Hausarbeit - SchreibCenter · Rudolf von Laban, der bereits oben erwähnt wurde, packte dieses...

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Hausarbeit Beispiel 1. Einführung Ziel dieser Arbeit ist es, Ausdruckstanz unter Berücksichtigung verschiedener Ansätze und Vermittlungskonzepte bedeutender Tänzer zu betrachten Zu Beginn soll der Begriff Ausdruckstanz erläutert werden. Im Anschluss daran wird ein geschichtlicher Aspekt des Ausdruckstanzes eingeführt. Hierbei soll deutlich werden, wann sich der Ausdruckstanz entwickelte, aus welchem Zusammenhang er entstand und was und wer diesen Tanz prägte. Um dies zu verdeutlichen, wird auf Mitteleuropa eingegangen, danach wird von der Kriegszeit und der Nachkriegszeit die Rede sein. Danach wird herausgestellt werden, wie sich der Ausdruckstanz in den zwanziger Jahren entwickelte, dabei werde ich auf die wohl bedeutendsten Tänzer eingehen, nämlich Isadora Duncan, Rosalia Chladek, Rudolf von Laban, Mary Wigman und Hanya Holm. Diese hatten ohne Zweifel den größten und prägendsten Einfluss auf den Ausdruckstanz. Anschließend wird kurz auf die Generation in Europa und den USA eingegangen. Als Abschluss dieser Arbeit soll dann auf die praktischen Aspekte des Ausdruckstanzes eingegangen werden. Was war wichtig für die Körperhaltung? Welche Arm- und Beinbewegungen waren charakteristisch für diesen Tanzstil? In diesem Abschnitt der Arbeit soll deutlich gemacht werden, welche Stile, welche tanztechnischen Termini im Ausdruckstanz von Bedeutung waren.

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Hausarbeit Beispiel

1. Einführung

Ziel dieser Arbeit ist es, Ausdruckstanz unter Berücksichtigung verschiedener Ansätze

und Vermittlungskonzepte bedeutender Tänzer zu betrachten

Zu Beginn soll der Begriff Ausdruckstanz erläutert werden. Im Anschluss daran wird

ein geschichtlicher Aspekt des Ausdruckstanzes eingeführt. Hierbei soll deutlich

werden, wann sich der Ausdruckstanz entwickelte, aus welchem Zusammenhang er

entstand und was und wer diesen Tanz prägte. Um dies zu verdeutlichen, wird auf

Mitteleuropa eingegangen, danach wird von der Kriegszeit und der Nachkriegszeit die

Rede sein. Danach wird herausgestellt werden, wie sich der Ausdruckstanz in den

zwanziger Jahren entwickelte, dabei werde ich auf die wohl bedeutendsten Tänzer

eingehen, nämlich Isadora Duncan, Rosalia Chladek, Rudolf von Laban, Mary Wigman

und Hanya Holm. Diese hatten ohne Zweifel den größten und prägendsten Einfluss auf

den Ausdruckstanz. Anschließend wird kurz auf die Generation in Europa und den USA

eingegangen. Als Abschluss dieser Arbeit soll dann auf die praktischen Aspekte des

Ausdruckstanzes eingegangen werden. Was war wichtig für die Körperhaltung? Welche

Arm- und Beinbewegungen waren charakteristisch für diesen Tanzstil? In diesem

Abschnitt der Arbeit soll deutlich gemacht werden, welche Stile, welche

tanztechnischen Termini im Ausdruckstanz von Bedeutung waren.

2. Bestimmung des Ausdruckstanzes und seine Geschichte

Der Begriff Ausdruckstanz meint keine ästhetische oder stilistische

Ausrichtung des Tanzes, sondern umfasst alle tänzerischen

Erscheinungsformen, die sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts als

Reaktion und Protest gegen das stagnierende Ballett und seinen

Formenkanon etablierten. Die Bezeichnung Ausdruckstanz ist als

Gattungsbegriff zu verstehen. Er vereint verschiedene Stile und ästhetische

Ansätze, aufgrund spezifischer Gemeinsamkeiten zur Gattung des

Ausdruckstanzes zuzuschreiben sind. Eines der wesentlichen Merkmale

des Ausdruckstanzes ist das Individuum, der Mensch, der zum Maßstab

erhoben ist1. Das Bestimmende hierbei ist nicht die äußere Form, die

formale Struktur, die sonst das Ballett kennzeichnet, sondern der innere

Impuls, das innere Empfinden des Tänzers, welches sich unmittelbar in

einer tänzerischen Gestalt zeigt und körperlichen Ausdruck erfährt.

Der Ansatz des Ausdruckstanzes ist subjektiv. Dieser ist ganz bewusst

darauf angelegt, dem subjektiven Empfinden eine tänzerische Form zu

geben. Isadora Duncan, auf die später noch im Näheren eingegangen wird,

ließ sich von dem Empfinden leiten, dass sie beim Anhören einer Musik

erlebte. Auch Mary Wigman, auf die im Folgenden auch noch eingegangen

wird, hatte ihren Ausgangspunkt in der psychischen und physischen

Ausnahmesituation. Sie selbst bezeichnete diese Stimmung als „Ekstase“

und „Außer- sich- treten“. Generell lag die Schöpfungsquelle des

Ausdruckstanz bzw. der Ausdruckstänzer im Menschen selbst, das Erleben

stand im Mittelpunkt der Tänze und bestimmte diese Form. Form und

Inhalt der Tänze besaßen eine absolute Deckungsgleichheit. Der Inhalt

suchte sich seine Form und griff nicht auf „objektive“ Stoffe zurück.

Hierbei wird deutlich, dass dort die Grenze des Ausdruckstanzes liegt, bei

dem sich der Tanz mit Formen und Inhalten verbindet die von außen

1 Noetzel, 1994, S. 22

vorgegeben sind, sowie es im Ballett und im Tanztheater der Fall ist, und

nicht aus dem persönlichen Empfinden heraus entwickelten wurden.

Im Ausdruckstanz können Rolle und Person nicht voneinander getrennt

werden. Die Choreographie entsteht also unmittelbar aus dem Erleben

und wird nicht zur Rolle. Bei dieser Gattung, bei der die Tänzerinnen und

Tänzer die Inhalte aus ihrer Persönlichkeit beziehen, ist die Übertragung

der Choreographie auf andere nicht vorgesehen.

Der Ausdruckstanz existierte nur in einer begrenzten Zeitspanne, nämlich

von ca. 1900 bis 1933. Die Entstehung dieser Gattung vollzog sich im

Kontext eines Umwälzungsprozess, der sich seit Ende des 19. Jahrhunderts

auf allen Ebenen des Lebens ereignete- sozial, politisch, wirtschaftlich,

kulturell. Dieser Prozess lässt sich auf zahllose Einzelmomente

zurückführen, die in vielsichtiger Beziehung zueinander stehen. Ein

wesentliches Moment war der Zerfall überkommender Werte und Begriffe

im ausgehend 19. Jahrhundert. Auch die Erkenntnisse von Max Planck

und Einsteins Quantentheorie stützten das neuzeitliche Denken in eine

tiefe Krise. Die Orientierung an der bislang unangezweifelten Objektivität

der Dinge wurde hinfällig, der Fokus lag nun auf sich selbst, ans Innere.

Der Ausdruck persönlichen Empfindens wurde zum Maßstab

künstlerischen Schaffens. So wie auf wissenschaftlichem Gebiet, das

Seelenleben untersucht wurde, so wurde das Individuum mit seinem

Seelenleben in der Kunst zur Quelle künstlerischer Werke.

In den 20er Jahren hatte der Ausdruckstanz in seiner stilistischen

Ausformung seinen Höhepunkt erreicht.

„Der zivilisationskritische Hintergrund und die im Bürgertum

verbreiteten, lebensreformerisch und lebensphilosophisch begründeten

irrationalen und mystischen Anschauungen bildeten eine ideologische

Basis, auf die später die nationalsozialistische Bewegung zurückgreifen

konnte2.“

Der Expressionismus begründete sein künstlerisches Schaffen aus dem

unmittelbaren inneren Erleben und seelischer Bewegung.3

Damit ging man nun nicht mehr auf das verbreitete Tanzverständnis in Europa, den

ästhetischen Normvorstellungen ein, sondern die Ausdruckstänzer wollten ihrer inneren

Bewegtheit durch die Gestaltung äußerer Bewegung Ausdruck verleihen.

