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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg HEIKO STEUER „Objektwanderung“ als Quelle der Kommunikation Die Möglichkeiten der Archäologie Originalbeitrag erschienen in: Kommunikation und Alltag in Spätmittelalter und früher Neuzeit : Internationaler Kongress, Krems an der Donau, 9. bis 12. Oktober 1990. Wien: Verl. d. Österr. Akad. d. Wissenschaften, 1992, S. [401] - 440

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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

HEIKO STEUER „Objektwanderung“ als Quelle der Kommunikation Die Möglichkeiten der Archäologie Originalbeitrag erschienen in: Kommunikation und Alltag in Spätmittelalter und früher Neuzeit : Internationaler Kongress, Krems an der Donau, 9. bis 12. Oktober 1990. Wien: Verl. d. Österr. Akad. d. Wissenschaften, 1992, S. [401] - 440

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„OBJEKTWANDERUNG"ALS QUELLE DER KOMMUNIKATION

Die Möglichkeiten der Archäologie

Auf den ersten Blick ist „Kommunikation" in ihren unterschied-lichsten Realisationen für den Archäologen kein Thema, weil dasMedium – Sprache, Schrift oder reisende Menschen – in archäologi-schen Quellen nicht unmittelbar zu fassen ist; doch scheint dies nurso, und ich meine, archäologische Funde und Befunde können Kom-munikationsvorgänge spiegeln, auf ihre spezielle Weise illustrieren.Diese These gilt es zu prüfen, und mein Beitrag ist ein erster Versucheiner Antwort, den ich zur Diskussion stelle*.

I. KOMMUNIKATION ALS ARCHÄOLOGISCHES THEMA

Die Ausbreitung von archäologischen Objekten, also von Gegen-ständen des alltäglichen Bedarfs vom schlichten Tongefäß bis zumLuxusglas, geschieht auf sehr verschiedene Art und Weise: DieObjekte können erstens über den Handel, zweitens als Kriegsbeuteund Raubgut, drittens als Abgaben, viertens als persönliche Habereisender, pilgernder oder umsiedelnder Menschen von einem Ort zumanderen verbracht werden. Sie können aber auch fünftens als Herstel-lungsmuster im Kopf eines Handwerkers, eines wandernden Gesellen,also als Idee transportiert und am neuen Ort erzeugt, sie könnenschließlich sechstens nach schon transportiertem Muster nachgeahmt,kopiert worden sein.

* Mit wenigen Wochen Abstand zum Kolloquium in Krems habe ich währendeines Symposiums in Bamberg zu Stand und Zukunftsperspektiven der Mittel-alterarchäologie ein Referat zum Thema „Mittelalterarchäologie und Sozialge-schichte – Fragestellungen, Ergebnisse und Zukunftsaufgaben" gehalten. Da ichdasselbe Quellenmaterial und darauf gestützt dieselben Beispiele zur Erläuterunggewählt habe, verweise ich auch auf diesen Beitrag. Ziel ist, zu zeigen, daß dieQuellen der Mittelalterarchäologie für sehr unterschiedliche Fragestellungen aus-gewertet werden können.

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Es geht also auch um Ausbreitung von Innovationen. Und umgenau zu sein, betrifft dies nicht nur Gegenstände wie Bronzeschalenoder Gläser, sondern auch Hausformen und technische Einrichtungenwie Wassermühlen. Das archäologische Dokumentationsverfahren istder Katalog, illustriert durch Verbreitungskarten, die mit entspre-chender Quellenkritik Interpretationsgrundlage sind. Zum archäolo-gischen Fundgegenstand gehört seine Position in Raum und Zeit. DerFundplatz und die Zeitstellung sind in der Regel zu registrieren;bei einem gleichartigen, häufigen Gegenstand mit vielen Fundplätzenwird aus dem einzelnen Fundort ein Gebiet, ein Kommuni-kationsraum, dokumentiert auf der Verbreitungskarte. Ob diePunkte auf einer Karte einen eng begrenzten Zeithorizont markierenoder ob ein zeitliches Gefälle erfaßt wird – Wanderung kann Zeitbrauchen –, ist in jedem Fall zu prüfen und wird später noch disku-tiert werden.

Einerseits bringt es der archäologische Forschungsstand mit sich,daß ein wesentlicher Teil meiner im folgenden zu erläuternden Bei-spiele nicht aus dem späten, sondern aus dem hohen Mittelalterstammt; andererseits ist bis ins 13. Jahrhundert hinein die Archäolo-gie mit ihren Quellen so wichtig, weil diese nicht nur eine Ergänzungzu den später ausreichend vorhandenen Schrift- und Bildzeugnissensind.

