklassi-ge Hotel gerade erst eröffnet worden und Armstrong war der erste VIP. Kath-leen Tippner vom Hotel hat im Archiv sogar etwas über Armstrongs Zeit gefun-den; darunter ein Kalender aus der Mar-ketingabteilung des Hotels, das ein Foto von Armstrong in seiner Suite zeigt.

„,Gut, Sie dürfen zwei Titel singen’. Aber dann war Schluss.“

Der allgemeine Tenor in der DDR ist, dass Armstrong Türen geöffnet hat, da die Obrigkeiten dem Jazz etwas positi-ver gegenüberstanden – aber nur bis zu einem gewissen Grad. Im Dezember 1965 entschied die DDR-Führung auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees die Zügel im Kulturbereich wieder straffer zu ziehen. Ruth Hohmann hat dies besonders getroffen; dabei gehörte sie zu den Pionieren der Jazzszene in der DDR. Sie war die erste, die in ih-rem Berufsausweis die Bezeichnung ‚Jazzsängerin’ zu stehen hatte. Aber Anfang 1966 war’s vorbei damit. Ver-anstaltungen, für die sie engagiert war, wurden kurzfristig abgesagt und beim Fernsehen sagte man ihr: „,Es sind Waschkörbeweise Beschwerden ge-kommen über Sie. Sie dürfen nicht im Fernsehen auftreten. Sie treten auf, im Kalt-Programm’. Also nicht Fernse-hen, sondern nur Rundfunk“. Es gab noch andere Probleme beim Fernsehen: „Sie wollten nicht, dass ich alle Titel, die vereinbart waren, singe. Da habe ich gesagt: ‚Wir haben diesen Vertrag. Sie möchten Ihren Vertrag nicht erfül-len, dann erfülle ich meinen auch nicht. Da fährt noch eine Bahn, da fahre ich jetzt los.’ Da haben die eine Stunde diskutiert und dann gesagt: ‚Gut, Sie dürfen zwei Titel singen. Aber dann war Schluss.’“

Schwierige Zeiten folgten. Man hatte ihr zu Beginn ihrer Karriere angeboten, auch Schlager zu singen, aber sie lehn-te ab. Sie hat sich dem Jazz verschrie-ben und blieb dabei. Den Jazzgesang hat sie sich selbst beigebracht, indem sie das nachahmte, was sie im Radio hörte. Ihr erster offizieller Auftritt war mit den Jazz Optimisten im Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft im November 1961. Es mag nach einem ungewöhnlichen Ort für Jazz klingen, aber sie erklärt: „Diese Häuser der Kultur aus Polen, Ungarn und der ČSSR haben immer Jazzkonzerte ge-macht, auch die Russen.“ Dies zeigt, dass nicht alle Ostblockländer dem Jazz gleichermaßen feindlich gegen-überstanden wie die DDR.

Natürlich hat Hohmann auch Arm-strongs Konzert gesehen: „Die Band hatte so eine herrliche Art, die ich von hier nicht kenne, so gespielt böse gu-cken, wenn der eine ein Solo macht. Der Schlagzeuger und der Klarinet-tist... wie zwei dumme Jungs haben die beiden Späße miteinander gemacht.“

Nachdem Walter Ulbricht ihrer Karrie-re Anfang 1966 quasi ein Ende gesetzt hatte, durfte sie diese wieder aufneh-men, als er 1971 vom Sockel gestürzt wurde und von Honecker als Staats-

oberhaupt ersetzt wurde. Seitdem ist sie fester Bestandteil der Jazzszene in der DDR. Sie spielte zum Beispiel auch mit dem Jazzpianisten Ulrich Gumpert. Ob-wohl ihre musikalischen Stile im Jazz-spektrum weit voneinander entfernt lie-gen – sie singt überwiegend Oldtime Jazz während er Free Jazz spielt, verlief die Zusammenarbeit gut. Beiden gelang es die Turbulenzen nach dem Mauerfall zu überstehen und beide widmen sich weiterhin dem Jazz.