Der Aufbruch der freien Tanzkunst vollzog sich mit den künstlerischen und

gesellschaftlichen Zeitströmungen und Reformbewegungen. Der Widerspruch zwischen

Natur und Technik sowie die Erziehung, die sich auf Natürlichkeit und Gesundheit des

Menschen erstreckte, verbunden mit den Ideen der Reformpädagogik, waren

wesentliche Ausgangspunkte für die Reformbestrebungen im künstlerischen Tanz. Auch

die Diskussionen der Künstler, sowie der Musiker beeinflussten die Ausdruckstänzer

und –tänzerinnen in ihrer Suche nach ungebundenen, individuellen Ausdrucksformen.

Auch von der Rhythmus- und Gymnastikbewegung gingen wesentliche Impulse für die

Etablierung des Ausdruckstanzes als Bühnenkunst aus. Innerhalb der

Ausdruckstanzbewegung gab es eigenständige Konzepte. Zum einen das System von

Rosalia Chladek. Es stellt die tänzerische Realisierung der rhythmisch- musikalischen

Erziehung und der Körperbildung dar. Zudem gibt es noch die Bewegungsanalyse und

das tanzpädagogische Konzept von Rudolf von Laban. Außerdem der tanzpädagogische

Ansatz von Mary Wigman. Verglichen dazu gab es noch Ansätze von Gret Palucca und

Mariane Vogelsang, sie trugen zur Entwicklung des „Neuen Künstlerischen Tanzes“ in

der ehemaligen DDR bei. Und schließlich das Konzept des Elementaren Tanzes von

Maja Lex, indem sich die musikalisch- rhythmische Bewegungsbildung und freier Tanz

herauskristallisierte.

Der Ausdruckstanz begann in den späten 20er und frühen 30er Jahren aus sich selbst

heraus künstlerisch zu stagnieren, da Bewegungsformen und Inhalte erschöpft waren.

Eine Bedrohung seiner Existenz begann erst, als sich die Herrschaftsmechanismen und

Organisationsstrukturen der Nationalsozialisten auf allen Ebenen des Lebens

durchgesetzt hatten. Die Nationalsozialisten schufen die künstlerische

2 Fleischle-Braun, 2001, S. 46 3 Vgl. Artus, 1994, S. 71

Selbstverwirklichung nicht ab, sondern setzten an ihre Stelle die zweckbestimmte

Selbstverwirklichung.

Die Tanzästhetik, die der Nationalsozialismus förderte und benutzte, war

Bestandteil des Ausdruckstanzes in den 20er Jahren. Die Herleitung des

tänzerischen Selbstverständnisses aus den nationalen Wurzeln, aus der

deutschen Kulturgeschichte, wie sie in Mary Wigmans Theorie

vorherrschte, diese Vorstellungen kam den Nationalsozialisten entgegen

und brauchte dann noch um ihre ideologischen Nuancen erweitert und

verfeinert zu werden.4

Der Ausdruckstanz wurde dadurch inhaltlich ausgehöhlt und die Form

blieb solange bestehen, bis sie sich neuen Inhalten angepasst hatte.

Durch die restriktiven Maßnahmen der nationalsozialistischen Partei, die

das künstlerische Schaffen kontrollierte und regulierte, wurde der

Ausdruckstanz seines Lebensnervs und jeder Möglichkeit einer Erneuerung

durch befruchtende Impulse von außen beraubt. Büßte allerdings der

Ausdruckstanz auch seine Existenz ein, so lebten seine Prinzipien doch fort

und haben zur Entstehung der Gattung des Tanztheater in den 70er

Jahren beigetragen.

2.1. Die Befreiung der Tanzkunst

Große Tanzkünstler hatten versucht, den Bühnentanz von allen

bedrückenden gesellschaftlichen Bürden, wie schwere Kostüme, hohe

Perücken und Schuhe zu befreien, die jegliche ungezwungene

Bewegungen behinderten. Zudem hatten sie auch die Tanzkunst von ihren

traditionellen Schritten, Formationen und Choreographien gelöst. Sie

hatten alles von dieser Tanzkunst gelöst, was den Eindruck einer steifen

hierarchischen Gesellschaft und einer traditionellen Bindung der

Tanzkunst an den Tanz höherer Stände vermittelte. Sie hatten alles

4 Vgl. Noetzel, 1994, S. 27

abgeschafft, was an einen Tanz, der die Privilegien der höheren Klasse

erinnerte. Sie schafften zudem das Erscheinungsbild ab, das den Willen

des Hofes betonte, die Mitglieder des eigenen Standes über den Rest der

Menschheit zu sehen.5

Isadora Duncan war es, die den von schwerer Kleidung und steifem

Schuhwerk befreiten Barfußtanz kreierte. Sie war vor allem aber die erste,

die von der Bühne herab eine politische Botschaft verkündete. Rudolf von

Laban, der bereits oben erwähnt wurde, packte dieses Problem von

„innen“ an. Er ging von ureigenen Bedingungen der Bewegung aus, von

Nerven und Muskeln, von allen dynamischen Schwingungen der

Bewegung in Zeit und Raum, von Spannung und Entspannung, all dies

wurde nach Laban von der „Körpermitte“ aus wahrgenommen.

2.2. Gedanken und Ideen

Ideen von Rudolf von Laban und später die Gedanken Mary Wigmans,

waren bedeutend für die Entwicklung des Ausdruckstanzes. Um allerdings

Labans Werk richtig zu beurteilen muss man dessen von Steiners kennen.

Rudolf Steiners Anthroposophie war eine weltanschauliche Lehre und trug

Züge des Hinduismus, Buddhismus und des christlichen Okkultismus. Den

Begriff der Eurythmie belebte Steiner neu, dieser bezeichnete ursprünglich

die rhythmische Weltordnung und die darauf beruhende

Bewegungsharmonie.

Laban bediente sich den Mythologien und philosophischen Gedanken der

Antike. Homer bis Platon lieferten eine Bildsprache und Lehre, die Laban

zum Gegenstand nahm. Zahlenmystik, der Glaube, dass bestimmte Zahlen

eine gewisse Bedeutung haben, der Glaube an die Macht des Kristalls,

spielten eine wichtige Rolle.

5 Vgl. Karina 1992, S. 27

Auch in seinem Bestreben, eine Notenschrift des Tanzes zu schaffen, folgte

Laban von Anfang an seinen zwischen Aberglaube und Vernunft

schwankenden Überlegungen. In den zwanziger Jahren wurde Labans

Philosophie vom Neoplatonismus geprägt.

Mary Wigman schrieb über Laban, dass er alles aufnahm, was in seine

Interessensphäre passte, dass er alles drehte und wendete bis es sich in

seine Gedankengänge eingefügt hatte.6

Er richtete sich nicht mehr, wie es allerdings die Ballettschule vorschrieb,

nach den Gesetzen der Perspektive. Im Gegenteil, er richtete sich nach

unsichtbaren Linien, welche bewusst wahrgenommene Körperbewegungen

in den Raum zu zeichnen schienen. Er nahm an, dass jede unsichtbare

Linie denselben Naturgesetzen folgt, wie das Wachsen der Kristalle.

„Jede Bewegung ist ein Kristall“7

Besonders entscheidend und prägend für den Modernismus der Kunst vor allem aber für

den Tanz, waren die epochemachenden wissenschaftlichen Entdeckungen. Diese

erschütterten die Zeit. Darunter fallen zum einen Wilhems Röntgens Röntgenstrahlen,

die Studien über das Kristallwachstum, Maria und Pierre Curies Entdeckungen des

Radiums und Poloniums und dessen Strahlung. Beide entdeckten Naturkräfte, die man

weder sehen, riechen, fühlen noch steuern kann. Albert Einsteins Relativitätstheorie

bereitete den Weg für schwindel- erregende Einsichten in die verborgenen Kräfte der

Natur und des Universums. Er zerstörte die absolute Zeit. Sigmund Freud entdeckte das

menschliche Unterbewusstsein. Er bewies dass der Mensch ein inneres Leben besitzt.

