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1 Hegels Staatsphilosophie in der Kritik des frühen Marx Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades des Fachbereichs Humanwissenschaften der Universität Osnabrück vorgelegt von Xiaochuan Xie aus Guangxi, China Osnabrück, 2017

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HegelsStaatsphilosophieinderKritikdesfrühenMarx

Dissertation

zurErlangungdesDoktorgrades

desFachbereichsHumanwissenschaften

derUniversitätOsnabrück

vorgelegt

von

XiaochuanXie

aus

Guangxi,China

Osnabrück,2017

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Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG ................................................................................................................................. 3

TEIL 1. HEGELS WEG ZUM STAATSBEGRIFF ....................................................................... 12 1. EINE GESCHICHTLICHE DEUTUNG DER ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES STAATSBEGRIFFS

HEGELS ..................................................................................................................................................... 12 2. DIE REKONSTRUKTION DER ENTWICKLUNG DER SITTLICHKEIT ................................................ 22

2.1 Einführung zu Hegels Bestimmungen der Sittlichkeit .................................................. 22 2.2 Die Entwicklung des Geistes in der Familie ..................................................................... 31 2.3 Die Entwicklung der Sittlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft ............................ 35 2.4 Das System der Bedürfnisse ................................................................................................. 40 2.5 Die „Rechtspflege“ als Hegels Vorstellung von der gesellschaftlichen Lösung der Konflikte der Bedürfnisse .............................................................................................................. 56 2.6 Die „Polizei“ und „Korporation“: Hegels Einsicht in die Begrenztheit des äußeren Staates in der bürgerlichen Gesellschaft. ................................................................................ 68 2.7 Hegels Unterscheidung des Staatsbegriffs von der bürgerlichen Gesellschaft ... 80

TEIL 2. MARXENS KRITIK AN DEM MYSTIZISMUS IN DER SPEKULATIVEN PHILOSOPHIE HEGELS ............................................................................................................. 90

1. EINFÜHRUNG ZU MARXENS KRITIK AN HEGELS STAATSBEGRIFF ............................................. 90 2. MARXENS KRITIK AN DEM HEGELSCHEN VERSUCH, DIE SITTLICHEN MOMENTE

„FAMILIE“ UND „BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT“ IM „STAAT“ ZU VEREINIGEN. .................................... 94 2.1 Marxens Zweifel an dem Staat als sittliche Einheit ........................................................ 95 2.2 Marxens Kritik der Hegelschen Methode der Entwicklung des Staates als Vernunftbegriff ............................................................................................................................. 100

3. MARXENS KONKRETE KRITIK DES STAATES ALS VERNUNFTBEGRIFF ..................................... 104 3.1 Marxens Kritik der fürstlichen Gewalt als begriffliche Einheit der Souveränität 104

3.1.1 Marxens Zweifel an der Grundbestimmung des politischen Staates ............................................... 106 3.1.2 Marxens Kritik an Hegels Einheit des Staates als Idealität ................................................................... 109 3.1.3 Marxens Kritik an Hegels Bestimmung des Monarchen als eigentümlichen Menschen im Staate .......................................................................................................................................................................................... 117

3.2 Marxens Kritik an der Regierungsgewalt als Vermittlung der Souveränität zu deren Verwirklichung .................................................................................................................. 128

3.2.1 Die Position der Regierungsgewalt in Hegels Rechtsphilosophie .................................................... 128 3.2.2 Marxens Kritik der Hegelschen Unterscheidung zwischen dem besonderen und dem allgemeinen Interesse für die Regierungsgewalt. ............................................................................................. 130 3.2.3 Marxens Kritik an Hegelschem Wissen von der Bürokratie ................................................................ 133

4. MARXENS KRITIK DER GESETZGEBENDEN GEWALT ALS VOLLENDUNG DER POLITISCHEN

VERFASSUNG ......................................................................................................................................... 139 4.1 Marxens Kritik an der Verwirklichung der allgemeinen und gültigen Souveränität durch die gesetzgebende Gewalt ........................................................................................... 140 4.2 Marxens Kritik an der Hegelschen Auffassung des politischen Standes ............. 144 4.3 Marxens Kritik an der Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt als versöhnende Mitte ................................................................................................................................................. 154

ABSCHLUSS .............................................................................................................................. 166

LITERATURVERZEICHNIS ...................................................................................................... 189

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Einleitung

Die Anregung zur vorliegenden Abhandlung, die sich auf die Interpretation zuMarxensKritikanHegelsRechtsphilosophierichtet,stammtausHeribertBoedersKonzept der Logotektonik 1 , die darauf zielt, „von der Vernunft vernünftig zureden“ 2 . Für sein Konzept der Logotektonik ist Boeder überzeugt, dass dievernünftige Rede von der Vernunft sich bei der Anwendung der vernünftigenKategorien für den Aufbau von „Vernunftgestalten“ eignet, die im Ganzen derGeschichte,Welt und Sprache denUnterschied zueinander ausmachen können.Angesichts dieses Konzepts hat Boeder das moderne Denken als eineeigenständige Denkfigur, also als ein Vernunft-Gefüge in drei gedanklichenDimensionen gedeutet 3 . Die ganze Figur des modernen Denkens bezeichnetBoederals„dieModerneinsingulärerBedeutung“4 unddeutetalsgeschlosseneModerne,d.h.dieseFigurdesmodernenDenkenswirdinderLogotektoniksowohlvon der Figur des Denkens der Metaphysik als auch von der Figur des

1 UmdasVerständnisfürBoedersLogotektonikzuerleichtern,gebeichhiermitnureineÜbersicht.Boeders Konzept für die Logotektonik konkretisiert sich in seiner Trilogie: Topologie derMetaphysik (1980), Das Vernunft-Gefüge der Moderne (1988) und Die Installationen derSubmoderne (2006). Im erstenWerk dieser Trilogie,Topologie der Metaphysik, hat Boeder diegeschichtlichenGestaltenderMetaphysikalsPositionen(Topoi)derabgeschlossenenBewegungderMetaphysikherausgearbeitetundindreiEpochenderMetaphysikbestimmt.ImUnterschiedzur Geschichte der Metaphysik hebt Boeder danach im Vernunft-Gefüge der Moderne eineSingularität des modernen Denkens hervor, die sich in der hermeneutischen, der technik-funktionalen und der apokalyptischen Dimension ausführt. Für Boeder lassen diese dreiDimensionendieWeltalsbeherrschendesElementdesmodernenDenkenserkennbarwerden.DieEigentümlichkeitenderSubmodernebezeichnetBoedermitseinerDarstellungdespostmodernenDenkens indreiReflexion-Figuren,dienichtnureine IndifferenzgegenüberderGeschichtederMetaphysik betonen, sondern auch die Leistungen des modernen Denkens, nämlich dieDimensionenderWelt,auflösen.AmEndeseinerTrilogiestelltBoederfest,dassdieLogotektonikdemgegenwärtigenDenken,weildieheutigenGedankennichtaufdemWegzurabendländischenWeisheitenführenkönnen,durchihreUnterscheidungenderMetaphysikzwischendemmodernenunddempostmodernenDenkeneinenvernünftigenWegzurabendländischenWeisheiteneröffnet.Die Vollendung der Logotektonik liegt nach Boeder in nichts anderem als im Bauen derabendländischenWeisheitenzuFiguren,dieandersalsdieFigurendespostmodernenDenkenssichdaraufrichten,dieInhaltederabendländischenWeisheitenklarunddeutlichzubestimmenundsomitvernünftigdarzustellen.ZuranfänglichenDarstellungdesKonzeptsderLogotektoniksiehe:HeribertBoeder, „WasvollbringtdieErstePhilosophie?“, inMitteilungenderTechnischenUniversitätCarlo–WilheminazuBraunschweig,JahrgangVII,HeftIII,Braunschweig,1973;Außerin Boeders Trilogie kann die Entwicklung des Konzepts der Logotektonik auch in folgendenAufsätzengesehenwerden:HeribertBoeder,„DieUnterscheidungderVernunft“, inOsnabrückerPhilosophische Schriften, Osnabrück, 1989; „Logotektonisch Denken“, in Sapientia, Argentinien,1998; „WhichThinkingMakesAll theDifference?“und „IsTotalizingThinkingTotalitarian?“, inSeditions:HeideggerandtheLimitofModernity,hrsg.u.übers.vonMarcusBrainard,SUNYPress,Albany,1997. 2 HeribertBoeder,DasVernunft-GefügederModerne,S.16,KarlAlberVerlag,Freiburg/München,1988.3 Vgl. Heribert Boeder, Das Vernunft-Gefüge der Moderne, S.15, Karl Alber Verlag,Freiburg/München,1988.4 Heribert Boeder, Das Vernunft-Gefüge der Moderne, S.9 und S.12, Karl Alber Verlag,Freiburg/München,1988.

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postmodernenDenkensunterschiedenundsomitalsPositionhervorgehoben,inder sich die Vernünftigkeit des modernen Denkens zuerst durch dessenBemühungenumdieGestaltungeinerWeltdesMenschenerschließtundsodannin den Grenzen dieser Welt, nämlich in Ankündigungen einer künftigen Welterschöpft5.DenndasmoderneDenkenhatkeinInteresse,wieBoederbetont,andervonKanteinmalbejahtenBeschäftigungderreinenVernunftmitsichselbst,sondern, so klingt es bei Boeder, „sie (sc. die moderne Vernunft) ist mit demAnderen zu ihr (sc. der reinen Vernunft), mit einem ihr vorgängigen‚Sein‘ beschäftigt – mit dessen geschichtlicher, weltlicher und sprachlicherBestimmtheit.Da istkeine Idee,diesich inderphysischenundgeistigenNaturrealisiert (...), sondernGeschichte,Welt und Sprachedes vondieserNatur sichselbstüberlassendenMenschen“6. ImUnterschied zumAnliegen desmodernenDenkens verweist Boeder darauf,dass das metaphysische Denken, zumal wenn es sich in der Position derHegelschenGedankenvollendet,stetsseineHauptaufgabedarinlegt,dasssichdieMetaphysikaufdieErfüllungderBestimmungderPhilosophie richtet,dassdieIdeederreinenVernunftnichtnuralsanundfürsich,sondernauchalsbeisichselbstnachgewiesenwerdensoll7.DeswegenistdieVollendungderneuzeitlichenMetaphysik nichts anderes als die vollkommene Identifizierung der Idee derFreiheit mit der Freiheit des Begriffs in Hegels System der philosophischenWissenschaften.DieseIdentifizierungstelltsichnachBoederalsdasnurvonHegelprogrammhaftskizzierteSystemderSchlüssezwischendreiBegriffen„Logisches“,„Natur“ und „Geist“ dar8. Mit der Identität von der Idee der Freiheit und derFreiheitdesBegriffsistesderHegelschenPhilosophienachBoedergelungen,dieBestimmungdesfreienMenschenausdemWissenderneuzeitlichenWeisheitinder metaphysischen Logik zu bergen und somit dieser Bestimmung einebegriffliche Verbindlichkeit durch das System der philosophischenWissenschaften zu verleihen. Von der Verschiedenheit des Anliegens desmetaphysischenundmodernenDenkens her hatBoeder eine deutlicheGrenzezwischenderPositionderHegelschenGedankenundderPositionderMarxschenmarkiert.

5 Siehe Heribert Boeder, Das Vernunft-Gefüge der Moderne, S.15-19, Karl Alber Verlag,Freiburg/München, 1988; vgl. Heribert Boeder, Nachwort „Gegenwärts“, Installtionen derSubmoderne,S.415ff,Königshausen&NeumannVerlag,Würzburg,2006.6 HeribertBoeder,DasVernunft-GefügederModerne,S.17,KarlAlberVerlag,Freiburg/München,19887 Vgl.„DieVollendungderMetaphysikinderlogischenIdeeerbringtebensodenNachweis,daßdiePhilosophieihreBestimmungerfüllthat,weilsiezurGleichheitderihrerIdeealsdereinenundvollkommenen Wissenschaft des ‚Reellen‘ gekommen ist, wie dieses sich in Natur und Geistauseinandergelegt.“, Heribert Boeder, Topologie der Metaphysik, S.44, Karl Alber Verlag,Freiburg/München,1980.8 SieheHeribertBoeder,TopologiederMetaphysik,S.44ff,KarlAlberVerlag,Freiburg/München,1980.

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Für Boeder steht die Auslegung von diesen Hegelschen und MarxschenGedankengebäudenimmerinderGefahr,eineunzutreffendeKontinuitätzwischenihnenbloßauseinerhermeneutischentfaltetenWirkungsgeschichteherzuleiten9.DieAnnahmeeinerKontinuitätderWirkungsgeschichtescheintBoeder,wennerihreneigenenUrsprungverfolgt,einProduktdesmodernenDenkenszusein.NachBoederentsprichtdieseKontinuitätdemBedürfnisnacheinersolchenDeutungdermenschlichenGeschichte,dienurdemLebendesMenschenunddessenWeltdient.DeswegenmusseinvondemmodernenDenkenunabhängigerBlickaufdieMetaphysik vorher gegeben sein, bevor man auf eine Gestalt des modernenDenkens eingeht. Von dieser Einsicht her hat Boeder die Grenze zwischen derHegelschen und Marxschen Position in Beziehung auf die Maßgabe einerDenkfigur, deren entsprechende gedankliche SacheunddieArt undWeise desjeweils von jenerMaßgabe bestimmten und zugleich sich dieser gedanklichenSache anpassenden Denkens weiter so verdeutlicht, dass die HegelschenGedanken als Vollendung der Geschichte der Metaphysik und die MarxschenGedanken als Eröffnung des modernen Denkens über das produktiveMenschenwesen zu unterschiedlichen Auffassungen von der Maßgabe derGedanken,dergedanklichenSacheundderArtundWeisedesDenkensführen. Nach Boeder regt Hegels Vollendung der Metaphysik sogleich die Abneigunggegensiean,vorallemauchgegendieinderMetaphysikgeborgeneBestimmungdes Menschen: „Doch hat diese Vollendung unmittelbar ein Gefühl gegen dasGanze solchen Bestimmens als einer Fremdbestimmung des Menschenhervorgerufen.“ 10 . Alle Formen des nachhegelschen Denkens haben also eineEigenschaftgemeinsam,nämlichdiegedanklicheAbneigunggegendieHegelschePhilosophie als vollbrachteMetaphysik. In der Abneigung des nachhegelschenDenkens gegen Hegels Philosophie verweist Boeder auf die Erschöpfung derneuzeitlichen Metaphysik: Hegels System der philosophischen WissenschaftenerschöpftallegedanklichenMöglichkeitendesursprünglichenWissensvonderFreiheit 11 . Die von Boeder durchgesetzte logotektonische Rekonstruktion derVernunft-Gestalten der neuzeitlichenMetaphysik istweder eineWiederholung9 AlsBeispielfüreineInterpretationnachdemMusterderWirkungsgeschichtesieheKarlLöwith,Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen derGeschichtsphilosophie, J.B.MetzlerVerlag,Stuttgart,2004.DarinerkenntLöwithzwarMarxensAbkehrvonderHegelschenPhilosophiedurchdessenKritikderpolitischenÖkonomiean,abererbestehtnochdarauf: „... als ‚Materialist‘bliebMarxeinPhilosophmiteinemaußerordentlichenhistorischen Sinn.“ (S.42) AusMarxensManifest der Kommunistischen Partei hebt Löwith dashervor,waserals„GeistdesProphetismus“(S.52)bezeichnet,umdieWirkungdertheologischenTeleologieaufMarxensAnkündigungdesKommunismusnachzuweisen.AuseinersolchenLesartdes Marxschen Denkens wird deutlich, dass die Wirkungsgeschichte auf der Vorstellung derKontinuitätderGedankenberuht.DieseVorstellunggründetsichnichtaufdieWahrheitderSacheder Gedanken, sondern auf deren Ähnlichkeit.Meine Arbeit distanziert sich von einer solchenÄhnlichkeitderGedankenundkonzentriertsichaufdiejeweilseigeneSachederHegelschenundMarxschenPositionen. 10 HeribertBoeder,TopologiederMetaphysik,S.686,KarlAlberVerlag,Freiburg/München,1980. 11 Ebd.

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noch ein Anschluss an die neuzeitliche Metaphysik. Vielmehr ist sie einevernünftige Anerkennung, dass sich die neuzeitliche Metaphysik mit HegelsSystemderphilosophischenWissenschaftenvollendetunddamiterschöpfthat.Das nachhegelsche Denken verwandelt die Unterscheidung desMenschen vonsich selbst in die Trennung desMenschen von einem Äußeren oder Fremden.Diese Verwandlung führt sofort zum Herabsinken des reinen Begriffs derVernunftaufdieEbenedesMenschen;siestößtjeweilsdasmoderneDenkenan,die Bestimmung des Menschen von den Vernunftinteressen der neuzeitlichenFreiheitzuentfernenundzuversuchen,dasnochungewisseneueMenschenbildzuverdeutlichen.EssinddieseVersuche,diedieneuenWissenschaftenüberdenMenschen als Ausgang des modernen Denkens verlangen. Die neuenWissenschaftenmachendieWeltdesmodernenDenkensaus.Die vorliegende Abhandlung übernimmt Boeders entschiedene Einsicht in dieGrenze zwischen dem metaphysischen und dem modernen Denken alsVoraussetzung.AberandersalsBoedersAnsatzzurUnterscheidungzwischenderHegelschen und der Marxschen Position geht die vorliegende Abhandlung aufdieseUnterscheidungnichtdurchdieBerufungaufdas logotektonischgebauteGanzederHegelschenundderMarxschenPositionein,sondernsiekonzentriertsich zunächst auf die konkret bestimmten Stellen, an denen Hegel und Marxwirklichaufeinandertreffen:andemStaatsbegriffunddessenMomenten,diedenStaatalsinnereVerfassungfürsichausmachen.DenndievorliegendeAbhandlungmöchte darstellen, an welchen konkreten Schritten der Bruch zwischen demmetaphysischen und demmodernenDenken auftritt undwie dieser Bruch dieEntwicklung der Marxschen Gedanken beeinflusst 12 . Weil von einem solchenBruchhier schonvonvorherein ausgegangenwird, versteht es von sich selbst,dass diese Abhandlung in der Tat von der Seite der Marxschen Gedanken 13

12 ZumVerhältnisvonHegelsPhilosophieundMarxensDenkengibteseinenneuenAnsatzderDeutung,derdiesesVerhältnisnichtalswirklichenBruchverstehenmöchte.EinsolcherAnsatzbestehtaufderSubordinationdesMarxschenDenkensunterHegelsPhilosophieundbehauptet,dassHegels Philosophie,wennMarx sie bestreitet und unterdrückt, doch denUrsprung vielerAspekte der weiteren Entwicklung des Marxschen Denkens bildet. Das Verhältnis von HegelsPhilosophieundMarxensDenken istdanachein „gescheiterterVatermord“ (a failedparricide).SieheRobertoFinelli,PrefaceforAFailedParricide.HegelandtheYoungMarx,trans.byPeterD.Thomas andNicola Iannelli Popham, P. XI, Brill, Leiden/Boston, 2015. Es scheintmir, dass einsolcher Ansatz noch auf der Vorstellung von der Kontinuität zwischen der Geschichte derMetaphysikunddemmodernenDenkenberuht.BoedersLogotektoniklässtunsschonerkennen,dassdieVorstellungvondieserKontinuitätnureinResultatdesmodernenDenkensist,dasdieGeschichtederMetaphysikalseinebisherigeGeschichtederKrisederWeltauslegenwill.AufdemStandpunktmeinerDissertationsolleinangemessenerAnsatzderDeutungzumVerhältnisvonHegel und Marx vor allem nicht von der Wirkung des modernen Denkens ausgehen undrespektieren,dassdieGeschichtederMetaphysikalsvollbrachtanerkanntwerdenmuss. 13 MeineArbeit geht zwarvonderSeitederMarxschenGedankenaus, aber teiltnichtdieerstspäter entwickelte Ansicht des Marxismus über das Verhältnis von Hegels Philosophie undMarxens Denken. Diese Ansicht steht also unter der Herrschaft der politischen Ideologie desMarxismus, die sich auf dieUmwälzung desKapitalismus in der bestehendenWelt richtet. DieprinzipielleUnterscheidungdervomMarxismusbestimmtenLesartdesVerhältnissesvonHegels

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ausgeht,alsovonderFigurdesmodernenDenkensher,undvondaherdieGrenzezwischenderHegelschenundMarxschenPositionbeachtet.Aberumnichtblindzu werden für die deutliche Unterschiedenheit zwischen den Hegelschen undMarxschenGedanken,mussdievorliegendeAbhandlungimPrinzipdiesebeidenAnsätze für Gedanken unabhängig voneinander behandeln. Diese Anforderungwürde dann berücksichtigt, wenn die logotektonische Einsicht in dieGeschlossenheitderMetaphysikvorausgesetztwird,nämlichdassdieMetaphysiknichtsandersalsdieBeschäftigungmitihrerVernunftselbstzuihrergedanklichenAufgabe hat. Durch die Gebäude der gedachten Vernunftgestalten beweist dieLogotektonik, dass die Aufgabe der Vernunft derMetaphysik jeweils nicht vonaußengebrochenwird,sonderndurchdieSelbstvervollständigungderVernunfterfülltwird.Boederbetont,dassnurdasmoderneDenkendazuführt,durchdasHinausgehenüberdieImmanenzvondenmetaphysischenGedankenundderenThemenseineeigenenWegezueinemanderenAnfangzueröffnen.DiesmachtebensodeneinzigartigenCharakterdesmodernenDenkens,wiedermitBoedersFormulierung„dieModerneinsingulärerBedeutung“,aus. Der erste Teil der Arbeit widmet sich der Deutung des Verhältnisses desHegelschenBegriffs „Sittlichkeit“ zumBegriffs „Staat“,undzwarnichtaufgrunddes ganzen Kapitels „Staat“ in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts,sondern nur nach den Passagen, die mit dem begrifflichen Anfang desStaatsbegriffs in der Sittlichkeit zu tun haben. Wegen der Parallelität derMarxschen Kommentierung in der Abfolge der Hegelschen Texte über dieBestimmungenderinnerenVerfassungfürsichsollderersteTeilderArbeitmitderDiskussionüberHegelsEinführungdesStaatsbegriffsenden.DiePassagen,andenenMarxHegelsGedankenüberdenStaatangreift,werdenindenzweitenTeilderAbhandlungparallelzuMarxensKritikgestellt.UmHegelsPositionierungdesStaatsbegriffszuverdeutlichen,möchtederersteTeilderArbeitzuvorAuskunftüberdieEntstehungsgeschichtedesHegelschenStaatsbegriffsgeben.SobestehenzweiDeutungenzurEntstehungdesStaatsbegriffs:DieersteistdiegeschichtlicheDeutung,diezurOrientierungdesHegelschenStaatsbegriffsinseinemSystemderphilosophischen Wissenschaften dient; sie skizziert die Entwicklung des

Philosophie und Marxens Denken ist die Unterscheidung zwischen dem reaktionären undrevolutionären Standpunkt im Denken. Die Voraussetzung dieser Unterscheidung ist dieAnerkennung,dassdieWeltdesMenschendemDenkenvorausgehtundsichalsdessenUrsprungund Endzweck so geltend macht, dass sich das Denken nicht mehr auf seine eigeneVervollkommnung,sondernaufdieErfüllungderAnsprüchederWeltandasDenkenkonzentriert.NacheinersolchenIdeologiederRevolutionbezeichnetmanHegelsPhilosophiealsonichtmehralsWissenschaft,diedieWahrheitendermenschlichenWeltinangemessenerFormerkennenkann.VielmehrinterpretiertmanimAnsatzdesMarxismusHegelsPhilosophieauchalseineFormderIdeologie,diezurKlassederdeutschenBürgergehört,undstelltdadurchdiesePhilosophieineineParallelezuMarxensDenken.AlsBeispielfüreinevomMarxismusbestimmteLesartsieheAugusteCornu,MarxunddieEntwicklungdesmodernenDenkens,übers.vonJosefSchlesinger,DietzVerlag,Berlin,1950;undauchGeorgLukács,„ZurphilosophischenEntwicklungdesjungenMarx,1840-1844“,SchriftenzurIdeologieundPolitik,H.LuchterhandVerlag,Neuwied,1967.

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Staatsbegriffs. Hierbei möchte ich darstellen, wie Hegel entsprechend derEntwicklung seines Verständnisses über die angemessene Methode derPhilosophiedenStaatsbegriff in seinKonzeptdesSystemsderphilosophischenWissenschaften integriert hat, und wie Hegel nach dem Muster desphilosophischen Begriffs in seinerWissenschaft der Logik seinen Staatsbegriffherausarbeitet, der für ihn ein Moment im Reich des Geistes ist. Durch dieIntegrationdesStaatsbegriffsindasSystemderphilosophischenWissenschaftenbefreitHegelalsodiesenStaatsbegriffsowohlvondergeschichtlichenZufälligkeitderverschiedenenStaatsgestaltenalsauchvondergedanklichenBegrenztheitdesmenschlichenDenkens,dasdenStaatnurindervorhandenenWeltbetrachtenwill.DiezweiteDeutunginerstemTeilderArbeitrichtetsichaufdieErläuterungdesbegrifflichen Anfangs und der begrifflichen Sache des Staatsbegriffs. Dadurchmöchte ich die begrifflichen Verhältnisse des Staatsbegriffs zum Begriff derSittlichkeitherausarbeiten,umeinvommodernenDenkenbefreitesundzugleichHegels eigenem Ansatz entsprechendes Verständnis über den Staatsbegriff zugewinnen.DabeiverkörpertHegelsStaatsbegriff„dieinderfreienSelbständigkeitdes besonderenWillens ebenso allgemeine und objektive Freiheit“14. D.h. derBegriffderFreiheitwirdnachHegelnichtnurdurchdenindividuellenMenschenverwirklichtund somit alsbesonderemenschlicheFreiheitbestimmt; vielmehroffenbartderBegriffderFreiheitauchihreallgemeineundobjektiveGestalt,undderStaatsbegriffistdemnacheigentlicheinebegrifflicheErhebungdieserGestaltderFreiheitinderenangemesseneBegriffsform.AufderSeitedesStaatsbegriffswird dieser nach den Entwicklungsphasen des Begriffs der Freiheit in Hegelsphilosophische Rechtswissenschaft und so in seine Philosophie des Geistesintegriert:DerStaatsbegriffisteinMomentdesobjektivenGeistes;erdientwederzurHerleitungeinerursprünglichaufdenMenschenbezogenenIdeederFreiheitnochzurBegründungeinesausdemabstraktenNaturrechtabgeleitetenPrinzipsderFreiheit.VielmehrrichtetsichHegelsStaatsbegriffaufdieVervollkommnungder Idee der Freiheit als eines logisch vollständigen Begriffs. Nur um dieserVervollkommnungwillenschließtHegelnichtnurdieBestimmungendesinnerenStaatsrechtsunddieBestimmungendesäußerenStaatsrechts,sondernauchdieBestimmungenderWeltgeschichte indenStaatsbegriffein.HegelsBestimmungder gesamten Struktur des Staatsbegriffs hat ihren Sinn nur innerhalb desHegelschenSystemsderphilosophischenWissenschaften.DennaußerhalbdiesesSystems, nämlich außerhalb des Vorsatzes, die Idee der Freiheit logisch zuvervollkommnen, verliert Hegels Bestimmung der gesamten Struktur desStaatsbegriffs ihren theoretischen Zweck. So erscheint mir, dass man dieVervollkommnungder Ideeder Freiheit als den theoretischenHauptzweckdes

14 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Einteilung, § 33, S.52, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§33,S.49,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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HegelschenStaatsbegriffsauffassensollte. DerzweiteTeilderArbeitbefasstsichmitMarxensKritikandenPassagen,dieHegelsBestimmungenderinnerenVerfassungfürsich,alsodieBestimmungenderunmittelbarenGestaltdesHegelschenStaatsbegriffs,enthalten.EntsprechendderAbfolgederMarxschenKommentierungzuHegelsPassagenteiltsichderzweiteTeilderArbeitinvierKapitelauf.DasersteKapitelenthälteinekleineEinführungzuMarxensKritikanHegelsStaatsbegriff.EsmöchteAuskunftüberdenKontextdieser Kritik geben. Das zweite Kapitel widmet sichMarxens Kritik an HegelsVersuch, die sittlichen Momente „Familie“ und „bürgerliche Gesellschaft“ im„Staat“ zu vereinigen. Hierbei richtet sich Marxens Kritik gegen HegelsPositionierung des Staatsbegriffs in der Totalität der Sittlichkeit. Das zweiteKapitel möchte darstellen, wie Marx die von Hegel aus dem RechtssystemabgeleiteteEinheitderSittlichkeitkritisiert,undauswelchemGrundsichMarxvon derHegelschen Begründung für die begriffliche Einheit der Sittlichkeit imRahmen des Staates entfernt. Beim dritten Kapitel des zweiten Teils derAbhandlunggehtesumMarxensKritik ander „daseienden“VernünftigkeitdesStaates.IndemHegeldenMonarchenunddiePersonenderBürokratiealsDaseinder vernünftigen Verfassung bestimmt, wirft Marx dementsprechend seinenkritischenBlickaufdieHegelschenBestimmungendesMenschenimStaat.EsgehtzunächstumMarxensunmittelbareReaktionaufdieBestimmungdesMenschenim Rahmen des Hegelschen Staatsbegriffs. Verfolgt man die geschichtlicheEntwicklungderMarxschenGedanken, somussmandavonausgehen,dassderjungeMarxkeinePlanungfüreineigenständigesWerküberdasMenschenwesenoderüberdieBestimmungdesMenschenhinterlassenhat.DerBestimmungdesWesens desMenschen und den dafür einschlägigen Problemen begegnetMarxnichterstdurchseineunmittelbareLektürederHegelschenRechtsphilosophie,sondern schon durch die Vermittlung der Religionskritik der Linkshegelianer,hauptsächlichdurchdieVermittlungderGedankenFeuerbachs,dernichtbloßdieReligionoderderenGestalten,sonderndieReligiositätdesneuzeitlichenDenkens,also den Glauben im menschlichen Denken, zum Anliegen seinerReligionskritikmacht15.DergroßeGewinnderFeuerbachschenReligionskritikistsein Beweis, „daß der Inhalt und Gegenstand der Religion ein durchausmenschlicher ist, (...), daßdasGeheimnis derTheologie dieAnthropologie, desgöttlichen Wesens das menschliche Wesen ist.“ 16 Mit dieser Entlarvung desWesensderReligionbehauptetFeuerbach,dass„dernotwendigeWendepunktderGeschichte“ 17 nichts anderes als die Rückkehr zu dem menschlichen15 ZuFeuerbachsAuffassungvonReligionsgestaltensowiezurZielsetzungseinerReligionskritikvgl.HuiDai,VonFeuerbachsWeltanschauungzuMarx’undNietzschesBesinnungaufdieWeltderModerne,S.3-6,S.10,S.34-43,Königshausen&NeumannVerlag,Würzburg,2006;auchBoedersVorwortzudemselbenWerk,S.XIII-XIV.16 LudwigFeuerbach,DasWesendesChristentums,GesammelteWerke,Band5,S.443,AkademieVerlag,Berlin,1984.17 Ebd.

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Gattungswesen sein kann, das nach Feuerbach auf der den Menschengemeinsamen Sinnlichkeit beruht. Obwohl Marx mit dem abstraktenGattungswesendesMenschen,dasFeuerbachals„EinheitderVernunft,LiebeundWille“ 18 bezeichnet, nicht zufrieden ist 19 , erfährt er dabei doch die gleicheForderungdesmodernenDenkensnachdernotwendigenRückkehrzumWesendeswirklichenundlebendigenMenschen.EbenmitHinblickaufdiesenotwendigeRückkehr zum Wesen des wirklichen und lebendigen Menschen findet MarxHegels Bestimmungen des Monarchen als natürliche Person und seineBestimmungenderBeamtenalsindividuelleMenschenimStaatzweifelhaft.WieFeuerbach imWesenderReligionund inderGestaltdesGotteseinMusterderEntfremdungdesMenschenvonseinemeigenenWesengefundenhat,entdecktMarxebensoausHegelsBestimmungendesMonarchen,desGottesinderSphäredes Staates, und seinen Bestimmungen der Bürokratie ein gleichesMuster fürEntfremdung. DasletzteKapitelgehtaufMarxensKritikandergesetzgebendenGewaltein,dieHegelalsVollendungderpolitischenVerfassung,alsoalsVollendungderinneren

18 LudwigFeuerbach,DasWesendesChristentums,GesammelteWerke,Band5,S.31,AkademieVerlag,Berlin,1984.19 ÜberMarxensUnzufriedenheitmitFeuerbachsBegriff „Gattungswesen“hatLucaBassoeineandereMeinung.Ergehtdavonaus,dassderAusgangspunktder frühenSchriftenvonMarx innichts anderem als im Begriff „Gattungswesen“ zu suchen sei. Siehe Luca Basso, Marx andSingularity. From the early writings to the Grundrisse, trans. by Arianna Bove, P.26, Brill,Leiden/Boston, 2012. Zum Verständnis für Marxens Anschluss an Feuerbach ist Karl LöwithsDeutung des Verhältnisses von Hegels Philosophie und den nachhegelschen Gedankenbahnbrechend.InseinemWerkVonHegelzuNietzscheversetztLöwithHegelsPhilosophieunddienachhegelschenGedankenineinengemeinsamenKontext,indemdieLösungenderKrisenderZeit,alsodieKrisederchristlichenReligionundderbürgerlichenGesellschaft,zurAufgabedesDenkensgemachtwerden.NachLöwithversuchtHegeldieKrisenderZeitgeradedadurchzuversöhnen,dasserdenGegensatzderVernunftdesDenkenszurWirklichkeitderWelt indieabsolutreinePhilosophie integriert und ihn als Ausdruck des innerlichen Widerspruches der Philosophieintepretiert. Gegenüber Hegel grenzen sich die nachhegelschen Gedanken als verschiedeneStrömungen ab, die sich gemeinsam darauf richten, Hegels Versöhnung von Vernunft undWirklichkeitaufzulösen.SostellenFeuerbachsundMarxensDenkenzwarunterschiedliche,aberaufdengleichenZwecksicnrichtendePhasenderAuflösungderHegelschenPhilosophiedar.SieheKarl Löwith, VonHegel zuNietzsche, S.84-85, S. Fischer Verlag, Frankfurt amMain 1969. EineähnlicheLesartdesVerhältnissesvonHegelsPhilosophieunddennachhegelschenGedankensieheauch in Jürgen Habermas’Der philosophische Diskurs der Moderne, S.68-69, Suhrkamp Verlag,FrankfurtamMain,1985.ZwarentwickeltHabermasimSinnedesmodernenProjekts,dasaufsichselbstbeziehendeSubjektzugestalten,seineeigeneOrientierungüberdieHegelschePhilosophie,undzwarandersalsinLöwithsDeutung.UnddochnimmternochdiegrundsätzlicheEinsichtindie gemeinsame Bemühung der nachhegelschen Gedanken um die Auflösung der HegelschenPhilosophie an. Zur neuen Forschung, die noch auf Löwiths Ansatz eingeht, siehe WarrenBreckman,Marx,theYoungHegelians,andtheOriginsofRadicalSocialTheory.DethroningtheSelf,P.3-15,CambridgeUniversityPress,Cambridge,1998.WasdenStandpunktmeinerDissertationbetrifft,stimmeichdiesenAnsatznichtzu.MeineDissertationverzichtetauf jedenachträglicheEinschätzung,obHegeldieAufgabederLösungderKrisendesDenkenserfüllthatodernicht.Dennin einer solchen Einschätzung wird Hegels Philosophie als Vollendung der Metaphysik immermissverstanden: Die Vervollkommnung der Idee der Freiheit zum logisch vollständigen Begriffwird dabei nicht als erfolgreiche Erfüllung der Bestimmung der Vernunft erkannt, sondern alsgescheiterteVersöhnunginderTrennungvonVernunftundWirklichkeitbezeichnet.

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SeitedesunmittelbarenStaatsbegriffsalsVolkgeist,bestimmt.Dadurchmöchteich zeigen, wie Marx an der Bestimmung des Zwei-Kammer-Systems desParlamentssowieandemVerhältnisdesAbgeordnetenzumVolkHegelsNegationgegenüberdemgesellschaftlichenSeinalsWesendesMenschenerfährt.FürMarxbeziehen sich dieBestimmungender gesetzgebendenGewalt beiHegel auf dieWirkungenderHegelschenErsetzungderempirischenWirklichkeitdesStaatesdurch eine von ihm selbst erfundene philosophische Wirklichkeit undWirksamkeit aufdiebestehenden InstitutionendesStaates.VerglichenmitdenResultaten der neuzeitlichen bürgerlichen Revolutionen weist Marx HegelsAuffassung von der gesetzgebenden Gewalt zurück und bezeichnet sie alsanachronistisch,alsentstellteWirklichkeitdermodernenWelt.

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Teil1.HegelsWegzumStaatsbegriff

1. EinegeschichtlicheDeutungderEntstehungsgeschichtedesStaatsbegriffsHegels

HegelsAuffassungvomStaatsbegriffwirdzuerstineinerseinerfrühenSchriften,in„DieVerfassungDeutschlands“entfaltet.HierbeschäftigtsichHegelbereitsmitdemThema„VerfassungdesStaates“.EsgehtumHegelsKonzeptfüreineneueundrealitätsnahe Verfassung des Staates, die man für die noch nicht zu einemZentralstaat vereinten deutschen Einzelstaaten am Ende des 18. Jahrhundertsgeltend machen könnte. Gegenüber dem von ihm betonten geschichtlichenUmstand, „Deutschland ist kein Staat mehr“ 20 , entwickelt Hegel seine ersteAuffassungvomStaatsbegriff,dassderStaatdieEinheiteinerMenschenmenge,dieaufderIdentitätimgemeinschaftlichenLebenderMenschenberuhtundsichsomitalseinVolkdarstellt,repräsentierenundverfechtensoll.Hegelgehtdavonaus: „Eine Menschenmenge kann sich nur einen Staat nennen, wenn sie zurgemeinschaftlichen Verteidigung der Gesamtheit ihres Eigentums verbundenist.“21 Mit Bezug auf den Staat als Verteidigung des Eigentums hebt Hegel diepolitischeGewaltdesStaatesundderenFunktionalsErhaltungdereinheitlichenStaatssouveränitäthervor:„DaßeineMengeeinenStaatbilde,dazuistnotwendig,daß sie eine gemeinsame Wehre und Staatsgewalt bilde.“ 22 Indem Hegel diepolitische Gewalt zum Kern des Staatsbegriffs macht, unterscheidet er gerade„dasjenige, was notwendig ist, daß eine Menge ein Staat und einegemeinschaftlicheGewaltsei,unddasjenige,wasnureinebesondereModifikationdieserGewaltistundnichtindieSphäredesNotwendigen,sondernfürdenBegriffindieSphäredesmehroderwenigerBesseren, fürdieWirklichkeitaber indieSphäredesZufallsundderWillkürgehört“23.MethodischformuliertHegeldabeidenStaatsbegriffzwarnichtaufdieWeisederspäterentwickeltenspekulativenMethode, also der Logik, aber er verwendet eine Reduktionsmethode, um dieNotwendigkeitdesStaatsbegriffs,alsodieGewaltdesStaateszurVerteidigungund20 Hegel,DieVerfassungDeutschlands,inWerke,Band1,FrüheSchriften,S.461,SuhrkampVerlag,Frankfurt am Main, 1986. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 5, S.162, Felix Meiner Verlag,Hamburg,1998.21 Hegel,DieVerfassungDeutschlands,inWerke,Band1,FrüheSchriften,S.472,SuhrkampVerlag,Frankfurt am Main, 1986. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 5, S.165, Felix Meiner Verlag,Hamburg,1998.22 Hegel,DieVerfassungDeutschlands,inWerke,Band1,FrüheSchriften,S.473,SuhrkampVerlag,Frankfurt am Main, 1986. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 5, S.166, Felix Meiner Verlag,Hamburg,1998.23 Hegel,DieVerfassungDeutschlands,inWerke,Band1,FrüheSchriften,S.474,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,1986.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band5,S.166-167,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.

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Erhaltung seiner einheitlichen Souveränität, von Vorstellungen der StaatslehreundErscheinungenderGeschichteabzutrennen;erhebtsomitdieWichtigkeitdesBegreifens der Notwendigkeit eines Begriffs und die Wichtigkeit desAusschließens des Zufalls und der Willkür für eine wissenschaftlicheUntersuchungdesStaatsbegriffshervor. ImSinnederhöchstenGewaltschließtHegelsStaatsbegriffinhaltlichhierbeialleFaktorenwie z.B. die Ansprüche von privaten Personen, der gesellschaftlichenKorporationen und der Kirche aus der Notwendigkeit des Staates aus. Hegelnimmt in der Verfassung Deutschlands nur die Bestimmungen der politischenGewalt zu den notwendigen Bestimmungen des Staatsbegriffs und nur dieAngelegenheiten, die sich auf die Erzeugungunddie Erhaltungder politischenGewalt des Staates beziehen, zumHauptanliegen der Arbeit an der GestaltungeinermöglichenVerfassungdeseinheitlichenDeutschlands24.Esseiangemerkt,dassHegelbeiderUnterscheidungzwischenderNotwendigkeitdesStaatsbegriffsvon dessen Zufälligkeiten schon die Einflüsse der Verschiedenheiten der Sitte,Bildung und Sprache der Menschen auf die Vereinigung der individuellenMenschenzueinemStaatberücksichtigt.ObwohldieseVerschiedenheitennachHegel nur zu den Zufälligkeiten gegenüber der politischen Gewalt des Staatesgezähltwerdendürfen,bewirkensiejedochfürdieIdentitätderMenschenalseinVolkundsomitauf„GeistundKunstderStaatsorganisationen“25 ein. ZumVerhältnisderpolitischenGewaltzuanderenFaktorenbetontHegelinderVerfassung Deutschlands einerseits die Unterwerfung aller anderenBestimmungen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts unter die derpolitischenGewaltundverbindetdiesemitderFigurdesMonarchen26.Anderseitslässter jedochdieFreiheitdes individuellenMenschenunddieAutonomiederbürgerlichen Gesellschaft keineswegs beiseite, sondern er gesteht ihnen denangemessenenRaumzu27.DennHegelerkenntnichtnurdieHeiligkeitderFreiheitderindividuellenMenschenan,mehrnoch,erbeobachtetauchdenNutzenoder

24 SieheHegel,DieVerfassungDeutschlands,inWerke,Band1,FrüheSchriften,S.577,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,1986.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band5,S.154-155,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.25 „(...) solche heterogenen und zugleich die mächtigsten Elemente vermag, wie imgroßgewordenenrömischenReichedieüberwiegendeSchwerederGewalt,soindenmodernenStaatenGeistundKunstderStaatsorganisationenzuüberwältigenundzusammenzuhalten,sodaßUngleichheit der Bildung und der Sitten ein notwendiges Produkt sowie eine notwendigeBedingung,daßdiemodernenStaatenbestehen,werden.“,Hegel,DieVerfassungDeutschlands,inWerke, Band 1, Frühe Schriften, S.477, Suhrkamp Verlag, Frankfurt amMain, 1986. Vgl. Hegel,GesammelteWerke,Band5,S.171,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.26 SieheHegel,DieVerfassungDeutschlands,inWerke,Band1,FrüheSchriften,S.479,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,1986.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band5,S.173,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.27 Siehe Hegel, Die Verfassung Deutschlands, in Werke, Band 1, Frühe Schriften, S.479-482,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,1986.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band5,S.173-175,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.

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Vorteilder individuellenFreiheit fürdieVerwirklichungderpolitischenGewaltdes Staates 28 . Von diesem Verhältnis der politischen Gewalt zur Freiheit derindividuellenMenschenheristHegelsersteAuffassungvomStaatsbegriffalsseinerster theoretischer Versuch zu sehen, die Verwirklichung der individuellenFreiheit in die Entfaltung der einheitlichen Staatssouveränität zu integrieren.Hegels „Vorschläge zur Reform der Verfassung“ erscheinen also als ResultatediesertheoretischenIntegration.Entsprechend der Entwicklungsphasen der Hegelschen Gedanken unternimmtseineAuffassungvomStaatsbegriffaucheineEntwicklungvoneinernochunreifenDenkfigur zu seinem reifen Konzept für ein System der philosophischenWissenschaften. Nach der frühen Verfassungsdiskussion äußert sich Hegelwährend seiner Jenaer Zeit wieder über den Staat in seiner fragmentarischenSchrift System der Sittlichkeit, und zwar nicht mehr im Rahmen einermethodischenBeliebigkeit, sondernmiteinemdeutlichenBewusstseinvonderMethode,dieervonderMethodederSchellingschenPhilosophieübernommenund gemäß seinemThema entwickelt hat29.Mit Bezug auf die Einführung derphilosophischen Methode in sein Denken stellt Hegel den Staat nicht mehrbeziehungslosdar,sondernerbettetdieseninseinesystematischeFormulierungdes Begriffs „Sittlichkeit“ ein und bestimmt ihn somit als ein dem System derSittlichkeitangehörigesElement. Im System der Sittlichkeit ist die Sittlichkeit nach Hegel ein Begriff, der allesubjektiveundobjektiveBestimmtheitdesIndividuumsüberwindetundzugleichdessen Wesen in die Form der allgemeinen Gültigkeit des absoluten Begriffserhebt. SobezeichnetHegeldieSittlichkeitals „einklaresundzugleichabsolutreiches Wesen, ein vollkommenes sich Objektivsein und Anschauen desIndividuumsindemFremden,alsodieAufhebungdernatürlichenBestimmtheitund Gestaltung, völlige Indifferenz des Selbstgenusses“30. In dieser SittlichkeitordnetHegeldenStaatunddessenBestimmungendemVolkunter,weilerdasVolkalsFormderSittlichkeitbegreift31.AlsFormderSittlichkeitstelltdasVolknachHegel die „organische Totalität“ 32 der Sittlichkeit dar, und dieStaatsbestimmungen wie z.B. die begrifflichen Stufen des Regierungsbegriffs

28 SieheHegel,DieVerfassungDeutschlands,inWerke,Band1,FrüheSchriften,S.482ff,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,1986.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band5,S.175-176,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.29 Vgl.HerbertSchnädelbach,HegelspraktischePhilosophie,S.76-81,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,2000;WalterJaeschke,HegelHandbuch,Leben-Werk-Schule,S.152,J.B.MetzlerVerlag,Stuttgart,2010 30 Hegel,SystemderSittlichkeit,GesammelteWerke,Band5,S.324,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.31 SieheHegel,SystemderSittlichkeit,GesammelteWerke,Band5,S.325ff,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.32 Hegel,SystemderSittlichkeit,GesammelteWerke,Band5,S.237,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.

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geltenHegeldementsprechendalsinhaltlicheMomente,dieunterdieseTotalitätgestelltwerdensollen.ImSinnederorganischenTotalitätverknüpftdasVolknachHegel die Bestimmungen des Staatesmit denBestimmungen des individuellenMenschen, und zwar nur durch das methodische Verhältnis der gegenseitigenSubsumtionder„Anschauung“unddes„Begriffs“untereinander33.FürHegelstelltdas Volk gerade die absolute Identität der allgemeinen Bestimmungen derSittlichkeit mit den natürlichen und gesellschaftlichen Bestimmungen derindividuellenMenschen dar: „Alle Beziehung auf Bedürfnis und Vernichten istaufgehoben,unddasPraktische,welchesmitdemVernichtendesObjektsanfing,ist in sein Gegenteil, in Vernichten des Subjektiven übergegangen, so daß dasObjektive die absolute Identität von beiden ist.“34 ZuHegels FormulierungdesVolks als Form der Sittlichkeit ist festzustellen, dass das Volk die Stelle derabsolutenIdentitätnichtdarumeinnehmenkann,weilsichdieBestimmungdesVolks als Identität auf den historischen Grund stützt oder dem gegenwärtigenZustandsmusteranpasst,sonderndarum,weildieserBestimmungeinbegrifflichzwangsläufigerGrundfürdiegesamteBewegungdesBegriffs„Sittlichkeit“dessenbegrifflicherAbsolutheitzugeteiltwird.DieEinführungderMethodelässtalsoeinMusterfürHegelsnachträglichenAnsatzzumStaatsbegrifferkennbarwerden:erbestimmt einen über dem individuellen Menschen stehenden Begriff derAllgemeinheit durch eine zuvor ausgearbeitete, sachlogisch angemesseneMethodederlogischenKategorien;errechtfertigtdiesenBegriffnichtdurchdieunmittelbareBerufungaufdieempirischeSacheoderdasgeschichtlicheWissen,sonderndurchdieBerufungaufeinSystem,indemHegeldieempirischeSacheoderdasgeschichtlicheWissen indiedermethodischenStrukturder logischenKategoriensichanpassendenBegriffeverwandelt.Eben wegen der Einführung der Methode stellt Hegel die inhaltlichenBestimmungendesStaatesnichtmehrnachihremthematischenBezugzurSachewiez.B.BildungundEntwicklungderStaatssouveränitätdar,sondernnachihrembegrifflichen Verhältnis, und zwar dazu, inwiefern sich die Bestimmungen desStaateszurVervollständigungdesBegriffs„Sittlichkeit“verhalten.MitBezugaufdie Begriffsvollständigkeit der Sittlichkeit unterscheidet Hegel nach „denMomenten ihrer Idee(sc.der IdeederSittlichkeit)“35 näherdieBestimmungendes Staates in die stabile Seite, „die Sittlichkeit als System, ruhend“36, und diedynamischeSeite,„dieRegierung“37;durchihreeigenenEntwicklungenbringen

33 SieheHegel, SystemderSittlichkeit,GesammelteWerke,Band5, S.279-280, S.323-327,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998.34 Hegel, System der Sittlichkeit, Gesammelte Werke, Band 5, S.326-327, Felix Meiner Verlag,Hamburg,1998.35 „DieseTotalitätmußbetrachtetwerdennachdenMomentenihrerIdee,undzwarso:zuerstdieRuhederselben,oderdieStaatsverfassung,alsdennihreBewegungoderdieRegierung;...“,Hegel,SystemderSittlichkeit,GesammelteWerke,Band5,S.327,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998. 36 Ebd.37 Ebd.

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diesebeiden,wieHegeldamalssoüberzeugtist,diebegrifflicheAbsolutheit,alsodieradikalselbstbezogeneEntfaltungdersittlichenTotalitätzumVorschein. ImKontrast zu Hegels späterer Auffassung von der Totalität der Sittlichkeit inGrundlinienderPhilosophiedesRechtsvon1821hatHegel,obwohlerimSystemderSittlichkeitdieBestimmungendergesellschaftlichenTätigkeitenderMenschenschon zur Diskussion gestellt hat, offenbar der bürgerlichen Gesellschaft, diespäter alsMitte zwischen dem individuellenMenschen und dem Staat geltendgemachtwird,keineselbstständigeGestaltgegebenunddaherdieFamilieauchnichtalsNatürlichkeitderSittlichkeitvonderNatürlichkeitderPersonabgetrennt.Diesführtzugleichdazu,dassHegeldenAnfangderSittlichkeitnichtindieFamilie,sonderndirektindieStaatsverfassungsetzt,unddasserinderTatallenInhaltderorganischenTotalitätderSittlichkeitwiez.B.dieBestimmungendesSystemsdermenschlichenBedürfnisseunddesSystemsderGerechtigkeitunterdieSphärederRegierungsubsumiert.NebenHegelsBemühungenumdiePositionierungdesBegriffs„Geist“ ineinemSystem der philosophischenWissenschaften in seiner Jenaer Zeit ist die ersteAusgabederEnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenvon1817alsdaserste veröffentlichte Werk zu sehen, in dem Hegel angesichts der von ihmausgearbeitetenBestimmungender logischenKategorien,alsoderspekulativenLogik, das Verhältnis zwischen der Sittlichkeit und dem Geist im System derphilosophischenWissenschaften38 dargestellt hat: In der Passage „Philosophiedes Geistes“ macht Hegel die Begriffe „Recht“, „Moralität“ und „Sittlichkeit“ zuderjenigendreifachenKonstellation,dienachdemgesamtenMusterderlogischenLehre des Begriffs, also nach den Verhältnissen von den logischen Kategorien„unmittelbarerBegriff“,„Urteil“und„Schluss“aufgestelltwird39.NachHegelstelltgerade die Gesamtheit dieser Konstellation den objektiven Geist dar, und dieVerhältnisse ihrer Momente „Recht“, „Moralität“ und „Sittlichkeit“, also ihrelogische Bewegung, drücken dementsprechend die Entwicklung des objektivenGeistesaus.InderEntwicklungdesobjektivenGeisteslässtsichdieOrientierungder Sittlichkeit nach Hegel im System der philosophischen Wissenschaften soerkennen:„dieSittlichkeitistdieVollendungdesobjectivenGeists,nichtnurdieWahrheitdesRechtsundderMoralität,alsihreEinheit,sonderndessubjectivenund objectiven Geistes selbst. Sie ist nemlich die Freyheit als der allgemeine38 ZurBedeutungderSystematisierungderWissenschaftenseiangemerkt,dassHegeldurchdieBildungeinesSystemsseineIdeederWahrheit,dienurineinemGanzenwahrhaftnachweisbarist,einlösen will, damit er die Eigentümlichkeit der spekulativen Philosophie gegenüber anderenWissenschaftenhervorhebt.Vgl.WalterJaeschke,HegelHandbuch,Leben-Werk-Schule,S.260,J.B.Metzler Verlag, Stuttgart, 2010; auch Arnim Regenbogen, Chronik der philosophischenWerke,S.354,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2012.39 Siehe Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817),GesammelteWerke,Band13,§401,S.224,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.ZurAnwendungderphilosophischenMethodeaufdieWissenschaftsieheauch:Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Vorrede,S.6,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,S.5-6,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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vernünftigeWillen“40. WasdenInhaltdieserSittlichkeitbetrifft,seizunächstangemerkt,dassHegelzwarindererstenAusgabeseinerEnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrissevon1817seineWissenschaftderLogikschonentwickelthat,dassaberdieAuffassungvonderTotalitätderSittlichkeitalsStaatsverfassung,dieHegelimSystemderSittlichkeitausgedrückthat,nochdieGestaltungderSittlichkeitinderEnzyklopädieprägt:dieEinzelheitdesindividuellenMenschenwirdalsExtreminden Gegensatz zum anderen Extrem, also zur Allgemeinheit der Sittlichkeit,gesetzt 41 , und die bekannte dreifache Struktur des Begriffs „Sittlichkeit“ vonFamilie,bürgerlicherGesellschaftundStaathatHegelindererstenAusgabederEnzyklopädienurprogrammatischerwähnt;erhatdieseStrukturderSittlichkeiterstinseinenVorlesungenüberdiePhilosophiedesRechtsvon1819-1821unddanninseinemveröffentlichtenWerkGrundlinienderPhilosophiedesRechtsvon1821vollkommenoffengelegt42. Auch da, wo Hegel hierbei die dreifache Struktur der Sittlichkeit noch nichthervorgehobenhat,lässterdochdiePositiondesobjektivenGeistesinnerhalbdesSystems der philosophischen Wissenschaften erkennbar werden. Als„Zurückkommen aus der Natur“43 hat der Geist nach Hegel seine Freiheit sodarzustellen, dass er „von allem Aeusserlichen und von seiner eigenenAeusserlichkeit,seinemSeynabstrahiren,unddieNegationseinerindividuellenUnmittelbarkeit, den unendlichen Schmerz ertragen, d.i. in dieser Negativitätidentischfürsichseyn“44 kann.FürdiesensofreiseiendenGeisthebtHegelauchhervor, dieser Geist entfalte seine Allgemeinheit als seinen grundsätzlichenCharakter 45 und daher sei das Offenbaren dieser Allgemeinheit seineigentümliches Verfahren 46 . Gerade auf dieses Offenbaren bezieht sich die

40 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),GesammelteWerke,Band13,§430,S.232,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.41 Siehe Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817),GesammelteWerke,Band13,§432,§436und§438,S.232undS.235,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.Vgl.SystemderSittlichkeit,GesammelteWerke,Band5,S.327,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1998; auch Walter Jaeschke, Hegel Handbuch, Leben-Werk-Schule, S.260, J.B. Metzler Verlag,Stuttgart,2010.42 Vgl.„EshandeltsichnichtumeinegültigeDarstellungdes‚SystemsderWissenschaft‘–dessenersten Teil nun nichtmehr die Phänomenologie, sondern dieWissenschaft der Logik bildet –,sondernlediglichumeinen‚Grundriß‘diesesSystems‚ZumGebrauchseinerVorlesungen‘–nachdamalszwarnichtmehrallgemeingeforderten,abernochweithinüblichenPraxis,VorlesungeneinLehrbuchzuGrundezulegen“,WalterJaeschke,HegelHandbuch,Leben-Werk-Schule,S.260,J.B.MetzlerVerlag,Stuttgart,2010.43 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),GesammelteWerke,Band13,§300,S.179,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.44 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),GesammelteWerke,Band13,§301,S.179,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.45 Siehe Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817),GesammelteWerke,Band13,§302,S.179,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.46 Siehe Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817),

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PositiondesobjektivenGeistes.DenndasOffenbarenderAllgemeinheitdesfreienGeistes löst sich nur so ein, dass dieses Offenbaren eigentlich das „Erschaffenderselben(sc.derWelt)alsseinesSeins(sc.desGeistes)“ist,„inwelchemer(sc.derGeist)diePositivitätundWahrheitseinerFreyheithat“47.DieBestimmungdesGeistes als objektiv ist demnach ein Teil des Offenbarens des Geistes. Für dasVerhältnisalldieserTeilediesesOffenbarenszurGesamtheitdesGeistesnimmtHegel an: „die verschiedene Stuffen der Täthigkeit des Geistes sind die Stuffenseiner Befreyung, in deren absoluten das Vorfinden seiner Welt als einervorausgesetzten, das Erzeugen derselben als eines von ihm gesetzen, und dieBefreyungvonihreinsunddasselbesind“48.VerglichenmitderGesamtheitdesGeistes ist der objektive Geist endlich, aber seine Endlichkeit hat ganz andereBedeutung als sonst. Nach Hegel liegt die Endlichkeit des Geistes in „derUnangemessenheit des Begriffs und der Realität mit Bestimmung, daß sie einScheinen innerhalbseiner ist,–einSchein,denersichselbstalseineSchrankesetzt,umdurchAufhebenderselbenfürsichdieFreyheitalsseinWesenzuhabenund zu wissen“ 49 . Aus dem Zitat ist festzustellen, dass die Endlichkeit desobjektiven Geistes auch als ein Resultat des Erschaffens des Geistes, also einabsichtlichesProduktfürdasOffenbarenderallgemeinenFreiheitdesGeistesist. ÜberdiePositiondesobjektivenGeisteshinausbringtHegelindererstenAusgabederEnzyklopädieauchseineAuffassungvonderSittlichkeitalsVollendungdergesamtenEntwicklungdessubjektivenundobjektivenGeistesansLicht50.DieseVollendung tritt nach Hegel in derjenigen Endphase der Entwicklung derSittlichkeitauf,indersichderGeistalssittlicherdarstellt,undzwar:nichtnuralseinzelnerGeist,„derineinembestimmtenVolkseineWirklichkeithat“51,undauchnichtnuralseingegenübereinemanderenstehendereinzelnerGeist52,sondernalseinbestimmterVolkgeist,der„einedurchseinbesonderesPrinzipbestimmteEntwicklung seiner Wirklichkeit in derselben, – eine Geschichte“ 53 hat. DieVollendungdessubjektivenundobjektivenGeistesistdemnachdieEntwicklungdes Geistes als bestimmter Volksgeist zum Weltgeist in der allgemeinenWeltgeschichte.DereinzelneGeistalsbestimmterVolkgeististnurein„TrägerderdießmaligenEntwicklungsstuffedesallgemeinenGeistesinseinemDasein“54 undGesammelteWerke,Band13,§303,S.180,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.47 Ebd.48 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),GesammelteWerke,Band13,§306,S.181,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.49 Ebd.50 Siehe Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817),GesammelteWerke,Band13,§429und§430,S.232,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.51 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),GesammelteWerke,Band13,§442,S.237,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.52 Siehe Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817),GesammelteWerke,Band13,§443-§447,S.237-238,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.53 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),GesammelteWerke,Band13,§448,S.238,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.54 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),Gesammelte

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unddieobjektiveWirklichkeitdesWillensdiesesallgemeinenGeistes.DemnachvermagdereinzelneGeistwederüber „sein jedesmaligesEigenthums“55 nochüber„einebesondereStuffe“56 hinauszugehen.NachHegelistdieEntwicklungdes Geistes zum Weltgeist „die Befreyung der sittlichen Substanz von ihrenBesondernheiten,indenensieindeneinzelnenVölkernwirklichist“57.ImHinblickauf seine Hervorhebung von der Endlichkeit des subjektiven und objektivenGeistesalsUnangemessenheitdesBegriffsunddessenbestimmteRealitätdeutetHegel in der Bestimmung der Sittlichkeit als Vollendung des subjektiven undobjektivenGeistesnuran,dassinderWeltgeschichtederGeist,indemdieserdieBestimmtheitderZeitoderderGeschichtefürseineFreiheitundAllgemeinheiterkennt und offenlegt, sogleich die Notwendigkeit, von der von ihm selbstgesetztengeistigenWeltaufdieangemesseneundunbegrenzteSphäredesGeistes,alsoaufdieSphärederPhilosophiedesabsolutenGeistes,auszugehen,ausderWeltgeschichteselbsterfährt.FürHegelistdieVollendungdessubjektivenundobjektivenGeistesdemnachzugleichalsEröffnungdesWegszumabsolutenGeistzuverstehen.MitderBestimmungderPositiondesobjektivenGeistesundderBestimmungderSittlichkeit als dessen Vollendung in der ersten Ausgabe der Enzyklopädiekennzeichnet Hegel den Anfang und das Ende der Entwicklung des objektivenGeistes deutlich. Obwohl diese erste Ausgabe Hegels Idee des Systems derphilosophischen Wissenschaften noch nicht vollkommen entfaltet hat 58 , lässtHegel doch durch den in ihr gekennzeichneten Anfang und das Ende derEntwicklungdesobjektivenGeistesdieOrientierungderHegelschenGrundliniender Philosophie des Rechts innerhalb seines Systems der philosophischenWissenschaftenerkennbarwerden.DieseOrientierungbestätigtHegelamAnfangder Vorrede der Grundlinien, und zwar in Hinsicht auf deren Thema: „DiesesLehrbuch (sc. Grundlinien) ist eine weitere, insbesondere mehr systematischeAusführungderselbenGrundbegriffe,welcheüberdiesenTeilderPhilosophieinder von mir sonst für meine Vorlesungen bestimmten Encyklopädie derphilosophischenWissenschaften(Heidelberg1817)bereitsenthaltensind.“59 WasHegelzumGegenstandderPhilosophiedesRechtszählt,istgeradedasselbe,waserzumInhaltderEntwicklungdesobjektivenGeistesrechnet.InderEinleitungder Grundlinien macht Hegel ebenso deutlich, dass der Anfang derRechtswissenschaft, also der Philosophie des Rechts, weil sie „ein Teil der

Werke,Band13,§450,S.238,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.55 Ebd.56 Ebd.57 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),GesammelteWerke,Band13,§449,S.238,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000.58 SieheWalterJaeschke,HegelHandbuch,Leben-Werk-Schule,S.260,J.B.MetzlerVerlag,Stuttgart,2010.59 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Vorrede,S.5,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,S.5,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Philosophie“60 ist, kein selbstständiger und selbstbezüglicher Anfang, sondern„das Resultat und die Wahrheit von dem ist, was vorhergeht und was densogenanntenBeweisdesselbenausmacht“61.UndderAbschnittinderEinleitungderGrundlinien, in demHegel denBodendesRechts als dasGeistige unddenAusgangspunktdesRechtsalsdenfreienWillenbestimmt,erinnertauchdirektandenAbschnittüberdasOffenbarendesallgemeinenfreienGeistes62 indererstenAusgabe der Enzyklopädie. Aufgrund dieser Verbindung des Begriffs „dasRecht“mitdemBegriff„Geist“ist„dasRechtssystem“,mitdemHegeldasSystemderRechtsbegriffemeint, zweifellos „dasReichder verwirklichtenFreiheit, dieWeltdesGeistesausihmselbsthervorgebracht,alseinezweiteNatur“63. DieMethode,dieHegelals„spekulativeErkenntnisweise“64 bezeichnetundindenden Grundlinien der Philosophie des Rechts verwendet, stimmt zwar ihremUrsprungnachmitHegelseigenerWissenschaftderLogiküberein,abersiekannnichtvölligaufdieseLogikbezogenwerden.DiesistbereitsindererstenAusgabederEnzyklopädiebestätigt65.DenndieLogikhatnurdiereinenGedanken,alsodasDenkenselbstinderWissenschaftderLogikzumGegenstand,währenddieinderPhilosophiedesRechtsangewandteLogikdasRechtssystemzumGegenstandhat.WegenderVerschiedenheitdesGegenstandeshatHegelfürdiePhilosophiedesRechts in der Tat nur diejenigen bestimmten Konstellationen der logischenKategorienvonderWissenschaftderLogikübernommen,diegeeignetsind,aufder Seite der logischen Lehre selbst einen vollkommenen logischen Rahmenauszumachen.Sokönnennurdie logischenKategorienvon„Begriffalssolcher“,„Urteil“und„Schluss“dieKonturdessubjektivenBegriffsinderLehrevomBegriffzeichnen.AufderanderenSeitedesbesonderenSystemsderRechtsbegriffemusssich die Unterscheidung zwischen dem Ganzen und seiner Gliederung derRechtsbegriffe hervorheben lassen 66 . So verkörpert z.B. die Einteilung desRechtssystemsnachHegel „überhauptnicht eine äußerliche, nach irgendeinemoder mehreren aufgenommenen Einteilungsgründen gemachte äußere60 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Einleitung, § 2, S.21, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§2,S23.,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.61 Ebd.62 SieheHegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftenimGrundrisse(1817),§303,GesammelteWerke,Band13,S.180,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2000. 63 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Einleitung, § 4, S.31, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§4,S.31,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.64 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Vorrede,S.6,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,S.5,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.65 ZummethodologischenVerhältniszwischenEnzyklopädievon1817undGrundlinienvon1821vgl.LudwigSiep,VernunftrechtundRechtsgeschichte.KontextundKonzeptderGrundlinien imBlickaufdieVorrede,inG.W.F.Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,hrsg.vonLudwigSiep,S.14,AkademieVerlag,Berlin,1997.66 Vgl.LudwigSiep,VernunftrechtundRechtsgeschichte.KontextundKonzeptderGrundlinienimBlickaufdieVorrede,inG.W.F.Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,hrsg.vonLudwigSiep,S.15,AkademieVerlag,Berlin,1997.

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KlassifizierungeinesvorhandenenStoffes,sonderndasimmanenteUnterscheidendesBegriffesselbst“67,alsodiePhasenderEntwicklungdesfreienWillensoderderFreiheit alsBegriff.HegelsAbsichtbeiderAnwendung seiner spekulativenLogikaufdieGegenständederRechtwissenschaftistes,diePhilosophiedesRechtsvon der positiven Rechtswissenschaft zu unterscheiden und sie zu einerphilosophischen Wissenschaft zu machen. Diese Absicht beruht auf nichtsanderemalsaufHegelsOrientierungdesobjektivenGeistesanseinemSystemderphilosophischen Wissenschaften. Nur von seiner Idee eines Systems derphilosophischen Wissenschaften her sieht Hegel die Notwendigkeit, dieRechtsbegriffevondengeschichtlichenodersachbezogenenVorstellungenüberdas Wesen des Rechts zu unterscheiden und eine philosophischeRechtswissenschaftzuentwickeln,diesichnuraufdas,wasalsBegriffdesRechtsgedachtwerdensoll,konzentriert.

67 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Einteilung, § 33, S.53, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§33,S.49,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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2. DieRekonstruktionderEntwicklungderSittlichkeit

2.1EinführungzuHegelsBestimmungenderSittlichkeit

IndenGrundlinienverortetHegelausdrücklichdenStaatsbegriffinderdreifachenStruktur der Sittlichkeit, deren Bestimmungen in der Konstellation mit denBestimmungen des abstrakten Rechts und derMoralität das ganze System derRechtsbegriffe ausmachen 68 . Im Verhältnis zum ganzen Rechtssystem diesesBegriffs verkörpert der Staatsbegriff „die in der freien Selbständigkeit desbesonderenWillensebensoallgemeineundobjektiveFreiheit“69,d.h.derBegriff„Freiheit“wirdnachHegelnichtnurimindividuellenMenschenverwirklichtundals besondere menschliche Freiheit bestimmt; vielmehr offenbart der Begriff„Freiheit“ in der Sphäre der besonderen menschlichen Freiheit auch ihreallgemeineundobjektiveGestalt,undderStaatsbegriffistdemnacheigentlicheinebegriffliche Erhebung dieser Gestalt der Freiheit in deren angemesseneBegriffsform. Hierbei wird deutlich, dass Hegel in der Tat nicht die inhaltlichbestimmteFreiheitoderderenGestalten,sonderndenBegriff„Freiheit“selbstzuseinemAnliegenmacht,unddassderStaatsbegriffgeradenachHegelsAuffassungvon den Entwicklungsphasen des Begriffs „freier Wille“ oder „Freiheit“ insRechtssystemgesetztwird.InderkleinenEinführungdesSittlichkeit-Kapitels(§142-§157)derHegelschenRechtsphilosophie bietet Hegel eine Erklärung darüber an,wie die Sittlichkeit,ausgehend von derMoralität, die Selbsterkenntnis und die Verwirklichung desfreien Willens vereint. Beim ersten Schritt dieser Einführung sind dieEigenschaften der Selbsterkenntnis des freien Willens in der Sittlichkeit zubeachten.DenndieunmittelbareSelbsterkenntnisdesfreienWillenstrittinderSittlichkeit zunächst alsWissen von „der Einheit des Begriffs desWillens undseinesDaseins“70 auf,undzwaralseinResultatausderEntwicklungderMoralitätMoralitätinGestaltdesreinenGewissens.BeidiesemSchrittgehtesgeradeumdenÜbergangdesobjektivenGeistesalsfreierWillevondessenSubjektivitätzu68 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Einteilung,§33,S.52,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.ZurSystemgliederungderPhilosophiedesRechtsvgl.auchArnimRegenbogen,ChronikderphilosophischenWerke,S.357-358,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2012.69 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Einteilung, § 33, S.52, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§33,S.49,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.70 „IndemdieseEinheitdesBegriffsdesWillensundseinesDaseins,welchesderbesondereWilleist,Wissenist,istdasBewußtseindesUnterschiedesdieserMomentederIdeevorhanden,aberso,daß nunmehr jedes für sich selbst die Totalität der Idee ist und sie zur Grundlage und Inhalthat.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§143,S.155,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§143,S.137,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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dessenObjektivität,d.h.zudenallgemeingültigenBestimmungendesobjektivenGeistes.DieSittlichkeit istdurchdieAufhebungderMoralitätals„daslebendigeGute“71bestimmt.DieLebendigkeitdesGutenbedeutetdieWirklichkeitdesobjektivenGeistes als Sittlichkeit und deren Bewegung, die sich nach dem Prinzip dersubjektiven Idee der Hegelschen Logiklehre entfaltet. Ausgehend von derMoralität als Moment des objektiven Geistes beschränkt sich das lebendigeallgemeine Gute nicht mehr auf die Einseitigkeit der Subjektivität des freienWillensoderAbstraktheitdesallgemeinenGuten72,esmachtsichnichtmehralseinsollendesGutesgegenübereinerihmäußerlichenWeltgeltend.GegendieseEinseitigkeitengreiftvielmehrdaslebendigeallgemeineGute,diewirklicheIdeeder Freiheit, in sich selbst die Notwendigkeit seiner Verwirklichung als seineeigeneinnereBestimmungauf.DadurchbeschreitetdasGuteeinenWegmitdemZiel,sichselbstinderäußerlichenWeltdesobjektivenGeisteswiederzuerkennenundsichalsdiewahrhafteWirklichkeitderIdeederFreiheitzubegreifen73.NachHegelhatdieSittlichkeitdeswegenalsdaslebendigeGuteunmittelbareinerseits„indemSelbstbewusstseinseinWissen,Wollen“,undandererseits„durchdessenHandelnseineWirklichkeit“74,dennderobjektiveGeistalsSittlichkeithatbereitsinsichselbstdiesubjektiveSelbsterkenntnisüberdieAllgemeinheitdesGuten,überdieAllgemeinheitderIdeederFreiheitmitihrerobjektivenVerwirklichungvereint. Bei der Moralität gerät das Handeln noch als zufälliges in den Widerspruch

71 „DieSittlichkeit istdieIdeederFreiheit,alsdaslebendigeGute,dasindemSelbstbewußtseinseinWissen,WollenunddurchdessenHandelnseineWirklichkeit,sowiediesesandemsittlichenSeinseineanundfürsichseiendeGrundlageundbewegendenZweckhat,–derzurvorhandenenWeltundzurNaturdesSelbstbewußtseinsgewordeneBegriffderFreiheit.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§142,S.155,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§142,S.137,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.72 Vgl.„DieSittlichkeitistdieVollendungdesobjektivenGeistes,dieWahrheitdessubjektivenundobjektivenGeistesselbst.DieEinseitigkeitvondiesemist, teilsseineFreiheitunmittelbarinderRealität,daherimÄußeren,derSache,teilsindemGutenalseinemabstraktAllgemeinenzuhaben;dieEinseitigkeitdes subjektivenGeistes ist, gleichfalls abstrakt gegendasAllgemeine in seinerinnerlichen Einzelheit selbstbestimmend zu sein.“ Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§513,S.402,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§513,S.515,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.73 Siehe„Hiernursoviel,daßdieNaturdesBeschränktenundEndlichen–undsolchessindhierdasabstrakte,nurseinsollendeGuteunddieebensoabstrakte,nurgutseinsollendeSubjektivität–an ihnen selbstihr Gegenteil, das Gute seineWirklichkeit und die Subjektivität (dasMomentderWirklichkeitdesSittlichen)dasGute,haben,aberdaßsiealseinseitigenochnichtgesetztsindalsdas,wassieansichsind.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§141,S.153,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§141,S.135,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.74 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§142,S.155,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§142,S.137,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.Esseiangemerkt, dass hier in Unterschied zum Selbstbewusstsein des Verstandes es beimSelbstbewusstseinumdenfreienWillen,umdieGestaltdesobjektivenGeistesgeht.