Weiterführende Literatur zu Louis Armstrong, seiner Tour durch die DDR und dem Jazz in der DDR:

Stefan Schulz/ Detlef A. Ott: „What a won-derful World – Als Louis Armstrong durch den Osten tourte”

Siegfried Schmidt-Joos: „Die Stasi swingt nicht mit”

Karlheinz Drechsel und Ulf Drechsel: „Zwischen den Strömungen – Mein Leben mit dem Jazz”

Rainer Bratfisch: „Freie Töne – Die Jazzsze-ne in der DDR”

Fortsetzung von Seite 3 >>>>>

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 36

kurzen Ära des Jazz in Deutschland von 1959 bis 1971 gelungen. Inge Brandenburg ist hier in unterschied-lichsten Konstellationen zu hören, was fast einem Who’s Who der damaligen deutschen Jazzszene entspricht: RIAS Tanzorchester unter Werner Müller, WDR Orchester Kurt Edelhagen, NDR Rundfunkorchester, das Südfunk-Tanzorchester unter der Leitung von Erwin Lehn und SFB Tanzorchester von Paul Kuhn. Die Spanne ihrer un-glaublichen Ausdruckskraft reicht vom martialisch gesungenen Blues („What’s The Matter, Daddy“, „St. Louis Blues“) über gefühlvolle Balladen bis hin zu enorm swingenden Arrangements mit Bigband oder kleineren Besetzungen. In Standards wie „But Not For Me“ im Trio von Klaus König, „‘Round Mid-night“ mit Michael Nauras Quartett oder „Summertime“ mit dem Klaus Doldinger Quartett kommt ihr enormes Jazzfeeling zur Geltung. „A Taste of Honey“, „Cry Me A River“ sowie die deutsche Version von „You Don’t Know What Love Is“ (Was weißt Du von Liebe) mit Erwin Lehn erinnern gleichzeitig an den 100. Geburtstag des Leiters des großartigen Südfunk-Tanzorchester, welches durch hervorra-gende Solisten wie dem Saxophonisten Werner Baumgart bestach. Da, wo Inge Brandenburg deutsch singt, wie „Zähle nicht immer die Stun-den“ (großartig hier die Solisten der NDR Big Band!) oder „Makin‘ Whoopee“, wofür Paul Kuhn den Text lieferte, sowie ihr berühmtes „Das Rie-senrad“ verarbeitet sie ihre ganzen Er-fahrungen eines verworrenen Lebens kompromisslos auf musikalisch hohem Niveau und wirkt dabei besonders au-thentisch. Inge Brandenburgs posthume Ehrung ist allein dem Filmproduzenten Marc Boettcher zu verdanken, der 2011 mit der wunderbaren Dokumentation „Sing, Inge, Sing!“ und der CD dazu den Grundstein legte, weitere Schätze he-

ben zu dürfen: „Die Archive der Sender hatten Inge einfach in all der Zeit verges-sen, arbeiten aber seit meiner Wiederent-deckung 2011 sehr gern wieder als Li-zenzgeber mit mir, und so produzierte ich also Nr. 2“. Eine der interessantesten Veröffentlichung dieses Jahres, wovon man gern noch mehr hätte und die schließlich nur mit einem ekstatisch ge-sungenen „I Love Jazz“ enden kann! (DO) PHILIP CATHERINE PAULO MORELLO SVEN FALLER Manoir De Mes Rêves Enja 9768 Philip Catherine und Paulo Morello ge-hören zur Elite europäischer Jazzgitarris-ten, ersterer mittlerweile mit Legen-denstatus. Catherine, 1942 in London ge-boren (Mutter Engländerin, Vater Belgi-er), begleitete viele Jazzgrößen von Dex-ter Gordon bis Chet Baker, nahm ebenso wunderbare Alben unter eigenem Namen auf. Wie bei so vielen Gitarristen welt-weit wurde auch sein Spiel von Django Reinhardt beeinflusst. Mit dessen lang-jährigem Partner, dem Geiger Stéphane Grappelli, verewigte Catherine dessen Geist 1979 auf der LP „Young Djan-go“ (MPS). Der Titel der LP bezog sich nicht auf seinen von Charles Mingus ge-prägten gleichnamigen Spitznamen, son-dern auf den Charakter Reinhardts swin-gender Musik. Obwohl danach oft als „Django of the Seventies“ bezeichnet, ließ sich Catherines Spiel stilistisch nicht kategorisieren und war schon immer schwer zu verorten. Dass dies auch auf den jüngeren Paulo Morello zutrifft, stellten beide fest, als sie sich beim Jazz Festival in Burghausen 2010 kennenlern-ten. Jetzt liegt ihr erstes Album „Manoir de mes Reves“ vor, das folgerichtig nach einer Komposition Django Reinhardts benannt ist und dass sie beide gemein-sam mit dem Bassisten Sven Faller ge-