Es sitzt tief unten unter dem Bewussten und wird von den Erlebnissen beeinflusst.

Außerdem erkannte er, dass man nicht imstande ist jederzeit das Unterbewusstsein zu

kontrollieren und zu beherrschen. Er erkannte damit das Entscheidende für den

Ausdruckstanz, nämlich dass alles künstlerische Schaffen tief darin verankert ist. Laban

besaß einen inneren Zwang, seine Besessenheit, eine Tanzkunst zu schaffen, die ganz

auf ihre eigenen Mittel vertraute. Er wollte den beseelten Körper in Bewegung,

wahrgenommen von der Körpermitte, ohne Kostüme, Szenen, Erzählung, einen

dramatischen roten Faden und unabhängig von allen überkommenen ästhetischen

6 Vgl. Karina 1992, S. 29 7 Karina 1992, S. 30

Normen, frei von der eigenen Tradition. Somit schuf er einen Tanz, von seiner eigenen

Vergangenheit gelöst und ohne Musik, seine eigenen Laute.

2.3. Während und nach dem Krieg

Als 1914 der erste Weltkrieg ausbrach zogen Laban, Wigman und seine Schüler nach

Zürich um. Aufgrund von Krankheit konnte Laban nicht mehr unterrichten, sodass

Mary an seine Stelle trat. Während des Kriegs hatte man Kontakt zu den sogenannten

Dada- Künstlern. Sie sehnten sich vorsätzlich und protestierend gebärdeten den

Untergang aller ästhetischen Konventionen herbei. Alle führten sie ein inspirierendes

Leben in Zürich, abseits und doch waren sie nahe beim Krieg. Europa brach zusammen

und währenddessen amüsierten sie das Publikum mit Kabarettvorstellungen,

Tanzabenden etc. Laban dagegen stellte diese Dada-Kunst in Frage. Er wollte zwar

neue Kunstformen schaffen, die alles Bisherige ersetzen sollten, doch keinesfalls wollte

er die Kunst „aushöhlen“. Mary Wigman hingegen, die eigentlich an ihrem Glauben

festhielt, ließ sich von ihrem Nationalismus leiten. Dennoch trat sie im Rahmen der

Dada-Veranstaltung auf. In jedem Falle wollte sie zum Kreis derer gehören, die für

Großes auserwählt waren und nahm dafür Opfer in Kauf.

1918 nach dem Zusammenbruch der Deutschen und dem verlorenen Krieg herrschte

neben Hungersnot und Krankheiten ein politisches und kulturelles Chaos. Die große

rote Revolution stand überall vor der Tür. In dieser Atmosphäre veränderte sich die

Grundlage für alle Tendenzen und Strömungen, die Umwälzungen in der Kunst und im

Tanz sowie in der sozialen Ordnung zum Ziel hatten. 1919 gingen Laban und Wigman

nach München. Später zog er nach Stuttgart und Hamburg und sie nach Dresden und

Berlin. Die revolutionären Stürme der Nachkriegszeit erschütterten die junge

Tanzkunst.

2.4. Der neue deutsche Tanz

Nach 1919 begann nun die Karriere von Mary Wigman. Sie errang Berühmtheit in der

ganzen Welt und einen der höchsten Ehrenplätze in der Tanzgeschichte. Im Späteren

wird noch näher auf die Persönlichkeit Mary Wigmans eingegangen.

Zuerst gab sie eigene Tanzabende. Bald darauf eröffnete sie eine Schule. Diese wurde

der Mittelpunkt der ganzen Bewegung, das Zentrum des deutschen künstlerischen

Tanzes. Sie bildete eine eigene Gruppe. Früher hatte sie versucht sich den großen

deutschen Dichtern, Komponisten, Philosophen und Wissenschaftlern würdig zu

erweisen. Dann allerdings schien sie von den nationalen Kräften beherrscht. Der

blühende Geniekult, der zum Führerkult überleitete, bestärkte sie in ihrem Glauben,

dass bestimmte Menschen auserwählt „begnadet“ seien.8

Kulturkritiker und –skribenten interpretierten die Stücke Mary Wigmans. Sie glaubten

ihre Codes und Symbole auflösen und erklären zu können. Somit war alles was sie

schrieben das Produkt ihrer eigenen Weltsicht, der eigenen Gefühle gewesen. Dadurch

dichteten sie in ihren Tanz hinein, was sie selbst sehen und fühlen wollten. Die ersten

die sie anhimmelten waren die Nationalisten gewesen. Die kultische und idolhafte

Verehrung, die sie genoss, ließ alle sachliche Kritik verstummen.

2.5. Der Tanz wird politisch

1933 übernahm Adolf Hitler die Macht, er formulierte die neue Kulturpolitik

Deutschlands. Die modernen Tänzer glaubten, dass ihr Tanz mehr Ansehen genießen

könnte, als die traditionelle Oper und Schauspielkunst. Mit Ausnahme von Wagner, der

große Inspirationswelle Hitlers und Vorbild für alles Deutsche und Germanische in der

Bühnenkunst war.

Nach dem Machtantritt der Nazis 1933, begann Laban damit, einen großen

Tanzkongress zu organisieren. Die Wigmanschule richtete sich nach der Rassenpolitik.

Wigman ließ die Anwendung der barbarischen Theorien zu, opferte ihre nächsten

Mitarbeiter, ohne sich jemals mit der neuen Ideologie auseinanderzusetzen. Die Berliner

Olympiade von 1936 bildete den Höhepunkt dieser künstlerischen Richtung. Danach

fiel sie wie ein Kartenhaus, Stück für Stück zusammen. Allerdings war es vielen

8 Vgl. Karina 1992, S. 34

Tänzern gelungen, den freien Tanz in die demokratischen Länder zu tragen. Nach 1937

folgte Rudolf von Laban der zentralen Gestalt des Ausdruckstanzes.

3. Isadora Duncan (1878-1927)

Isadora Duncan wurde in San Francisco geboren. Sie nahm Ballettunterricht in New

York während ihrer Jugendzeit. 1898 vollführte sie ihren ersten Solotanzabend in New

York. Danach erlangte sie Auftritte in London und Beachtung bei Intellektuellen und

Künstlern. Zwischen 1900 und 1901 hatte sie ihren ersten Durchbruch und Erfolg in

Paris. Im Laufe der Jahre erlangte sie wachsende Erfolge in Europa. 1904 eröffnete sie

ihre erste Schule in Berlin-Grunewald, um ihren neuen freien Tanz zu unterrichten. Sie

unternimmt insgesamt vier Tourneen durch Amerika, allerdings ohne großen Erfolg. In

den Folgejahren eröffnet sie eine weitere Schule in Bellevue-sur Seine bei Paris und

eine weitere in Moskau. 1927 stirbt Isadora Duncan durch einen tragischen Autounfall.

Den Großteil ihrer Laufbahn verbringt sie in Europa. Sie bezeichnet das traditionelle

Ballett als unnatürlich und sagt ihm den Kampf an.

Duncan tanzt barfuss und tritt in einer schlichten Tunika auf, statt wie damals üblich in

einem Ballettkostüm mit Korsett. Sie war der Meinung, dass einzig der ekstatische Tanz

den Menschen befreien könnte. Sie wird aufgrund ihres Eintretens für freie Liebe,

Feminismus, Sozialismus berühmt und berüchtigt. Sie ist begeistert von der

europäischen Sammlung antiker griechischer Kunstschätze. Sie lässt sich von der Kunst

der alten Griechen inspirieren. Wie für viele ihrer Zeitgenossen ist für sie das antike

Griechenland das Goldene Zeitalter. Hierbei sind die spirituellen und materiellen Kräfte

harmonisch miteinander verbunden sind. Sie glaubt, dass die Körperdarstellungen in der

griechischen Kunst die natürlichen Gesetzmäßigkeiten wiederspiegeln. Sie empfand

diese Darstellung tanzend nach. Damit verkörperte sie ihrer Meinung nach die

Verschmelzung des Menschen mit Natur und Kosmos. Allerdings bestand sie

gleichzeitig darauf, dass sie die Tänze der griechischen Antike nicht rekonstruiert.