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zwischendemallgemeinenGutenundderSubjektivitätdesGeistes,derdabeinochals reines Gewissen des moralischen Subjekts erscheint. Obwohl die Idee desGuten durch das reine Gewissen die Erkenntnis über sich als absoluteAllgemeinheit des Guten erhält, hängt diese Allgemeinheit des Guten bei derVerwirklichung noch völlig von der Willkür des moralischen Subjekts ab. ImmoralischenSubjekterkenntHegelindessenhöchsterGestalt,nämlichimreinenGewissen, die Unfähigkeit der subjektiven Freiheit, im Begriff desmoralischenSubjektsdieMöglichkeitfürdieWahlzumBösenzutilgen;diesubjektiveFreiheitfürdieEntscheidungdesmoralischenSubjekts kanndieNotwendigkeit fürdieVerwirklichungdesGutennichtgewähren75.InderSittlichkeitdagegenerscheintdas Handeln nach Hegel nicht mehr als zufälliges und willkürliches in derVerwirklichungdesallgemeinenGuten.DasHandelnhatdort„andemsittlichenSeinseineanundfürsichseiendeGrundlageundbewegendenZweck“76.AufdieallgemeineVerwirklichungderIdeederFreiheithintrittdieSittlichkeitauchalsletztesMomentdesBegriffsderFreiheitauf,der„derzurvorhandenenWeltundzurNaturdesSelbstbewusstseinsgewordeneBegriff“77 ist. DurchAufhebungdersichaufsichselbstbeschränkendenSubjektivitätdesfreienWillensbewahrtdieSittlichkeitinsichdas,wasalsobjektiverGeistdasabstrakteRecht und die Moralität durchdringt. In Hinsicht auf den Inhalt der sittlichenBestimmungen gelten das abstrakte Recht und die Moralität noch alsunterschiedlicheMomentederwirklichenIdeederFreiheit.WeildieSittlichkeitnichts als die wirkliche Idee der Freiheit und deren Verwirklichung zu ihrenBestimmungen hat, so bleiben diese beiden Momente der Freiheitsidee„GrundlageundInhalt“78 fürdieErkenntnisderSittlichkeit,diesichzumanundfürsichseiendenMomentderFreiheitsideebestimmt. InHinsichtaufdieFormder Sittlichkeit hebt zwar die sittliche Substanz die einseitige Absolutheit derSubjektivitätauf,bewahrtsieabernochindersittlichenSubstanzalsFormderSubjektivität.Dadurch,dassdiesittlicheSubstanz„Unterschiedeinsich“79 setzenkann,bietetsiesichalsdasjenigedar,wasalsdieseaufgehobeneSubjektivitätin

75 SieheHegel, Grundliniender Philosophie desRechts, § 140 – §141, S.138-154, FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§140–§141,S.122-136,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.76 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§142,S.155,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§142,S.137,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.77 Ebd. 78 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 142 – § 144, S.155, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§142–§144,S.137,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.79 „Das objektive Sittliche, das an die Stelle des abstrakten Guten tritt, ist die durch dieSubjektivitätalsunendlicheFormkonkreteSubstanz.SiesetztdaherUnterschiedein sich,welchehiermitdurchdenBegriffbestimmtsindundwodurchdasSittlicheeinenfestenInhalthat,derfürsichnotwendigundeinüberdassubjektiveMeinenundBeliebenerhabenesBestehenist,dieanundfürsichseiendenGesetzeundEinrichtungen.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§144,S.155,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§144,S.137,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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dersittlichenSubstanzselbstliegt.DasSetzenistdasSelbstgebendesInhaltsdersittlichenSubstanz.DersubjektivenFormdersittlichenSubstanzentsprechendistder Inhalt als „ein über das subjektive Meinen und Belieben erhabenesBestehen“80 bestimmt,dassichinderSittlichkeitanden„anundfürsichseiendenGesetzenundEinrichtungen“81 zeigt. InderSittlichkeitstelltderobjektiveGeistauchdas,was„dieFreiheitoderderanundfürsichseiendeWillealsdasObjektive,KreisderNotwendigkeit“82 geltendmacht, im System der sittlichen Bestimmungen dar. Die Objektivität derSittlichkeitwirdinderSystematikdersittlichenBestimmungendargestellt.DieseBestimmungensinddieaufder„Notwendigkeit“imSinnedeslogischenBegriffsbeiHegel beruhenden „Mächte“ der Sittlichkeit, die „das Leben der Individuenregieren“83.GegenüberihnenerscheinendieIndividuenalsihreAkzidenzen,diedurch sich selbst, nämlich durch ihre Tätigkeiten unter den sittlichenBestimmungen, die „Vorstellung, erscheinende Gestalt undWirklichkeit“84 dersittlichenSubstantialität,dasallgemeineWesenderIndividuen,ausdrücken. Das Für-sich-sein der sittlichen Substanz bedeutet, dass die Erkenntnis dersittlichenSubstanzsichselbstzumGegenstandhat85.InsofernbestimmtsichdieErkenntnisdersittlichenSubstanzzueinerSelbstkenntnis.AlsGegenstandihrereigenenErkenntnisstelltsichdiesittlicheSubstanzalszweiteNatur,dieinGestaltder „Autorität undMacht“86 in der sittlichenWelt erscheint, für die subjektiveSeite der Sittlichkeit dar. LautHegel ist die sittliche Substanz als zweiteNaturhöher als die erste, die physische Natur87. Denn die in der physischen NaturdargestellteVernünftigkeitbleibtnochaußerhalbdesGeistesinVerbindungmitderZufälligkeit,diederdenkendeBegriff innerhalbderphysischenNaturnicht

80 Ebd.81 Ebd.82 „Daß das Sittliche das System dieser Bestimmungen der Idee ist, machtdieVernünftigkeitdesselben aus. Es ist auf diese Weise die Freiheit oder der an und für sichseiende Wille als das Objektive, Kreis der Notwendigkeit, dessen Momente diesittlichenMächtesind,welchedasLebenderIndividuenregierenundindiesenals ihrenAkzidenzenihreVorstellung,erscheinendeGestaltundWirklichkeithaben.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§145,S.156,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§145,S.137-138,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.83 Ebd.84 Ebd.85 „DieSubstanzistindiesemihremwirklichenSelbstbewußtseinsichwissendunddamitObjektdesWissens.FürdasSubjekthabendiesittlicheSubstanz,ihreGesetzeundGewalteneinerseitsalsGegenstanddasVerhältnis,daßsie sind, imhöchstenSinnederSelbständigkeit,–eineabsolute,unendlichfestereAutoritätundMachtalsdasSeinderNatur.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§146,S.156,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§146,S.138,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.86 Ebd.87 Vgl.Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§146,S.156,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§146,S.138,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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durchdringenkann.ImUnterschiedzudemVerhältnisderphysischenNaturzumBegrifferscheintdieSittlichkeitdemGeistinGestaltdessubjektivenfreienWillensnichtmehralsäußerlicheundfremde,sondernalsinnereNatur,undzwarderart,dassdarin jedes inderEntwicklungdesobjektivenGeistesentwickelteSubjekt(diePerson,dasmoralischeSubjekt,dasMitgliedeinesVolksetc.)seinallgemeinesWesenfindenkann.AufdemStandpunktderSubjektivitätdesGeistesdrücktdasSubjektalsoseinunmittelbaresVerhältniszurSittlichkeitals„seinSelbstgefühl“88aus,dasdiejenigeUnmittelbarkeitdieserIdentitätdessittlichenSubjektsmitdersittlichen Substanz bezeichnet, in der das Subjekt die ihm erscheinendenBestandteiledersittlichenWeltunmittelbaralsseineeigenenElementefühlt,alsdas,was„natürlich“ausderIdeederFreiheitstammt. Durch die Entwicklung derMoralität, in der dasmoralische Subjekt die SpitzeseinerSubjektivitäterreicht,zeigtsichdasSubjektbereitsalsfreiesIndividuumim reinen Gewissen. Darin drückt sich die Individualität in ihrer absolutenSelbständigkeitgegenüberallem,wasihmnichteigenist,aus.MitderAufhebungderMoralitätbewahrtzwardieSittlichkeitdieseIndividualitätdesSubjekts,abersie wird nach der unmittelbaren Einheit der Sittlichkeit in das oben besagteidentischeVerhältniszursittlichenSubstanzgesetzt.SoerscheintdasVerhältnisdes Individuums zur sittlichen Substanz in den bindenden Pflichten für diesesIndividuum. Die sittlichen Pflichten üben ihre einschränkenden Kräfte auf dasIndividuumnurinsofernaus,alsesnochnichtseineNatürlichkeitüberwindetundnochaufdieSubjektivitätdesfreienWillenssetzt.Dennesbehält insichselbstnoch die subjektive Freiheit und beharrt darauf, nur nach seiner Willkür zuhandeln.BeschränktsichdasIndividuumnochaufdieSubjektivitätdesobjektivenGeistes,sogibtesdersubjektivenFreiheitdenAnlass,sichdesunangemessenenOrteszubemächtigen,derinWahrheitzurallgemeinenFreiheitalssolchergehört.Wegen dieser falschen Verortung kann das Individuum als freies Subjekt inUmstände versetzt werden, nach denen es die Freiheit nicht mehr genießt,vielmehr an Abhängigkeit, Gedrücktheit und Eitelkeit des Subjekts 89 leidet.Deswegen sieht Hegel die Unterwerfung des Individuums unter die sittlichenPflichtenalsBefreiung,beidenenesumkeineBefreiungdesMenschen,sonderneigentlich umdieBefreiung der Freiheit selbst im Sinne ihresBegriffs geht. IndiesemSinne istdas Individuumbefreit indreierleiHinsichten90: seinWille ist

88 „Andererseits sind sie dem Subjekte nicht einFremdes, sondern es gibt dasZeugnis desGeistesvonihnenalsvonseinemeigenenWesen,inwelchemesseinSelbstgefühlhatunddarinalsseinem von sich ununterschiedenen Elemente lebt, – ein Verhältnis, das unmittelbar nochidentischeralsselbstGlaubeundZutrauenist.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§147,S.156,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§147,S.138,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.89 Vgl.AlexHonneth,LeidenanUnbestimmtheit,S.70ff.,ReclamVerlag,Stuttgart,2001. 90 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§149,S.158,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§149,S.139-140,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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befreit von der Natürlichkeit des Menschen, seine Subjektivität von derBesonderheitdesmoralischenSubjektsundseineFreiheitvonderUnwirklichkeitdersubjektivenIdee. Vom Standpunkt des Individuums aus spielt das Verhältnis zwischen sittlicherSubstanzund IndividuumeineandereRolle.DiesesVerhältnisdes IndividuumsstelltsichandersalsinderVereinigungderAllgemeinheitmitderWirklichkeitinder Sittlichkeit dar. Es geht vielmehr aus von einer „Angemessenheit desIndividuumsandiePflichtenderVerhältnisse“91, genauer:derAngemessenheitseinerindividuellenBesonderheitenanjeneVereinigung.WegenderBindungandie individuellen Besonderheiten wird dieses Verhältnis als Tugend desIndividuums dargestellt, mit der sich das Individuum nach jener Vereinigungrichtet und seine Unterwerfung unter die sittlichen Bestimmungen als dieRechtschaffenheit seines Charakters bestimmt. Die in der Tugendhervorgebrachte Rechtschaffenheit gilt hier als eine von dem Geist geprägteErhebungdesnatürlichenCharaktersdesIndividuumsindensittlichenCharakter,mitdemsichdasIndividuumgegenseineWillkür,ZufälligkeitundNatürlichkeitzumDaseindersittlichenSubstanzausbildet.Daraufhinistesleichtzusehen,dassbeimMomentder Sittlichkeit das Individuumnichtmehr in seiner subjektivenSphäre der Freiheit stehen bleibt, sondern sich notwendig auf die sittlichenBestimmungenbezieht, die alsdas von ihm „ununterschiedeneElement“92 derSittlichkeitgelten.InderSichtdesIndividuums,sostelltHegelessichvor,erhaltendeswegendiesittlichenBestimmungendieGestaltderzweitenNatur,die„dieandie Stelle des ersten bloß natürlichenWillens gesetzt und die durchdringendeSeele,BedeutungundWirklichkeitihresDaseinsist“93. Die einheitliche Sittlichkeit istwegender Erhebungdes freienWillens aus derMoralitätsubstantiell,undzwarsiestelltsichindersittlichenSubstanzdar,dieinsichselbstdasallgemeineGutederIdeeunddieimeinzelnenmoralischenSubjektdurchgesetzteVerwirklichungdiesesGutenvereint.DieSittlichkeiterscheintdemIndividuumals„deralsWeltlebendigeundvorhandeneGeist“94,derdiesittlichenBestimmungeninderWeltderIndividuenbeherrschbarmacht.DasVorhandenedersittlichenWeltistdievermittelteEinheitdesfreienWillensmitseinemDasein,eineKonkretionfürdieinderSphäredesRechtsanfänglicheabstrakteIdeederFreiheit, und zwar inGestalt der „allgemeinenHandlungsweise“95, nämlichder

91 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§150,S.158,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§150,S.140,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.92 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§147,S.156,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§138,S.142,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.93 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§151,S.160,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§151,S.141,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.94 Ebd.Vgl.auch§142,S.155.95 „AberindereinfachenIdentitätmitderWirklichkeitderIndividuenerscheintdasSittliche,alsdie allgemeineHandlungsweisederselben - alsSitte, - dieGewohnheitdesselben als einezweite

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Sitte.WashieralsGeistbezeichnetwird,unterscheidetsichvondem,wasnochohne die Vermittlung des abstraktenRechts und derMoralität unmittelbar amAnfangderSphäredesRechtszumVorscheinkommt. FürdieinderMoralitätsichreinigendeSubjektivitätdesobjektivenGeistesführtdieobenbesagteAusbildungdessittlichenCharaktersdesIndividuumsebenzurAufhebung dieser Subjektivität in der „sittlichen Substantialität“96, in der „dieEigenwilligkeit und das eigene Gewissen des Einzelnen“97 verschwinden. Dassubjektive Element, das durch diese Aufhebung in den sittlichen Charakterbewahrt wird, ist die von der Sittlichkeit geprägte Selbsterkenntnis desIndividuums für die Einheit seines Rechts und seiner Pflicht. Als sittlicheSelbsterkenntnisdesIndividuumsgiltalsodieSubjektivitätals„dieabsoluteFormunddieexistierendeWirklichkeitderSubstanz“98. DasRechtunddiePflichtsindderInhaltfürdieseabsoluteFormderSubstanz.BeiderMoralitätbleibtdieVereinigungvonRechtundPflichtnochalsetwasZufälliges,was ohne objektiven Grund für eine Notwendigkeit nur durch dieWillkür desmoralischenSubjektsdurchgesetztwirdundsomitaufdieSubjektivitätdesselbenangewiesenist.MitderAufhebungderSubjektivitäthebensichdasRechtunddiePflicht auch in einer der Sittlichkeit entsprechendenGestalt auf. Als Inhalt derForm der sittlichen Substanz werden sie in der aus der MoralitätherausgehobenenSelbsterkenntnisdessittlichenIndividuumserneutbetrachtet.Die Erfüllung des Rechts geschieht in der Sittlichkeit auch durch dieVerwirklichung der subjektiven Freiheit der Person, nämlich auch durch dieEntstehungderSelbstständigkeitderPerson,wiesiesichalsRechtinderMoralitätschonerfüllthat.WeilinderunmittelbarenIdentitätdersittlichenSubstanzdiePersonzueinemsittlichenIndividuum,dasdieExistenzdersittlichenSubstanzvertritt,erhobenist,wirdaberdieseErfüllungdesRechtszugleichdafürgehalten,dass„dieGewissheitihrerFreiheitinsolcherObjektivitätihreWahrheithat,undNatur,dieandieStelledeserstenbloßnatürlichenWillensgesetztunddiedurchdringendeSeele,BedeutungundWirklichkeitihresDaseinsist,deralseineWeltlebendigeundvorhandeneGeist,dessenSubstanzsoerstalsGeistist.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§151,S.160,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§151,S.141,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.96 „DiesittlicheSubstantialität istaufdieseWeisezu ihremRechteunddieseszuseinemGeltengekommen,daßinihrnämlichdieEigenwilligkeitunddaseigeneGewissendesEinzelnen,dasfürsich wäre und einen Gegensatz gegen sie machte, verschwunden (sind), indem der sittlicheCharakter das unbewegte, aber in seinen Bestimmungen zur wirklichen Vernünftigkeitaufgeschlossene Allgemeine als seinen bewegenden Zweck weiß und seineWürde sowie allesBestehen der besonderen Zwecke in ihm gegründet erkennt und wirklich darin hat. DieSubjektivitätistselbstdieabsoluteFormunddieexistierendeWirklichkeitderSubstanz,undderUnterschieddesSubjektsvonihralsseinemGegenstande,ZweckeundMachtistnurderzugleichebensounmittelbarverschwundeneUnterschiedderForm.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§152,S.161,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§152,S.141-142,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.97 Ebd.98 Ebd.

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sie(sc.dieIndividuen)imSittlichenihreigenesWesen,ihreinnereAllgemeinheitwirklich besitzen“ 99 . Die erwähnte Rechtschaffenheit im Charakter desIndividuumsbetrifftebendieVereinigungvonRechtundPflicht,denndas,wasjenebezeichnet,istebendieIdentität,nachderdieIndividuendieBesonderheitenihres Rechts mit der Allgemeinheit der sittlichen Substantialität verbinden.AngesichtsdieserIdentitäthatderMensch„durchdasSittlicheinsofernRechte,als er Pflichten, und Pflichten, insofern er Rechte hat“100. Die Vereinigung vonRechtundPflichtwirddahererstaufdieobjektiveWahrheitdieserVereinigunggegründet, nämlich auf die unmittelbare Einheit der Subjektivität und derObjektivitätindersittlichenSubstanz.DurchdieAufhebungbewahrtdassittlicheIndividuum noch sein Recht auf „die Besonderheit“ 101 . Die Besonderheit desIndividuumsisthiernichtaufhebbar,dennsieistdieMitteallein,durchdiesichdieSittlichkeitvonihrerabstraktenEinheitderwirklichenIdeederFreiheitzurallgemeinenEinzelheitderselbenentwickelnkann. IneinschlägigenAbschnitten(§514-516)derEnzyklopädiebehandeltHegelauchdas identische Verhältnis zwischen sittlicher Substanz und Individuum. AuchwenndortdasIndividuumalsPersonauftritt,machtsichdiesePersonjedochimSinnedesIndividuumsgeltend.DenndiePersonberuhtalssittlichesIndividuumzunächst auf „der abstrakten Diremtion“ 102 des Geistes, nämlich auf derbegrifflich primären Vereinzelung des Geistes in Personen. Die Person alssittliches Individuum steht daher im Unterschied zur Person des abstraktenRechts.DersittlicheGeistgibtalsEinheitdesfreienWillensmitseinemDaseinderPerson den begrifflich notwendigen Grund der Wirklichkeit für dieVerwirklichungihrerFreiheit.DerGeistalssittlicheSubstanz,soHegel,sei„dieinnereMachtundNotwendigkeit“103 fürdieSelbständigkeitderPerson.Erst inderBildungihrerSelbständigkeit,nämlichinderVerwirklichungderFreiheitderPerson, erhält die Persondie Selbsterkenntnis über den sittlichenGeist als ihreigenes Wesen. Nur mit dieser Selbsterkenntnis ist die Person als sittlichesIndividuum erst in der Lage, die Kollisionen ihrer besonderen Rechtemit den

99 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§153,S.161,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§153,S.142,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.100 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §155, S.161,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§155,S.143,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.101 „Das Recht der Individuen an ihreBesonderheitist ebenso in der sittlichen Substantialitätenthalten,denndieBesonderheit istdieäußerlicherscheinendeWeise, inwelcherdasSittlicheexistiert.“ Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 154, S.162, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 154, S.142, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.102 „DiefreisichwissendeSubstanz,inwelcherdasabsoluteSollenebensosehrSeinist,hatalsGeisteinesVolkesWirklichkeit.DieabstrakteDiremtiondiesesGeistesistdieVereinzelunginPersonen,vonderenSelbständigkeiterdie innereMachtundNotwendigkeit ist.“Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§514,S.402,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§514,S.515-516,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.103 Ebd.

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allgemeinenPflichten aufzulösen.Denndie allgemeinenPflichtenwerden ebendurchdieseSelbsterkenntnisindiePflichtendessittlichenIndividuumserhoben.Das sittliche Individuum, weil es die Gestalt der Subjektivität des objektivenGeistes in der Sittlichkeit ist, ist als „die sittliche Persönlichkeit ... von demsubstantiellenLebendurchdrungen“104.DieAuflösungderKollisionenzwischenRecht und Pflicht der Person wird von dem sittlichen Individuum in seinersittlichen Tugend derart durchgesetzt, dass das Individuum als tugendhafterHandlende jeweilsseinRechtunddessenErfüllungmitderVerwirklichungderBestimmungen der sittlichen Substanz verbindet und sich zu einerrechtschaffenenPersonunterdiesenBestimmungenmacht.InRücksichtaufdenÜbergang der Moralität in die Sittlichkeit stellt Hegel fest, dass die sittlicheSubstanz „das für sich seiende Selbstbewusstsein mit seinem Begriff geeintenthaltend“105 ist,nämlichsie istdievondereigenenNegationvermittelteunddamitkonkretesteallerGestaltendesobjektivenGeistes.

104 „DieBeziehungendesEinzelnenindenVerhältnissen,zudenensichdieSubstanzbesondert,machenseinesittlichenPflichtenaus.DiesittlichePersönlichkeit,d.i.dieSubjektivität,dievondemsubstantiellen Leben durchdrungen ist, ist Tugend.“ Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§516,S.403,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§516,S.516,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.105 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §156, S.162,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§156,S.143,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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2.2DieEntwicklungdesGeistesinderFamilie

DurchdenÜbergangdesfreienWillensvonderMoralitätzurSittlichkeiterhebtsichderGeist,deralsdasabstrakteGuteimreinenGewissendargestelltwordenist, nun über die Beschränkung des Subjektvermögens bzw. über dieentsprechendeSphärederbegrenztenSubjektivität.DerGeistgehtdamit indieSphärederunendlichenSubstantialitätein,nämlichindieSphäredersittlichenSubstanz. Darin offenbart der Geist die Grundlage seiner Tätigkeit. DieseGrundlage istdieentwickelteEinheitdersittlichenSubstanz,diediesubjektiveErkenntnis der sittlichenWahrheit zu deren Objektivität bringt. Aufgrund derentwickelten Einheit der sittlichen Substanz kann der Geist seineunterschiedlichenGestaltenundBestimmungeninsichselbstwiederintegrieren.WasderabsoluteGeistindieäußerlicheNaturentäußertundindermenschlichenSeelebzw.imsubjektivenGeistentfaltethat,stelltsichinderSittlichkeit,alsoinder Sphäre des objektiven Geistes wieder dar. Die Integration in den Geist istdeswegendieRückkehrdesbestimmtenGeistesindessenallgemeinenUrsprung.NurmitdieserRückkehrkannsichderGeistallgemeinverwirklichenunddamitseine vonderNatur unterschiedeneWelt vervollständigen. So stelltHegel fest:„Die Sittlichkeit ist die Vollendung des objektiven Geistes, die Wahrheit dessubjektiven und objektiven Geistes selbst“ 106 . Die Sittlichkeit ist insofern alsWahrheitdessubjektivenundobjektivenGeisteszubegreifen,alsdieEntwicklungder Sittlichkeit die gesamteWelt des Geistes vollenden kann. Hierbei verweistdieseWahrheitaufnichtsalsaufdenallgemeinwirklichenundfreienGeist,deralle Entgegensetzungen und Widersprüche der Bestimmungen des Geistesversöhnt.AlsallgemeinwirklicherundfreierenthältderGeistdiehöchsteWirklichkeitderallgemeinenFreiheit.SoisterinderLage,nichtnurdieallgemeineFreiheitindiesubjektive und objektive Freiheit zu unterteilen, sondern auch in denUnterschieden dieser beiden Freiheiten die allgemeine Freiheit wieder zuerkennen und zu erhalten. Der wirkliche und freie Geist findet in denEntgegensetzungen und Widersprüchen des wirklich Geistigen nicht nur seineigenes Wesen, sondern auch die zwingenden Gründe und deren notwendigeRechtfertigungen für dessen Fortentwicklung zur Harmonie und Einheit. DieUnterscheidung der Freiheit in der sittlichen Welt ist daher die freieUnterscheidungdesGeistesvonsichselbst.DurchdiesefreieUnterscheidunglegtderwirkliche freie Geist einerseits die Einseitigkeiten der subjektiven und der106 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 513, S.402,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§513,S.515,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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objektiven Freiheit ab, andererseits bringt er die in der Form und im InhalteingeschränkteGestaltderSittlichkeitzuderenunendlicherAllgemeinheit.DasAllgemeine der Sittlichkeit, das sich in der äußerlichen Natur und in dermenschlichenSeelebegrenztworden ist, stellt sichnunalsdasanund fürsichseiendeAllgemeinedar. DasanundfürsichseiendeAllgemeinederSittlichkeitstelltsichalszweiteNaturinderGesamtheitderSittlichkeitdar.InBezugaufdenBegriffderNatur,diealseineäußerlicheTotalitätdesGeistesbegriffenwird,musssichderwirklicheundfreieGeistalszweiteNaturentsprechendinderTotalitätdesBegriffsdarstellen,nämlichinderSittlichkeitundderenSubstanz. Nach Hegel ist die erste Gestalt der sittlichen Substanz die Familie. Denn dieFamilieistderOrt,andemderGeistdiesittlicheSubstanzinderNatürlichkeitdesGeistes,nämlich inderMenschengattung,begreiftunddarausdieunmittelbareEinheitderSittlichkeithervorbringt. ImSinnedersittlichenSubstanz fallendiesittlichenBestimmungenderFamilieaufdieabstraktePersondesRechts–denAusgangspunktdesobjektivenGeistesunddenAnfangdesfreienWillens–zurück.In der Familie entfaltet sich der Geist erst durch die Erhebung der einzelnenPerson in eine Person, die unter dem sittlichen Zusammenhang vonmehrerenPersonensteht.DiePersonwirddamitwederalseineansichseiendePersondesabstraktenRechtsnochalseinfürsichseiendesSubjektderMoralitätbestimmt,vielmehralseinanundfürsichseiendesMitglieddersittlichenSubstanz.Durchdie Einheit des „empfindenden Geistes“107 , den Hegel für den Boden der derFamiliezugrundliegenden„LiebeundGesinnungdesZutrauens“108 hält,wirddieeinzelnePersonzumFamilienmitgliedindersittlichenSphärekonkretisiert,undzwar im Verhältnis der Ehe. In der Ehe befreit sich die Person von ihrerNatürlichkeitundihrerUnmittelbarkeitderart,dasssichsienachihrerFreiheit–dieBestimmungdesGeistes–mit eineranderenPersonverheiratetunddamiteinesittlicheSubstanz,nämlicheineüberdieeinzelnePersonerhabeneFamilie,stiftet.DieEheerhebtalsodurchdasgeistigeBandzwischenzweiPersonen,dassichausderfreienEinwilligungbeiderPersonenzurStiftungeinerFamilieergibt,die natürlichen Elemente zwischen natürlichen Geschlechtern derMenschengattungindiesittlicheSubstanz109.AuchdurchdiesefreieEinwilligungvonzweiPersonengestaltetdieEhedieFamiliealseinesittlichePerson,indiesichdiesebeidenPersonennachderEinheitdesGeistesvöllighingebenwollen. 107 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 518, S.404,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§518,S.517,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.108 Ebd.109 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§161–§163,S.165-166,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§161–§163,S.145-147,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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DieSachederFamilie,ihrAnliegen,dasaufdergeistigenEinheitderEheberuht,richtet sichaufdieBildungder sittlichenPerson,undzwarnicht einerPerson,sondernvielerPersonen,diesichalsdieVielheitdersittlichenPersonzeigen.InBeziehung auf die sittliche Person in der Familie liegt die Realisierung derSittlichkeit inderVerwaltungdesFamilienvermögensundinderErziehungderKinderderFamilie.DieVermögensverwaltunggehtvonderGestaltungderFamiliealseinerPersonaus;dieErziehungbeschäftigt sichmitderBildungderneuenPersonen. InbeidenAnsätzederRealisierungderSittlichkeitwirddie einzelnePerson aus der äußerlichen Natürlichkeit der Menschengattung und demunmittelbarenAbstraktumdes Rechts heraus in die konkrete Bestimmung derSittlichkeit gebracht, um sie zu einer selbstständigen freien Person in dersittlichenSubstanzzuerheben. ImHinblickaufdieErhebungderBestimmungendesMenschenindieSphäredesFreiheitsbegriffs begreiftHegel dieErziehungderKinder als eineTätigkeit desGeistes.DieseErziehungistdieSelbstunterscheidungdeseinheitlichenGeistesinderSittlichkeit. „IhreErziehunghatdie inRücksichtaufdasFamilienverhältnispositive Bestimmung, dass die Sittlichkeit in ihnen zur unmittelbaren, nochgegensatzlosenEmpfindunggebracht,unddasGemütdarinalsdemGrundedessittlichenLebens,inLiebe,ZutrauenundGehorsamseinerstesLebengelebthabe,–dannaberdie inRücksicht aufdasselbeVerhältnisnegativeBestimmung,dieKinderausdernatürlichenUnmittelbarkeit,indersiesichursprünglichbefinden,zurSelbstständigkeitundfreienPersönlichkeitunddamitzurFähigkeit,ausdernatürlichen Einheit der Familie zu treten, zu erheben.“ 110 Das Ergebnis derSelbstunterscheidungdesGeistesführtzuUnterschiedendesGeisteszusichselbst,diederGeistumseinerFreiheitwillenhervorbringt.DeswegenhatderGeist inseinenUnterschiedendasgemeinsameBewusstseindavon,dassdieUnterschiedeihmangehörenundinsofernselbstgeistigsind. Die Unterschiede des Geistes beruhen auf der Selbstständigkeit der freienPersonen. Siemachen die Vielheit der sittlichen Person aus. Entsprechend derVielheitdersittlichenPersonentwickeltsichdieEinheitdersittlichenSubstanzzurVielheitdersittlichenSubstanz.DieseVielheiteröffnetdiehöhereStufederSphärederSittlichkeit, „die StufederDifferenz“111, inder sichderGeistderart

110 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §175, S.175,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§175,S.153-154,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.111 „DieFamilietrittaufnatürlicheWeiseund–wesentlichdurchdasPrinzipderPersönlichkeitineineVielheitvon Familien auseinander, welche sich überhaupt als selbstständige konkretePersonenunddaheräußerlichzueinanderverhalten.OderdieinderEinheitderFamiliealsdersittlichen Idee, als die noch in ihrem Begriffe ist, gebundenenMomente, müssen von ihm zurselbstständigen Realität entlassen werden; – die Stufe der Differenz.“ Hegel, Grundlinien derPhilosophiedesRechts,§181,S.181,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§181,S.158-159,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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entfaltet,dassersichnurdurchseineeigenenUnterschiedeausdrückt,undzwarauf die Weise des Erscheinens: der Geist verbirgt sich in den innerlichenBestimmungen seiner eigenen Unterschiede und kündigt sich nur in ihrenReflexionsverhältnissen an – als Anfang und Zweck in der Gesamtheit seinerUnterschiede.

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2.3DieEntwicklungderSittlichkeitinderbürgerlichenGesellschaft

InderBeziehungaufdieVielheitdersittlichenSubstanzundderenentsprechendeSphäre stellt Hegel die Stufe der Differenz der Sittlichkeit in der bürgerlichenGesellschaftdar.DieseGesellschaft,dieHegelzunächstdie„ErscheinungsweltdesSittlichen“112 nennt,hatdiesittlicheEinheitundihrErgebnis,nämlichdieFamilieunddiekonkreteselbstständigefreiePerson,zurVoraussetzungihrerEntfaltung.Das Verhältnis des Geistes zu der bürgerlichen Gesellschaft ist das besagteErscheinen des Geistes: der Geist entäußert sich in einer solchenErscheinungsweltdesSittlichen,umsichinihrwiederzuerkennenundschließlichsichalsihrWesenzuerweisen.NachdiesemVerhältnisbestimmtHegeldenGeistinderbürgerlichenGesellschaftalsdieFreiheitsideeinihrerEntzweiung113.DieseIdee gibt einerseits der entäußerten Besonderheit des Geistes das Recht, dieeigenenBestimmungenderkonkretenPersonzuvervollständigen,nämlich„sichnachallenSeitenzuentwickelnundzuergehen“114.Andererseitserlaubtsiedersich entäußernden Allgemeinheit des Geistes, sich in die Notwendigkeit einerBesonderheitzuverwandeln,nämlich„sichalsGrundundnotwendigeFormderBesonderheitsowiealsdieMachtübersieundihrenletztenZweckzuerweisen“115.In diesem Sinne durchdringt der Geist die bürgerliche Gesellschaft. SolcheDurchdringung des Geistes ist das Entscheidende in der Bewegung desHegelschenBegriffsderbürgerlichenGesellschaft. Sie entscheidetdarüber,wieweit die bürgerliche Gesellschaft einerseits die besondere Freiheit einerkonkreten Person vervollständigt, andererseits die allgemeine Freiheit in derVielheitderkonkretenPersonenverwirklicht. Indem Hegel die bürgerliche Gesellschaft unter den Aspekt des Geistes setzt,begreiftersieauchalseineGestaltdersittlichenSubstanznebenderFamilie.Aber112 „DiesReflexionsverhältnisstelltdaherzunächstdenVerlustderSittlichkeitdaroder,dasiealsdasWesennotwendigscheinendist,machtesdieErscheinungsweltdesSittlichen,diebürgerlicheGesellschaftaus.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§181,S.181,FelixMeinerVerlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 181, S.159, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.113 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 184, S.182, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 184, S.160, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.114 „Die Idee in dieser ihrer Entzweiung erteilt den Momenten eigentümliches Dasein, – derBesonderheit das Recht, sich nach allen Seiten zu entwickeln und zu ergehen, und derAllgemeinheit das Recht, sich als Grund und notwendige Formder Besonderheit sowie als dieMacht über sie und ihren letzten Zweck zu erweisen. – Es ist das System der in ihre ExtremeverlorenenSittlichkeit,wasdasabstrakteMomentderRealitätderIdeeausmacht,welchehiernurals dierelative Totalität und innere Notwendigkeit an dieser äußeren Erscheinung ist.“, Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §184, S.182,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§184,S.160,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.115 Ebd.

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diebürgerlicheGesellschaftistandersalsdiesittlicheSubstanzinderGestaltderFamilie,diedieunmittelbareeinheitlicheSubstanzdarstellt. Sie istdiesittlicheSubstanz in ihrer Vielheit, nämlich die Substanz in ihren Erscheinungen. DiebürgerlicheGesellschaft,weilsieausderVielheitderkonkretenselbstständigenfreienPersonenhervorgebrachtwird,zeigtsichalseinSystemdieserPersonen,alsein„SystemderAtomistik“116,indemsichdiePersonenwiedieAtomeinderphysischen Welt selbstständig aufeinander beziehen. In diesem System derPersonentrittdieBesonderheitdesGeistes inderRealisierungderbesonderenFreiheitundderSelbstständigkeiteinerPersonhervor.DiesittlicheFreiheit,diedurch die sittlicheEinheit desGeistes in der Familie bestimmtwird,wird hierkonkreter realisiert in der Vervollständigung der besonderen Freiheit und derSelbstständigkeiteinerPerson.WenneinekonkretePerson inderbürgerlichenGesellschaftihrebesondereFreiheitundihreSelbstständigkeitzurVollständigkeitbringen möchte, muss sie auch die Vermittlung der Allgemeinheit des Geistesannehmen.DenndiekonkretePerson istzumindestvondemgesellschaftlichenSystemselbstderartbedingtundsovermittelt,dassnurinnerhalbdiesesSystemssienachihrerFreiheitundihrerSelbstständigkeitzusuchenvermag.NachHegelistdieVervollständigungderbesonderenFreiheitundderSelbstständigkeitohnedie Vermittlung der Gesellschaft, die sich als allgemeiner Zusammenhang allergesellschaftlichenBesonderheitengeltendemacht,unmöglich.Unddas,wasdieselbstständigen freien Personen zu einem gesellschaftlichen Systemzusammensetzt, gehört zu der Wirklichkeit des allgemeinen Geistes in derSittlichkeit.EsistderallgemeineGeistinderSittlichkeit,derdiesittlicheSubstanz„zu einem allgemeinen, vermittelnden Zusammenhang von selbstständigenExtremenundvonderenbesonderenInteressen“117 verwandelt.WennsichderallgemeineZusammenhanginderbürgerlichenGesellschaftzudervollständigenTotalitätdesFreiheitsbegriffsentwickelt,soerreichtdiebürgerlicheGesellschaftdieÄußerlichkeitdesallgemeinwirklichenGeistes.WarumnurdieÄußerlichkeitdesallgemeinwirklichenGeistes?WeildiebürgerlicheGesellschaft,dieausderVielheitderkonkretenPersonenbesteht,nicht inderLage ist,aufdiekonkretePersonzuverzichten.DenndafürmusssienochdieZufälligkeitunddieWillkürder Besonderheit ertragen, sodass sie die allgemeineWirklichkeit des Geistesformell und inhaltlich nicht in der Notwendigkeit zu begründen vermag. DiebürgerlicheGesellschaftistnur„dierelativeTotalitätderrelativenBeziehungender Individuen als selbstständiger Personen aufeinander in einer formellen

116 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 523, S.405,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§523,S.519,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.117 „DieSubstanzwirdaufdieseWeisenurzueinemallgemeinen,vermittelndenZusammenhangevon selbstständigen Extremen und von deren besonderen Interessen; die in sich entwickelteTotalitätdiesesZusammenhangsistderStaatalsbürgerlicheGesellschaftoderalsäußererStaat.“,Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§523,S.405,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§523,S.519,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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Allgemeinheit“118.FürHegelistnurderOrt,andemderGeisterstseineallgemeineWirklichkeitinihrernotwendigenFormundinihremwahrhaftenInhaltoffenbart,der angemessene Ort für den Staatsbegriff. In diesem Sinne tritt in derbürgerlichenGesellschaft zwar eineGestalt derAllgemeinheit des Staatsbegriffauf, aberdieseGestalt ist nachHegelnur als „der äußereStaat“, der „Not-undVerstandesstaat“119 zuverstehen. Es sei angemerkt, dassHegel die gesamteBewegung derBegriffsmomente derbürgerlichenGesellschaftalseinenVorgangbezeichnet,durchdenesgelingt,„dieEinzelheit und Natürlichkeit derselben (sc. der Mitglieder der bürgerlichenGesellschaft) durch die Naturnotwendigkeit ebenso als durch die Willkür derBedürfnissezurformellenFreiheitundformellenAllgemeinheitdesWissensundWollenszuerheben,dieSubjektivitätinihrerBesonderheitzubilden“120.DiehierzubildendeSubjektivitätmussvonderreinenSubjektivitätdesSubjekts inderMoralität unterschieden werden. Jene ist erst die reine Subjektivität desFreiheitsbegriffs, des Geistes. Erst in dieser Subjektivität kann der Geist seineEntzweiung in der bürgerlichenGesellschaft als seinennotwendigen Schritt zuseinerallgemeinenWirklichkeiterkennen:„DerGeisthatseineWirklichkeitnurdadurch,daßersichinsichselbstentzweit,indenNaturbedürfnissenundindemZusammenhange dieser äußeren Notwendigkeit sich diese Schranke undEndlichkeitgibtundebendamit,daßersichinsiehineinbildet,sieüberwindetund darin sein objektivesDasein gewinnt.“ 121 Im Sinne der Bildung derSubjektivitätdesGeistesschildertHegeldenbesagtenVorgangderbürgerlichenGesellschaftnäherals„dieArbeitderhöherenBefreiung“122 desGeistesvonsichselbst, nämlich als die Arbeit, den Geist von der unmittelbaren natürlichenSubstanzderSittlichkeitzu ihrergeistigenSubstanzzubefreien.DieArbeitder

118 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 517, S.404,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§517,S.517,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.119 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §183, S.182,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§183,S.160,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.120 „Das Interesseder Ideehierin, dasnicht imBewußtseindieserMitgliederderbürgerlichenGesellschaftalssolcherliegt,istderProzeß,dieEinzelheitundNatürlichkeitderselbendurchdieNaturnotwendigkeit ebenso als durch die Willkür der Bedürfnisse zur formellen Freiheit undformellen Allgemeinheit des Wissens und Wollens zu erheben, die Subjektivität in ihrerBesonderheitzubilden.“Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§187,S.185,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§187,S.162,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.121 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§187,S.185,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§187,S.163,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.122 „DieBildungistdaherinihrerabsolutenBestimmungdieBefreiungunddieArbeitderhöherenBefreiung,nämlichderabsoluteDurchgangspunktzudernichtmehrunmittelbaren,natürlichen,sondern geistigen, ebenso zur Gestalt der Allgemeinheit erhobenen unendlich subjektivenSubstantialitätderSittlichkeit.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§187, S.186, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14,Anmerkungzu§187,S.163,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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BefreiungdesGeistesisthart.DennsieistkeinebloßgedanklicheArbeitgegendieabstrakten Bestimmungen des Geistes, sondern eine wirkliche Arbeit an derkonkreten Person und ihren konkreten Bestimmungen in der bürgerlichenGesellschaft:Sierichtetsich„gegendiebloßeSubjektivitätdesBenehmens,gegendie Unmittelbarkeit der Begierde sowie gegen die subjektive Eitelkeit derEmpfindungunddieWillkürdesBeliebens“123,umdieselbstständigefreiePersoninderbürgerlichenGesellschaftzurfreienSubjektivitätdesallgemeinenGeistesindergesamtenSittlichkeitzuentwickeln,nämlichvomgesellschaftlichenBürgeralsPrivatpersonzumBürgerdesStaats. Nach dem Prinzip der Besonderheit ist der erste Charakter der bürgerlichenGesellschaftdieRealisierungderVielheitdersittlichenSubstanzinderkonkretenPerson.IndieserRealisierungderVielheitverbirgtsichdieEinheitdesGeistsindemZusammenhangdergesellschaftlichenBestimmungenfürdieselbständigenfreienPersonen.DiebürgerlicheGesellschaftstelltsichalsdieendlicheSphäredar,inderdieselbständigenfreienPersonen„nichtdieabsoluteEinheit,sondernihreeigene Besonderheit und ihr Fürsichsein in ihrem Bewusstsein und zu ihremZweckhaben“124.DiePersonen,diedieFreiheitnurimSinnederSelbstständigkeitverstehen,erscheinenhierbeizunächst„alsdasgegendasAllgemeinedesWillensüberhauptBestimmte“125.JedederselbständigenfreienPersonendenktnurdaran,ihreeigenenBedürfnissezubefriedigen.NachHegelistebenfürdiesePersonendie Arbeit der Befreiung des Geistes an ihnen selbst nötig, sonst wird dieallgemeineFreiheitinderBesonderheitderPerson,insbesondereinderWillkürdes handelnden Subjekts verfallen, das seine eigene Bestimmung immer alsallgemeine Bestimmung der Freiheit behaupten und solche Behauptungrealisierenwill.AmAnfangderEntwicklungderBesonderheit derFreiheit erkenntHegel: „Die

123 „DieseBefreiungistimSubjektdieharteArbeitgegendiebloßeSubjektivitätdesBenehmens,gegendieUnmittelbarkeitderBegierdesowiegegendiesubjektiveEitelkeitderEmpfindungunddieWillkürdesBeliebens.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§187,S.186,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§187,S.163,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.124 „DieSubstanz,alsGeist sichabstrakt invielePersonen (dieFamilie istnurEinePerson), inFamilienoderEinzelnebesondernd,dieinselbstständigerFreiheitundalsBesonderefürsichsind,verliertzunächst ihresittlicheBestimmung, indemdiesePersonenalssolchenichtdieabsoluteEinheit,sondernihreeigeneBesonderheitundihrFürsichseininihremBewußtseinundzuihremZwecke haben, – das System der Atomistik.“, Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§523,S.405,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§523,S.519,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.125 „DieBesonderheitzunächstalsdasgegendasAllgemeinedesWillensüberhauptBestimmteistsubjektivesBedürfnis,welchesseineObjektivität,d. i.BefriedigungdurchdasMittelα)äußererDinge,dienunebensodasEigentumundProduktandererBedürfnisseundWillensind,undβ)durchdieTätigkeitundArbeit,alsdasdiebeidenSeitenVermittelnde,erlangt.“,Hegel,Grundliniender Philosophie des Rechts, § 189, S.188, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel,GesammelteWerke,Band14,§189,S.165,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Besonderheit der Personen begreift zunächst ihre Bedürfnisse in sich.“126 Dasbedeutet nicht nur einfach, dass die Besonderheit der Personen auf ihreBedürfnisse verweist. Mehr noch deutet es darauf hin, dass die besonderenPersonen der Freiheit mit ihrer subjektiven Einsicht darin beginnen, dass dieallgemeineFreiheitmitihrerBesonderheitidentischseinsoll,unddas,wasihreBesonderheitvertritt, ihrebesonderesBedürfnis ist.DiesubjektiveFreiheitderbesonderenPerson–ihrfreierWilleundeigenerZweck–istdieVoraussetzungihrer begrifflichen Entwicklung in der Sittlichkeit. Jedes der besonderenBedürfnissesollsichzunächstdemfreienWillenderbesonderenPersonnachsoweit wie möglich bis zu seiner einzelnen Vollständigkeit entwickeln, damit indieserVollständigkeitdiePersonihrebesondereFreiheitzumVorscheinbringenkann.HiergliedertsichderallgemeineGeistindiebesonderenBedürfnissederPersonenauf.AberindiesenBedürfnissenisterdurchdieseAbsonderungnichtinsNichtsverschwunden.VielmehrwirderdarinzueinemverborgenenGeist,derunterdenmannigfaltigerscheinendenBedürfnissenundderenBefriedigungnocheineAllgemeinheitalswesentlicheBestimmungdarzustellenvermag,damitdieVernunft die mannigfaltigen Bedürfnisse zu Gegenständen ihrer Erkenntnismachenkann.DiebestimmendeWirkungdesverborgenenallgemeinenGeistesdemonstriert Hegel: „Indem sein Zweck die Befriedigung der subjektivenBesonderheitist,aberinderBeziehungaufdieBedürfnisseunddiefreieWillküranderer die Allgemeinheit sich geltend macht, so ist dies Scheinen derVernünftigkeitindieseSphärederEndlichkeitderVerstand,dieSeite,aufdieesinderBetrachtungankommtundwelchedasVersöhnendeinnerhalbdieserSphäreselbst ausmacht.“127 Die Befriedigung der Bedürfnisse ist zwar ein subjektiverZweck in der Welt der atomistischen besonderen Personen, muss sich aberunausweichlich auf die objektiven gesellschaftlichen Zusammenhänge hinterdieserWeltbeziehen,nämlichaufdieAllgemeinheitdesverborgenenGeistes.

126 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 524, S.406,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§524,S.519,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.127 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §189, S.188,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§189,S.165,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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2.4DasSystemderBedürfnisse

DievonHegelsobezeichneteendlicheSphärezwischendeninderBesonderheitauftretendenPersonenunddemsichalsverborgenzeigendenGeististdasSystemder Bedürfnisse. Nach Hegel stellt sich dieses System in drei aufeinanderfolgenden Momenten dar: zunächst in der „Art des Bedürfnisses und derBefriedigung“,danninder„ArtderArbeit“undschließlichin„demVermögen“unddemUnterschiedderStände. In der Art der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung unterscheidet Hegel dasBedürfnis und dessen Befriedigung der selbstständigen freien Personen in derGesellschaftvondemBedürfnisdesnatürlichenMenschenunddesTieres.Denndie Person, die mit einer subjektiven Einsicht die Entwicklung seinerBesonderheitanfängt,hatsichalsdiebesondereGestaltdesBegriffsdesGeistes128schonvonderäußerlichenNaturbefreit.InHinblickaufdasBedürfnisunddessenBestimmungenliegtdieBefreiungdesMenschenvonderäußerlichenNaturdarin,die Abhängigkeit von den natürlichen Beschränkungen des Bedürfnisses zuüberwinden.FürHegelspieltdieseÜberwindungdieentscheidendeRolleinderUnterscheidungdesMenschenvomTier:„DasTierhateinenbeschränktenKreisvon Mitteln und Weisen der Befriedigung seiner gleichfalls beschränktenBedürfnisse. Der Mensch beweist auch in dieser Abhängigkeit zugleich seinHinausgehen über dieselbe und seine Allgemeinheit, zunächst durch dieVervielfältigung der Bedürfnisse und Mittel und dann durch Zerlegung undUnterscheidungdeskonkretenBedürfnissesineinzelneTeileundSeiten,welcheverschiedene partikularisierte, damit abstraktere Bedürfnisse werden.“ 129Aufgrund der geistigen Freiheit des Menschen hat die Person unbedingt dieFähigkeit,außerdenvonderNaturgegebenenMaterialienneueMittelundWeisenfürdieBefriedigungihrerBedürfnisseherauszufinden,odersogarzuerfinden.Mitdiesem„Hinausgehen“überdieAbhängigkeitdernatürlichenBedürfnissedeutetHegelerneutdaraufhin,dassdieIdeederFreiheit–derfreieWilleunddessenEntwicklung im abstrakten Recht und in der Moralität– die begrifflichunausweichlicheVoraussetzungzurEntwicklungderbesonderenPerson inderbürgerlichenGesellschaftsei.EsistdieRedevondersichihrereigenenFreiheitund deren subjektiven Entwicklung bewusst seienden Person, die durch dieVervollständigung ihrer Selbständigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft ihr128 SieheHegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§381–§382,S.313-314,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§381–§382,S.392,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.DerGeistbeschäftigtsichnurmitdem,waszumBegriffselbstgehört.AlsabsoluteNegativitätdesBegriffsnimmtderGeistdieAufgabe,dieunmittelbareÄußerlichkeitunddieäußerlicheObjektivitätdesBegriffsinderNaturzunegieren,umdamitdenBegriffinsichselbstzurückzuwenden.129 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §190, S.189,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.

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besonderes bzw. subjektivesWissen von der allgemeinen Freiheit als objektivbestätigenlassenwill. Esseiangemerkt,wieHegelamAnfangdesSystemsderBedürfnissedieFähigkeitderfreienPerson,dienatürlicheBeschränktheitderBedürfnissezuüberwinden,konkret in zwei Weisen ihrer Tätigkeiten darstellt 130 , nämlich in der„Vervielfältigung der Bedürfnisse und Mittel“ und in der „Zerlegung undUnterscheidungdeskonkretenBedürfnisses ineinzelneTeileundSeiten“.Diesebeiden Weisen machen wesentlich den ersten Schritt der Befriedigung derBedürfnisseinderbürgerlichenGesellschaftaus.IndemdiePersonihrerFreiheitnach ihr unmittelbares Bedürfnis vervielfältigt, es nach einzelnen bestimmtenBedürfnissenunterscheidetundderenBefriedigungderartausführt,dasssieeinangemessenesMittelfürjedesdereinzelnenBedürfnisseherausfindet,wirddasunmittelbare Bedürfnis zuerst aus seiner natürlichen Unbestimmtheit zubestimmtenBedürfnissen aufgehoben. Da das Bedürfnis desMenschen seinemnatürlichen Ursprung nach ein unendliches ist, kann die Person sodann dieVervielfältigungunddieUnterscheidungderBedürfnissezueinemunendlichenVorgang machen, der die Art der Bedürfnisse und deren Befriedigung zurUnendlichkeitbringt.ImHinblickaufdieBefreiungdesMenschenmachtHegelamAnfangdesSystemsderBedürfnissedeutlich,dassdiebesonderePersonaufgrundihrer Freiheit sowohl die Unbestimmtheit als auch die Endlichkeit ihrernatürlichenBedürfnisseundderenBefriedigungüberwindet.Das Vervielfältigen und das Unterscheiden als die beiden Weisen derÜberwindungdernatürlichenBeschränktheitderBedürfnisseberuhenaufdenFähigkeitendesAbstrahierensunddesAnalysierens.Esgehtdabeiumdiejenigeallgemeine Abstraktion des Bedürfnisses der Person, die üblicherweise zumVerstandesvermögendesMenschen gehört. JeneFähigkeitendesAbstrahierensund des Analysierens erweisen sich, so Hegel, eben als die Bestimmung desverborgenenallgemeinenGeistes: „IndieBesonderheitderBedürfnissescheintdie Allgemeinheit zunächst so, daß der Verstand an ihnen unterscheidet unddadurch sie selbst wie die Mittel für diese Unterschiede ins Unbestimmtevervielfältigt und beides immer abstrakter macht.“ 131 Die besonderenBedürfnisse und die besondere Freiheit der Personwerden insofern durch dieAbstraktiondesGeisteszurabstrakterenSacheinderbürgerlichenGesellschaftfortentwickelt.DieabstraktereSache,unterderHegeldieseBedürfnissebegreift,ist nichts anderes als die Bestimmung des gesellschaftlichen Bedürfnisses. Siebieteteinehöhere,allgemeineVorstellungvondemmenschlichenBedürfnisan. 130 Ebd.131 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 525, S.406,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§525,S.520,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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MitdieserallgemeinenVorstellungbringtdieBestimmungdesgesellschaftlichenBedürfnisses als abstraktere SachediebesonderePersonweiterdazu, dassdiePerson über ihre subjektive endliche Vorstellung vom Bedürfnis in dieAllgemeinheitdesGeisteseintritt.DafürnimmtdiePersondieAbstraktionskraftdes allgemeinen Geistes in sich auf und erkennt die Abstraktion als eigeneBestimmung. Hegel folgert daraus: „Die Abstraktion, die eine Qualität derBedürfnisseundderMittelwird,wirdaucheineBestimmungdergegenseitigenBeziehungderIndividuenaufeinander;dieseAllgemeinheitalsAnerkanntseinistdasMoment,welchessieinihrerVereinzelungundAbstraktionzukonkreten,alsgesellschaftlichen,Bedürfnissen,MittelnundWeisenderBefriedigungmacht.“132DurchdieAbstraktionskraftsolldiePersonerkennen,dassdieBefriedigungderBedürfnisse der Person nichtmehr deren private Sache sein soll. Vielmehr seidiese Befriedigung eine gemeinschaftliche Sache mehrerer, die ohne dieallgemeine Vermittlung des gesellschaftlichen Zusammenhanges mit anderenPersonen und deren einschlägigen Bestimmungen nicht ausführbar ist. Hegelstellt fest: „Die Möglichkeit der Befriedigung derselben ist hier in dengesellschaftlichenZusammenhanggelegt,welcherdasallgemeineVermögen ist,ausdemalleihreBefriedigungerlangen.“133 DeswegensollsichdiePersonbeiderBefriedigung ihrer Bedürfnisse nicht mehr nur als selbständig und frei vonanderen Bestimmungen der Sittlichkeit erweisen. Um des gesellschaftlichenZusammenhangswillenmuss die Person vielmehr zu anderen Personen in einVerhältniseintretenunddamitzudemgesellschaftlichenMenschenwerden.MitderBestimmungdes gesellschaftlichenMenschenerhebtHegeldiePersonerstaus der Begrenztheit ihrer atomistischen Besonderheit zum Mitglied derbürgerlichen Gesellschaft. Als solches Mitglied ist die Person„Bürger“ („bourgeois“)134. SiemussBestandteilder sittlichenSubstanzwerden.Dies ist eine der notwendigen Bestimmungen der Person als Mitglied derbürgerlichenGesellschaft.GeradedurchdiesenotwendigeBestimmungkanndiePerson die Anerkennung der allgemeinen Geltung des Eigentums und dieAnerkennungdesRechtsandererPersonenalsdieangeborenenBestimmungendes bürgerlichen Lebens in sich integrieren. Mit solcher Integration wird diePerson,diedengesellschaftlichenZusammenhangerkenntunddessenobjektiveWirklichkeit anerkennt, freier als der seinen natürlichen Bedürfnissen

132 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §192, S.190,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§192,S.166,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.133 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 524, S.406,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§524,S.519-520,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.134 „Im Rechte ist der Gegenstand diePerson, im moralischen Standpunkt dasSubjekt, in derFamiliedasFamilienglied,inderbürgerlichenGesellschaftüberhauptderBürger(alsbourgeois)–hier auf dem Standpunkte der Bedürfnisse ist es das Konkretumder Vorstellung, dasmanMenschnennt; es ist also erst hier und auch eigentlich nur hier vomMenschenin diesemSinnedieRede.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§190,S.189,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§190,S.166,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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nachhängendeMensch.DenndieserMenschverharrtnochinseinerNatürlichkeitundweiß sich der Abstraktionskraft des Geistes nicht zu bedienen. Deswegenvermag er seineBedürfnisse von derenNatürlichkeit nicht zu abstrahieren. Soversteht Hegel die Arbeit der Befreiung des Geistes als die Erhebung derbesonderen Person zu dem gesellschaftlichen Menschen, dem Bürger. DieseErhebung befreit den Menschen von seiner Besonderheit: „Indem imgesellschaftlichen Bedürfnisse, als der Verknüpfung vom unmittelbaren odernatürlichenundvomgeistigenBedürfnissederVorstellung,dasletzteresichalsdasAllgemeinezumÜberwiegendenmacht,soliegtindiesemgesellschaftlichenMomente die Seite der Befreiung, daß die strenge Naturnotwendigkeit desBedürfnisses versteckt wird und der Mensch sich zu seiner, und zwar einerallgemeinenMeinungundeinernurselbstgemachtenNotwendigkeit,stattnurzuäußerlicher,zuinnererZufälligkeit,zurWillkür,verhält.“135. InHinblickaufdiesittlicheEntwicklungderPersonundderenBeschränktheitaufdiebesondereFreiheiterkenntHegel,dassdieBefreiungderbesonderenPersonetwas Begrenztes bleibt: „die Befreiung des Menschen ist formell, indem dieBesonderheit der Zwecke der zugrunde liegende Inhalt bleibt.“ 136 Wenn diePersondieBefriedigungihrerBedürfnissealsdeneinzigenZweckihrerTätigkeitinderbürgerlichenGesellschaftbegreift,verstehtsienichtdenallgemeinenZweckder Sittlichkeit, der im gesellschaftlichen Bedürfnis und in der gesamtenmenschlichenProduktionbesteht.NurimSinnedesgesellschaftlichenMenschenkannHegeldieVereinigungderBesonderheitderFreiheitmitderenAllgemeinheitalsnotwendigeEntwicklungderPersonbezeichnen:AlsgesellschaftlicherMensch,alsfreierBürger,mussdiePersondieVervollständigungihrerBedürfnisseunddieRealisierungihrerbesonderenFreiheitmitderEntwicklungderSittlichkeitundmitderVerwirklichungderallgemeinenFreiheitversöhnen,damitsiesichalseinDaseindersittlichenSubstanzzeigenundzugleichaussichherausdieallgemeineFreiheiterweisenkann.OhnedieVereinigungdesbesonderenZwecksderPersonmitdemallgemeinenZweckderSittlichkeitwürdemanverkennen,dasssichdieBefriedigungderBedürfnissenichtmehraufdieBefreiungvonihnen,sondernaufden Luxus richtet, der, so Hegel, nur eine „unendliche Vermehrung derAbhängigkeitundNot“137 ist. Nach einer näheren Begründung fordert Hegel angesichts der Einsicht in die

135 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §194, S.190,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§194,S.167,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.136 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §195, S.191,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§195,S.167,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.137 „...derLuxusisteineebensounendlicheVermehrungderAbhängigkeitundNot,welcheesmiteiner den unendlichenWiderstand leisten – denMaterie, nämlichmit äußernMitteln von derbesonderenArt,EigentumdesfreienWillenszusein,demsomitabsolutharten,zutunhat.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §194, S.190,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§194,S.167,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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notwendigeEntwicklungderPersondieVereinigungdesbesonderenZwecksderPersonmitdemallgemeinenZweckderSittlichkeit.WeilsichinderbürgerlichenGesellschaftderZweckderPersonimmeraufdieBedürfnisbefriedigungbezieht,geht Hegel der Befriedigung der Bedürfnisse auf den Grund, um dabei dieseVereinigungalsnotwendigebegründenzukönnen.DieArbeitderPersonbegreiftHegelalsdenGrundfürdieBefriedigungderBedürfnisse.DennalsmenschlicheTätigkeit ist die Arbeit der wirkliche Ursprung für die Herstellung vonGegenständen der Bedürfnisse; sie bringt die Mittel für die Befriedigung derBedürfnisse hervor. Die Arbeit ist, so Hegel, „die Vermittlung, denpartikularisiertenBedürfnissenangemessene,ebensopartikularisierteMittelzubereitenundzuerwerben“138.DasVervielfältigenunddasUnterscheiden,welchebeide als Fähigkeiten der Person zur Abstraktion der Bedürfnisse führen,konkretisierensichdemnachalsdieBereitstellungunddenErwerbderMittelinder Arbeit. So wie sich die Entfaltung der Bestimmungen der Arbeit in derwirtschaftlichenWirklichkeitdarstellt,somanifestiertderverborgeneGeistseineAbstraktionskraft im System der Bedürfnisse durch das „Bereiten“ und das„Erwerben“.DiesebeidensinddiewirklichenTätigkeitenderPersonalsArbeiter,andemsichderallgemeineZweckderSittlichkeiterstmitdembesonderenZweckderPersonverbindet. Die Entfaltung der Bestimmungen der Arbeit bezeichnet Hegel deren Artentsprechend. Die Art der Arbeit macht das zweite Moment des Systems derBedürfnisseaus.DiesesMomentistdieSphärederabstrahierendenVermittlungdesGeistes,diedenbesonderenZweckderPersonzumallgemeinenZweckderSittlichkeit erhebt. Nach Hegel ist trotz der untilgbaren Tätigkeiten derbesonderenPersondieArbeitimWesentlicheneine„Formierung“139,nämlichinFormderAbstraktiondesGeistes,fürdieMittelzurBefriedigungderBedürfnisse.DiesoverstandeneArbeitvermitteltzwischenderallgemeinenBestimmungderSittlichkeitunddembesonderenZweckderPerson.InderArbeitverwandeltderGeistdurchdieAbstraktiondieunmittelbargegebeneMateriederNaturindas,was Hegel als den einzig durch den Geist qualifizierten Gegenstand für dasBedürfnisderPersonbestimmt,nämlichdasEigentum. InderFormierungzumEigentumgibtdieArbeit„demMitteldenWertundseineZweckmäßigkeit,sodaßder Mensch in seiner Konsumtion sich vornehmlich zu menschlichen

138 „DieVermittlung,denpartikularisiertenBedürfnissenangemessene,ebensopartikularisierteMittelzubereitenundzuerwerben,istdieArbeit,welchedasvonderNaturunmittelbargelieferteMaterial für diese vielfachen Zwecke durch die mannigfaltigsten Prozesse spezifiziert.“, Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §196, S.191,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§196,S.168,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.139 „DieseFormierunggibtdemMitteldenWertundseineZweckmäßigkeit,sodaßderMenschinseiner Konsumtion sich vornehmlich zu menschlichen Produktionen verhält und solcheBemühungenes sind,die erverbraucht“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §196,S.192,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§196,S.168,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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ProduktionenverhältundsolcheBemühungenessind,dieerverbraucht“140.DasEigentuminseinerZweckmäßigkeitunddemWertalsMittelzuBefriedigungderBedürfnisseistdieBestimmungdesGeistes.DiePersonhatnichtsanderesalsdasGeistigezumGegenstandderBefriedigungihrerBedürfnisse.DieproduzierendePersonerwirbtdurchdieArbeitkeinegegebenenDingefürihrenprivatenGenuss.Vielmehr produziert sie aus den gegebenenDingen das Eigentum, das sich alsBegriff der Freiheit aus den allgemeinen Bestimmungen des Geistes ergibt.Deswegen ist wichtig für Hegel, dass der Sinn der Arbeit nicht nur in derSpezifizierung der Mittel und der Bedürfnisse, sondern auch in derHervorbringung der Gegenstände liegt. Im Eigentum der Bürger erfüllen dieseGegenständezugleichdieVervollständigungderBesonderheitderPersonunddieVerwirklichung der Allgemeinheit der Sittlichkeit. Für die notwendigeEntwicklungderPerson istdieArtderArbeitdasMoment, indemdiemitderArbeit beschäftige konkrete Person zwar ihren subjektiven Zweck sieht, ihrebesonderen Bedürfnisse zu befriedigen, dabei aber auch kraft derAbstraktionskraft des allgemeinen Geistes das Allgemeine und das Objektiveherausfindet. DieAbstraktionskraftdesGeistesprägtdieBesonderheitderPersoninderArbeitderart,dasssiediePersonalsabstraktenfreienBürgerzumbestimmtenBürgerderbürgerlichenGesellschaftformt.ErstalsbestimmterBürgerbringtdiePersondurchihrewirklichenTätigkeiteninderArbeitdieVereinigungdesbesonderenZwecksderPersonmitdemallgemeinenZweckderSittlichkeitzumVorschein.DieBildung des bestimmten Bürgers basiert auf der Funktion der Arbeit zurSpezifizierung, wobei die Arbeit „das von der Natur unmittelbar gelieferteMaterial für diese vielfachen Zwecke durch die mannigfaltigsten Prozessespezifiziert“141.DiesemannigfaltigenProduktederArbeit sinddieGegenständederBefriedigung.SiedienenalsdieaustauschbarenMittelderBefriedigungderBedürfnisseandererPersonenoderdesgesellschaftlichenBedürfnisses,nämlicheinemallgemeinerenZweckalsdembloßsubjektivenZweckeinerPerson.FürdenallgemeinerenZweckverlangtdieArbeitvonderPerson,derenabstraktesfreiesLeben in den wirklichen Produktionsprozess eines konkreten Mittelseinzubringen. Die Person bestimmt sich durch ihre Arbeitstätigkeit als einbestimmterBürger,derdaswirklicheLebendesgesellschaftlichenMenschensogestalten soll, wie es die geistige Abstraktionskraft der Arbeit den wirklichenMenschen allgemein abfordert, nämlich ihn an die Arbeit zu gewöhnen. Hegelstelltfest:„DieGewohnheitdieserAbstraktionimGenusse,Kenntnis,WissenundBenehmenmachtdieBildungindieserSphäre,–überhauptdieformelleBildungaus“142.DiePersonbildetsichinsoferndurchdieAbstraktionskraftdesGeistesin140 Ebd.141 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §196, S.191,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§196,S.168,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.142 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 525, S.406,

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derArbeitzueinemArbeiteraus,derjenebegrifflicheIdentitätderPersonist,dieinderWirklichkeitderbürgerlichenGesellschaftdieBesonderheitderPersonmitdergeistigenAllgemeinheitdesgesellschaftlichenMenschenvereinigt. In der geistigen Allgemeinheit des gesellschaftlichen Menschen in der ArbeitbrichtdiePersonalsArbeiterdieBeschränktheit ihrerbesonderenBedürfnisseauf.SiemussansichselbstdietheoretischeunddiepraktischeBildungderArbeitannehmen, um die durch die Arbeit hervorgebrachte Allgemeinheit derbürgerlichen Gesellschaft in den Griff zu bekommen. Mit theoretische BildungbringtsichdiePersondieallgemeineErkenntnisdeshöherenVerstandesinderArbeitbei,damit ihrDenkensichvon ihrereigenenbegrenztenBesonderheit–ihrem natürlichen Talent und ihrer angeborenen Körperbedingung – zu demAllgemeinenunddemObjektivenindermenschlichenProduktionwendet.IndertheoretischenBildungentwickeltsichfürdasDenkenderPerson„nichtnureineMannigfaltigkeit von Vorstellungen und Kenntnissen, sondern auch eineBeweglichkeit und Schnelligkeit des Vorstellens und Übergehens von einerVorstellungzuanderen,dasFassenverwickelterundallgemeinerBeziehungen“143. DurchdiepraktischeBildunggewinntdiePersoneinekonkreteSubstantialitätderVereinigungderbesonderenZweckemitdemallgemeinenZweckderSittlichkeit,nämlichdieGewohnheitderArbeit. IndieserGewohnheitkanndiePersondasMusterihressubstantiellenLebensinderArbeit–dieArtihrerArbeitsfähigkeitenundihrerBedürfnisse–fürdieseVereinigunggestalten.AufsolcheGestaltungdespersönlichen Lebens in der Arbeit hin stellt sich die praktische Bildung 144zunächst als „das sich erzeugende Bedürfnis und die Gewohnheit derBeschäftigung“dar,sodannalsdie„Beschränkung”,die„Zucht“,imTunderPerson,schließlichals eine „durchdieseZucht sicherwerbendeGewohnheitobjektiverTätigkeitundallgemeingültigerGeschicklichkeiten“.BeiderpraktischenBildungderArbeithandeltessichumdieallgemeineAbhängigkeitderPersonalseinesfreienBürgers vonder objektivenAnforderung, die sich ausdemnotwendigenZusammenhang des bestimmten Bürgers mit der sittlichen Substanz ergibt.FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§525,S.520,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.143 „AnderMannigfaltigkeitderinteressierendenBestimmungenundGegenständeentwickeltsichdie theoretische Bildung, nicht nur eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen und Kenntnissen,sondern auch eine Beweglichkeit und Schnelligkeit des Vorstellens und Übergehens von einerVorstellung zu anderen, das Fassen verwickelter und allgemeiner Beziehungen.“, Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §197, S.192,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§197,S.168,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.144 Siehe„–DiepraktischeBildungdurchdieArbeitbestehtindemsicherzeugendenBedürfnisundderGewohnheitderBeschäftigungüberhaupt,dannderBeschäftigungseinesTuns,teilsnachderNaturdesMaterials,teilsabervornehmlichnachderWillküranderer,undeinerdurchdieseZucht sich erwerbenden Gewohnheit objektiver Tätigkeit und allgemeingültigerGeschicklichkeiten“, Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 197, S.192, Felix MeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§197,S.168,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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DemgegenüberbeziehtsichdietheoretischeBildungaberaufdieErhebungdesDenkensderPersonzudemallgemeinenVerstand,dennurderverborgeneGeistin seiner Allgemeinheit gewähren kann. Die beiden Bildungen machen dieEntwicklungdesSubstantiellenderbesonderenPersonaus.MitdiesenBildungenbefreit sich die selbstständige Person von der begrenzten Besonderheit ihrerBedürfnisse und Freiheit. Sie kann sich damit als ein freies Substantielles dergeistigenAllgemeinheit,nämlichalseinfreierBürgerinderSittlichkeitsetzen. DieArbeit,dievonderPerson,diesichihrerFreiheitnachalsbestimmterfreierBürger bestimmt, aufgenommenwird, entwickelt sich selbst ebenso durch dieAbstraktionskraft des Geistes zu einer abstrakteren Vollstellung von derAllgemeinheit der sittlichen Wirklichkeit. Diese Vorstellung umfasst alleBestimmungenderverschiedenenArtenderArbeit.SieabstrahiertalldieseArtenin ein allgemeines Verhältnis, nämlich in die Wechselbeziehung zwischen dermenschlichen Produktion und Konsumtion. Diese Wechselbeziehung ist dasgrundlegende Verhältnis der Wirtschaft der bürgerlichen Gesellschaft. Alsmenschliche Produktion macht die Arbeit die allgemeine Spezifizierung derProdukte und die allgemeine Teilung der Arbeit zum konkreten Inhalt dersittlichenSubstanz.DiemenschlicheProduktionzieltnichtaufdieBefriedigungderBedürfnisseeinerkonkretenPerson,sondernaufdiemenschlicheKonsumtion,die zugleich das besondere und das allgemeine Bedürfnis in der Arbeit derGesellschaft umfasst. Das Verhältnis zwischen den Bedürfnissen und derenBefriedigung bestimmt Hegel insofern als Wechselbeziehung zwischen dermenschlichenProduktionunddermenschlichenKonsumtioninderArbeit.DieseWechselbeziehungbestimmtdieBefriedigungderBedürfnisse, den subjektivenZweck der besonderen Person derart, dass sie in dieser Befriedigung mit derZweckmäßigkeit der Produkte für die Bedürfnisse umgeht. In dieserWechselbeziehung verhält sich die Person vornehmlich zur menschlichenProduktion.DennebendenProduktionstätigkeitenwidmetdiebesonderePersonhauptsächlich ihre besondere Freiheit und das Element ihres substantiellenLebens,wennsiedieseFreiheitunddiesesLebenzuvervollständigensucht.Hegelerkennt,dassdiewirklicheDarstellungderVereinigungderBesonderheitderPersonmitderAllgemeinheitdesGeistesindenProduktionstätigkeitenderPersonenliegt.WeildieWechselbeziehungzugleichdieAllgemeinheitdesGeistesund die Besonderheit der besonderen Bedürfnisse umfasst, haben dieseTätigkeiten zwei Seiten in sich: „Die damit zugleich abstraktere Arbeit führteinerseits durch ihre Einförmigkeit auf die Leichtigkeit der Arbeit und dieVermehrung der Produktion, andererseits zur Beschränkung auf EineGeschicklichkeit und damit zur unbedingtern Abhängigkeit von demgesellschaftlichen Zusammenhange.“ 145 Auf jener Seite entwickeln die145 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 526, S.406,

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Produktionstätigkeiten die besondere Freiheit der Person zu der unendlichenMöglichkeitderKonsumtiondesfreienBürgers;sievermehrendieGegenständefürdieBefriedigung ihrerBedürfnisse,dieProdukte,undtrennendieabstrakteHerstellung dieser Produkte durch die Teilung der Arbeit weiter in dieverschiedenen Arten der menschlichen Produktion und in die verschiedenenProduktionsprozesse. Auf dieser Seite beschränken aber dieProduktionstätigkeiten der Personen die Verwirklichung dieser unendlichenMöglichkeit aufdie vondemallgemeinenVermögenderGesellschaft begrenzteProduktion; diese Tätigkeiten müssen die Maßgabe der allgemeinengesellschaftlichenProduktionannehmenunddenAnforderungenderKonsumtionandieserProduktionentsprechen.SoerkenntHegel:„DasArbeitendesEinzelnenwird durch die Teilung einfacher und hierdurch die Geschicklichkeit in seinerabstrakten Arbeit sowie die Menge seiner Produktionen größer. Zugleichvervollständigt diese Abstraktion der Geschicklichkeit und des Mittels dieAbhängigkeitunddieWechselbeziehungderMenschenfürdieBefriedigungderübrigenBedürfnissezurgänzlichenNotwendigkeit.“ 146 An den beiden Seiten der Wechselbeziehung zwischen Produktion undKonsumtionerkenntHegel,dasssichdieVereinigungderBesonderheitderPersonmit der Allgemeinheit des Geistes nach einem allgemeinen Prinzip deswirtschaftlichenLebensderfreienBürgerverwirklicht.DieVerwirklichungdieserVereinigungführtdazu,dassdasbesondereStrebeneinesBürgersnacheigenenInteressen,dasohneRücksichtaufandereBürgererfolgt,dasallgemeineStrebenallerBürgernachdengemeinschaftlichenInteressenunterstützt.SostelltHegelfest:„IndieserAbhängigkeitundGegenseitigkeitderArbeitundderBefriedigungderBedürfnisseschlägtdiesubjektiveSelbstsuchtindenBeitragzurBefriedigungderBedürfnissealleranderenum,–indieVermittlungdesBesonderendurchdasAllgemeine als dialektische Bewegung, so daß indem jeder für sich erwirbt,produziertundgenießt,erebendamitfürdenGenußderÜbrigenproduziertunderwirbt“147.Das,wassichalsAllgemeineszwischenPersonundanderenPersonengeltendmacht,istdieWechselbeziehungzwischenProduktionundKonsumtion,diedialektischeBewegungselbst.AlsDialektikderwirtschaftlichenVerhältnissekönntedieseWechselbeziehungaufdieMetapherderunsichtbarenHandinderpolitischen Ökonomie verweisen. Aber sie ist für Hegels philosophischeWissenschaftnichtunsichtbar,genauer:nichtunerkennbar.SiewirddarinebenalsResultatderEntfaltungderBestimmungenderArbeitbegriffen.

FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§526,S.520,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.146 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §198, S.192,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§198,S.169,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.147 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §199, S.193,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§199,S.169,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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DieWechselbeziehungzwischenProduktionundKonsumtionbringtdieTeilungdes allgemeinen Vermögens der Gesellschaft mit sich. Diese Teilung desallgemeinen Vermögens lässt die Personen als bestimmte Bürger ihrerverschiedenen Arten der Bedürfnisse und Arbeiten nach an dem allgemeinenVermögen teilnehmen,dasdieAnhäufungallesvondenPersonenproduziertenEigentums, den gesellschaftlichen Reichtum, darstellt. Mit dieser Teilung desallgemeinenVermögensbeginntdasdritteMomentdesSystemsderBedürfnisse.DabeikommenalleGestaltenderVerschiedenheitzusammen:dieVerschiedenheitder Bedürfnisse aufgrund der Vervielfältigung der Bedürfnisse, dieVerschiedenheitderGewohnheitundGeschicklichkeitderPersonaufgrundderTeilung der Arbeit und die Verschiedenheit der Teilnahme an demgesellschaftlichenReichtumaufgrundderVerteilungdesallgemeinenVermögens.Diese Gestalten bringen die allgemeine Verschiedenheit im System derBedürfnisse in der bürgerlichen Gesellschaft hervor. Als allgemeine hat dieseVerschiedenheit zwar ihre Wurzel in der Natur und in den zufälligen undwillkürlichenElementendesMenschen.AbersieistschondurchdieVermittlungundBefreiungdesGeistes,durchdiemenschlicheAbstraktionderBedürfnisseindie Wirklichkeit der Sittlichkeit aufgenommen worden, nämlich alsgesellschaftliche bzw. sittlicheVerschiedenheit. Die allgemeineVerschiedenheitdesSystemsderBedürfnissewurzeltinderuntilgbarenBesonderheitderPersonals eines freien Bürgers, der ein Bestandteil der sittlichen Substanz und eingrundlegendesElementdesSystemsderBedürfnisseselbstist.Deswegenistdieseallgemeine Verschiedenheit eine sich durchsetzende innere Eigenschaft desSystems der Bedürfnisse: „eine Verschiedenheit, die in dieser Sphäre derBesonderheitnachallenRichtungenundvonallenStufensichhervortutundmitder übrigen Zufälligkeit undWillkür die Ungleichheit des Vermögens und derGeschicklichkeitenderIndividuenzurnotwendigenFolgehat.“148 DieallgemeineVerschiedenheitimSystemderBedürfnisseistderAusdruckderAllgemeinheitdergesellschaftlichenSittlichkeitinderenvielfältigerGestalt.ÜberdieSubstanzdieserSittlichkeitsagtHegelaus:„alslebendigexistiertnur,insofernsiesichorganischbesondert“149.DieseallgemeineVerschiedenheitstelltdiejenigePhase der Entwicklung des Geistes dar, in der sich der Geist in seine eigenengeistigenGliederzerlegt.AngesichtsdieserallgemeinenVerschiedenheitverhältsichdasSystemderBedürfnissealsSubstanz,dieinderFamiliealseinheitliche

148 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§200,S.193-194,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§200,S.170,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.149 „Wo bürgerliche Gesellschaft und damit Staat vorhanden ist, treten die Stände in ihremUnterschiede ein; denn die allgemeine Substanz als lebendig existiert nur, insofern sie sichorganischbesondert;dieGeschichtederVerfassungen istdieGeschichtederAusbildungdieserStände, der rechtlichenVerhältnisseder Individuen zudenselbenund ihrer zueinanderund zuihremMittelpunkte.“,Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),Anmerkungzu§527,S.407,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,Anmerkungzu§527,S.521,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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sittlicheSubstanzdargestelltwird,zuverschiedenenSubstanzen,nämlichzudenverschiedenenBedürfnissystemen.Hegelerkennt:„DieunendlichmannigfachenMittel und deren eben so unendlich sich verschränkende Bewegung in dergegenseitigen Hervorbringung und Austauschung sammelt durch die ihremInhalteinwohnendeAllgemeinheitundunterscheidetsichinallgemeinenMassen,sodaßderganzeZusammenhangsichzubesonderenSystemenderBedürfnisse,ihrer Mittel und Arbeiten, der Arten und Weisen der Befriedigung und dertheoretischen und praktischen Bildung ... ausbildet“ 150 . Jedes derBedürfnissystememacht sich als eine sittliche Substanz geltendundhat damitseine eigenenArten der Bedürfnisse undMittel zur Befriedigung, seine eigeneArbeit und deren Gewohnheit, seine eigene Teilnahme an dem allgemeinenVermögen.DiePersonenmachenumderVervollständigung ihrerBesonderheitwillendieBefriedigungihrerBedürfnissezuihremsubjektivenZweck,bildensichdurch die Gewohnheit der Arbeit zu bestimmten Bürgern und begründen ihreSubsistenzundInteressenaufdemallgemeinenVermögen.DadurchwirkendieverschiedenenBedürfnissystememitihrenBildungskräftenaufdieExistenzderbesonderenPersonenalsBürgerunddamitauchaufderenganzesbürgerlichesLeben derart ein, dass sich die ihre Besonderheit wollenden Personen aufverschiedeneBedürfnissysteme,aufverschiedenesittlicheSubstanzen,verteilen.Damit bilden sich diese Personen zu den bestimmten Bürgern mit ihrembestimmten Bedürfnissystem. Nach Hegel entsteht so der „Unterschied derStände“151,dasletzteMomentdesSystemsderBedürfnisse. AlsletztesMomentderbürgerlichenGesellschaftumfasstdieUnterscheidungderStändedreiverschiedene,aberaufeinanderfolgendeorganisierteStände152:diessind der substantielle, unmittelbare Stand des Ackerbaus, der reflektierendeformelle Stand des Gewerbes und der denkende allgemeine Stand desgesellschaftlichen Geschäfts. Das bürgerliche Leben der Personen in diesenStändenverweistunmittelbaraufdiesittlichenGründe,diefürdieEntwicklungder selbstständigen freien Personen zu ständischen Bürgern konstitutiv sind.Zwar befinden sich die sittlichen Gründe im existenziellen Boden der Stände,nämlichimNaturboden,imProduktionsmaterialundindenprivatenInteressen,siesindaberdarinwedernatürlicheDingenochfestgelegteSachen.VielmehrsindsienachHegel153 jeweilsdieTätigkeitdesGeistesindenStänden,undzwardasnatürlicheProduzierenimAckerbau,dasAustauschenderProdukteinGeschäft

150 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §201, S.194,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§201,S.170,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.151 Ebd.152 Vgl.Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§202–§206,S.195-197,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§202–§206,S.170-172,S.109-110,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.153 Vgl.Hegel, Grundlinien der Philosophie desRechts, § 203 – § 205, S.195-197, FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§203–§205,S.171-172,S.109-110,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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desGewerbesunddasArbeitenfürdiegemeinschaftlichenInteressenderganzenGesellschaft.IndemderständischeBürgeraufdieserTätigkeitberuht,begreifterdie Materialen nicht als gegebene Dinge, sondern als Möglichkeiten für seinegeistige Bearbeitung. In diesem Sinne machen die Tätigkeiten des Geistes alssittliche Gründe der Stände den vernünftigen Grund der Objektivität derBesonderheit der Personen aus. Damit haben die Personen als Bürger einenvernünftigenAnfangzu ihremsittlichenLebenundzurVervollständigung ihrerBesonderheit.DeswegenstelltHegelfest:„MitRechtistdereigentlicheAnfangunddie erste Stiftung der Staaten in die Einführung des Ackerbaues, nebst derEinführungderEhegesetztworden...unddasimSchweifendenseineSubsistenzsuchende, schweifende Leben des Wilden zur Ruhe des Privatrechts und zurSicherheitderBefriedigungdesBedürfnisseszurückführt...“154 DieTätigkeitdesGeisteserhebtdasmöglicheAllgemeineausderExistenzjedesStandesherausindas notwendige Allgemeine der sittlichen Substanz, sodass dieses notwendigeAllgemeinedieGeltungderVernunftdesGeisteshat.SoerkenntHegel,dassdieBestimmungenderStändealsBestimmungeneinesvernünftigenBegriffsinderbürgerlichen Gesellschaft herrschen: „Sicherung, Befestigung, Dauer derBefriedigungderBedürfnisseusf.–Charaktere,wodurchsichdieseInstitutionenzunächst empfehlen, sind nichts anderes als Formen der Allgemeinheit undGestaltungen, wie die Vernünftigkeit, der absolute Endzweck, sich in diesenGegenständengeltendmacht.–“155 ErstaufgrundderVernünftigkeitimSinnedesabsolutenEndzwecksfindendiebesonderenPersonenalsständischeBürgerdenvernünftigenGrunddafür,dasssiejeweilsihresubstantielleVereinigungmitderAllgemeinheit der Stände als ihrenotwendigeEntwicklung inderbürgerlichenGesellschaftbegreifen.InBezugaufdieVereinigungderbesonderenPersonmitderAllgemeinheitdesGeistesentwickeltHegeldenGedankenweiter: „DerStand,alsdiesichobjektivgewordene Besonderheit, teilt sich so einerseits nach dem Begriff in seineallgemeinen Unterschiede. Andererseits aber, welchem besonderen Stande dasIndividuumangehöre,daraufhabenNaturell,GeburtundUmständeihrenEinfluß,aberdieletzteundwesentlicheBestimmungliegtindersubjektivenMeinungundderbesonderenWillkür,diesich indieserSphäre ihrRecht,Verdienstund ihre

154 „MitRechtistdereigentlicheAnfangunddieersteStiftungderStaatenindieEinführungdesAckerbaues,nebstderEinführungderEhegesetztworden,indemjenesPrinzipdasFormierendesBodensunddamitausschließendesPrivateigentummitsichführt(vgl.§170Anm.),unddasimSchweifenden seine Subsistenz suchende, schweifende Leben des Wilden zur Ruhe desPrivatrechts und zur Sicherheit derBefriedigung desBedürfnisses zurückführt,womit sich dieBeschränkungderGeschlechterliebezurEheunddamitdieErweiterungdiesesBandeszueinemfortdauernden insichallgemeinenBunde,desBedürfnisseszurFamiliensorgeunddesBesitzeszumFamilienguteverknüpft.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§203,S.195,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§203,S.171,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.155 Ebd.

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Ehre gibt ... “ 156 Als ständische Bürger vereinigen die besonderen PersonenzugleichdieallgemeineBestimmungdergeistigenVernunft–denVerstandunddasWissenvomabsolutenGuten–undderenEntgegensetzung–dieWillkürunddieBeschränktheitderreinenSubjektivität–insich.SiebefriedigenihreeigenenBedürfnisse durch ihre eigenen Produktionstätigkeiten mit deren Gewohnheitund Bildungsanforderungen entsprechend den Eigentümlichkeiten eines jedenStandes.IndemsichdieselbstständigenPersonennachdenVerschiedenheitendervorhergehendenMomentedesSystemsderBedürfnissezumständischenBürgerbilden,nimmtihrbürgerlichesLebendierelativeallgemeineBestimmungeinesStandes als eigenen Inhalt derBesonderheit einerPerson an, sodass, soHegel,„was in ihr durch innere Notwendigkeit geschieht, zugleich durch die WillkürvermitteltistundfürdassubjektiveBewußtseindieGestalthat,dasWerkseinesWillenszusein.“157 Eswirddabeioffenbar,dasssichdieVervollständigungderBesonderheit der Person mit der Allgemeinheit des Geistes in den Ständenvereinigt. Wenn der freie Bürger eines bestimmten Standes die subjektivenBestimmungenseinerFreiheitderVereinigungderBesonderheitderPersonmitder Allgemeinheit des Geistes entsprechend ausführt, tritt nach Hegel 158 dasbesondere bzw. subjektive Recht des ständischen Bürgers nicht als„feindseliges“Momentundals„VerderbendergesellschaftlichenOrdnung“hervor,sondern versöhnt sichmit den allgemeinenBestimmungendes Standes.DamitmachtsichdiesessubjektiveRechtdesständischenBürgers,soHegelweiter,als„Prinzip aller Belebung der bürgerlichen Gesellschaft, der Entwicklung derdenkendenTätigkeit,desVerdienstsundderEhre“159 geltend.Denndurch ihresubjektiv freie Tätigkeit vervollständigen die besonderen Personen ihreständischenBedürfnissesubstantiell.WieHegelbemerkt,sinddieindenStändensich so bestimmenden Personen schon in der Lage, „ihre Sittlichkeit als

156 „Der Stand, als die sich objektiv gewordeneBesonderheit, teilt sich so einerseits nachdemBegriffe inseineallgemeinenUnterschiede.Andererseitsaber,welchembesonderenStandedasIndividuumangehöre,daraufhabenNaturell,GeburtundUmständeihrenEinfluß,aberdieletzteundwesentlicheBestimmungliegt indersubjektivenMeinungundderbesonderenWillkür,diesich in dieser Sphäre ihr Recht, Verdienst und ihre Ehre gibt, so daß,was in ihr durch innereNotwendigkeit geschieht, zugleich durch die Willkür vermittelt ist und für das subjektiveBewußtseindieGestalthat,dasWerkseinesWillenszusein.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§206,S.197,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§206,S.172,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.157 Ebd. 158 „SoindieOrganisationdesGanzennichtaufgenommenundinihmnichtversöhnt,zeigtsichdeswegendiesubjektiveBesonderheit,weilsiealswesentlichesMomentgleichfallshervortritt,alsfeindseliges, als Verderben der gesellschaftlichen Ordnung, entweder als sie über den Haufenwerfend,wie inden griechischenStaatenund inder römischenRepublik, oder,wenndiese alsGewalt habend oder etwa als religiöse Autorität sich erhält, als innere Verdorbenheit undvollkommene Degradation, – wie gewissermaßen bei den Lakedaimoniern und jetzt amvollständigsten bei den Indern der Fall ist.“, Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts,Anmerkung zu § 206, S.197-198, FelixMeiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§206,S.173,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.159 Ebd.

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Rechtschaffenheit, ihrAnerkanntseinund ihreEhre“160 zuhaben.Siebegreifendamit konkret ihre subjektiven Bestimmungen, nämlich ihre als subjektiveTugend 161 bezeichnete Rechtschaffenheit, ihr als subjektive Befriedigung 162dargestelltes Anerkanntsein und ihre Ehre, als objektive Bestimmungen dersubstantiellen Allgemeinheit des jeweiligen Standes. Diese objektivenBestimmungen machen den allgemeinen Inhalt des substantiellen Lebens derselbstständigen Person aus; sie kennzeichnen inhaltlich, wie eine Person alsständisch freier Bürger sein muss. Dergestalt verwirklicht der ständisch freieBürgerdenkonkretestenbzw.reichstenBegriffderbesonderenPerson.Diestrifftinsbesonderedannzu,wennmanvonderanfänglichenPhasederPersonausgeht,nämlich von der abstrakten Person im abstrakten Recht und von denunmittelbarenBestimmungendesfreienWillens,undsichaufdiesenkonkretenBegriff der Person als ständisch freien Bürger bezieht. Hierbei gewinnt diebesonderePersonihrevernünftigeWirklichkeitinihremBeitragzurDarstellungderAllgemeinheitdesGeistesinseinerBesonderheit.FürdasganzeSystemderBedürfnisseseiangemerkt: inHegelsAuffassungvondenStändenwerdendiePersonennichtdurcheineäußerlicheoderfremdeKraftzur Stände-Gliederung gezwungen. Vielmehr bilden sich die Personen ihremeigenen und freienWillen nach als ständische Bürger aus, um ihre besondereFreiheitzuverwirklichen.Siesinddieselbstständigenund freienPersonen,diesichnichtbeliebigzueinanderverhalten.UmihrervernünftigenFreiheitwillensetzensichdiePersonenzueinemSystemihrerBesonderheiten,einem„Systemder Atomistik“ 163 , zusammen. Einem solchem System fehlt nach Hegel wederVernunftnochvernünftigeErkenntnis.DiePositiondesSystemsderbesonderenPersoneninderEntwicklungderSittlichkeitdeutetdaraufhin,dassdiesesSystem,weilesdie„ErscheinungsweltdesSittlichen“164 ist,dierechtlicheundmoralischeVernünftigkeit voraussetzt. In der Welt der Erscheinungen ist das System derbesonderen Personen eigentlich diejenige Sphäre der Möglichkeiten des

160 „DieIndividuenteilensichdenselbennachnatürlichemTalent,nachGeschicklichkeit,Willkürund Zufall zu. Solcher bestimmten, festen Sphäre angehörig, haben sie ihrewirkliche Existenz,welche als Existenz wesentlich eine besondere ist, und in derselben ihre Sittlichkeit alsRechtschaffenheit, ihr Anerkanntsein und ihre Ehre.“, Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§527,S.407,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§527,S.521,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.161 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§150ff,S.158-159,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§150,S.140-141,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.162 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 124, S.123, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§124,S.109-110,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.163 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 523, S.405,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§523,S.520,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.164 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §181, S.181,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§181,S.159,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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vernünftigenGeistes,inderdieVernunftdesGeistesihrewirklicheFreiheitdurchdieSelbstentgegensetzunginihrenMöglichkeitendemonstriert:dieVernunftlässtzunächst die Kräfte derwirklichen Freiheit in ihrenMöglichkeiten erscheinen,bringt aus diesen Möglichkeiten die entgegengesetzten Erscheinungen derwirklichen Freiheit hervor und beweist sich darin als Notwendigkeit derEntwicklungdervernünftigenMöglichkeitenundalsvernünftigenGrundfürdieErscheinungswelt. Die Vernunft schließt diese Erscheinungswelt als eigenesBegriffsmomentderEntwicklung ihrerFreiheit in sichselbstein.Die ständischfreienBürgermüssen in ihrerWirklichkeit der vernünftigenMöglichkeiten dieallgemeinenBestimmungenderVernunftdesGeisteszumVorscheinbringen. DerAusdruckderVernunftdesGeistesistaucheinentscheidenderSchrittfürdieEntwicklungderbesonderenPersonen.Darinerweisensiesichnichtalseindurchdie Zufälligkeit und die Willkür beschränktes Wesen, sondern als einVernunftwesen,dassichüberdieBeschränktheitderäußerlichenNaturundüberdie Begrenztheit der menschlichen Natürlichkeit hinausgeht und dieAllgemeinheitdesvernünftigenBegriffsaushält.InallenMomentendesSystemsderBedürfnissesinddieAbstraktionsfähigkeitenunddieBildungstätigkeitenderbesonderen Person für die Entwicklung der Personen als Vernunftwesenkonstitutiv. Erst mit ihrer geistigen Abstraktionskraft unterscheiden dieselbstständigenPersonendieBefriedigung ihrerbesonderenBedürfnisse–densubjektiven Zweck der Personen – von der Befriedigung der natürlichen bzw.tierischen Bedürfnisse. Im ersten Moment des Systems der Bedürfnisseunterscheiden sich die selbstständigen Personen durch den vernünftigen bzw.geistigenAnfangihrerBesonderheitvondennatürlichenErscheinungen,indenendasWesendesMenschenmitdemTiersounterschiedslosgleichgesetztwird,dassdasmenschlicheWesennurimSinnedesGattungswesensdieAllgemeinheitderVernunft darstellt.An zweiter Stellehebendie selbstständigenPersonendurchihreFähigkeitzurgeistigenBildungdietheoretischeundpraktischeBildungderArbeit gegenüber den Tätigkeiten isolierter Befriedigung heraus. In diesertheoretischen und praktischen Bildung erkennen diese Personen denverborgenen,grundsätzlichenundallgemeinenZweckdersittlichenSubstanz,derim allgemeinen Vermögen und im gesellschaftlichen Zusammenhang liegt. Sievereinigen diesen allgemeinen Zweck durch ihre produktiven Tätigkeiten mitihrensubjektivenZwecken.Dabeibeweisensie,dassfürdieBildungeinerPersonzu einem bestimmten Beruf die substantielle Allgemeinheit des Geisteserforderlich ist. Im dritten Moment des Systems der Bedürfnisse bringen dieselbstständigenPersoneninderallgemeinenVerschiedenheitdiesesSystems,diesichalsangeboreneEigenschaftderselbstständigenPersonengeltendmacht,dasvernünftige Leben eines freien Bürgers in seiner Existenz und in seinenvielfältigenErscheinungenhervor. In diesemvernünftigen Leben gewinnendieselbstständigenPersonendieallgemeineWirklichkeitdesGeistesdadurch,dass

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sie aufgrund des vernünftigen Grunds der Stände die Vereinigung ihressubjektiven Rechts mit dem allgemeinen Recht der Gesellschaft als ihrenotwendigeEntwicklungbegründen. ImHinblickaufalleobenbezeichnetenEntwicklungsschrittederselbstständigenPersonen zu ständisch freien Bürgern müssen alle Momente des Systems derBedürfnisse eigentlich als Bewegung bezeichnet werden, in der sich dieselbstständigen Personen als Möglichkeiten des vernünftigen Geistesnotwendigerweise entwickeln. In dieser Entwicklung beginnt die Person alsvernünftige Möglichkeit zuerst mit ihrer durch die moralische Subjektivitätgewonnenen Überzeugung und verlangt, dass ihre besondere bzw. subjektiveFreiheitalsallgemeineindersubstantiellenWeltgeltensolle.IndemProzessderVervollständigungihrerBesonderheitenerkennendieselbstständigenPersonendurch ihre Abstraktionstätigkeiten für die Befriedigung der Bedürfnisse diesubstantiellen Bestimmungen der Allgemeinheit des Geistes, die sich in ihrerbesonderenFreiheitverbirgt.JemehrdiesePersonenindersubstantiellenWeltihreBesonderheitenzurVervollständigungbringen,destodeutlicherverrätihnendieKraftderAllgemeinheitdesverborgenenGeistesdieErhebungderPersonenzubestimmtenfreienBürgern,diealsPersonenvonderGesellschaftabhängen.Indem diese Personen ihre Besonderheiten im ständischen Leben als BürgervervollkommnenundimkonkretenBegriffdersittlichenSubstanzzumVorscheinbringen,vereinigtsichdieBesonderheitderPersonenmitderAllgemeinheitderStände, erkennbar in der Vielheit der sittlichen Substanz. Im Unterschied derStände sind die ständisch freien Bürger das notwendige Resultat derMöglichkeitendergeistigenVernunft.

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2.5Die„Rechtspflege“alsHegelsVorstellungvondergesellschaftlichen

LösungderKonfliktederBedürfnisse

ImSystemderBedürfnisseentwickeltsichdiesittlicheSubstanznachdemPrinzipder Besonderheit der Person zu ihrer allgemeinen Vielheit, nämlich zu denbestimmtenStändenderbürgerlichenGesellschaft.AussolcherEntwicklungdersittlichenSubstanzergibtsichdieanundfürsichseiendeAllgemeinheit indenStändenimSystemderBedürfnisse.Hegelerkennt:„DasPrinzipdiesesSystemsderBedürfnissehatalsdieeigeneBesonderheitdesWissensunddesWollensdieanundfürsichseiendeAllgemeinheit“165.Diesebeziehtsichnichtmehraufdiesich atomistisch bestimmenden Personen, sondern auf die freien BürgerbestimmterStändeinderGesellschaft.WegendesUnterschiedsderStändetrittdieseanundfürsichseiendeAllgemeinheitalleininderallgemeinenSacheallerständischfreienBürgerauf,nämlichinderBefriedigungihrerBedürfnissedurchdie gesellschaftliche Aufteilung des allgemeinen Vermögens. Die allgemeinenBedürfnisse aller freien Bürger sind nichts Anderes als deren Anspruch aufEigentum. Wie Hegel weiter bemerkt, ist dieser Anspruch die abstrakte„AllgemeinheitderFreiheit ..., somitalsRechtdesEigentums insich“166.DiesesRecht ist reicherbzw.konkreteralsdasanfänglichabstrakteRecht.Dennes istbereitsvonderNatürlichkeitundderWillkürderbesonderenPersonheraufdieAllgemeinheitderSittlichkeitübergegangen.AberHegelhebtdieAbstraktheitdeskonkreteren Rechts der freien Bürger deshalb hervor, nicht weil sich dieseAbstraktheit auf die Unmittelbarkeit des abstrakten freien Willens bezieht,sondernweilsiedieUnmittelbarkeitderFreiheitderfreienBürgeralsbesondererPersonenbetrifft.DieAbstraktheitdesRechtsderfreienBürgerzeigtsichaufdemWeg des persönlichen Erkennens der gültigen Wirklichkeit des Rechts. Alsbesondere Personen empfinden die freien Bürger in der Befriedigung ihrerBedürfnissediegültigeWirklichkeitdesRechts.DasRechtaufEigentumwirdvondenbesonderenPersonenentwederalseinvorhandeneswirklichesoderalseinbloßmöglichesMittel zurBefriedigung ihrerBedürfnisse begriffen.WegendesPrinzipsderBesonderheit fehltesdenbesonderenPersonenanderErkenntnisdesGrundesdergültigenWirklichkeitdesRechtsaufEigentum.Eserscheintdenbesonderen Personen als zufällig, ob das Recht auf Eigentum im existentiellen

165 „DasPrinzipdiesesSystemsderBedürfnissehatalsdieeigeneBesonderheitdesWissensunddesWollensdieanundfürsichseiendeAllgemeinheit,dieAllgemeinheitderFreiheitnurabstrakt,somitalsRechtdesEigentumsinsich,welchesaberhiernichtmehrnuransich,sonderninseinergeltendenWirklichkeit,alsSchutzdesEigentumsdurchdieRechtspflege,ist.“,Hegel,Grundliniender Philosophie des Rechts, § 208, S.199, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel,GesammelteWerke,Band14,§208,S.174,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.166 Ebd.

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Leben der freien Bürger gültig oder ungültig sei. Die Notwendigkeit, dass sichdiesesRecht inallenexistentiellenMöglichkeitendesLebensder freienBürgerverwirklichenmuss,bleibtangesichtsdesPrinzipsderBesonderheitderPersonundderenBedürfnisseabstrakt. GegendieBegrenztheitunddieAbstraktheitdesPrinzipsderBesonderheitderPersonverlangtdieAllgemeinheitdesfreienBürgersdanach,dieNotwendigkeitdergültigenWirklichkeitdesRechtszuerkennen.AlsGestaltdieserAllgemeinheitimUnterschiedderStändeerbringtdasRechtder freienBürgeraussichselbstheraus ein anderes Prinzip für die bürgerliche Gesellschaft, nämlich das sichallgemeinundobjektivgeltendmachendePrinzipdesRechts.DazubemerktHegel,dassamAnfangdergesellschaftlichenEntfaltungdesRechtssichdas„Prinzipderzufälligen Besonderheit“ schon in „die für sich feste Bestimmung derFreiheit“ verwandelt habe 167 . Erst wegen dieser Verwandlung des PrinzipsverlassendieBedürfnissediebesonderenPersonenundtreteninihrevernünftigeGestaltein,nämlichindasRechtderfreienBürger.DerfreieBürgererhebtdarindieBedürfnisse,diealsbegrenztesEtwasderallgemeinenVernunfterscheinen,zum Recht, das von derselben Vernunft als allgemeines aufgefasst wird.EntsprechenddemsichallgemeinundobjektivgeltendmachendenPrinzipderFreiheitgehtdiesittlicheSubstanzausdemSystemderBedürfnisseüberindasSystemdesRechtsderfreienBürger.EinsolchesSystemdesRechtsistnachHegeldieRechtspflege,vonderzunächstderSchutzdesEigentumsder freienBürgervorgestelltwird.EshandeltsichumeineobjektiveOrdnungdesGeistes,inderalleMöglichkeiten des existenziellen Lebens vom Recht der freien Bürger sodurchdrungensind,dassdasLebenderfreienBürgeralseineManifestationderDurchdringungdesobjektivenGeistesinderGesellschaftbegriffenwerdendarf.DieEntfaltungderRechtspflegemachtdaszweiteMomentderEntwicklungderbürgerlichenGesellschaftaus. InHegelsBlickistinderRechtspflegederfreieBürgerdervernünftigeBegriffdesMenschen,nämlichdieGestaltderBestimmungdesMenschenalsVernunftwesen.AlssolchesistderfreieBürger,soHegel168,,,das„RelativederWechselbeziehungderBedürfnisseundderArbeit“:DerBürgeristzwareineeinzelnePerson,denktaberundhandeltnachdemPrinzipderAllgemeinheitdesRechts.Deswegenhält

167 „DasPrinzipderzufälligenBesonderheit,ausgebildetzudemdurchnatürlichesBedürfnisundfreie Willkür vermittelten Systeme, zu allgemeinen Verhältnissen desselben und einem GangeäußerlicherNotwendigkeit,hatinihmalsdiefürsichfesteBestimmungderFreiheitzunächstdasformelleRecht.“,Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§529,S.408,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§529,S.523,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.168 „DasRelativederWechselbeziehungderBedürfnisseundderArbeitfürsiehatzunächstseineReflexioninsich,überhauptinderunendlichenPersönlichkeit,dem(abstrakten)Rechte.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §209, S.200,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§209,S.175,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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sichderfreieBürgerwederandieZufälligkeitderLebensumständenochandieWillkür der besonderen Personen, sondern an die gültige Allgemeinheit derSittlichkeit und deren Wirklichkeit. Als das vernünftige „Relative“ zwischenBesonderheitundAllgemeinheitschließtderfreieBürgerdieZufälligkeitunddieWillkürnichteinfachaus,sondernbegreiftsiealsBestimmungseinerselbstalsVernunftwesens in seinen Erscheinungen und verwandelt damit die mit derZufälligkeitundderWillkürzusammenhängendeBesonderheitderPersonineinMomentdernotwendigenEntwicklungdesfreienBürgerszurAllgemeinheitderFreiheit.InAnsehungdieserEntwicklungzurAllgemeinheitderFreiheiterkenntderfreieBürgernichtmehrdieBefriedigungderBedürfnisse,sonderndenSchutzdesRechtsalsseinenZweck.DieserZweckfordertdenfreienBürgerauf,überdasallgemeine Wesen in der bürgerlichen Gesellschaft nachzudenken und „seineReflexioninsich,überhauptinderunendlichenPersönlichkeit,dem(abstrakten)Rechte“169 vorzunehmen.WieHegelweiterbemerkt,machtderfreieBürgeralsVernunftwesen das Recht auf Eigentum zunächst durchNachdenken allgemeinundobjektivgeltend:„EsistaberdieseSphäredesRelativen,alsBildung,selbst,welche dem Rechte das Dasein gibt, als allgemein anerkanntes, gewußtes undgewollteszusein,undvermitteltdurchdiesGewußt-undGewolltseinGeltenundobjektive Wirklichkeit zu haben.“ 170 Der freie Bürger löst wegen derAllgemeinheitseinesVernunftwesensdieobjektiveWirklichkeitdesRechtsnichtmehrdurchdieallgemeineAbstraktionvonderbesonderenPersonaus,sonderndadurch,dasser seinallgemeinesBewusstseininsDaseinsetzt.Dabeidenktsichder freie Bürger, so Hegel, „als Bewußtsein des Einzelnen in Form derAllgemeinheit, daß Ich als allgemeine Person aufgefasst werde, worin alleidentischsind.“171 DassoinsDaseingesetzteallgemeinenBewusstseinsbringtdieIdeederwirklichenGleichheitallerMenschenaussichselbsthervor.DieseIdeeistnach Hegel ein eigentliches Produkt des Begriffs der Freiheit und einerforderliches Element für das Recht in der Gesellschaft 172 . An der Idee derwirklichenGleichheitallerMenschenlassensichdasRechtderfreienBürgeraufEigentumund seineobjektiveWirklichkeit in zweierleiHinsicht erkennen:DasRechtwirdeinerseitsaufdiefürallefreienBürgerallgemeinbewussteFormdesRechts und andererseits auf den für sie objektiv gültigen Inhalt des Rechtsbezogen.DazustelltHegelfest:„DieobjektiveWirklichkeitdesRechtsist,teilsfürdas Bewußtsein zu sein, überhaupt gewußt zu werden, teils die Macht derWirklichkeitzuhabenundzugeltenunddamitauchalsallgemeingültigesgewußt

169 Ebd.170 Ebd.171 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§209,S.200,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§209,S.175,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.172 ZurIdeederwirklichenGleichheitdesMenschen:Vgl.Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft im Grundrisse (1830), Anmerkung zu § 539, S.414-417, Felix Meiner Verlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,Anmerkungzu§539,S.531,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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zuwerden“173. Aus Hegels Auffassung, dass sich die objektiveWirklichkeit des Rechts in derGestalt des Gewusst- und Gewolltseins für alle freien Bürger zeige, lässt sichfolgern,dassdieseWirklichkeiteigentlicheinGesetztseindesfreienBürgersalsVernunftwesenist,nämlichdieBestimmungderIdentitätdesVernunftwesensmitsichselbst.DasanundfürsichseiendeRechtinseinDaseinzusetzenistAusdruckdes allgemeinen Wesens des freien Bürgers, der in der Gesellschaft in denbesonderen Bedürfnissen die allgemein einheitliche Bestimmung desvernünftigenGeistesalsseininnereswesentlichesWesenerkennt.AngesichtsderVernünftigkeitdesGeistesstelltdieSetzungdesRechtseinWissenbereit,dasüberdasdeseinzelnenBürgershinausweist.DervernünftigdenkendefreieBürger,dersich nicht mehr als Einzelner begreift, weiß deswegen durch die Setzung desRechts die wirkliche Bestimmtheit des Rechts von dessen Allgemeinheit zuunterscheiden und sie damit als eigenes Moment der objektiven Wirklichkeitaufzufassen.DieshältHegelbeiSetzungdesanundfürsichseiendenRechtsindasDaseinfürwesentlich:„WasRechtist,erhälterstdamit,daßeszumGesetzewird,nichtnurdieFormseinerAllgemeinheit,sondernseinewahrhafteBestimmtheit....das innere wesentliche Moment ist ... die Erkenntnis des Inhalts in seinerbestimmtenAllgemeinheit.“174 DasErgebnisdieserSetzungdesfreienBürgersistdas Gesetz. In ihm ist das Recht des freien Bürgers zugleich das gewussteAllgemeineunddasbestimmtGeltendezusehen. Im Gesetz erhält das an und für sich seiende Recht auf Eigentum, das dasallgemeine Wesen des freien Bürgers ausmacht, zunächst eine allen BürgernbewussteFormdesRechts,indemdasRechtformellgesetztwird.BeiHegelheißtdasso:„WasansichRechtist,istinseinemobjektivenDaseingesetzt,d.i.durchdenGedankenfürdasBewußtseinbestimmtundalsdas,wasRechtistundgilt,bekannt,dasGesetz,–unddasRechtistdurchdieseBestimmungpositivesRechtüberhaupt.“175 InderGesellschaftisteinsolchermaßenbestimmtesRechtseinerForm nach allgemein gültig, und zwar unabhängig von allen gesellschaftlichenUmständen.DieGesellschaft,diedurchdenUnterschiedderStändebestimmtwird,bringt für die allgemeine Form des Rechts die wechselnden Umstände als

173 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §210, S.200,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§210,S.175,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.174 „Was Recht ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetze wird, nicht nur die Form seinerAllgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit. Es ist darum bei der Vorstellung desGesetzgebensnichtbloßdaseineMomentvorsichzuhaben,daßdadurchetwasalsdiefürallegültigeRegeldesBenehmensausgesprochenwerde;sonderndasinnerewesentlicheMomentistvor diesem anderen die Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten Allgemeinheit.“, Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§211,S.201,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§211,S.175-176,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.175 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §211, S.201,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§211,S.175,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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inhaltlicheElementedesRechtshervor.SolcheUmständesind fürdieobjektiveWirklichkeit des Rechts erforderlich und untilgbar. Denn sie machen diebestimmteSphärefürdieobjektiveWirklichkeitdesRechtsaus.Deswegenmussdas formelle Recht zufällige Elemente als Inhalte einschließen und dieUnterscheidungzwischendemansichseiendenRechtunddempositivgesetztenRechtimGesetzzulassen.DaswesentlicheRechtgiltalsdas,wasdasRechtansichist,daspositiveRechtgiltdemgegenüberalsdasobjektiveDaseindesRechtsinseinenwechselnden Zuständen. Die allgemeine und objektiveWirklichkeit desRechtszeigtsichdaherindemVerhältniszwischendemwesentlichenRechtunddempositivenRecht,zwischendemAnsichseindesRechtsdesfreienBürgers,demRechtsanspruch, und dem Gesetztsein des Rechts. Entsprechend diesemVerhältnis istdasgültigepositiveRechtmitdemwesentlichenRechtdes freienBürgers identisch.DenndieGesetzmäßigkeit, diedas identischeVerhältnisdespositivenRechtsmitdemwesentlichenRechtherstellt,begründetdieobjektiveGeltungdesRechts,nämlichdie äußerlicheVerbindlichkeitdesGesetzes.Hegelerkennt:„IndieserIdentitätdesAnsichseinsunddesGesetztseinshatnurdasalsRechtVerbindlichkeit,wasGesetzist“176.Darausistzufolgern,dassdasUnrechtoderderRechtsbruchandemunangemessenenVerhältnisdespositivenRechtszum wesentlichen Recht erkennbar wird. Das Verhältnis zwischen demwesentlichen und dem positiven Recht macht insofern die wahrhafteBestimmtheit desGesetzes für dieAllgemeinheit desRechts auf Eigentumaus.DurchdiesesVerhältnisunterscheidetsichdasGesetzvomwesentlichenRechtdesfreienBürgers.SostelltHegelfest:„IndemdasGesetztseindieSeitedesDaseinsausmacht, inderauchdasZufälligedesEigenwillensundandererBesonderheiteintreten kann, so kann das, was Gesetz ist, in seinem Inhalte noch von demverschiedensein,wasansichRechtist“177. DerInhaltdesGesetzeszeigtsichinseinerAnwendungaufdiebesonderenFälle178,die sich aus den wechselnden Umständen des Rechts in der bürgerlichenGesellschaftereignen.FürdieinhaltlicheBestimmtheitdesRechtssetztzwardasVerhältniszwischendemwesentlichenunddempositivenRechteineallgemeinefesteGrenzebeiderFormulierungdesGesetzes.DochstelltdieserInhaltinnerhalbder allgemeinen festen Grenze sich als wandelbare und unentschiedeneZufälligkeitdar.DazuHegel: „DieBegriffsbestimmtheitgibtnureineallgemeineGrenze, innerhalb deren noch ein Hin- undHergehen stattfindet.“179 Denn die

176 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §212, S.203,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§212,S.177,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.177 Ebd. 178 Vgl.Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§213,S.204,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§213,S.178,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.179 „DieBegriffsbestimmtheitgibtnureineallgemeineGrenze,innerhalbderennocheinHin-undHergehenstattfindet.DiesesmußaberzumBehufderVerwirklichungabgebrochenwerden,womiteineinnerhalbjenerGrenzezufälligeundwillkürlicheEntscheidungeintritt.“,Hegel,Grundliniender Philosophie des Rechts, § 214, S.204, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel,

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besonderen Fälle sind im Sinne der bloßen Möglichkeit gleichgültig demgegenüber,obdasaufsieangewandtepositiveRechtnotwendigerweiseidentischmit demwesentlichen Recht ist oder nicht. Und der freie Bürger fordert nichtnotwendigerweiseeineRechtsbegründungbeiAnwendungdesGesetzesaufseinebesonderenRechtsfälle.DerIdentitätdespositivenRechtsmitdemwesentlichenRecht fehlt die Notwendigkeit, dass in besonderen Fällen diese beiden Rechteidentisch sind. Trotzdem erlaubt das Gesetz der Gesellschaft keinen gesetzlichunentschiedenenZustand.Hegelsagtdazu:„Dieses(sc.einHin-undHergehen)mußaberzumBehufderVerwirklichungabgebrochenwerden...“180 DennebensowiedaswesentlicheRechtbewahrtdasGesetzauchzumindestdieAllgemeinheitderFreiheit.DasallgemeineWesendesRechtslässtnichtzu,dassdieZufälligkeitderbesonderenFälle zurUnentschiedenheitdesGesetzes führt, auchwenn siesichalsAnwendungsmöglichkeitdesGesetzesgegenüberderAllgemeinheitdesRechts anbieten. Es ist eine Forderung der Vernunft, dass die Zufälligkeit derbesonderen Fälle übergangen wird, indem sie nach dem Gesetz entschiedenwerden.DeshalbbemerktHegel:„DieVernunftistesselbst,welcheanerkennt,daßdieZufälligkeit,derWiderspruchundScheinihre,aberbeschränkteSphäreundRecht hat und sich nicht bemüht, dergleichen Widersprüche ins Gleiche undGerechte zu bringen ...“ 181 . Angesichts dieser Vernunft des Rechts des freienBürgerstritthierdiehegelscheUnterscheidungzwischenderVerwirklichungdesRechts und der Anwendung des Gesetzes auf besondere Fälle ein. DieVerwirklichungdesRechtsberuhtaufderAllgemeinheitderFreiheitundrichtetsichdamitaufkeinenanderenBestimmungsgrundalsaufdenvernünftigenbzw.notwendigenGrundderobjektivenWirklichkeitdesRechts. DieVerwirklichungdesRechtsdarfzwarnichtmitderAnwendungdesGesetzesverwechselt werden, doch kann jene Verwirklichung auf Anwendung nichtverzichten.VielmehrmussdasRechtdes freienBürgers inderAnwendungdesGesetzes ein Bewusstsein von sich selbst als allgemeinemWesen erhalten undzugleich die Zufälligkeit der Fälle als Element begreifen, das dem allgemeinenWesenentgegengesetztist.DenndieVernünftigkeitdesRechtserscheintgeradedarin,dassdieAllgemeinheitdesRechtsdieNegationderZufälligkeitundWillkürerträgt.EntsprechenddieserNegationhaftetdieAllgemeinheitdesRechtsnichtmehr an der unmittelbaren Gestalt des Gesetzes. Vielmehr entwickelt dasallgemeineRechtseinDaseindadurch,dassessichzumDaseindesGesetzes in

GesammelteWerke,Band14,§214,S.178,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.180 Ebd.181 „DieVernunftistesselbst,welcheanerkennt,daßdieZufälligkeit,derWiderspruchundScheinihre,aberbeschränkteSphäreundRechthatundsichnichtbemüht,dergleichenWidersprücheinsGleiche und Gerechte zu bringen; hier ist allein noch das Interesse der Verwirklichung, dasInteresse,daßüberhauptbestimmtundentschiedensei, es sei, aufwelcheWeisees (innerhalbeinerGrenze)wolle,vorhanden.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§214, S.205, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14,Anmerkungzu§214,S.179,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Gegensatzsetzt.AlsKonkretumdesGesetzesistdiesesDaseinnichtsAnderesalsdas öffentliche Gesetzbuch. Nach Hegel enthält das Gesetzbuch durch dieSelbstsetzung des Rechts die Unterscheidung zwischen Allgemeinheit undEinzelheitdesRechtsinsich:„DerUmfangderGesetzesolleinerseitseinfertiges,geschlossenesGanzessein,andererseits isterdas fortgehendeBedürfnisneuergesetzlicherBestimmungen.“182 FürdieGesetzgebungdesRechtsentdecktHegeleine„Antinomie“,die„indieSpezialisierungderallgemeinenGrundsätzefällt“183,wobei die statische Grenze des Gesetzes als Allgemeinheit im Gegensatz zurdynamischenGesetzgebungalsEinzelheitbesteht.DasRechtdesfreienBürgersverortet deshalb diese Antinomie in der Anerkennung und der Gültigkeit deseinzelnen Rechts in den Gesetzen der bürgerlichen Gesellschaft. Sofern eineinzelnesRechtinderGesellschaftanerkanntwirdunddamitgültigist,müssendieErwerbungenundHandlungendesEinzelnen,diesichaufEigentumbeziehenundwegen ihrerUnmittelbarkeitalszufällig inderGesellschafterscheinen,dieallgemeine feste Grenze des Gesetzes und dessen gesetzliche Förmlichkeiteneinhalten.DieAnerkennungunddieGültigkeiteineseinzelnenRechtsbegründensichdahernichtmehraufdenunmittelbarenbzw.abstraktenWillenderFreiheit,sondernaufdenexistentiellenWillenunddasWissenvonderFreiheit184,nämlichaufdieobjektiveWirklichkeitdesRechtsindenGesetzen. IndemdasRecht indenGesetzenderGesellschaftdasBewusstseinvonseinemallgemeinenWeseninFormderallgemeineneinfachenGrundsätzeausdrücktundzugleich die Zufälligkeit der besonderen Fälle in das einzelne Recht in denGesetzenaufhebt,wirktdieGeltungskraftdesRechtsdesfreienBürgersaufdierechtlichenBestimmungenein,indenenesumdasEigentumgeht.SostelltHegelfest: „Das Rechtliche des Eigentums und der Privathandlungen über dasselbeerhältnachderBestimmung,daßdasRechtlicheeinGesetztes,AnerkanntesunddadurchGültigessei,durchdieFörmlichkeitenseineallgemeineGarantie“185.Dasobjektiv gültige Recht des freien Bürgers umfasst deshalb die unbestimmteunmittelbare Person und die bestimmte besondere Person. Unmittelbar ist die

182 „DerUmfangderGesetzesolleinerseitseinfertiges,geschlossenesGanzessein,andererseitsisterdasfortgehendeBedürfnisneuergesetzlicherBestimmungen.DadieseAntinomieaberindieSpezialisierungderallgemeinenGrundsätzefällt,welchefestbestehenbleiben,sobleibtdadurchdasRechtaneinfertigesGesetzbuchungeschmälert,sowiedaran,daßdieseallgemeineneinfachenGrundsätzefürsich,unterschiedenvonihrerSpezialisierung,faßlichundaufstellbarsind.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §216, S.206,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§216,S.180,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.183 Ebd.184 „Wie inderbürgerlichenGesellschaftdasRechtansichzumGesetzewird,sogehtauchdasvorhin unmittelbare und abstrakte Dasein meines einzelnen Rechts in die Bedeutung desAnerkanntseins als eines Daseins in dem existierenden allgemeinenWillen undWissen über.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§217,S.207,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§217,S.181,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.185 Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),Anmerkungzu§ 530, S.410, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 1991. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 20,Anmerkungzu§530,S.525,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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Person,weilsiesichunmittelbaraufdasEigentumunddessenBestimmungenimanfänglich abstrakten Recht bezieht. Besonderes ist die Person, die von dersittlichenEinheitderFamilieausgehtundihregesellschaftlicheSelbstständigkeitdadurchgewinnt,dass ihreBedürfnissedurchdasEigentumbefriedigtwerden.Sie hat darum ein mittelbares Verhältnis zum Eigentum. Das Recht des freienBürgers ist deshalb für die gesamte Gesellschaft objektiv und wirklich. DieVerletzung des einzelnen Rechts, also das Unrecht und das Verbrechen, zähltebensonichtzurNegationeinesSubjekts,sondernzurNegationder„allgemeinenSache“186 der bürgerlichen Gesetze. Dennwas im Unrecht und im Verbrechennegiertwird,istdieobjektiveWirklichkeitdesRechtsindenGesetzen.ImSinnederallgemeinenSachederGesetzestelltdieseWirklichkeitzugleichdenGrundund den Zweck der Rechtspflege, nämlich die an und für sich seiendeAllgemeinheitdesRechtsdar. HegelsiehtesalsdieAntinomiean,dassinderSpezialisierungderallgemeinenGrundsätze das allgemeine Wesen des Rechts sich dem einzelnen Rechtentgegensetzt. Dadurch entsteht der Konflikt bei der Erkenntnis des Rechts.Infolge dieser Spezialisierung entstehen unter den Bürgern unterschiedlicheAuffassungen vom Recht, weil die Bürger ihre einzelnen Rechtsansichten alsallgemein gültige erweisen wollen, jedoch wegen ihrer eigenen Subjektivitätgegen die Rechtansichten der anderen subjektiv argumentieren können. InRücksichtaufdieBegrenztheitdiesernurbesonderenAuffassungenvomRechtüberlässtHegeldieVerwirklichungderGesetze inbesonderenFällennichtderbesonderenSubjektivitätderBürger,sonderndervernünftigenSubjektivitätdesRechts. Anstelle desKonflikts bei Auslegungen des Rechts tritt die vernünftigeSubjektivitätdesRechts fürdieweitereEntwicklungdesDaseinsdesGesetzes,alsofürdievernünftigeAnwendungdesGesetzesein.DieseSubjektivitätmachtzwar die begrifflich „zufällige undwillkürliche Entscheidung“187 innerhalb derallgemeinenGrenzedesRechtsaus,lässtaberdarinkeine„subjektiveEmpfindungdes besonderen Interesses“188 zu. Die vernünftige Subjektivität des Rechts hatdaher nur das Interesse der Allgemeinheit der Freiheit zu ihrem Zweck. InRücksichtaufdieEntwicklungderRechtspflegeistdievernünftigeSubjektivität

186 „IndemEigentumundPersönlichkeitinderbürgerlichenGesellschaftgesetzlicheAnerkennungundGültigkeithaben,soistdasVerbrechennichtmehrnurVerletzungeinessubjektivUnendlichen,sondernderallgemeinenSache,dieeineinsichfesteundstarkeExistenzhat.“,Hegel,Grundliniender Philosophie des Rechts, § 218, S.208, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel,GesammelteWerke,Band14,§218,S.181,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.187 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §214, S.204,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§214,S.178,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.188 „DasRecht,inderFormdesGesetzesindasDaseingetreten,istfürsich,stehtdembesonderenWollenundMeinenvomRechte selbständiggegenüberundhat sichals allgemeinesgeltendzumachen.DieseErkenntnisundVerwirklichungdesRechtsimbesonderenFalle,ohnediesubjektiveEmpfindungdesbesonderenInteresses,kommteineröffentlichenMacht,demGerichte,zu.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §219, S.210,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§219,S.182,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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keineandereSachealsdasGerichtderbürgerlichenGesellschaft;Hegelformuliertdiesso: „DieseErkenntnisundVerwirklichungdesRechts imbesonderenFalle,ohne die subjektive Empfindung des besonderen Interesses, kommt eineröffentlichenMacht,demGerichte,zu“189. Als Entwicklung des Daseins des Gesetzes machen das Gericht und seineBestimmungen das letzte Moment der Rechtspflege aus. Entsprechend dieserEntwicklungbestimmtsichdasGerichtalseinedergesetzlichenInstitutionen,dieum des vernünftigen Grundes des Rechts willen, nämlich um der objektivenWirklichkeit des Rechts willen, in der Entwicklung der Sittlichkeit begriffenwerdenkann.EswirdnachHegeldeutlich,dasserdasGerichtalsMomentderRechtpflegebegreiftundesvonseinerhistorischenEntstehungsformbefreit.NachHegelsinddieInstitutionenderRechtspflegevernünftigundfürsichnotwendig,wobei„dieForm,wiesieentstandenundeingeführtworden,dasnichtist,umdases sich bei Betrachtung ihres vernünftigen Grundes handelt“190 . Im Sinne dervernünftigenSubjektivitätdesRechtsunterscheidetsichdasGerichtzunächstvonderbesonderenSubjektivitätderMoralitätunddaherauchvonderSubjektivitätdes einzelnen Bürgers in der Gesellschaft. In der schon angesprochenenSelbstentgegensetzungdesRechts trägt dasGericht die vernünftige Erkenntnisdes Rechts in sich, die über allen besonderen Auffassungen von Recht steht.Deswegen stellt Hegel fest: „Das Gericht erkennt und handelt im Interesse desRechts als solchen, benimmt der Existenz desselben seine Zufälligkeit undverwandelt insbesondere diese Existenz, wie sie als Rache ist, in Strafe.“ 191AufgrundderallgemeinenErkenntnisdesRechtsbringtdasGericht imKonfliktderRechtansichtendenBezugzurAllgemeinheitdesRechtswiederher:WasalsRecht inderGesellschaft verletzt ist, istnichtnurdasbesondere InteressedeseinzelnenBürgers,sondernauchdasallgemeineInteressedesRechtssystem,dassichinderRechtpflegekonkretisiert.IndemvordemGerichtsichdasUnrechtunddasVerbrechendeseinzelnenBürgersalsexistentielleNegationgegenüberderobjektivenWirklichkeitdesRechtsdarstellen,übernimmtdasGerichtebensodasBefugnis zur Verfolgung und Ahndung des Verbrechens von der besonderenSubjektivität und erhebt jene Verfolgung und Ahndung zum Anspruch derGesellschaftaufStrafe.NachHegelverwirklichtdasGerichtdurchdieBestimmung

189 Ebd. 190 „DieEinführungdesRechtsprechensvonseitenderFürstenundRegierungenalsbloßeSacheeinerbeliebigenGefälligkeitundGnadeanzusehen,wieHerrvonHaller(inseinerRestaurationderStaatswissenschaft)tut,gehörtzuderGedankenlosigkeit,diedavonnichtsahnt,daßbeimGesetzundStaatedavondieRede sei, daß ihre Institutionenüberhauptals vernünftig anund für sichnotwendigsind,unddieForm,wiesieentstandenundeingeführtworden,dasnichtist,umdasessichbeiBetrachtungihresvernünftigenGrundeshandelt.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§219,S.210,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§219,S.182-183,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.191 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 531, S.410,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§531,S.525,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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der Strafe das Gesetz in seinem Dasein und verschafft ihm sowohl nach derobjektiven Seite wie auch nach der subjektiven Seite Geltung 192 . DemnachverschafftsichdieWirklichkeitdesvernünftigenRechtsbeijedemfreienBürgeralsdessenRechtundalsdessenPflichtGeltung.BeiHegelheißtdies:„DasMitgliedderbürgerlichenGesellschafthatdasRecht,imGerichtzustehen,sowiediePflicht,sich vor Gericht zu stellen und sein streitiges Recht nur von dem Gericht zunehmen“193. Auf der Grundlage der Wirklichkeit des Gesetzes entfaltet sich das Gericht inzweierlei Hinsicht: in Bezug auf die objektive Gültigkeit des Gesetzes in derGestaltung der Öffentlichkeit der Rechtspflege; in Bezug auf die subjektiveGültigkeit des Gesetzes im Geschäft der gerechten Rechtsprechung. DieÖffentlichkeitderRechtspflegewirddurchdieBestimmungenüberdenVerlaufdes Rechtsgangs hergestellt, dem die Handlungen der einzelnen Bürger alsParteienvorGerichtfolgenmüssen.DurchdieseBestimmungenmachtdasGericht,wieinderSetzungdesRechts,„dieVerwirklichungdesGesetzesimbesonderenFalle,nämlichdenVerlaufvonäußerlichenHandlungen,vonRechtsgründen“194allgemeinbekannt.DieBestimmungenderSchrittedesRechtsgangsmachendasVerfahrensrechts aus. Dazu erkennt Hegel ferner, dass in der Rechtspflege dasVerfahrensrechtdersubjektivenGültigkeitdesGesetzesdient.DiesichausdemVerfahrensrechtergebendeÖffentlichkeitderRechtspflegeverleihtdemGerichtundseinerRechtsprechungdieformelleSicherungdurchdieÜberzeugungskraftdesvernünftigenRechts.DochreichendieÖffentlichkeitderRechtspflegeundihrformeller Verlauf nicht aus, um die Überzeugungskraft des Rechts zuverwirklichen. Denn der formellen Sicherung fehlt noch der Inhalt desvernünftigenRechts,dersichnurausderEntscheidung,dasallgemeineRechtaufbesondereFälleindeneinzelnenRechteanzuwenden,ergibt. DieEntscheidungenüberdieAnwendungdesRechtsaufdenEinzelfallmachendieRechtsprechung überhaupt aus. Sie ist das Geschäft des Gerichts. Wegen derSubjektivität des Gerichts und der Besonderheit der Fälle gibt es für dieRechtsprechung des Gerichts zwei voneinander verschiedene Arten der

192 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 220, S.210, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 220, S.183, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.193 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §221, S.211,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§221,S.183,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.194 „Wie die öffentliche Bekanntmachung der Gesetze unter die Rechte des subjektivenBewußtseinsfällt(§215),soauchdieMöglichkeit,dieVerwirklichungdesGesetzesimbesonderenFalle,nämlichdenVerlaufvonäußerlichenHandlungen,vonRechtsgründenusf.zukennen,indemdieserVerlaufansicheineallgemeingültigeGeschichteistundderFallseinembesonderenInhaltenachzwarnurdasInteressederParteien,derallgemeineInhaltaberdasRechtdarinunddessenEntscheidungdasInteresseallerbetrifft,–ÖffentlichkeitderRechtspflege.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§224,S.211,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§224,S.184,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Erkenntnis:dieeineArtrichtetsichaufdieBeschaffenheitdesFalls,dieandereArtaufdieSubsumtiondiesesFallsunterdasGesetz195.FürdiesebeidenArtenderErkenntnis entwickelt das Gericht besondere Wege der Beurteilung mit ihrenjeweiligenFunktionen,umdasRechtinbesonderenFällenuntersuchenzukönnen.MittelsbeidenErkenntnisarteneinegerechteEntscheidungüberdenKonfliktdereinzelnenRechteunddasVerhältniszwischenRechtundUnrechtzufindenistdieAufgabedesRichters,dernichtanmateriellemAusgangdesRechtstreits,sondernnuranderEinhaltungderRechtsordnunginteressiertist.DennimRechtstreitistderRichterdaseinzigevernünftigeSubjekt,daszwarsubjektiveWillkürhat,sichaberalleinderAllgemeinheitdesvernünftigenRechtsbewusstist,undsomitnurim Interesse des Rechts handelt und seine Erkenntnis trifft. Der insoweitjuristischeRichtererscheintnachHegelals„OrgandesGesetzes“196,d.h.alsTrägerder vernünftigen Subjektivität des Rechts. Obwohl die Einheit des allgemeinenRechtsmit der Vielzahl der einzelnen Rechte nur durch die Entscheidung desRichters hervorgebracht werden kann, ist jedoch diese Einheit auch von derrichterlichenErkenntnisbegrenzt.DenndierichterlicheErkenntnisistnachHegeldiejenige subjektive Gewissheit der empirischen Wahrheit, die auf das reineGewissen des Richters angewiesen ist und auch durch das Geständnis desBeklagten erfüllt werden kann 197 . Was als vernünftiges Recht im Gerichtvorkommt, erscheint in der Entscheidung des Richters als das Recht desSelbstbewusstseins,als„dasMomentdersubjektivenFreiheit“198.DieEinheitdesallgemeinenRechtsmitdeneinzelnenRechtenberuhtinsofernaufderinnerlichenÜberzeugung des richterlichen Selbstbewusstseins, derenWirklichkeit von derAnerkennungdurchdieGesetzgebungunddieGerichtsverfassungabhängigist.DamitdievomRichtererkannteEinheitdesRechtsalsWirklichkeitdesGesetzesbegründet werden kann, muss das Gericht bei seinem Geschäft der

195 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §225,S.212-213,FelixMeinerVerlag,Hamburg, 2013.; auch Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaft im Grundrisse (1830),Anmerkung zu § 531, S.410-411, FelixMeiner Verlag, Hamburg, 1991. Vgl. Hegel, GesammelteWerke,Band14,§225,S.185,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009;auchHegel,GesammelteWerke,Band20,Anmerkungzu§531,S.525-526,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.196 „VornehmlichdieLeitungdesganzenGangesderUntersuchung,dannderRechtshandlungenderParteien,alswelcheselbstRechtesind,dannauchdiezweiteSeitedesRechtsurteils isteineigentümlichesGeschäftdesjuristischenRichters,fürwelchenalsOrgandesGesetzesderFallzurMöglichkeitderSubsumtionvorbereitet,d.i.ausseinererscheinendenempirischenBeschaffenheitherauszuranerkanntenTatsacheundzurallgemeinenQualifikationerhobenwordenseinmuß.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§226,S.213,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§226,S.185,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.197 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 227ff, S.214, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 227ff, S.186, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.198 „Das Recht des Selbstbewußtseins, das Moment der subjektiven Freiheit, kann als dersubstantielleGesichtspunktinderFrageüberNotwendigkeitderöffentlichenRechtspflegeunddersogenanntenGeschworenengerichteangesehenwerden.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§228,S.215,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§228,S.187,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Rechtsprechung nicht nur allgemein mit den Grundsätzen der Rechtspflegevertraut sein, sondern muss auch für seine innerliche Überzeugung auf dienotwendigeAnerkennungseinerEntscheidungeninderGesellschaftachten.DieÖffentlichkeit der Rechtspflege und der Rechtsprechung des Gerichts sindformelle Garanten dafür, dass die Entscheidungen des Gerichts mit derÜberzeugung des vernünftigen Rechts auf, die Übereinstimmung ist für dieAnerkennung der Einheit des Rechts als Wirklichkeit erforderlich. In derGerichtsverfassung sieht Hegel im Geschworenengericht eine notwendigeErgänzungzumBerufsrichter.HegelsGedanke,dassdasGeschworenengerichtdiesubjektiveWillkürdesRichtersbegrenzenkönne,gehtaufdieVorstellungzurück,dassdieGültigkeitderRechtsprechungvonderallgemeinenBekanntschaftdesRechts und seiner Anerkennung in der Gesellschaft getragen werden: dasallgemein bekannt gemachte Recht und dessen Erkenntnis dürfen nicht in das„EigentumeinesauchdurchTerminologie,diefürdie,umderenRechtesgeht,einefremde Sprache ist, sich ausschließend machenden Standes“ 199 verwandeltwerden.IndemderRichterbeiseinenEntscheidungendieRegelderÖffentlichkeitder Rechtspflege einhält und in seinem Bewusstsein die Rücksicht auf demBedürfnis des Geschworenengerichts nimmt, verwandelt sich die innerlicheÜberzeugungdesRichtersin„dasZutrauenzurSubjektivitätderEntscheidendeninderRechtspflege“200.IndiesemZutrauenbefriedigtsichdasvernünftigeRecht,understinsolchenrichterlichenEntscheidungenerlangtdieRechtsprechungdieAnerkennungdurchdieGesellschaft.IndemderfreienBürgerseinenZweck,seinRecht zu schützen, in solchermaßen als gültigen anerkannten Entscheidungverwirklicht,kehrtdiebürgerlicheGesellschaft,soHegel,„zuderenBegriffe,derEinheit des an sich seienden Allgemeinen mit der subjektiven Besonderheitzurück“201.

199 „WenndieKenntnisdesRechtesdurchdieBeschaffenheitdessen,wasdieGesetze in ihremUmfangeausmacht,fernerdesGangesdergerichtlichenVerhandlungenunddieMöglichkeit,dasRechtzuverfolgen,EigentumeinesauchdurchTerminologie,diefürdie,umderenRechtesgeht,eine fremde Sprache ist, sich ausschließendmachenden Standes ist, so sind dieMitglieder derbürgerlichenGesellschaft,diefürdieSubsistenzaufihreTätigkeit,ihreigenesWissenundWollenangewiesensind,gegendasnichtnurPersönlichsteundEigenste,sondernauchdasSubstantielleundVernünftigedarin,dasRecht,fremdgehaltenundunterVormundschaft,selbstineineArtvonLeibeigenschaft gegen solchen Stand gesetzt.“, Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts,Anmerkungzu§228,S.216,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§228,S.187-188,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.200 „AberinAnsehungderEntscheidungüberdenbesonderen,subjektivenundäußerlichenInhaltderSache,dessenErkenntnisindieerstender§225angegebenenSeitenfällt,findetjenesRechtindemZutrauenzuderSubjektivitätderEntscheidendenseineBefriedigung.“,Hegel,Grundliniender Philosophie des Rechts, § 228, S.215, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel,GesammelteWerke,Band14,§228,S.187,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.201 „In der Rechtspflege führt sich die bürgerliche Gesellschaft, in der sich die Idee in derBesonderheitverloren[hat]undindieTrennungdesInnerenundÄußerenauseinandergegangenist, zu deren Begriffe, der Einheit des an sich seienden Allgemeinen mit der subjektivenBesonderheitzurück,jedochdieseimeinzelnenFalleundjenesinderBedeutungdesabstraktenRechts.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§229,S.216,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§229,S.188,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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2.6Die„Polizei“und„Korporation“:HegelsEinsichtindieBegrenztheitdes

äußerenStaatesinderbürgerlichenGesellschaft.