Empfehlenswerte Tonträger und Bücher für Jazzfreunde

INGE BRANDENBURG I Love Jazz UNISONSO RECORDS, LC 28536 Innerhalb kürzester Zeit schaffte es diese CD auf Platz 4 der Charts für Jazz-Alben des Online-Magazins Mix1 und ließ an-dere erfolgreiche Alben von Till Brön-ner, Avishai Cohen oder Brad Mehldau hinter sich. Kein Wunder und zu Recht! Marc Boettcher ist gemeinsam mit dem Produzenten des jungen Berliner Labels UNISONO Records Patrick Römer mit dieser Auswahl von 18 unveröffentlich-ten, sensationellen Aufnahmen der Sän-gerin Inge Brandenburg aus den Archi-ven diverser Rundfunkanstalten etwas gelungen, was bei ähnlichen Zusammen-stellungen von Musikern selten der Fall ist: Neben der Erinnerung an eine außer-gewöhnliche Stimme, deren Potential durch ignorante Musikproduzenten nie abgefragt wurde, weil sie zur falschen Zeit im falschen Land lebte, um die Früchte ihres Tuns zu ernten, ist gleich-zeitig ein kongenialer Querschnitt einer

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 37

stalten. Die meisten Stücke stammen von französischen Komponisten der 1950er und 1960er Jahre, die Catherine sehr schätzt, wie Georges Brassens, Henri Salvador oder wie eine vergessene Kom-position „Jardin D’Hiver“ von Eddy Louis. Eine Affinität zum Bossa-Nova kommt im berühmten „Recado“ zum Ausdruck und entspricht der Leiden-schaft von Paulo Morello, der durch sei-ne Ambition zur brasilianischen Musik eine ganz eigene Sprache im Jazz entwi-ckelt hat. Das vergnügliche und in sich ruhende Eröffnungsstück „Les Amou-reux Des Bancs Publics“ aus der Feder Georges Brassens erinnert daran, als Catherine den Gitarristen 1954 das erste Mal hörte und macht gleichzeitig die Grundstimmung dieses Trios hörbar, dem es nicht an erster Stelle um die Zur-schaustellung technischer Virtuosität und Geschwindigkeitsexzesse geht. Mit sinnlicher Eleganz, harmonischer Fines-se und wohldosierten Tönen zaubern die Saitenvirtuosen eine behagliche Stim-mung voll schöner Melodien, wobei man sich einen Betrachter des Treibens öf-fentlichen Lebens auf einer Parkbank vorstellen mag, der belustigt über die Hektik des Alltags innerlich schmun-zelnd den Moment genießt. Während Catherine und Morello im Austausch musikalischer Ideen scheinbar viel Spaß haben, balanciert der Bassist Sven Faller die klangvollen Einfälle seiner Kollegen harmonisch aus. Im Booklet werden zu den ausgewählten Stücken kurze Ge-schichten erzählt. Eine Stunde swingen-der und verträumt schöner Musik, die immer wieder, wenn die Protagonisten feinfühlig in die Trickkiste greifen, klei-ne Überraschungen und Wendungen pa-rat hält! (DO) BARRELHOUSE JAZZBAND 66 Jahre…jetzt erst recht! Barrelhouse Jazz Die Barrelhouse Jazzband hat ohne jeden Zweifel Jazzgeschichte in Deutschland und darüber hinaus geschrieben. In einem Alter, wo die run-den Geburtstage immer schneller kom-men, darf man sich auch mal zwischen-durch feiern. Das Schaffen der Mannen um den Klarinettisten und Spiritus Rec-tor Reimer von Essen sollte man nicht nur musikalisch würdigen. Ihre Ver-dienste liegen in der Bewahrung und Verbreitung des Geistes des Jazz aus New Orleans, wo sie Ehrenbürger sind und wo die Wurzeln der musikalischen Verzweigungen dieser Musik liegen. Ein Jambalaya von elf unterschiedlichen Stücken wie Jelly Roll Mortons „Tia Juana“, Ellingtons „Caravan“, einer Eigenkomposition des Trompeters Horst Schwarz „Funky Shuffle“ oder einem etwas aus der Rolle fallenden „Let It Be“ von Lennon und McCartney, zeigt,