Duncan tanzt zu Musik von Wagner, Beethoven, Chopin, Brahms, Skrijabin und

anderen.

„Diese Werke verrätseln für sie das Rationale und schaffen einen inneren

Erlebnisraum, der seine konkrete Entsprechung in einer leere, nur mit Vorhängen

umgebenen Bühne findet.“9

Sie stößt damit auf heftigen Widerstand, denn viele empfanden die Musik dieser

Komponisten als unpassend, zumindest für den modernen Tanz. Duncan wird von ihren

Zeitgenossen als sehr unterschiedlich aufgenommen. Einige sind haben nur wenig

Verständnis für ihren gefühlsbestimmten Tanz. Andere hingegen sind von ihren Ideen

begeistert und sehen in ihrem Tanz die Befreiung von künstlerischen Zwängen. Sie

bereitet dem Ausdruckstanz den Boden. Duncan choreographiert ihre Tänze aus

grundlegenden menschlichen Bewegungen, wie Gehen, Hüpfen, Rennen und Springen.

Sie betont die Bewegungen von Oberkörper, Kopf und Armen. Sie trägt, wie vorhin

bereits erwähnt, keine Korsetts, sondern lockere, leichte Kleidung. Dadurch konnte sie

ihre sehr bewegungsintensive Technik aus der Körpermitte, aus dem Sitz des

Solarplexus heraus entwickeln. Eine besondere Wirkung erzielt Duncan durch das

bewusste Spiel mit dem Körpergewicht und der Schwerkraft. Ihre tänzerische

Vorstellung formulierte Duncan 1903 in der Vorlesung „Der Tanz der Zukunft“, indem

sie sich mit der philosophischen, religiösen und sozialen Begründung des Tanzes

auseinandersetzte.

4. Die europäischen Pioniere

4.1. Rosalia Chladek (1905-1995)

Rosalia Chladek wurde 1905 in Berlin geboren. 1920 nahm sie an einem Sommerkurs

an der „Neuen Schule von Hellerau“ teil. Von 1921 bis 1924 studierte sie an der neuen

Schule für Rhythmus, Musik und Körperbildung, ebenfalls in Hellerau. Sie war ein

Mitglied der Tanzgruppe von V. Kratina. Während dieser Zeit hatte sie Auftritte bei den

Hellerauer Festspielen und bei der Wiener modernen Musikwoche in V. Kratinas

Stücken, wie „L´Homme et son Désir“ oder „Der holzgeschnitzte Prinz“. Ihr Debut

hatte sie als Solotänzerin im Freien Tanz im Künstlerhaus in Dresden. Ab 1924 war sie

zudem Lehrerin für Körperbildung und Tanz in Hellerau. 1925 siedelte ihre Schule über

9 Krautscheid 2004, S. 103

nach Laxenburg bei Wien. Von 1928 bis 1930 war sie Leiterin der Gymnastik- und

Tanzausbildung des Konservatoriums Base, sowie Ballettmeisterin und

Gastchoreographin am dortigen Stadttheater. Seit 1930 übernahm sie die pädagogische

und künstlerische Leitung der gymnastischen und tänzerischen Ausbildung in

Laxenburg. Sie entwickelte dort ihr Ausbildungssystem für eine moderne tänzerische

Körperbildung, die nach ihr benannte Chladek-Technik. Sie erlangte den zweiten Platz

beim Pariser Wettbewerb, sowie sie auch für Alcina-Suite (G. Händel), Tanz mit dem

Stab und der Slawische Tanz (A. Dvorák) den zweiten Preis erhält.1937 bekommt

Rosalia Chladek den Professorentitel verliehen in Anerkennung der künstlerischen und

pädagogischen Tätigkeit. Aus politischen Gründen verlässt sie 1938 die Schule in

Hellerau-Laxenburg. In den Folgejahren tanzt sie in einem Sologastspiel in Rom, tourte

durch Indonesien mit A. Swaine, übernahm die Leitung der Ausbildung im modernen

Tanz an den deutschen Meisterstätten für Tanz in Berlin. Sie leitete zudem die

Abteilung Tanz für Bühne, baute eine Tanzgruppe auf und tanzte in „die

Kameliendame“ in der Uraufführung in Dresden. Bei Kriegsende in Brünn flüchtete sie

nach Wien, dort nahm sie 1945 auch die Lehrtätigkeit am Konservatorium wieder auf.

Sie choreographierte am Wiener Burgtheater, bei Salzburger Festspielen, zum Tanzfilm

Symphonie Wie. 1963 bis 1977 übernahm sie die Leitung eines Hochschullehrgangs

„Moderne Tänzerische Erziehung und Tanzpädagogik-System Rosalia Chladek“ an der

Wiener Musikhochschule. 1972 gründete sie die „Internationale Gesellschaft Rosalia

Chladek“ und das Ergänzungsstudium wurde eingeführt, indem das System gelehrt

wird. Von 1985 bis 1990 rekonstruierte sie einige Tanzgestaltungen durch Tänzer und

Tänzerinnen der Wiener Staats- und Volksoper, des Tanztheaters im Rahmen der

Wiener Festwochen, des Internationalen Tanzfestivals.

4.1.1. Das System von Rosalia Chladek Rosalia Chladek hat durch die beiden Lehrkräfte, Valeria Kratina (1892-

1983) und Jarmila Kröschlová (1893-1938), die sich in ihren

musikalischen Erziehungsmethoden immer mehr der Körperbildung selbst

zugewandt hatten, ihre Schulung und Ausbildung erhalten. Daraus

entwickelte sie ihr eigenes System der modernen tänzerischen Erziehung.

Von 1924-1925 unterrichtete Chladek Körperbildung und Tanz in

Hellerau. 1930-1938 leitete Rosalia Chladek die Schule und Tanzgruppe.

Nach der Besetzung Österreichs musste sie ihre Tätigkeit einstellen, und

die Schule wurde aufgelöst.

Für die Tanzausbildung ist die Kombination der beiden analytischen und

differenzierten Methode, der Rhythmischen Gymnastik von E. Jacques-

Dalcroze und einer Körperbildung, bei der alle Wahrnehmungskanäle und

–organe gleichermaßen angesprochen werden, von besonderer Bedeutung

geworden, nicht nur in tanztechnischer Hinsicht, sondern vor allem auch

im Hinblick auf die Entwicklung der künstlerisch-kreativen Anlagen und

Fähigkeiten. Daraus entwickelte Chladek ihr eigenes System der modernen

tänzerischen Erziehung. Dies war eine Methode zur Körperbildung und

eine Tanztechnik, die gemäß der Anatomie des menschlichen Körpers,

nach Gesetzmäßigkeiten der Schwerkraft und des Raumes aufgebaut ist.10

4.1.2. Die Bewegungslehre von Rosalia Chladek In der methodischen Konsequenz arbeitet Chladek mit verbal vermittelten

Aufgabenstellungen, durch die ihre Schüler und Schülerinnen in ihrer

eigenen Körpererfahrung und Bewegungsarbeit das Wechselspiel der

Kräfte und Wirkungen nachspüren und erkennen können. Dabei steht im

Mittelpunkt ihrer Betrachtung der Mensch im Kraftfeld von Schwerkraft

und eigener Energie, aus deren Wechselverhältnis sich die gesamte

Spannungsskala zwischen Aktivität und Passivität ergibt. 11 Dieses

unterschiedliche Körperverhalten ist prinzipiell für den dynamisch-zeitlich-

räumlichen Verlauf, die Qualität der Bewegung ausschlaggebend. Aber

auch die Faktoren Angriffspunkt, Richtung, Größe und Dauer der Energie

spielen eine wichtige Rolle.