Nach Hegel stellt das Recht und dessen Entwicklung in der Rechtspflege dievernünftige Subjektivität des sittlichen Geistes dar. In dieser Eigenschaft derSubjektivitätistdasRechtzunächstsichdessenbewusst,sichinsGesetzzusetzen.DieursprünglicheHandlungdervernünftigenSubjektivitätdesGeistesisthierbeigeradedieSetzungdesRechtsinsGesetz.IndeminderAnwendungdesGesetzesaufbesondereFällesichdaswesentlicheRechtdempositivenRechtentgegensetzt,erfolgt nach Hegel durch diese Anwendung die subjektive Unterscheidung desRechts von sich selbst. Dabei konkretisiert sich das Recht als vernünftigeSubjektivitätdesGeistesderart,dasssichdasRechtdurchdasDaseindesGesetzes,dasöffentlicheGesetzbuch, in viele einzelneRechte spezialisiertunddamit einRechtssystem als sein Für-sich-sein hervorbringt. Das gesamte RechtssystemgarantiertdieRechtspflegederbürgerlichenGesellschaftso,dasssiederNegationder allgemeinen Wirklichkeit des Rechts, der Zufälligkeit und der Willkür inbesonderenFällen,dadurchwiderspricht,dasssiedieIdentitätdesRechtsmitsich,dieGesetzmäßigkeitderRechte,betont.IndemdieMacht,diedasRechtssysteminderGesellschaftkonstituiertundschützt,dieallgemeineGeltungderrechtlichenEntscheidungüberdengerichtlichausgetragenenEinzelfallanerkennt,stelltsiesichalseineMachtdar,die sichaufdasRechtalsvernünftigeSubjektivitätdesGeistes gründet. Die Rechtsprechung des Gerichts verwirklicht dieGesetzmäßigkeitdesRechtsystems, indemsiedieIdentitätdesRechtsinseinenUnterschieden festlegt. Das Gericht verwirklicht die Gesetzmäßigkeit desRechtsystems auf zweierleiWeise: einerseits in der Selbstbestimmung, die dasGericht selbst betrifft, andererseits in der Selbstbestimmung des Richters. DieSelbstbestimmung des Gerichts erfüllt sich nach Hegel in der Gestaltung derÖffentlichkeitderRechtspflegedurchdieSetzungderOrdnungdesRechtsganges.IndemdasGerichtseinGeschäftderRechtsprechungseinerobjektivrechtlichenOrdnung unterwirft, entscheidet das Gericht über die im einzelnen RechtstreitbehauptetenRechteverfahrensrechtlichdanach,inwieweitsiemitderobjektivenVerfahrensordnung des Rechts übereinstimmen. Als Zufälligkeit und Willkürstörst der Widerspruch im Verfahrensrecht auf eine feste Grenze in derallgemeinen Wirklichkeit des Rechts. Innerhalb dieser Grenze, die dasVerfahrensrecht stellt, verkörpert nach Hegel der Richter die Subjektivität desGerichts. Als Organ des Gerichts verhält sich der Richter entsprechend demallgemeinenInteressedesRechtsundrepräsentiertsomitdenallgemeinenundvernünftigenBürgerinderbürgerlichenGesellschaft.OhneirgendeinInteresseanEigentum und dessen Erwerbung zu haben, erkennt der Richter, wessen

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Rechtbehauptung imRechtstreitmitderallgemeinenWirklichkeitdesGesetzesübereinstimmt,underurteiltdanach,obdieeineoderandereRechtsbehauptungwahr ist. Die Selbstbestimmung des Richters besteht darin, dass er dasErkenntnisverfahrenselbstleitetundselbständigurteilt.IndemderRichterdenTatbestand im Einzelfall gewissenhaft erkennt, bei seinem Urteil das demEinzelfall entsprechende Recht unter das Gesetz subsumiert und damit seineEntscheidungalsmitdemrichtigenRechtübereinstimmendbeweist,verwirklichterdieIdentitätdesRechtsmitdessenUnterschiedendurchseineSubjektivität.DieEntscheidungdesRichtersistinsoferndiesubjektiveVereinigungdesRechtsmitseinenUnterschieden.Durchdie subjektiv vomRichter vollzogeneVereinigungdesRechtswirdderzuvorunentschiedeneundwandelbareZustandzwischendeneinzelnenRechtenunddenbloßenMöglichkeitendesformellenRechtsbeseitigt.UndderwesentlicheZweckdesRechts,dasEigentumunddessenErwerbungzusichern, wurzelt ebenso durch diese subjektive Vereinigung nicht nur imBewusstsein aller Bürger, sondern auch in deren wirklichen Leben in derGesellschaft. Indem das Gericht durch die Öffentlichkeit der Rechtspflege eineobjektiveOrdnung fürdasRechtsverfahreneinrichtetunddurchdie subjektiveEntscheidung des Richters die Zufälligkeit des Einzelfalles und dieWillkür derdarin streitenden Bürger beseitigt, tritt die Gesetzmäßigkeit des RechtsschließlichindiewirklicheNotwendigkeitdesRechtsein.Darauswirddeutlich,dassdasGerichtdieNegationderallgemeinenWirklichkeitdesRechtsauflöstundden Rechtsschutz als entschiedenen verwirklicht. In diesem entschiedenenZustand des Rechtsschutzes allein erweist sich das Recht als vernünftigeWirklichkeitderbürgerlichenGesellschaft.Indem sich das Recht durch die Gesetzgebung zum allgemeinen, öffentlichenRechtssystem inderGesellschaftentwickeltunddurchdieRechtsprechungdesGerichts sich die allgemeine Geltung dieses Systems etabliert, verwirklicht diegesamteRechtspflegedasvernünftigeRechtinderbürgerlichenGesellschaft.Mitdieser Verwirklichung tritt das Recht zuerst als allgemeine Einheit derbürgerlichen Bedürfnisse in die Gesellschaft ein. Sodann sondert sich daseinheitlicheRechtfürdiebesonderenFälleindieMöglichkeitssphärenderdafüranwendbaren Rechte ab, die sich aus dem Erwerb des Eigentums und denentsprechenden Handlungen ergeben und sich damit auf die Befriedigung derBedürfnisse beziehen. In der Vielheit der anwendbaren Rechte verwirklichtletztlich das Gericht den Schutz des Eigentums durch das Recht. Durch dieEntwicklung zum rechtlichen Eigentumsschutz vereinigt das Recht seineallgemeineWirklichkeitmitdenbesonderenMöglichkeiten.DerEigentumsschutzstellt sich somit alsNotwendigkeit desRechts, als notwendigeAnwendungdesRechts dar. In dieser Notwendigkeit des gesamten Rechtssystems regelt derallgemeineAnspruchderGesellschaftaufEinhaltungdesRechtsdieAnsprüchedereinzelnenBürger.DieRechtspflegeerscheintdamitalsdieöffentlicheMacht

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derbürgerlichenGesellschaft. HegelrechnetdieRechtspflegezuröffentlicheMacht.AndersalsbeibesonderenBedürfnissen der Bürger begründet sie die allgemeinen Ansprüche derGesellschaft und ist keine abstrakte Einheit wie die Familie, sondern einebestimmteEinheitderbürgerlichenGesellschaft.DieseBestimmtheiterhältdieRechtpflege nach Hegel dadurch, dass sie ihre allgemeine und notwendigeWirklichkeitnurdurchdiesubjektiveEntscheidungübereinenEinzelfall inderbürgerlichenGesellschafterlangt.WeildieVerwirklichungderRechtspflegeaufdenRichterangewiesenundaufdenEinzelfallbeschränktist,istdieRechtspflegedurch die äußere Zufälligkeit der gesellschaftlichen Umstände und durch diebesondere Willkür der freien Bürger bestimmt. Infolge der Subjektivität desGerichtskanndieRechtspflegedieäußereZufälligkeitunddiebesondereWillkürnurdurchdieEntscheidungdesRichtersimEinzelfallaufheben.DochkannderUrsprung der Zufälligkeit und der Willkür in der Gesellschaft nicht aufgelöstwerden,diedievonderGesellschaftunabhängigenobjektivenBedingungenderGesellschaft und die Besonderheit der Bedürfnisse zur Grundlage haben, nichtauflösen. Vielmehr muss die Rechtspflege um der Wirklichkeit willen diesenUrsprung als äußerliche Bedingung und Begrenzung für die Wirklichkeit desRechts annehmen. Unter diesen Bedingungen bestimmt Hegel die gesamteRechtspflege als gesellschaftliche Wirklichkeit: „Die Rechtspflege schließt vonselbstdasnurderBesonderheitAngehörigederHandlungenundInteressenausund überläßt der Zufälligkeit sowohl das Geschehen von Verbrechen als dieRücksichtaufdieWohlfahrt.“202 WegenderBestimmtheitderRechtspflegenimmtdassichverwirklichendeRechtzweiunterschiedlichePrinzipienderbürgerlichenGesellschaftan:dasPrinzipdesgesellschaftlichenZusammenhangsunddasderpersönlichen Besonderheit. Diese beiden Prinzipien wirken sich auf dieWirklichkeitdesRechtssoaus,dasssichdieinderRechtspflegehervortretendeöffentlicheMachtaufzweierleiZweckrichtetundsichdanachentfaltet:nachdemPrinzip der Allgemeinheit der Gesellschaft hat die öffentliche Macht „dieZufälligkeitengegendeneinenunddenanderenZweck“203 aufzuhebenundsichdamit als „ungestörte Sicherheit der Person und des Eigentums“204 geltend zumachen;nachdemPrinzipderBesonderheitderfreienBürgersolldieöffentlicheMacht „die Sicherung der Subsistenz und des Wohls der Einzelnen“ 205hervorbringen.MitdenbeidenPrinzipienderAllgemeinheitundderBesonderheitin der rechtlichenWirklichkeit beginnt die bürgerliche Gesellschaft ihr letztesMoment,dassichnachdenAufgabenderöffentlichenMachtaufdiePolizeiund202 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 533, S.411,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§533,S.527,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.203 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §230, S.217,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§230,S.189,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.204 Ebd.205 Ebd.

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aufdieKorporationaufteilt. DieBestimmungenderöffentlichenMachtgestaltendieAufgabederPolizei,dieVerwirklichungderBesonderheitderfreienBürgerzusichern.NachHegelhandeltes sich hierbei um die öffentliche Ordnung und deren Regelung für dieBefriedigungderbesonderenBedürfnisse,diesicherstdurchdieTeilhabeandemallgemeinenVermögenderGesellschaftumsetzenkann.HegelsBegründung fürdienotwendigeRegelungderöffentlichenOrdnungberuhtaufseinerEinsichtindieWeisenderBedürfnisbefriedigungundindieProduktionsverhältnisseinderbürgerlichen Gesellschaft. Nach dieser Einsicht 206 sind diese Weisen derBedürfnisbefriedigung,auchwennsiediebesonderenBedürfnissederPersonenatomistisch zu ihrem Antrieb und Zweck machen, eigentlich auf dengesellschaftlichen Zusammenhang der Personen angewiesen. Und dieProduktionsverhältnissewerden durch die besonderen Interessen angetrieben,jedochabhängigvondemVermögenderGesellschaftundvonderMaßgabederArbeit. Hierbei betont Hegel, dass unter den besonderen Bedürfnissen undInteressen es immer allgemeine Elemente der Gesellschaft gebe, die dieunumgängliche Beziehung der persönlichen Besonderheit zu derengesellschaftlicherVerwirklichungherstellenunddamitdieseBesonderheitindieAllgemeinheit der Gesellschaft emporheben, sodass die Befriedigung derBedürfnisseunddieProduktionfürdieInteressennichtmehrinderSphärederbesonderen Personen verbleibt, sondern sich zur allgemeinen Sache allerPersonenentwickelt.DieeinheitlicheMaßgabederallgemeinenSachestehtderNeigungderbesonderenBedürfnisse,dieVervielfältigungundVermehrungderMittel zur Unordnung zu bringen, in einem Gegensatz. Deswegen verlangt dieBedürfnisbefriedigungals allgemeineSachederGesellschaftnachder „Aufsichtund Vorsorge der öffentlichen Macht“ 207 für die Erwerbung der Mittel zurBefriedigung der besonderen Bedürfnisse. In den gesellschaftlichenProduktionsverhältnissen gibt es eine einheitliche Maßgabe gegenüber denverschiedenen InteressenderProduzentenundKonsumenten.FürdenKonfliktzwischenProduktionundKonsumtionbedürfendieProduktionsverhältnissealsallgemeineSachederGesellschaft„einerüberbeidenstehendenmitBewusstseinvorgenommenenRegulierung“208.UnterBerücksichtigungdertiefenAbhängigkeitder großen Industrie von den verschiedenen Aspekten der Gesellschaft stelltHegelfest,dass„eineallgemeineVorsorgeundLeitung“209 fürdiegroßeIndustrieund deren Zweige notwendig sei. Mit der Begründung, dass um der206 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§235–§236,S.218-220,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§235–§236,S.190-191,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.207 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §235, S.219,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§235,S.190,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.208 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §236, S.219,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§236,S.190,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.209 Ebd.

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Verwirklichung willen sich die Befriedigung der Bedürfnisse und dieProduktionsverhältnisse in die einheitliche Maßgabe der allgemeinen Sacheversetzenmüssen, beweist Hegel, dass in der bürgerlichen Gesellschaft in derSphäre ihrer Besonderheiten es immer um die allgemeine Vorsorge deröffentlichenMachtgeht,dieberechtigtenundzugleichwillkürlichenHandlungender Bürger zu regulieren. Dabei stelle die öffentliche Macht eine notwendigeSicherungfürdieVerwirklichungderBesonderheitderfreienBürgerdar.FürHegelbleibtdiesenotwendigeSicherungnochunvollständig,insofernsiesichindergesellschaftlichenWirklichkeitnochderäußerenZufälligkeitunterwirft,diesichausdenVerschiedenheitendesKapitals,dermenschlichenGesundheitundder menschlichen Geschicklichkeit zusammensetzt210 . Hegel erkennt, dass dieäußereZufälligkeitderVerschiedenheitenausderGestaltungderPersonalsfreienBürger entsteht. Einerseits ersetzt die bürgerlicheGesellschaft die Familie underöffnet der individuellen Person die freie Willkür, nach ihrer eigenenSelbstständigkeitundderenbesondererFreiheitzustreben.AndererseitsistdasStrebenderindividuellenPersoninderGesellschaftvondenVerschiedenheitendes Kapitals, der Gesundheit und der Geschicklichkeit abhängig und dadurchbegrenzt.DamitunterwirftsichdiePersonderGesellschaftundmachtsichdurchderen äußere Zufälligkeit von ihr abhängig. NachHegel ist die Gesellschaft fürdieseZufälligkeitverantwortlich.DennwegenderAbhängigkeitderPersonvonden gesellschaftlichen Bedingungen gehört deren äußere Zufälligkeit zu denprinzipiellenBestimmungen,diederenGrundlagenausmachen.SostelltHegelfest,dassdiebürgerlicheGesellschaftsowohldiePflichtalsauchdasRechtdaraufhat,regulierend auf die äußere Zufälligkeit einzuwirken. Sofern sich die besonderePerson als freier Bürger undMitglied der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt,richtetsichdieöffentlicheMachtderGesellschaftzunächstgegendiesubjektivenElemente, die die freien Bürger der äußeren Zufälligkeit aussetzen. Deswegenstellt sich dieseMacht nicht nur als „Pflicht und Recht gegen dieWillkür undZufälligkeit der Eltern“ 211 dar, sondern auch als Pflicht und Recht gegen dieWillkür und Zufälligkeit einiger Bürger, „welche durch Verschwendung dieSicherheitihrerundihrerFamilieSubsistenzvernichten“212.

210 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 237, S.220, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 237, S.191, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.211 „Sie[diebürgerlicheGesellschaft]hatindiesemCharakterderallgemeinenFamiliediePflichtunddasRechtgegendieWillkürundZufälligkeitderEltern...“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§239,S.221,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§239,S.192,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.212 „Gleicherweisehat siediePflichtunddasRechtüberdie,welchedurchVerschwendungdieSicherheitihrerundihrerFamilieSubsistenzvernichten,[sie]inVormundschaftzunehmenundanihrerStelledenZweckderGesellschaftunddenihrigenauszuführen.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§240,S.221,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§240,S.192,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009..

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Für sich genommen soll die allgemeine Macht der Gesellschaft, sofern siegesellschaftlichallgemeinist,nichtnurdiesubjektivenElementeimLebensdesfreien Bürgers durchdringen, sondern auch die objektiven Elemente, die sichebenso auf die äußere Zufälligkeit beziehen. Mit Blick auf diese objektivenElemente beobachtet Hegel, dass die Einflussfaktoren des Kapitals, derGesundheitundderGeschicklichkeit,indemMaßewiesiesichalsGrundlagederEntwicklung der bürgerlichen Gesellschaft geltend machen, auch die größteSchwierigkeitfürdievollständigeEntwicklungderGesellschaftmitsichbringen,nämlichdieArmutderfreienBürgerzufördern.NachHegelsAuffassungvonderArmutnehmendie freienBürger imProzess ihrerAnerkennungals ständischeBürgerdieallgemeinenBedürfnissederGesellschaftalsihrensubjektivenZweckan, verlieren jedochdie entsprechendenFähigkeiten zurBedürfnisbefriedigungund die gesellschaftlichenMittel zur Sicherung dieser Befriedigung.WieHegelbemerkt, macht der Zustand der Armut die Individuen „aller Vorteile derGesellschaft, Erwerbsfähigkeit von Geschicklichkeiten und Bildung überhaupt,auchderRechtspflege,Gesundheitssorge,selbstoftdesTrostesderReligionusf.mehroderwenigerverlustig“213.SobleibendieinArmutverfallenenBürgerinderWirklichkeitderGesellschaftzwarsubjektivfrei,sindaberobjektivunfrei,sodasssie ihrebesondereFreiheitnichtnurnichtverwirklichenkönnen, sondern sichauch der Gefahr ausgesetzt sehen, ihre ganze Freiheit zu verlieren. Es wirddeutlich, dass die Armut der freien Bürger dem allgemeinen Zweck derGesellschaftwiderstrebt,derdieBedürfnisbefriedigungundderenSicherungallerfreienBürger,nämlichdieVerwirklichungderFreiheitallerPersonen,zumInhalthat.Um ihrenallgemeinenZweck zu erhalten,mussdieGesellschaft zuerstdieAufgabeaufnehmen,fürdiearmenBürgerzusorgen.DeshalbhatdieGesellschaftMöglichkeit,ihreallgemeineMachtzurLinderungderArmuteinzusetzen.NebendensubjektivenHilfenaufgrunddesGemütsundderLiebebietetdieGesellschaftaufgrund ihrer sittlichen Ganzheit gemeinschaftliche Institutionen undVeranstaltungenan.WieHegelbemerkt,geht„dasStrebenderGesellschaftdahin,in der Notdurft und ihrer Abhilfe das Allgemeine herauszufinden und zuveranstaltenundjeneHilfeentbehrlicherzumachen.“214In Bezug auf die Durchsetzung der allgemeinen Macht der Gesellschaft findetHegelheraus,dassdieseMacht,wennsiesichgegendieArmutderfreienBürger213 „AberebensoalsdieWillkür,könnenzufällige,physischeundindenäußerenVerhältnissen(§200)liegendeUmstände,IndividuenzurArmutherunterbringen,einemZustande,derihnendieBedürfnissederbürgerlichenGesellschaftläßtundder,indemsieihnenzugleichdienatürlichenErwerbsmittel(§217)entzogenunddasweitereBandderFamiliealseinesStammesaufhebt(§181), dagegen sie aller Vorteile der Gesellschaft, Erwerbsfähigkeit von Geschicklichkeiten undBildungüberhaupt,auchderRechtspflege,Gesundheitssorge,selbstoftdesTrostesderReligionusf.mehroderwenigerverlustigmacht.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§241,S.221,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§241,S.192,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.214 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §242, S.222,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§242,S.193,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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richtet,denwirklichenWiderspruchderbürgerlichenGesellschaftberührt,derindergesellschaftlichenWirklichkeitaufgrundderunterschiedlichenAuswirkungendesKapitals,derGesundheitundderGeschicklichkeitgeschieht.DieMaßnahmederGesellschaftgegendieArmutderfreienBürgerkanndiese,weilsienureineErscheinungdiesesWiderspruchesist,zwarnichttilgen,aberlindern.NachHegelliegtderwirklicheWiderspruchderGesellschaftdarin,wiediefreienBürger ihrebesonderenBedürfnisseundihreFreiheitverwirklichen.BeidieserVerwirklichungunterwirft sichdie bürgerlicheGesellschaft zusammenmit denunterschiedlichen Auswirkungen des Kapitals, der Gesundheit und derGeschicklichkeit einer „ungehinderten Wirksamkeit“ 215 . Mit dem Wort„ungehindert“weistHegelmindestensdaraufhin,dassmandieseWirksamkeitalseinederverständlichenFolgenausderEntwicklungderbürgerlichenGesellschaftbegreift. Deswegen bestimmt diese ungehinderte Wirksamkeit die bürgerlicheGesellschaftmit.InVerwirklichungdieserBestimmungführtdieGesellschaftdieunaufhaltsameEntwicklungsowohlinderBevölkerungalsauchinderIndustrieundinderWirtschaftaus.Esistnichtschwerzuerkennen,dassdieungehinderteWirksamkeitderbürgerlichenGesellschaftebendiedesKapitalismusist,derim18.und19.JahrhundertEuropabeherrschte.InRücksichtaufdenwesentlichenZweck der Gesellschaft, die Besonderheit der freien Bürger zu verwirklichen,interessiert sich Hegel nicht dafür, wie in der bürgerlichen Gesellschaft derKapitalismuswirksamwird,sichungehindertweiterbildetundsichfortdauernderhält. Vielmehr macht Hegel darauf aufmerksam, wie diese ungehinderteWirksamkeit als eigene Bestimmung der Gesellschaft die unterschiedlichenEinflüssedesKapitals,derGesundheitundderGeschicklichkeitverstärkt,sodassdiese Einflüsse als äußere Zufälligkeiten die bürgerliche Gesellschaft selbstnegierenundinderenWirklichkeitdenWiderspruchhervorbringen.Hierbeilässtsich Hegels Aufmerksamkeit allein von dem leiten, was die bürgerlicheGesellschaftindiehöhereStufederSittlichkeiteinbringenkann.Erbemerkt,dasssichdieungehinderteWirksamkeitderbürgerlichenGesellschaftzunächstindemGegensatzderErscheinungendesbürgerlichenLebensdarstellt,nämlichindemGegensatz zwischen der gesellschaftlichen Vermehrung der „Anhäufung derReichtümer“216 undderVerstärkungdurchdie„VereinzelungundBeschränktheitderbesondernArbeit“217 undderVermehrungder„AbhängigkeitundNotderandiese Arbeit gebundenen Klasse“ 218 . Erst durch diesen Gegensatz derErscheinungendrängtdiebürgerlicheGesellschaftdieunterschiedlichenFaktoren215 „Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich in ungehinderter Wirksamkeit befindet, so ist sieinnerhalbihrerselbstinfortschreitenderBevölkerungundIndustriebegriffen.“,Hegel,Grundliniender Philosophie des Rechts, § 243, S.222, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel,GesammelteWerke,Band14,§243,S.193,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.216 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §243, S.222,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§243,S.193,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.217 Ebd.218 Ebd.

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desKapitals,derGesundheitundderGeschicklichkeitzurwirklichenUngleichheitdesMenschen,diedirektmitderallgemeinenBestimmungdesRechts,dassalleBürger im Rechtssystem gleich sind, konfrontiert ist. Die Ungleichheit desMenschen bringt Hegels Unterscheidung von Klasse und Stand hervor. NachHegelsAuffassungvomStandgibtesdreibestimmteStände,nämlichderStanddes Bauern, der des Handwerkers und Händlers sowie der des allgemeinenBürgers; diese Stände unterscheiden sich von einander nach denVerschiedenheitenihressubstanziellenLebensundbringendamitdieGesellschaftzueinemorganischenGanzenderSittlichkeit. ImRahmenderEntwicklungderbürgerlichenGesellschaftzeigtsichandenStändenderfreieBürgerkonkret,wiesich die besondere Freiheit der Person mit der allgemeinen Freiheit derGesellschaftvereinigt.ImUnterschiedzudenStändenbegreiftHegeldenBegriffderKlassealsBestimmungderDifferenzzwischendenreichenunddenarmenBürgerninderGesellschaft219.InderKlassedürfensichdiePersonennichtmehralsMitgliedereinesStandesinderbürgerlichenGesellschaftbestimmen.DenndieDifferenzzwischendenKlassengründetsichnichtaufdieVerschiedenheitendessubstanziellen Lebens, sondern auf die wirkliche Ungleichheit des Menschen.SomitbestehtzwischendenVerschiedenheitendessubstanziellenLebensundderUngleichheit des Menschen ein veränderter prinzipieller Grund. Wegen dieserVeränderungschließtdieBestimmungderDifferenzderKlassendievernünftigenErrungenschaftenderBesonderheitderPersonenvonihrerMitgliedschaftinderGesellschaftaus.DieDifferenzzwischenderreichenundderarmenKlasseistderwirkliche Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft. Wenn die Personen alsMitgliedereinerarmenodereinerreichenKlasseinderbürgerlichenGesellschaftauftreten,istdieseGesellschaftdurchihreeigeneWirksamkeitinihrewirklicheNegation geraten. Das schwerwiegendste Resultat dieses Widerspruchs ist es,dass einige arme Bürger dem „Pöbel“ verfallen und die Reichtümer derGesellschaftindieHändewenigerBürgergeraten.NachHegelbildetsichderPöbelderbürgerlichenGesellschaftausMenschen,diewegenihresScheiternsbeiderErhaltung ihres ständischen Lebens die geistigen Bestimmungen der Freiheit,nämlich das Gefühl des „Rechts, der Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigeneTätigkeit und Arbeit zu bestehen“ 220 verlieren. Die Erzeugung des PöbelskennzeichnetdasradikaleScheiternderbürgerlichenGesellschaft,diedochdenfreienBürgernGestaltgebensollunddieVerwirklichungderbesonderenFreiheitder Bürger zum Zweck hat. Neben der Erzeugung des Pöbels bedroht dieKonzentrationdergesellschaftlichenReichtümeraufwenigePersonenauchdieGesellschaft. Sie kann das Scheitern der gemeinschaftlichen Aufteilung amallgemeinenVermögenderGesellschaftherbeiführenunddamitdenallgemeinen

219 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§243–§245,S.223,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§243–§245,S.193-194,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.220 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §244, S.223,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§244,S.194,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Zusammenhang der Gesellschaft, dem die bürgerliche Gesellschaft alsGemeinschaftderPersonenzugrundliegt,derGefahrdesZerfallsaussetzen.AusdemschwerwiegendenResultatdeswirklichenWiderspruchesderbürgerlichenGesellschaft wird deutlich, dass dieser Widerspruch die tiefste Krise derbürgerlichenGesellschaftzumVorscheinbringt. DietiefsteKrisederbürgerlichenGesellschaftbedeutetdieKrisendereneigenerPrinzipien, nämlich die Krise derWechselseitigkeit zwischen dem Prinzip derBesonderheit der Person und dem der Allgemeinheit der Gesellschaft. Um dieErzeugungdesPöbelszuverhindernunddieKonzentrationderReichtümeraufwenigeBürgerzumildern,mussdieallgemeineMachtderGesellschaftentwedermitdemPrinzipderBesonderheitbrechenunddamitihreMaßnahmealsetwasZwingendes in der gesellschaftlichenWirklichkeit durchsetzen, oder wenn dieallgemeine Macht der Gesellschaft auf dem Prinzip der Besonderheit beharrt,mussdiesjedochindietiefsteKrisenachdenPrinzipienderwirklichenDialektikderGesellschaftführen.HegelformuliertdieseDialektikso:„EskommthierinzumVorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaftnichtreichgenugist,d.h.andemihreigentümlichenVermögennichtgenugbesitzt,demÜbermaßederArmutundderErzeugungdesPöbelszusteuern.“221 ErstmitBlickaufdieDialektikderbürgerlichenGesellschaftstelltHegelfest,dassjedeallgemeineMaßnahmegegendieseKrise,sofernsie ihrenZweck,dieKriseder Prinzipien der Gesellschaft aufzulösen, erreichen will, das Prinzip derBesonderheitunddessenGrenzebrechenmuss.DiegeltendenMaßnahmenderbürgerlichen Gesellschaft deuten darauf hin, dass die öffentliche Macht derGesellschaft die Allgemeinheit und die Ganzheit einer höheren Stufe derSittlichkeitberührt.AufdereinenSeitemussdieGesellschaftzunächstüberdasPrinzip der Besonderheit der Person hinausgehen und sich einer höherenMaßgabe der Allgemeinheit der Sittlichkeit bedienen. Damit kann sie die Hilfegegen die Armut und gegen die Erzeugung des Pöbels als allgemeineVerantwortungallerBürgersetzenkannunddurchdieöffentlichenInstitutionenund Veranstaltungen in die Aufteilung des allgemeinen Vermögens vernünftigeingreifendarf.AufderanderenSeitemusssichdieGesellschaftalseinsittlichesGanzesaufeinehöhereBestimmungdersittlichenSubstanzgründenundineinneuesVerhältniszuanderenVölkerundLändeneintreten,damitsie„außerihrinandern Völkern ... Konsumenten und damit die nötigen Subsistenzmittel“ 222suchen und durch „das Mittel der Kolonisation“223 ihr allgemeines Vermögen

221 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§245,S.223-224,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§245,S.194,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.222 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §246, S.224,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§246,S.195,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.223 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §248, S.225,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§248,S.196,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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vermehren kann. Gleichgültig ob in Bezug auf die Bildung der öffentlichenInstitutionenundVeranstaltungenoderinBezugaufdieAusdehnungdesUmfangsder Befriedigungsmöglichkeit, esmuss die Allgemeinheit und die Ganzheit derbürgerlichen Gesellschaft der Allgemeinheit und der Ganzheit des Staates alsVernunftbegriff entsprechen und „die höhere Vorsorge und Leitung für dieInteressen,dieüberdieseGesellschafthinausführen“ 224,tragen.DiebürgerlicheGesellschafterscheintalsäußererStaat,Not–undVerstandesstaat225.DieserStaatunterscheidet sich von dem Staat als Vernunftbegriff. Denn der Staat alsVernunftbegriff zeichnet sich durch dieWirksamkeit der innerenDialektik derbürgerlichen Gesellschaft und durch die Auflösung deren Krise aus. ImUnterschied zu der erscheinenden Äußerlichkeit der Sittlichkeit im Notstaatmanifestiert sichdie Sittlichkeit als solche geradedurchdieAllgemeinheit undGanzheitdesVernunftbegriffes„Staat“.DieSittlichkeitstelltsicherstimStaatalsVernunftbegriff,alsdasanundfürsichseiendeAllgemeinedar. ErgebnisderpolizeilichenVorsorgeist,dassdieallgemeineMachtderGesellschaftder Besonderheit der Person eine öffentliche Ordnung gibt, durch die dieGesellschaftdieVerwirklichungdieserBesonderheitsichernkann.MitBlickaufdieöffentlicheOrdnunghebtHegelhervor,dassdieBesonderheitderPersonundihrebesondereFreiheitnichtsoatomistischsind,dassihrZusammenhangmitderBesonderheitundderFreiheitandererPersoneninderGesellschaftnurzufälligzuseinscheint.VielmehrhatdieBesonderheitderPerson,wieHegelimKapitel„Polizei“nachgewiesenhat,dieallgemeinenElementederGesellschaftbereitsinsichaufgenommen,sodassdiePersonihreVervollkommnungundVerwirklichungdurchdieAllgemeinheitderGesellschaftundindieserAllgemeinheitsuchenmuss.Um eine solche Vervollkommnung und Verwirklichung der Besonderheit zusichern,entwickelt sichdieallgemeineMachtderbürgerlichenGesellschaftzurAllgemeinheit und Ganzheit des Staats. Hegels Einsicht in die bürgerlicheGesellschaft und in ihr Verhältnis zum Staat ist, dass die Entwicklung derGesellschaftzumStaatdasinnerenotwendigeBedürfnisderGesellschaftselbstist,nämlichdasBedürfnis,densichausderZufälligkeitundWillkürderBesonderheitergebendenWiderspruchunddietiefsteKrisederGesellschaftaufzulösen.Durch die Entwicklung der Besonderheit der Person auf der Ebene derAllgemeinheitundGanzheitdesStaateslegtHegeldar,dassdieseAllgemeinheitundGanzheitdieimmanenteBestimmungderfreienBürgerwerdensoll.IndieserBestimmung soll nach Hegel der wesentliche Zweck der Bürger und derGegenstand ihresWillens und ihrerHandlungen liegen.DerAllgemeinheit undGanzheit des Staats stehendie Ständemit ihren allgemeinen gesellschaftlichen224 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §249, S.226,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§249,S.196,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.225 Vgl.Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§183,S.182,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§183,S.160,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Bestimmungengegenüber.AngesichtsdieserBestimmungenderStändegibtesfürdie freien Bürger als Mitglieder der Stände die Korporation als Zweck undGegenstand ihres Willens und ihrer Handlungen. Um die Entwicklung derGesellschaftzumStaatalsnotwendigzuerweisen,gehtHegelderEntstehungundderWirkungderKorporationinderGesellschaftnach.Er geht davon aus, dass die Korporation, wenn sie die Besonderheit derGesellschaft und deren Allgemeinheit auch nur zum Teil umfassen soll, alsbesondereGestaltderGesellschaftgegenüberderAllgemeinheitundGanzheitdesStaats gekennzeichnetwerdenmuss. So entsteht auchdieKorporation aus derBesonderheitderbürgerlichenGesellschaft.AberdieseBesonderheitistnichtdieunmittelbare Besonderheit der Person, sondern die durch denBefriedigungszweckderPersonvermittelteBesonderheitderArtderArbeit.WeildieArbeitselbstzurallgemeinenVermittlungderGesellschaftgehörtunddamitauchderenallgemeinesElementist,giltjedeArtderArbeitzunächstalsdas„ansich Gleiche der Besonderheit“ 226 in der Arbeitsteilung. Im Leben der freienBürger, das sich nach den objektiven Verschiedenheiten der Stände in dergesellschaftlichenWirklichkeit bildet,macht sich die Besonderheit der Art derArbeit als „Gemeinsames in der Genossenschaft“ 227 geltend, wodurch diebesonderen Personen ihren selbstsüchtigen Zweck in den relativ allgemeinenZweckderArbeiteinbringen.DurchdieseEinbringungbestimmensichdiefreienBürger als Mitglieder der Gesellschaft, und in Bezug auf die Besonderheit derArbeitsart teilen sich diese Mitglieder weiter nach der Gemeinsamkeit ihrereigenen Arbeitstätigkeit in die verschiedenen Korporationen auf. DieKorporationen setzen sich nur aus Teilen der Mitglieder der Gesellschaftzusammen.InsofernerreichensienichtdieabsoluteAllgemeinheitundGanzheitderSittlichkeit,sondernnurdiebestimmteAllgemeinheitundGanzheitfüreinigeBürger,dieMitgliedervonKorporationensind. Für alle Mitglieder der Korporationen erkennt Hegel an, dass neben denallgemeinen Institutionen und Veranstaltungen der Gesellschaft dieKorporationenauchdieallgemeineMachtüberdiebesonderenPersonenhabenundausüben,umdieVerwirklichungderBesonderheitihrerMitgliederzusichern.Im Sinne der Sorge undVerteidigung des Vermögens und der Subsistenz ihrer

226 „DasArbeitswesenderbürgerlichenGesellschaftzerfälltnachderNaturseinerBesonderheitinverschiedeneZweige.IndemsolchesansichGleichederBesonderheitalsGemeinsamesinderGenossenschaft zur Existenz kommt, faßt und betätigt der auf sein Besonderes gerichtete,selbstsüchtigeZweckzugleichsichalsallgemeinen,unddasMitgliedderbürgerlichenGesellschaftist,nachseinerbesonderenGeschicklichkeit,MitgliedderKorporation,derenallgemeinerZweckdamitganzkonkretistundkeinenweiterenUmfanghat,alsderimGewerbe,demeigentümlichenGeschäfteundInteresse,liegt.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§251,S.226,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§251,S.196-197,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.227 Ebd.

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Mitglieder darf sich die Korporation sogar als „zweite Familie“ 228 für ihreMitgliederdarstellen.AberausderBestimmungderKorporation,dasssiesichnurumihreeigenenMitglieder,nichtumalleMitgliederderGesellschaftbemüht,wirddeutlich, dass die Allgemeinheit und Ganzheit der Korporation begrenzt undendlichist. FürHegelweistdieBegrenzungundEndlichkeitderKorporationeinerseitsaufdasBedürfnishin,dassdiebürgerlicheGesellschaftübersichselbsthinausgehenund in den Staat übergehen muss, um ihre Allgemeinheit und Ganzheit zuvervollkommnen. Andererseits enthüllt die Allgemeinheit und Ganzheit derKorporation in ihrer Begrenztheit und Endlichkeit, wie Hegel bemerkt, die„sittlicheWurzeldesStaats“229.ZusammenmitderFamiliealsersterWurzeldesStaats stellt die Korporation eine weitere sittliche Vorgabe für die endgültigeEntwicklung der Sittlichkeit im Staat dar. Während die Familie durch dasgemeinsameGefühlihrerMitglieder,eineFamiliezusein,zeigt,dassdiesittlicheEinheitsowohldiesubjektiveBesonderheitalsauchdieobjektiveAllgemeinheitderSittlichkeitumfasst,stelltdieKorporationdurchihreSorgeumdieInteressenihrerMitgliedervorAugen,wiedieBesonderheit ihrerMitgliederzunächstvonderAllgemeinheitderEinheiteinerFamilieabgetrenntist,sichaberauchmitderzwar begrenzten, aber höheren Allgemeinheit der Korporation zu vereinigenvermag.AusderBestimmtheitderKorporationsowieausderBegrenztheitderpolizeilichen Vorsorge und der öffentlichen Ordnung schließt Hegel, dass diewahre Begründung für die Allgemeinheit und Ganzheit der Sittlichkeit wederallein in der unmittelbaren Sphäre der Familie noch speziell in denErscheinungsformenderbürgerlichenGesellschaftliegt,sonderninderabsolutenSphäre des Staats besteht. Zur Notwendigkeit dieser Entwicklung stellt Hegelabschließendfest:„DerZweckderKorporationalsbeschränkterundendlicherhatseine Wahrheit – sowie die in der polizeilichen äußerlichen Anordnungvorhandene Trennung und deren relative Identität – in dem an und für sichallgemeinen Zwecke und dessen absoluter Wirklichkeit; die Sphäre derbürgerlichenGesellschaftgehtdaherindenStaatüber.“230

228 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §252, S.227,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§252,S.197,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.229 „ZurFamiliemachtdieKorporationdiezweite,dieinderbürgerlichenGesellschaftgegründetesittlicheWurzeldesStaatesaus.DieerstereenthältdieMomentedersubjektivenBesonderheitundder objektiven Allgemeinheit in substantieller Einheit; die zweite aber diese Momente, diezunächstinderbürgerlichenGesellschaftzurinsichreflektiertenBesonderheitdesBedürfnissesundGenussesundzurabstraktenrechtlichenAllgemeinheitentzweitsind,auf innerlicheWeisevereinigt,sodaßindieserVereinigungdasbesondereWohlalsRechtundverwirklichtist.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §255, S.229,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§255,S.199,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.230 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§256,S.229-230,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§256,S.199,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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2.7HegelsUnterscheidungdesStaatsbegriffsvonderbürgerlichen

Gesellschaft

Über die gesamte Entwicklung von der Familie zur bürgerlichen GesellschafthinweggehtHegeldavonaus,dassderStaatdasabschließendeResultatdieserEntwicklungsei.AlssolchesResultatzeigtsichderStaatnachHegelzunächstalsAllgemeinesderSittlichkeit,dasnichtnurvonbürgerlicherGesellschaft,sondernauchvonFamiliedurchdrungenist.DerStaatistdabeisichdessenbewusst,dassdie sittliche Einheit in der Familie und ihre Wirklichkeit in der bürgerlichenGesellschaft seineWurzeln sind. Deswegen hebt Hegel in seiner Enzyklopädiehervor:„DerStaatistdieselbstbewußtesittlicheSubstanz,–dieVereinigungdesPrinzipsderFamilieundderbürgerlichenGesellschaft.“231 AlserstesittlicheWurzeldesStaatsstelltdieFamiliediesittlicheEinheitindemGefühl der Liebe dar, in dem sich eine natürliche Person zu einer anderenverbunden fühlt, als ob diese Beiden in der angeborenen geistigen Einheitmiteinander ständen. Die Substantialität der sittlichen Einheit in der FamiliegründetsichdeswegenaufdiesubjektiveGesinnungderPersoneninderSphärederFamilieallein.DiesbietetdersittlichenEinheitkeinefesteSicherungfürihreVerwirklichung und lässt die Freiheit der Familie als abstrakt bleiben. InUnterschiedzurFamilieoffenbartdieKorporationalszweitesittlicheWurzeldesStaats die durch die Widersprüchlichkeit zwischen Person und Gesellschaftentwickelte Wirklichkeit der sittlichen Einheit. Die Korporation stellt sich alsdiejenige besondere Gestalt der allgemeinen Institutionen dar, die sich als einsittliches Ganzes der bürgerlichen Gesellschaft gegen die Zufälligkeit und dieWillkür der Besonderheit richtet und dabei an der Verwirklichung und derSicherungderFreiheit ihrerMitglieder grundsätzlich festhält undallein für sietätig ist.DieWirklichkeitder sittlichenEinheit ist insofernbegrenztdurchdenUmfang der bestimmtenMitglieder der Korporation. Von den beiden sittlichenWurzelnhernimmtderStaateinerseitsdasPrinzipderSelbstunterscheidungdersittlichenIdeean.NachdiesemPrinzipschließtderStaatsowohldaseinheitlicheGefühl der Familie als auch die allgemeinen Institutionen der bürgerlichenGesellschaftinsichselbsteinundrechnetdieseBeidendadurchzuseineneigenen231 „DerStaatistdieselbstbewußtesittlicheSubstanz,–dieVereinigungdesPrinzipsderFamilieundderbürgerlichenGesellschaft;dieselbeEinheit,welcheinderFamiliealsGefühlderLiebeist,ist seinWesen,dasaber zugleichdurchdas zweitePrinzipdeswissendenundaus sich tätigenWollens die Form gewußter Allgemeinheit erhält, welche so wie deren im Wissen sichentwickelndeBestimmungendiewissendeSubjektivitätzumInhalteundabsolutenZweckehat,d.i.für sich dies Vernünftige will.“, Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaft imGrundrisse (1830), § 535, S.413, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 1991. Vgl. Hegel, GesammelteWerke,Band20,§535,S.529,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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Bestimmungen,dassderStaatdieVerwirklichungdeseinheitlichenGefühlsundder Aufgaben der allgemeinen Institutionen als seine eigenen Zwecke fördert.Andererseits entwickelt der Staat aus der Offenlegung der Bestimmtheit dersittlichenEinheitderFamilieundderBegrenztheitdersittlichenWirklichkeitderGesellschaft das Prinzip von Familie und Gesellschaft, wodurch der Staat einehöhere,entwickelteundverwirklichteEinheitderSittlichkeitjenseitsvonFamilieundderGesellschafthervorbringtunddamitalseinsittlichesGanzesüberdiesenBeiden erscheint. Die Vervollkommnung der sittlichen Einheit und ihrerWirklichkeit ist auf den Staat als sittliches Ganzes ausgewiesen ist. Angesichtsjenes Prinzips der Selbstunterscheidung bezeichnet Hegel, dass der Staat „dieWirklichkeitdersittlichenIdee,–dersittlicheGeist,alsderoffenbare,sichselbstdeutliche, substantielle Wille“ 232 ist. Nach diesem Prinzip der VereinigungformuliertHegeldenStaatals„dasanundfürsichVernünftige“233.HegelsBegriffdesStaatsenthältdeswegenursprünglich–denndieserberuftsichhierbeiHegelaufseinesittlichenWurzeln–dieBestimmungendesSubjekts,desvernünftigenWillens,undderSubstanz,dessittlichVernünftigen.AngesichtsderHegelschenAuffassungvomAbsoluten,dassdasAbsolutederPhilosophienichtnursichalsanundfürsichseiendeSubstanzderIdeebestimmt,sondernauchdieseSubstanzalseinSubjektbegreift,istderStaat,dersowohldenWillealsauchdieSubstanzist,das Absolute der Sittlichkeit. Der Begriff des Staats ist der diesem Absolutenentsprechende,reineVernunftbegriff. ImSinnedesVernunftbegriffsstelltsichderStaatnachHegelzunächstbloßalseineGestaltdar,dieinHegelsSichtvonnichtsanderemalsvonderGestaltdesNot-und Verstandesstaats zu unterscheiden ist. Dieser verkörpert für Hegel dieVorstellung von der Subsumtion des Staatsbegriffs unter das Prinzip derbürgerlichenGesellschaft.HegelsAuffassungvoneinemNot-undVerstandesstaaterinnert an Schillers Kritik an den negativen Prägungen der Natürlichkeit desMenschenaufdieGemeinschaftderMenschen.EsistSchillersKritikamNotstaat.IndemjederMenschden„ZwangderBedürfnisse“234,alsodieNotdesMenschen,unmittelbaralsZweckundTriebeinesStaatesannimmt,derabernachSchilleralsGemeinschaftderMenschendieWirklichkeitderVernunftdarstellensoll, stellt232 „DerStaatistdieWirklichkeitdersittlichenIdee–dersittlicheGeist,alsderoffenbare,sichselbstdeutliche,substantielleWille,dersichdenktundweißunddas,waserweißundinsoferneresweiß,vollführt.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§257,S.231,FelixMeinerVerlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 257, S.201, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.233 „Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seinerAllgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vernünftige.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§258,S.231,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§258,S.201,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.234 „DerZwangderBedürfnissewarf ihn(sc.denMenschen)hinein,eheer(sc.derMensch) inseinerFreiheitdiesenStandwählenkonnte;dieNotrichtetedenselbennachbloßenNaturgesetzenein,eheeresnachVernunftgesetzenkonnte.“FriedrichSchiller,ÜberdieästhetischeErziehungdesMenschen in einerReihe vonBriefen, SämtlicheWerke,Band5, S.574,DeutscherTaschenbuchVerlag,München,2004.

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derStaatalsGemeinschaftderMenschenunterderGefahr,dassseineMitgliederkeineRücksichtaufdieUnterscheidungzwischendemvernünftigenWillenderallgemeinenGesetzeundderbeliebigenWillkürderNaturnehmen235.WenndieMenschen rücksichtlos gegenüber der Forderung nach der Verwirklichung derVernunft im Staatsbegriff bleiben, begrenzen sie ihn auf die Stufe einesNaturstaats, der, wie Schiller formuliert, „seine Einrichtung ursprünglich vonKräften,nichtvonGesetzenableitet“236.AusgehendvoneinemsolchenNaturstaatgerätderStaatalsGemeinschaftderMenschenindenStreitderselbstsüchtigenMenschen und ist somit durch den möglichen Zusammenbruch dieserGemeinschaftbedroht.EbeninderBestimmungdesStaatesalsWirklichkeitderVernunftstimmtHegelmitSchillerüberein.AberandersalsSchiller,derausderPerspektivederKantischenGedankenüberdasmenschlicheVernunftvermögendievernünftigenGesetze inderpraktischenWeltverwirklichenwillunddaherden Notstaat als Resultat der natürlichen Notwendigkeit des Menschen imKontrast zu einem Staat der vernünftigen Gesetze stehen lässt, berücksichtigtHegeldenNotstaatnichtmehrinHinsichtaufdieUnterscheidungzwischenderNotwendigkeitderNaturundderFreiheitdesMenschen,sondernerverortetihnkonkret in der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, die den Menschen unddessen Selbstständigkeit und Freiheit in Hinsicht auf die menschlichenBedürfnisseundderenBefriedigungbestimmt.NurmitBezugaufeinensolchennachderBefriedigungseinerBedürfnissesuchendenMenschen führtHegeldieGestaltdesNotstaatsinseineRechtsphilosophieeinundbestimmtihnalsbloßeäußere Erscheinung des echten Staatsbegriffs 237 . Denn der Not- undVerstandesstaat beruft sich nach Hegel zwar auf die Allgemeinheit und dieWirksamkeit des vernünftigen Staatsbegriffs, leitet aber seine eigenenBestimmungennichtausdemPrinzipdesvernünftigenStaatsbegriffsab,welchesdie Allgemeinheit des Staates mit den Einzelheiten und Besonderheiten derselbstständigen Menschen vereint. Für Hegel gehorcht der Not- undVerstandesstaat vielmehr noch dem doppelten Prinzip der bürgerlichenGesellschaft, also dem der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen derAllgemeinheit des Staates und den Tätigkeiten der einzelnen und besonderenMenschen238. InHegelsSichtdrücktderNot-undVerstandesstaatdiesittlichenBestimmungen des Staates nur in der Äußerlichkeit des Staatsbegriffs aus. ImUnterschiedzueinemsolchenNot-undVerstandesstaathebtHegelalsodieIdee

235 Siehe Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe vonBriefen,SämtlicheWerke,Band5,S.574,DeutscherTaschenbuchVerlag,München,2004.236 FriedrichSchiller,ÜberdieästhetischeErziehungdesMenschenineinerReihevonBriefen,SämtlicheWerke,Band5,S.575,DeutscherTaschenbuchVerlag,München,2004.237 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§183-§184,S.182,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§183-§184,S.160,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.238 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§258,S.231-232,FelixMeiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, GesammelteWerke, Band 14, Anmerkung zu § 258,S.201-202,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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desStaatsalsVernunftbegriffhervor,diediesittlichenBestimmungendesStaatesin dessen begrifflicher Vollkommenheit offenlegt. Hegels Unterscheidungzwischen dem Staat als Vernunftbegriff und dem Staat als Not- undVerstandesstaat führt zu seiner Einsicht, dass es ganz verschiedeneBestimmungenundForderungendesMenscheninderIdeedesStaatsundinderbürgerlichen Gesellschaft gebenmuss.Mitglied des Staats zuwerden ist keinebeliebige oder zufällige Sache wie das Werden einer einzelnen Person zumMitglied der bürgerlichen Gesellschaft, wobei sich der Mensch als einselbstständiger Bürger des absoluten Grundes für ein allgemeines Leben mitanderen Bürgern nicht innegeworden ist. Der Bürger des Not- undVerstandestaats beruht noch auf den besonderen Bedürfnissen einzelnerPersonenundhatderenbesonderes InteressezumEndzweck.ObwohlsichderBürger des Notstaats seines gesellschaftlichen Zusammenhangs und seinerAbhängigkeit von der Gesellschaft bewusst ist, hält er doch das Prinzip derBesonderheitfest,sodassdieserBürgerdesNotstaatsinseinerSubjektivitätsichselbstalseinvonderGesellschaftselbstständigesIndividuumbestimmt,jedochinseiner Existenz immerdemWiderstreit zwischen seinerBesonderheit unddergesellschaftlichenAllgemeinheit HingegenliegtdemBürgerdesStaatsnachdemVernunftbegriff die Vereinigung aller einzelnen Personen in der Gesellschaftzugrunde. Als solcher nimmt der Bürger die höhere sittliche Einheit derAllgemeinheitundderEinzelheitalsPrinzipseinesLebensinsichaufundmachtdementsprechend die allgemeinen Bestimmungen des Staats zum Antrieb undZweck seines Lebens. Die sittliche Vernünftigkeit des Staatsbürgers zeigt sichihremInhaltnachdarin,dassderStaatsbürgerinseinemeigenenBewusstseindenallgemeinenunddenbesonderenWillen zurFreiheit vereinigt, und ihrerFormnach darin, dass das Handeln des Staatsbürgers durch dessen persönlicheEinhaltungderallgemeinenGesetzedesStaatsdieMaßgabedersittlichenEinheitumsetzt. Mit diesen prinzipiellen Bestimmungen des Staatsbürgers formuliertHegel die Idee des Staats so: „diese Idee ist das an und für sich ewige undnotwendige Sein des Geistes“ 239 . Für Hegel bedeutet die Ewigkeit undNotwendigkeitdesgeistigenSeins,dassdieIdeedesStaats,deralsVernunftbegriffinderphilosophischenWissenschaftauftritt,sichsowohlvonseinemhistorischenUrsprungalsauchvonseinervorhandenpositivenAutoritätunabhängigmacht.DieIdeedesStaatsentspringtausnichtsanderemalsausseinemVernunftbegriffselbst,wieHegelbemerkt:„DiephilosophischeBetrachtunghatesnurmitdemInwendigenvonallendiesem,demgedachtenBegriffzutun“240.DieAufgabe,diese

239 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§258,S.232,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§258,S.202,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.240 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§258,S.232-233,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§258,S.202,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Idee vollkommen zu begreifen, ist total auf die angemessene Methode derPhilosophiefürdenVernunftbegriffangewiesen.Als Vernunftbegriff muss der Staat sich auch durch sich selbst alleinvervollkommnen.Hegel istdavonüberzeugt,dassdieBestimmungendesStaatsdannvollkommenbegriffenwerden,wenndieAllgemeinheitdesStaatssowohlinjedemseineruntergeordnetenMomente als auch in seiner eigenenGesamtheitnachgewiesenwird.IndieEntwicklungdesStaatsführtHegeldeswegennurdieEinteilungderMomentedesStaatsein,diederMaßgabederVollkommenheitdesVernunftbegriffsangemessen ist.AngesichtsdieserMaßgabesetztsichdie Ideedes Staats aus ihren drei Momenten zusammen, nämlich aus dem innerenStaatsrecht, dem äußeren Staatsrecht und der Weltgeschichte 241 . Das innereStaatsrechtentfaltetsichinderunmittelbarenWirklichkeitderIdeedesStaats.Eshandelt sich um die Selbstbestimmung der einheitlichen Macht des Staats.Gegenüber dem inneren Staatsrecht drückt das äußere Staatsrecht dieIndividualität der Idee des Staats aus, und zwar in der Wechselseitigkeit derIndividualitäten, nämlich in Verhältnissen zwischen Staaten. In diesenVerhältnissengehtesdarum,dieVernünftigkeitdesStaatsinderäußerenWeltderStaatenwiederzuerkennenundnachzuweisen.AlsletztesMomentderIdeedesStaats entäußert die Weltgeschichte die Vollkommenheit dieser Idee in derZusammenfassungdergeschichtlichenEntwicklungsphasendesStaats. In diesen geschichtlichen Entwicklungsphasen des Staats entfaltet sich keinanderer höherer Begriff als der Begriff „Freiheit“. Hierbei legt der Begriff„Freiheit“seineAllgemeinheitundobjektiveGültigkeitnichtnurinnerhalbeinesbestimmtenStaatesoderGeistesaus, sondernererweitert seineAllgemeinheitundobjektiveGültigkeitinderSphärederVielheitderStaatenoderderVölker.MitBezugaufdieseSphärederStaatenoderderVölkerbetontHegel,dassderBegriff„Freiheit“ in den Kriegen oder Widersprüchen der Staaten wieder eine neueallgemeineundobjektiveGestaltinBezugaufseineAllgemeinheitundobjektiveGültigkeiterhält,nämlicheinezeitloseAllgemeinheitundobjektiveGültigkeit,diedieBegrenztheitdergeschichtlichenundzeitlichenVeränderungderwirklichenWelt zu überwinden vermag. Gerade um die Forderung des Begriffs „Freiheit“,derenAllgemeinheitundobjektiveGültigkeitalszeitloszubestimmen,hatHegelden Staatsbegriff in dessen Endphase der Weltgeschichte eingeführt, wo derStaatsbegriff in die Gestalt des Volksgeistes völlig eingeht und seine eigeneVerwirklichungmiteinerewigenMaßgabedesWeltgerichtsverbindet,sodassinderGeschichtederStaatsbegriffalsVolksgeistnochnichtzuverwirklichenscheint,sondern erst der Intention eines ewig allgemeinen und objektivenWeltgeistes

241 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §259,S.236-238,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§259,S.205-207,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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folgenmuss.NurdurchdieBerufungaufdieForderungdesBegriffs„Freiheit“nachdessen vollkommener Entwicklung wird es am Ende der Grundlinien derPhilosophiedesRechtsverstehbar,weshalbderHegelscheStaatsbegriffnichtnurdieBestimmungendesStaates,sondernauchdiewesentlichenBestimmungenderWeltgeschichteinsichselbsteinschließt.WennderStaatals „dieselbstbewußtesittlicheSubstanz“242 auftritt,verfügterunmittelbarüberdieallgemeineMaßgabederSittlichkeitundsomitüberderendurchdringende allgemeineMacht. Die Bestimmtheit dieser Substanz, dass sieselbstbewusstist,deutetdaraufhin,dassdieGegenständederallgemeinenMachtdemStaatwederfremderscheinennochundurchsichtigbleiben,sondernvomihmvölligerkanntundsomitalsdesseneigenebegriffenwerden.DerStaatistsichderGegenständeseinerMachtalsseinereigenenBestandteileinnegeworden.ErzeigtsichinseinerTätigkeitnunalseinbegrifflichesSubjekt,weilersichnichtdurchetwas Äußeres, sondern eben durch seine inneren Elemente bewegt, wie einpersönliches Subjekt, das sich durch seinen inneren Willen zu seinem Zweckantreibt.MitRücksichtaufdieSubstantialitätundSubjektivitätdesStaatsstelltHegelfest,dassinseinerunmittelbarenWirklichkeitderStaatalsVernunftbegriffeinedoppelteGestaltoffenbart:inBezugaufseinWesenistderStaat„dasanundfür sich Allgemeine, das Vernünftige des Willens“ 243 ; in Bezug auf seineSubjektivitätundWirklichkeitister„EinIndividuum“244,einSubjekt.DieentsprechendenBestimmungenundTätigkeitendesStaats,dersichzugleichalsSubstanzundalsSubjektzeigt,betreffendieSphäredesinnerenStaatsrechts.Diese Bestimmungen und Tätigkeit treten zunächst in den wechselseitigenVerhältnissezwischenStaatundStaatsbürgerauf. IndiesenVerhältnissenwirdeinerseits die persönliche Freiheit in der Familie und in der bürgerlichenGesellschaft abschließend derart verwirklicht, dass die Staatsbürger durch dieallgemein durchdringende Wirksamkeit des Staats, die mit einer höherenMaßgabe für die sittliche Einheit die Abstraktheit in der Familie und dieWidersprüchlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft auflöst, deren besondereFreiheiten und besondere Interessen als allgemein gültiges Recht im Staatanerkennt und absichert. Nach Hegel zeigt sich der Staat insofern als „dieWirklichkeit der konkretenFreiheit“245.Aufder anderenSeitederVerhältnisse242 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), §535, S.413,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§535,S.529,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.243 „DasWesendesStaatesistdasanundfürsichAllgemeine,dasVernünftigedesWillens,aberalssichwissendundbetätigendschlechthinSubjektivitätundalsWirklichkeitEinIndividuum.“,Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§537,S.413,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§537,S.529-530,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.244 Ebd.245 „DerStaatistdieWirklichkeitderkonkretenFreiheit...“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§260,S.239,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,

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zwischen Staat und Staatsbürger wird die Vernünftigkeit des Staats als einewahrhaft objektive Bestimmung der Sittlichkeit dadurch nachgewiesen undmanifestiert, dass die Staatsbürger, die im Staat ihre persönliche Freiheitverwirklichen wollen, die Vernünftigkeit des Staats nicht nur als allgemeineäußerliche Gültigkeit für sie und für ihre besonderen Interessen erkennen,sondernsichauchvondieserVernünftigkeitalsihremeigenenWesenüberzeugen.DieVernünftigkeitdesStaatszeigtsichnachHegelebendurchdiejenigenGesetze,diealsBestimmungenderobjektivenFreiheitdurchdieallgemeineSubstanzdesStaats gegeben werden. Diese Gesetze sind nicht nur „Schranken“ 246 für diepersönlicheFreiheitderStaatbürger,sondernzugleich„absoluterEndzweckunddas allgemeine Werk“ 247 für die Staatsbürger, sodass die Gesetze für sie als„Substanzihres...freienWollensundihrerGesinnung“248 geltenundsich„soalsgeltende Sitte“249 darstellen. In den Gesetzen, der geltenden Sitte, vermag dieMachtdesStaatsdiePflichtenundRechtederStaatsbürgerdurchdiegesetzlicheAnerkennung und Sicherung des Staats vereinigen. An der Objektivität dieserGesetze lässtsicherkennen,dass ihnendieprinzipielleUntrennbarkeitvonderAllgemeinheitdesStaatsundderBesonderheitderStaatsbürgerzugrundeliegt.MitBlickaufdieseUntrennbarkeitstelltHegel fest: „DasPrinzipdermodernenStaatenhatdieseungeheureStärkeundTiefe,dasPrinzipderSubjektivitätsichzumselbständigenExtremederpersönlichenBesonderheitvollendenzu lassenundzugleichesindiesubstantielleEinheitzurückzufahrenundsoinihmselbstdiesezuerhalten.“250 Indem der Staat in seinen Verhältnissen zum Staatsbürger nicht nur als dieallgemeine Substanz für dieselben gilt, sondern sie auch in ihrer reinenSubjektivitätanspricht,machtersichnachHegelzumGeistbzw.zumlebendigenGeistinderSittlichkeit251.DieLebendigkeitdesGeistesoffenbartsichdarin,dasssich der Staat als „ein organisiertes, in die besonderen Wirksamkeiten

§260,S.208,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.246 „DieGesetzesprechendieInhaltsbestimmungenderobjektivenFreiheitaus.Erstens:fürdasunmittelbareSubjekt,dessenselbständigeWillkürundbesonderesInteressesindsieSchranken.Aber sie sind zweitensabsoluterEndzweckunddasallgemeineWerk, sowerden siedurchdieFunktionen der verschiedenen, sich aus der allgemeinen Besonderung weiter vereinzelndenStändeunddurchalleTätigkeitundPrivatsorgederEinzelnenhervorgebracht;unddrittenssindsie die Substanz ihres darin freien Wollens und ihrer Gesinnung und so als geltende Sittedargestellt.“,Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§538,S.414,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§538,S.530,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.247 Ebd.248 Ebd.249 Ebd.250 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §260, S.239,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§260,S.208,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.251 Siehe Hegel, Enzyklopädie der philosophischenWissenschaft im Grundrisse (1830), §539,S.414,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991;Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§539,S.530-531,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.

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unterschiedenesGanzes“252 bestimmt,nämlichalseinVernunftbegriff,derindersittlichenWeltdesMenschensoabsolutfreiist,dassersichselbstzudensittlichenUnterschieden macht und sich in ihnen erhält und wiedererkennen lässt. DiehöhereMaßgabederFreiheitdesStaatsberuhtgeradeaufdemOrganismus,derdie Momente der Sittlichkeit von „Familie“, „bürgerlicher Gesellschaft“ und„Staat“einschließt.JeneBeidenenthaltenzwarschondiesittlicheFreiheit,aberzugleich auchderen entsprechendeBestimmtheit undBegrenztheit, sodass beiihnendie sittlicheFreiheit nur für endlich gehaltenwerdendarf.DiesesLetzteverdeutlicht die Gründe für die Endlichkeit der Freiheit und verbindet dieseGründemitdemStaatselbst,damitsichdiesittlicheFreiheitalsdieanundfürsichseiendeFreiheiterweistundsichsoalsabsoluteFreiheitmanifestiert.Angesichtsdieses absoluten freien Vernunftbegriffs rechtfertigt der Staat die abstrakteFreiheit in der Familie und die widersprüchliche Freiheit in der bürgerlichenGesellschaft derart, dass er diese beiden endlichen Gestalten der Freiheit alsMomentederabsolutenFreiheit inseinenallgemeinenInstitutionenbegründet.DieallgemeinenInstitutionendesStaatssinddiesubstantiellenBeziehungendesStaatsaufsichselbstundgeltendamitalsdieSelbstbestimmungendesGeistes,und zwar fürdieMachtdes Staats253.DieEntfaltungderMachtdes Staats legtdaherdasAbsolutederSittlichkeitfürsichselbstaus.DieSphäre,indersichdieseMachtunterscheidendentfaltet,istkeineäußereSphäre,sonderndieVerfassungdes Staats. Wie Hegel bemerkt, ist diese Verfassung die „Gliederung derStaatsmacht“254,nämlicheinAufbau,durchdenderStaat,derlebendigeGeistderSittlichkeit,nichtnurdennotwendigenGrunddafür,dieendlicheFreiheitzuderenUnendlichkeit zu erheben, geltend macht, sondern auch die objektive undwirkliche Gestalt der unendlichen bzw. absoluten Freiheit der Sittlichkeithervorbringt255. DerAufbauderStaatsmachtistnachHegeldie„EntwicklungderIdeeinnerhalbihrerselbst“256.InBezugaufdennotwendigenGrundderIdeedesStaatstrittdie252 „Der Staat ist als lebendiger Geist schlechthin nur als ein organisiertes, in die besonderenWirksamkeitenunterschiedenesGanzes,dievondemeinenBegriffe(wenngleichnichtalsBegriffgewußten) des vernünftigen Willens ausgehend denselben als ihr Resultat fortdauerndproduzieren.“,Hegel,EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaftimGrundrisse(1830),§539,S.414,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§539,S.530,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.253 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §263-264,S.242,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§263-§264,S.210-211,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.254 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), §539, S.414,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§539,S.530-531,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.255 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§265-§266,S.243,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§265-§266,S.211,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.256 „DieNotwendigkeitinderIdealitätistdieEntwicklungderIdeeinnerhalbihrerselbst;sieistalssubjektiveSubstantialitätdiepolitischeGesinnung,alsobjektiveinUnterscheidungvonjenerder Organismus des Staats, der eigentlich politische Staat und seine Verfassung.“, Hegel,

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absoluteFreiheitdesStaatsalsreineSubjektivitätindiepolitischeGesinnungderStaatsbürgerein,diedasBewusstseinunddasVerständnisdesMenschenüberihre Verhältnisse zum Staat entscheidet. In Bezug auf die Objektivität undWirklichkeitderIdeedesStaatszeigtsichaberdieabsoluteFreiheitdesStaatsinderpolitischenVerfassungdesStaats,undzwarimAufbauderallgemeinenMachtdesStaatsselbst.AngesichtsderIdeedesStaatsgiltdiepolitischeGesinnungals„subjektiveSubstantialität“257 dieserIdee,unddiepolitischeVerfassungalsderen„objektiveSubstantialität“258. JeneGesinnungnimmt ihren Inhalt ausnichts alsaus den Bestimmungen dieser Verfassung an. Sie zeigt sich zunächst als„Patriotismus überhaupt, als die in Wahrheit stehende Gewissheit“ 259 – diehierbei erwähnte Wahrheit bezieht sich nach Hegel gerade auf die politischeVerfassung.Hegelstelltfest,dassangesichtsderobjektivgültigenVerfassungsichdervonihmaufgefasstePatriotismusvonderbloßensubjektivenMeinungzumPatriotismus unterscheidet. Denn dieser Meinung fehlt das Wissen von demwahrhaften Grund des Patriotismus, den objektiven Bestimmungen derpolitischen Verfassung. Mit einer bloß subjektiven Meinung zum Patriotismuskönnte man nach „außerordentliche Aufopferungen und Handlungen“ 260 derStaatsbürger nur als etwas Selbstverständliches und Willkürliches verlangen.Demgegenüber legt Hegels Patriotismus den Schwerpunkt eigentlich auf dieBildungdes „Zutrauens“261,mitdemsichdie Staatsbürger vomStaat als ihremGemeinwesen, als ihrem allgemeinen Leben, überzeugen. Die politischeGesinnung macht sich als Einsicht in die allgemeine Wahrheit der SittlichkeitgeltendundhältgeradediepolitischeVerfassungalsdieseWahrheitfest.VonderEinsicht in die sittliche Wahrheit her integriert die politische Gesinnung alsPatriotismus das natürliche Gefühl, die individuelle Moral und diegesellschaftlicheSitteindieallgemeineAchtungderStaatsbürgervorallemdurchdie vom Staat gegebenen Gesetze und durch die Staatsverfassung. Durch denPatriotismusnehmendieStaatsbürgernichtsanderesalsdieVernünftigkeitdesStaats an und bestätigen diese Vernünftigkeit als Eigentümlichkeit ihresbürgerlichen Lebens. In solch einem Patriotismus erkennen schließlich dieStaatsbürger,dassdiepolitischeVerfassung,dersichFamilieundGesellschaftalsihre Momente unterwerfen, die grundsätzliche Sicherungsmacht für ihrebesonderenInteressenundihrebesondereFreiheitist.Siesindsichbewusst,dassdasallgemeineInteresseundderallgemeineZweckderpolitischenVerfassungdieGrundlinienderPhilosophiedesRechts, §267, S.243,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§267,S.211,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.257 Ebd.258 Ebd.259 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §268, S.243,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§268,S.211,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.260 „UnterPatriotismuswirdhäufignurdieAufgelegtheit zu außerordentlichenAufopferungenundHandlungenverstanden.“,Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§268,S.244,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§268,S.212,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.261 Ebd.

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eigentlicheWahrheitihrerbesonderenInteressenundihresbesonderenZweckssind. AlsdiefürStaatsbürgeralsobjektivgeltendeWahrheitderSittlichkeitzeigtsichdie politische Verfassung als Organismus der verschiedenen Gewalten desStaats 262 . Die verschiedenen Gewalten machen die verwirklichten objektivenBestimmungendesStaatsaus.DeshalbsindsiesowohldieobjektivenFormenalsauch die objektiven Inhalte des Staats als Vernunftbegriff. Jede der GewaltenenthältunmittelbardieEinheitderobjektivenFormenundderobjektivenInhaltederSittlichkeit.DazubetontHegel: „DieserOrganismus istdieEntwicklungderIdee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiver Wirklichkeit.“ 263 . Hegelerkennt, dass in dieser Entwicklung der Idee sich die politische Verfassungzunächstals„dieunmittelbareWirklichkeitoderdieSubstantialität“desStaatsalsVernunftbegriffoffenbart. InderpolitischenVerfassungtrittderwirklicheStaatalsTätigkeitderMachtverteilung,alsdynamischerVernunftbegriffauf,dersichindie verschiedenen Gewalten des Staats unterteilt. Die Notwendigkeit derGewaltenteilung liegt nach Hegel ebenso in der politischen Verfassung. In derGewaltenteilung weist die Entfaltung jeder Gewalt nach, dass ihr Antrieb undEndzweck ein und dasselbe ist, nämlich die Staatsverfassung in ihrer eigenenVernünftigkeitzuentfalten.MitderNotwendigkeitderGewaltenteilungentwickeltsichdieunmittelbareWirklichkeit, dieSubstantialitätdesStaats, schließlich zuderVollkommenheitdesVernunftbegriffs264.

262 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 269, S.244, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 269, S.212, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.263 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §269, S.244,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§269,S.212,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009. 264 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 270, S.245, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§270,S.212-213,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Teil2.MarxensKritikandemMystizismusinderspekulativen

PhilosophieHegels

1. EinführungzuMarxensKritikanHegelsStaatsbegriff

Marxens Aufmerksamkeit für den Staat wird durch seinen praktischen Kampfgegen den Status quo des preußischen Staates angeregt. Die geschichtlichenHintergründefürMarxensradikalgewordeneHaltunggegenüberderpreußischenRegierung waren die Inthronisation des FriedrichWilhelm IV. als preußischerKönig im Jahr 1840 und dessen strenges Fortgehen gegen die Bewegung derreligiösen,allenKonventionenwidersprechendenKritik,dievonderGruppederJunghegelianerinitiiertwordenwar.MarxwardieserGruppeerstspätbeigetreten.Er hatte engen Kontaktmit einigenMitgliedern des Kerns der Junghegelianer,insbesonderemitBrunoBauer.DerKritikdesChristentumsvonDavidFriedrichStrauß und Ludwig Feuerbach folgend vertrat Bruno Bauer einen neuenAtheismus.SeitBrunoBauerDozentandertheologischenFakultätderUniversitätBonngewesenwar,hattediesergeplant,fürMarxeineakademischeStellungzufinden, um mit ihm zusammen die Kritik der Religion als neue Bewegung zuverbreiten. Wegen der einsetzenden strengen Religionspolitik unter KönigFriedrichWilhelmIV.scheiterteBrunoBauerjedochmitdiesemVorhaben.AuchkonnteerseineeigeneStellunginBonnnichtmehrhalten.DarumhatteMarxdieHoffnung auf eine akademische Karriere verloren und wandte sich demJournalismuszu.AlsRedakteurderRheinischenZeitungistMarx„vomaktivistischgeneigtenGelehrtenzueinemgelehrtenAktivisten“265 geworden,derradikaldieZensur und andere sozial-politische Maßnahmen der preußischen Regierungkritisierte. Gerade in der Anfangszeit seiner Beschäftigung mit der Kritik der

265 MichaelQuante(Hrsg.),DavidP.Schweikard(Hrsg.):Marx-Handbuch:Leben–Werk–Wirkung,S.7, J.B.MetzlerVerlag,Stuttgart,2016.ZumEinflussder journalistischenArbeitaufMarxsieheauchGeorgLukács,„ZurphilosophischenEntwicklungdesjungenMarx,1840-1844“,SchriftenzurIdeologieundPolitik,S.518-529,H.LuchterhandVerlag,Neuwied,1967.DerHistorikerJonathanSperberhatdieBerufe,diedieJunghegelianernachderInthronisationvonFriedrichWilhelmIV.gewählthaben,beobachtetundaufFolgendeshingewiesen:„NotasingleYoungHegelianwouldobtainauniversityposition;theywouldbeforcedintocareersasfreelancewriters,journalists,andotherfinanciallyuncertainoccupations.Somefoundtheirwayintoartisticandbohemiancircles;othersbecameleft-wingpoliticalactivists,and,followingthefailureofthe1848Revolution,spenttherestoftheirlivesinexile.“MitdiesemHinweisverbindeterdieEinsicht:„TheYoungHegelians,andMarx inhisownuniquewayamongthem,becamea lostgenerationofGerman intellectuallife.“UnterderBezeichnung„alostgenerationofGermanintellectuallife“fasstJonathanSperberdiegemeinsameradikalepolitischeHaltungallerJunghegelianermitihrerschlechtergewordenensozialenundwirtschaftlichenExistenzzusammen,diediestrengePolitikvonFriedrichWilhelmIV.verursachthabe;dazusiehe JonathanSperber:Marx:ANineteenth-CenturyLife,P.69-70,W.W.Norton&Company,NewYork/London2013.