Empfehlenswerte Tonträger und Bücher für Jazzfreunde Junge Musiker begeistern sich

wieder für den traditionellen Jazz

D as diesjährige Edinburgh Jazz & Blues Festival hatte wieder viele Höhepunkte zu bieten, worüber in der De-

zember Ausgabe mehr zu lesen sein wird. Besonders erfreulich war, dass wieder junge Musiker den traditionel-len Jazz für sich entdecken und ein junges und älteres Publikum zum Swingtanzen ani-mieren. Zum einen muss die norwegi-sche Band Swing’it Dixie-band erwähnt werden, die in tra-ditioneller Beset-zung (Trompete, Posaune, Klarinet-te, Bass, Banjo, Piano, Schlagzeug) für euphorische Stimmung sorgte. Die eigene Begeisterung der jungen Musi-ker für swingende Titel übertrug sich rasch aufs Publi-kum. Als „Norwegens heißeste Dixieband“ betitelt, versetzten sie das Publikum mit enormer ju-gendlicher Frische und Unbedarftheit rasch ins New Or-leans der 1920er Jahre! Nicht nur mit beeindruckenden Soli, sondern auch mit mehrstimmigen Gesangstiteln, viel Witz, groovenden Rhythmen haben sie sich in kürzester Zeit besonders in Skandinavien und Großbritannien mitt-lerweile ein treues Publikum erobert.

Zusätzlich zu ihrer klassischen Show bieten sie ein Disney-Jazz-Programm mit klassischen Disney-Melodien an, was im Stil der Roaring Twenties und in Form einer Prohibition Party daher-kommt, aber auch eigene Kompositio-nen mit norwegischen Texten sind ein besonderes Hörerlebnis.

Ähnlich besetzt ist die Edinburgher Tenement Jazz Band. Die Musiker des schlagzeuglosen Sextetts fangen mit ihrem Spiel und Out-fit die Energie und Stimmung der frühen Jazzaufnahmen aus

New Orleans ein, spielen selten gehörte Titel wie den Bogalusa Strut, Dusty Rag, Cushion Foot Stomp auf ihre ganz eigene Art.

Obwohl die Band erst im vergangenen Jahr gegründet wur-de, traten sie schon mit viel Erfolg auf den Jazzfestivals von Aberdeen, Edin-burgh, Dundee, Glasgow auf und arbeitete mit ver-

schiedenen Musikern der lokalen Jazzszene Schottlands zusammen. In Edinburgh war der der Pianist Brian Kellock als Gast zu hören. Ihre bisher einzigen CD-Aufnahmen kann man im Internet frei hören. ww.tenementjazzband.co.uk

warum diese Band so erfolgreich ist. 100 Jahre Jazzhistorie, ob im Sinne des klassischen Jazz als Kollektivimprovi-sation oder exzellent improvisierter swingender Soli, die sieben Musiker beherrschen das! Die Zusammenarbeit mit Sängerinnen ist ebenso ein wichtig-es Kapitel in der Bandgeschichte. Die Amerikanerin Joan Faulkner schlägt einen weiten Bogen vom 1919 erstmals aufgenommenen Blues „A Good Man Is Hard To Find“ bis hin zum Klassiker

„(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“ von Aretha Franklin. Auch die Bassistin Lindy Huppertsberg demon-striert mit wohltuender Stimme in „A Tisket, A Tasket“ wie man selbst jenen Stücken, die durch Koryphäen wie Ella Fitzgerald den Status des Unberührbaren erlangt haben, leichten Herzens noch einen eigenen Stempel aufdrücken kann. Nicht nur für Fans der Frankfurter Kult-band ist dies eine CD, die man mit Ge-nuss und Freude hört. (DO)

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 38

Christian Gailly Bebop Roman Luchterhand, 1995, ISBN 3-630-86981-5 Aus dem Französischen von Astrid Wintersberger

Ein Abend im Club Berlin Verlag, 2003, ISBN 3-8270-0498-5 Aus dem Französischen von Doris Heinemann

E s gibt Romane, die im Altern schlecht reifen. Liest man sie zum wiederholten Male, weiß man manchmal nicht mehr, warum man

einst von ihnen begeistert war. In Abhängig-keit gemachter Erfahrungen ändert sich un-sere Gefühlswelt mit zunehmenden Jahren.