Hierzu entwickelte Rosalia Chladek folgende Bewegungslehre:

10 Vgl. Fleischle- Braun 2001, S. 50 11 Vgl. Fleischle- Braun 2001, S. 50

Bewegungslehre von Rosalia Chladek12

4.1.3. Prinzipien des Chladek-Systems Das Erlebnis der Relation von Schwerkraft und eigener Energie und die

Konzentration auf die spür-, hör- und sichtbaren Veränderungen

körperlicher Spannungszustände führen zu folgenden Prinzipien und

Ausbildungsschwerpunkten:

12 Vgl. ebd., S. 51

1.1.1. Differenzierung des Körperverhaltens

1. Art der Energie:

Eigene (muskuläre) Energie: aktives Körperverhalten

Schwerkraft: passives Körperverhalten

2. Angriffspunkt der Energie:

Gesamter Körper: totale Bewegung

Einzelne Körperbereiche: partielle Bewegung

Bewegungsansatz: zentrale- periphere Bewegung

Gleichzeitig simultane- auslaufend sukzessive Bewegung

Doppelseitige- einseitige Bewegung

Verlagerung des Körpergewichts: Lehnung- Fortbewegung

3. Größe der Energie:

Umfang der Bewegung im Raum

4. Richtung der Energie:

Gerade- krummlinige Bewegung im Körper und im Raum

5. Dauer der Energie:

Zeitliche Dimension: kurz- lang

Gleichbleibend- veränderlich (rhythmisiert)

6. Einstellung zur Bewegung:

Gleichförmiges- labiles Körperverhalten

7. Qualitativ- dynamische und räumliche Variation der

Bewegung:

Prinzipien des Chladek-Systems13

Der Tanz ist der unmittelbare Ausdruck einer psychischen Situation,

dennoch besteht die Notwendigkeit zur Objektivierung der Kunst, die

letztendlich eine geformte Darstellung eines gesteigerten Lebensgefühls

bedeutet. Auch in der Musik findet man eine differenzierte Gründlichkeit.

Bei Musik geht es Rosalia Chladek bei weitem nicht nur um die Erfassung

des Metrischen und Taktmäßigen, sondern es gilt nach ihr auch

schöpferisch die Intentionen des Komponisten, die im geistigen Gehalt, in

Charakter und formaler Struktur der Musik zum Ausdruck kommen, auf

der Ebene des Tanzes zu spiegeln. 14 Für Tanzgestaltungen und die

choreographische Arbeit lässt Chladek alles zu, Musik, Klänge, Geräusche

13 Fleischle- Braun 2001, S. 52 14 Vgl. Lösch 1990, S. 199

Prinzipien des Chladek- Systems

1. Bewusstsein entwickeln für die natürlichen Gelenk- und

Muskelfunktionen, sowie die anatomisch- physiologische

Folgerichtigkeit;

2. Erfahrung des körpereigenen Bewegungsrhythmus und Erkennen

der Phasenstruktur von Bewegungen, sowie das Erproben und

Variieren der zeitlich- rhythmischen Strukturierung von Bewegung;

3. Bewusstsein entwickeln für die Kräfteübertragung und

Folgerichtigkeit von Bewegungsverläufen bei definierten

Ausgangsbedingungen (bestimmte Ausgangsposition, bestimmtes

Körperverhalten, klar definierter Kraftansatz);

4. Erspüren und Erkennen des Zusammenhangs zwischen

unterschiedlichem Körperverhalten bzw. der Bewegungsdynamik

und dem sichtbaren Bewegungsausdruck;

5. Den Zusammenhang zwischen Raumempfinden und der Wirkung

oder Stille, Sprache oder Rezitation von Gedichten, pantomimische und

abstrakte Formen des Bewegungsausdrucks.

Das Chladek-System verbindet in einzigartiger Weise den Ansatz der

musikalisch-rhythmischen Erziehung mit einem äußerst differenzierten

gymnastischen Ansatz der Körperbildung zu einem umfassenden

Tanzausbildungskonzept.

4.2. Rudolf von Laban (1879-1958)

An der Spitze der mitteleuropäischen modernen Schule stand Rudolf von

Laban. Eingehend hatte er die Bewegungen des klassischen Balletts

studiert und gefunden, dass sie nicht die Bewegungsfähigkeit des ganzen

Körpers nutzen. Die Tanzbewegung erforschte Laban unabhängig von

allen Hilfsmitteln, und dabei wollte er die Freiheiten hinsichtlich des

bewussten und unbewussten Bewegungsimpulses erhalten. Er meinte, dass

alle Bewegungen von einem gedachten Punkt über dem Nabel ausgingen,

vom Solarplexus.

Rudolf von Laban, wurde 1879 in Pressburg (Bratislava) geboren. Er

studierte Kunst und Ballett und war außerdem Tänzer in München, Paris

und Wien.

Von 1900 bis 1919 vollführte er Tanzvorführungen und gab

Tanzunterricht. In dieser Zeit entwickelte er die Grundlagen zum Laban-

System, auf das später noch eingegangen wird.

1910 gründete er zusätzlich seine erste Tanzschule in München. Von 1914

bis 1919 hielt er sich in Zürich und Ascona auf. Seine Mitarbeiter und

Mitarbeiterinnen bzw. Schüler und Schülerinnen waren damals unter

anderem M. Wigman, G. Leistikov und K. Wulff. Während dieser Zeit

unternahm er Studien und Notizen über Tanzschrift, Tanzerziehung und

Tanzkomposition.

1921 übernahm Laban die Tanzleitung am Mannheimer Nationaltheater.

1922 tanzte er beim Gastspiel am Württembergischen Landestheater

Stuttgart. 1923 siedelte seine „Tanzbühne“ und seine Zentralbühne um

nach Hamburg. Von 1923 bis 1928 folgten Uraufführungen von

Inszenierungen verschiedener Gruppenwerke und Ballette, die Laban

choreographierte bzw. leitete und gegebenenfalls die männliche

Hauptrolle tanzte.

1923 gründete Laban den ersten Laien-Bewegungschor, 1924 ein

Kammertheater in den Räumen des Hamburger Zoos und 1926 ein

Choreographisches Institut in Würzburg. Das Ziel dieser Institutgründung

war die Pflege des komponierten und notierten Tanzes (Schrifttanz) und

der choreologischen Hilfsdisziplin.

1927 fand dann der erste Tänzerkongress in Magdeburg statt, in dem er

Mitglied im Ehrenkomitee war und der Tänzerbund gegründet wurde.

1928 folgte der zweite Deutsche Tänzerkongress in Essen, in dem über die

Grundlagen der Erziehung für Tänzer, die Tanzschrift sowie die Laientanz-

Bewegung diskutiert und resolutiert wurde. Und schließlich 1930 dann

der dritte Tänzerkongress in München, in dem Laban Mitglied im

Ehrenpräsidium war und eine Resolution über die Konzeption einer

Tanzhochschule stattfand. Er war vier Jahre Leiter für Tanz und

Bewegung und später Intendant am Preußischen Staatstheater in

Berlin.1934 bis 1936 propagierte er für den Deutschen Ausdruckstanz und

war Leiter der deutschen „Tanzbühne“. Laban übernahm die Leitung der

„Deutschen Meisterwerkstätten für Tanz“, flüchtete allerdings 1937 über

Paris nach England, wo er auch seine tanzpädagogische und

tanzwissenschaftliche Arbeit schrieb. Ein Jahr später siedelte er nach

Dartington Hall und nahm dort die Choreutischen Studien wieder auf.

1940 bis 1961 bot er regelmäßige Sommerkurse in Modernen Tanz für

Lehrer und Interessenten an. 1942 wurde durch ihn der Name „Modern

Educational Dance“ an englischen Staatsschulen und

Lehrerbildungsanstalten geprägt. Zudem wurden seine

Bewegungsbeobachtungen und –aufzeichnungen im industriellen Prozess

angewendet. Im Laufe der Jahre eröffnete Laban das „Art of Movement

Studio“, gründete er das „ Laban Art of Movement Guild“, später „Laban

Guild“. 1954 gründete er zusammen mit Lisa Ullman in Manchester sein

„Art of Movement Centre“, in dem er bis zu seinem Tod wirkte. Später

wurde es durch die Londoner Universität anerkannt. 1958 stirbt Rudolf

von Laban in Weybridge. Seine Schüler leiteten seine Studios. Das „Laban

Centre“ ist die größte britische Tanzakademie mit Universitätsstatus. An

ihr wird moderne und traditionelle Theatertanztechnik und –praxis

vermittelt, sowie Aspekte der Heilpädagogik und soziokulturelle Aspekte

des Tanzes behandelt. Es wird ein tanzhistorisches Archiv mit

Schwerpunkt „Zentraleuropäischer Tanz“ aufgebaut.