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HegelschenRechtsphilosophiehaterschonineinemBriefanArnoldRugegezeigt,dassersichdesStatusquorechtbewusstgewesenwar: „DerPrunkmanteldesLiberalismus ist gefallen, und der widerwärtigste Despotismus steht in seinerganzen Nacktheit vor aller Welt Augen“ 266 . Marx fasst darin seine negativenErfahrungenmitdemdamaligenRegimedespreußischenStaateszusammen,vorallemmitdessenMonarchie.IneinemspäterenBriefanArnoldRugekommterzuder Ansicht: „Das Prinzip der Monarchie überhaupt ist der verachtete, derverächtliche, der entmenschteMensch; undMontesquieu hat sehr unrecht, dieEhre dafür auszugeben. Er hilft sich mit der Unterscheidung von Monarchie,Despotie und Tyrannei. Aber das sind Namen eines Begriffs, höchstens eineSittenverschiedenheitbeidemselbenPrinzip.WodasmonarchischePrinzipinderMajoritätist,dasinddieMenscheninderMinorität,woesnichtbezweifeltwird,dagibteskeineMenschen.“267 DerZustandderwirklichenWelt,allemvoranderZustand der politischen Welt des Menschen, beschreibt Marx so, dass in derbestehendenWirklichkeitdasMenschenwesendemMenschenentzogenwird.FürMarx liegthierderSchwerpunktder seinerzeit aktuellenKrisedesLebensdesMenschen.WeilerdieseKrisehauptsächlichinDeutschlandzunächstausgemachthat, ist fürMarx dieMonarchie des preußischen Staates dafür verantwortlich,bevorerfürdiewahrenGründedesmenschlichenLeidensinderwirklichenWelttiefereindringenunddieseGründedeutlichererkennenkann,wiez.B.erindenPariserManuskriptendieGründedes LeidensdesmenschlichenLebens in derEntwicklungderkapitalistischenProduktionzufindenversucht.DerZustanddesZwangesundderUnterjochungdesMenschen imdamaligenpreußischenStaatveranlasstMarxnichtnur,dieMonarchieundderenPrinzipienzutadeln,sondernauchdazu,dieaufsiebezogenenTheoriendesStaateszukritisieren.DennindersichihmzeigendenKrisedesLebensdesMenschennimmtMarxdeutlichdieengeVerbindungderKrisemitderTheoriewahr:„DiePhilosophiehatsichverweltlicht,undderschlagendeBeweisdafürist,daßdasphilosophischeBewusstseinselbstin die Qual des Kampfes nicht nur äußerlich, sondern auch innerlichhineingezogenist“268. Im Rahmen der politischen Welt meint Marx mit dem Begriff„Philosophie“hauptsächlichdiedamaligedeutscheRechts-undStaatsphilosophie.DiesehatdurchHegel,someintMarxinseinerEinleitungzurKritikderHegelschenRechtsphilosophie,„ihrekonsequenteste,reichsteundletzteFassung“269 erhalten.Was Marx mit der „konsequentesten, reichsten und letzten Fassung“ der266 KarlMarx, Briefe aus den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“,MEW,Band1, S.337,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.471,DietzVerlag,Berlin,1982.267 KarlMarx, Briefe aus den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“,MEW,Band1, S.340,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.477,DietzVerlag,Berlin,1982.268 KarlMarx, Briefe aus den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“,MEW,Band1, S.344,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.487,DietzVerlag,Berlin,1982.269 KarlMarx,ZurKritikdesHegelschenStaatsrechts,Einleitung,MEW,Band1,S.384,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.176,DietzVerlag,Berlin,1982.

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deutschenRechts-undStaatsphilosophiemeint, istbeiHegelnichtsanderesalsdassderStaat einVernunftbegriff desGeistes sei.WennHegeldenStaat so alseinen Vernunftbegriff bestimmt, meint er, dass der Staat eine „selbstbewusstesittlicheSubstanz“270 sei.AlssolcheSubstanzenthältderStaatnachHegelnichtnurdieobjektiveVereinigungmitderFamilieundderbürgerlichenGesellschaft,sondernerschließtauchdensubjektivenWillenzumVernünftigeninsichein.MitdensubjektivenundobjektivenElementendesVernunftbegriffs„Staat“zeigtHegel,dass die eigene Entwicklung des Staates zu seiner begrifflichenVollständigkeitgerade zwei Vorgänge umfasst; erstens: der Vorgang der Erhebung derbeschränktenGestaltendesobjektivenGeistesinderFamilieundderbürgerlichenGesellschaft indieAllgemeinheitdes Staatsbegriffs, der als eigenePositionderIdeedesobjektivenGeistesgilt;zweitens:derVorgangderAusführungdieserIdeein der Gestalt eines einheitlichen Staats in dessen objektiven und allgemeinenWirklichkeiten.GeradedurchsolchezweiVorgängemachtderStaatnachHegelsichselbstzueinergeschlossenenTotalitätdesGeistesinderSittlichkeit,worinder objektive Geist erst als Weltgeist zum Vorschein kommt und sich somitvervollständigt. Für Marx stellt aber der Staat als geschlossene Totalität desGeistes in der Sittlichkeit nur eine Ausrede von Hegel dar, die dasModell derMonarchieverteidigenwill.ObwohlHegelseineVorstellungvonderMonarchieeinlöst,dassdieMonarchiealseinekonstitutionellebestimmtundsomit indieStruktureinesvernünftigenRechtsstaatseingefügtwird,scheintesfürMarxsozusein, dass für dieKonflikte zwischen der Souveränität desMonarchen und derSouveränitätdesVolkesHegelnureinescheinbareAkkommodationdieserbeidenhervorbringt,dienurindervonHegeloffengelegtenWeltdesGeisteserkennbarund apodiktisch ist, deren Wirklichkeit aber in der empirischen Welt desMenschen nicht nachgewiesen werden kann. Für Marx kann die wichtigsteAufgabe der Modernisierung des Staates nicht darin bestehen, die Monarchiedurch die Idee der politischen Verfassung zu begrenzen oder zumodifizieren,sondern diese Monarchie durch die Entlarvung und Kritik ihrer falschentwickelten Verhältnisse zummodernen Staate zu beseitigen, damit das Volk,alsoderwirklicheMenschimStaat,dieSouveränitätdesStaatesinseineeigenenHände nehmen kann. Deswegen ist Marxens Kritik an Hegels Staat alsgeschlossene Totalität der Sittlichkeit, wo Marx theoretisch über den Staatnachdenkt, das Hauptanliegen, mit dem er seine Studie zur HegelschenRechtsphilosophie anfängt. Der Anfang der Marxschen Beschäftigung mit derHegelschenRechtsphilosophiewurzeltgeradeimZweifelanHegelsmaßgeblicherBestimmungdesStaatesalsVernunftbegriff271. 270 Hegel, EnzyklopädiederphilosophischenWissenschaft imGrundrisse (1830), § 535, S.413,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1991.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band20,§535,S.529,FelixMeinerVerlag,Hamburg,1992.271 ZumAnfangderMarxschenBeschäftigungmitHegelsRechtsphilosophiebestätigtHabermasauch,dassMarxdurchdieseBeschäftigungzeigenmöchte,wieHegelsAufhebungderbürgerlichenGesellschaft in den Staat unmöglich ist, undwarumer sie als gescheitert ansieht. Siehe JürgenHabermas,DerphilosophischeDiskursderModerne,S.77-78,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,

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Der erste Ort, wo Marx seinen Zweifel an Hegels Staat als Vernunftbegriffausführlich ausdrückt, findet sich in den FragmentenderKritik desHegelschenStaatsrechts. Diese Fragmente haben die Paragraphen 261–313 in HegelsGrundlinienderPhilosophiedesRechtszumGegenstand272.DortwendetsichMarxdagegen,wasHegel in seiner Rechtsphilosophie zuerst unter demBegriff „dasinnere Staatsrecht“ versteht, und was er sodann unter dem Begriff „innereVerfassung für sich“ ausführt. Anders als die später im Deutsch-FranzösischenJahrbuch als Pamphlet veröffentlichte Einleitung zur Kritik der HegelschenRechtsphilosophie hat Marx diese unveröffentlicht gebliebenen Fragmente alsKommentarzuHegelsBestimmungendesStaatesalsVernunftbegriffformuliert.SeineKommentierunghat ernebendieExzerpteausHegelsRechtsphilosophiegestellt;siewirktnichtnurwieeinbloßerTadel,derdazudient,HegelsMängeldarzustellen,sondernauchwieeinkritischerDialog,derzuvordievomGegnergemachtenBeiträgeanzuerkennenweiß. DiefolgendeDeutungdieserFragmentehatnichtdieAbsicht,durchdenVergleichmitdeneinschlägigenParagraphenausHegelsRechtsphilosophieMarxensKritikeinzuschätzen, ob sie Hegels ursprünglicher Intention entsprechen oder nicht.Vielmehrkonzentriertsichdie folgendeDeutungaufdieFragen:(1)WoerhebtMarxEinwändegegendasHegelscheKonzeptdesStaatesalsVernunftbegriff?(2)WieformuliertMarxseineEinwände?Und:(3)WoraufzielenMarxensGedanken,wennerdenStaatalsVernunftbegriffunddiedazugehörigeRechtsphilosophieausdemStaatswesenausschließt?DiefolgendeDeutungsollkeineRechtfertigungsein, weder für Hegel noch für Marx, sondern sie richtet sich allein auf dieEntfaltungderMarxschenKritikdesHegelschenStaatsrechts. Siedient also imWesentlichen der Orientierung und der Suche danach, wo innerhalb derGesamtheit der Gedanken Marxens dessen Kritik an Hegels Staatsrecht zuverorten ist. Denn die Aufgabe der Gedanken Marxens, sich neu auf dievorherrschendeWeltdesMenschen273 zubesinnen,betrifftetwasganzanderesalsdasHegelscheSystemderphilosophischenWissenschaften,diesichmitderphysischenundgeistigenNaturderIdeebeschäftigen.

1985. 272 WasdieAusgabenderGrundlinienderPhilosophiedesRechtsbetrifft,kannmanvermuten,dassMarxwahrscheinlichnichtdievonEduardGansimJahre1830herausgegebeneAusgabe,sonderneinExemplarvonderOriginalausgabederGrundlinienderPhilosophiedesRechts imJahre1821gelesenhabenkönnte,alserdieFragmenteschrieb.DennausdiesenFragmentenexzerpierteMarxkeinePassageausdenZusätzen,dieEduardGansder1830Ausgabehinzugefügthat,sondernnurdiePassagen,dieindenParagraphenundderenAnmerkungeninderOriginalausgabeaufgeführtwerden. Zur Geschichte der Ausgabe der Grundlinien der Philosophie des Rechts siehe: WalterJaeschke,Hegel-Handbuch:Leben–Werk–Schule,S.272-274,VerlagJ.B.Metzler,2010.273 Siehe H. Boeder, Das Vernunft-Gefüge der Moderne, S.238–243, Karl Alber Verlag,Freiburg/München, 1988; dazu auch: Topologie derMetaphysik, S.37, S.689, Karl Alber Verlag,Freiburg/München,1980

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2. MarxensKritikandemHegelschenVersuch,diesittlichenMomente„Familie“und„bürgerlicheGesellschaft“im„Staat“zuvereinigen.

Marxens Fragmente der Kritik des Hegelschen Staatsrechts fangen mit seinenKommentaren zur Hegelschen Auffassung des wirklichen Verhältnisses vonFamilie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat an. Hier geht es Marx um HegelsRechtfertigung der Einheit des Staates, in dem der Staat, die Familie und diebürgerliche Gesellschaft eins werden. Der Staat ist nach Hegel wegen dieserEinheitdiehöchsteundletzteGestaltderallgemeinenSittlichkeit,dieinihrensichvoneinanderunterscheidendenGestaltendieganzeEntwicklungvonderFamilieüber die bürgerliche Gesellschaft zum Staat durchdringt. Angesichts derAllgemeinheit der Sittlichkeit bestimmtHegel den Staat als diejenige objektiveVereinigungvonFamilieundbürgerlicherGesellschaft,welchealsonichtnur inäußerlicher Notwendigkeit beide umfasst, sondern jeweils auch als derenimmanenter Zweck fungiert und deren eigene Entwicklungen bestimmt.InfolgedessensubsumiertderStaatnachHegelalsVernunftbegriffdieFamilieunddie bürgerliche Gesellschaft unter sich selbst. Und durch diese SubsumtionbestimmtderStaatnachHegelnäherdieFamilieunddiebürgerlicheGesellschaftinihrerEndlichkeitalseigeneMomentedesStaates.DieshatzurFolge,dassdieFamilieunddiebürgerlicheGesellschaftsichaufdenvollständigenGrundihrereinzelnenEntwicklung,alsoaufdenStaatalssittlichenBegriffbeziehenmüssen.Kurzgesagt:HegelmachtderStaatzumvollendendenletztenMomentimKreisdersittlichenMomente„Familie“,„bürgerlicheGesellschaft“und„Staat“.

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2.1MarxensZweifelandemStaatalssittlicheEinheit

InGegensatzzurHegelschenAuffassungvonStaatalssittlicherEinheitstehtMarxmit seiner Einsicht, dass die Subsumtion der Familie und der bürgerlichenGesellschaftunterdenVernunftbegriff„Staat“nichtsanderesseials„derlogische,pantheistische Mystizismus“ 274 der Hegelschen Philosophie. An dieserSubsumtion der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft unter die Einheit„Staat“entzündetsichMarxensKritik,dassdiesreineSpekulationistunddassdieHegelsche Philosophie das wirkliche Verhältnis von Familie und bürgerlicherGesellschaftzumStaatnichtmehralsWirklichkeit,sondernalsErscheinungdesVernunftbegriffs „Staat“erfasst. ImGegensatzzurWirklichkeitdesempirischenStaates spricht für Marx diese Spekulation eine nur begrifflich bestimmte,philosophische Wirklichkeit aus. Wegen dieser voneinander verschiedenenWirklichkeiten glaubt Marx sich im Recht, die Hegelsche Auffassung alsSpekulationbezweifelnunddaswirklicheVerhältnisvonFamilieundGesellschaftzumStaaterneutbedenkenzudürfen.NachMarxsollinWahrheitdieWirklichkeitdieserdreiMomentedaraufberuhen,waserdie„empirischenTatsachen“nennt.Aus diesen empirischen Tatsachen speist sich Marxens eigene lebendigeErfahrungimKampfgegendieherrschendenZuständedesStaates.SeinePraxisindiesemKampfwecktbeiihmweitergehendeIntention,dievorhandeneWeltdurchRevolution zu verändern. Dieser Gedanke, der in Marxens Denken selbst eineRevolutiondarstellt,führtihnzuderÜberzeugung,dasssichseineAuffassungvomStaatkategorischvondemspekulativenStaatsbegriffHegelsunterscheidet,weilfürMarxderStaatinWirklichkeiteine„empirischeTatsache“ist.MarxensZweifelanHegels Spekulationen ist so entscheidend,dass er auchHegelsDeutungdesBegriffs„Wirklichkeit“nuralsrealitätsfernephilosophischeSpekulationansiehtund siedeshalbnichtübernehmenkann.Marxgeht sodannaufdieFragenein,warum und wie Hegel in seiner Rechtsphilosophie den Staatsbegriff noch alsBewegendesundEntscheidendes fürdiegesamteEntwicklungderFamilieundderbürgerlichenGesellschaftbestimmenwill,woerdochbereitsdiesebeidenalsVoraussetzungen des wirklichen Staates und als eigentlicheWirkungskräfte inihremgegenseitigenVerhältniszumStaateingeführthat. MitseinemZweifelzieltMarxaufdenUrsprungderHegelschenBestimmungdesStaatesalsEinheitvonFamilieundbürgerlicherGesellschaft.WährendfürHegeldieFamilieunddiebürgerlicheGesellschaftalsElementeanderSittlichkeitdesStaates teilhaben, sind beide für Marx nur empirische Tatsachen, und die

274 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.205,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.8,DietzVerlag,Berlin,1982.

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SittlichkeitistfürihneinnachträglichesPhänomen.Marxerscheintesso,alsobHegelsSpekulationnichtsNeuesseiundnichtsAndereshervorgebrachthabealseineEntstellungderempirischenTatsachenundderenVerwandlungineinebloßeErscheinung, indemHegeldas,was fürMarxTatsachensind,durchdie logisch-philosophischenWirklichkeitenersetzt.InseinenkritischenKommentarenmachtMarx deutlich, dass Hegel zwar den Staat zu etwas Entscheidendem undBewegendem, ja, zum „Subjekt“ des Vernunftbegriffs selbst, macht, jedoch inWahrheitdaswirklicheVerhältnisvonFamilieundbürgerlicherGesellschaftzumStaat durch deren abstrakte begriffliche Fassung ins Gegenteil umkehrt. Marxspricht dies auch deutlich aus: „Es wird also die empirische Wirklichkeitaufgenommen,wiesieist;siewirdauchalsvernünftigausgesprochen,abersieistnicht vernünftig wegen ihrer eigenen Vernunft, sondern weil die empirischeTatsache in ihrer empirischen Existenz eine andre Bedeutung hat als sichselbst.“275 DieBestimmungdesStaatesalsBegriffhältHegelfürvernünftig,Marxaber nur für unwirklich, sogar für illusorisch. Marx akzeptiert zwar HegelsBestimmungdesStaatesalsEinheitvonFamilieundbürgerlicherGesellschaft;ererkenntjedochnichtan,dassdieseEinheitvernünftigsei.DennfürMarxhatdieVernünftigkeiteinerSacheimmeretwasmitderenWirklichkeitzutun.MitseinerVerneinungderVernünftigkeitderEinheitdesStaatestilgtMarxinWirklichkeitdieWahrheitdesVernunftbegriffsbeiHegelundersetztsiedurchdieempirischeTatsachealswahrenGrundfürdiewirklicheErscheinungdesStaates.FürMarxstellt die philosophische Gestaltung der Wirklichkeit bei Hegel immer einespekulative Illusion über die Wirklichkeit des Staates dar. Die philosophischeSpekulation ist für Marx untrennbar mit der Illusion verbunden, dass diephilosophischen Gedanken die Wirklichkeit ersetzen. Somit machen dieEntstellung der empirischen Tatsachen und die Ersetzung ihrer WirklichkeitdurchdieSpekulation,soMarx,„dasganzeMysteriumderRechtsphilosophie(...)undderHegelschenPhilosophieüberhaupt“276 aus. Die Entlarvung der Hegelschen Spekulation als Mysterium ist für Marx dieTriebfeder, Hegels Bestimmungen der Verhältnisse der Familie und derbürgerlichenGesellschaftzumStaatinihrerganzenTiefezukritisieren.ErbeginntseineKritikmitdemZweifelanderArtundWeise,wieHegeldenÜbergangderFamilieundderbürgerlichenGesellschaft indenpolitischenStaatalsangeblichabsolute Notwendigkeit beweist. Marx behauptet, dass dieser Übergangzwangsläufig unwirklich sein muss, wenn er nicht aus den besonderen undkonkretenBestimmungenderwirklichenFamilieundderwirklichenbürgerlichenGesellschaft hergeleitet wird, sondern aus den von Hegel bezeichnetenallgemeinenBestimmungendesStaatsbegriffs.Marxhebtdiessohervor:„Esist275 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.207–208,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.9-10,DietzVerlag,Berlin,1982.276 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.208,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.10,DietzVerlag,Berlin,1982.

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ganzderselbeÜbergang,derinderLogikausderSphäredesWesensindieSphäredesBegriffsbewerkstelligtwird.DerselbeÜbergangwirdinderNaturphilosophieaus der unorganischen Natur in das Leben gemacht. Es sind immer dieselbenKategorien,diebalddieSeelefürdiese,baldfürjeneSphärehergeben.“277 NachMarxmachtsichdieserÜbergangbeiHegelindenpolitischenStaatalsabsoluteNotwendigkeitderFamilieundderbürgerlichenGesellschaftnurdeshalbgeltend,weilHegeldieabstraktenBestimmungenseinerLogikdirektaufdieempirischenkonkreten Tatsachen anwendet. Marx stößt sich also daran, dass HegelsVernunftbegriffkeinenanderenInhalthatalsdassdieFamilieunddiebürgerlicheGesellschaftindemVernunftbegriff„Staat“aufgehobensind.DasistfürMarxderGrund, warum er Hegels Vernunftbegriff „Staat“ zum eigentlichen GegenstandseinerKritiknimmt.DennHegelsgedanklichesVerfahrendesAufhebens,dasdenKern der logisch-methodischen Entwicklung des Vernunftbegriffs„Staat“ausmacht,widersprichtdemwirklichenWesendesStaates.MarxkritisiertHegels Absicht, auf alle Gegenstände der Natur und sogar des Rechts dieselogischeMethodedesAufhebensgleichermaßenanzuwenden.DennfürMarxsinddiese Gegenstände in Wirklichkeit sehr verschieden voneinander und müssendarumaufganzunterschiedlicheWeisebehandeltwerden.BeiseinerKritikdieserGleichheitstelltMarxfest:„Eskommtnurdaraufan,fürdieeinzelnenkonkretenBestimmungen die entsprechenden abstrakten aufzufinden.“278 Das,wasHegelalsdas„Aufgehobene“begrifflicherfasst,verstehtMarxnuralsbloßeAbstraktionder empirischen Wirklichkeit. Das Aufheben eines Begriffs, nach Hegel dasErhebenunddasAusschließenvonderFormunddemInhalteinesBegriffs, istnachMarxnureinErfindenderbegrifflichenundillusorischenWirklichkeiten,diedieempirischenWirklichkeitenersetzenundihrinWahrheitwidersprechen. DiebeidenResultate,diesichnachMarxausdenvonderempirischenWirklichkeitabstrahierten Bestimmungen des Vernunftbegriffs „Staat“ in subjektiver undobjektiver Hinsicht ergeben, sind die politische Gesinnung der Individuen alsStaatsbürgerunddiepolitischeVerfassungalsStaatselbst.NachHegelsindbeidediesubstantiellenBestimmungendesVernunftbegriffs„Staat“.FürMarxdagegenstellensienurunzureichendeBestimmungenfürdieWirklichkeitdespolitischenStaates dar.Marx begreift die politische Gesinnung im Staat und die politischeVerfassungdesStaatesbeiHegelnichtalsdiewahreSubstantialitätdeswirklichenStaates. Vielmehr weist er darauf hin, dass die politische Gesinnung und diepolitischeVerfassung imHegelschenStaatnurAbstraktionenseien;dennHegelisoliert nach Marx diese beiden Bestimmungen, die Hegel für den einzigensubjektivenundobjektivenAusdruckdesvernünftigenStaatsbegriffshält,vondenkonkretenGesinnungenunddenrealenInstitutionen,wiesiesichalsdiesittlichen

277 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.208,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.11,DietzVerlag,Berlin,1982.278 Ebd.

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Momente „Familie“ und „bürgerliche Gesellschaft“ darstellen. Das Resultat derHegelschenAbstraktionenvonderempirischenWirklichkeitistfürMarx,dassimHegelschenStaatsverständnisdieIdeeandieStelledeswirklichenSubjektestritt.DennHegelmachtdieIdeevomOrganismusdesStaateszumSubjektunddamitzumEntscheidendenfürdiepolitischeGesinnungunddiepolitischeVerfassung.MarxjedochzerlegtdieseIdee,indemernachdemwirklichenSubjektunddemwirklichenPrädikatdesStaatesfragt279,auchzudemZweck,umdieGewichtungenzwischenSubjektundPrädikatneuzuverteilen.WennHegeldasGewichtaufdieIdee des Staatsorganismus legt, ihn in Marxens Sicht somit zum begrifflichenSubjektmacht,fehltnachMarxbeiHegelabereineBestimmungdessen,wasdasPrädikatausmacht.NachMarxbedarfesdemnachzurnäherenBestimmungdesStaates als Organismus weiterer Aussagen über ihn, die nach Marx in denFunktionendesStaatesalsweitereFacettenderpolitischenVerfassungzusehenwären.HegelsallgemeineIdeevomOrganismusdespolitischenStaatesistnachMarx nur scheinbar und illusorisch, sodass bei Hegel eine Umkehrung derGewichtungen zwischen der Idee des Organismus des Staates und seinerempirischenWirklichkeitstattfindet.Nach Marx kehrt Hegel durch die Isolierung und die Abstrahierung derBestimmungendesphilosophischenStaatsbegriffsvonihrenwirklichenInhaltendas Verhältnis von Subjekt und Prädikat für die politische Gesinnung und diepolitischeVerfassungdesStaatesum.DieseVerkehrungkritisiertMarxdeutlichund hebt hervor, dass „Hegel überall die Idee zum Subjekt macht und daseigentliche, wirkliche Subjekt, wie die ‚politische Gesinnung‘, zum Prädikat“280wird.NurunterVerkehrungdesVerhältnissesvonPrädikatundSubjekt,wieMarxesbeiHegelsieht,machtsichdieIdeevomOrganismusdesStaatesalsAntriebundEndzweck der Entwicklung der politischen Verfassung in ihren Funktionengeltend.DamitverkehrtHegelsLogikdieEntwicklungderpolitischenVerfassungundverwandeltsieindasGegenteilderempirischenWirklichkeitdesStaatesundseinerEntwicklung.NachMarxensVerständnismussmanfürdieDarstellungderEntwicklungdesStaatesvondessenempirischerWirklichkeitausgehen.Erstdannkann man durch die Vermittlung der verschiedenen wirklichen Seiten der

279 Esseiangemerkt,dassdasVerhältnisvonSubjektundPrädikat,welchesMarximmerinseinenFragmentenderKritikdesHegelschenStaatsrechtsbehandelt,eineigentümlicherAusdruckist,denMarxvonFeuerbachsKritikanHegelsspekulativerPhilosophiedirektübernimmt,umseineeigeneKritikanderDurchdringungderHegelschenLogikdurchdenStaatauszudrücken.EsgehtMarxdarum, was als Bewegendes, als Entscheidendes und als Kern unter allen Bestimmungen derFamilie, der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates geltend gemacht werden soll. SieheFeuerbach,VorläufigeThesenzurReformationderPhilosophie,GesammelteWerkeBand9,S.257-259;unddessenGrundsätzederPhilosophiederZukunft,§9,§27–29,GesammelteWerkeBand9,S.274, S.305-313; auchvgl.KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1, S.224,DietzVerlag,Berlin,2006;MichaelQuante(Hrsg.),DavidP.Schweikard(Hrsg.):Marx-Handbuch:Leben–Werk–Wirkung,S.9,J.B.MetzlerVerlag,Stuttgart,2016. 280 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.209,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.11,DietzVerlag,Berlin,1982.

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politischen Verfassung zu einer abstrakten allgemeinen Idee desStaatsorganismusgelangen.ImUnterschiedzuMarxensVerständnisnimmtHegeldenAnfangderEntwicklungdesStaatesumgekehrtausderallgemeinenIdeedesStaatsorganismus. Die Hegelsche Entwicklung des Staates ist also eineEntwicklung von einer allgemeinen Idee zu deren konkreten Unterschieden.DadurchwerdendieverschiedenenSeitenderwirklichenpolitischenVerfassungderallgemeinenIdeevomStaatsorganismusunterworfen.DeswegenerscheintdieHegelscheEntwicklungderIdeeinihrenkonkretenUnterschiedenfürMarxnichtmehralsEntwicklungeinerpolitischenIdeeausihrerWirklichkeit,sondernnuralsEntwicklungder„abstraktenIdeeimpolitischenElement“281.Marxstelltfest,dassmanausderHegelschenEntwicklungdespolitischenStaateskeinewahreErkenntnisderspezifischenIdeederpolitischenVerfassunggewinnenkann.DerErkenntnisgewinn aus dem Hegelschen Staatsbegriff wird damit von Marxverneint,weildieHegelscheErkenntnisnachMarxnureinereineTautologiedesVernunftbegriffs oder des vernünftigen Geistes ist. Für Marx stellt sich dieHegelsche Erkenntnis folgendermaßen dar: „Eine Erklärung, die aber nicht diedifferentia specifica gibt, ist keine Erklärung. Das einzige Interesse ist, ‚dieIdee‘schlechthin,die‚logischeIdee‘injedemElement,seiesdesStaates,seiesderNatur, wiederzufinden, und die wirklichen Subjekte, wie hier die ‚politischeVerfassung‘, werden zu ihren bloßen Namen, so daß nur der Schein eineswirklichenErkennensvorhandenist.Siesindundbleibenunbegriffene,weilnichtin ihrem spezifischen Wesen begriffene Bestimmungen.“ 282 Obwohl Marx indiesemZitatnurvondemStaatundderScheincharakterdesStaatsbegriffsbeiHegel redet, kann man darin seine lebenslang fortdauernde kritische Haltunggegenüber der Philosophie und ihrer nur im Abstraktum begrenztenInterpretationenspüren.ErsiehtkeinenWertineinerErkenntnis,dienurausdemallgemeinenVernunftbegriffabgeleitetwird,weilderallgemeineVernunftbegriffnachMarxensMaßgabezukeinerkritischenEinsichtindaswirklicheWesenführt,sondernnurzuüberflüssigenAbstraktionenverleitet.FürMarxverliertderHegelscheStaatinhaltlichundmethodischseinenGrund,dieFamilieunddiebürgerlicheGesellschaftinihmaufgehenzulassen.DerKreisderdrei Momente der Sittlichkeit wird durchbrochen. In der Entwicklung desHegelschen Staates siehtMarx nichts anderes als dass sich dieWirkungen desMysteriumsderSpekulationinallenMomentendesStaatesundaufallenEbenendes Staatslebens durchsetzt, statt dass der individuelle Mensch im wirklichenStaat betrachtet wird. Dies ist der erste Schritt der Marxschen Kritik amStaatsrechtHegels. 281 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.210,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.12,DietzVerlag,Berlin,1982.282 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.210–211,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.12-13,DietzVerlag,Berlin,1982.

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2.2MarxensKritikderHegelschenMethodederEntwicklungdesStaates

alsVernunftbegriff

Marxens Kritik an den Hegelschen abstrakten Bestimmungen der politischenGesinnung und der politischen Verfassung öffnet den Blick für die „stilistischeEigentümlichkeitHegels(...),diesichoftwiederholtundwelcheeinProduktdesMystizismus ist“ 283 . Diese Eigentümlichkeit bezeichnet Marx als nur deshalb„stilistisch“,weilessichbeidemHegelschenSchluss,hierbeiausgehendvonderallgemeinenIdeedesStaatsorganismus,nurumeinephilosophischeMethodederErkenntnis, nämlich die Hegelsche Logik, handelt.Marxweist darauf hin, dassHegel,wennerdasVerhältnisder IdeevomOrganismusdesStaates zudessenverschiedenen Gewalten behandelt, nur zur Schlussfolgerung aus dieser Ideekommt:„DieserOrganismusistdiepolitischeVerfassung“284.NachMarxvermischtHegel damit die unterschiedlichen Seiten des Organismus des Staatesmit denverschiedenen Ebenen der wirklichen politischen Verfassung und identifiziertdadurch beides mit einander. Marx hält daran fest, dass jene von Hegelunterschiedenen Seiten des Organismus nur begriffliche Unterschiede derallgemeinen Idee sind, obwohl doch die verschiedenen Ebenen derwirklichenpolitischenVerfassungdiewirklichenGewaltenimStaatabbildenmüssen.MarxerkenntHegelsabsoluteBestimmungendesStaatsbegriffsnichtanundakzeptiertweder eine Selbstbestimmung noch eine Selbstbegründung des Staatsbegriffs.GegenHegelhälter:„EsistaberkeineBrückegeschlagen,wodurchmanausderallgemeinenIdeedesOrganismuszuderbestimmtenIdeedesStaatsorganismusoderderpolitischenVerfassungkäme,undeswirdinEwigkeitkeinesolcheBrückegeschlagenwerdenkönnen.“285 NachMarxübersiehtHegeldieGrenzezwischender empirischen Wirklichkeit und dem abstrakten Begriff, und zwar inirreführenderWeise.DennHegelgründetdiezusammenhängendeMittezwischender allgemeinen Idee und dem wirklichen Zustand des Staates nicht auf einaußerhalbder Idee stehendes, empirischesElement, sondern auf einen logischvorausgesetzten Begriff „Staatsorganismus“. Hegels philosophischeMethode istdarumfürMarxnichtsanderesalsMystifikationderwahrenWirklichkeit:„Er(sc.Hegel) entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern denGegenstandnacheinemmitsichfertigundinderabstraktenSphärederLogikmitsichfertiggewordnenDenken.Eshandeltsichnichtdarum,diebestimmteIdee

283 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.211,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.13,DietzVerlag,Berlin,1982.284 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §269, S.245,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§269,S.212,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.285 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.212–213,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.15,DietzVerlag,Berlin,1982.

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der politischen Verfassung zu entwickeln, sondern es handelt sich darum, derpolitischen Verfassung ein Verhältnis zur abstrakten Idee zu geben, sie als einGlied ihrer Lebensgeschichte (der Idee) zu rangieren, eine offenbareMystifikation.“ 286 In der Kennzeichnung „offenbare Mystifikation“ verdichtetMarxseineKritikanderBegründungsweisedesHegelschenVernunftbegriffs.Ernegiert die für Hegel entscheidende Rechtfertigung für die Subsumtion deswirklichenGegenstandesunterdenVernunftbegriff,womitHegeldieWirklichkeitals begriffliche Einheit vonMöglichkeit undNotwendigkeit des Begriffs erfasstundnursodieWirklichkeitvondemWiderstreitderexistentiellenErscheinungendesBegriffsbefreienkann.Marxversagtessichalso,denletzten,entscheidendenSchrittderHegelschenLogikvomWesenzumBegriffmitzugehen. OhnemethodischeGarantie,wasHegelunterdemVernunftbegriff„Staat“versteht,erscheinen Marx Hegels Idee vom Staatsorganismus und deren Entwicklungbodenlos.HegelsEntwicklungderIdeevomStaatsorganismuskritisiertMarxso,dasssienichtaufeinersachlichenNaturdesStaatesberuht,sondernaufeinemBegriff von Staat, dessen Natur philosophisch erfunden ist. Der HegelscheStaatsbegriffergibtsich fürMarxnichtalseinenotwendigeFolgerungausdemwahrenWesen derWirklichkeit der Familie und der bürgerlichenGesellschaft,sondern alsResultat aus einer begrifflichenVermischungdessen,was im Staatwirklich ist,mit dem,was nur begrifflich bestimmtwird und erst verwirklichtwerdensoll.DervonHegellogischabgeleiteteZusammenhangzwischenderIdeevom Organismus des Staates und den verschiedenen Gewalten ist für Marxunwirklich und nicht beweisbar: „Die verschiedenen Gewalten sind also nichtdurch ihre ‚eigeneNatur‘bestimmt, sonderndurcheine fremde.Ebenso istdieNotwendigkeit nicht aus ihrem eignenWesen geschöpft, nochweniger kritischbewiesen.IhrSchicksalistvielmehrprädestiniertdurchdie ‚NaturdesBegriffs‘,versiegelt in der Santa Casa (der Logik) heiligen Registern.“ 287 Die erwähntePrädestinationderStaatsgewaltenistfürMarxnurscheinbarundergibtsichausderSelbstbegründungdesBegriffs.Das„HeiligeHausderLogik“,nämlichHegelsWissenschaftderLogik,fasstMarxalseinenurbegrifflicheBehausungauf,diezurErfassungdeswirklichenStaatesunangemessenist.VielmehristfürMarxHegelsWissenschaft der Logik eine entfremdende Kraft, die den Staatsbegriff vomwirklichen Staat unangemessen trennt. Kommt dieser logisch erfundeneStaatsbegriffimwirklichenStaatzurVorherrschaft,führtdiesnachMarxlediglichzurEntfremdungdesStaatesvonseinerwahren,empirischenWirklichkeit.DieservermeintlicheZusammenhang zwischender allgemeinen IdeevomOrganismusdesStaatesunddenverschiedenenwirklichenGewaltenäußertsichfürMarxalsFesselung für die empirischeWirklichkeit. InmystifizierenderDiktion heißt es286 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.213,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.15,DietzVerlag,Berlin,1982.287 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.213,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.15,DietzVerlag,Berlin,1982.

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dazu bei Marx: „Die Seele der Gegenstände, hier des Staates, ist fertig,prädestiniertvorihremKörper,dereigentlichnurScheinist.Der‚Begriff ‘istderSohn in der ‚Idee‘, dem Gott Vater, das agens, das determinierende,unterscheidende Prinzip. ‚Idee‘ und ‚Begriff ‘ sind hier verselbständigteAbstraktionen.“ 288 Unter Betonung der unangemessenen Abstraktheit allerHegelschenBestimmungen,diestattdeswirklichenZustandesnurdenAnscheineiner begrifflichenWirklichkeit des Staates hervorzubringen vermag, kritisiertMarxdieunmittelbareAnwendungvonlogischenKategorienaufdenStaat.DieseAnwendung führt nach Marx zu nichts anderem als zu der Abstrahierung desStaatszwecksvondenwirklichenundbesonderenInteressenderIndividuen,zuder Subsumtion deswirklichen Geistes des Staates unter einen nur begrifflicherfundenenGeist,zueinerMystifikationdesStaatszwecksundderStaatsgewaltensowie zu einer Entmachtung des wirklichen Staates und der Ersetzung seinerKräfte durch logisch-metaphysische Formeln. Die vonMarx für unangemessengehalteneHegelscheMethodezurErfassungdeswirklichenStaatesführtalsonurzueinerabsurdenAnwendung logischerKategorienaufdieBestimmungendeswirklichenStaates:„NichtdieRechtsphilosophie,sonderndieLogikistdaswahreInteresse.Nicht daßdasDenken sich in politischenBestimmungen verkörpert,sonderndaßdievorhandenenpolitischenBestimmungeninabstrakteGedankenverflüchtigt werden, ist die philosophische Arbeit. Nicht die Logik der Sache,sonderndieSachederLogikistdasphilosophischeMoment.DieLogikdientnichtzumBeweisdesStaates,sondernderStaatdientzumBeweisderLogik.“289 Es wird für Marx deutlich, dass es allein der philosophischen Methodezuzuschreiben sei, dass sich die Hegelsche Rechtsphilosophie nicht zurWissenschaftvomwirklichenStaatentwickelthat,sonderndasssiesichineinevonMarxironischgenannte„ParenthesezurLogik“290 verwandelthat,inderdieSubstanz des Staates in ihren konkreten Momenten von ihrer Wahrheit, derwahren Erkenntnis des wirklichen Zustands des Staates, entfremdet wird unddadurch einen außerhalb dieser Momente stehengebliebenen, nurphilosophischen Sinn erhalten hat. Die Vernunft des Staatsbegriffs, durch dieHegel die Unterscheidung des Staates von sich selbst, die Gewaltenteilung desStaates, vornimmt, begreiftMarx alsAuflösungder konkretenMomente in nurabstrakt logische. AufMarxwirkt der Hegelsche Staatsbegriff so als trete „dasmystifizierteMobiledes abstraktenGedankens“291 andie StelledeswirklichenStaates.BeiMarxheißtdiesso:„DieVernunftderVerfassungistalsodieabstrakte288 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.213,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.15,DietzVerlag,Berlin,1982.289 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.216,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.18,DietzVerlag,Berlin,1982.290 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.217,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.19,DietzVerlag,Berlin,1982.291 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.217,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.19,DietzVerlag,Berlin,1982.

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LogikundnichtderStaatsbegriff.StattdesBegriffsderVerfassungerhaltenwirdieVerfassungdesBegriffs.DerGedanke richtet sichnichtnachderNaturdesStaates,sondernderStaatnacheinemfertigenGedanken“292.DamitbestätigtMarx,dass,umdenStaatzubegreifenundumdessenBeziehungeninderWirklichkeitzu erfassen, Hegels philosophische Methode zur Gestaltung des Staates alsVernunftbegriff weder möglich noch notwendig ist, und dass die HegelscheRechtsphilosophie alsWissenschaft fürdieBestimmungdeswirklichenStaatesunangemessen ist. Eine nur dem Vernunftbegriff entsprechende Verfassung istnachMarxkeinewirklicheVerfassung,sonderndieVerfassungeinesnurinseinenAbstraktionengefangenenBewusstseins.DieAufgabederHegelschenVerfassungist nach Marx nicht die Darstellung des wirklichen Staates, sondern dieFortschreibung eines Bewusstseins, sei dies dem wirklichen Staat nunangemessen oder nicht. Mit Blick auf Hegels Verfassung, die von abstraktemBewusstsein her konzipiert ist, ist Marx überzeugt: „Es (sc. das abstrakteBewusstsein)würdevielmehrnurdieForderungeinerVerfassungfolgern,dieinsich selbst die Bestimmung und das Prinzip hat, mit dem Bewußtseinfortzuschreiten;fortzuschreitenmitdemwirklichenMenschen,waserstmöglichist, sobald der ‚Mensch‘ zum Prinzip der Verfassung geworden ist. Hegel hierSophist.“293 IndemMarxHegelalsSophistenbezeichnet,derdasPrinzipausdemBewusstseindesMenschenableitet,brichtermitderAbsolutheitderspekulativenLogik,dieHegelalsdiewahreSachedessichentwickelndenBegriffsbestimmt.

292 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.217–218,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.19-20,DietzVerlag,Berlin,1982.293 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.218,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.20,DietzVerlag,Berlin,1982.

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3. MarxenskonkreteKritikdesStaatesalsVernunftbegriff

UmdenHegelschenStaatalsVernunftbegriffvonMarxenseigenenGedankenüberpolitischeHandlungen,diedenStaatradikalumwälzen,unterscheidenzukönnen,verstärktMarxseineKritikanderfürstlichenGewalt,derRegierungsgewaltundder gesetzgebenden Gewalt. Hieran entzündet sich Marxens Zweifel an derSubstanzdesStaates,sofernsiewiebeiHegelnuraufbegrifflichenErfindungenberuht.MarxensZweifelrichtetsichaufdieseFragen:woundwiemystifiziertdieHegelscheRechtsphilosophiedenStaatundbeseitigtihnalsSubjektunddessenwirkliche Substanz? Inwelchen Schritten ersetzen Hegels Spekulationen diesebeidenMomentederWirklichkeitdurchbegrifflicheBestimmungen?

3.1MarxensKritikderfürstlichenGewaltalsbegrifflicheEinheitder

Souveränität

Was die konkretenMomente desHegelschen Staates angeht, beginntMarxmitseiner Kritik bei Hegels Auffassung von der fürstlichen Gewalt. Dazu bemerktMarx,dassHegeldiefürstlicheGewaltalsSubjektivitätderSouveränität,damitalsSubjektivitätdespolitischenStaatesbestimmt;eineGewalt,inder,soHegel,„dieunterschiedenenGewaltenzur individuellenEinheit zusammengefasst sind,diealso die Spitze undderAnfang desGanzen, – der konstitutionellenMonarchie,ist“ 294 . Als solche Einheit enthält die fürstliche Gewalt Folgendes: „dieAllgemeinheit derVerfassungundderGesetze, dieBeratung alsBeziehungdesBesondernaufdasAllgemeineunddasMomentderletztenEntscheidungalsderSelbstbestimmung,inwelcheallesÜbrigezurückgehtundwovonesdenAnfangder Wirklichkeit nimmt“295 . Was Hegel als Kernbestimmung der Souveränitätbegreift,ist„dasMomentderletztenEntscheidungalsderSelbstbestimmung“;einBegriff, den Hegel so versteht: „Dieses absolute Selbstbestimmen macht dasunterscheidendePrinzipderfürstlichenGewaltalssolcheraus,welcheszuerstzuentwickeln ist.“ 296 Das „Moment der letzten Entscheidung alsSelbstbestimmung“besagt,wasHegelalsSubjektivitätdesStaatesversteht.MarxnimmtgeradeandiesemMomentderSubjektivitätdesStaatesdenverborgenenWiderspruch in der Hegelschen Bestimmung der fürstlichen Gewalt wahr. Er

294 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §273, S.261,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§273,S.226,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.295 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §275, S.266,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§275,S.230,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.296 Ebd.

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bemerkt hierzu, dass Hegel die Allgemeinheit der Verfassung und der Gesetzeunter die Selbstbestimmung subsumiert, ohne auszuschließen, dass das„Selbst“einennatürlichenFürstenoderMonarchenumfasst.DieFolgeist,dassdieletzteEntscheidungzwarderFormnachdieallgemeineGültigkeiterhält,siesichihremGrundnachabernichtunbedingtaufdenallgemeinenWillendesVolkesstützt.NachMarxlässtHegelsbegrifflicheFassungderfürstlichenGewaltnochdieMöglichkeit zu,dassdie letzteEntscheidungaufdenWilleneinesFürstenoderMonarchengegründetwird.InsofernkommtMarxzuderAnsicht,dassdieletzteEntscheidungdesSouveränsnichtmehralsvernünftigangesehenwerdenkann,sondern nur als willkürlich. Marx kritisiert daher an Hegels gedanklicherKonstruktion, dass die fürstliche Gewalt, wenn sie, wie Hegel sagt, dieSubjektivität des Staates darstellt, nicht dessen andere Gewalten in dieindividuelleEinheitdesFürsteneinbringenkann.DamitmachtMarxdeutlich,dassesfürihnaufdieFragenankommt,werzurSelbstbestimmungimStaatbefugtsei,undwerdiekonkreteindividuelleEinheitalsTrägerderstaatlichenSouveränitätseinsoll.MarxensFragenachderHegelschenBestimmungderSubjektivitätdesStaates spricht dieBestimmungdesMenschen im Staate als Probleman.OhnepositivesWissenüberdaskonkreteVolkundüberdennatürlichenFürstenkannnachMarxnichtentschiedenwerden,werdieletzteEntscheidungimStaattreffendarf.

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3.1.1MarxensZweifelanderGrundbestimmungdespolitischenStaates

Mit seinem Zweifel an Hegels Bestimmung der fürstlichen Gewalt geht MarxzunächstaufdiesubstantielleEinheitdesStaatesein,dieHegelalsAnfangsgrundderfürstlichenGewalt,als„GrundbestimmungdespolitischenStaates“297,erfasst.NachHegelbestehtdiese„Grundbestimmung“auszweiBestimmungen;erstens:DieGeschäfteundWirksamkeitendesStaatesgründensichalleinaufdieEinheitdespolitischenStaates;zweitens:WennsichdieseGeschäfteundWirksamkeitenaufdieSachenderindividuellenMenschenbeziehen,verbindensiesichmitdermenschlichen Bestimmung des Staatsbürgers, die Hegel als allgemeine undobjektiveQualität begreift298.Damit ist nachHegel der individuelleMensch imMoment der fürstlichen Gewalt nur als Staatsbürger gemeint, und weder alsPersondesabstraktenRechtsnochalskonkreterBürgerinderGesellschaft.DiesubstantielleEinheitbeziehtsichnachHegelsomitaufnichtsanderesalsaufdieZusammenfassung der Entwicklung aller Geschäfte und Wirksamkeiten desStaateshinzuderEinheitinderfürstlichenGewalt. Bei der „Grundbestimmung des politischen Staates“ sträubt sich Marx, HegelsbesondereHervorhebungderBestimmungdesindividuellenMenschenimStaatnuralsStaatsbürgeranzuerkennen.InBezugaufMarxensEinwändemussdochangemerkt werden, dass Marx Hegels Bestimmung der unmittelbarenPersönlichkeit in der Rechtsphilosophie offenbar missverstanden hat. DiesesMissverständniswirddeutlich,wennMarxseineKritikfolgendermaßenäußert:„DieGeschäfteundWirksamkeitendesStaatessindanIndividuengeknüpft(derStaat ist nur wirksam durch Individuen), aber nicht an das Individuum alsphysisches,sondernalsstaatliches,andieStaatsqualitätdesIndividuums.“299 MitderunmittelbarenPersönlichkeitmeintHegelinderTatnurdieBestimmungderPersondesabstraktenRechts.DiePersönlichkeitinHegelsRechtsphilosophiehatzwar Beziehungen auf einige physischen Eigenschaften desMenschen, z.B. dieGeburtunddasAlterdesMenschen,aberHegelhatdieseEigenschaftenschonindiegeistigenBestimmungendesfreienWillensdesMenschensointegriert,dasssienuralsäußerlichsteBedingungen fürdieVerwirklichungdes freienWillensgeltenundsomitdiekonstruktiveRollenichteinnehmen.DieslässtsichinHegels

297 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §276, S.266,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§276,S.230,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.298 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§276-§277,S.266-267,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§276-§277,S.230,FelixMeinerVerlag,Hamburg, 2009.AuchVgl.KarlMarx,KritikdesHegelschen Staatsrechts,MEW,Band1,S.221-222,DietzVerlag,Berlin,2006;undMEGA,I,Band2,S.21-22,DietzVerlag,Berlin,1982.299 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.222,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.22,DietzVerlag,Berlin,1982.

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Rechtsphilosophie damit bestätigen, dass Hegel nicht die physischenBestimmungendesMenschen,sondernnurdessenobjektiv-geistigeBestimmungbehandelt,diemitdemRecht,derMoralundderSittlichkeitdesMenschenzutunhat.AberMarxscheinthierbeinichterkanntzuhaben,dassdieRechtsphilosophieunter der Teilung der philosophischen Wissenschaften von der Logik, derNaturphilosophieundderPhilosophiedesGeistesstehtundnurzurPhilosophiedes Geistes gehört, und dass Hegels Bestimmung der unmittelbarenPersönlichkeit inderRechtsphilosophienichtdiephysischenEigenschaftendesMenschenmeint,sondernHegelaufderEbenederBegriffsbestimmungdesfreienWillens des Geistes verbleibt. Marx hat also das Geistigemit demNatürlichenoffenbarvermischt. ObwohlMarxHegels„unmittelbarePersönlichkeit“missversteht,wirdderKernseinerKritikanHegelsBestimmungdesStaatsbürgersdavonnichtberührt.DennMarx ist auchmit der Verknüpfung der Geschäfte und derWirksamkeiten desStaatesmitdenBestimmungendesStaatsbürgers,alsomitderStaatsqualitätdesIndividuums, durchaus einverstanden. Marx stimmt allerdings mit Hegel nichtüberein bei der Bestimmung des Staatsbürgers im Verhältnis zu der desgesellschaftlichen Bürgers. Marx hebt hervor, dass das, was Hegel als„StaatsqualitätdesIndividuums“mitdenGeschäftenunddenWirksamkeitendesStaates verbindet, eine Qualität der Wirklichkeit sei, die Hegel jedoch nurbegrifflichausderabstraktenEinheitdesStaatesentwickeleundvonderermeint,siedeswegenals allgemeinundobjektivbezeichnenzukönnen.Marxkritisiertdarum,dassHegeldieQualitätdesStaatsbürgersvondernatürlichenQualitätdesMenschenunterscheideundsieauchvondesseninWirklichkeitsozialerQualitätisoliere.DieIsolierungdesStaatsbürgersvonderwirklich-sozialenQualitätdesMenschen führt nach Marx dazu, dass Hegels Bestimmung des Staatsbürgersebensowie die Einheit des politischen Staates nurAbstrahierung sei.MarxensZweifelanderEinheitdesStaateshatdemnachseineGrundlageinseinemZweifelanHegelsBestimmungdesMenschenalsStaatsbürger. ImGegensatzzuHegelsabstrakterBestimmungdesStaatsbürgersstehtMarxaufdemStandpunkt,dassdie Geschäfte und Wirksamkeiten des Staates nicht Auswirkungen diesesabstrakten Staatsbürgers seien, sondern dass sie an den wirklich-sozialenMenschen anknüpfenmüssen.Marx betont darum, dass nur die Geschäfte undWirksamkeitendesStaatesaufdenTätigkeitenderwirklich-sozialenMenschenberuhenundsomit „dienatürlicheAktionseiner (sc.desStaates)wesentlichenQualität“300 seinsollen.NäheroffenbartMarxseineEinsichtindiegrundsätzlicheRolle des wirklich-sozialen Menschen so: „Es kömmt dieser Unsinn dadurchherein,daßHegeldieStaatsgeschäfteundWirksamkeitenabstraktfürsichundimGegensatz dazu die besondere Individualität faßt; aber er vergißt, daß diebesondere Individualität eine menschliche und die Staatsgeschäfte und300 Ebd.

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Wirksamkeiten menschliche Funktionen sind; er vergißt, daß das Wesen der‚besonderenPersönlichkeit‘nichtihrBart,ihrBlut,ihreabstraktePhysis,sondernihresozialeQualitätist,unddaßdieStaatsgeschäfteetc.nichtsalsDaseins-undWirkungsweisen der sozialen Qualitäten des Menschen sind.“ 301 Was Marx indiesem Zitat für baren Unsinn hält, sind also Hegels Angaben zurgesellschaftlichen Bestimmung desMenschen,weil diesermeine, dass sich diegesellschaftliche Bestimmung des Menschen nur „äußerlicher- undzufälligerweise“302 mitdenGeschäftenundWirksamkeitendesStaatesverbinde.Was Hegel im Staat nur dem individuellen Menschen ohne notwendigengesellschaftlichenBezugzuschreibt,istfürMarxdieUrsachefürdieGefahr,denStaatsbürgervonseinerBestimmungalsBürgereinerkonkretenGesellschaftzuisolieren.DiesergesellschaftlichzusehendekonkreteBürgerdarfnachMarxnichteiner nur abstrakten Bestimmung desMenschen als Staatsbürger unterworfensein.DerGegensatzzuHegelistklar:DenndiesersiehtsicherstdurcheinesolcheUnterwerfung berechtigt, den Staatsbürger abstrakt zu bestimmen und dessenBegrifflichkeit als philosophische Wirklichkeit darzustellen. An die Stelle derempirischenWirklichkeitmitihrenrealenEntwicklungenmussHegeldarumnachMarx seine philosophischeMethode der Entwicklung des Begriffes setzen. FürMarxdienstdieseUnterwerfungnurzuHegelsphilosophischerMystifikation,diedieabstrakteEinheitdesStaatesdenrealensozialenVerhältnissendesMenschengegenüberstehenlässt.GegenHegelsZusammenfassenderStaatsgeschäfteund-wirksamkeitenindenpolitischenStaatstelltMarxalsofest,dassmandasWesendieserGeschäfteundWirksamkeitenaufdieBestimmungdesgesellschaftlichenBürgerszurückführensoll:„Esverstehtsichalso,daßdieIndividuen,insofernsiedieTrägerderStaatsgeschäfteundGewaltensind,ihrersozialenundnichtihrerprivatenQualitätnachbetrachtetwerden.“303

301 Ebd.302 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§277,S.266-267,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§277,S.230,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.303 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.222,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.22,DietzVerlag,Berlin,1982.

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3.1.2MarxensKritikanHegelsEinheitdesStaatesalsIdealität

DieGeschäfteundWirksamkeitendesStaatessindfürHegelzweiBestimmungender substantiellen Einheit des politischen Staates, die seine Souveränitätausmachen 304 . Die Souveränität des Staates ist demnach die Gestalt dersubstantiellen Einheit des Staates. Der Souveränität des Staates misst HegelIdealitätbei.DieseIdealitätordnetHegelsodannweitereGewaltenundGeschäftedes Staates unter. Mit Blick auf die nur logische Anreicherung der begrifflichverstandenenIdealitätbeiHegelkritisiertMarx,dassdieseIdealitätnichtaufeinwirkliches,sondernaufeinnurlogischeVerhältnisinnerhalbederIdeedesStaatesverweist: Für Marx subsumiert Hegel die realen Gewalten und Geschäfte desStaatesunterdieEinheitdesStaatesalsIdealitätundunterwirftdemnachrealeundkonkreteVerhältnisse einemabstraktenund idealen Staatsbegriff305.MarxdeutetHegelso,dassdieserkeinewirklichenVerhältnisseimStaatezurGrundlagefür eine ideale politische Verfassung nehmen will. Vielmehr wolle Hegel auslogisch-begrifflichenVerhältnissendieIdealitätdesStaatesentwickelnundsomitdiesubstantielleEinheitdesStaatesaufeinenbestimmtenTrägerlegen,derbefugtist,diesouveräneSelbstbestimmungalsletzteEntscheidungauszuüben.BeiHegellautet dies so: „Die Souveränität, zunächst nur der allgemeine Gedanke dieserIdealität, existiert nur als die ihrer selbst gewisse Subjektivität und als dieabstrakte, insofern grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher dasLetztederEntscheidungliegt.“306 InderMarxschenKritikanHegelsStaatsbegriffstelltdemnachdieBestimmungderIdealitätderSouveränitätdasKernproblemder fürstlichen Gewalt des Staates dar und fragt danach, wer der Träger dersubstantiellenEinheitdesStaates,alsoderTrägerderSouveränität,seinsoll.FürMarx ist also Hegels Konzept der Idealität der Souveränität die wichtigsteBestimmung für die Entfaltung der fürstlichen Gewalt. Nach Hegel besteht dieIdealitätderSouveränität indenbegrifflichaufgefasstenRealitätendesStaates,den Gewalten und Geschäften des Staates; diese Idealität erscheint aber nichtunmittelbar indiesenrealenGewaltenundGeschäftendesStaates, sondernsiebedarfeinerVermittlungfürihrbesonderesDaseinindenRealitätendesStaatesundwirddamitzuderenWesen.HegelentfaltetdieIdealitätnachdenlogischen

304 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 278, S.267, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 278, S.230, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.305 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§278,S.268,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§278,S.231-232,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.Auchvgl.KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.223,DietzVerlag,Berlin,2006;undMEGA,I,Band2,S.23,DietzVerlag,Berlin,1982.306 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §279, S.269,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§279,S.232,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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PrinzipienderKategoriedes„Fürsichseins“.FürihnistdasunmittelbareDaseinder Idealität der Souveränität nichts anders als der Monarch selbst: „DieSubjektivitätaberistinihrerWahrheitnuralsSubjekt,diePersönlichkeitnuralsPerson,undinderzurreellenVernünftigkeitgediehenenVerfassunghatjedesderdreiMomente des Begriffes seine für sichwirkliche ausgesonderte Gestaltung.DiesabsolutentscheidendeMomentdesGanzenistdahernichtdieIndividualitätüberhaupt, sondern ein Individuum, der Monarch.“ 307 In Grundlinien derPhilosophie des Rechts (Anmerkung zu § 279) hebt Hegel hervor, dass demMonarchen die logische Kategorie „Eins“ zukomme und den Gewalten undGeschäftendesStaatesdielogischeKategorie„Viele“.DamitumfasstderMonarchals das „Eine“ durch seine selbstbestimmte Souveränität das, was unter dieKategorie „Viele“ fällt, und stellt somit die an und für sich seiendeEinheit desStaatesmitseinenvielenGewaltenundGeschäftendar308. Marxhältsichdamitnichtauf,dieDetailsderlogischenBestimmungen,diederFestsetzung des Monarchen als Träger der Souveränität dienen, näher zuuntersuchen.Hegels logischeKategorienerscheinenMarxalsmystisch,dienurdazu dienen, das Problem des Monarchen als Träger der Souveränität zuverdecken.MarxnegiertHegelsphilosophischeMethodevorallemdeswegen,weilerdieZielsetzungdieserMethode,denMonarchenalsTrägerderSouveränitätzubegründen,nichtanerkennt.GegenüberdemMonarchensprichterunmittelbarseinenZweifelaus:„WäreHegelvondenwirklichenSubjektenalsdenBasendesStaatsausgegangen,sohätteernichtnötig,aufeinemystischeWeisedenStaatsichversubjektivierenzulassen.“309 WasdieSubjektivitätdesStaatesangeht,istMarxüberzeugt,dassHegeldaswahreSubjektdesStaatesnichterkennt, sondernerlediglich von „den Prädikaten der allgemeinen Bestimmung“ 310 des Staatesausgeht,damitderMonarchalsTrägerderSouveränitätzur„mystischenIdee“311wird. Marx führt Hegels „mystische Methode“ auf den alten Dualismus derMetaphysikzurück:„EsistdiesderDualismus,daßHegeldasAllgemeinenichtalsdas wirkliche Wesen des Wirklich-Endlichen, d.i. Existierenden, BestimmtenbetrachtetoderdaswirklicheEnsnichtalsdaswahreSubjektdesUnendlichen.“312FürMarxistdieserDualismuseinerderGrundfehlerinHegelslogischerMethode,der sich auch in Hegels Entwicklung der Souveränität wiederfindet. Wer derTrägerderSouveränitätist,beantwortetMarxganzaufeineandereWeise.Nach

307 Ebd. 308 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§279,S.270,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§279,S.233,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.309 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.224,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.24,DietzVerlag,Berlin,1982.310 Ebd.311 Ebd.312 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.224-225,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.25,DietzVerlag,Berlin,1982.

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MarxdarfnichtdereinzelneMenschalleindieSouveränitättragen,sonderndieVielheitderMenschenkönnensieunterstützen:„dieSouveränität,derIdealismusdesStaatsalsPerson,als‚Subjekt‘existiert,verstehtsich,alsvielePersonen,vieleSubjekte,dakeineeinzelnePersondieSphärederPersönlichkeit,keineinzelnesSubjektdieSphärederSubjektivitätinsichabsorbiert.“313 AnHegelsBestimmungdesMonarchenalsTrägerderSouveränitätkritisiertMarxnebenseinerKritikanderMethodealsHegelsGrundmangelauchdieGefahr,dassHegel den Monarchen zum „Gottmenschen“ 314 macht, um diesen als echtenTräger der Souveränität zu rechtfertigen. Mit „Gottmensch“ meint Marx dieEinzigartigkeitdesMonarchen,dieselbstbestimmteletzteEntscheidungsinstanzder Souveränität zu sein.Marx hebt hervor, dass Hegel denWillen der letztenEntscheidungsinstanz des Staates, den Staatswillen, mit dem Willen desMonarchenverbindetunddiesenWillenalsdasnatürlicheMomentfürdieEinheitdes Staatesbestimmt. FürHegel sei derMonarchderEine, der allein in seinerPerson die substantielle Einheit des Staates zur Erscheinung bringt. HegelsIdentifizierungdesmonarchischenWillensmitdemStaatswillenwirft fürMarxdie Frage auf, wer die Individualität der Souveränität des Staates, wer dieIndividualitätdesStaatswillensverkörpert.DafürnimmtMarxzunächstan,dasssichderMenschalsIndividuum,derdieletzteEntscheidungsinstanzzutreffenhat,entwedermit der Gesetzgebung odermit demBefehlen beschäftigt. Deswegenkann nach Marx ein individueller Mensch im Staate „als das Allgemeinebestimmend“ 315 , der Gesetzgeber, oder „als das Einzelne entscheidend, alswirklichwollend“316,derFürstbestimmtwerden.HierbeiwirftMarxHegelvor,dass dieser bei seiner Bestimmung des Willens der letzten Entscheidung denWillenderindividuellenStaatsbürgeralsGesetzgeberausschließt.Marxstößtsichdaran, dass Hegel „alle Attribute des konstitutionellen Monarchen im jetzigenEuropa (...) zu absoluten Selbstbestimmungen des Willens“ 317 macht. SomitverdrehtHegelsBestimmungdesMonarchennachMarx„dieempirischeTatsacheineinmetaphysischesAxiom“318;HegelverschränkemitderHervorhebungderEinzigartigkeit des Monarchen die Subjektivität der Souveränität mit derenVerkörperung in einem Individuum. Vielmehr dürfe die Subjektivität derSouveränität nichtmit derenTräger verwechseltwerden.Marx stellt fest, dassHegeldiesaber tut,undzwarnur„umdie ‚Idee‘als ‚Ein Individuum‘herauszukonstruieren.“319

313 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.225,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.25,DietzVerlag,Berlin,1982.314 Ebd.315 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.226,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.26,DietzVerlag,Berlin,1982.316 Ebd.317 Ebd.318 Ebd.319 Ebd.

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IndiesemZusammenhangkonzentriertsichMarxensKritikbesondersaufHegelsAnmerkungzu§279indenGrundlinien,worinHegelseineAnsichtzumProblemdesTrägersderSouveränitätausführlichbehandelt.DieersteSache,dieHegelindieserAnmerkungerläutert,istdieEntwicklungdesBegriffs„Persönlichkeit“vonderabstraktenPersönlichkeitdesunmittelbarenRechtsbishinzurPersönlichkeitdes Staates in der Souveränität320.Doch interessiert sichMarxweniger für dielogischenMomente inderEntwicklungdesBegriffs „Persönlichkeit“.Außerdemverleugnet Marx auch ausdrücklich die von Hegel hervorgehobeneEigentümlichkeitderWissenschaft,nämlichdiedialektischeWiederholungeinesFundamentalbegriffs in verschiedenen Momenten. Hegels Deutung derPersönlichkeitdesStaateserscheintMarxnichtsandereszuseinalseineweitereBestätigung für Hegels Bestimmung des Monarchen als Gottmenschen. Als„persönifizierte Souveränität“321 schließt derMonarch nachMarx „alle andernvondieserSouveränitätundvonderPersönlichkeitundvomStaatsbewußtsein“322aus. Was Hegel als Wesen des Monarchen formuliert, ist nach Marx nur diesubjektiveWillkürdesMonarchen selbst.EserinnertMarxandenLeitsatzdesAbsolutismusunterLudwigXIV:„L'État,c'estmoi!“323. Zweitens geht Hegel in der Anmerkung zu § 279 auch auf die konkreteBestimmungderPersönlichkeitdesStaatesein.HegelwilldortdieeinzigartigePositiondesMonarchenbelegenund auf das „Eins“ in der logischenKategorie„Fürsichsein“gründen324.MitVerachtunggegenHegels logischeBestimmungensiehtMarxdieseBegründungnuralsHegelsVerklärung fürdieEntfernungderPersönlichkeitvonihremwahrenWesenan.NachMarxwirddaswahreWesenderPersönlichkeitdesStaates,alsodieSubjektivitätderSouveränität,nichtmehraufden einzigartigen Monarchen beschränkt. Vielmehr gründet sich dieses wahreWesenaufvielenPersonen, alsoaufdieVielheitder individuellenPersonen imStaate. Für Marx ist das wahre Wesen der Persönlichkeit des Staates imGattungslebenderlebendigenMenschenimStaatezufinden. DiedritteSache,dieHegelamEndederAnmerkungzu§279behandelt,istdasProblem der Volkssouveränität innerhalb von ihm als„konstitutionell“ bezeichneten Monarchie. Hegel hebt seine Bestimmung der320 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§279,S.269,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§279,S.232-233,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009. 321 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.227,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.27,DietzVerlag,Berlin,1982.322 Ebd.323 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.227,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.27-28,DietzVerlag,Berlin,1982.324 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§279,S.270,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§279,S.233,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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VolkssouveränitätvonanderenVorstellungenab,indenensichdasVolk,umselbstTrägerderSouveränitätzusein,ineinenGegensatzzumMonarchenbringenmuss.Demnach betont Hegel: „In einem Volke, das (...) als eine in sich entwickelte,wahrhaft organische Totalität gedacht wird, ist die Souveränität als diePersönlichkeitdesGanzenunddieseinderihremBegriffegemäßenRealität,alsdie Person des Monarchen.“ 325 Es ist offenkundig, dass Hegel dieVolkssouveränitätnichtalsGegensatzzurSouveränitätdesMonarchenversteht,sondern als eine Erscheinungsform dieser Souveränität des Staates auffasst.Hegels Unterscheidung seiner Volkssouveränität von anderen VorstellungenbilligtMarxdochnicht;erhältsiefürbodenlos:„Die‚verworrenenGedanken‘unddie ‚wüsteVorstellung‘befindet sichhieralleinaufderSeiteHegels“326.DarumverwirftMarxvollkommen,wasHegelzurBestimmungdesVolkesals„wahrhaftorganischeTotalität“rechnetundalsharmonischesVerhältniszwischenVolkundMonarchenbezeichnet.MarxhältvielmehrmitseinemStandpunktdagegenundbetont,dasssichdasVolkgegendenMonarchenstellt,wennesumdieFragegeht,werderTrägerderSouveränitätimStaateseinsoll. BeiErörterungdermitderVolkssouveränitätverbundenenProblemefindetMarxsodann die Gelegenheit, um die Formen der politischen Verfassungen derDemokratie und der Monarchie und ihre Verhältnisse zueinander erneut zubedenken.MarxverlangtfüreinepolitischeVerfassungeinesStaatesjeweilseinenTräger der staatlichen Souveränität. Im Rahmen der schon altenAusdifferenzierungdermitderMonarchie,derAristokratieundderDemokratieverbundenenProbleme gehtMarx davon aus, dass sich in denDifferenzen derverschiedenen Verfassungsformen die Unterschiede in der Trägerschaft derstaatlichenSouveränitätwiderspiegeln.FürMarxgehtesbeiseinenÜberlegungenüber die Formen der politischen Verfassung im Wesentlichen um die beidenFragen:WelcherwirklicheWilleistes,deralsWillederSouveränitätimmodernenStaat begriffen werden muss? Ist es der Wille des Volks oder ist es der desMonarchen? Diese Fragen führen Marx wieder auf Hegels Bestimmung desMonarchen zurück. Denn mit dessen Bestimmung identifiziert Hegel denpersönlichenWillendesMonarchenmitdemwirklichenWillenderSouveränitätdesStaates.HegelformuliertdieDemokratiealseineVerfassungsform,dieaufderVielheitder individuellenMenschenalsBürger inderbürgerlichenGesellschaftberuht.ZudenPrinzipienderbürgerlichenGesellschaftgehörtnachHegel,dassdie Menschen als gesellschaftliche Bürger zwar den allgemeinen Zweck desgesellschaftlichenLebensunddesStaatslebenserkennenkönnen,sieihnjedochnurdurchdiebesonderenZwecke ihres eigenenPrivatlebenserfahrenund ihn

325 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§279,S.271-272,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§279,S.234,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.326 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.229,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.29,DietzVerlag,Berlin,1982.

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somitvermitteln,weildieBürgernuneinmaldieBegrenztheitihresPrivatlebensnichtdurchbrechenkönnen. InErkenntnisderbürgerlichenGesellschaft folgertHegel, dass der Wille des Volkes die Differenzen der Besonderheiten derindividuellen Menschen widerspiegelt und sich darum keine einheitlicheSubjektivität,wiez.B.siedieletzteEntscheidungsinstanzdesMonarchendarstellt,ausdenPrinzipienderbürgerlichenGesellschaftentwickelnkann.DeswegenkanndiebürgerlicheGesellschaftnachHegelkeineallgemeineVereinigungzueinemStaaterreichen.ImGegensatzzurVielheitdesvonHegelalsWillkürbezeichnetenWillensdesVolkes schreibt er alsoderpersönlichenEinzelheitdesMonarchenunddessenWillendieRolledesTrägersderSouveränitätdesStaateszu.Hegelbegreift somit die natürliche Personalität des Monarchen als den einzigenAnfangspunktfürdieEntfaltungdereinheitlichenSouveränitätdesStaatesindersittlichenWeltdesGeistes.NachHegelkannsicheinepolitischeVerfassung,dieihremWesennachdieEinheitderSouveränitätdesStaateseinschließt,nichtausder bürgerlichen Gesellschaft, sondern nur aus der Idee des Staates selbstentwickeln;dieverschiedenenFormenderpolitischenVerfassungseiendahernurErscheinungsformen der einheitlichen Souveränität des Staates. Zur konkretenBestimmungdesBegriffs„Demokratie“legtHegelkeinenbesonderenWertaufdiein den neuzeitlichen Revolutionen gerade ausgebrochenen Forderungen nachmodernerDemokratie.VielmehrverstehterdieDemokratieunterderMaßgabe,wie sie der Idee der einheitlichen Souveränität des Staates Gestalt zu gebenvermag.GeradedaskritisiertMarx,dassHegeldieDemokratienuralsabstrakteIdeeerfasst,alseineVerfassungsform,beiderervonihrerEntwicklungausdenRevolutionenseinerGegenwartabsiehtundstattdessenseineÜberlegungenzurVervollständigungderGestaltungdesStaatsbegriffsnurausdemantikenUmkreisderStaatformen„Monarchie“,„Aristokratie“und„Demokratie“bezieht,umsieinseine Rechtsphilosophie einzuführen. Nach Marx hat Hegel die Demokratie soabstraktbestimmt,umzuvermeiden,denWillendesVolkesalswirklichenWillender Souveränität des Staates anzuerkennen. Für Marx erscheint dies alsMystifikationbeiHegelsAntwortaufdieFragenachdemWillenderstaatlichenSouveränitätundalsbegrifflicheReduktionderwirklichenMachtdesVolkesimStaate.ÜberBestimmungderDemokratieistMarxganzandererMeinung.IndemMarxdieDemokratiemitdemVolk,das,wieermeint,dasGattungslebendesMenscheninderSphärederSouveränitätdarstellt,engverbindet,zeichneterdieDemokratieals „Verfassungsgattung“ 327 aus. Für Marx gründet sich die Demokratieunmittelbar auf die empirische Allgemeinheit der individuellenMenschen undderen Leben. Diese empirische Allgemeinheit unterscheidet Hegel dagegendeutlichvonderAllgemeinheitdesBegriffs,diefürihndieeigentlicheWirklichkeit

327 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.230,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.30,DietzVerlag,Berlin,1982.