Den französischen Schriftsteller Christian Gailly (1943-2013) wieder- oder neu zu entdecken, ist hingegen eine freudvolle Er-fahrung. Seine Texte sind voll von Musik und so zeitlos wie der Jazz, der in ihnen eine große Rolle spielt. Gailly wollte zunächst Saxophonist werden. Mit 25 Jahren brach er diesen Versuch endgültig ab, arbeitete eine Zeitlang als Psychoanalytiker, bevor er 1980 zu schreiben begann und bis zu seinem Tod 2013 fünfzehn Romane veröffentlichte, die allesamt als Publikationen der Pariser Grup-pe éditions de Minuit erschienen sind, dem Verlag der literarischen Nachkriegsmoderne Frankreichs.

Nach Erscheinen des Romans „Ein Abend im Club“ schrieb ein Rezensent der FAZ am 11.11.2003 unter dem Titel „Kunst unter Einsatz des Lebens“ sehr treffend: „Wenn es einen zeitgenössischen Schriftsteller gibt, auf den das Lob der "Musikalität der Sprache" nicht nur zutrifft, sondern der uns diese et-was abgegriffene Metapher geradezu wie eine Entdeckung empfinden läßt, dann ist es Christian Gailly.“ Tatsächlich ist der Schreibstil Gaillys ungewöhnlich, belebend und rhythmisch wie ein Saxophonsolo aufge-baut. Er spielt mit den Sätzen, variiert die Worte, den Satzbau, wiederholt das Thema, bricht es ab, um den nächsten Gedanken aufzunehmen, bevor der gedacht und ent-schwunden ist. Genussvoll folgt man der Handlung, die von alltäglichen kleinen Tra-gödien, unerfüllten Lieben, der innerlichen Einsamkeit und der unbändigen Freude an der uns immer wieder in trüben Momenten aufrichtenden Musik geprägt ist. Man spürt, dass Gailly eigene Empfindungen nach au-ßen stülpt und viel von sich preis gibt.

„Bebop“ von 1995 ist ein grandios swingen-des Gedankenspiel über das Leben im Allge-

Stephon Alexander The Jazz of Physics

Die Verbindung von Musik und der Struktur des Universums

Eichborn, 2017

ISBN 978-3-8479-003-7

Ich gebe es zu. Physik gehörte nicht zu mei-nen Lieblingsfächern. Mein Physiklehrer verzweifelte an mir und ich an ihm. Mein Vorstellungsvermö-gen bezüglich des Nutzens physikali-scher Gleichungen war schwach ausge-prägt, um es vorsich-tig auszudrücken.

Wäre Stephon Alexander, Professor für Physik an der Brown University in Provi-dence (Rhode Island), mein Lehrer gewe-sen, sähe dies eventuell anders aus. Als Physiker und Saxophon spielender Jazzmu-siker wäre er mir auf Anhieb sympathisch gewesen, was ja für eine angenehme Lern-atmosphäre nicht unwesentlich ist. In die-sem außergewöhnlichen populärwissen-schaftlichen Buch stellt er am Prinzip der Kohärenz von Physik und Musik dar, dass die Strukturen in der Musik mit denen un-seres Universums durchaus vergleichbar sind und dass Musik eine weithin unter-schätzte Hilfe für im Unterbewusstsein ablaufende Denkprozesse sein kann. In Musik steckt mehr Physik, als man glaubt und umgekehrt genauso. Er unternimmt den Versuch, Menschen wie mir die Analo-gie von Musik, moderner Physik und Kos-mologie näher zu bringen und tut dies auf unterhaltsame Weise, indem er beide scheinbar unterschiedlichen Denkweisen in der Physik und Musik kongenial miteinan-der verflicht. Dass Musik Bestandteil unse-res Universums ist, ist ja nicht neu. John Coltrane, Sun Ra, Duke Ellington und viele andere improvisierende Musiker haben dies immer wieder in ihren Werken aufgegriffen und widergespiegelt. Auch der Jazzpubli-zist Joachim Ernst Berendt hat sich in sei-nen Vorträgen über „Die Welt ist Klang“ damit auseinandergesetzt. Alexander be-schreitet aus der Sicht eines Physikers ei-nen anderen Weg. Er bildet Analogien der Symmetrie von Quantenfeldern und musi-