4.2.1. Das tanzpädagogische Erbe von Rudolf von Laban Rudolf von Laban sorgte mit seinen Ideen, Visionen und Überlegungen für

die tanzkünstlerische Weiterentwicklung des modernen Ausdruckstanzes.

Durch die von ihm probagierte Förderung der Laientanzbewegung und

Einflussnahme auf die Ausbildungssituation der Tänzer verbesserte sich in

den 30er Jahren die Lage und gesellschaftliche Anerkennung der Tänzer.

Er formulierte grundlegende Gedanken zur Tanzpädagogik und einer

systematischen Bewegungsanalyse. Diese hatte großen Einfluss auf die

Bewegungsnotation als auch die Bewegungstherapie.

Rudolf von Laban war nicht nur Tänzer und Choreograph, sondern auch

Tanzpädagoge und -theoretiker. Zudem war er, wie oben bereits erwähnt,

Organisator von Tänzerkongressen, Tanzfestspielen und

Großveranstaltungen im Bereich des chorischen Tanzes.

4.2.2. Labans Tanzverständnis Labans großer Verdienst liegt im Versuch der Systematisierung

menschlicher Bewegung und der tanzpädagogischen Arbeit. Seine Impulse

und sein Wirken lassen sich in drei Arbeitsschwerpunkten

zusammenfassen:

1. Labans Lebenswerk galt der Erforschung der menschlichen Bewegung, die als

das konstitutive Element jeglicher Ausdrucksform und –kunst anzusehen ist.15

Indem er den Tanz von dogmatischen Regeln befreite, gab Laban dem

Tanz eine neue Qualität. Durch seine bewegungsanalytischen Ansatz gab

er dem Modernen Tanz die Freiheit, auf alle natürlichen

Bewegungsmöglichkeiten des Körpers zurückzugreifen. Unter Tanz

verstand Laban einen immer experimentellen und kreativen Akt. Es ging

ihm darum, in harmonischer und ausgeglichener Weise alle

Ausdrucksmöglichkeiten des Individuums zu fördern. Daher umfasste

seine Schule für Kunst in Monte Veritá bei Ascona Unterricht in den vier

Bereichen Bewegungs-, Wort-, Ton- und Formkunst.

2. Laban löste den Tanz durch seine intensive Beschäftigung mit der

Bewegung und ihrer qualitativen Ausprägung aus seiner Abhängigkeit von

der Musik. Beispielsweise durch das Schaffen musikloser Tänze, die

ausschließlich aus dem inneren Rhythmus körperlicher Bewegung

entstanden waren oder Tänze, die nur von Worten bzw. Gedichten oder

Schlaginstrumenten begleitet werden. In seinen späteren Choreographien

legte er vor allem Wert auf ein ebenbürtiges Verhältnis von Tanz und

Musik.

3. Sein tänzerisch-gymnastisches Ausbildungssystem begründete Laban mit

den Gesetzen des Raumes und den Prinzipien einer harmonischen

Bewegung, wie die sogenannten Laban-Schwünge bzw. Schwungskalen.

15 Fleischle- Braun 2001, S. 55

4.2.3. Die Bewegungslehre und -analyse von Laban In Labans Bewegungslehre ging er von folgenden Aspekten aus:

1. Rudolf von Laban behandelte den räumlichen Aspekt in der sogenannten

Raumlehre bzw. Choreutik, der Lehre von den Zusammenhängen

räumlicher Formen im Tanz. Aus seinen Studien über die

Gesetzmäßigkeiten, die in geometrischen und biologischen Strukturen

erkennbar sind und aus der Analyse tradierter, historischer und ritueller

Bewegungssequenzen entwickelte Laban Prinzipien über die Ausrichtung

des Körpers und die Gliederung und Harmonik von Raumformen, sowie

von Richtungsbewegungen des Tänzers. In dieser Perspektive ist

Bewegungen „lebendige Architektur“.16

2. Der dynamische Aspekt von Bewegung wird in der Eukinetik, also

Ausdruckslehre, untersucht. Die Analyse der Bewegung nach den Faktoren

Schwerkraft, Raum, Zeit und Fluss hängt eng mit der inneren Einstellung

der sich bewegenden Person zu den verschiedenen Bewegungsfaktoren

zusammen. „Ankämpfen“ bzw. „Widerstreben“ zum einen und „Erspüren“

bzw. „Auskosten“ auf der anderen Seite. Diese Gegensätze der inneren

Einstellung zu den Bewegungsfaktoren Schwerkraft, Zeit und Raum ergibt

systematisch miteinander kombiniert die acht elementaren

Antriebsaktionen: Drücken, Stoßen, Tupfen, Gleiten, Flattern, Schweben,

Wringen, Peitschen.

3. Bei seiner Analyse geht Rudolf von Laban grundsätzlich von der

Bipolarität der Bewegung aus: aufsteigen, sinken, vorwärts gehen- sich

zurückziehen, öffnen- schließen, größer werden- kleiner werden,

symmetrisch- asymmetrisch, frei von Widerstand- Widerstand leistend, der

Schwerkraft nachgebend- Schwerkraft bekämpfend, Spannung- Entspannung,

Zentrum- Periphere, Ruhe- Anpassung, Vertrautheit- Selbstentfremdung.

16 Vgl., ebd. S. 57

4. Laban entwickelte zur Aufzeichnung der beobachtenden Bewegung mit

Unterstützung seiner Mitarbeiter verschiedene Notations- Systeme

(Labanotation).

4.2.4. Das tanzpädagogische Konzept des „Modern Educational Dance“ Das Konzept von Laban bezieht sich auf die Bereiche: Körper- Raum-

Ausdruck bzw. Antrieb. Die Schwerpunkte der tänzerischen Schulungen

lagen auf dem Körper, dem Raum und dem Ausdruck.

Körperbildung bei Laban (in: Gymnastik und Tanz 1926)17

17 Fleischle- Braun 2001, S. 59

1. Körper:

- Regulierung der Atmung

- Kraftspannung: Abspannung- Anspannung

- Geschmeidigkeit

2. Raum:

- Gleichgewicht

- Raumorientierung

- Metrik (Weite- Enge)

3. Ausdruck

- Rhythmik (Zeiteinteilung)

- Dynamik (Kraftbetonung)

bä d

Für den „Modern Educational Dance“ arbeitet Laban insgesamt 16

elementare Grundthemen aus:

Elementare Themen der tänzerischen Erziehung nach Laban

(1981)18

Mit Hilfe der Arbeit dieser oben aufgeführten Themen sollen die

Bewegungsgesetzmäßigkeiten des Körpers und der Bewegung im Raum

erfahren und eigenständig entdeckt werden. Besonders ist außerdem das

ein Gemeinschaftsgefühl und soziale Lernziele ebenfalls bei Laban

thematisiert werden.

18 Vgl. ebd., S. 60

1. Themen zum Körperbewusstsein

2. Themen zum Bewusstsein von Schwerkraft und Zeit

3. Themen zum Raumbewusstsein

4. Themen zum Bewusstsein des Flusses von Körpergewicht in

Raum und Zeit

5. Themen zur Anpassung an einen oder mehrere Partner

6. Themen zum instrumentellen Gebrauch der Gliedmaßen

7. Themen zum Wahrnehmen einzelner Aktionen

8. Themen zu Arbeitsrhythmen

9. Themen zur räumlichen Gestaltung von Themen

10. Themen zu Kombinationen aus den acht Antriebsaktionen

11. Themen zur Orientierung im Raum

12. Themen zu Raumformen und Energiequalitäten mit Einsatz

verschiedener Körperteile

13. Themen zur Elevation

14. Themen zum Wecken des Gruppengefühls

15. Themen zu Gruppenformationen

16 Themen zum Ausdrucks und Stimmungsgehalt einer Bewegung

Das pädagogische Anliegen liegt in der Entwicklung und Entfaltung

der Persönlichkeit und Förderung der individuellen Ausdrucksmittel

über eine kreative Bewegungserziehung, die

vorrangig von spielerischen und offenen Aufgabenstellungen

ausgeht.19

Das Grundkonzept von Laban ist bis heute sowohl in Amerika wie auch in Europa die

Basis der kreativen Tanzerziehung und des Experimentellen Tanzes geblieben. In

seiner sehr umfassenden und differenzierten Sichtweise ist Laban ein Vordenker

geworden, der die didaktischen Zielsetzungen, Inhalte und Methoden der Ästhetischen

Erziehung in seinen Ideen und Überlegungen bereits vorweggenommen hat.