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darstellt. Für Hegel stellt die empirische Allgemeinheit demgegenüber nichtsanderes als diejenige Vielheit der Menschen dar, die er unter die Einheit desMonarchensubsumiert.DadurchwirdbeiHegelauchdieDemokratiederideellenSouveränität,alsoderpolitischenVerfassungalsUrformallerVerfassungsformen,unterworfen.DieseUnterwerfungderDemokratiealseineFormderpolitischenVerfassungstößtbeiMarxaufentschiedenenWiderstand.ErhebtvielmehrdiegrundsätzlicheBedeutungderVolkssouveränität inderDemokratiehervorundbehauptet, dass nur das Volk der wahre Ursprung aller Formen staatlicherSouveränität sei. Als Verfassungsgattung steht die Demokratie nachMarxweitüberderMonarchie,dieinMarxensSichtnureinederDaseinsweisendesVolkes328ist. Er stellt darum fest: „Die Demokratie ist das aufgelöste Rätsel allerVerfassungen.HieristdieVerfassungnichtnuransich,demWesennach,sondernder Existenz, derWirklichkeit nach in ihrenwirklichen Grund, denwirklichenMenschen, das wirkliche Volk, stets zurückgeführt und als sein eignes Werkgesetzt.“329 Mitdem„aufgelöstenRätselallerVerfassungen“deutetMarxan,dasser die Demokratie als Maßgabe bestimmt, nach der er alle anderenVerfassungsformendesStaatesüberprüft,inwiefernsiesichvomwirklichenVolkund von dem, was die Verfassung sein soll, distanzieren. In Rücksicht auf dieDemokratiealsMaßgabeverdeutlichtMarx:„...,daßhierdieVerfassungüberhauptnureinDaseinsmomentdesVolkes,daßnichtdiepolitischeVerfassungfürsichdenStaatbildet.“330 In Marxens Sicht ist die Demokratie zweifellos die eigentliche Gestalt dermodernen Menschen. Die Eigentümlichkeit der Demokratie ist demnach „diewahre Einheit des Allgemeinen und Besondern“331 der Menschen. Mit dieserwahrenEinheitderMenschennegiertMarxebendiesubstantielleEinheitderIdeederpolitischenVerfassung inHegelsRechtsphilosophie.MarxsprichtdiesauchmitNachdruckaus:„AlleübrigenStaatsbildungensindeinegewisse,bestimmte,besondere Staatsform.“ 332 Marx weist darauf hin, dass die übrigenStaatsbildungen die natürlichen und gesellschaftlichen Daseinsweisen deswirklichenMenschenvondessenpolitischerDaseinsweiseabtrennen,umeinenpolitischenStaatausderNaturundderGesellschafthervorzubringen.BeidieserTrennungtrittbeidiesenStaatsbildungenunumgänglichdieGefahrauf,dassdienatürlichen und gesellschaftlichenDaseinsweisen desMenschen, die allgemeinverbreitetsind,begrenztwerden.AußerdemgibteshierbeinachMarxauchdieGefahr, dassman die besondere Daseinsweise deswirklichenMenschen in dieallgemeine Daseinsweise verkehrt, sodass im politischen Staat ein besonderer328 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.231,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.30-31,DietzVerlag,Berlin,1982.329 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.231,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.31,DietzVerlag,Berlin,1982.330 Ebd.331 Ebd.332 Ebd.

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MenschdieAllgemeinheitallerMenschenbestimmenkann333.DieDemokratie,diediewahrepolitischeEinheitdesMenschendarstellt,istnachMarxinderLage,dieGefahren der anderen Staatsbildungen zu vermeiden. Nach Marx kann dieDemokratieallesMenschlichealsdas,wases ist, bewahren.Dennsie selbst istnichts anderesalsdaswirklichepolitischeLebendesMenschen, alsdaswahreWesen aller anderen Verfassungsformen. Mit Bezug auf alle formuliertenEigenschaftenderDemokratiebestätigtMarxinseinemFazitdieDemokratiealsMaßgabe aller Staatsformen: „Es versteht sich übrigens von selbst, daß alleStaatsformenzuihrerWahrheitdieDemokratiehabenunddahereben,soweitsienicht die Demokratie sind, unwahr sind.“ 334 Auf die Demokratie alsVerfassungsgattungbezogenbestätigtsich,dassMarxdiegrundlegendeRollederpolitischenVerfassungimStaaterfolgreichtilgt.DiepolitischeVerfassungistnachMarxnichtdas,wasdenStaatfürsichkonstituiert,imGegensatzzuHegel,dersoargumentiert, dassder Staat anund für sichbesteheunddamit vernünftig sei.VielmehrsolldieVerfassungnachMarxihremWesennach,demVolknach,einenStaatgestalten.Eswirddeutlich,dassMarx,indemerdieDemokratiealsGattungallerVerfassungendesmodernenStaateserkennt,auftheoretischerEbeneHegelsVorstellungvomVerhältnisderVolkssouveränitätzurMonarchieradikalnegiert.

333 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.232,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.32,DietzVerlag,Berlin,1982.334 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.232,DietzVerlag,Berlin,2006.

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3.1.3MarxensKritikanHegelsBestimmungdesMonarchenalseigentümlichenMenschenimStaate

NachdemMarxHegels§279inGrundlinienunddessenAnmerkungdurchgesehenundkritisierthat,siehtersichberechtigt,zuurteilen,dassHegelfalschliege,wenndieserdenMonarchenalsTrägerderSouveränität,alsTrägerdersubstantiellenEinheitdesStaates,begreift.Marxbetont,dassHegelslogischeIdentifizierungderstaatlichenSouveränitätmitderPersonalitätdesMonarchensichnichtaufdenwirklichenMonarchenunddessenVerhältniszumStaatundzumVolk,sondernaufseineigenes,fürihnselbstvorteilhaftesWissenvomVolkalsunorganischerVielheit derMenschen und vomMonarchen als besonderem Individuum unterdiesen Menschen gründet. Insbesondere, wenn Marx die Geschichte derneuzeitlichenRevolutionenalsMaßgabefürdieGestaltungdesStaateseinführt,findet er keinen soliden Beweis in der wirklichen Welt dafür, wo dieVolkssouveränität durchdie Souveränität desMonarchen ersetztwordenwäre.Die Ursache, derentwegen Hegel denMonarchen zum Träger der Souveränitätgemacht hat, verortet Marx in Hegels konkreten Bezeichnungen desMenschenbildesdesMonarchen,alsoinHegelsWissenvomMonarchen.HierbeineigtMarxdazu,HegelsModellierungderEigenschaftendesMonarchenausdemindividuellen Menschen als Entfremdung des Menschen von dessen eigenemWesenzuverstehen.ErsiehtbeiHegelsFormulierungderfürstlichenGewaltimStaate,wieHegelausdenwirklichenEigenschafteneinesindividuellenMenschendenMonarchenbildetundihmGestaltgibt,undwieHegeldiesenMonarchenmitpolitischen Eigentümlichkeiten ausstattet und ihn somit über den normalenStaatsbürgerinderwirklichenWeltsetzt.SowidmetsichMarxweiterderKritikdesHegelschenWissensvomMonarchen.Umdarzustellen,wieMarxHegelsBestimmungdesMonarchen versteht, ist eserforderlich, zuvor Hegels einschlägige Passagen über die Eigenschaften desMonarchen in den entsprechenden Kapiteln seiner Rechtsphilosophie über diefürstlicheGewaltzurekapitulieren.AufgrundHegelsAnsicht,dasssichderTrägerderStaatssouveränitätineinemeinzigenMenschenverkörpernsoll,bestimmterden Monarchen konkret als „unmittelbare Einzelheit“ 335 der nur begrifflichgefassten fürstlichen Gewalt. Eine seine politischen Eigentümlichkeiten desMonarchen ist die „BestimmungderNatürlichkeit“336, nämlich seinenatürlicheGeburt.HegelgibtdieserGeburteineaußergewöhnlicheStellungfürdenBegriff

335 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §280, S.273,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§280,S.236,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.336 Ebd.

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„fürstlicheGewalt“:DieGeburtdesMonarchenalsTrägerderStaatssouveränitätverwirklichtnachHegeldie„IdeedesvonderWillkürUnbewegten“337,sodassdiefürstlicheGewaltdieStabilitätderSouveränitätzusichernvermag.DieGeburtdesMonarchenunddessenSukzessiondurchVererbungkönnendieSouveränität,wieHegelargumentiert,von„derMöglichkeit,indieSphärederBesonderheit,derenWillkür, Zwecke und Ansichten herabgezogen zu werden, dem Kampf derFaktionen gegen Faktionen um den Thron, und der Schwächung undZertrümmerung der Staatsgewalt“338 befreien. Hierbei bezeichnet Hegel einenvon Geschichtserfahrungen der politischen Konflikte abgeleiteten Inbegriff desMonarchen, der die politischen Tugenden zur Erhaltung der staatlichenSouveränitätzuverwirklichenhat.Deswegenmachtdie„IdeedesvonderWillkürUnbewegten“,soHegel,die„MajestätdesMonarchen“339 aus.FürHegeloffenbarterstdieseMajestätdesMonarchen,diedurchdessennatürlicheGeburtermöglichtworden ist, die prinzipielle Vernünftigkeit der fürstlichen Gewalt, nämlich dieAnstrengungunddieErhaltungdesStaatesalseinereinheitlichenTotalität.Hegelbetontdabeiausdrücklich,dassdieErkennbarkeitderMajestätdesMonarchenmitseinemspekulativenPhilosophierenundmitseinerphilosophischenMethodeverbundensei:„(...)jedeandereWeisederUntersuchungalsdiespekulativederunendlichen,insichselbstbegründetenIdeehebtanundfürsichdieNaturderMajestätauf.“340 DamitbestätigtHegelselbst,dassdieEinsichtindieMajestätdesMonarchen eine Folge der Anwendung seiner spekulativen Methode auf diefürstliche Gewalt ist. Hegel ist also selbst davon überzeugt, dass ohne seinespekulativeMethodedieVernünftigkeit,dieinderNatürlichkeitdesMonarchenverborgensei,nichterkanntwerdenkönne.DieseSelbsteinsichtHegelsindieVerbindungseinesWissensvonMonarchenmitseiner spekulativenMethode ist es, an derMarx seineKritik anHegel ansetzt.HegelsBestimmungderVernünftigkeitdesMonarchenentlarvtMarxderart:„Aufder höchsten Spitze des Staats entschiede also statt der Vernunft die bloßePhysis.“ 341 Marxens Zweifel geht nicht an die Natürlichkeit der Geburt desMonarchen selbst, sondern an Hegels Verbindung dieser Natürlichkeitmit derStabilitätderStaatssouveränitätundanHegelsArgumentfürdenMonarchenalsunmittelbare Einzelheit des Begriffs „die fürstliche Gewalt“. Unter derBestimmung dieser unmittelbaren Einzelheit bleibt die natürliche Geburt des337 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §281, S.274,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§281,S.237,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.338 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,§281,S.274-275,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§281,S.237,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.339 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §281, S.274,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§281,S.237,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.340 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§281,S.275,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§281,S.237,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.341 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.235,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.34,DietzVerlag,Berlin,1982.

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MonarchennachMarxinderTatnichtmehralsdas,wassiewirklichist.VielmehrwirddieseGeburtvonihrerWirklichkeitindiehöchsteAbstraktiondesStaatesdadurchentfremdetwird,dassHegelmitseinemspekulativenPhilosophierendasWerdenderSouveränitätzumMonarcheninderAnalogiezumlogischenVorgangdes unmittelbaren Übersetzens des Willens ins Handeln versteht 342 . HegelsAnwendung der Analogie erscheint Marx als unerkennbar, deshalb auch alsmystisch,weilMarxgarkein Interesse fürdiejenigebegrifflicheVollständigkeitder fürstlichen Gewalt hat, die Hegel auf der logischen Folge von Einzelheit,BesonderheitundAllgemeinheitgründet.BeiHegelsAnalogiesiehtMarxnurdieWillküreinesPhilosophen,diewirklicheMittezwischenderStaatssouveränitätund deren Träger zu ersetzten, damit ein abstraktes Ideal des Trägers derStaatssouveränität eingeführt werden kann. Demnach sieht Marx HegelsArgument fürdieBestimmungdesMonarchenauchalsbeliebigeErfindungan:„DasMittelistderabsoluteWilleunddasWortdesPhilosophen,derBesondereZweck ist wieder der Zweck des philosophierenden Subjekts, den erblichenMonarchenausderreinenIdeezukonstruieren.DieVerwirklichungdesZwecksistdieeinfacheVersicherungHegels.“343 IndeutlichemKontrastzumwirklichenZweckder Souveränität steht beiHegel nur „der ZweckdesphilosophierendenSubjekts“. Hegel stellt die begriffliche Vollständigkeit der fürstlichen Gewalt in derenlogischerEntwicklungvondemMonarchenalsunmittelbarerEinzelheitüberdie„obersteberatendeStellenundIndividuen“344 alsvermittelndeBesonderheitbishinzudemjenigenVerhältnisalsvereinigendeAllgemeinheit,dasdaspersönlicheDenkendesMonarchenmitderTotalitätallerGesetzeimStaateverbindet345.VondieserVollständigkeitherkannmannähersehen,wieHegeldenMonarchen ineinen organischen Rechtstaat, also in die von ihm bestimmte konstitutionelleMonarchie,einfügt.FürHegelbedeutetderMonarchalsunmittelbareEinzelheitnures,dasssichdieEinheitdesStaates,seisieinBezugaufdieStaatssouveränitätoderaufdenStaatsorganismus,imMonarchenverkörpert.HegelmachtsomitdenselbstbestimmendenMonarchenzueinemvölligsubjektivenMoment,dasnichtsandersalsdenWillenzurEntscheidungzuseinemInhalthat.DeshalbbedarfderMonarch nach dem objektiven Wissen von allen Staatsangelegenheiten. Nach

342 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1, S.235-236,DietzVerlag,Berlin,2006;vgl.MEGA,I,Band2,S.35-36,DietzVerlag,Berlin,1982.AuchsieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§280,S.273-274,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013;vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§280,S.236,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.343 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.236,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.36,DietzVerlag,Berlin,1982.344 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §283, S.277,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§283,S.239,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.345 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 285, S.278, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 285, S.239, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.

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Hegel verbindet derMonarch gerade durch dieses Bedürfnismit dem zweitenMoment der fürstlichen Gewalt, also mit den „beratenden Stellen und dieIndividuen“fürdenMonarchen.AlsBesonderheitderfürstlichenGewalt istdaszweiteMoment unentbehrlich für denMonarchen,weil sie alsVermittlungderobjektiven Sachen zur subjektiven Entscheidung desMonarchen funktionieren.Die Entwicklung der fürstlichen Gewalt vollendet sich im Verhältnis desMonarchenzumorganischenGanzenderVerfassung,zumStaatsorganismus346.Indiesem Verhältnis etablieret der Monarch seine Sukzession durch dieInstitutionenderVerfassung,unddieVerfassungbeweistsichalsVoraussetzungderfürstlichenGewalt. Gegenüber Hegels Darstellung der begrifflichen Vollständigkeit der fürstlichenGewaltkritisiertMarxhauptsächlichandemletztenMoment„dasanundfürsichseiendeAllgemeine“,dasHegelalsVereinigungzwischendemMonarchenundderTotalitätderVerfassungbestimmt.FürMarxistderMonarchvomanderenWesenalsWesenderVerfassung:„IneinemvernünftigenOrganismuskannnichtderKopfvonEisenundderKörpervonFleischsein.DamitdieGliedersicherhalten,müssensieebenbürtig, voneinemFleischundBlut sein.AberdererblicheMonarch istnicht ebenbürtig, er ist aus anderm Stoff.“ 347 . Mit seiner Einsicht in dieEigentümlichkeitdeserblichenMonarchenweistMarxzunächstdaraufhin,dassdieerblicheSukzessiondesMonarchenvonihremWesenhernichtsanderesalseingeschichtlicherBeitragdesMittelaltersist.DurchdieerblicheSukzessionkanndererblicheMonarchnachMarxinderTatkeinesubstantielleEinheitallerGliederdesmodernenStaatsorganismustragen.DenndererblicheMonarchalsBeitragdes Mittelalters kann nicht mit dem wirklichen modernen Staatsorganismusübereinstimmen.DasWesendesMonarchen istnachMarxeinfachdereinzelneMensch,aberdasWesendesTrägerderSouveränität immodernenStaate sindVieleMenschen; es seidasVolkalsTrägerderSouveränität zubestimmen.DieForderung,diebeidenunterschiedlichenWesenzuvermischen,unddieweitereÜberforderung, diese Vermischung als vernünftig zu rechtfertigen, bezeichnetMarx als Kernprobleme in Bestimmungen des Monarchen bei Hegel. DabeibestätigtMarxauchdeutlich,dasssichdieunangemessenenBestimmungendesMonarchenbeiHegelaufdasWissenvondenindividuellenMenschenimStaate,nämlichaufdasWissenvomMonarchenalsindividuellerMenschunddasWissenvondenindividuellenMenschendesVolkesbeziehenmuss. 346 Im Zusatz zu § 279 lautet die Erläuterung zum Verhältnis des Monarchen zu beratendenIndividuenundzumGanzenderVerfassungso:„Hiermitsollnichtgesagtsein,daßderMonarchwillkürlichhandelndürfe:vielmehristerandenkonkretenInhaltderBeratungengebunden,undwenndieKonstitutionfestist,sohateroftnichtmehrzutun,alsseinenNamenzuunterschreiben.AberdieserNameistwichtig:esistdieSpitze,überdienichthinausgegangenwerdenkann.“Hegel,Werke.Band7,Zusatzzu§279,S.449,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,1989.347 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.239,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.39,DietzVerlag,Berlin,1982.

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MitBlickaufHegelsWissenvomindividuellenMenschenimStaatelässtMarxdieZusammenfassung fürdieKritikderHegelschenBestimmungender fürstlichenGewaltnocheinmalaufdiePassageüberVolkssouveränitätinHegelsAnmerkungzu § 279 inGrundlinien zurückgehen. Bei dieser Passage geht es nicht nur umHegelsErläuterungzuseinerlogischenBestimmungdesMonarchenalsTrägerderSouveränität, sondern auch um sein Verständnis über die „immanenteEntwicklung einer Wissenschaft“ 348 . Für Marx bezieht sich die Passage überVolkssouveränität auf diejenigen Stellen, an denen Hegel sein problematischesWissenvomMenschenfüreinenmodernenStaatunddieWurzelderEntfremdungdesMenschenvollkommenoffenlegt.DasProblemdiesesWissensvomMenschenstelltsichnachMarxkonkretinHegelsFormulierungdesVerhältnisseszwischendemBegriff „Person“unddemBegriff „Persönlichkeit“ fürdieBestimmungderfürstlichenGewaltdar.HegelsFormulierungdiesesVerhältnisseslautetso:„EinesogenanntemoralischePerson,Gesellschaft,Gemeinde,Familie,sokonkretsieinsichist,hatdiePersönlichkeitnuralsMoment,abstraktinihr;sieistdarinnichtzurWahrheitihrerExistenzgekommen;derStaataberistebendieseTotalität,inwelcher die Momente des Begriffs zurWirklichkeit nach ihrer eigentümlichenWahrheit gelangen.“349 AngesichtsdiesesZitats beruhtdiePersönlichkeit zwarauf den konkreten Bestimmungen der Person, aber sie erhält zugleich ihreUnabhängigkeit von der Person. Als unabhängiger Begriff verweist diePersönlichkeit bei Hegel auf eine höhere Bestimmung als die konkretenBestimmungen der Person, auf eine Totalität, „in welcher die Momente desBegriffs zur Wirklichkeit nach ihrer eigentümlichen Wahrheit gelangen“ 350 .Demnach besteht bei Hegel die vollständige Verwirklichung der Persönlichkeitnicht in den konkreten Wirklichkeiten der Person in der Familie oder in derbürgerlichenGesellschaft, sondern inderAbstraktheitdesStaates.DurchdieseVerortung der vollständigen Verwirklichung der Persönlichkeit in derAbstraktheit des Staates begründet Hegel auf die logische Weise seineBestimmungdesMonarchenalsTrägerderSouveränität.NachHegelverkörpertdie Position des Monarchen in der Rechtsphilosophie gerade denVerknüpfungspunktderVerwirklichungderPersönlichkeitmitderAbstraktheitdes Staates. Deswegen vereinigt nichts anderes als das logische VerhältniszwischenPersonundPersönlichkeitdieVolkssouveränitätmitderSouveränitätdesMonarchen. Gegenüber Hegels Begründung des Monarchen durch das logische Verhältniszwischen Person und Persönlichkeit erkennt Marx zunächst, dass Hegels348 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§279,S.269,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§279,S.232,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.349 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§279,S.270,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§279,S.233,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.350 Ebd.

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VerbindungzwischenderVerwirklichungderPersönlichkeitundderAbstraktheitdesStaateszueinerVermischungderVolkssouveränitätmitderNationalitätführt.DieseVermischungbegreiftMarx eigentlich alsDegradierungder individuellenMenschen, die ein Volk ausmachen, das einem Staat und dessen Souveränitätzugrunde liegt; es ist nämlich die Degradierung der wirklichen lebendigenMenschenzuabstraktenMenschenineinerbegrifflichunbestimmtenNationalitätdes Staates. Dazu kritisiert Marx, dass Hegel, indem er eine außerhalb derempirischen und wirklichen Person stehende Begriffsvollständigkeit für dieVerwirklichung der Persönlichkeit setzt, eigentlich eine philosophischeWirklichkeit erfindetundsogleichdieseandieStellederkonkretenwirklichenPerson treten lässt. Anders als Hegels Auffassung von der Vereinigung derVolkssouveränität mit der Souveränität des Monarchen durch das logischeVerhältniszwischenPersonundPersönlichkeitmachtMarxdeutlich:„InWahrheithatdieabstraktePersonerstindermoralischenPerson,Gesellschaft,Familieetc.ihre Persönlichkeit zu einer wahren Existenz gebracht. Aber Hegel faßtGesellschaft, Familie etc., überhaupt die moralische Person, nicht als dieVerwirklichungderwirklichen,empirischenPerson,sondernalswirklichePerson,dieaberdasMomentderPersönlichkeiterstabstraktinihrhat.DaherkommtbeiihmauchnichtdiewirklichePersonzumStaat,sondernderStaatmußerstzurwirklichenPersonkommen.StattdaßdaherderStaatalsdiehöchsteWirklichkeitderPerson,alsdiehöchstesozialeWirklichkeitdesMenschen,wirdeineinzelnerempirischerMensch,wirddieempirischePersonalsdiehöchsteWirklichkeitdesStaats hervorgebracht.“ 351 Aus diesem Zitat wird deutlich, dass diejenigephilosophischeWirklichkeitderPersönlichkeit,dieHegelindieBestimmungderfürstlichenGewalteinführt,nichtnurdenStaat,sondernauchdieMenschenvonihremeigenenWesenentfremdet.Marxbestätigtnun,dassHegelsErfindungdervollständigenWirklichkeitderPersönlichkeitnichtsandersalseineWiederholungderlogischenVerkehrungdesVerhältnisseszwischenSubjektundPrädikatist.DadieDegradierungderwirklichenPersonindieAbstraktheitderNationalitätbeiHegel immer mit der Hervorhebung des Monarchen gegenüber den anderenMenschenverbundenist,siehtMarxsichauchberechtigt,jeneDegradierungunddieseHervorhebungalsverfehlteAuswirkungenderspekulativenMethodeaufdieempirischeWelt,alsoalsAuswirkungenderEntfremdung,zubegreifen;fürMarxverkörpernsiealsodieEigentümlichkeitder„VerkehrungdesSubjektivenindasObjektive und des Objektiven in das Subjektive“ 352 in Hegels spekulativerMethode.MitseinerKritikanHegelsBestimmungderVolkssouveränitätkennzeichnetMarxdie wesentliche Distanz zwischen Hegel und ihm selbst: Hegel will „die

351 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.240,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.40,DietzVerlag,Berlin,1982.352 Ebd.

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LebensgeschichtederabstraktenSubstanz,derIdee,schreiben“353,abererselbstwillnurdieLebensgeschichtedeswirklichenempirischenMenschenschreiben;Hegelerkennt,dass„diemenschlicheTätigkeitetc.alsTätigkeitundResultateinesandernerscheinenmuß“354,abererselbsterkenntdiemenschlicheTätigkeitnuralsdas,wasderMenschtut;Hegelwill„dasWesendesMenschenfürsich,alseineimaginäreEinzelnheit,statt inseinerwirklichen,menschlichenExistenzwirkenlassen“355,abererselbstwilldasWesendesMenschennurindessenwirklicherExistenzwirkenlassen.MitsolcherDistanzkannMarxoffenbarkeinesfallsHegelsWissen vomMenschen für einen modernen Staat anerkennen. Die Gefahr derHegelschenVerkehrungdesSubjektiven indasObjektiveunddesObjektiven indasSubjektiveistnachMarxdieEntstellungderWirklichkeitundWahrheitderempirischen Welt des Menschen. Indem Marx Hegels Bestimmungen desMonarchen in die Geschichte versetzt und diesen Monarchen mit dengeschichtlichen Figuren vergleicht, erkennt Marx sogleich, dass gerade wegendieserEntstellungderWirklichkeitundWahrheitHegelinderTatkeinenneuenInhaltfürdiekonstitutionelleMonarchiegewinnenkann.VielmehrhabeHegelnuresgetan,umseinemaltenmittelalterlichenInhalteineneueForm,nämlich„einephilosophische Form, ein philosophisches Attest“356 zu geben. FürMarx ist esunvermeidbar, dass die „philosophische Form“ und das „philosophischeAttest“ vonHegel schließlich zur Verklärung desMonarchen als Gottmenschenfällt. Denn die Argumente, mit denen Hegel philosophisch den Monarchenbegründet, scheinen Marx nur als kluger Neologismus; sie führen dieanachronistischeElemente indieFormulierungdesmodernenStaates ein, undzwarphilosophisch. Für Hegel ist die Grundlage der Souveränität also die Idee der politischenVerfassung. Hegels Formulierung der Souveränität konzentriert sich deshalbdarauf, wie sich die Idee der politischen Verfassung aus den verschiedenenMomentendes Staates ableitet, dienichtnurdie IdeenüberdenStaatunddieStaatsangelegenheiten,sondernauchdieexistentiellenInstitutionendesStaatesbetreffen.DieseAuffassungvonderGrundlagederSouveränitätlässtHegeldazukommen, so denkt Marx, anstelle der individuellen Menschen einenübermenschlichenBegriffdesMonarchenalseinzigartigenMenschenzufinden,der für Hegel die Rolle des Subjekts einnimmt und an die Stelle des wahrenSubjekts der Souveränität tritt. FürMarx dagegen ist diewahreGrundlage derSouveränitätdaswirklicheLebenderindividuellenMenschen,diedasVolkfürdenStaat ausmachen. In Gegensatz zumMonarchen als Gottmenschen verdeutlicht353 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.240-241,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.40,DietzVerlag,Berlin,1982.354 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.241,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.40,DietzVerlag,Berlin,1982.355 Ebd.356 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.241,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.43,DietzVerlag,Berlin,1982.

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MarxseineigenesWissenvomMenschen:„DerMenschbleibtimmerdasWesenaller dieser Wesen, aber diese Wesen erscheinen auch als seine wirklicheAllgemeinheit, daher auch als das Gemeinsame.“357 Hegels Argument für denMonarchen als Träger der Souveränität kann Marx gar nicht überzeugen. AnHegels abstrakter Bestimmung des vernünftigenWillens des Monarchen siehtMarxnureinArgumentfürdiesubjektiveWillkürdesMonarchen.UndmitBlickaufdieechteGrundlagederSouveränitätdesStaatesimVolkkommtMarxnäherdazu, Hegels Behauptung für die Vernünftigkeit des Monarchen wieder zubedenken.hierbeibeurteiltMarx,wasHegelalseigentümlicheVernünftigkeitdesMonarchennennt,seinuretwas„MystischesundTiefes“358.DieVernünftigkeitdesMonarchen erscheint Marx nicht als solide Ausarbeitung derWirklichkeit undWahrheit des Staates, sondern als ein illusorisches Resultat der Arbeit einesPhilosophen zu sein. So betont Marx weiter, dass Hegels Bestimmung desvernünftigenMonarcheninseinerAbstraktheitnichtnurdennatürlichenWillendesMonarchen,sondernauchdenwirklichenWillenderSouveränitätentstellt,dassdiephilosophischenMystifikationendesWesensderMonarchiedenwahrenBezugzudenwirklichenGegenständenverstellen.DasWesenderMonarchiebeiHegelberuhtnachMarxnichtaufdemechtenwirklichenWillenderindividuellenMenschen,sondernnuraufeinemWillen,derausdemWorteinesPhilosophenentwickeltwird. Gegenüber den philosophischen Illusionen vomMonarchen kommtMarx auchdazu,HegelsVerbindungdesTrägersderSouveränitätmitderBestimmungdespolitischen Lebens des Menschen anzuzweifeln. Er nimmt wahr, dass sich dasProblem des Trägers der Souveränität bei Hegel auf dessen Auffassung vomVerhältnisdesnatürlichenundgesellschaftlichenLebenszumpolitischenLebendesMenschenbezieht.WasdaspolitischeLebendesMenschenbetrifft, nimmtMarxan,dassdieBestimmungdesMenschenalsStaatsbürgersichnuralseineAbstraktion vom Bürger erweist, der in der Familie und der bürgerlichenGesellschaftlebt.FürMarxisteseinebereitsanerkanntesachlicheWahrheit,dassdie Bestimmungen des Menschen als natürlicher Mensch und alsgesellschaftlicher Bürger die Grundlage der Bestimmung des Staatsbürgersausmachen.MitBezugaufdasWissenvonderGrundlagedespolitischenLebensdesMenschenfindetMarxaberinHegelsBestimmungdesMonarchen,dassdieBestimmung des Monarchen in einem Gegensatz zu den Bestimmungen desMenschenalsnatürlicherMenschundalsgesellschaftlicherBürgergestelltwird,indemHegeldiepolitischenAnsprücheundBedürfnissedesMonarchenvondenAnsprüchenundBedürfnissendesnatürlichenundgesellschaftlichenMenschenisoliert.NachMarxwillHegeldurchdiese IsolierungdesMonarchenbeweisen:„daß die Staatssubjektivität, die Souveränität, derMonarch ‚wesentlich‘ ist, ‚als

357 Ebd.358 Ebd.

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diesesIndividuumabstrahiertvonallemandernInhalteunddiesesIndividuum,aufunmittelbarenatürlicheWeise,durchdienatürlicheGeburt, zurWürdedesMonarchenbestimmt‘.“359 GegenüberHegelsAbsichtbetontMarxjedoch:„Hegelhatbewiesen,daßderMonarchgeborenwerdenmuß,woranniemandzweifelt,aber er hat nicht bewiesen, daßdieGeburt zumMonarchenmacht.“360.HegelsBehauptung, dass die Isolierung des Monarchen vom natürlichen undgesellschaftlichen Menschen als einen „Übergang vom Begriff der reinenSelbstbestimmung in die Unmittelbarkeit des Seins und damit in dieNatürlichkeit“ 361 zu sehen sei, zählt Marx zu einer der Mystifikationen desMonarchen als Träger der Souveränität. Diese Entlarvung der Isolierung desMonarchen lässtMarx seineEinsicht indie ScheinbarkeitderkonstitutionellenMonarchiebeiHegelbestätigen:„daßmitdemerblichenMonarchenandieStelledersichselbstbestimmendenVernunftdieabstrakteNaturbestimmtheitnichtalsdas, was sie ist, als Naturbestimmtheit, sondern als höchste Bestimmung desStaats tritt,daßdiesderpositivePunkt ist,wodieMonarchiedenScheinnichtmehrrettenkann,dieOrganisationdesvernünftigenWillenszusein.“362 Dort,woMarxHegels IsolierungdesMonarchen vomnatürlichenund gesellschaftlichenMenschen entdeckt, hebt Marx also wieder hervor, was er vorher in seinerKommentierung zu den Einführungsabschnitten des Hegelschen Staatsbegriffsbereits bemerkt und kritisiert hat, nämlich: Hegels Auffassung von derEntwicklung eines Begriffs habe nicht nur die Entfremdung der empirischenTatsachenvonderenWesen,sondernauchdieEntfremdungderBestimmungendesBegriffsselbstvondessenempirischenTatsachenzurFolge.Hierbeiwirddieskonkretdargestellt:WenndieBestimmungendesMonarchenbeiHegelwegenderIsolierungvomnatürlichenundgesellschaftlichenMenschennuralsideale,erstnochzuverwirklichendeunddeshalbformelleBestimmungenbleibendürfen,sofindet Marx Hegels Art zu philosophieren überflüssig: Hegels Philosophierengestalte nur den idealen, übermenschlichen Schein für den existentiellenerblichenMonarchen.FürMarxistaberdieserseinemWesennachebenbürtigmitanderen natürlichen und gesellschaftlichen Menschen; der erbliche MonarchkönneinderTatdieEigenschaftendesindividuellenMenschen,derennegativenWirkungen nach Hegel zum Bruch oder zur „Dialektik der bürgerlichenGesellschaft“führen,nichtdurchdievonHegelformuliertenBestimmungendespolitischenLebensüberwinden.DeshalbfindetMarxkeinenhinreichendenGrund

359 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.234,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.34,DietzVerlag,Berlin,1982.360 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.235,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.34,DietzVerlag,Berlin,1982.361 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§280,S.273,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013;vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§280,S.236,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.AuchsieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.235,DietzVerlag,Berlin,2006;vgl.MEGA,I,Band2,S.35,DietzVerlag,Berlin,1982.362 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.235,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.35,DietzVerlag,Berlin,1982.

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beiHegel,denMonarcheneinfachdurchdessen„unmittelbareNatürlichkeit“ausdemVolkimStaatehervorzuheben. Marxens Kritik an Hegels Isolierung des Monarchen vom natürlichen undgesellschaftlichen Menschen legt auch die Unterscheidung zwischen derMarxschen undHegelschen Auffassung von den Begriffen oder den abstraktenGedankenineinerWissenschaftdeutlichoffen.NachMarxsollendieBegriffeoderdieabstraktenGedankenaufdemwirklichenLebendesindividuellenMenschenberuhen und sich jeweils auf deren Leben beziehen, damit die Gedanken ihresachliche Wahrheit gewinnen. Weder durch eine höhere, über dem Menschenstehende Substanz noch durch eine außerhalb desMenschen bestehende Idee,sondernnurdurchdenMenschenselbstsoll,soistMarxüberzeugt,dieprimäreMaßgabefürdieBegriffeoderdieGedankenoffenbartwerden.GeradeaufgrundderBetonungdesMenschenalsQuellederMaßgabedesDenkenshatsichMarxensAuffassungvondenBegriffenoderdenabstraktenGedankeninderTatvonderHegelschen Auffassung unterschieden. Bei Hegel werden die Begriffe oder dieabstrakten Gedanken nicht von einer empirischen Welt des Menschen her,sondernvoneinemSystemderVernunftbegriffeher,alsovonderselbstbezogenenVernunftherbestimmtwerden.DieUnterscheidungzwischenderMarxschenundHegelschen Auffassung von den Begriffen oder den abstrakten GedankendistanziertauchMarxensErwartungvoneinerwissenschaftlichenMethodevonder Hegelschen Methode. Marx sieht also die Methode der HegelschenRechtsphilosophie nicht mehr als wissenschaftliche Methode an, sondern alsAllegorie, die nach Marx nichts mehr mit der empirischen Wirklichkeit undWahrheitderSachezutunhat.InSinnederAllegorieerscheintHegelsMethodedernachMarxvielmehralsdieWiederspiegelungeinererfundenenallgemeinenIdeeindieempirischeWelt:„DaeseigentlichnurumeineAllegorie,nurdarumzutunist,irgendeinerempirischenExistenzdieBedeutungderverwirklichtenIdeebeizulegen,soverstehtessich,daßdieseGefäßeihreBestimmungerfüllthaben,sobald sie zu einerbestimmten InkorporationeinesLebensmomentesder Ideegeworden sind.“ 363 Mit der Enthüllung, dass die Methode der HegelschenRechtsphilosophienichtsanderesalsAllegoriesei,stelltMarxebensofest,dassdieerfundene allgemeine Idee die Ursache für die in der HegelschenRechtsphilosophie feststellbaren Entfremdungen ist: „DasAllgemeine erscheintdaherüberallalseinBestimmtes,Besonderes,wiedasEinzelnenirgendszuseinerwahrenAllgemeinheitkommt.“364 Marxmachtdeutlich,dassdieGegenständederGedanken, seien sie abstrakt oder empirisch, unter Hegels Maßgabe dererfundenen Idee gestellt und durch seine philosophische Methode von ihrereigenenWirklichkeitentfremdetwerdenunddamitunwahrwerden.FürMarxist

363 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.241,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.43,DietzVerlag,Berlin,1982.364 Ebd.

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in Hegels logischer Entwicklung der erfundenen allgemeinen Idee dieEntfremdung der Gegenstände von ihrem wahren Wesen unvermeidbar: „Amtiefsten, spekulativsten erscheint es daher notwendig, wenn die abstraktesten,noch durchaus zu keiner wahren sozialen Verwirklichung gereiftenBestimmungen,dieNaturbasendesStaats,wiedieGeburt(beimFürsten)oderdasPrivateigentum(imMajorat)alsdiehöchsten,unmittelbarMenschgewordenenIdeen erscheinen.“365 Marx beendet seine Kritik an Hegels Bestimmungen desMonarchen in seiner Entlarvung der Probleme der HegelschenMethode. NachMarx kann die spekulative Philosophie oder das metaphysische Denken denrichtigenWegzurwahrenErkenntnisdesStaatesnichtbegreifen:„DerwahreWegwird auf den Kopf gestellt. Das Einfachste ist das Verwickeltste und dasVerwickeltste das Einfachste. Was Ausgang sein sollte, wird zum mystischenResultat, und was rationelles Resultat sein sollte, wird zum mystischenAusgangspunkt.“366

365 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.242,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.43,DietzVerlag,Berlin,1982.366 Ebd.

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3.2MarxensKritikanderRegierungsgewaltalsVermittlungder

SouveränitätzuderenVerwirklichung

3.2.1DiePositionderRegierungsgewaltinHegelsRechtsphilosophie

In Hegels Rechtsphilosophie bezieht sich die Regierungsgewalt auf dieVerwirklichungderSelbstbestimmungdesTrägersderSouveränität,mitHegelseigenem Wort, auf die „Ausführung und Anwendung der fürstlichenEntscheidungen“367.AusderFormulierungin§287inGrundlinienistzufolgern,dass Hegels Begriff „Regierungsgewalt“ gerade die Entwicklung der Idee derStaatssouveränität von deren unmittelbaren Einheit im Monarchen bis hin zubesonderenWirklichkeitendieserSouveränitätinderexistenziellenWeltbetrifft.Hegel rechnet die „Ausführung und Anwendung der fürstlichenEntscheidungen“näherzum„GeschäftderSubsumtion“368.DennwiedasGeschäftdes Richters und der öffentlichen Verwaltung, die Hegel mit dem Begriff„Polizei“ bezeichnet, müssen diese Ausführung und Anwendung die konkretenundbesonderenAngelegenheitendesMenschenalsbesondererBürgerunterdieSphäre der allgemein gültigen Staatsmacht und Gesetze subsumieren. DieunmittelbareEinheitderSouveränitätstelltsichkonkreter,sobestimmtHegel,inder„FesthaltungdesallgemeinenStaatsinteressesunddesGesetzlichenindiesenbesonderenRechtenunddieZurückführungderselbenauf jenes“369 dar.SolcheFestlegungundZurückführungmachenalsodenHauptinhaltderBestimmungenderRegierungsgewaltalsVerwirklichungderSouveränitätaus. AngesichtsderFormulierungHegelsfürdas„GeschäftderSubsumtion“umfasstdieRegierungsgewalthauptsächlichzweiSeiten:dieeine istdasVerhältnisdesStaateszumBürger,dieandereistdasVerhältnisdesindividuellenStaatsbürgerszumStaat.NachHegel soll dieRegierungsgewalt zwischendemStaatunddemMenschen dadurch vermitteln, dass diese die Verhältnisse des allgemeinenInteresses des Staates zum persönlichen Privatinteresse und zumgesellschaftlichen Korporationsinteresse verdeutlicht und festsetzt. Die derVermittlungsfunktionentsprechendeAufgabedesBegriffs„Regierungsgewalt“istnach Hegel die folgende: die verborgene Identität zwischen den besonderen

367 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §287, S.280,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§287,S.241,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.368 Ebd.369 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §289, S.281,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§289,S.241,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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Interessen der individuellen Menschen und dem allgemeinen Interesse desStaateswiederzuerkennenunddievermittelndePositionderRegierungsgewaltzwischen der fürstlichen Gewalt und der gesetzgebenden Gewalt durch dieAnerkennung jenerverborgenen Identität festzulegen370.Hegelbehauptet,dassdiese Identitätdie logischeGrundlagederVerwirklichungderSouveränitätdesStaatesindessenrealenMomentenderRegierungsgewaltist. EntsprechendHegelseigenerEntfaltungderIdeederSouveränitätgehtMarxauchweiter auf Hegels Bestimmungen der Regierungsgewalt ein, nachdem er seineKritik an Hegels Bestimmungen an der fürstlichen Gewalt fertiggestellt hat.AngesichtsHegelsFormulierungderRegierungsgewaltstelltdieGesamtheitderBestimmungenderVerhältnissezwischendemInteressedesStaatesunddemdesMenschendenInhaltderVerwirklichungderSouveränitätdesStaatesdar.WasdasInteresse des Staates und das desMenschen betrifft, geht es vor allemumdieAusübungen undWirkungen der allgemeinen und abstrakten Staatsmacht aufdemBodendesfreienLebensdesindividuellenMenschen,alsoaufdemEigentum.Wegen der Relevanz zum Problem des Eigentums beziehen sich HegelsBestimmungen der Regierungsgewalt inhaltlich auch auf die Teilung desallgemeinen Vermögens und weiter ebenso auf die Verwaltung dergesellschaftlichen Ordnung, nämlich auf die Positionen,wo die Streitfälle überAnsprüche auf Eigentum in der bürgerlichen Gesellschaft auftreten. In diesemZusammenhangstellensichHegelsBestimmungenderRegierungsgewaltgeradealsGegenständedar,andenenMarxdietheoretischenMängelderStaatsmacht,die in Wirklichkeit, wie Marx im damaligen Preußen es beobachtet hat, zurUnterdrückungderkonkretenFreiheitenundRechtederindividuellenMenschenundsomitzurGefährdungzumEigentumderMenschenführen,nachweisenkann.

370 SieheHegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 287-§ 289, S.280-281, FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§287-§289,S.241,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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3.2.2MarxensKritikderHegelschenUnterscheidungzwischendembesonderenunddemallgemeinenInteressefürdieRegierungsgewalt.

Gegenüber Hegels Formulierung über die Regierungsgewalt als VermittlungzwischendemStaatunddenMenschenhebtMarxzunächsthervor,wasHegelalsbegriffliche Bestimmungen für die Regierungsgewalt entwickelt, sei nichtsanderesals„gewöhnlicheErklärungderRegierungsgewalt“371 oderals„einfacheBeschreibungdesempirischenZustandesineinigenLändern“372.HierbeierkenntMarx, dass Hegels Formulierung zur Regierungsgewalt nicht eine allgemeingültige Entwicklung des Begriffs „Regierungsgewalt“, sondern eine zeitlich undräumlichbegrenzteBeschreibungvondembezeichnet,wasindamaligenEuropa,hauptsächlich inPreußen373 vorhandenist.WasMarxhierbeidervorhandenenempirischen Wirklichkeit der Regierungsgewalt zurechnet, ist offenbar dieUnterscheidungzwischendemInteressedesindividuellenMenschenunddemdesStaates,alsodieUnterscheidungzwischenderbürgerlichenGesellschaftunddempolitischenStaat.IndieserUnterscheidungstimmtMarxmitHegelüberein.Jedochverneintersogleich,dassausdieserUnterscheidungHegelseineBestimmungender Regierungsgewalt zur Verwirklichung der einheitlichen Souveränitätzwischen den besonderen Interessen der individuellen Menschen und demallgemeinen Interesse des Staates philosophisch entwickelt hat. Gegen HegelsAbschnitt(§289)überdie„FesthaltungdesallgemeinenStaatsinteressesunddesGesetzlichenindiesenbesonderenRechtenunddieZurückführungderselbenaufjenes“ 374 kritisiert Marx ausdrücklich: „Hegel hat die Regierungsgewalt nichtentwickelt. (...) er hat sie als eine besondere, separierte Gewalt nur dadurchdeduziert, daß er die ‚besonderen Interessender bürgerlichenGesellschaft‘ alssolche betrachtet, die ‚außer dem an und für sich seienden Allgemeinen desStaatesliegen‘.“375

371 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.242,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.44,DietzVerlag,Berlin,1982.372 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.243,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.45,DietzVerlag,Berlin,1982.373 „WasHegelüberdie‚Regierungsgewalt‘sagt,verdientnichtdenNameneinerphilosophischenEntwicklung.Diemeisten Paragraphen könntenwörtlich impreußischen Landrecht stehn, unddochistdieeigentlicheAdministrationderschwierigstePunktderEntwicklung“,KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.246,DietzVerlag,Berlin,2006.KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.242,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.48,DietzVerlag,Berlin,1982.374 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 289, S.281, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 289, S.241, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.375 Ebd.

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MitBezugaufdieÜbernahmederEigenschaftenderbürgerlichenGesellschaftindenBegriff„Regierungsgewalt“erkenntMarxnäher,dassHegeldieEigenschaftender Regierungsgewalt, wenn er diese als Verwirklichung der Einheit derSouveränitätindemVerhältniszwischendemStaatunddemMenschenbegreift,mit denPrinzipienderbürgerlichenGesellschaft inParallele setzt. ZuMarxensKommentierungzu§289inHegelsGrundlinienseianzumerken,dassfürMarxdasProblem der Hegelschen Übernahme der Eigenschaften der bürgerlichenGesellschaft in den Begriff „Regierungsgewalt“ nicht mit Hegels Bemerkungenübereinstimmt,diebürgerlicheGesellschaftsei„bellumomniumcontraomnes“376,derWilledesindividuellenMenschenseivom„Privategoismus“377 geprägt,unddieindividuellenMenschenstünden„imGegensatzzumAllgemeinen“378,alsozumStaat.SoentnimmterderHegelschenFormulierung,diesallesseidasScheiternder bürgerlichen Gesellschaft. Hierbei kritisiert Marx, dass Hegelirrtümlicherweise davon überzeugt ist, dass die bürgerliche Gesellschaft ihrtragischesSchicksal,alsoihre„Dialektik“379,nichtnachihreneigenenPrinzipienaufzulösenvermag.DaMarxHegelsEntfaltungdesBegriffs„Regierungsgewalt“nichtmehrinseinerphilosophischen Entwicklungwürdigen konnte, findet er sogleich, dass HegelsMaßgabefürdieUnterscheidungzwischendem,waszumbesonderenInteresse,unddem,waszumallgemeinenInteressegerechnetwerdendarf,auchnichtmehrüberzeugend sei. Und der Zweifel an Hegels Unterscheidung zwischen dembesonderenInteressedesMenschenunddemallgemeinenInteressedesStaatesveranlasstMarxweiter, die vonHegel hervorgehobene Identität zwischen demStaat und dem Menschen zu bedenken. Gegen Hegels Behauptung, dass dieErhebung des individuellen Menschen zum Staatsbürger die Festlegung derIdentitätzwischendemStaatunddemMenschensei,erkenntMarx,dassHegelsBestimmungdesMenschenalsStaatsbürger,alsStaatsindividuuminWahrheitdieEigenschaften des Menschen enthält, die ganz von den Eigenschaften desindividuellen Menschen, der erst in der bürgerlichen Gesellschaft sein Wesengewinnt, verschieden sind. So betont Marx: „(...) es (sc. Staatsbürger oderStaatsindividuum)istnichtdasselbeIndividuum,welcheseineneueBestimmungseines sozialen Wesens entwickelt. (...) Die bestehenden verschiedenen undgetrennten, empirischen Existenzen des Staates werden als unmittelbareVerkörperungen einer dieser Bestimmungen betrachtet“ 380 . Angesichts dieses

376 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.243,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.45,DietzVerlag,Berlin,1982.377 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.244,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.45,DietzVerlag,Berlin,1982.378 Ebd.379 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 246, S.224, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 246, S.195, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.380 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.244,DietzVerlag,Berlin,2006.

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ZitatsistdieHegelscheÜbernahmederEigenschaftendesindividuellenMenschenin den Begriff „Regierungsgewalt“ eigentlich eine Ersetzung der bürgerlichenGesellschaft durch Hegels Auffassung von einem Menschen, der nicht in derbürgerlichenGesellschaft,sondernnurinGedankenfürdenStaatsbegrifflebt.SoerscheintHegels Bestimmung desMenschen imBegriff „Regierungsgewalt“ fürMarx offenbar als philosophische Abstrahierung der Gegenstände von derenempirischer Wirklichkeit in die logisch bestimmten Positionen. Die von Hegelhervorgehobene Identität zwischen dem Staat und dem Menschen beruhtdemnachaufnichtsanderemalsaufeinererfundenenAbstraktiondesMenschenvonseinemwirklichenWesen. Marx ist offenbarnicht zufriedendamit, dassHegel, umdie Identität zwischendem Staat und dem Menschen nachweisen zu können, zwei wesentlichverschiedeneBegriffsbestimmungenvomMenschenvermischt,wennerinderTatdenselbenMenscheninderselbensittlichenWeltbeobachtet:„WiedasAllgemeineals solches verselbständigt wird, wird es unmittelbar mit der empirischenExistenz konfundiert, wird das Beschränkte unkritischerweise sofort für denAusdruckderIdeegenommen.“381 DiesbegreiftMarxalsdenerstentheoretischenMangelinHegelsBestimmungderRegierungsgewalt:„MitsichselbstgerätHegelhier nur insofern in Widerspruch, als er den ‚Familienmenschen‘ nichtgleichmäßig wie den Bürger als eine fixe, von den übrigen QualitätenausgeschlosseneRassebetrachtet“382.DieserMangelerinnertwiederdaran,dassHegel in seiner Bestimmung der fürstlichen Gewalt den sozial-wirklichenMenschen schon als besonderen, der zum Umgang mit allgemeinenStaatsangelegenheitennichtfähigenMenschenbezeichnetunddiesenwegenderBegrenztheit dessen gesellschaftlichen Seins aus dem Begriff des Trägers derStaatssouveränität ausgeschlossen hat. Nun in der Bestimmung derRegierungsgewaltnimmtMarxwiederHegelsnegativeHaltunggegendensozial-wirklichenMenschenwahr:HegelbezeichnetebenfallsdasbesondereInteressedessozial-wirklichenMenschenalsprivatundstelltsodannsolchesbesonderesInteresseineinemGegensatzzumallgemeinenInteressedesStaates.WasHegelals Bestimmung des Staatsbürgers nimmt, sieht Marx ausdrücklich als leereBestimmungan,diesichvondemempirischwirklichenMenschenentfernt.FürMarxerscheintHegels leeresundwidersprüchlichesWissenvomMenschenalseinzweifelhafterFaktorinnerhalbderEntwicklungderRegierungsgewalt.

Vgl.MEGA,I,Band2,S.45-46,DietzVerlag,Berlin,1982.381 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.244,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.46,DietzVerlag,Berlin,1982.382 Ebd.

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3.2.3MarxensKritikanHegelschemWissenvonderBürokratie

In Hegels Bestimmungen von „Geschäften der Regierung“ 383 setzt er dieUnterscheidung zwischen dem besonderen Interesse des gesellschaftlichenMenschen und dem allgemeinen Interesse des Staates als Prinzip derRegierungsgewaltdurch.AufgrunddieserUnterscheidungführtHegeldie„Teilungder Arbeit“ 384 ein, um das konkrete bürgerliche Leben unter die abstraktenZweigedesGeschäftsderRegierungsubsumierenzukönnen.Hegelbetont,dassdie Hauptschwierigkeit für die Regierung immer darin liegt, wie man dasKonkretumdesbürgerlichenLebensinderAbstraktiondespolitischenLebensimStaaterichtigaufhebt.DieIndividuen,diesichdasSubsumierendesbürgerlichenLebensunterdaspolitischeLebenzurAufgabemachen,sinddieIndividuenderBürokratie. Durch die Bürokratie kommt die Identität zwischen Staat undStaatsbürger nach Hegel zu ihrer Existenz 385 . Mit seiner Bestimmung derBürokratielegtHegelsodannoffen,wieindergesamtenStrukturderpolitischenVerfassungsichdieRegierungsgewaltnachderfürstlichenGewalt,alsonachdemWillen des Monarchen, richtet: Die Mitglieder der Bürokratie werden vomsubjektiven Willen des Monarchen erwählt und bestimmt. Die Geschäfte derBürokratie gehören zu einem „Teil der objektiven Seite der dem MonarcheninnewohnendenSouveränität“386 an.FürHegel spielendieBürokratieund ihreeinschlägigenAufgabendemnachdie entscheidendeRolle für seinebegrifflicheBestimmung der Regierungsgewalt als Vermittlungsphase der Souveränität zuderenallgemeinerWirklichkeitinderGesetzgebung. HegelsBestimmungderBürokratieberuhtaufderSubsumtionderbürgerlichenGesellschaft unter den politischen Staat.Mit Bezug auf diese Subsumtion stelltHegel die Bürokratie mit der gesellschaftlichen Einheit der Korporation inParallele 387 . Nach Hegel übernimmt die Institutionalisierung der BürokratieunmittelbardieEigenschaftenderKorporationvonderbürgerlichenGesellschaft.DeswegengarantiertdieSicherunggegenden„MißbrauchderGewaltvonSeiten

383 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §290, S.282,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§290,S.242,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.384 Ebd.385 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 291, S.282, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 291, S.243, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.386 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §293, S.283,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§293,S.243,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.387 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§289,S.281-282,FelixMeiner Verlag, Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, GesammelteWerke, Band 14, Anmerkung zu § 289,S.241-242,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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der Behörde und ihrer Beamten“ 388 nach Hegel nicht nur die allgemeinenInteressen des Staates, sondern auch das Zusammenwirken der verschiedenenbesonderenInteressenderStaatsbürger.FürHegelistdieBürokratiedieSphäre,indersicheinStaatsbürgerdurchseinenEinstiegindasStaatsbeamtentumengmitdemStaatverknüpftundinderdasallgemeineInteressedesStaatesunddasbesondere Interesse desMenschen als Staatsbürger durch die Verwaltung undVerteilungderBürokratieübereinstimmen389.DeswegendarfHegel,wenneraufdie vermittelnde Position der Bürokratie zwischen dem Staat und denStaatsbürger blickt, weiter behaupten, dass die Mitglieder der Bürokratie den„Hauptteil des Mittelstandes“ 390 ausmachen, der dazu dient, die begrifflichvorherbestimmte Identität zwischen Staat und Staatsbürger, nämlich „diegebildeteIntelligenzunddasrechtlicheBewußtseinderMasseeinesVolkes“391,wiederhervorzubringen.In dem,was Hegel für die Bürokratie festgelegt hat, erkenntMarx nur „einigeallgemeineBestimmungenihrer‚formellen‘Organisation“392.Marxkritisiert,dassHegels Auffassung von Bürokratie zu einem „Formalismus eines Inhalts“ führt,„der außerhalb derselben (sc. außerhalb der Bürokratie) liegt“ 393 . In diesemFormalismussiehtMarx,dassHegelimRahmenderSubsumtionderbürgerlichenGesellschaft unter den Staat einen koexistierenden Zusammenhang von derBürokratiedesStaatesundderKorporationderGesellschafthervorbringt394.NachMarx bringt die Bürokratie eben durch diesen Zusammenhang, den Hegel alsKorporationsgeist395 bezeichnet, die verschiedenen besonderen Interessen derindividuellenMenschenzurEinheitmit ihremallgemeinen Interesse. InHegelsAuffassungvonderBürokratiewirdderKorporationsgeist,soMarx,alsihrWesengekennzeichnet; dieser Korporationsgeist stellt konkret die Identität zwischendem Staat und dem Menschen her. Deshalb bezeichnet Marx denKorporationsgeistdaheralsSchlüsselzuHegelsArgumentfürdieSubsumtiondesbesonderenInteressesdesMenschenunterdasallgemeineInteressedesStaates

388 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 295, S.285, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 295, S.245, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.389 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 294, S.283, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 294, S.243, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.390 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §297, S.286,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§297,S.246,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.391 Ebd.392 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.247,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.49,DietzVerlag,Berlin,1982.393 Ebd.394 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.247,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.49-50,DietzVerlag,Berlin,1982.395 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§289,S.281,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§289,S.241,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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inderRegierungsgewalt:„DerselbeGeist,derinderGesellschaftdieKorporation,schafftimStaatdieBürokratie.SobaldalsoderKorporationsgeist,wirdderGeistderBürokratieangegriffen,undwennsiefrüherdieExistenzderKorporationenbekämpfte, um ihrer eignen Existenz Raum zu schaffen, so sucht sie jetztgewaltsamdieExistenzderKorporationenzuhalten,umdenKorporationsgeist,ihren eigenen Geist zu retten.“ 396 Marx weist weiter darauf hin, dass derKorporationsgeist von Bürokratie und Korporation auf nichts anderem als aufHegels vorausgesetzter Festlegungberuht, dassdas Interessedes individuellenMenschen ein besonderes und das Interesse des Staates allgemein sei. DieseFestlegung steht jedoch im Gegensatz zu Marxens Wissen vom Verhältnis desbesonderen Interesses des individuellen Menschen zum allgemeinen InteressedesStaates.GegenüberHegelsBestimmungdesKorporationsgeistserklärtMarx,dassdieBürokratieunddieKorporationzwarein identischesElement,densiedurchdringendenKorporationsgeist, haben, aber dieses identische Element diemaßgeblicheKluftzwischendemStaatundderbürgerlichenGesellschaftinderTatnichtüberwindenkann.FürMarxschlagenbeiHegeldiebeidenInteresseninihreeigenenGegenteileum:„das‚allgemeineInteresse‘kannsichdemBesonderngegenüber nur als ein ‚Besonderes‘ halten, solange sich das Besondere demAllgemeinen gegenüber als ein ‚Allgemeines‘ hält.“397 Damit verstehtMarxdenKorporationsgeistnichtalsBelegfüreineechteIdentitätzwischenBürokratieundKorporation, sondern als bloßen Schein, der nach Marx nur dazu dient, dieVerkehrung in Hegels Bestimmung der Regierungsgewalt zu verhüllen: „DieBürokratiemußalsodieimaginäreAllgemeinheitdesbesondrenInteresses,denKorporationsgeist,beschützen,umdie imaginäreBesonderheitdesallgemeinenInteresses, ihreneigenenGeist,zubeschützen.DerStaatmußKorporationsein,solangedieKorporationStaatseinwill“398.MitBlickaufdenKorporationsgeistals„imaginäre Allgemeinheit“ negiertMarx Hegels Bestimmung der Geschäfte derBürokratie als „einen Teil der objektiven Seite der dem Monarcheninnewohnenden Souveränität“399.Marx erkennt, dass die vonHegel bestimmteBürokratie schon von ihremWesen her nicht fähig ist, die wirkliche Identitätzwischen Staat und Staatsbürger hervorzubringen. Die Hegelsche BürokratieerscheintfürMarxdemnachalsdas,was„einGewebevonpraktischenIllusionenoder die ‚Illusion des Staats‘ ist“400, und der Geist der Bürokratie ist nach ihmnichtsanderesals„eindurchunddurchjesuitischer,theologischerGeist“401.Nach

396 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.247-248,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.49-50,DietzVerlag,Berlin,1982.397 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.248,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.50,DietzVerlag,Berlin,1982.398 Ebd.399 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §293, S.283,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§293,S.243,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.400 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.248,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.50,DietzVerlag,Berlin,1982.401 Ebd.

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MarxkanndieHegelscheBürokratiekeineswegseinResultatausderEntwicklungderwirklichenVerhältnissedesStaates zumMenschen sein.Vielmehr istdieseBürokratie, wenn Marx sie mit seiner kritischen Einsicht in die empirischeWirklichkeit des Gegenstandes durchdenkt, nichts anderes als ein Produkt dermystifizierendenRechtsphilosophieHegels. InseinerKritikderBürokratieals„Staatsformalismus“führtMarxweiteraus:„DieBürokratieistderimaginäreStaatnebendemreellenStaat,derSpiritualismusdesStaats. Jedes Ding hat daher eine doppelte Bedeutung, eine reelle und einebürokratische,wiedasWisseneindoppeltesist,einreellesundeinbürokratisches(so auch der Wille). Das reelle Wesen wird aber behandelt nach seinembürokratischen Wesen, nach seinem jenseitigen, spirituellen Wesen. (...) DerallgemeineGeistderBürokratieistdasGeheimnis,dasMysterium,innerhalbihrerselbstdurchdieHierarchie,nachaußenalsgeschlosseneKorporationbewahrt“402.Wie dieses Zitats belegt, ist Marx davon überzeugt, dass in der Sphäre derRegierungsgewalt die Bürokratie als „imaginärer Staat“ zweifellos zurEntfremdungdesStaatsunddesStaatsbürgersvonihremeigenenWesenführt.Inder Bürokratie wird der einzelne Staatsbürger von seinem eigenen Interessedadurchentfremdet,dasserdurchdenSouverändesStaateszumStaatsbeamtenerwähltwird.DerverpflichtendeStaatszwecklegtsichdamitüberdenprivatenZweckderStaatsbürgerundersetztihn.BeidieserEntfremdungkümmertsichderStaataberauchnichtmehrumdiewirklicheEinheitdesallgemeinenInteressesdesStaatesundderbesonderenInteressenderStaatsbürger.NachMarxsorgtderentfremdeteStaat,weilerdurchdassogenanntevernünftigeWissenundWollenderBürokratenbeherrschtwird,nurfürdasKorporationsinteressederBürokratie.Marx formuliert demnach seine Einsicht in die Hegelsche Entwicklung derBürokratieso:„HegelgehtvoneinemunwirklichenGegensatzausundbringtesdaher nur zu einer imaginären, in Wahrheit selbst wieder gegensätzlichenIdentität. Eine solche Identität ist die Bürokratie.“403 Der zweite theoretischeMangel der Hegelschen Bestimmung der Regierungsgewalt ist daher dieErsetzung der Identität zwischen dem Staat und dem individuellen MenschendurchdieIdentitätzwischendemStaatunddenStaatsbeamten. WoMarxinHegelsBürokratiedieKraftderRegierungsgewaltsieht,diesowohldenwirklichenStaatalsauchdiewirklichenStaatsbürgerentfremdet,siehtersichberechtigt zu urteilen, dass die Tätigkeit, durch die die Bürokratie beideunterschiedlichenInteressenvonMenschenundStaatzurIdentitätbringenwill,nichts anderes als Subsumtion der Interessen der Staatsbürger unter dasInteresse des Staates sein soll. Marx erkennt: „Die einzige philosophische402 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.249,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.51,DietzVerlag,Berlin,1982.403 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.250,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.52,DietzVerlag,Berlin,1982.

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Bestimmung, die Hegel über die Regierungsgewalt gibt, ist die der‚Subsumtion‘ des Einzelnen und Besonderen unter das Allgemeine etc.“404. DieIdentität zwischen Staat und Staatbürger und die Identität deren bestehender,wesentlichunterschiedlicherInteressen,welcheHegelausseinerVorstellungvonderBegriffsvollständigkeitdereinheitlichenSouveränitätdesStaatesabgeleitethat,negiertMarx,wennerdieseIdentitätenmitdenempirischenZuständenderRegierungsgewalt vergleicht. Für Marx verbirgt Hegels Vorstellung von diesenbeidenIdentitätengeradediewirklichenGegensätzezwischendemStaatunddemindividuellenMenschen:DieeineIdentität,diedieunterschiedlichenInteressenzwischen Staat und Staatbürger betrifft, verbirgt nach Marx den „GegensatzzwischenPrivateigentumundStaat“405;dieandereIdentitätzwischenStaatundStaatsbürgeristnachMarxebensoeine„IdentitätderfeindlichenHeere“406,undsieverstecktdemnachdieKonfliktederPersönlichkeitenzwischendemMenschenals Staatsbürger und dem Menschen als Bourgeois und weiter auch dieeinschlägigenKonfliktezwischenBürokratieundKorporation.DieseverborgenenKonflikteverweisenjeweilsaufdieUnauflösbarkeitderUnterscheidungzwischendempolitischenLebenunddemgesellschaftlichenLeben,alsozwischendemStaatundderbürgerlichenGesellschaft.Marxstelltschließlichfest:„HierinderSphäredes‚anundfürsichseiendenAllgemeinendesStaatesselbst‘findenwirnichtsalsunaufgelösteKonflikte.ExamenundBrotderBeamtensinddieletztenSynthesen.(...)DieOhnmachtderBürokratie,ihrenKonfliktmitderKorporationführtHegelalsletzteWeihederselbenan.“407 Marxens Sichtweise von den wirklichen Gegensätzen zwischen Staat undbürgerlicher Gesellschaft verneint die von Hegel behaupteten IdentitätenzwischenStaatundStaatsbürger.FürMarxgibteskeinewirklichüberprüfbarenIdentitätenzwischendemvonHegelausderallgemeinenIdeeentwickeltenStaatund den die Befriedigung ihrer Bedürfnisse fordernden wirklichen Bürgern.Hegels Versuche, in der Regierungsgewalt die Bürokratie des Staates mit derKorporation der bürgerlichen Gesellschaft zu identifizieren, sieht Marx als einillusorisches Verfahren der philosophischen Spekulation an. Die HegelscheIdentifizierung führt nach Marx nicht zur Entwicklung der wahren EinheitzwischenStaatundBürger,sondernerreichtnur,dassdieSubsumtionderBürgerunterdenStaatdurchgesetztwird.FürMarxführtdaszueinerunumgänglichenUnterordnungdes ganzenVolkesunter einen „Mittelstand“,mitdemHegeldenStandderMitgliederderRegierungundderStaatsbeamten,nämlichdenStandderBürokraten,bezeichnet.FürMarxistdasnichtsanderesalseineMystifikationder404 Ebd. 405 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.251,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.53,DietzVerlag,Berlin,1982.406 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.253,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.54,DietzVerlag,Berlin,1982.407 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.256,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.57,DietzVerlag,Berlin,1982.

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HegelschenPhilosophie,mitderenHilfederStandderBürokratenseinständischbegrenztes Wissen und Wollen als allgemeine und vernünftige Bestimmungbehauptenkann408.MitseinerradikalenNegationderUnterordnungdesganzenVolkesunterdenMittelstandderBürokratenvollendetMarxalsoseineKritikanderRegierungsgewaltalsderVermittlungderSouveränitätdesStaatesmitderenWirklichkeit.

408 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 297, S.286, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013; vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 297, S.246, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.AuchsieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.256,DietzVerlag,Berlin,2006;vgl.MEGA,I,Band2,S.57-58,DietzVerlag,Berlin,1982.

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4. MarxensKritikdergesetzgebendenGewaltalsVollendungderpolitischenVerfassung

In seiner Kritik der Identität zwischen Staat und Staatsbürger in derRegierungsgewalt bemerkt Marx, dass man Hegels Mysterium und seineeinschlägigen Mystifikationen der Gegenstände, wie er Hegels Gedanken zudiesemThemanennt,jeweilsaufseinabstraktesWissenvondengrundsätzlichenVerhältnissenzwischenStaatundbürgerlichenGesellschaftzurückführenkann.DiesesabstrakteWissenwirktnachMarxauchaufHegelsBestimmungenfürdiegesetzgebende Gewalt im Staate ein, die Hegel als letztes Moment, also alsVollendung der politischen Verfassung bestimmt. Die politische Verfassung giltnachHegelalseineDarstellungdervernünftigenTotalitätderSouveränitätfürdenStaatsbegriff und fordert nach ihrer Vervollständigung durch diejenigeEntwicklungderSouveränität,diediefürstlicheGewalt,dieRegierungsgewaltunddiegesetzgebendeGewalt imStaateumfasstunddiesedreiMomentezueinemorganischenBegriff„dieinnereVerfassungfürsich“formt409.NachHegelstelltsichdiegesetzgebendeGewaltalsVollendungderEntwicklungderStaatssouveränitäteinerseitsalsdazugehörigenTeilderpolitischenVerfassungdar.ZumInhaltdesStaatsbegriffsbetrifftdiegesetzgebendeGewaltnachHegel„dieGesetzealssolche,insofernsieweitererFortbestimmungbedürfen,unddieihremInhaltenachganzallgemeineninnerenAngelegenheiten“410.SiemussalsodenallgemeinenWillendes Monarchen und die allgemein gültige Ausübung der Staatsmacht derRegierung in den Gesetzen und in den Handlungen des Staates ausdrücken.AndererseitslässtHegeldiegesetzgebendeGewaltnichtaufdieZugehörigkeitzurpolitischenVerfassungbeschränken.NachHegelgehörtdiegesetzgebendeGewaltalso zugleich auch zu den bewegendenKräften, die in derwirklichenWelt diepolitische Verfassung allmählich verändern und fortentwickeln können. AlsVeränderungskraftderpolitischenVerfassungverfügtdiegesetzgebendeGewaltdemnach auch über eine Macht gegenüber den bestehenden Zuständen derpolitischenVerfassung.DiegesetzgebendeGewaltschließtnachHegelalsonichtnur die stabilen, sondern auch die dynamischen Elemente in Geschäften derGesetzgebung in sich ein und deutet somit der politischen Verfassung dasÄußerliche an, das nach Hegel in die abgeschlossene Totalität der politischenVerfassungeinzubrechenvermag.Erst imZusammenhangmitdemÄußerlichengegenüber der Totalität der politischen Verfassung bezieht sich HegelsFormulierung der gesetzgebenden Gewalt auf das Problem der Revolution imStaate. 409 SieheHegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 271, § 272, § 273, S.258-261, FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§271,§272,§273,S.223-226,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.410 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §298, S.287,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§298,S.247,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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4.1MarxensKritikanderVerwirklichungderallgemeinenundgültigen

SouveränitätdurchdiegesetzgebendeGewalt

GegenüberdemVerhältnisdergesetzgebendenGewaltzurpolitischenVerfassunggehtMarxensKritikanHegelsBestimmungdergesetzgebendenGewaltebensonichtnuraufHegelsBegriff „diegesetzgebendeGewalt“ein,sondernsiemachtauchHegelsBestimmungderpolitischenVerfassungalsvernünftigerTotalitätderSouveränität zum Gegenstand. Gerade an den stabilen und dynamischenElementen der Veränderung der politischen Verfassung in der gesetzgebendenGewalt hebt Marx zunächst hervor, dass Hegel unkritisch unterstellt, dass diegesetzgebendeGewalteineallgemeingültige,vereinigendeMachtsei,diefürdievernünftigeTotalitätderSouveränität,alsofürdiegesamtepolitischeVerfassung,die Kollision der stabilen Elemente mit den dynamischen Elementen derVeränderungschlichtenkann.FürMarxkannHegelsUnterstellungnichtdurchdieempirischen Tatsachen der Gesetzgebungstätigkeit bewiesen werden. HegelsgesetzgebendeGewalterscheint fürMarxalsoalsein insichwidersprüchlichesDinginderwirklichenWelt:SiegehorchtderbestehendenpolitischenVerfassungund erhält dadurch die Befugnis, Gesetze zu geben; eben durch dieseGesetzgebungverändertdieseGewaltaberzugleichdiebestehendeVerfassung.Dazu kritisiertMarx, dass Hegel nur die außerhalb der politischen Verfassungstehende Revolution direkt aus der Bestimmung der gesetzgebenden Gewaltausschließt, jedoch indirekt und heimlich dieser Gewalt eine revolutionäreVeränderungsmacht gegenüber der politischen Verfassung selbst zugesteht. SokommtMarxzurEinsicht:„Sie(sc.HegelsgesetzgebendeGewalt)tutaufeinemWege,wassienichtaufgrademWegetunkannunddarf.Siezerpflücktsieendétail,weilsiedieselbenichtengrosverändernkann.SietutdurchdieNaturderDingeundderVerhältnisse,wassienachderNaturderVerfassungnichttunsollte.Sietutmateriell,faktisch,wassienichtformell,gesetzlich,verfassungsmäßigtut.“411IndiesemZitatmachtMarxalsodeutlich,dassHegelseineBestimmungnichtaufdieempirischeWirklichkeitdergesetzgebendenGewaltgründet,sondernwiederaufeinephilosophischeWirklichkeit,dienurdurchHegelsspekulativeMethodebegriffenwerdenkannundinderHegelschenRechtsphilosophienurinGedankenbesteht.AusseinerEinsichtinHegelsgesetzgebendeGewaltfolgertMarx:„Hegelhat damit die Antinomie nicht gehoben, er hat sie in eine andre Antinomieverwandelt; er hat das Wirken der gesetzgebenden Gewalt, ihrverfassungsmäßiges Wirken in Widerspruch gestellt mit ihrerverfassungsmäßigen Bestimmung. Es bleibt der Gegensatz zwischen der

411 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.258,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.59,DietzVerlag,Berlin,1982.