kalischer Kompositionen und stellt dabei die Frage nach einer neuen Physik, die uns möglicherweise das Verständnis über die Entstehung unseres Universums näher bringt. „Man sollte den Kindern erzählen, dass die ersten Sterne und Galaxien des Universums aus dem Klang im Ur-Plasma kurz nach der Geburt des Universums entstanden sind und dass sie umgekehrt Galaxien mit komplexen Mustern und Sternen geschaffen haben, die mit be-stimmten Resonanzfrequenzen singen.“ Ein Lehrer gab Alexander den frühzeiti-gen Rat, mehr Musik zu machen, um sei-ne physikalischen Ansätze besser be-schreiben zu können. „Ich finde, Musik ist die ideale Aktivität, um das Unbewusste zu beschäftigen.“ Wer kennt das nicht: Man wacht morgens auf und schreibt ge-nau den Satz nieder, an dem man tags zuvor noch stundenlang gegrübelt hat.

Auch wenn die mehr als 300 Seiten eine literarische Herausforderung darstellen, man einige davon mit ausschweifenden Erklärungen über Schwingungen und Wellen durchaus überspringen kann - wie es der Autor auch empfiehlt - falls die Vorstellungskraft nicht genügt, sich mit den physikalischen Gedankenexperimen-ten anfreunden zu können, hat man am Ende der Lektüre eine subtile Ahnung über eine interessante Sichtweise auf die Komplexität unseres Daseins und kann sich aber auch mit Albert Einstein trösten: „Man kann sagen: Das ewig Unbegreifli-che an der Welt ist ihre Begreiflichkeit.

Stephon Alexander hat 2014 ein elektroni-sches Jazzalbum „Here Comes Now“ veröffentlicht.

Detlef A. Ott

B ibliophile Jazzfreunde kennen das erhebende Gefühl, wenn man

in den eigenen überfüllten Regalen auf Schallplatten und Bücher

stößt, die man vergessen hatte, nachdem man sie irgendwann auf

einem Antik– oder Büchermarkt, bei sogenannten Restsellern

oder auf Plattenbörsen stapelweise und zu Preisen, die niedriger als die

Parkgebühren lagen, erworben hatte. Sie wurden erst einmal eingeordnet

und später ungelesen übersehen. In letzter Zeit sind wir mal wieder auf in-

teressante Schätze beim „Bücher-Bouldern“ gestoßen und möchten davon

einige empfehlen, weil sie mit unserer Musik oder dem sozialen Umfeld die-

ser zu tun haben. Manche sind über einschlägige Buchhändler im Internet

für wenig Geld zu erwerben.

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JUST FOR SWING GAZETTE | September 2019 39

meinen und die Musik im besonderen, wobei sich die Lebenswege zweier Jazzmusiker kreuzen. Der eine ist der junge Altsaxopho-nist namens Basile Lorettu, der Gerry Mul-ligan ähnelt und einen Job bei der Allgemei-nen Entsorgungsfirma des Ortes hat, wo er schlicht und einfach Scheiße abpumpen muss. Der andere ist ein ehemaliger Jazzmu-sikers Paul, der mit seiner Frau Urlaub macht. Während Lorettu Pauls Ferienhaus von überquellenden Fäkalien säubert, entde-cken sie zufällig ihre gemeinsame Affinität zum Jazz. „Ich konnte nie davon leben, sagt Paul. Man krepiert schon eher dabei, sagt Lorettu. Das stimmt, sagt Paul, davor hatte ich Angst. Das wirkt wie eine kalte Dusche.“ Das mitreißende Büchlein bringt Gailly geni-al mit der Beschreibung der Stimmung eines perfekten Jazzabends zum Abschluss und improvisiert mit Worten kenntnisreich über die Wiederbelebung des vom Jazzvirus infi-zierten Paul, der seine alte Liebe zum Tenor-saxophon mit einem einfachen Blues „Now’s the time“ wiederfindet und den jün-geren Lorettu staunen lässt: „… gar nicht schlecht <…> der Alte, er spielt sogar gut, und wie gut der spielt, ein bißchen zu sehr wie Coltrane, aber okay, das macht nichts, das macht Spaß, es stimmt schon, daß man glaubt, Coltrane zu hören, dieselbe Phrasie-rung, danke, Paul, danke für John (Coltrane), es ist wunderbar, ihn wiederzu-finden, <…> im Schmerz, in der Lust des Schmerzes, eine wilde Lust, es ist ganz ein-fach, je länger es geht, desto mehr glaubt man den Trane zu hören, <…>.