4.3. Mary Wigman (1886-1973)

1886 wurde Mary Wigman in Hannover geboren. Sie studierte in Dresden-

Hellerau rhythmische Gymnastik und Methode von Jacques-Dalcroze. Sie

war von 1913 bis 1919 Schülerin und Assistentin von Rudolf von Laban.

1914 hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt in München: Hexentanz I,

Lento, ein Elfentag. 1920 bis 1942 war Wigman Tanzpädagogin, zudem

Leiterin und Inhaberin der Mary-Wigman-Schule in Dresden.

1921 gründete sie die erste Mary-Wigman-Tanzgruppe. Neben vielen

Auftritten in besonderen Stücken, wie beispielsweise „Das Totenmal“ oder

„Tanzgesänge“, erhielt sie einen Gastlehrauftrag für künstlerischen Tanz an

der staatlichen Hochschule für Musik, in der Abteilung Dramatische Kunst

und übernahm zudem die Leitung der Tanzausbildung. 1946 bekam

Wigman den Professorentitel verliehen. In den Folgejahren

19 Fleischle- Braun 2001 S., 60

choreographierte und inszenierte sie am Staatstheater Mannheim und in

der Oper Berlin.

Ihr Stil war durch eine unerhörte Ausdrucksfähigkeit geprägt. Sie betonte

das Körpergewicht und das Verhältnis von Spannung und Anspannung in

den Bewegungen. Ihre Tänzer trainierte sie so, dass sie den eigenen

Rhythmus des Körpers ausnutzten. Wigman schuf revolutionierende

Choreographien, nicht nur für sich und die eigene Truppe, sondern auch

für das Ballett der Theaterbühnen. Mary Wigmans Bedeutung für Europas

Modernen Tanz war ungeheuer.20

4.3.1. Tanzerziehung als bildnerische Aufgabe Mary Wigman war zweifellos die bekannteste und bedeutendste

Vertreterin des Ausdruckstanzes. Nach ihrer Ausbildung trennte sie sich

von der Laban-Schule in Zürich, um in Deutschland als eigenständige

Künstlerin Karriere zu machen. Als Solotänzerin und ebenso mit ihren

Gruppenwerken verkörperte sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in

Europa und vor allem in Amerika die neue freie Tanzbewegung. Sie

verstand Tanz, als etwas, das sich aus natürlichen Körperbewegungen

heraus entwickelt, der als freier Ausdruck menschlicher Gefühle und

Eindrücke zu verstehen ist. Mary Wigman verstand den Tanz für sich

selbst auch als Symbol des Lebens, mit seinen Wandlungen und

Vergänglichkeiten. In ihren Choreographien brachte sie häufiger dieses

ewige Lebensprinzip von „stirb und werde“ und „dem schicksalhaft

bedingten Wandel in Zeit, Raum und Gestalt“ zum Ausdruck.

Grundlage und Material des Tanzes bildet für sie die natürliche

Körperbewegung, deren Möglichkeiten und Grenzen in der

Tanzausbildung entdeckt und bewusst gemacht werden müssen. Wigman

hinterließ eine schöpferische und individuumszentrierte Lehrmethode, um

20 Vgl. Karina, L. 1992, S. 47

der Tatsache gerecht zu werden, dass der menschliche Körper ein

Organismus und keine Maschine ist.21 Sie sieht in der tanzerzieherischen

Arbeit eine künstlerisch bedingte Aufgabe, nämlich das die Körperbildung

dabei eine unabdingbare Voraussetzung für den Tanz ist, da es um einen

Wachstumsprozess geht, indem körperliche Bewegung, seelische

Bewegtheit und geistige Beweglichkeit im Gleichgewicht sein müssen, um

die Wandlung des Körpers vom Leib zum Instrument zu vollziehen.22 Mary

Wigman erstellte ein methodisches System rhythmischer Übungen

zusammen. Die gymnastische Arbeit war als erstes auf die

Gelenkfunktionen und die An- und Abspannungsfähigkeit der Muskulatur

ausgerichtet. Die Fortsetzungen bildeten einfache Formbewegungen und

Körperhaltungen, anschließend Formen der Fortbewegung, wie Schritte,

Drehung, Sprünge. Ein weiterer Ausbildungsbereich galt dem Rhythmus.

Dieser wurde zum einen als Wechselbeziehung von Kraft, Zeit und Raum

und zum anderen in seiner Beziehung zu musikalischen Formen

verstanden. Die Improvisationsaufgaben sollten die schöpferische

Phantasie anregen.

Mary Wigman gibt in ihrer pädagogischen und künstlerischen Arbeit den

Laban`schen Kategorien Raum. Das Verhältnis von Musik und Tanz hat sie

seit ihrer Rhythmikausbildung beschäftigt. „Freier Tanz“ bedeutete für sie

auch ein Freiwerden von der Musik, um die tänzerische Bewegung etwas

eigenes schaffen zu können und um diese durch den eigenen

Körperrhythmus selbst entwickeln zu können. Wigman hatte für sich

festgestellt, dass die Eigengesetzlichkeit der Musik sich häufig nicht mit

dem choreographischen Aufbau des Tanzes verträgt. Deshalb bevorzugte

sie für ihre Tänze nur eine Begleitung mit Rhythmus- bzw.

Schlagzeuginstrumenten oder eine Klavierkomposition. Für die tänzerische

21 Vgl. Fleischle- Braun 2001, S. 65 22 Vgl. ebd., S. 65

Komposition stand für sie das Element der Bewegung und ihr Ausdruck an

erster Stelle, alle übrigen Mittel hatten eine unterstützende Funktion.

Mary Wigmans Wirken war nicht nur während der eigentlichen Blütezeit

der Ausdruckstanzbewegung für die Entwicklung und Etablierung der

modernen Bühnentanzkunst von besonderer Bedeutung.

Die Beobachtung der bewussten und unbewussten Quellen und Kräfte

des Tanzes, die in der intuitivschöpferischen Phase und im gestaltend-

formenden Arbeitsprozess zum individuellen Ausdruck kamen, waren

ein entscheidender Punkt, aus dem sie die tänzerische und kreative

Entwicklung von künstlerisch oder pädagogisch ambitionierten

Persönlichkeiten fördern konnte.23

Mary Wigman hatte großen Einfluss auf die Tanzpädagogik und die

Tanztherapie.

4.3.2. Ihre Schülerin Gret Palucca (1902-1993) Gret Palucca wurde 1902 in München geboren. Sie war von 1920 bis 1923

Schülerin von Mary Wigman und ein Mitglied in ihrer Tanzgruppe.Sie

gründete 1925 in Dresden ihre eigene Ausbildungsstätte.

Sie gehörte zum Kreis der herausragenden Wigman-Schülerinnen. Von

1920 hatte sie bei der Meisterin des Ausdruckstanzes Unterricht. Anders

als ihre Lehrerin, deren Tanz stark emotionsgebunden war, vertrat Palucca

ein eher nüchternes Tanzverständnis. Sie lehnte für ihren Tanz jede Art

von Zielsetzung in Form einer Programmatik, selbst einer metaphysischen

ab. Gret Palucca charakterisierte ihre Tänze folgendermaßen:

23 Fleischle- Braun 2001, S. 69

„Meine Tänze haben keinen anderen Inhalt und Sinn als eben der Tanz,

die natürliche Bewegung, gestaltet im Gleichklang mit der Musik. Mein

Wunsch wäre, in meinen Tänzen eben so frei und so gebunden zu sein,

wie der Musiker es ist. Frei von Inhalten und Symbolen, gebunden an

Gestzmäßigkeiten...“.24

Oft wirkten ihre Tänze improvisiert. Sie verbindet dabei Körperdynamik, Raum und

musikalischen Klang zu einer heiteren Ausdrucksform, die das Publikum besonders

durch Sprünge faszinierte. Die Kritiker haben immer ihre besondere Leichtigkeit und

die Kraft ihrer vollkommenen Körperbeherrschung und Präzision hervorgehoben.