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VerfassungunddergesetzgebendenGewalt.“412 Marx stellt fest,dassHegeldiegesetzgebendeGewaltalseineinsichwidersprüchlicheInstitutionabwertet,nurumsiederVorstellungvondervernünftigenTotalitätderpolitischenVerfassung,derTotalitätderallgemeinenIdeederSouveränität,anpassenzukönnen.MitBlickaufHegelswidersprüchlicheBestimmungdergesetzgebendenGewaltkritisiertMarxscharfHegelsAuffassungvonderVeränderbarkeitderpolitischenVerfassung. Nach Marx kennzeichnet Hegel diese Veränderung nur als einenallmählicheninnerenProzessderpolitischenVerfassungundschließtdamitdieRevolutionimStaate,denäußerlichenUmschlagderpolitischenVerfassung,ausder Entwicklung seines Staatsbegriffs aus. ImGegensatz zuHegels Standpunktüber eine evolutionäre innere Veränderung der politischen Verfassungverdeutlicht Marx seine Auffassung von revolutionärer Veränderung derpolitischen Verfassung: „Ganze Staatsverfassungen haben sich allerdings soverändert,daßnachundnachneueBedürfnisseentstanden,daßdasAltezerfieletc.; aber zu der neuen Verfassung hat es immer einer förmlichen Revolutionbedurft. (...) Die Kategorie des allmählichen Überganges ist erstens historischfalsch, und zweitens erklärt sie nichts.“413 Es sei angemerkt, dass Marx seineAuffassung von der Revolution als eigene Veränderungskraft der politischenVerfassung durch Bezug auf die Geschichte der Französischen Revolutionbegründet.FürMarxsolldievonHegelgemeintepolitischeVerfassungwesentlichein geschichtliches Resultat der französischen Revolution sein. Mit seinenhistorischenEinsichten,dassinderfranzösischenRevolution„diegesetzgebendeGewaltderRepräsentantdesVolkes,desGattungswillenswar“414,unddassdiesegesetzgebendeGewaltnichtfüreineSukzessionderaltenVerfassung,sondernfürGründung einer neuen Verfassung kämpfte, verdeutlicht Marx hierbei seineAuffassung von denBeziehungen zwischender politischenVerfassung unddergesetzgebendenGewalt:WegenihrerursprünglicherenVerbindungmitdemVolksolldiesegesetzgebendeGewalthöheralsjenepolitischeVerfassungstehenundsoll somitdieBefugnishaben, jeneVerfassung zu gestalten.Die gesetzgebendeGewalt vertrete das Volk selbst, und jene Verfassung sei nur der wirklicheAusdruck des Volkswillens. Marx kehrt Hegels Verhältnis zwischen dergesetzgebendenGewalt und der politischenVerfassung um.Die gesetzgebendeGewaltistinsofernalsUrsachederpolitischenVerfassungzubegreifen,alssiesichaufdenVolkswillenstützt.Im Gegensatz zu Hegels Behauptung, dass in der politischen Verfassung diegesetzgebendeGewaltdieKollisiondeskonkretenWillensderStaatsbürgermit

412 Ebd.413 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.259,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.60,DietzVerlag,Berlin,1982.414 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.260,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.61,DietzVerlag,Berlin,1982.

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demallgemeinenStaatswillenschlichtenkönne,betontMarx,dassdieKollisioninderGesetzgebungdesStaatesunauflösbarbleibenmuss,solangedieKollisionimwirklichenLebenderStaatsbürgernochnichtaufgelöst ist.Marx istüberzeugt,dass die Kollision in der Gesetzgebung des Staates eigentlich die wirklicheKollisionderStaatsbürgermitdemStaateausdrückt:„DieKollisionzwischenderVerfassung und der gesetzgebenden Gewalt ist nichts als ein Konflikt derVerfassungmit sich selbst, einWiderspruch imBegriff derVerfassung.“415 Dersogenannte vernünftige Grund für die Einheit der politischen Verfassung, denHegel als freien Willen oder den freien Geist in der politischen Verfassungbezeichnet,wirdvonMarxdurchseineEnthüllungderunauflösbarenKollisionenim wirklichen Leben verneint. Im Gegensatz zu Hegels politischer Verfassungschildert Marx die der empirischwirklichenWelt desMenschen angemesseneVerfassungso:„DieVerfassungistnichtsalseineAkkommodationzwischendempolitischen und unpolitischen Staat: sie ist daher notwendig in sich selbst einTraktatwesentlichheterogenerGewalten.HieristesalsodemGesetzunmöglich,auszusprechen,daßeinedieserGewalten,einTeilderVerfassung,dasRechthabensolle, die Verfassung selbst, das Ganze, zu modifizieren.“ 416 Die von HegelbenanntenotwendigeEntwicklungdesStaates,nämlichdiegesetzgebendeGewaltindieallgemeineIdeederSouveränitätdesStaateszuintegrieren,stelltsichfürMarxals eineüberflüssigeForderungdar,die sichnurausdemMysteriumderHegelschen Philosophie ergeben kann. Hegels Bestimmung der allgemeinenpolitischenVerfassungführtnachMarxnurdazu,dassinihrderwirklicheWilledes Volkes durch ein begrifflich entwickeltes Wissen vom Willen des Staatesersetzt wird. Auf die unauflösbare Kollision zwischen der Verfassung und dergesetzgebendenGewalthinbestreitetMarxdieZugehörigkeitdieserGewaltzurVerfassung und bestreitet Hegels Bestimmung der politischen Verfassung alsvernünftige Totalität. Da sich die wirkliche politische Verfassung nicht alsVerfassungeinesmittelalterlichenStaates,sondernalsdieeinesmodernenStaatesgeltend macht, muss sie nach Marx immer den wirklichen Willen des Volkesausdrücken.HierbeibetontMarxwieder,dassnurdasVolkundseinwirklicherWilledenTrägerderSouveränitätdesmodernenStaatesausmacht.Mit Blick auf das Volk als Träger der Souveränität des modernen StaatesunterscheidetsichdieallgemeineVerfassungdesStaatesbeiMarxtotalvondervon Hegel entwickelten politischen Verfassung. Unter der Maßgabe seinerÜberlegungenzurallgemeinenVerfassunghebtMarxhervor:„DieverschiedenenGewaltenhabeneinverschiedenesPrinzip.SiesinddabeifesteWirklichkeit.VonihremwirklichenKonfliktandieimaginäre‚organischeEinheit‘sichflüchten,stattsie alsMomente einer organischenEinheit entwickelt zu haben, ist daher eine

415 Ebd. 416 Ebd.

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leeremystischeAusflucht.“417 InMarxens allgemeinerVerfassunggibt es keineStelle für die begrifflich entwickelte „organische Einheit“ der politischenVerfassung.DiegesetzgebendeGewalt,dieFormdesVolkswillens,istfürMarxdieeinzigartige Grundlage der allgemeinen Verfassung. Sie unterscheidet sich alsoauch von der gesetzgebenden Gewalt bei Hegel. Dabei erscheinen HegelsBestimmungen, die für dieGegenständeder gesetzgebendenGewalt gelten, alsSachen, die der echtenNatur der gesetzgebendenGewalt, also demwirklichenWillendesVolkes,unangemessensind.SiedienennachMarxlediglichdazu,dieBedingungenfüreinenabstraktenBegriffdesStaateszuerfüllen.

417 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.261,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.62,DietzVerlag,Berlin,1982.

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4.2MarxensKritikanderHegelschenAuffassungdespolitischenStandes

UmdiebegrifflicheVollständigkeitderStaatssouveränitätdarzustellen,hatHegeldiegesetzgebendeGewaltalsletztesMomentderpolitischenVerfassungbestimmt,dasdieEntwicklungderSouveränitätzu ihrerTotalitätvollendet.DafürenthältbeiihmdiegesetzgebendeGewaltnichtnurdasMomentderStändedesVolkes,sondern sie bezieht sich auch auf zwei andere Momente, die sich aus derfürstlichenGewaltundderRegierungsgewaltergeben.InBlickaufdieTotalitätderpolitischen Verfassung vertieft Marx seine Kritik und greift in HegelsgesetzgebenderGewaltdasProblemderStändeauf.FürMarxerscheintinHegelsgesetzgebenderGewaltdasProblemderStändeals„RätseldesMystizismus“418:ErstenssinddieStändeindergesetzgebendenGewaltbeiHegelnichtdieselbenwiedieStändederbürgerlichenGesellschaft,sondernnurderenWiderspiegelung,also deren Abstrahierung in die Sphäre des Staates. AusMarxens Sicht nimmtHegelhierbeistattderwirklichenExistenzdesVolkesnochdessenfragwürdigeGestaltan,dienuralsKonstruktvonHegelsPhilosophievorstellbarwird.Zweitensstellen die Stände in der gesetzgebenden Gewalt bei Hegel nicht die von ihmanerkannte Allgemeinheit des Begriffes dar, sondern nur eine empirischeAllgemeinheit, die nicht das Ganze, sondern nur die Vielheit repräsentierenkann419.NachMarxbezeichnetHegeldieempirischeAllgemeinheitdesVolkes,dasöffentlicheBewusstseinderStaatsbürger,abwertendalsein„bloßesPotpourrivon‚Gedanken und Ansichten der Vielen‘“ 420 . An Hegels „Rätsel desMystizismus“ kritisiert Marx, dass Hegels Bestimmung der Stände in dergesetzgebendenGewaltzunichtsanderemalszurEntfremdungdesVolkesunddesStaatesvonihremeigenenWesenführt:„HegelidealisiertdieBürokratieundempirisiert das öffentliche Bewußtsein.“ 421 Mit Blick auf Hegels Entfremdungbestätigt Marx, dass das Problem der Hegelschen Gedanken darin liegt: Hegelisoliert sich von der empirischen oder existentiellenWirklichkeit, damit seineGedankeneinenimaginärenvollständigenBegriffodereinenimaginärenGeistderVernunft erreichen können. Gegenüber diesen nur philosophisch vorstellbarenDingen wiederholt Marx hierbei noch einmal seine Kritik des HegelschenPhilosophierens, des metaphysischen Denkens: „Hegel kann das wirklicheöffentlicheBewußtseinsehràpartbehandeln,ebenweilerdasàpartBewußtsein

418 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.263,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.65,DietzVerlag,Berlin,1982.419 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.263,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.65,DietzVerlag,Berlin,1982.420 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.263,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.65,DietzVerlag,Berlin,1982.421 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.264,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.65,DietzVerlag,Berlin,1982.

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alsdasöffentlichebehandelthat.ErbrauchtsichumsowenigerumdiewirklicheExistenz des Staatsgeistes zu kümmern, als er schon in seinen soi-disantExistenzenihngehörigrealisiertzuhabenmeint.SolangederStaatsgeistmystischim Vorhof spukte,wurden ihm viel Reverenzen gemacht. Hier,wowir ihn [in]personagehascht,wirderkaumangesehn.“422 Nachdem Marx in Hegels Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt dasentfremdeteVolkunddenentfremdetenStaatidentifizierthat,gewinntMarxdiehinreichenden Gründe dafür, die Hegelsche Bestimmung des ständischenElements zu negieren. In Hegels gesetzgebender Gewalt soll das ständischeElement die abstrakte Allgemeinheit der politischen Verfassung mit derenkonkretemDaseininderbürgerlichenGesellschaftvereinigen.AberMarxerkennt,dassdieabstrakteAllgemeinheitderpolitischenVerfassung,diebeiHegelsichalsallgemeineAngelegenheit des Staates zeigt, nicht die Kluft zwischen Staat undbürgerlicher Gesellschaft überschreiten kann und daher nicht eine wahreVereinigungmitderempirischenAllgemeinheit,demöffentlichenBewusstseininder bürgerlichen Gesellschaft, erreicht, sondern sie nur den Schein einerVereinigungfingiert,nämlichdieIllusion,dieallgemeinenStaatsangelegenheitenseiendiewirklichenVolkssachen.SoverdeutlichtMarx:„DasständischeElementistdie illusorischeExistenzderStaatsangelegenheitenalseinerVolkssache.DieIllusion,daßdieallgemeineAngelegenheitallgemeineAngelegenheit,öffentlicheAngelegenheit sei, oder die Illusion, daß die Sache des Volks allgemeineAngelegenheitsei.SoweitistessowohlinunserenStaatenalsinderHegelschenRechtsphilosophie gekommen, daß der tautologische Satz: ‚Die allgemeineAngelegenheit ist die allgemeine Angelegenheit‘, nur als eine Illusion despraktischen Bewußtseins erscheinen kann. Das ständische Element ist diepolitischeIllusionderbürgerlichenGesellschaft.“423 NachMarxreduzierendieseIllusionendespraktischenBewusstseinsundderbürgerlichenGesellschaft dasWissenunddenWillendeswirklichenVolkesteilsaufüberflüssigeFaktoren,teilsaufverdächtigeSachen fürdieBürokratieunddasvon ihrbehaupteteabstraktallgemeineInteressedesStaates.BeiHegelwerdendaswirklicheVolkundseineStändezumreinenLuxusdesständischenElements.Marxstelltfest:„HegelwilldenLuxusdesständischenElementsnurderLogikzulieb.“424In seinerKritik des ständischenElements erkenntMarx genauer, dass sich dieIllusionen des praktischen Bewusstseins und der bürgerlichen Gesellschaftursprünglich aus der Auffassung des Volkes im modernen Staate ergeben. Es

422 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.264,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.65,DietzVerlag,Berlin,1982.423 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.265,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.66,DietzVerlag,Berlin,1982.424 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.267,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.68,DietzVerlag,Berlin,1982.

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handeltsichbeiMarxumdieBestimmungdesMenschenfürdenmodernenStaat.Danach hat Hegel zwar das Volk des modernen Staates zunächst von demMenschenalsBürgerherundvondessenStändenderbürgerlichenGesellschafther bestimmt, aber er bringt dann in der gesetzgebenden Gewalt eine andereBestimmungdesMenschen,dasständischeElement,hervor.Diesesunterscheidetsich durch das Prinzip der Allgemeinheit der politischen Verfassung von denwirklichenStändenderbürgerlichenGesellschaft.DasständischeElementbeziehtsichnachHegelzwaraufdieStändederBürgerinderbürgerlichenGesellschaftundihreempirischeAllgemeinheit,dochverwandeltessichnachdemPrinzipderAllgemeinheit der politischen Verfassung in die Menge der Staatsbürger. Dasständische Element nimmt also zwei ganz unterschiedlicheBestimmungen desMenscheninsichauf:dieeineistdieBestimmungdesMenschenalsBourgeois,alswirtschaftliches Wesen; die andere ist die Bestimmung des Menschen alsStaatsbürger,alspolitischesMitglieddesStaates.Marxsieht,dassdieAufgabedesständischen Elements nichts anderes ist als die beiden unterschiedlichenBestimmungendesMenschenzurEinheitzubringen.AberwieMarxesschonfrühbemerkthat,hatdasständischeElementwesentlichkeineFähigkeit,insichselbstdiebeidenunterschiedlichenBestimmungendesMenschenzuvereinigen.HegelfingiertdenScheineinerVereinigung.Marxerkennt,dassdasständischeElement,HegelsAuffassung vomVolk immodernen Staat, inWahrheit eine entstellendeAbbildungdesVolkesist,diezwaraufdemwirklichenVolkberuht,docheinnachderLogikderRechtsphilosophiemodifiziertes,entstelltesBildhervorbringt. ImVergleichmitdemVolk,dasMarxaufdenindividuellenMenschenalsBourgeoisinderbürgerlichenGesellschaftgründetundzurGrundlagedesmodernenStaatesmacht, stellt er fest: „Das ständische Element ist die sanktionierte, gesetzlicheLügederkonstitutionellenStaaten,daßderStaatdasInteressedesVolksoderdaßdas Volk das Staatsinteresse ist. Im Inhalt wird sich diese Lüge enthüllen. AlsgesetzgebendeGewalthatsiesichetabliert,ebenweildiegesetzgebendeGewaltdasAllgemeinezuihremInhalthat,mehrSachedesWissensalsdesWillens,diemetaphysischeStaatsgewaltist,währenddieselbeLügealsRegierungsgewaltetc.entweder sich sofort auflösen oder in eine Wahrheit verwandeln müßte. Diemetaphysische Staatsgewalt war der geeignetste Sitz der metaphysischen,allgemeinen Staatsillusion.“ 425 Hegels Abbildung des Volkes in seinerStaatsphilosophieergibtsichnachMarxausdemmetaphysischenDenken.UnddieaufderGrundlagedieserAbbildungentwickelteWissenschaftdesRechtsgelangtdarumnurzueinermetaphysischenErkenntnisdesStaates.FürMarxversperrengerade Hegels Illusionen des ständischen Elements und die darin entstellendeAbbildungdesVolkesdenWegzurempirischenWirklichkeitdesMenschenundzur entsprechenden kritischenWissenschaft des Staates, die sich allein dieserWirklichkeit des Menschen widmet. Um das wirkliche Volk unentstellt

425 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.268,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.69,DietzVerlag,Berlin,1982.

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darzustellen, ist es fürMarx unumgänglich, Hegels entstellende Abbildung desVolkesdurchradikaleKritikzubeseitigen. WasHegeldurchdasständischeElementindergesetzgebendenGewaltverdeckt,sind nach Marx die wirklichen Stände des Volks, die die wahren VerhältnissezwischenStaatundVolkausmachen.Marxerkennt:„Inden‚Ständen‘laufenalleWidersprüche der modernen Staatsorganisationen zusammen. Sie sind die‚Mittler‘nachallenSeitenhin,weilsienachallenSeitenhin‚Mitteldinge‘sind.“426BeiHegelsStändengehtesnichtnurumdiepolitischeVerbindungeinesBürgersmit dem Staate, sondern auch um die Vereinbarkeit der Interessen zwischenBürgerundStaat.HegelsStändesindnachMarxalso„wirklichdieseTotalität(sc.dieTotalitätallerMomentederpolitischenVerfassung),derStaat imStaate“427.Aber Marx entdeckt dabei, dass Hegels Stände als Totalität der politischenVerfassungzugleichderenuneinnehmbarAnderes,dasElementderbürgerlichenGesellschaft, enthalten, sodass „der Staat nicht die Totalität, sondern einDualismusist“428.NachMarxkönnendiewirklichenStändedesVolkeswederdievonHegel bezeichnetepolitische Identität desBürgersmit demStaat nochdieVereinigung der Interessen dieser Beiden vermitteln. Die wirklichen StändestellennurdieGegensätzezwischenStaatundBürgerdar. Marx sieht, dass sich Hegels „Rätsel der Mystifikation“ für die gesetzgebendeGewaltdortoffenbart,wodieIllusionendesständischenElementszumVorscheingebracht und durchgesetzt werden. Es ist der Ort, an dem Hegel eineUnterscheidung zwischen dem allgemeinen Stand und dem Privatstand unterStaatsbürgern macht. Das versteht Marx so: „Das ständische Element ist diepolitische Bedeutung des Privatstandes, des unpolitischen Standes, einecontradictioinadjecto.(...)DerPrivatstandgehörtzumWesen,zurPolitikdiesesStaates. Er gibt ihm daher auch eine politische Bedeutung, d.h. eine andereBedeutung als seine wirkliche Bedeutung.“ 429 Die Lösung des „Rätsels derMystifikation“istnachMarxdemnachnichtsanderesalseineDegradierungdesVolkes in den Privatstand der politischen Verfassung, wodurch Hegel dieWirklichkeitdesVolkesdurchdiePolitikdesStaates ersetzt.Marxweistnäherdaraufhin,dassdieUnterscheidungzwischenallgemeinemStandundPrivatstandentbehrlichist.NachMarxkannHegeldieseUnterscheidungnurdarummachen,weilerdieÜberzeugungdavonhat,dassdieTrennungsowiedieKluftzwischenStaat und bürgerlicher Gesellschaft aufhebbar sei und dass eine Identität oderVereinigung zwischen diesen beiden unterschiedlichen Momenten zu setzen

426 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.272,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.73,DietzVerlag,Berlin,1982.427 Ebd.428 Ebd.429 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.274,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.77,DietzVerlag,Berlin,1982.

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möglich sei.Marxbetont,dassbeiHegeldieAuflösungderTrennungzwischenStaat und bürgerlicher Gesellschaft und die Identifizierung zwischen diesenbeiden das grundsätzlichste Thema der gesetzgebenden Gewalt ausmachen.JedochüberzeugtdieseAuflösungundIdentifizierungMarxnicht.Dadurch,dassMarxdenGrund,derHegelsÜberzeugungunterstützt,ausdessenWissenvondenStändendesStaatesableitet,siehter,dassdiesesWissenvondenStändenganzanachronistischist:HegelvermischtdarindasWissendermodernenStändemitdemdermittelalterlichenStände,sodasserdiemittelalterliche,inderModerneschonverschwundeneIdentitätzwischenStaatundbürgerlicherGesellschaftalsWesenunddievorhandenemoderneTrennungzwischenStaatundbürgerlicherGesellschaftbeiderDarstellungdiesesWesensverkennt.GeradeaufgrunddieserEinsicht in den Anachronismus des HegelschenWissens stellt Marx fest, dassHegels Überzeugung von der Identität zwischen Staat und bürgerlicherGesellschaftganzillusorischist.NachMarxkannmanalleWidersprüche,dieHegelseinergesetzgebendenGewaltzuschreibt,wiederfindenundanihnenerkennen,dass diese Widersprüche auf Hegels anachronistisches Wissen über Ständezurückzuführensind.Marxkritisiert:„Er(sc.Hegel)machtdasständischeElementzumAusdruckderTrennung,aberzugleichsollesderRepräsentanteinerIdentitätsein, die nicht vorhanden ist. Hegel weiß die Trennung der bürgerlichenGesellschaftunddespolitischenStaats,abererwill,daßinnerhalbdesStaatsdieEinheit desselben ausgedrückt sei, und zwar soll diesdergestalt bewerkstelligtwerden, daß die Stände der bürgerlichen Gesellschaft zugleich als solche dasständischeElementdergesetzgebendenGesellschaftbilden.“430 Für Marx beruht der Versuch, eine Identität zwischen Staat und bürgerlicherGesellschaftherzustellen, aufdembloßenWolleneinesPhilosophen, ebendembloßenWollenHegels.Dasheißt:HegelsständischesElement,indemdieIdentitätzwischenStaatundbürgerlicherGesellschaftliegt,entwickeltsichnichtausdereigenen Logik der Gegenstände, nämlich nicht aus der Logik der bürgerlichenGesellschaftselbstoderihrereigenenVerhältnissezumStaate,sondernausdereigenen Logik des Denkens oder des Denkenden. Die Ursache der falschenÜberzeugung ist nach Marx nur Hegels eigenem Denken zuzuschreiben: „DasTieferebeiHegel liegtdarin,daßerdieTrennungderbürgerlichenGesellschaftundderpolitischenalseinenWiderspruchempfindet.AberdasFalscheist,daßersichmitdemScheindieserAuflösungbegnügtundihnfürdieSacheselbstausgibt(...)“ 431 . Und indem Marx die Unauflösbarkeit der Trennung als Wahrheit derVerhältnissezwischenStaatundbürgerlicherGesellschaftbegreift,siehtersichauchberechtigtzuurteilen,dassHegelsVorstellungvonder IdentitätzwischenStaatundbürgerlicherGesellschaftnichtmehralsdasResultateinervernünftigen430 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.277,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.80,DietzVerlag,Berlin,1982.431 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.279,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.80,DietzVerlag,Berlin,1982.

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Beobachtunggeltenkann,sondernsichalseinResultatdeswillkürlichenDenkenserweist. Da die Trennung zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft und derenAuflösung die Basis sind, auf die Hegel seine Vollendung der politischenVerfassung gründet, muss Marx den von Hegel entwickelten Schein dieserTrennung und deren Auflösung aufbrechen, damit er von den innerenInkonsequenzen der Hegelschen Bestimmungen her dessen Vorstellung vonEinheitderpolitischenVerfassungmitdessenVorstellungvondieserVerfassungalsTotalitätverbindenkann.DafürrichtetMarxseineAufmerksamkeitweiteraufHegelsBestimmungenderpolitischenStändeindergesetzgebendenGewaltdesStaates. In Bezug auf die politischen Stände gewichtetHegel nachMarx die Politik desStaateshöheralsderenwirklichesLeben inderbürgerlichenGesellschaft.DenMenschen,deralsBürgerderGesellschaft lebt,bezeichnetHegelnachMarxalsMitglied eines Privatstandes, das durch die Eigenschaften seiner besonderenFreiheit–seineSelbstbestimmungundseineselbstsüchtigeNeigung–begrenztwird.AlsBürgerderGesellschafterfülltderMenschalsonichtHegelsForderungnach der ideellenAllgemeinheit des sittlichenGeistes. Deswegen betontHegel,dass es eine logische Notwendigkeit für den Bürger in Bezug auf seinengesellschaftlichenStandgebenmuss,nachdersichdergesellschaftlicheBürgerundseinStandineineganzandereStufederideellenAllgemeinheitaufheben,diebegrifflichhöheralsdieempirischeAllgemeinheitderbürgerlichenGesellschaftrangiert.FürMarxbedeutetdies,dassbeiHegelderBürgeralsPrivatpersoneinepolitischeStellungundBedeutungausderallgemeinenIdeederVerfassungzuerstannehmenmuss und danach sich zu einemMitglied der Stände in der Politikbilden kann. An dieser Bildung der Staatsbürger und der politischen Ständeerkennt Marx, dass Hegel die allgemeine Idee der politischen Verfassung alsVermittlung bestimmt und eben durch sie die empirische Allgemeinheit deseinzelnenBürgersindieSphärederideellenAllgemeinheitdesStaateserhobenwird. Für Marx ist die wesentliche Aufgabe der Hegelschen Aufhebung dergesellschaftlichenBürgerindiepolitischenStändedesStaatesdieVermittlungvonempirischerundideellerAllgemeinheit.DiepolitischenStändesindinsoferndasentscheidendeMomentfürdievonHegelphilosophischbestimmteWirklichkeit,durchdieHegeldieIdeederpolitischenVerfassungvollendenkann.AndenpolitischenStändenfindetMarxabernichtsanderesalsdasheraus,wasinHegels gesetzgebender Gewalt den Menschen von seiner empirischenWirklichkeit,vonseinembürgerlichenLebenabstrahiert.Marxsiehtdaso:„DerBürgermußseinenStand,diebürgerlicheGesellschaft,denPrivatstand,vonsichabtun, um zu politischer Bedeutung undWirksamkeit zu kommen; denn eben

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dieserStandstehtzwischendemIndividuumunddempolitischenStaat.“432 FürMarxistdasvonHegelbezeichneteErhebendesBürgersindenpolitischenStaat,dieUmwandlungderStändederbürgerlichenGesellschaftindieStändederPolitik,nicht ein Vermitteln der bürgerlichen Gesellschaft mit dem allgemeinen Staat,sonderneineVerwechselungderbürgerlichenGesellschaftmitdemimaginärenStaat.DieFolgederBeförderungdesBürgersindenpolitischenStaatistnachMarxdieunumgänglicheEntfremdungdesMenschenvonseinemWesen:HegelerhebtdengesellschaftlichenBürgernicht ineinewirklichePolitikdesStaates,dieaufdem wirklichen Leben der bürgerlichen Gesellschaft beruht und dieses Lebenrepräsentiert, sondern er bringt den Bürger in eine imaginäre Politik, derenGrundlagenurdiebegrifflicheIdeedesStaates istunddaswirklicheLebenderbürgerlichen Gesellschaft nicht mehr repräsentieren kann, sondern einimaginäres Leben der Politik des Staates hervorbringt. Hegels Erheben desBürgers in dessen politische Bedeutung ist also nur eine imaginäreVerwirklichung einer imaginären Identität zwischen Staat und Bürger. Mit derEnthüllung dieser Entfremdung kommt Marx zu seiner Einsicht in HegelsBestimmungderpolitischenStände:„(...)HegelverwechselthierdenStaatalsdasGanzedesDaseins einesVolkesmit dempolitischen Staat. JenesBesondere istnicht das ‚Besondere im‘, sondern vielmehr ‚außer dem Staate‘, nämlich dempolitischen Staate. Es ist nicht nur nicht ‚das im Staate wirkliche Besondere‘,sondern auch die ‚Unwirklichkeit des Staates‘.“433 Es wirdMarx deutlich, dassHegeldurchseineBestimmungderpolitischenStändeunddurchdieErsetzungdesgesellschaftlichenLebensdurcheinstaatlichesLebennichtsanderesalsdieEntwirklichungdeswirklichenVolkes der bürgerlichenGesellschaft bezeichnethat.Gegenüber dieser Entwirklichung des Volkes beharrt Marx darauf, dass dasbürgerliche Leben das einzige, wahre Wesen des Menschen ist und dieWirklichkeitdesVolkesnur indiesemLeben liegt.Denn für ihnkönnenHegelsBestimmungderpolitischenStändeundseineAuffassungvomVolkdesStaatesdurch die Beachtung der Entstehungsgeschichte des modernen Staates nichtvalidiert werden. In seiner geschichtlichen Analyse erkennt Marx, dass dieTrennungzwischenStaatundbürgerlicherGesellschaftnichtmehralsäußerliche,aufzuhebende Erscheinung der innerlichen Vereinigung der politischenVerfassung ist. –NachMarxentwickeltHegeldieseVereinigung lediglichdurchseinzweifelhaftesphilosophischesBegreifenunddiesenuraufdieLogikdiesesBegreifen bezogen. Gegenüber Hegels begriffliche Bestimmungen für dieVereinigung der politischen Verfassung ist die Trennung zwischen Staat undbürgerlicherGesellschaftnachMarxeingeschichtlichschonvollendetesEreignis432 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.282,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.87,DietzVerlag,Berlin,1982.433 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.282,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.87-88,DietzVerlag,Berlin,1982..

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durchdie FranzösischeRevolution, einResultat derEntstehungsgeschichtedesmodernenStaates.SobetontMarx:„EsisteinFortschrittderGeschichte,derdiepolitischen Stände in soziale Stände verwandelt hat (...) Erst die FranzösischeRevolution vollendete die Verwandlung der politischen Stände in soziale odermachte die Ständeunterschiede der bürgerlichen Gesellschaft zu nur sozialenUnterschieden, zu Unterschieden des Privatlebens, welche in dem politischenLeben ohne Bedeutung sind. Die Trennung des politischen Lebens und derbürgerlichenGesellschaftwardamitvollendet.“434 AlsgeschichtlichesEreignisistdieTrennungzwischenStaatundbürgerlicherGesellschaftnichtaufzuheben,weilein geschichtliches Ereignis nicht aufgehobenwerden kann. Vielmehr ist dieseTrennung als geschichtliche Tatsache anzuerkennen, damit man ihreentscheidendeRollefüreinenmodernenStaatverstehtunddessenEntwicklungaufdieseTrennunggründet. Deswegen ist es fürMarx nicht akzeptabel, dassHegel die Trennung zwischenStaat und bürgerlicher Gesellschaft und die Trennung zwischen politischenStändenundgesellschaftlichenBürgernnichteinfachdadurchauflösenkann,dasser diese Trennung unter eine von ihm nur begrifflich bestimmte, aber in derWirklichkeitnichtnachweisbareIdeederpolitischenVerfassungsubsumiert.Diewirkliche Trennung ist nach Marx unauflösbar und bleibt außerhalb desmenschlichen Denkens bestehen. Es ist am wichtigsten für Marx, dass dieWirklichkeit zu verändern nicht die Veränderung von dem bedeutet, was derMensch denkt, sondern die Veränderung von dem, in dem und von dem derMenschlebt. Wie man in Marxens Kommentierung zu Hegels fürstlicher Gewalt undRegierungsgewalt sehen kann, führt Marx die Ursachen für das Problem desTrägers der Souveränität und für das Problem der Bürokratie auf HegelsPhilosophieren, auf seine philosophische Methode zurück. So schreibt Marxhierbei das Problem der politischen Stände wieder Hegels Methode zu. DieUrsache des Problems der politischen Stände liegt nach Marx ursprünglich inseinen philosophischen Interpretationen der wirklichen wechselseitigenVerhältnissezwischenStaatundBürger:„Esistdiesdieunkritische,diemystischeWeise,einealteWeltanschauungimSinneeinerneuenzuinterpretieren,wodurchsienichtsalseinunglücklichesZwitterdingwird,worindieGestaltdieBedeutungunddieBedeutungdieGestaltbelügtundwederdieGestaltzuihrerBedeutungundzurwirklichenGestalt,nochdieBedeutungzurGestaltundzurwirklichenBedeutung wird. Diese Unkritik, dieser Mystizismus ist sowohl das Rätsel dermodernen Verfassungen wie auch das Mysterium der Hegelschen Philosophie,

434 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.283-284,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.89,DietzVerlag,Berlin,1982.

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vorzugsweise der Rechts– und Religionsphilosophie.“ 435 . Zu dieser Kritik derHegelschen „Unkritik“, seines „Mystizismus“, sei angemerkt, dass Marx beiBeharrenaufderUnauflösbarkeitderTrennungzwischenStaatundBürgereineMaßgabederWahrheitdesDenkensaufstellt,nämlich:FürjedeskritischeDenkendesMenschenmussdieWahrheitseinerLogikaufderempirischenWirklichkeitseinerGegenständeberuhen.GeradedurchdieseMaßgabeentferntMarx seineGedanken von dem Denken, das innerhalb seiner selbst ein Jenseits von derempirischen Wirklichkeit erhält. Nach Marxens Maßgabe der Wahrheit desDenkensistderStaatalsBegriffvonseinemWesenhernichtselbstständig,wieHegelihnbezeichnethat,sonderneristeineAbstraktionvonderWirklichkeitundnur als diese Abstraktion hat er seine Bedeutung. Demnach siehtMarxHegelsVersuche,diewirklicheTrennungzwischenStaatundBürgeraufzulösenunddiepolitischenStändealsbegrifflicheIdentitätzwischenihnenzuentwickeln,nichtmehralsbeweisbarenSchlussausdereigenenLogikdeswirklichenStaatesundBürgersan.Vielmehrerkennterwieder,dassdieausdervonHegelbegriffenenIdee des Staates entwickelten politischen Stände eine anachronistischeVorstellung ist, in der Hegel die geschichtlich unterschiedlichen Gestalten undInhaltedesmittelalterlichenStandesmitdenmodernenStändenvermischthat.Marxstellt in seinerKommentierungzuHegelsweitereAngabederpolitischenStändefest:„Daspolitisch-ständischeElementistimmodernenSinne,indemvonHegel entwickelten Sinne, die vollzogene gesetzte Trennung der bürgerlichenGesellschaftvonihremPrivatstandundseinenUnterschieden.(...)Hegelwilldasmittelalterliche ständische System, aber in dem modernen Sinn dergesetzgebendenGewalt,underwilldiemodernegesetzgebendeGewalt,aberindem Körper des mittelalterlich-ständischen Systems! Es ist schlechtesterSynkretismus.“ 436 An diesem „schlechtesten Synkretismus“ in Hegelschenpolitischen Stände vertieft Marx seine Kritik der Hegelschen gesetzgebendenGewalt.ErvertieftseinenZweifelanHegelsBestimmung,dassdiegesetzgebendeGewalt durch das ständische Element zur vereinigenden Mitte zwischenunterschiedlichen Interessendes Staates undBürgers, zur versöhnendenMittezwischenwidersprüchlichen Prinzipien des Fürsten und des Volkes entwickeltwerdenkann.GegenüberdieserHegelschenBestimmungerkenntMarxabereinganz anderes Gesicht der Verhältnisse zwischen Staat und Bürger: „DasvernünftigeVerhältnis,derSchluß,scheintalsofertigzusein.DiegesetzgebendeGewalt,dieMitte,isteinmixtumcompositumderbeidenExtreme,desfürstlichenPrinzipsundderbürgerlichenGesellschaft,derempirischenEinzelnheitundderempirischenAllgemeinheit,desSubjektsunddesPrädikats.HegelfaßtüberhauptdenSchlußalsMitte,alseinmixtumcompositum.Mankannsagen,daßinseinerEntwicklungdesVernunftschlussesdie ganzeTranszendenzunddermystische435 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.287,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.92,DietzVerlag,Berlin,1982.436 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.300,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.105,DietzVerlag,Berlin,1982.

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Dualismus seines Systems zur Erscheinung kommt. Die Mitte ist das hölzerneEisen,dervertuschteGegensatzzwischenAllgemeinheitundEinzelnheit.“437 DurchdieHervorhebungderAbsurditätderIdentitätzwischenStaatundBürger,durchdieAbsurditätdieses„hölzernenEisens“stelltMarxfest,dassdieIdentitätzwischen Staat und Bürger eine bloß gemachte, der empirischenWirklichkeitunangemesseneErfindungdesHegelschenDenkensist.DieseIdentitätstelltnachMarx eine vortäuschende begriffliche Überwindung des Gegensatzes zwischenzwei heterogenen Extremen her, die in der Wirklichkeit mit einanderunversöhnlich sind.NachMarx istdaswirklicheVerhältnis zwischenStaatundBürger eigentlich nicht deren Identität, sondern ein von ihrem Wesen herunauflösbarer Gegensatz. Durch den Vergleich mit diesen wirklichenVerhältnissenzwischenStaatundBürgersiehtMarxdeutlich:„WirklicheExtremekönnennichtmiteinandervermitteltwerden,ebenweilsiewirklicheExtremesind.Aber sie bedürfen auch keiner Vermittlung, denn sie sind entgegengesetztenWesens.Siehabennichtsmiteinandergemein,sieverlangeneinandernicht,sieergänzen einander nicht. Das eine hat nicht in seinem eigenen Schoß dieSehnsucht,dasBedürfnis,dieAntizipationdesandern.“438.Den sittlichenStaat,dernichtnurimRahmenderTheoriediebegrifflicheVersöhnungderwirklichenGegensätze innerhalb Staates erreicht, sondern auch in der existenziellenWeltdiese Versöhnung verwirklicht, kann Hegel nicht erreichen. Gegenüber denwirklichenVerhältnissenzwischenStaatundBürgerbringtHegelnachMarxeinenurbegrifflicheinsehbareIllusiondessittlichenStaateshervor,die inWahrheitsowohldenwirklichenStaatalsauchdiewirklichenBürgervon ihremeigenenWesen entfremdet und damit nur in einer unwirklichen Politik des Staatesexistiert.

437 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.288,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.93,DietzVerlag,Berlin,1982.438 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.292,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.97,DietzVerlag,Berlin,1982.

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4.3MarxensKritikanderBestimmungdergesetzgebendenGewaltals

versöhnendeMitte

NachdemMarxdieIllusionendesStaatesenthüllthat,siehtersichberechtigt,überHegels Bestimmung der gesetzgebenden Gewalt als der versöhnenden MittezwischenStaatundBürgerzuurteilen.AlsversöhnendeMittezwischenStaatundBürgeristHegelsgesetzgebendeGewaltnachMarxnichteinvernünftigesMoment,durchdasderBegriffdessittlichenStaateszuseinerbegrifflichenVollständigkeitschreitenkann.VielmehristsieeinunvernünftigesMoment,durchdasderBegriffdessittlichenStaatesdieGrenzederempirischenWirklichkeitüberschreitet.Marxbetont,dassHegels Irrtumnicht inder IgnoranzdermodernenBedeutungderBürgeralsBourgeoisliegt,sondernimVerkehrenderPositionenderBürgerunddespolitischenStaates.NachMarxsindHegelsBestimmungdergesetzgebendenGewaltsowieseineAuffassungderpolitischenStändenichtderSachederNaturdesStaatesangemessen.DieSachederNaturdesStaatesmussnachMarxaufdemwirklichen Leben der Bürger beruhen und sich immer mit derenWissen undWollenbeschäftigen.FürMarxsindesdieBürger,diediepolitischeVerfassungbestimmenundihreBesonderheitzurbestimmendenGewaltdesGanzenmachen.Es wird Marx auch deutlich, dass die Sache der Natur des Staates nur dortbegriffen werden kann, wo man die dieser Natur entsprechende Weise desDenkensbeherrscht.DeswegenführtMarxnebenseinerMaßgabederWahrheitdesDenkensnochaus,waseinkritischesBegreifenseiundwiemanesausübensoll:„DiewahreKritikdagegenzeigtdieinnereGenesisderheiligenDreieinigkeitimmenschlichenGehirn.SiebeschreibtihrenGeburtsakt.SoweistdiewahrhaftphilosophischeKritikder jetzigenStaatsverfassungnichtnurWidersprüchealsbestehendauf,sieerklärtsie,siebegreiftihreGenesis,ihreNotwendigkeit.Siefaßtsie in ihrer eigentümlichen Bedeutung. Dies Begreifen besteht aber nicht, wieHegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen Begriffs überallwiederzuerkennen, sondern die eigentümliche Logik des eigentümlichenGegenstandeszufassen.“439 SeinkritischesBegreifenbezeichnetMarxzwarnochals „philosophischeKritik“, aberer schließtHegelsmetaphysischesDenkenausdiesem Begreifen aus. DieMaßgabe derWahrheit dieses Begreifens liegt nachMarxnurindenwirklichenGegenständenselbst.Dennmitder„eigentümlichenLogikdeseigentümlichenGegenstandes“dientMarxenskritischesBegreifennurdazu, die gegenwärtige Krise der menschlichen Welt aufzulösen. Ohne dieFähigkeit, die Ursache dieser Krise zu erkennen und sie aufzulösen, sind dasDenkenunddievonihmhervorgebrachteWahrheitfürdieAufgabederMarxschen

439 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.296,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.101,DietzVerlag,Berlin,1982.

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GedankenvongarkeinerBedeutung. Mit der Feststellung, dass Hegels Auffassung der politischen Stände eineunbeweisbareIllusionist,erweistsichfürMarxdievonHegelandiepolitischenStände angeschlossene Bestimmung, dass das Zweikammersystem dievernünftigeExistenzdergesetzgebendenGewaltinderpolitischenVerfassungsei,ebenfalls als eine leere Behauptung. Denn nach Marx begründet Hegel seinArgument für das Zweikammersystem nicht auf die historisch nachprüfbareEntstehungsgeschichtederInstitutiondergesetzgebendenGewaltimmodernenStaate,sondernnuraufeinebegrifflichabgeleiteteAufteilungderStändeinzweiunterschiedliche Seiten der bürgerlichen Gesellschaft: Die eine Seite ist diebewegliche Seite, die sich nach dem Prinzip des bürgerlichen Lebenszusammensetzt,undsievertrittdasbesondereInteressedersozialenSittlichkeit,dasInteressederBürgerinGewebeundHandel,undmachtalsodasUnterhausdes Parlaments, die Abgeordnetenkammer, aus; die andere Seite ist dieunbeweglicheSeite,dieaufdemNaturprinzipdesFamilienlebensberuht,undsievertrittdasInteressedernatürlicheSittlichkeitdesStaatesundmachtdaherdasOberhaus,diePairskammer,aus.Marxistüberzeugt,dasssichbeiHegelmitderAufteilung der Stände, wenn es um das Prinzip des menschlichen Lebens impolitischenStaatgeht,dieEntfremdungdesMenschenvonseinemeigenenWesenals Bourgeois durchsetzt und dass er damit eine entstellte Auffassung desVerhältnisseszwischenPrivateigentumundVermögeneinführt. Marxens Kritik geht zunächst auf die unbewegliche Seite der bürgerlichenGesellschaft ein. Nach Marx ist das Vermögen in dieser Hinsicht, und zwar inGestalt des Grundbesitzes als Majorats, das nach Hegel dem Oberhaus desParlaments als substantielle Basis gilt – in Wahrheit eine Konsequenz desPrivateigentums.JedochkehrtHegelinseinerBestimmungderpolitischenStändediePositionenderKausalitätzwischenPrivateigentumundVermögenum.Marxweist darauf hin: „In Wahrheit ist das Majorat eine Konsequenz des exaktenGrundbesitzes, das versteinerte Privateigentum, das Privateigentum (quandmême)inderhöchstenSelbständigkeitundSchärfeseinerEntwicklung,undwasHegel als den Zweck, als das Bestimmende, als die prima causa des Majoratsdarstellt, ist vielmehr ein Effekt desselben, eine Konsequenz, die Macht desabstrakten Privateigentums über den politischen Staat, während Hegel dasMajoratalsdieMachtdespolitischenStaatesüberdasPrivateigentumdarstellt.ErmachtdieUrsachezurWirkungunddieWirkungzurUrsache,dasBestimmendezum Bestimmten und das Bestimmte zum Bestimmenden.“ 440 Die Folge desHegelschenUmkehrensderPositionenvonPrivateigentumundVermögenistnachMarxdieIsolierungundVerselbständigungdesPrivateigentumsvonderFamilie

440 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.304,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.109,DietzVerlag,Berlin,1982.

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und der bürgerlichen Gesellschaft, wodurch das Majorat ein unveränderlichesDing im politischen Staat wird. Durch den Vergleich der Eigenschaften desMajoratsmitdenendesEigentumsinHegelsKapitelzumabstraktenRechthebtMarx hervor, dass das unveränderliche Majorat im politischen Staat von denBestimmungen im abstrakten Recht abweicht, nach denen das Eigentum einerPerson nicht isoliert und selbständig von der Familie und der bürgerlichenGesellschaft sein kann, sondern immer abhängig von ihnen seinmuss, weil esinnerhalbsichselbsteineBeziehungaufdenVertragmitanderenPersonenthält.Gegenüber dem Eigentum des abstrakten Rechts, das Marx für „irdisch“, weilexistenziellundkonkretimLeben,hält,istdasMajoratfürihn„dassichselbstzurReligiongewordene,dasinsichselbstversunkene,vonseinerSelbständigkeitundHerrlichkeitentzücktePrivateigentum“441.AlsMomentdesbürgerlichenLebensdes Menschen wird das Majorat nach Marx durch die von Hegel behauptete,philosophischeWirklichkeitderIdeedesStaates,die„WirklichkeitdersittlichenIdee“, entstellt. Dabei nimmt Marx deutlich wahr, dass Hegels philosophischeWirklichkeitwedermiteinerwahrhaftenWirklichkeitdesmenschlichenLebensvermischtnochalseineangemesseneBrückezwischenIdeeundwirklicherWeltangenommen werden kann. Für Marx kann die „Wirklichkeit der sittlichenIdee“ nicht die sachliche Wahrheit sein, sondern die „Religion desPrivateigentums“ 442 . Durch die Enthüllung der „Religion desPrivateigentums“hebtMarxdasauthentischeWesendesvonHegelaufgefasstenMajoratsunddesihmentsprechendenMajoratsherrenhervor:„DasunabhängigePrivatvermögen,d.h.dasabstraktePrivatvermögenunddie ihmentsprechendePrivatperson,sinddiehöchsteKonstruktiondespolitischenStaates.“443 DasvonHegel aufgefasste Majorat und dessen Majoratsherr sind die Produkte desillusorischenBegriffesdespolitischenStaates. NachMarxbringtHegelwegendessen falscherAuffassungüberdiepolitischenStände und durch dessen entstelltes Verständnis des Majorats eineunangemessene Bestimmung für das Recht der Partizipation an dergesetzgebenden Gewalt, nämlich ein unangemessenes politisches Recht deseinzelnen Bürgers als Majoratsherren, vor. Für Hegel soll die Form derdemokratischenWahl,weilihreGrundlagediebeweglicheSeitederbürgerlichenGesellschaft,dieverschiedeneneinzelnenBürgerinGewebeundHandel,ist,nichtfürdenBürgeralsMajoratsherrenundnichtfürdieOrganisierungdesOberhausesgelten. Gegenüber den einzelnen Bürgern als Bourgeois organisiert man dasOberhausausdenBürgernalsMajoratsherrn,dieHegelalsunbeweglicheSeiteder

441 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.306,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.111,DietzVerlag,Berlin,1982.442 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.307,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.112,DietzVerlag,Berlin,1982.443 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.309,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.113,DietzVerlag,Berlin,1982.

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bürgerlichen Gesellschaft, als sogenannten Stand der natürlichen Sittlichkeitbezeichnet.EsistnachHegeldieGeburtdesBürgersalsMajoratsherren,diedasOberhausbestimmt.AusHegelsBezeichnungwirddeutlich,dassderStandderMajoratsherren,dernatürlichenSittlichkeit,eigentlichderStanddesAdelsist.Andem Bürger als Majoratsherren kritisiert Marx, dass Hegels Begründung despolitischen Rechts des Majoratsherrn auf seine natürliche Geburt eineDegradierungsowohldesRechtsalsauchdesWesenseineswirklichenBürgerserbringt: „Hegel sinkt überall von seinem politischen Spiritualismus in denkrassestenMaterialismus herab. Auf den Spitzen des politischen Staates ist esüberall die Geburt, welche bestimmte Individuen zu Inkorporationen derhöchsten Staatsaufgaben macht. Die höchsten Staatstätigkeiten fallen mit denIndividuendurchdieGeburtzusammen,wiedieStelledesTiers,seinCharakter,Lebensweiseetc.unmittelbarihmangeborenwird.DerStaatinseinenhöchstenFunktionen erhält eine tierische Wirklichkeit.“ 444 Der hierbei von Hegelbestimmte Majoratsherr stellt nach Marx nichts anderes als eine entstellteabstrakte Bestimmung des modernen Menschen als Bourgeois dar. AlsMajoratsherrwirdderMenschvonseinemwirklichenLebeninderbürgerlichenGesellschaft abstrahiertund in sein tierischesLebenwieder zurückgenommen,von dem er sich erst durch seine Tätigkeiten in der bürgerlichen Gesellschaftbefreithat. IndemMarxverdeutlicht,dassHegeldurchseineBestimmungdesMajoratsdaswahrhafte Privateigentum, das Eigentum in der bürgerlichen Gesellschaft,entstellt hat, so erkennt er, dass Hegels Auffassung von der politischenUnabhängigkeitdesMajoratsherrnebensodieUnabhängigkeitdesBürgersvondessen Wesen beseitigt, weil diese politische Unabhängigkeit nur aus derabstrakten Darstellung des Majorats, des entstellten Eigentums in derbürgerlichenGesellschaftabgeleitetwird.NachMarxistesnurdasEigentuminder bürgerlichen Gesellschaft, das dem Bürger seine Freiheit undSelbstständigkeit verschafft und sie verbürgt. Deswegen betont Marx: „DiepolitischeUnabhängigkeitfließtdahernichtexpropriosinudespolitischenStaats,sie ist keine Gabe des politischen Staats an seine Glieder, sie ist nicht der ihnbeseelende Geist, sondern die Glieder des politischen Staats empfangen ihreUnabhängigkeitvoneinemWesen,welchesnichtdasWesendespolitischenStaatsist,voneinemWesendesabstraktenPrivatrechts,vomabstraktenPrivateigentum.Die politische Unabhängigkeit ist ein Akzidens des Privateigentums, nicht dieSubstanz des politischen Staats.“ 445 Es wird bei Marx deutlich, dass man dieUnabhängigkeit,dieaufdemwahrhaftenWesendesMenschenberuht,vonderpolitischen Unabhängigkeit unterscheiden muss. Durch die Bezeichnung der444 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.310,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.114-115,DietzVerlag,Berlin,1982.445 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.312,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.116,DietzVerlag,Berlin,1982.

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politischenUnabhängigkeitals„AkzidensdesPrivateigentums“hebtMarxhervor,dass Hegel in seinem politischen Staat keine selbstverständlicheÜbereinstimmung der bürgerlichen Unabhängigkeit mit der politischenUnabhängigkeitfestgestellthat.WegendesMajoratsdesGrundbesitzeserscheintdie politische Unabhängigkeit als Privileg der Menschen, die das entstellteEigentum,denGrundbesitz alsMajorat, haben.NachMarxhatHegel in seinempolitischenStaatdiesesPrivilegnichtkritisiert,sondernesbestätigt.Deswegenführt Marx hiermit seine Kritik an Hegels politischem Staat ein: „Hier, in derSphäredespolitischenStaates, istes,daßsichdieeinzelnenStaatsmomentezusich als demWesen der Gattung, als dem ‚Gattungswesen‘ verhalten; weil derpolitischeStaatdieSphäreihrerallgemeinenBestimmung,ihrereligiöseSphäreist. Der politische Staat ist der Spiegel der Wahrheit für die verschiedenenMomente des konkreten Staats“ 446 . Wenn Hegel weiter das Majorat als eineGarantie der politischen Verfassung setzt und den Majoratsherr für einenunterstützendenFaktorindenpolitischenStändenhält,siehtMarxdabeiebendieInstabilitätdieservonHegelsoentwickeltenpolitischenVerfassung:IndemdieseVerfassung die Illusionen von der politischen Unabhängigkeit des einzelnenBürgers und von dessen Privateigentum in ihre Bestimmungen ihrergesetzgebenden Gewalt aufnimmt, bezieht sie sich unvermeidbar auf einVerhältnisdesStaateszumeinzelnenBürger,inwelchemderBürgerwederdasRechtaufEigentumnochdasRechtaufeineangemessenepolitischeStellungnachMaßstäbenderGerechtigkeitverwirklichenkann. InseinerKommentierungzuHegelsBestimmungderfürstlichenGewalthatMarxdurch seine Enthüllung der Mystifikation des Monarchen und dessenEntscheidungsmachtschonbetont,dassnichtdievonHegelhervorgehobeneIdeederpolitischenVerfassung, sonderndievon ihmunterschätzteDemokratiedasGattungswesenderpolitischenVerfassungdesmodernenStaatesist.FürMarxistdieseinegeschichtlicheTatsache,einesachlicheWahrheitdesmodernenStaatesselbst, welche er aufgrund seiner Beobachtung der Entstehungsgeschichte desmodernen Staates, nämlich der Geschichte der damaligen europäischenRevolutionen,validiert.DasWesenderDemokratieistnichtsanderesalsdievonMarxaufgefassteBestimmungdesMenschen,nachderderMenschalseinzelnerBürger der bürgerlichen Gesellschaft, als Bourgeois, arbeitet und lebt. Danachsteht Marxens Bestimmung der demokratischenWahl im Gegensatz zu HegelsBestimmung fürdasRechtderPartizipationandergesetzgebendenGewalt:Ererfasst dieses Recht als ein „angeborenes Menschenrecht“ 447 , und diesesunterscheidet sich zwangsläufig von der unmittelbaren Natürlichkeit desMenschenalseinesTiers.DaspolitischeRecht istnurvonderBestimmungdes446 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.312,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.116-117,DietzVerlag,Berlin,1982.447 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.310,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.114,DietzVerlag,Berlin,1982.

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Menschen als einzelnen Bürgers der Gesellschaft her als „angeborenesMenschenrecht“beweisbar.DaspolitischeRechtaufdiedemokratischeWahlistnachMarxnichteinfacheinRechtaufeinepolitischeForm,fürdiemansichwegenderinnerenundäußerenBedingungeneinesmodernenStaatesentscheidenoderaufdiemanverzichtenkann,weildieDemokratieselbstdaswesentlichePrinzipfürdiepolitischeVerfassungeinesmodernenStaatesist.WasdaspolitischeRechteinesBürgersbetrifft, sobemerktMarx:esgehtbeidiesemRechtwiebeidemTräger der Souveränität ebenfalls um die grundsätzliche Bestimmung desMenschen.FürMarxgäbeeskeineRedevoneinemmodernenStaatmehr,wennmandieDemokratie,dieBestimmungdesMenschenalsBürger,nichtanerkennenwürde.AufdenSinndesPrinzipshin istdiedemokratischeWahldemnachdieeinzigartigeForm,nachdersichdieGesetzgebungstätigkeitdesmodernenStaatesrichten muss. Denn nur in der Form der demokratischen Wahl kann dieBestimmung des Menschen als gesellschaftlicher Bürger zu ihrem wahrhaftenDasein kommen. Denn nur in der Form der demokratischen Wahl kann eingesellschaftlicherBürgerseinWissenundWollen,welchesausseinemwirklichenLeben in der bürgerlichen Gesellschaft entsteht, in einem der Gesellschaftgegenüberstehenden heterogenen Moment, nämlich in dem politischen Staateausdrücken. FürMarxstelltdiedemokratischeWahlgeradenichtdievonHegelbehauptetewesentlicheIdentitätzwischenStaatundbürgerlicherGesellschaftdarunddientauchnichtdazu,inderPolitikdesStaatesdieseIdentitätherzustellen,umdanndurchdieseIdentitätdiefürstlicheGewalt,wieHegelsieals„dieSpitzeundderAnfang des Ganzen“ 448 bezeichnet, als entscheidendes Moment in derGewaltenteilungdesStaateshervorzuheben.DiedemokratischeWahlbringtnachMarxvielmehrdiewesentlichenUnterschiedezwischenStändenderbürgerlichenGesellschaft zumVorschein. AlswahresDasein der grundlegendenDemokratiemuss die demokratische Wahl für Marx der Ort sein, an dem sich diegrundsätzliche unauflösbare Trennung zwischen politischem Staat undbürgerlicherGesellschaftoffenbart. Von diesem Wissen von der demokratischen Wahl her wirft Marx seinenkritischenBlickaufHegelsAuffassungvonderbeweglichenSeitederbürgerlichenGesellschaft,nämlichvondenverschiedeneneinzelnenBürgerninGewerbeundHandel. Nach Hegel nehmen diese Bürger durch ihre Abordnungen an dergesetzgebenden Gewalt des Staates teil. Hegel argumentiert dafür, dass dieAbordnungderbürgerlichenGesellschaftdurchdiefürstlicheGewaltaufgerufenwerdensoll.NachHegelistderKerneinerAbordnungderverschiedenenBürgerderen politischer Zusammenhang, in dem die allgemeine Idee der politischen

448 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §273, S.261,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§273,S.226,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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VerfassungdurchdenAufrufdesMonarchendengesellschaftlichenBürgerneinepolitischeBedeutungdesStaatesverleiht449.Marxbemerkt,dassbeiHegelgeradeder politische Zusammenhang einer Abordnung die Äußerlichkeit derbürgerlichenGesellschaft, die sich aufdieMengeder gesellschaftlichenBürger,derenZahl,bezieht,unddieVerschiedenheit,dieausArbeitstätigkeitenderBürgerundderenArbeitsteilungentsteht,aufhebt,damitdiegesellschaftlichenBürgerindie politischen Stände der gesetzgebenden Gewalt eingebracht werden. DerpolitischeZusammenhangunterscheidet sichnachMarxvomgesellschaftlichenZusammenhang. Hierbei bestätigt Marx, dass ein Hauptfehler der HegelschenStaatsphilosophiegeradedaranliegt,diePolitikdesStaatesvonderbürgerlichenGesellschaft und das politische Leben desMenschen von dessen bürgerlichemLeben zu isolieren. Er weist darauf hin, dass Hegel noch einmal einenmystifizierenden,entfremdendenDualismusfürdiepolitischenStändeherstellt:Er lässt den wirklichen wahrhaften Zusammenhang der Genossenschaften,GemeindenundKorporationeninderbürgerlichenGesellschaftbeiseite,damitindergesetzgebendenGewaltdesStaatesdieRolledespolitischenZusammenhangsfür die Abordnung der gesellschaftlichen Bürger herausgestellt wird; dasHerausstellen des politischen Zusammenhangs ist das Herabsinken desgesellschaftlichen Zusammenhangs. In Rücksicht auf das Ganze der politischenStändebeiHegelstelltMarxfest,dassHegeldurchseinenDualismusdiebeidenSeitendergesellschaftlichenStände–denStanddersichmitdemGrundbesitzalsMajoratverbindendenBürgerunddenStandderBürgerinGewebeundHandel–von ihrem eigenen Wesen entfremdet, sodass das Zweikammersystem derkonstitutionellen Monarchie, das Hegel befürwortet und begrifflich besondersdefinierthat,schließlichzueinemirreführendenDaseinfürdiewahrhaftenStändederbürgerlichenGesellschaftwird:„DiebürgerlicheGesellschafthatdanninderständischenKammer(sc.Pairskammer)denRepräsentantihresmittelaltrigen,inderAbgeordnetenkammerihrespolitischen(modernen)Daseins.“450 GegenüberHegels Zweikammersystem sieht Marx in der französischen Revolution dievorbildlicheGestaltungder politischenFormder Stände für die gesetzgebendeGewalt.FürMarxhabendieFranzosenebendurchdieGeschichtederRevolutiondie wesentlichen Qualitäten von Pairskammer und Abgeordnetenkammer immodernen Staat verdeutlicht: Die Pairskammer vertritt nicht die von Hegelbehauptete natürliche Sittlichkeit, sondern die abstrakte Wirklichkeit derbürgerlichen Gesellschaft, deren politische Abstraktion, und dieAbgeordnetenkammer repräsentiert dahingegen unmittelbar die bürgerlicheGesellschaft selbst.AngesichtsMarxensgeschichtlicherBeobachtungentsprichtes nicht der Wahrheit, zumindest nicht der geschichtlichen Wahrheit des

449 Siehe Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 308, S.296, Felix Meiner Verlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, § 308, S.254, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.450 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.318,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.122,DietzVerlag,Berlin,1982.

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modernen Staates, dass ein politisches Abstraktum über die bürgerlicheGesellschaft entscheiden könnte. Marx lernt von der französischen Revolutiongenauer,dassmandiesespolitischeAbstraktumunterdiebürgerlicheGesellschaftsubsumierenunddieseGesellschaftalsentscheidungsfähigbestimmensoll,umeinenStaatimSinnederModernezugestalten.ImZweikammersystemhatHegelnachMarxversucht,diedemokratischeWahl,mit seinem eigenen Wort, das „demokratische Element“ 451 , nicht mehr alswirkliches Element zu bestimmen, sondern als bloß formelles Element zubegrenzen. In Marxens Sicht ist Hegel selbst davon überzeugt, dass dasdemokratische Element für die unmittelbare Teilnahme aller Bürger an der„Beratung und Beschließung über die allgemeinen Angelegenheiten desStaates“452 keinevernünftigeFormimStaatfindenkönnte453.HierbeinimmtMarxdeutlichwahr,dassHegelVorurteilegegendasdemokratischeElementhat,undweistsofortdaraufhin,welcheFolgederMangeldesdemokratischenElementsanderWirklichkeit nach sich ziehen kann: Die sogenannte vernünftige Form desdemokratischenElementsistinWahrheiteinSchein;siekannnurdasGegenteilderDemokratiesein,nämlich„dieDressur,dieAkkommodation,eineForm(...),inderes(sc.dasdemokratischeElement)nichtdieEigentümlichkeitseinesWesensherauskehrt,oderdaßesnuralsformellesPrinziphereintritt“454.ImGegensatzzuHegelsVorurteilbeharrtMarxaufderUnentbehrlichkeitderVerwirklichungdesdemokratischenElements.DiesesbegreifterdarumalswirklichesElement,„dassich in dem ganzen Staatsorganismus seine vernünftige Form gibt.“455 Eswirddeutlich, dassMarx das demokratische Element auf die Selbstbestimmung desBürgersderbürgerlichenGesellschaftgründet.AmEndeseinerKommentierungzu Hegels gesetzgebenden Gewalt stellt Marx fest, dass das demokratischeElement als Wahl „das hauptsächliche politische Interesse der wirklichenbürgerlichen Gesellschaft“456 bildet. Im Sinne derWahl ist das demokratischeElement nach Marx „das wirkliche Verhältnis der wirklichen bürgerlichenGesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft der gesetzgebenden Gewalt, zu demrepräsentativenElement“457 oder„dasunmittelbare,dasdirekte,dasnichtbloßvorstellende, sondern seiende Verhältnis der bürgerlichen Gesellschaft zum

451 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§308,S.296,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§308,S.254,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.452 Ebd. 453 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.321ff,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.124ff,DietzVerlag,Berlin,1982.454 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.321,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.125,DietzVerlag,Berlin,1982.455 Ebd.456 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.326,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.130,DietzVerlag,Berlin,1982.457 Ebd.

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politischenStaat“458.Das von Hegel kennzeichnete Dilemma des demokratischen Elements, ob alleBürgerodernureinigeBürger,diealsAbgeordneteallerBürgergewähltwerden,anallgemeinenAngelegenheitendesStaates teilnehmenkönnen,verweistnachMarxwiederaufHegelsAuffassungvomWesenderVerhältnissezwischenStaatund bürgerlichen Gesellschaft. Marx betont, dass das Kernproblem diesesDilemmasnichtdarin liegt,wiemaneinebestimmteAntwortdaraufunterdenbeiden Möglichkeiten wählt, sondern dass es darin liegt, was dieEntstehungsursache des Dilemmas ist. Marxens Einsicht in das Dilemma desdemokratischenElementsistdiese:„DieFrage,obdiebürgerlicheGesellschaftsoteil an der gesetzgebenden Gewalt nehmen soll, daß sie entweder durchAbgeordneteeintrittoderso,daß‚Alleeinzeln‘unmittelbarteilnehmen,istselbsteineFrage innerhalbderAbstraktiondespolitischenStaatsoder innerhalbdesabstraktenpolitischenStaats;esisteineabstraktepolitischeFrage.(...)EsistinbeidenFällen,wieHegeldiesselbstentwickelthat,diepolitischeBedeutungder‚empirischen Allgemeinheit‘.“ 459 Marx enthüllt also, dass das Dilemma desdemokratischen Elements Hegels Mystifikation des allgemeinen Staates undseiner Entfremdung der bürgerlichen Gesellschaft zugeschrieben werden soll.Nach Marx drängt Hegel der empirischen Allgemeinheit der bürgerlichenGesellschafteineimBegriffhöhere,aberinWirklichkeitillusorischeAllgemeinheitdes politischen Staates auf und stellt damit eine überflüssige Bedeutung derPolitikfürdieAllheitderBürgerher.HinterHegelsDilemmadesdemokratischenElementsunddervon ihmhervorgehobenenpolitischenBedeutungstehtseinevorausgesetzte Illusion von der Trennung zwischen Staat und bürgerlicherGesellschaft.Marxnegiertradikaldas,wasHegelderempirischenAllgemeinheitderbürgerlichenGesellschaftaufgedrängthat:„DieAllheitistkeinewesentliche,geistige,wirklicheQualitätdesEinzelnen.DieAllheitistnichtetwas,wodurcherdieBestimmungderabstraktenEinzelnheitverlöre;sonderndieAllheitistnurdievolleZahlderEinzelnheit.EineEinzelnheit,vieleEinzelnheiten,alleEinzelnheiten.Das Eins, Viele, Alle – keine dieser Bestimmungen verwandelt dasWesen desSubjekts,derEinzelnheit.“460 AmEndediesesZitatsbestätigtessich,dassMarxdieGültigkeitderphilosophischenKategorienfürdieVeränderungdeswirklichenBürgers nicht anerkennt. Für Marx ist der einzige Weg zur Veränderung desWirklichenimmerdasTun,diepraktischeHandlungdesWirklichenselbst.BeiderVerfolgungdesZiels,alleBürgermöglichstandergesetzgebendenGewaltteilnehmen zu lassen, verweist Marx auf den Wahn, der den entfremdetenVerhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft zum politischen Staat entspringt.458 Ebd.459 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.322,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.126,DietzVerlag,Berlin,1982.460 Ebd.

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Nach Marx ist dieser Wahn nichts anderes als Streben nach der politischenBedeutung:„DaßalsodiebürgerlicheGesellschaftmassenweise,womöglichganz,in die gesetzgebende Gewalt eindringe, daß sich die wirkliche bürgerlicheGesellschaft der fiktiven bürgerlichen Gesellschaft der gesetzgebenden Gewaltsubstituierenwill,dasistnichtsalsdasStrebenderbürgerlichenGesellschaft,sichpolitischesDaseinzugebenoderdaspolitischeDaseinzuihremwirklichenDaseinzu machen. Das Streben der bürgerlichen Gesellschaft, sich in die politischeGesellschaft zu verwandeln oder die politische Gesellschaft zur wirklichenGesellschaft zu machen, zeigt sich als das Streben der möglichst allgemeinenTeilnahmeandergesetzgebendenGewalt.“461 NachMarxseiesaußerdemmerkwürdig,dasssogardieTeilnahmeallerBürgerander gesetzgebenden Gewalt ins Gegenteil des repräsentativen Prinzips despolitischen Staates umschlagen wird, wenn man wegen der Abstraktheit derpolitischen Bedeutung die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dengesellschaftlichen Ständen und deren feindlichen Streitkräften gegen einanderignoriert.AusHegelsgesetzgebenderGewalt,dieaufderabstraktenpolitischenBedeutungdesStaatesberuht,hebtMarxhervor:„DiegesetzgebendeGewaltisthier kein Ausfluß, keine Funktion der Sozietät, sondern erst ihre Bildung. DieBildung zur gesetzgebenden Gewalt erheischt, daß alle Mitglieder derbürgerlichen Gesellschaft als einzelne sich betrachten, sie stehn wirklich alseinzeln gegenüber. Die Bestimmung, ‚Mitglieder des Staats zu sein‘, ist ihre‚abstrakteBestimmung‘, eineBestimmung, die in ihrer lebendigenWirklichkeitnichtverwirklichtist.“462 Dadurch,dassMarxzweimöglicheWegederBeteiligungder Bürger an der gesetzgebenden Gewalt vergleicht, lässt er dieMeinungsverschiedenheit zwischen ihm undHegel offenbarwerden463: HegelsWeghat nachMarxdieTrennung zwischenpolitischemStaat undbürgerlicherGesellschaft zur Grundlage und führt zur Unterwerfung der bürgerlichenGesellschaft unter den politischen Staat. Auf Hegels Weg zur gesetzgebendenGewaltistderDualismusvonStaatundbürgerlicherGesellschaftunvermeidbar.Marxens Weg bestimmt die bürgerliche Gesellschaft selbst als eine politischeGesellschaft und schließt damit Hegels theoretische Vorstellung von dempolitischenStaatalseinereigenständigenExistenzaus.MarxensWegbringtnichtdiegesetzgebendeGewaltalseinerepräsentativeGewalthervor,sondernermachtjede soziale Funktion und Berufstätigkeit in der gesetzgebenden Gewaltrepräsentativ, sodass eine Bestimmung des Wesens des Bürgers dadurchrepräsentiertwerdenkann.SobezeichnetMarx:„Er(sc.derMenschalsBürger)

461 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.324,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.128,DietzVerlag,Berlin,1982.462 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.324,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.128-129,DietzVerlag,Berlin,1982. 463 SieheKarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1, S.324-325,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.129,DietzVerlag,Berlin,1982.

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isthierRepräsentantnichtdurcheinanderes,waservorstellt,sonderndurchdas,waseristundtut.“464 AnHegelsWegistesnichtschwerzusehen,dassMarxdurchdiesenVergleichseineKritikderHegelschenVorstellungvondergesetzgebendenGewaltalsrepräsentativePolitikdesStaatesaufdenhöchstenPunktbringt. InMarxensFragmentenZurKritikdesHegelschenStaatsrechtsbrichtseineKritikder gesetzgebenden Gewalt bei Hegel mit der Auseinandersetzung mit HegelsBestimmungenderAbordnungunddesAbgeordneten,desRepräsentantenab.IndieserAuseinandersetzunghandeltessichnichtnurumdasRechtunddiePflichtdes Repräsentanten, sondern auch um die Forderung nach bestimmtenFestlegungenfüreinenRepräsentanten.NachHegelenthälteinRepräsentanteinezwiespältige Bestimmung, sodass er einerseits die Gruppe der Bürger, ihrenWillen, repräsentieren kann, die ihn als ihren Repräsentanten wählen, undandererseitsdasallgemeineInteressedesStaatesvertretenunddenallgemeinenAngelegenheiten des Staates dienen muss 465 . An dieser zwiespältigenBestimmung bemerkt Marx, dass sie als Widerspruch die Form einesRepräsentanten von seinem Inhalt abtrennt. Nach Marx übernimmt diezwiespältigeBestimmungdesRepräsentantenhierbeinichtsanderesalsHegelsvorausgesetzte Trennung zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft. WasMarxensUnzufriedenheitmitHegelsBestimmungdesRepräsentantenanregt,isthauptsächlichHegelsNeigung,denRepräsentantenderBürgerindenBürokratender Regierung zu verwandeln.Marxweist darauf hin: „Was er (sc. Hegel) hierwirklich verlangt, ist, daß die gesetzgebende Gewalt die wirkliche regierendeGewaltseinsoll.Erdrücktdiessoaus,daßerdieBürokratiezweimalverlangt,einmalalsRepräsentationderFürstenunddasandereMalalsRepräsentantendesVolkes.“466 Wenn Hegel das Gewicht auf die Bildung des Repräsentanten zumQuasi-Bürokatenlegt,sowirddievonihmvorgestelltepolitischeGesinnungderAbordnung,dasZutrauenderbestimmtenBürgerzuderenRepräsentantenunterden„HochmutderpreußischenBeamtenwelt“467 –dasSelbstvertrauenunddiesubjektive Meinung des Repräsentanten als Quasi-Bürokraten – subsumiert,sodassbeiHegeldiepolitischeGesinnungderbürgerlichenGesellschaftalsbloßeMeinung abgewertet wird. Marx stellt fest, dass in Hinsicht auf denRepräsentantenderBürgerHegelgarkeineechteAbbildungdesRepräsentantenliefert, sondern nur eine Nachbildung des Bürokraten. Es offenbart sich, dassHegelhierbeidasPrinzipdesStaatesmitdemderRegierungvermischtundden

464 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.325,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.129,DietzVerlag,Berlin,1982.465 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §309,S.297-298,FelixMeinerVerlag,Hamburg, 2013. Vgl. Hegel, Gesammelte Werke, Band 14, §309, S.255, Felix Meiner Verlag,Hamburg,2009.466 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.330,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.134,DietzVerlag,Berlin,1982.467 KarlMarx,KritikdesHegelschenStaatsrechts,MEW,Band1,S.331,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.135,DietzVerlag,Berlin,1982.