Auch im schmalen Bändchen „Ein Abend im Club“ greift Gailly Jahre später das in „Bebop" angespielte Thema wieder auf. Dieses Mal ist es der in die Jahre gekomme-ne Ingenieur Simon Nardis, der eine Hei-zungsanlage in eine kleine Stadt reparieren soll und nach erfolgter Arbeit und vor dem letzten Zug Richtung trautes Heim von sei-nem Auftraggeber in den örtlichen Jazzclub "Le Dauphin vert" geführt wird, nichtsah-nend, dass Nardis früher ein sehr berühmter Jazzpianist war, der stilbildend Spuren für kommende Generationen legte und den seine Frau Suzanne vor dem Absturz in einen Sumpf von Drogen, Alkohol und Jazz rettete. Der Abend entfacht unvorhersehbare Ereig-nisse, die Nardis‘ Leben nachhaltig verän-dern sollen. Wie bei einem trockenen Alko-holiker das erste Glas Wein, entfachen die ersten Klänge des Klaviertrios die alte, in Nardis schlummernde Sucht, zu spielen, zu improvisieren, besser zu spielen? „Besser, besser, was heißt das schon, besser spielen?, dachte er. Nein das ist es nicht.“ Drei junge Amerikaner sind zu Gast im französischen Club und spielen brillant von Nardis‘ Stil beeinflusst. „Bill, der junge Pianist, hatte sich, wie ich schon sagte, in seinem Stil sehr von Simon inspirieren lassen, aber, so er-zählte mir Simon, wenn der Swing stärker war als das bemühte So-tun-als-ob, gelang ihm unwillkürlich eine ganz eigene Phrasie-rung.“

In einer Pause geht Simon auf die Bühne und setzt sich an das Piano, den Faden eines längst hinter sich gelassenes Lebens wieder aufnehmend und das Schicksal auf tragische Weise herausfordernd. Im weiteren Verlauf bahnt sich eine Liebesgeschichte an, die in immer wieder unterbrochenen Erzählweisen und in Anbetracht der grausamen Tragik, die

Ich-Erzählers, dessen Namen man nicht er-fährt, Eingang findet. Mit Louis Armstrongs „(What Did I Do To Be So) Black And Blue“, einem Song, der auch als eine Art Protest verstanden werden kann, versucht er zu Be-ginn des Romans sich selbst den Zustand empfundener Unsichtbarkeit in einer Umge-bung, die nach der Prämisse „Only White Is Right“ funktioniert, zu erklären, um als Fazit seiner Erkenntis mit einem Armstrong-Zitat den Bogen ins hoffnungslos Optimistische zu spannen: „Open the window, and let the bad air out – öffne das Fenster und lass die schlechte Luft raus.“ Ellison schuf überzeu-gend mit seiner Figur den Charakter eines intelligenten jungen Negers – Ellison bestand auf der Verwendung des Wortes -, der die Demütigungen einer von Weißen beherrsch-ten Welt erlebt, erleidet, äußerlich erduldet und entwickelt dabei eine kontemplative Ironie und Wut, dem alle Facetten menschli-chen Denkens und Handelns innewohnen. Sei es mit der Beschreibung ihm angetaner Ungerechtigkeit als Jahrgangsbester eines Colleges für Schwarze im Süden, das von wohltätigen Weißen finanziert wird, die kur-ze Zeit als angestellte Hilfskraft in einer Farbenfabrik oder als naiver, aber begnadeter politischer Redner einer von Weißen geleite-ten Bruderschaft mit marxistischen Zügen, die sich angeblich dem Wohle der schwarzen Bevölkerung Harlems verpflichtet fühlt, immer gelingt es Ellison genial, den Erzähler im Kampf gegen die Widersprüche des Le-bens eine weitere Entwicklungsstufe erklim-men zu lassen.