Ihr System gründet in der Entwicklung der gymnastischen Grundformen.

Über die Methode des Improvisierens möchte Palucca die schöpferische

Phantasie und das körperliche Ausdrucksvermögen ihrer Schülerinnen

und Schüler weiterentwickeln. Ihre Improvisationsthemen sind weit

gefächert: Dramaturgisch- darstellende Themen wie Märchenfiguren und –

motive, formale Begriffe und Vorstellungen, die Bewegungsqualitäten oder

Raumrichtungen ausdrücken können, rhythmische oder musikalische

Vorlagen sowie Werke aus der Bildenden Kunst.

Sie selbst hat kein fixiertes Lehrprogramm hinterlassen, allerdings sind an ihrer Schule

in Dresden Dokumente und Protokolle von ihrer Arbeit archiviert.

Durch ihre konstante Lehrtätigkeit hatte Palucca nicht nur in der ehemaligen DDR,

sondern auch in Skandinavien einen großen Einfluss auf die Fortentwicklung des

Modernen Tanzes.25

Viele herausragende Regisseure und Choreographen auch einmal Schüler und

Schülerinnen von Gret Palucca gewesen.

24 Fleischle- Braun 2001, S. 70; Im Programmheft der Dt. Tanzfestspiele Berlin 1935, zitiert nach I. Lösch (1992, 104) 25 Vgl. Karina, L 1992, S. 54

5. Die charakteristischen Merkmale im Ausdruckstanz

Die Beine sind im Ausdruckstanz oft parallel gestellt, aber auch nach außen gedreht,

jedoch nicht mehr als 120°.

Die Arm- und Beinbewegungen folgen mehr choreographischen Impulsen als einem

festen Regelsystem. Gegebene natürliche Bewegungen gehören sowohl zum Training,

als auch zur Choreographie, zum Beispiel Gehen, Laufen, spontane Sprünge, Stampfen.

Diese Momente bilden oft den choreographischen Grundstamm.

Die Füße sind gestreckt oder angezogen (flexed).

Die Bewegungen in der Wirbelsäule weisen eine Vielfalt auf, wie sie im klassischen

Ballett nicht vorkommt. Eine Region über dem Nabel (Solarplexus), die das

Sonnengeflecht birgt, wird zu einem imaginären Zentrum des Bewegungsbewusstseins,

der Konzentration und der bewussten Beachtung der Atmung und auch des zentralen

Schwerpunktes.26

Die Begriffe Raum und Zeit sind oft Themen der choreographischer Werke des

Ausdruckstanzes, ganz im Unterschied zu den strengen Ausdrucksformen des Balletts.

Der Boden wird vielseitig genutzt. Man sitzt, liegt, kniet, auf einem Knie oder beiden.

Das bereichert die Bewegungsskala und gehört unbedingt zur Choreographie.

Es existieren mehrere subjektive Stile, Schulen und Methoden. In vielen Fällen sind sie

anfangs von einem einzigen Tanzschöpfer erarbeitet worden, oft mit Hilfe seiner Eleven

oder Nachfolger. Das Trainingssystem fußt oft auf den Werken erfolgreicher

Choreographen. Wie beispielsweise „Contraction (=zusammenziehen)“ und „Release

(=lösen)“, Begriffe aus der Graham-Technik, sind vergleichbar mit dem

Atmungsprozess und ermöglichen fließende Kontinuität der Bewegung.

Tänzerische, gymnastische und choreographische subjektive Bewegungen werden oft

als Trainings-, Improvisations- und Kompositionsmuster verwendet. Die

Bewegungsskala zielt darauf ab, die Phantasie und das Bewegungsbewusstsein des

einzelnen Tänzers zu wecken. Sie strebt in gewisser Hinsicht danach, die

schöpferischen Fähigkeiten auszuweiten. Das war besonders in den Schulen des

Ausdruckstanzes der Fall, wie bei Duncan, Laban oder Wigman. Diese Methoden

standen im extremen Gegensatz zu denen des klassischen Balletts. Die neuen Systeme

gaben, im Gegensatz zum Ballett, begabten Menschen, die sich dem Tanz widmen

26 Vgl. Karina, L 1992, S. 75

wollten, gleich die Chance zur Entfaltung ihrer künstlerischen Qualitäten, auch wenn sie

mit dem Tanzen erst im reiferen Alter begannen.

6. Resümee

In dieser Arbeit sollte der Beginn der Ausdruckstanzes, sowie sein Verlauf erläutert

werden. Dazu wurde auf die Anfänge eingegangen, nämlich mit Isadora Duncan. Die

gesamte Arbeit durchläuft die Zeitspanne von 1900 bis 1933 und etwas darüber hinaus.

Es sollte deutlich gemacht werden, wer den Ausdruckstanz prägte und wie er sich im

Laufe der Zeit weiterentwickelte.

Zu Beginn des Ausdruckstanzes wurde nach Wegen gesucht, um statt den

festgeschriebenen erstarrten Formen des klassischen Balletts wieder natürliche

Bewegungen des Körpers zu finden. Das schaffte Isadora Duncan, sie wollte Körper,

Seele und Geist in ihrer Kunst miteinander verbinden und holte sich ihre Anregungen

aus der Kunst der griechischen Antike.

Einige Jahre später unternahm dann Rudolf von Laban den Versuch, die

Bewegungslehre des Ausdruckstanzes theoretisch zu festigen und eine Tanzschrift dafür

zu entwickeln. So wurde folglich der Ausdruckstanz durch verschiedene

Persönlichkeiten bekannt und beeinflusst. Am nachhaltigsten durch Labans Schülerin

Mary Wigman und wiederum deren Schülerin Gret Palucca.

Auffällig ist, dass mit Ausnahme von Rudolf von Laban, Frauen diejenigen waren, die

erfolgreiche Schulen eröffneten und erfolgreiche Choreographien unternahmen, die

große Berühmtheit erlangten und die den Ausdruckstanz, durch ihre individuellen

Ideen, Methoden und Konzepte wegweisend prägten. Hierbei wird deutlich, dass zu

dieser Zeit die Frauenbewegung eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielte.

Duncan, Wigman und Palucca waren alle Frauen, die eigenständig und stark waren, die

ihr Leben selbst in die Hand nahmen und sich von niemanden in ihrer Kunst

bevormunden ließen, und sie erwiesen sich, als höchst kreativ.

Bis heute gibt es die verschiedensten Tanzgruppen, deren Choreographien vom

Ausdruckstanz beeinflusst wurden. Fast jede Tanzausbildung lehrt auch diese Art des

Tanzes. Junge Tänzerinnen und Tänzer nehmen die Kunst des solistischen

Ausdruckstanzes wieder auf.

Quellenverzeichnis

• Artus, H.- G. (1994). Zur Körperbildung im Ausdruckstanz. In: Gesellschaft für Tanzforschung: Ausdruckstanz in Deutschland- Eine Inventur. Jahrbuch Tanzforschung Band 5, Wilhelmshaven.

• Fleischle- Braun, C. (2001). Der Moderne Tanz: Geschichte und

Vermittlungskonzepte. Butzbach- Griedel: AFRA- Verlag. • Karina, L., Sundberg, L. (1992) . Modern Dance: Geschichte Theorie Praxis. Berlin:

Henschel Verlag GmbH

• Krautscheid, J. (2004). Schnellkurs Tanz: Bühnentanz von den Anfängen bis zur Gegenwart. Köln: DuMont Literatur und Kunst Verlag.

• Loesch, I. (1990). Mit Leib und Seele. Erlebte Vergangenheit des Ausdruckstanzes.

Berlin

• Noetzel, F. (1994). Tanzforschung: Ausdruckstanz in Deutschland- Eine Inventur, Mary Wigman- Tage 1993: Zu tanzkünstlerischen und tanzpädagogischen Aspekten des Ausdruckstanzes. Wilhelmshaven: Noetzel, Heinrichshofen- Bücher.