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alsRegierungmissverstandenhat.

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Abschluss

Aus Marxens Fragmenten zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie ist zufolgern,dassesdieAufgabedesDenkensvomfrühenMarxist,daszubestimmen,was als empirisch Positives vom menschlichen Leben in der wirklichen Weltfestgestelltwerdensoll.DasempirischPositivedesmenschlichenLebensistfürdieEntwicklungderMarxschenGedankenkonstitutiv.EsführtMarxnäherzudemProblemderBestimmungdesWesensdesMenschen.Marxerkennt,dassdiese,sofernsieaufdervonHegelausgearbeitetengeistigenWeltdesGeistesberuht,dieUrsachefürdieMystifikationen,alsofürdieIllusionenvonderWirklichkeitundWahrheitdesmenschlichenLebensist,unddassgeradedieseIllusionendenWegzur Erkenntnis des empirisch Positiven vom menschlichen Leben versperren.NachMarxistesdahernotwendig,dieBestimmungdesWesensdesMenschenaufdie empirisch konkrete Welt des menschlichen Lebens zurückzuführen; sonstkönntemannichtdieWirklichkeitundWahrheitdesempirischPositiven,sondernnur die Abstrahierungen von dem empirisch Positiven vom Menschen zurKenntnisnehmen. An solcher Betonung des empirisch Positiven vom Menschen tritt auch eineEigentümlichkeit des Denkens vom frühen Marx auf. Anderes als in HegelsphilosophischerBestimmungdesMenschenalseinDaseindesGeistesbestimmtMarxzuerstdasempirischPositivedesmenschlichenLebensalsdenGrundderSelbstständigkeitundFreiheitdesMenschen.DannverbindetMarxdasempirischPositivedesmenschlichenLebensunmittelbarmitdermenschlichenPraxisinderbürgerlichen Gesellschaft, alsomit den konkretenHandlungen und TätigkeitendesMenschen,dernachderBefriedigungderBedürfnisseseinerSelbsterhaltungsucht. Nur mit der Zurückführung des Wesens des Menschen auf diesemenschlichePraxissiehtsichMarxschließlichberechtigt,denwirklichlebendigenMenschen von den Wirkungen des begrifflich bestimmten objektiven Geistesloszulösen.UmHegelsphilosophischenAnsatzzuübertreffen,mussderrichtigeAnsatz zur Bestimmung des Menschen, so glaubt Marx, der Maßgabe derempirischenmenschlichenWeltentsprechen;dieserrichtigeAnsatzmussesnachMarxbeijederUntersuchungüberdenMenschenmöglichmachen,diesennichtdurch die von ihm entfremdeten, von dessenWirklichkeit abstrahierten Ideenoder Begriffen, sondern durch den Menschen selbst und durch das, was derMenschwirklichgetanhat, zubestimmen.So stelltMarx fest,dassder richtigeAnsatz zur Bestimmung des Menschen nur darin liegt, ein außerhalb derHegelschenPhilosophiestehendes,positivesWissenvomWesendesMenschenzugewinnen. Die Überprüfung der Kritik an Hegels Rechtsphilosophie von Marx

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eröffnetundbegründetMarxensErwartungvoneinerpositivenWissenschaftalsLoslösung von der philosophischen Abstraktheit sowie als Offenlegung derWirklichkeitundWahrheitdesmenschlichenLebens.Nach seinen Fragmenten über die Kritik an Hegels Rechtsphilosophie beginntMarxseineUntersuchungüberdenMenscheninderbürgerlichenGesellschaftineinem bestimmten thematischen Kontext, der sich auf das Problem derEmanzipationdesMenschenbezieht.DasProblemderpolitischenEmanzipationdes Menschen kommt durch Bruno Bauers Werk „Die Judenfrage“ und durchseinenEssay„DieFähigkeitderheutigenJudenundChristen,freizuwerden“inMarxensBlickfeld.IndiesenSchriftenwidmetsichBrunoBauerhauptsächlichdenFragen, welche Emanzipation die Juden begehren sollen und können, und inwelchem Zusammenhang „die Emanzipation der Juden mit der Entwicklungunsrer gesamten Zustände steht“468. Um auf diese Fragen zu antworten,wähltBruno Bauer einen kosmopolitischen und atheistischen Ansatz zur politischenEmanzipation.Dennerglaubtdaran:„dieJudenfrageistnureinTheildergroßenund allgemeinen Frage, an deren Lösung unsre Zeit arbeitet“ 469 . Er fasst dieEmanzipationder JudennichtmehrnuralsBefreiungeinesbestimmtenVolkesvon dessen politischem Joch im preußischen Staate auf, sondern als Teilderjenigen politischen Emanzipation ganzer Menschheit, die im Gegensatz zuallenReligionensteht. FürMarxzieltBrunoBauersAuffassungvonderJudenfragepräziseaufdenKerndieserFrage:„Sie(sc.dieJudenfrage)istdieFragevondemVerhältnisderReligionzumStaat,vondemWiderspruchderreligiösenBefangenheitundderpolitischenEmanzipation. Die Emanzipation von der Religionwird als Bedingung gestellt,sowohl an den Juden, der politisch emanzipiert seinwill, als an den Staat, deremanzipieren und selbst emanzipiert sein soll.“ 470 . Hierbei hält Marx BrunoBauersAnsichtzumVerhältnisderReligionzumStaatfüreinenentscheidendenSchrittzurLösungderJudenfrage.DennJudentumundChristentumführennachBruno Bauer, und vor ihm auch nach Feuerbach, nicht nur zur politischenUnterdrückung ihrer Anhänger, sondern auch zu deren Entfremdung vomnatürlichen Wesen des Menschen, und diese Entfremdung spiele eher eineentscheidende Rolle als die politische Unterdrückung für das Problem derallgemeinenEmanzipationdesMenschen.NachBrunoBauersAnsichtlässtsichderreligiöseGegensatzzwischenJudenundChristenerstdannlösen,wennsichbeidedieReligionselbstauflösen;dieallgemeineEmanzipationdesMenschenseidann in Deutschland möglich, wenn Juden und Christen auf ihre eigenenentfremdenden Religionen verzichten und einen Staat gründen. Der Staat bei468 BrunoBauer,DieJudenfrage,S.1,DruckundVerlagvonFriedrichOtto,Braunschweig,1843.469 BrunoBauer,DieJudenfrage,S.3,DruckundVerlagvonFriedrichOtto,Braunschweig,1843. 470 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.349,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.143,DietzVerlag,Berlin,1982.

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BrunoBauersollreligiösunparteiischsein,unddessenDaseingründetdaheraufdem politischen Konsens aller Bürger. Mit Bruno Bauers Forderung nachVerwirklichung der vonReligion freien Emanzipation stimmtMarx überein. ErakzeptiertauchvölligBrunoBauersAnsicht,dasseinStaat,derdieReligionzuseiner Voraussetzung hat, kein wirklicher Staat sei. AberMarx kann nichtmitBruno Bauers Ansatz zur politischen Emanzipation des Menschenübereinstimmen,woBrunoBauerdenStaatalsetwasPolitischesauffasstundihnvondembürgerlichenLebendesMenschenabhebt.MarxistbesondersdortmitBrunoBauerunzufrieden,woersichmitdempolitischenStaatauseinandersetztund dem Politischen eine besondere Bedeutung gibt. Doch regt gerade dieseÜberlegungMarxdazuan,aufdiebürgerlicheGesellschafteinzugehenunddasihrentsprechendebürgerlicheLebenzuwürdigen. FürMarxliegtBrunoBauersHauptfehlerinFolgendem,dass„er(sc.BrunoBauer)nurden‚christlichenStaat‘,nichtden‚Staatschlechthin‘derKritikunterwirft,daßerdasVerhältnisderpolitischenEmanzipationzurmenschlichenEmanzipationnichtuntersuchtunddaherBedingungenstellt,welchenurauseinerunkritischenVerwechslung der politischen Emanzipation mit der allgemein menschlichenerklärlichsind“471.BeiseinemVergleichdespolitischenZustandesder Juden inDeutschland,FrankreichundNordamerikasiehtMarxsichberechtigt,sachlicheEinwändegegenBauersBehauptungzufinden,dassdieUnterdrückungderJudenmitdenMängelndespolitischenStaatesundmitderTrennungdesStaatesvonderReligionzutunhat.BesonderswegenseinerBeobachtungderLebendigkeitderReligionen inNordamerika,wo ein politischer Staat,wieMarx damals glaubte,vollendet worden sei, ist Marx überzeugt, dass „das Dasein der Religion derVollendungdesStaatsnichtwiderspricht“472.SodannweistMarxnäherdaraufhin,dassmandieReligion nicht als Grund für die Entfremdung desMenschen vonseinem eigenen Wesen verstehen soll, sondern nur als Phänomen dieserEntfremdung.FürMarxistdieReligiondie„religiöseBefangenheit“unddamitnur„dasPhänomenderweltlichenBeschränktheit“473.DieProblememitderReligionverweiseninderTatnichtaufdieReligionselbst,sondernaufdieWelt,indersichderStaatunddieReligionbefinden.AusMarxensHinweiswirddeutlich,dassereine menschliche Welt von der Sphäre des politischen Staates sowie von derSphäre der Religion unterscheidet. Hierbei nimmt Marx an, dass es einemenschlicheWeltgibt,diealsGrundstrukturfürdieAllgemeinheitallerMenschenund für andere Sphären der Menschen begriffen werden muss. Infolge dieserAnnahme hebt Marx die Allgemeinheit der Menschen als Grundsatz für dieFreiheitdesMenschenhervor.EsistgeradedieseAllgemeinheitderMenschen,die

471 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.351,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.145,DietzVerlag,Berlin,1982.472 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.352,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.148,DietzVerlag,Berlin,1982.473 Ebd.

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Marx veranlasst, das von Bauer entwickelte Problem der Emanzipation desMenschen erneut zu bedenken. Marx entwickelt somit seine Ansicht, dass diepolitischeEmanzipationnichtdurchdieTrennungdesStaatesvonderReligionvollendet werden kann, sondern dass sie die Auflösung des grundsätzlichenProblemsdermenschlichenWeltzurVoraussetzunghabenmuss,allenvorandieallgemeineEmanzipationdesMenschenineinerallgemeinenmenschlichenWelt.GegenBrunoBauerbehauptetMarx,dassderpolitischeStaatdieNotwendigkeitderFreiheitdesMenschenwederaussichselbstentwickelnnochsie innerhalbseinerselbsteinlösenkann;nachMarxkannderMenschnurdannfreiwerden,wenn sich die allgemeine Welt des menschlichen Lebens von ihrer eigenenBeschränktheit und von ihrem eigenen Widerspruche emanzipiert wird. DietheoretischeNotwendigkeitderFreiheitdesMenschensollnichtinderpolitischenWelt,sonderninderallgemeinenWeltdesmenschlichenLebensbegriffenwerden.Auf der Grundlage dieser von Marx so bezeichneten „allgemeinenmenschlichen“Welt sieht sich Marx berechtigt, eineWende bei der Frage derpolitischen Emanzipation zu machen: „Die Frage von dem Verhältnisse derpolitischenEmanzipationzurReligionwirdfürunsdieFragevondemVerhältnisder politischen Emanzipation zur menschlichen Emanzipation.“ 474 Bei derForderung nach der Wende macht Marx deutlich, dass die Emanzipation derallgemeinen Welt des menschlichen Lebens die Grundlage für die politischeEmanzipationseinmussunddamitgrundsätzlicherist.Marxbemerkt,dassBrunoBauer,wennereinenvonReligiongetrenntenStaatalsvollendetenpolitischenStaatformuliert,eigentlichkeinenanderenStaatalsdenStaatentwickelt,dersowohldasöffentlicheLebenalsauchdasPrivatlebendesMenschenbestimmt.BrunoBauerunterstellt,dassdieserStaatdieReligionindieSphäredesPrivatlebensdesMenschenabschiebenkönne,weilerwegenseinerallgemeinen politischen Verfassung ein allgemeiner Staat sei. Die hierbei vonBrunoBaueraufgefassteAllgemeinheitdesStaatesundderpolitischenVerfassungerinnertMarxandieBestimmungdesStaatesbeiHegel.NachHegelsBestimmungenthältderStaatnichtnurdieAllgemeinheitdesGedankensundderenPrinzip475,sonderneristauchfähig,dieseAllgemeinheitzurExistenzzubringen,umseineAutorität gegenüber der Religion zu behaupten 476 . Marx entdeckt hier eineParallele zu Hegel, wenn Bruno Bauer der Auffassung ist, dass sich dieAllgemeinheitdermenschlichenWeltnichtvonderAllgemeinheitdespolitischenStaatesunterscheideunddassdaspolitischeLebenimStaatzumGattungsleben474 Ebd.475 SeiheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§270,S.258,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§270,S.223,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.AuchsieheKarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.354,DietzVerlag,Berlin,2006; 476 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§270,S.257-258,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§270,S.223,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.

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desMenschenzurechnensei.InderTathatBrunoBauerHegelsVorstellungvondem Prinzip der Allgemeinheit des politischen Staates weitergehend in seineeigenen Gedanken übernommen. Mit Blick auf Bruno Bauers Übernahme vonHegelsGedankenkommtMarxweiterzurEinsicht,dassderpolitischeStaatbeiBrunoBauerdasgleicheProblemhat,wieesbeiHegelerkennbar ist: auchbeiBrunoBauerwirdnämlichdiebürgerlicheGesellschaftausderAllgemeinheitdesStaatesausgeklammert477.DarausfolgertMarxwieschonindenFragmentenderKritik des Hegelschen Staatsrechts, dass die Ausklammerung der bürgerlichenGesellschaft zwangsläufig die Entfremdung desMenschen und des Staates vonihremeigenenWesenzurFolgehat.„Hier,woer(sc.derMensch)alswirklichesIndividuumsichselbstundanderngilt,istereineunwahreErscheinung.IndemStaatdagegen,woderMenschalsGattungswesengilt,isterdasimaginäreGliedeiner eingebildeten Souveränität, ist er seineswirklichen individuellen Lebensberaubt und mit einer unwirklichen Allgemeinheit erfüllt.“ 478 In diesem ZitatidentifiziertMarxausdrücklichdieallgemeineWeltdesmenschlichenLebensmitder bürgerlichen Gesellschaft. Mit der Aussage, dass der politische Staat zurEntfremdungdesMenschenführt,machtMarxauchdeutlich,dassdasLebenundTreibendesMenschenimStaatekeineswegsaufdasGattungswesendesMenschenbezogen ist. Damit klärt sich für Marx das Problem der Emanzipation desMenschen:DerHauptwiderspruch ist für ihnnichtmehrderKonflikt zwischendem religiösen und dem politischen Menschen, sondern der Widerspruchzwischendemstaatlich-politischenunddembürgerlichenMenschen.Marx erkennt bei Bruno Bauer, dass dieser nicht nur Hegels Vorstellung vompolitischen Staat übernimmt, sondern er auch Hegels Auffassung von derbürgerlichen Gesellschaft akzeptiert. Folgerichtig subsumiert Bruno BauerdeshalbwieHegeldiebürgerlicheGesellschaftunterdenBegriffdespolitischenStaatesunddenbürgerlichenMenschenunterdenBegriffdesStaatsbürgers.DieseSubsumtionscheintfürHegelundBrunoBauerdeshalberlaubtzusein,weildiebürgerlicheGesellschaftundderbürgerlicheMenschmitderAllgemeinheitdesStaates die Vorstellung verbinden, dass der Staat zum Gattungsleben desMenschen,nämlichzurwesentlichenSphäredesmenschlichenLebens,unddaspolitischeLebenzumGattungswesendesMenschen,alsozudessenallgemeinemWesen,erhobenwerden.DamitdaswahrhafteGattungslebenund-wesenfürdieEmanzipationdesMenschenausexistenziellenErscheinungendermenschlichenWeltwahrhaftrealisiertwerdenkönnen,mussMarxmitderVorstellungvonderAllgemeinheit des politischen Staates, die Bruno Bauer von Hegel übernimmt,radikalbrechen.477 Siehe:KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.354-355,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.148-149,DietzVerlag,Berlin,1982.478 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.355,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.149,DietzVerlag,Berlin,1982.

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Den ersten Schritt dazu, mit dem Anschein der Allgemeinheit des politischenStaateszubrechen,machtMarx,woerdieGrenzederpolitischenEmanzipationverdeutlicht.DortweistMarxdaraufhin,dassdiepolitischeEmanzipationnachBrunoBauersichvonderReligionabgrenztunddochinnerhalbdespolitischenLebens stehenbleibt.Was sich außerhalb des politischen Lebens abspielt,wirdnachBrunoBauervompolitischenLebenausgeklammert,seiesnundieSphäreder Religion oder der bürgerlichen Gesellschaft.Mit Blick auf die Grenzen derpolitischen Emanzipation nimmt Marx wahr, dass dem politischen Leben einegewaltsame Dimension eigen ist: „In den Momenten seines besondernSelbstgefühls sucht das politische Leben seine Voraussetzung, die bürgerlicheGesellschaft und ihre Elemente, zu erdrücken und sich als das wirkliche,widerspruchslose Gattungsleben des Menschen zu konstituieren.“ 479 DasWichtigste,dasMarxampolitischenLebenerkennt,liegtdarin,dassmandurchdie politische Emanzipation zu keinen anderen Folgen kommt als zur„Wiederherstellung der Religion, des Privateigentums, aller Elemente derbürgerlichen Gesellschaft“ 480 . Für Marx scheint der Zweck der politischenEmanzipation,daspolitischeLebenzubegründen,trotzallerVersprechungen,vonBrunoBauernichterreichtzuwerden.ZugleichmitdieserErkenntnisentdecktMarxdie SchwächederBrunoBauerschenKritikderReligion.NachMarx liegtdieseSchwächedarin,dassBrunoBauermitseinerKritikderReligionzwardiescheinbareAllgemeinheitderReligionenthüllt,aberdiescheinbareAllgemeinheitdes Staates nicht entdecken kann. Deswegen spricht Bruno Bauer, wo er denZweckderpolitischenEmanzipationbehandelt,nachMarxinWahrheitnichtvoneinem Staat, der diewirklicheWelt desMenschen angemessen darstellt. NachMarxstelltBrunoBauervielmehrdenBegriffdespolitischenStaatesalsEndzweckdermenschlichenEmanzipationdarundverfährtdamitähnlichdemBegriffderReligion.UndimSinnedessen,dassdaswahrhafteWesendespolitischenLebensunddespolitischenStaatesunerkennbarbleibt,erscheintdievonBrunoBauerundHegelbehaupteteAllgemeinheitdespolitischenStaatesunddespolitischenLebensfürMarxalsMysterium,somitwieeineneueReligion.MarxsiehtdamitineinemzweitenSchrittdieAufgabeseinerKritikdarin,denvonBrunoBauerbegründetenAnscheinderAllgemeinheitdespolitischenStaatesalsMysteriumzuenthüllen.BeiMarxgeschiehtdiesdadurch,dasserdieFreiheitdesMenschen,diesichvollkommenindenallgemeinenMenschenrechtenoffenbart,daraufhin überprüft, ob der politische Staat auf der Grundlage derMenschenrechtedieFreiheitdesMenschenaussichselbstherausentwickelnundverwirklichenkann.AndersalsBrunoBauer,derdasGewichtaufdieGeschichtedesKampfsderMenschenrechtegegendiefeudaleTraditionlegt,alsogegendie

479 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.357,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.151,DietzVerlag,Berlin,1982.480 Ebd.

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Privilegien des Adels und der Kirche, macht Marx auf die „authentischeGestalt“derMenschenrechteaufmerksam,„welchesie(sc.Menschenrechte)beiihrenEntdeckern,denNordamerikanernundFranzosen,besitzen“481.NachMarxist der Sitz derMenschenrechte diewirklicheWelt. Demnachwill Marx durchseine Auslegung der gesetzlichen und konstitutionellen Texte derNordamerikaner und Franzosen zu den Menschenrechten Bruno BauersFolgerungen aus dem politischen Staat und dem politischen Leben kritischüberprüfen. Mit seiner Einsicht in die authentische Gestalt der Menschenrechte überprüftMarxzunächstdievonBrunoBauerbetonteTrennungdesreligiösenRechtsvompolitischenRecht.DieAnalysedereinschlägigenTexteüberdieMenschenrechtegibtMarxdieGewissheit,dassBrunoBauerdarinfalschliegt,dasreligiöseRechtdes Menschen aus den Menschenrechten auszuschließen, die eine allgemeineGültigkeit für alle Menschen haben. Nach Marxens Analyse steht das religiöseRechtzwarimGegensatzzumpolitischenRecht,nichtaberimGegensatzzudenMenschenrechten.NachMarxliegtderFehlerderBrunoBauerschenAuffassungvom politischen Recht darin, dass er das, was politisch ist, mit dem, wasmenschlich ist, vermischt.DieserFehlerwiederholt sichnunebensobeiBrunoBauersAuffassungvondenMenschenrechten.AnderauthentischenGestaltderMenschenrechte sieht Marx, dass das religiöse Recht den Menschenrechtenzugehörig ist: „Das Privilegium des Glaubens ist ein allgemeinesMenschenrecht.“482 ÜberdieUnterscheidungzwischendemreligiösenRechtunddempolitischenRechthinausgehtMarxensÜberprüfungauchaufdenInhaltderMenschenrechte ein, um dann behaupten zu können, dass „die sogenanntenMenschenrechte,diedroitsdel'hommeimUnterschiedvondendroitsducitoyen,nichtsanderessindalsdieRechtedesMitgliedsderbürgerlichenGesellschaft,d.h.des egoistischen Menschen, des vom Menschen und vom GemeinwesengetrenntenMenschen“483.IndervonMarxangeführtenDéclarationdesdroitsdel'hommeetducitoyenvon1789umfassendieMenschenrechtevorallemdasRechtaufGleichheit,aufFreiheit,aufSicherheitundaufEigentum. Marx geht zuerst auf das Recht der Freiheit ein. Er bezeichnet die Freiheit alsgrundsätzlichstesRechtunterallenMenschenrechten.WasmaninderDéclarationals Menschenrecht „Freiheit“ verstehen soll, ist nach Marx die „Freiheit desMenschen als isolierter auf sich zurückgezogener Monade“ 484 . Nach MarxentfaltensichdieSelbständigkeitundSelbstbestimmungdesMenschen,diedie481 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.362,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.156,DietzVerlag,Berlin,1982.482 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.363,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.157,DietzVerlag,Berlin,1982.483 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.364,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.157,DietzVerlag,Berlin,1982.484 Ebd.

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hauptsächlichenMomentedesRechtsaufFreiheitsind,nichtineinemabstraktenHimmel,sondernsieverbindensichengmitdemRechtaufEigentum.AufgrundderFreiheitdesMenschenalsMonadebedeutetdasRechtaufEigentum,soMarx,die„praktischeNutzanwendungdesMenschenrechtesderFreiheit“485.AlssolchesschließtdasRechtaufEigentumsowohldieWillkürdesMenschenalsauchdieUnabhängigkeitseinesEigentumsinsichselbstein.DemnachistesfürMarx„dasRechtdesEigennutzes“486.DasRechtaufFreiheitunddasaufEigentumhältMarxfürRechte,diedieBestimmtheitdesMenschenalsMonadezurGrundlagehaben.IhnenstehtdasRechtaufGleichheitunddasaufSicherheitgegenüber.WerdendiesebeidenRechteausgeübt,stehensiezwangsläufigzuanderenMenschenineinerRelation.Marxistüberzeugt,dassdiesebeidenRechteihreBedeutungaberauchfürdieMenschenmonadeselbsthaben.SoenthaltedasRechtaufGleichheitinderDéclarationnebenderAbgrenzunggegenüberanderenMonadenauchdieMöglichkeitzurinnerenBestimmungderFreiheitdesMenschenalsMonade.Dennesbesagtnichtsanderesalsdass„jederMenschgleichmäßigalssolcheaufsichruhendeMonadebetrachtetwird“487.WasdasRechtaufSicherheitbetrifft,wirddiese normalerweise als „der höchste soziale Begriff der bürgerlichenGesellschaft“488 angesehen.NachMarxberuhtdieseSicherheitgeradeauchaufderBestimmungderFreiheitdesMenschenalsMonade.Marxbetont,dasssichdasRechtaufSicherheitdesMenschenalsMonadejedochnichtalsBefugniszurEinschränkungderFreiheitdurchdieGesellschaftdarstellt,sondernalsRechtauf„Versicherung des Egoismus“ 489 des Menschen, der als Monade in derbürgerlichen Gesellschaft lebt. Mit Bezug auf seine Deutung zu Texten derDéclarationstelltMarxfest,dasssichdiewahrhaftenMenschenrechtenichtaufdieBestimmung desMenschen als Staatsbürger gründen,wie Bruno Bauermeint,sondern auf die Bestimmung desMenschen als egoistischer und atomistischerBürger inderbürgerlichenGesellschaft.UndMarxverdeutlichtweiter,dassdieAllgemeinheit des politischen Staates, wie Bruno Bauer sie auffasst, eineillusorische Vorstellung ist, die sich daraus ergibt, dass er den Staat nur alspolitischenBegriff,nichtaberalsLebenswirklichkeitauffasst.FürMarxverweisendie Menschenrechte also nicht auf das politische Leben, sondern auf das„Gattungsleben desMenschen“. Das Gattungsleben, das „als ein den IndividuenäußerlicherRahmen,alsBeschränkung ihrerursprünglichenSelbständigkeit“490erscheint, bedeutet für Marx die Welt des Gattungswesens des wirklichenMenschen. Und diese Welt ist für Marx nichts anderes als die bürgerliche

485 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.365,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.158,DietzVerlag,Berlin,1982.486 Ebd.487 Ebd.488 Ebd.489 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.366,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.158,DietzVerlag,Berlin,1982.490 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.366,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.159,DietzVerlag,Berlin,1982.

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Gesellschaft. Mit der Feststellung, dass die Allgemeinheit des politischen Staates und despolitischen Lebens nur eine scheinbare ist, geht Marx weiter der Frage nach,warumBrunoBauerdenpolitischenStaatunddaspolitischeLebenalsreligiöseundmystischeAllgemeinheit desMenschen versteht. SowieMarx es in seinerKritik der Hegelschen Rechtsphilosophie herausgearbeitet hat, erkennt er beiBrunoBauer,dassdessenMystifikationdesStaatesunddespolitischenLebensimmer auf einer gedanklichen Vermischung der modernen bürgerlichenGesellschaft mit der alten bürgerlichen Gesellschaft beruht. Gegenüber dieserVermischungsiehtsichMarxberechtigt,dasFazitzuziehen,dassBrunoBauerdenSinn der modernenWelt und ihre Kluft zur alten Geschichte nicht vollständigerfassthat.MarxhältdenmodernenpolitischenStaatunddasmodernepolitischeLeben für dasMittel zum Zweck des egoistischenMenschen. Der authentischeZweckderpolitischenEmanzipationbestehtnachMarxdarin,nicht irgendeinebürgerliche Gesellschaft aufzulösen, sondern eine bestimmte bürgerlicheGesellschaft,nämlichdiebürgerlicheGesellschaftausderZeitderaltenFeudalität,zu beseitigen. Deshalb weist Marx darauf hin: „Allein die Vollendung desIdealismus des Staats war zugleich die Vollendung des Materialismus derbürgerlichenGesellschaft.DieAbschüttlungdespolitischenJochswarzugleichdieAbschüttlung der Bande, welche den egoistischen Geist der bürgerlichenGesellschaft gefesselt hielten. Die politische Emanzipation war zugleich dieEmanzipationderbürgerlichenGesellschaftvonderPolitik,vondemScheinselbsteines allgemeinen Inhalts.“ 491 Für die geschichtliche Wende von der altenbürgerlichen Gesellschaft zurmodernen ist daswesentliche Ereignis nicht derAufbruch der politischen Revolution, sondern das Auftreten des neuenGattungswesens des egoistischen Menschen, das Auftreten des Bürgers in dermodernenbürgerlichenGesellschaft.MarxbestimmtdiesenBürgerals„dieBasis,dieVoraussetzungdespolitischenStaats“492.DementsprechendwirddieFreiheitdesMenschennichtmehraufdiepolitischeFreiheitbeschränkt;vielmehrgewinntsieinMarxensWissenvomegoistischenMenschenihreigenesWesenzurück:„DieFreiheitdesegoistischenMenschenunddieAnerkennungdieserFreiheitistabervielmehr die Anerkennung der zügellosen Bewegung der geistigen undmateriellenElemente,welcheseinenLebensinhaltbilden.“493 AngesichtsdesegoistischenMenschenalsneuesGattungswesenbezeichnetMarxdie von Bruno Bauer aufgefasste politische Emanzipation nicht mehr alsallgemeine Emanzipation des Menschen. Vielmehr muss man sich nach Marx

491 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.268-369,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.161,DietzVerlag,Berlin,1982.492 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.369,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.161,DietzVerlag,Berlin,1982.493 Ebd.

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dessen bewusst sein, dass die bürgerliche Gesellschaft die „Naturbasis“494 derpolitischenEmanzipation ist.MarxensEinsicht indasVerhältnisdesMenschendespolitischenStaateszumMenschenderbürgerlichenGesellschaftwirddeutlichso:„ErstwennderwirklicheindividuelleMenschdenabstraktenStaatsbürgerinsichzurücknimmtundalsindividuellerMenschinseinemempirischenLeben,inseinerindividuellenArbeit,inseinenindividuellenVerhältnissen,Gattungswesengeworden ist, erstwennderMensch seine ‚forcespropres‘ als gesellschaftlicheKräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nichtmehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist diemenschlicheEmanzipationvollbracht.“495 Hierbeiseiauchangemerkt,dassMarxin seiner Diskussion über das neue Gattungswesen des Menschen auchFeuerbachsAuffassungvomGattungswesenakzeptiert.Alsdemmetaphysischenund abstrakten Ansatz zur Unterwerfung des Menschen unter den nur in derPhilosophieerkennbarenabsolutenGeistnähertsichMarxensBestimmungdesWesens des Menschen eher Feuerbachs anthropologischer Auffassung vomMenschenals sinnlichesWesen,dessenAllgemeinheitweder aufder religiösenHeiligkeit noch auf der vernünftigen Geistigkeit, sondern auf dergemeinschaftlichen Sinnlichkeit des Menschen gründet. Wie Marx spätermehrmalsbestätigenwird,isteranfänglichgeradedurchFeuerbachsReligions-undPhilosophiekritikzurÜberzeugunggekommen,dasswederderheiligeGottnochder absoluteGeist, sondernder lebendigeMensch selbst, nämlichdessenallgemeinesLebenundWesen,andieStelledesselbstmächtigenHerrenüberdiemenschlicheWelttretenundsichsomitalseinanundfürsichSeinbestimmensoll.DurchFeuerbachsKritikanHegelsSpekulationlerntMarxgeradeeinModellfüreine Kritik an der Umkehr der empirischen Wirklichkeit in die begrifflicheAbstraktheitkennen,nämlichdasabstrakteDenkenseiverantwortlichdafür,dassdas,waswirklich immenschlichen Leben besteht, in die abstrakte Sphäre desmenschlichen Bewusstseins und sogar in die unverständliche Sphäre desübermenschlichenGeisteserhobenwird.UnderstmitBezugaufFeuerbachsKritikanHegelerkenntMarx,dassdieWiederkehrdesMenschenausderverkehrtenLageindasmenschlicheLebeneinWiedererkennendesWesensdesMenschenzurFolgehat. DasneueWissenvomLebendesegoistischenMenschengewinntMarxzunächstausseinerAuseinandersetzungmitBrunoBauerüberdasThema„dieFähigkeitdes Juden zur Emanzipation“. Die Frage nach der Emanzipationsfähigkeit desJudenbehandeltBrunoBauerinseinemEssayDieFähigkeitderheutigenJudenundChristen,freizuwerden.DieseFragerichtetsichaufdieinhaltlichenElementeineinergrundsätzlichenBestimmungdesMenschenüberhaupt,dienachMarxauf494 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.369,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.162,DietzVerlag,Berlin,1982.495 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.370,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.162-163,DietzVerlag,Berlin,1982.

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dieallgemeineEmanzipationdesMenscheneinwirken.DieFähigkeitdes JudenzurEmanzipationverweistalsoinderTataufdieFähigkeitdesMenschen,sichausdenbestehendenJochenzubefreien.WasdasJudentumbetrifft,betontMarxzunächst,dassdiebesondereStelledesJudentums in der modernen Welt keine Beziehung auf die Religion und dasreligiöseLebendesJudenhat,sonderndieseaufdieWeltlichkeitunddasweltlicheLebendesJudenangewiesenist.WasdenJudenindermodernenWeltauszeichnet,istnachMarxdemnach„daspraktischeBedürfnis,derEigennutz“496;erverneintdirekt Bruno Bauers Vorstellung vom politischen Bedürfnis als wesentlichesBedürfnisdesMenschen.FürMarxliegtdaswesentlicheundallgemeineBedürfnisdesMenschennichtdarin,einenBürgerdessäkularenStaateszusein,sonderndarin, das physische Leben zu erhalten. So betont Marx, dass das praktischeBedürfnisundderEigennutznichtdemJudenalleinzukommen,sondernsiedasPrinzipderganzenbürgerlichenGesellschaftausmachen.Esistoffenkundig,dassMarxhierbei direkt die bürgerlicheGesellschaftmit der „Weltlichkeit“ unddasbürgerliche Leben mit „dem weltlichen Leben“ identifiziert hat. Mit dieserIdentifizierung stellt Marx nun fest, dass die Fähigkeiten des Juden zurEmanzipationnichtsanderesals„dasVerhältnisdesJudentumszurEmanzipationder heutigen Welt“ 497 darstellen, nämlich das Verhältnis des menschlichenLebenszurEmanzipationdermenschlichenWelt.DieEmanzipationdesJudenistdemnach für Marx nicht ausschließlich die Aufgabe eines bestimmten Volkes.Vielmehr hat sie viel mit der allgemeinen Emanzipation des egoistischenMenschen, nämlich des Bürgers in der Gesellschaft, zu tun. Durch seineEmanzipationnegiertderJudenachMarxnichtseineimJudentumeigentümlichbeschränkte Freiheit, sondern er hebt das allgemeine Joch, das die nichtemanzipiertenMenschentragen,zuGunstenderFreiheitauf.SosiehtMarx:„wennderJudediesseinpraktischesWesenalsnichtigerkenntundanseinerAufhebungarbeitet, arbeitet er aus seiner bisherigen Entwicklung heraus, an dermenschlichen Emanzipation schlechthin und kehrt sich gegen den höchstenpraktischenAusdruckdermenschlichenSelbstentfremdung.“498 FürMarxistdieEmanzipationnichtdiepolitischeEmanzipationNachMarx ist der Kultus des bürgerlichen Lebens der Schacher, und der GottdiesesLebensistdasGeld.DiesistMarxensAnalogiedesbürgerlichenLebenszumreligiösenLebendesMenschen.DieseAnalogiespiegeltdiegedanklicheWirkungderReligionskritikvonFeuerbachaufMarxenseigeneEinsichtindaswider,wasim menschlichen Leben über die wirkliche Herrschaft verfügen soll. UnterBerufung auf die Analogien zwischen bürgerlichem Leben und Religion betont496 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.372,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.164,DietzVerlag,Berlin,1982.497 Ebd.498 Ebd.

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Marx, dass das Geld als Maßgabe für das bürgerliche Leben gilt. Indem MarxentsprechendderMaßgabedesGeldesdasLebendesJudenmitdemdesChristeninderbürgerlichenGesellschaftvergleicht,erkennter,dassesinWahrheitkeinenwesentlichen Unterschied zwischen Judentum und Christentum gibt, wenn dieMenschenausbeidenReligionenihreBedürfnissenachSelbsterhaltungdurchdasGeldbefriedigen.MitBezugaufdieHomogenitätdesmenschlichenLebensinderbürgerlichenGesellschaftkennzeichnetMarxnäherdasGeldsowohlalsUrsprungdesmodernenAtheismuswieauchalsUrgrunddesuniversalenundhomogenenLebens des Menschen: „Das Geld erniedrigt alle Götter des Menschen – undverwandelt sie in eine Ware. Das Geld ist der allgemeine, für sich selbstkonstituierte Wert aller Dinge.“ 499 Gerade am Geld, das als Urgrund desuniversalenundhomogenenLebensdesMenschengilt,nimmtMarxwiedereinModell der Entfremdung desMenschen und der Entstellung dermenschlichenWeltwahr:„Es(sc.dasGeld)hatdaherdieganzeWelt,dieMenschenwelt,wiedieNatur, ihreseigenthümlichenWerthesberaubt.DasGeld istdasdemMenschenentfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins und dies fremde Wesenbeherrschtihn,underbetetesan.“500 NachMarxunterwirftsichdasGeldzuerstnichtnurdiemenschlicheWelt, sondernauchdiebloßphysischeNatur,diealsQuellezurmateriellenProduktiondermenschlichenWeltdient.SodannentziehtdasGeld jenerWeltunddieserNatur ihreeigenenWerteundersetztsiedurchseineneigenenabstraktenWert.HierbeibehauptetMarxausdrücklich,dassdieAnschauungdesMenschen,dienichtdemkonkretenLeben,sonderndemGeldalsMaßgabe entspringt, zu keiner anderen Haltung als Verachtung desMenschenführenkann.MitBlickaufdieseWirkungendesGeldesfürdasLebendesJudenkommtMarxzuderÜberzeugung,dass sichdieEmanzipationdes Juden,mehrnoch:dieallgemeineEmanzipationdesMenschen,aufnichtsanderesalsaufdieAuflösung der entfremdeten Herrschaft des Geldes, also auf die Auflösung derwirklichenEntfremdungdesMenschen,richtenmuss. Die Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, die Marxwahrscheinlich erst nach seinem Verfassen der fragmentarischenManuskriptederKritikderHegelschenRechtsphilosophiegeschriebenhat,istalsAbschlussdesMarxschen Projekts der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie zu sehen.Außerhalb dieser Einleitung sollen zuvor Marxens spätere Bewertungen überseine Bemühung um die Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie beachtetwerden.DieersteBewertungerscheintzuerst indenberühmtenManuskriptenvon1844,alsoinderen„Vorrede“,dieMarxnachseinemanfänglichenStudiumderpolitischen Ökonomie für ein geplantes Projekt seine Kritik der politischenÖkonomiegeschriebenhat.IndieserVorredesprichtMarxausdrücklichaus,dass499 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.374,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.166,DietzVerlag,Berlin,1982.500 KarlMarx,ZurJudenfrage,MEW,Band1,S.374-375,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.166,DietzVerlag,Berlin,1982.

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er sein Projekt der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie als eineunzugänglicheArbeit einschätzt.NachMarx istdarin „dieVermengungdernurgegendieSpekulationgerichtetenKritikmitderKritikderverschiednenMaterienselbst durchaus unangemessen, die Entwicklung hemmend, das Verständniserschwerend.“ 501 Eine andere ähnliche Bewertung über seine Kritik derHegelschenRechtsphilosophieerscheintinMarxensspäteremWerkZurKritikderpolitischen Ökonomie von 1859. Im Vorwort diesesWerk denktMarx über dieEntwicklung seines eigenen Denkens nach und kommt in Bezug auf seineBeschäftigung mit der Hegelschen Rechtsphilosophie dazu: „daßRechtsverhältnissewieStaatsformenwederaussichselbstzubegreifensindnochausdersogenanntenallgemeinenEntwicklungdesmenschlichenGeistes,sondernvielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren GesamtheitHegel, nach dem Vorgang der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts,unter dem Namen „bürgerliche Gesellschaft“ zusammenfaßt, daß aber dieAnatomiederbürgerlichenGesellschaft inderpolitischenÖkonomiezusuchensei.“502

AndiesenbeidenBewertungenistzusehen,dassMarxeinenneuen,vonderKritikderHegelschenRechtsphilosophieradikalabgekehrtenWegverlangt,nachdemersichderpolitischenÖkonomiegewidmethat.DieErfahrungen,dieMarxmitderLektürederWerkederpolitischenÖkonomiesammelt,sindfürihnbestimmend.DennerstdurchdieseLektürekommtMarxzuderEinsichtindieWahrheitderGesellschaftderproduktivenMenschen: „DieProduktionsweisedesmateriellenLebensbedingtdensozialen,politischenundgeistigenLebensprozeßüberhaupt.EsistnichtdasBewußtseinderMenschen,dasihrSein,sondernumgekehrtihrgesellschaftlichesSein,dasihrBewußtseinbestimmt.“503 GeradedieseEinsichtindieWahrheitderGesellschaftderproduktivenMenschenbringtMarxensfrühesProjektderKritikderHegelschenRechtsphilosophiezuEnde.DieEinleitungzurKritik der Hegelschen Rechtsphilosophie gilt in der Tat als Endpunkt einesaufgegebenenProjektsvomfrühenMarx.DievonMarxinseinerRezension„ZurJudenfrage“gemachteFeststellung,dassdieAufgabederKritiknichtdieKritikderReligion,sonderndieKritikderwirklichenPolitik des Staates sein soll, kommt unmittelbar amAnfang derEinleitung vor.

501 KarlMarx,„Vorrede“,Ökonomisch-PhilosophischeManuskripte,MEGA,I,Band2,S.314,DietzVerlag,Berlin,1982.ZuverschiedenenGestaltungenderVorrededieserManuskriptevgl.MEW,Band 40, S.467ff, Dietz Verlag, Berlin, 1968; Ökonomisch-PhilosophischeManuskripte, hrsg. u.Einleitung von Barbara Zehnpfennig, S.1ff, Meiner Verlag, Hamburg, 2005; Ökonomisch-PhilosophischeManuskripte,KommentarvonMichaelQuante,S.177ff,SuhrkampVerlag,FrankfurtamMain,2009;502 KarlMarx,„Vorwort“,ZurKritikderpolitischenÖkonomie,MEW,B.13,S.8,DietzVerlag,Berlin,1961.Vgl.MEGA,II,Band2,S.100,DietzVerlag,Berlin,1980.503 Karl Marx, „Vorwort“, Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW, B.13, S.8-9, Dietz Verlag,Berlin,1961.Vgl.MEGA,II,Band2,S.100-101,DietzVerlag,Berlin,1980.

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MarxbestätigtdasVerhältnisderreligiösenKritikzurpolitischenKritik,undzwarso: Durch die Enthüllung der Selbstentfremdung des Menschen in seinenHeiligengestalten tilgt die Kritik der Religion das illusorische Jenseits derWahrheitundoffenbartsomitdieKritikderPolitikalsneueAufgabe:„nachdemdas Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zuetablieren“504.DieKritikderReligionhältMarxalsofürdieersteStufederjenigenKritik der menschlichen Welt, welche der allgemeinen Emanzipation desMenschen dient. Gerade aufgrund des Verhältnisses der religiösen Kritik zurpolitischenKritikorientiertMarxdieKritikaufdie„AufgabederGeschichte“505.DieGeschichte,dieMarxindiesemZitatmeint,unterscheidetsichnachdrücklichvonderGeschichtedesGeistesbeiHegel.SieistdieGeschichtederwirklichenWeltdesMenschen,weilsienachMarxdenVorgangderVerwirklichungderWahrheitdesMenschen,derVerwirklichungdeseigenenWesensdesMenschen,darstellt.EntsprechendderVerwirklichungdeseigenenWesensdesMenschenentwickeltsichdieKritikzwangsläufigzur„WahrheitdesDiesseits“:„DieKritikdesHimmelsverwandeltsichdamitindieKritikderErde,dieKritikderReligionindieKritikdesRechts,dieKritikderTheologieindieKritikderPolitik.“506 IndemMarxdieKritikaufdieAufgabeinderGeschichtedermenschlichenWelthin orientiert, lässt er die Kritik von den bloß inneren Verhältnissen desmenschlichenBewusstseins,vondenVerhältnissenvonReligionundPhilosophie,ausgehenundwirftdenBlickderKritikaufdiewirklicheWeltdesMenschen,undzwarzunächstaufdenStatusquoderdeutschenPolitik.Marxbemerkt,dassdiebestehenden Zustände der deutschen Politik als anachronistisch erscheinen,indemMarx sie nach derMaßgabe dermodernen Politik, d.h. nach derjenigenMaßgabe, welche aus der modernen Revolution des Menschen als Bürgersentsteht,beurteilt.FürMarxzeigtsichderAnachronismusderdeutschenPolitikdarin, dass sich der wirkliche deutsche Staat der Fortschritte der modernenRevolutionversagt.EswirdMarxdeutlich:„DasjetzigedeutscheRegimedagegen,ein Anachronismus, ein flagranter Widerspruch gegen allgemein anerkannteAxiome,diezurWeltschauausgestellteNichtigkeitdesancienrégime,bildetsichnur noch ein, an sich selbst zu glauben, und verlangt von der Welt dieselbeEinbildung.“507 Marx istüberzeugt,dass,waseralsAnachronismusbezeichnet,zurVerwirrungderGedanken führtunddeshalbderUrsprungallerentstelltenVorstellungen vomWesendes Staates unddes Staatsbürgers ist. InfolgedieserAnnahmeüberdasVerhältnisdeswirklichenAnachronismuszurVerwirrungderGedanken verbindet Marx dann die deutsche Philosophie, hauptsächlich die

504 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.379,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.171,DietzVerlag,Berlin,1982.505 Ebd.506 Ebd.507 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.382,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.174,DietzVerlag,Berlin,1982.

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Rechts- und Staatsphilosophie,mit den bestehenden Zuständen der deutschenPolitik: „Die deutsche Philosophie ist die ideale Verlängerung der deutschenGeschichte.“508 SowirddasunbestimmteVerhältnisderdeutschenPhilosophiezuden bestehenden Zuständen der deutschen Politik bezeichnet: In Deutschlandhabe der wirkliche Kampf gegen die Zustände der Politik nicht stattgefunden;stattdessentreteeingedanklicherKampfgegendieentstelltenVorstellungenvomStaat und dessen Momenten auf. Nach Marx lässt die deutsche PhilosophieunbewusstnurinderGeschichteeinerevolutionärePhasezu,dieabernichtdiebestehendenZuständederdeutschenPolitikangreift,sondernnuralsGeschichtedermodernenRevolutionexistiert.AnschließendandasletzteZitatsprichtMarxdiessoaus: „Wasbeiden fortgeschrittenenVölkernpraktischerZerfallmitdenmodernenStaatszuständenist,dasistinDeutschland,wodieseZuständeselbstnochnichteinmalexistieren,zunächstkritischerZerfallmitderphilosophischenSpiegelung dieser Zustände.“509 Unter Bezug auf das Verhältnis der deutschenPhilosophiezudenbestehendenZuständenderdeutschenPolitikträgtMarxdieBestimmungfürdenUmfangseinerKritikderdeutschenPolitikvor:dieseKritiksoll nicht nur aufgrund der Gedanken dermodernenRevolution die Kritik derbestehenden Zustände umfassen, sondern sie muss wegen derSpiegelungsfunktion der deutschen Rechts- und Staatsphilosophie auch derenKritik in sich selbst einschließen. Marx betont, dass das deutsche Volk dieVerwirklichung der Kritik der wirklichen deutschen Politik nicht von derAufhebung der ihr entsprechenden deutschen Rechts- und Staatsphilosophieabtrennendarf:„Seine(sc.desdeutschenVolks)Zukunftkannsichwederaufdieunmittelbare Verneinung seiner reellen noch auf die unmittelbare Vollziehungseiner ideellenStaats-undRechtszuständebeschränken,denndieunmittelbareVerneinungseinerreellenZuständebesitztesinseinenideellenZuständen,unddieunmittelbareVollziehungseinerideellenZuständehatesinderAnschauungder Nachbarvölker beinahe schon wieder überlebt.“ 510 Der unauflösbareZusammenhangderVerwirklichungderGedankendermodernenRevolutionmitderAufhebungderbisherigenscheinbarenVorstellungenvondieserRevolutionmacht diemaßgebliche Eigenschaft des kritischenDenkens inMarxens frühenGedankenaus.ErbestimmtdenUmfangseinerKritikundmachtdamitdeutlich,welcheKritikergegenüberderdeutschenRechts-undStaatsphilosophieausübenwill.NachihmumfasstdieKritikderRechts-undStaatsphilosophie„sowohldiekritische Analyse desmodernen Staats und dermit ihm zusammenhängendenWirklichkeitalsauchdieentschiedeneVerneinungderganzenbisherigenWeisedesdeutschenpolitischenundrechtlichenBewußtseins“511.DergesamtenKritik508 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.383,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.175,DietzVerlag,Berlin,1982.509 Ebd.510 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.383-384,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.175,DietzVerlag,Berlin,1982.511 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.384,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.176,DietzVerlag,Berlin,1982.

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derdeutschenPolitikgiltdieKritikderdeutschenRechts-undStaatsphilosophiealsihretheoretischeWaffe.Siedientnurdazu,durchdietheoretischeEnthüllungder Wirklichkeit und der auf sie bezogenen Vorstellung auf die kommendeRevolutioninDeutschlandvorzubereiten. WennmanwieMarxdasVerhältnisderdeutschenRechts-undStaatsphilosophiezurdeutschenPolitiksobezeichnethat,soistesnichtschwer,ihnsozuverstehen,dass die ganze Kritik der deutschen Politik nicht nur die theoretische Kritikverlangt,vielmehrwill sieauchdiepraktischeKritik,die „KritikderWaffen“512leisten.DochdarfdieKritikderWaffennichtdurchdieWaffederKritikersetztwerden. FürMarx liegt der Endzweck der ganzen Kritik der deutschen Politikgeradedarin,dieWurzelderSache,derwirklichenWahrheitüberdenMenschen,zufassen.UnddieseWurzelistnachMarxnichtsanderesalsderMenschselbst.Marx spricht am Ende der Einleitung dies deutlich aus: „Die einzig praktischmögliche Befreiung Deutschlands ist die Befreiung auf dem Standpunkt derTheorie,welchedenMenschenfürdashöchsteWesendesMenschenerklärt.“513 Eben an diesem sich als Wurzel geltend machenden Menschen bemerkt Marxwieder dieHauptschwierigkeit für diemenschliche Emanzipation, nämlich dasProblemderBestimmungdesMenschen.DieVerwirklichungderGedankendermenschlichen Emanzipation ist nach Marx auf die Berücksichtigung derwirklichenBedürfnissedesMenschenangewiesen.DasProblemderBestimmungdes Menschen bezieht sich also auf die Möglichkeit der von Marx erwartetenradikalenRevolution,diezurallgemeinenEmanzipationdesMenschenführensoll.Mit Blick auf die bestehenden Zustände der deutschen Politik wird für Marxdeutlich, dass für die radikale Revolution die Voraussetzungen in Deutschlandnoch fehlen. Aufgrund seiner Erfahrungen mit der deutschen Politik ist Marxdavon überzeugt, dass die von anderen geforderte politische Revolution nurdaraufberuht: „(...) daßeinTeil derbürgerlichenGesellschaft sich emanzipiertundzurallgemeinenHerrschaftgelangt,(...),daßeinebestimmteKlassevonihrerbesondern Situation aus die allgemeine Emanzipation der Gesellschaftunternimmt.“ 514 Ein solches Programm ist für Marx zu wenig: Die politischeRevolutioninDeutschlandkannnachMarxnichtalsradikalerscheinen,sondernzeigt sich nur als begrenzte politische Emanzipation einer bestimmten Klasse.Marx erkennt, dass diese bestimmte Klasse die Emanzipation der ganzenGesellschaftnurunterderVoraussetzungwill,nachdersichdieganzeGesellschaftunter die Bestimmung dieser bestimmten Klasse unterwerfen muss. Bei einer

512 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.385,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.177,DietzVerlag,Berlin,1982.513 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.391,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.182,DietzVerlag,Berlin,1982.514 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.388,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.179,DietzVerlag,Berlin,1982.

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solchenbegrenztenEmanzipationdesMenschenkonkretisiertsichdasProblemderBestimmungdesMenschenfürMarxweiterindemProblemderBestimmungder Menschen, die einer bestimmten herrschenden Klasse der Gesellschaftangehören. IndieserEinleitungkannmansehen,dassderjungeMarxdasProblemderKlassender Gesellschaft erst dann berührt, wenn er auf die Bedingungen undVoraussetzungenderradikalenRevolution,diezurallgemeinenEmanzipationdesMenschen führt, eingeht.DasProblemderKlassen entsteht zunächst nicht ausMarxensBeobachtungderEntwicklungderbürgerlichenGesellschaft,sondernesergibtsichausseinernegativenErfahrungmitdenbestehendenZuständenderdeutschenPolitik.DeshalbverbindetsichdasProblemderKlassenbeiMarxmitdemProblemderrevolutionärenKlasseinderRevolution.Marxerkennt,dassjederevolutionäreKlasseeinMomentderallgemeinenRepräsentationundHerrschaftder Gesellschaft fordern muss, um die Revolution zu verwirklichen: „Nur imNamenderallgemeinenRechtederGesellschaftkanneinebesondereKlassesichdie allgemeine Herrschaft vindizieren.“ 515 Die Forderung der allgemeinenRepräsentationundHerrschaftderGesellschaftführtdasProblemdesKampfsderKlassenein.FürdiesenKampfkommtMarxzurEinsicht:„DamitdieRevolutioneines Volkes und die Emanzipation einer besondern Klasse der bürgerlichenGesellschaft zusammenfallen, damit ein Stand für den Stand der ganzenGesellschaftgelte,dazumüssenumgekehrtalleMängelderGesellschaftineinerandern Klasse konzentriert, dazu muß ein bestimmter Stand der Stand desallgemeinen Anstoßes, die Inkorporation der allgemeinen Schranke sein, dazumuß eine besondre soziale Sphäre für das notorische Verbrechen der ganzenSozietät gelten, so daß die Befreiung von dieser Sphäre als die allgemeineSelbstbefreiungerscheint.DamiteinStandparexcellencederStandderBefreiung,dazumuß umgekehrt ein andrer Stand der offenbare Stand der Unterjochungsein.“516 Marx stellt also fest, dass der Kampf der Klassen ein unentbehrlicherFaktorfürdieVerwirklichungderRevolutionderganzenGesellschaftist.MitBlickaufdieBestimmungdesMenschenindenGrenzeneinerKlassepräzisiertMarxdiemenschlicheBestimmunggeradeunterseinerEinsicht indieUnentbehrlichkeitdesKlassenkampfsinderRevolution:DerMenschmusssichselbstindieKlassenaufteilen,dienurunterdemKontextdesunentbehrlichenKlassenkampfsansLichtkommenund seineBedeutungundStellung inder zurRevolutionkommendenGesellschafterhalten.Und imSinnedieserAufteilung lässtMarxdenMenschenvonsichselbstunterscheiden,undzwarnachderMaßgabederobjektivenundsubjektivenBedingungenundVoraussetzungen,diedieradikaleRevolutionvoneinemMenschenundseinerKlasseverlangt.

515 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.388,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.180,DietzVerlag,Berlin,1982.516 Ebd.

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DochfindetMarxnachdieserMaßgabeinDeutschlandkeineaktuellbestehendeKlasse,diefähigundbereitwäre,dieradikaleRevolutionfürdieganzeGesellschaftzuverwirklichen.SobetontMarx:„EsfehltebensosehrjedemStandejeneBreitederSeele,diesichmitderVolksseele,wennauchnurmomentan,identifiziert,jeneGenialität, welche diematerielle Macht zur politischen Gewalt begeistert, jenerevolutionäreKühnheit,welchedemGegnerdietrotzigeParolezuschleudert:Ichbinnichts,undichmüßteallessein.“517 DieKlassenderdeutschenbürgerlichenGesellschaftbeschränkensichinihrenmöglichenZielsetzungenlediglichaufdiepolitischeEmanzipationunddieEntwicklungdespolitischenStaats.ImVergleichder deutschen bürgerlichen Gesellschaft mit der französischen kommt Marxschließlichzur folgendenEinsicht: „InDeutschlanddagegen,wodaspraktischeLebenebensogeistlosalsdasgeistigeLebenunpraktischist,hatkeineKlassederbürgerlichen Gesellschaft das Bedürfnis und die Fähigkeit der allgemeinenEmanzipation, bis sie nicht durch ihre unmittelbare Lage, durch diematerielleNotwendigkeit,durchihreKettenselbstdazugezwungenwird.“518 Von seinen Beobachtungen der bestehenden Zustände der Klassen in derdeutschenGesellschafthältMarxhiernurdiewirklicheNegationderbestehendenGesellschaftgegendieForderungderradikalenRevolutionfest.MitBlickaufdiesewirklicheNegationmussMarxnacheinerKlassesuchen,dievonihremeigenenWesen und ihren wirklichen Zuständen in der Gesellschaft her die radikaleRevolutionwillundmachenkann.MarxmussamEndeseinerEinleitungnochdieFrage auflösen: „Wo also die positive Möglichkeit der deutschenEmanzipation?“519 Dennohnediese „positiveMöglichkeit“würdeMarxens IdeevonderradikalenRevolutionsoillusorischseinwiediebestehendeRechts-undStaatsphilosophie,dieerkritisierthat.MarxensAntwortaufseineeigeneFrageisteinfachso,dassdiepositiveMöglichkeitderradikalenRevolution„inderBildungeinerKlassemit radikalenKetten“520 liegt.WieMarx sofort offenlegt, ist dieseKlassegeradedasProletariat.Esseiangemerkt,dassderjungeMarxnochnichtauf die Wirklichkeit des Proletariats, nämlich nicht auf dessen Verhältnis zurArbeitundzurbürgerlichenGesellschaft,eingegangen ist,vielmehrgehternurvon einem sehr abstraktenWissen vom Proletariat aus. Hierbei gewinntMarxseineEinsichtindierevolutionäreRolledesProletariatshauptsächlichausseinernegativen Erfahrung mit der bestehenden Wirklichkeit, nämlich aus seinerUnzufriedenheit mit den bestehenden Bürgerklassen bei der Vorbereitung derpolitischenRevolutioninDeutschland.ErbegründetdieFähigkeitdesProletariats,

517 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.389,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.180,DietzVerlag,Berlin,1982.518 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.390,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.181,DietzVerlag,Berlin,1982.519 Ebd.520 Ebd.

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die radikale Revolution zu machen, völlig auf dem Leiden der bürgerlichenGesellschaft,dasdiebürgerlicheGesellschaftdemProletariatzufügt.Esistdarumnicht schwer zu verstehen, dassMarx in derEinleitung seine Bezeichnung dergesellschaftlichen Eigenschaften des Proletariats nur auf seine „radikalenKetten“konzentriert.FürMarxsinddiese„radikalenKetten“nichtsanderesalsdieextremen Negationen der Menschlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft. Sobezeichnet Marx das Proletariat als eine Klasse, „welche keine Klasse derbürgerlichen Gesellschaft ist“521, als einen Stand, „welcher die Auflösung allerStände ist“522. FürMarx ist das Proletariat eine SphäredesMenschen, „welcheeinen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt und keinbesondresRechtinAnspruchnimmt,weilkeinbesondresUnrecht,sonderndasUnrechtschlechthinanihrverübtwird,welchenichtmehraufeinenhistorischen,sondernnurnochaufdenmenschlichenTitelprovozierenkann,welcheinkeinemeinseitigen Gegensatz zu den Konsequenzen, sondern in einem allseitigenGegensatzzudenVoraussetzungendesdeutschenStaatswesenssteht,(...),welchesich nicht emanzipieren kann, ohne sich von allen übrigen Sphären derGesellschaft und damit alle übrigen Sphären der Gesellschaft zu emanzipieren,welchemiteinemWortdervölligeVerlustdesMenschenist,alsonurdurchdievölligeWiedergewinnungdesMenschensichselbstgewinnenkann.“523 ZurEntstehungdesProletariatsäußertsichMarxso:„DasProletariatbeginnterstdurch die hereinbrechende industrielle Bewegung für Deutschland zuwerden,denn nicht die naturwüchsig entstandne, sondern die künstlich produzierteArmut,nichtdiemechanischdurchdieSchwerederGesellschaftniedergedrückte,sondern die aus ihrer akuten Auflösung, vorzugsweise aus der Auflösung desMittelstandes, hervorgehende Menschenmasse bildet das Proletariat, obgleichallmählich,wiesichvonselbstversteht,auchdienaturwüchsigeArmutunddiechristlich-germanischeLeibeigenschaftinseineReihentreten.“524 DieseDeutungderEntstehungdesProletariatsbleibtaufähnlicheWeiseabstraktwiediePosition,vondersichMarxindiesemZitatdistanziert.MarxensAnalysederEntstehungdesProletariats erinnert an Hegels Auffassung vom Problem des Pöbels. Denn dieErzeugungdesPöbels schreibtHegel geradedenAuswirkungenderArmutderBürgerzu,nämlichdem„HerabsinkeneinergroßenMasseunterdasMaßeinergewissen Subsistenzweise“525 und dem „Verluste des Gefühls des Rechts, derRechtlichkeitundderEhre,durcheigeneTätigkeitundArbeitzubestehen“526.In

521 Ebd.522 Ebd.523 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.390,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.181-182,DietzVerlag,Berlin,1982.524 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.390-391,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.182,DietzVerlag,Berlin,1982525 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §244, S.223,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§244,S.194,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.526 Ebd.

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Bezug auf das individuelle Leben eines Einzelnen ist der Pöbel nachHegel einzufälligesErgebnisdesVerfallseinesTeilsdesBürgertumsunddesHerausfallensEinzelner aus dem normativen Leben ihres gesellschaftlichen Standes. Aufgesellschaftlicher Ebene verweist die Erzeugung des Pöbels bei Hegel auf dieVermehrungderarmenBürger,diezugleichzurKonzentrationderReichtümerinwenigenHändenführt.JeneVermehrungderArmutunddieseKonzentrationderReichtümerbeiWenigenmachennachHegelnichtsanderesalsdieDialektikderbürgerlichenGesellschaftaus.HegelführtdieseDialektikaufdiegrundsätzlicheSpannung innerhalb der Gesellschaft zwischen dem Prinzip der individuellenFreiheitunddemPrinzipdesallgemeinenZusammenhangszurück.ErsiehtdieseDialektik als Gelegenheit an, bei der die bürgerliche Gesellschaft durch ihreninnerenWiderspruch in einehöhereAllgemeinheit, und zwar auf denhöherenBegriff „Staat“ erhoben wird. Hegel scheint davon überzeugt zu sein, dass dieLeiden des Menschen, die sich aus der Zufälligkeit und Willkürlichkeit in derbürgerlichenGesellschaft,ausihrem„SchauspielebensoderAusschweifung,desElends und des beiden gemeinschaftlichen physischen und sittlichenVerderbens“527 ergebenunddenAbstiegdesMenschenindenPöbelverursachen,durch die allgemeinen Machtmittel des Staates – die objektive Kraft derallgemeinen Herrschaft der staatlichen Gewalten und die subjektive Kraft derallgemeinenEinheitderpolitischenGesinnungallerStände–entwederaufgelöstoderreguliertwerdenkönnten528. ObwohlderPöbelunddasProletariatdemgleichenleidendenZustand,nämlichderArmutdesMenscheninderbürgerlichenGesellschaftentspringt,kommtesfürMarxbeiseinerAuffassungvomProletariatinderEinleitungbesondersdaraufan,dieÄhnlichkeitzubeseitigen.Denn imGegensatzzumPöbelalsGestaltdessozial absteigenden Bürgers bezeichnet Marx das Proletariat als Träger derVerwirklichung der radikalen Revolution. Marx hält das Proletariat für „diefaktische Auflösung der bisherigen Weltordnung“ 529 . Gegenüber der passivenSubjektivitätdesPöbelsbeiHegel, demer einenVerlustdesGefühlsderMoralzuschreibt, hebt Marx seine Überzeugung von der positiven Subjektivität desProletariats hervor: „Wenn das Proletariat die Negation des Privateigentumsverlangt,soerhebtesnurzumPrinzipderGesellschaft,wasdieGesellschaftzuseinemPrinziperhobenhat,was in ihmalsnegativesResultatderGesellschaftschonohneseinZutunverkörpertist.“530 FürMarxverlierteinProletarierzwar

527 Hegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts, §185, S.183,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,§185,S.161,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.528 SieheHegel,GrundlinienderPhilosophiedesRechts,Anmerkungzu§258,S.231ff.,§261unddessenAnmerkung,S.239ff.,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2013.Vgl.Hegel,GesammelteWerke,Band14,Anmerkungzu§258,S.201ff.,§261unddessenAnmerkung,S.208ff.,FelixMeinerVerlag,Hamburg,2009.529 KarlMarx,ZurKritikderHegelschenRechtsphilosophie.Einleitung,MEW,Band1,S.391,DietzVerlag,Berlin,2006.Vgl.MEGA,I,Band2,S.182,DietzVerlag,Berlin,1982.530 Ebd.

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wegen seiner Unterjochung unter die bestehende Gesellschaft seine Fähigkeit,auskömmlichzuleben,abererbewahrtdochseineSouveränität,dieernurinderRevolutionpraktischoffenbarenkann.Es ist geradeMarxensÜberzeugungvonder positiven Subjektivität des Proletariats, die ihn schließlich zur Einsichtkommenlässt:„WiediePhilosophieimProletariatihremateriellen,sofindetdasProletariat in der Philosophie seine geistigenWaffen, und sobald der Blitz desGedankensgründlichindiesennaivenVolksbodeneingeschlagenist,wirdsichdieEmanzipationderDeutschenzuMenschenvollziehn.“531 MitdieserEinsichtmachtMarxweiterdeutlich,dassdieKritik,diedasempirischePositiveverändernkann,nichtdieKritik sei,die sichbloßdurchdieGedankeneinlöstundnursichaufdieVeränderungderGedankenrichtet,sonderndieKritik,die die Begrenztheit einer Strategie zur bloßen Veränderung der Gedankenerkenntund somit diemenschlichePraxis, alsodie veränderndeHandlungdesMenschen, in sich selbst zu integrieren weiß. Die Verwirklichung der diemenschliche Praxis in sich selbst einschließenden Kritik fällt nach Marx demProletariat als einer besonderen Klasse in der bürgerlichen Gesellschaft zu.HierbeimeintMarx,dassderTrägerderzurRevolutiondergesamtenGesellschaftführendenKritikdiedasallgemeineInteressederGesellschaftrepräsentierendeKlassedesMenschenseinmuss.DieVorstellungvondem,wasdieAllgemeinheitenthält, setzt Marx hierbei aus der Sphäre der Gedanken in die Sphäre derGesellschaft um. Für Marx kann nur das Proletariat unter allen Klassen derbürgerlichenGesellschaftdieeinzigeKlassesein,diedasallgemeineInteressedergesamtenGesellschaftrepräsentiert.DenndasProletariathatnachMarxnichts.FürMarxmachtebendasNichts-habendesProletariatsdenbesonderenInhaltderAllgemeinheitinderbürgerlichenGesellschaftaus.DasProletariathatdasNichts,deswegenhatesdasAlles.AussolcherBestimmungdesProletariatsistzufolgern,dassMarxdasProletariatunddieanderenKlassenderMenschennichtdurchihrekonkreten Lebenstätigkeiten in der bürgerlichen Gesellschaft erfasst, sonderndass er das Proletariat sowie die anderenKlassenderMenschennur in einemabstraktenVerhältnisihresEigentumszumgesellschaftlichenVermögen,nämlichinseinerVerteilungamgesellschaftlichenVermögen,versteht.ImKontrastzuderspäter entwickelten Bestimmung des Menschen als Arbeiter bleibt dieBestimmungdesProletariatshierbeisehrabstrakt.AberdasabstrakteProletariatistimKontextderKritikderHegelschenRechtsphilosophienichtsinnlos;alseineallgemeineKlassederbürgerlichenGesellschaftdientdasvonMarxsoabstraktaufgefassteProletariatdazu,einengesellschaftlichenGegensatzzudervonHegelbetontenallgemeinen IdeedesabsolutenGeistesaufzustellen.Demnach istdasabstrakte Proletariat weiter auch als Resultat der Zurückführung bei Marx zusehen,diedieabstrakteWeltderGedankenaufderenGrundlageinderkonkretenempirischen Welt des menschlichen Lebens reduziert. Gerade auf dieser531 Ebd.

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konkretenempirischenWeltgründetMarxseinenAnspruchaufdieUmwälzungdermystischenSpekulationsowieaufdieUmwälzungderbereitsverkehrtenWeltder abstrakten Gedanken. Im Kontext der Kritik der HegelschenRechtsphilosophie setzt Marx schließlich die Zurückführung der HegelschenSpekulation oder des abstrakten Denkens auf die unbestimmte empirischeWirklichkeitdurch,diezwarzuderSphäredesbürgerlichenLebensgehört,aberwegenderMängeldesWissensvondenkonkretenTätigkeitendesMenscheninderbürgerlichenGesellschaftnichtzuwirklichenErfahrungendesMenscheninder materiellen Produktion gelangt. Für Marx stellt sich die so bezeichneteWirklichkeit des bürgerlichen Lebens deutlich so dar, dass dermoderne Staatnicht eineVerkörperungdervonHegelbestimmtenwirklichen Idee ist, diedieidealeHarmoniezwischendenTätigkeitender individuellenMenschenundderHerrschaft des Monarchen direkt als gültiges Prinzip in die wirkliche Weltversetzenkönnte.VielmehrlebtderindividuelleMenschalsStaatsbürgerinderTat nicht in derHarmoniemit demMonarchen, sondern in den unauflösbarenKonflikten.InderletztenZusammenfassungderEinleitungwirdoffenkundig,dassMarxdieUnterscheidungzwischenPhilosophieundTheoriedadurchbeseitigt,dasserdieBezeichnung„Philosophie“und„Theorie“imgleichenSinneverwendet.ObwohlMarxselbstnochdenNamenderPhilosophiegebraucht,unterscheideterdiesenBegriff der Philosophie und dessen Verwendung radikal von der damalsbestehenden deutschen Philosophie, hauptsächlich von der HegelschenPhilosophie. Im Gegensatz zu Hegels Standpunkt, dass die Philosophie alsWissenschaftssystemder geistigenBegriffebestimmtwerdenmüsse, legtMarxdasGewichtdervonihmgemeintenPhilosophieaufdenMenschen.Marxbeharrtalso auf dem Standpunkt, dass das höchsteWesen des Menschen der Menschselbstsei. InBezugaufseinWissenvonderbürgerlichenGesellschaftunddemStaathatMarxdievonHegelbehaupteteAllgemeinheitdesBegriffsausdrücklichverneint. Er findet in der vonHegel entwickeltenWirklichkeit der PhilosophienichtsanderesalseinMysterium.DurchMarxensEinsicht indasVerhältnisderdeutschenRechtsphilosophieundindasVerhältnisderrevolutionärenTheorienzudemanachronistischenZustandderdeutschenPolitikstelltsichdieverkehrteLagederwirklichenWeltdesMenschenineinemabstraktenDenkendar.InderwirklichenWeltdesMenschensolldasSubjektnachMarxdasMenschlichesein,und das Prädikat das abstrakte; aber in der verkehrten Welt der abstraktenGedankenerhebendieabstraktenGedankendaswirklichePrädikatinsabstrakteSubjekt,unddaswirklicheSubjekterhältsomiteinabstraktes„Prädikat“,alsoeineabstrakte Bestimmung. Mit Bezug auf Marxens Auffassung von theoretischerKritik in seinen Fragmenten der Kritik des Hegelschen Staatsrechts, in seinerRezensionZurJudenfragekannmanMarxensZusammenfassungderEinleitungsobeurteilen, dass, was Marx als Philosophie fordert, wesentlich eine kritische

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Theorieist,diesichaufdieempirischeWirklichkeitderGesellschaftrichtetundnurdazudient, dasWesendesMenschenausdenverschiedenenexistentiellenErscheinungen her zu begreifen. Diese kritische Theorie enthält demnach dieBestimmungdesWesensdesMenschenerneut.VomdurchdiekritischeTheorieerkanntenWesendesMenschenherkannMarxschließlichfordern,dassmanüberdiebegrenzteEmanzipationeinesbestimmtenVolkesineinembestimmtenStaatehinausgehtunddaherdieallgemeineEmanzipationdesMenschenanstrebt.NachMarxistesnichtsanderesalsdasWesendesMenschen,dasdieUntrennbarkeitvonkritischerTheorieundvoneinerPraxis,diederallgemeinenEmanzipationdient,begründet.

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