Die Kapitel fließen in einer Sprache improvi-sierter Jazzchorusse wie einzelne Kurzge-schichten ineinander, was besonders in den

politisch geführten Reden mit bluesgefärbtem Un-terton einer Predigt gleich den Grundgedanken des Romans, die Entwicklung einer von Menschlichkeit geprägten demokratischen Gesellschaft zu beschrei-ben, auf filmreife Art und Weise hervorhebt. Als Leser wird man unaufhör-lich mit der bebenden Gefühlswelt sowie steten Zerrissenheit des Erzäh-lers konfrontiert. Die Bewertung subtiler Denk-prozesse im Nachwort des Autors klingt heute aktu-eller denn 1981, als es geschrieben wurde und macht diese erneuerte Ausgabe zu einem ganz wichtigen Buch, gerade in einer von großer Verwir-rung geprägten politi-schen Gegenwart, in der Ausgrenzung, Zynismus und Demagogie wieder

zum politischen Alltag gehören: „Wenn uns also das Ideal wahrer politischer Gleichbe-rechtigung in der Wirklichkeit vorenthalten bleibt - wie es auch weiterhin geschieht -, so ist doch immer noch jene fiktionale Vision einer idealen Demokratie vorhanden, <…>, in der Oben und Unten, Schwarz und Weiß, Nordstaatler und Südstaatler, Einheimischer und Einwanderer eins werden…“

Detlef A. Ott

der weiteren Geschichte innewohnt, trotz allem nicht an Leichtigkeit verliert.

Beide Bücher sind wunderbar zeitlose Ge-schichten, an denen man sich besonders der musikalischen Sprache wegen lustvoll er-freuen kann.

Detlef A. Ott

Ralph Ellison

Der unsichtbare Mann

Aufbau Verlag, 680 Seiten

ISBN-10: 3351037805

Es gibt Bücher, die sind so fesselnd, dass man durch sie langsamer schwebt, weil man die letzte Seite nie erreichen möchte. Zu denen gehört der über 600 Seiten starke Klassiker der Weltliteratur und Barack Obamas Lieblingsbuch „Invisible Man“ (Der unsichtbare Mann) des afro-amerikanischen Schriftstellers Ralph Elli-son von 1952. Die ursprüngliche Überset-zung von Georg Goyerts wurde durch Hans Christian Oeser vollständig überarbeitet. Zusätzlich enthält es ein von Ellison drei-ßig Jahre nach Erscheinen des Originals verfasstes und ebenso überarbeitetes Nach-wort.

Ralph Ellison (1914-1994), der oft in ei-nem Atemzug mit James Baldwin, Toni Morrison oder Alice Walker genannt wird, wurde mit diesem Buch schlagartig be-rühmt. Es blieb allerdings im Vergleich des schriftstellerischen Oeuvres mit den ande-ren sein einziges größeres Werk. Selbst bezeichnete er „Invisible Man“ als einen höchst eigenwilligen, selbstge-nerativen Roman, den er ursprünglich als Kriegs-roman konzipiert hatte. Im Laufe von sieben Jahren entwickelte sich die anekdotische Hand-lung über den Umgang mit sozialen und rassisti-schen Aspekten der ame-rikanischen Gesellschaft nach dem Zweiten Welt-krieg, die sich an den Erfahrungen schwarzer Soldaten nach deren Rückkehr in die Staaten orientierte und die trotz ihrer Heldentaten im Krieg weiterhin als Men-schen zweiter Klasse behandelt wurden. Inspi-riert von Dostojewskis „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ beginnt Ellison, aus den Tiefen eines solchen Kohlenkel-lers den Protagonisten des Buches über dessen zurückgelegten Lebensweg und die Suche nach der eigenen Identität in einer vom Rassismus dominierten Gesellschaft zu reflektieren. Die gedankenschwere Leichtigkeit des klaren und sehr anschauli-chen Schreibstils speist sich auch aus der eigenen Erfahrung des Schriftstellers, der zwischen der schwarzen und weißen Welt New Yorks pendelte und die im Bericht des

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