Wenn es um Objektwanderung als Quelle der Kommunikationgeht, dann wird gewissermaßen vorausgesetzt, daß die Objektgruppe– an einem Ort entstanden – sich aus den verschiedenen, oben erläu-terten Gründen ausbreitet; daher ist die Grundlage der folgendenÜberlegungen eigentlich auch die Verbreitungskarte. Für das Mittel-alter sind erstaunlich wenige bisher erarbeitet worden, während fürur- und frühgeschichtliche Epochen derartige Kartierungen vonSachgütern ganze Atlasbände füllen könnten. Es geht auf Kommuni-kation zurück, daß der Archäologe überhaupt Verbreitungskartengleich aussehender Gegenstände zeichnen kann. Es gibt ja nicht nurGegenstände, die wegen ihrer Funktion so aussehen, wie sie aussehenund nicht anders hergestellt werden können; und es gibt auch nichtnur Gegenstände, die immer aus derselben Gußform als identischeReproduktionen entstehen; sondern Menschen wollen bestimmteGeräte, Gefäße oder Schmucksachen im gleichen Aussehen besitzen,wie andere sie haben, und deshalb gibt es seit urgeschichtlichen Zei-ten überhaupt Gegenstandstypen von verschiedenen Fundorten, dieder Archäologe als gleichartig auflisten kann.

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In jedem Fall sind Menschen als Träger des Transports, in welcherForm auch immer, notwendig, und sie begegnen am neuen Ort ande-ren Menschen, womit Kommunikation stattfindet. Kommunikationals grundlegendes menschliches Verhalten ist aber mehr. Nach G. JA-RITZ ist Kommunikation „Weitergabe von Wissen und Erfahrung,Kennenlernen von Neuem, Übernahme und Imitation, Verbreitung,Aufnahme oder Ablehnung von alltagsbezogener Norm. . . Alltags-kultur besteht, entwickelt und verändert sich durch Kommunika-tion." 1 P. BURKE hat dies in seinem Buch Städtische Kultur in Italienzwischen Hochrenaissance und Barock mit dem Wortpaar „Wahrneh-mung und Kommunikation" erläutert e : „Wahrnehmung und Kom-munikation stehen im Mittelpunkt jeder denkbaren Idee von Kul-tur. . . Eine Kultur kann als ein Kommunikationssystem betrachtetwerden oder, wie die Strukturalisten sagen, als ein ,Zeichensystem`."Er fährt etwa wie folgt fort: Anthropologen haben vorgebracht, daßsoziale Realität — wir nennen das vielleicht Lebensrealität oder All-tagsleben3 — „nur als ein uns gemeinsames Bild betrachtet werdensollte, eine Kollektivvorstellung". Rituale in einer Gesellschaft sindKommunikationsformen'', aber auch Routinen5 . BURKE nennt Berei-che, in denen er Kommunikation entdeckt: selbstverständlich imSprechen und Schreiben, aber dann in Höflichkeiten und Beleidigun-gen, in der Anwendung von Symbolen und in symbolischem Verhal-ten, weiterhin in der Kleidung — dazu fallen einem sofort die Kleider-ordnungen mittelalterlicher städtischer Behörden ein s — und in

' Zitiert bei H HUNDSBICHLER, Realienkunde zwischen „Kulturgeschichte"und „Geschichte des Alltags". Medium Aevum Quotidianum Newsletter 9 (1987)34-42, hier 42; vgl. G. JARITZ, Zwischen Augenblick und Ewigkeit. Einfuhrung in dieAlltagsgeschichte des Mittelalters. Wien–Köln 1989, 105 ff.

2 P. BURKE, Stadtische Kultur in Italien zwischen Hochrenaissance und Barock.Berlin 1988, 12.

3 H STEUER, Lebenszuschnitt und Lebensstandard städtischer Bevölkerungum 1200, in DERS. (Hrsg.), Zur Lebensweise in der Stadt um 1200. Ergebnisse derMittelalter-Archäologie (Zeitschrift fur Archaologie des Mittelalters, Beiheft 4) Köln–Bonn 1986, 9-16.

4 BURKE (wie Anm. 2) 13 f.5 HUNDSBICHLER (wie Anm. 1) 42.6 L. C. EISENBART, Kleiderordnungen der deutschen Städte zwischen 1350

und 1700. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des deutschen Bürgertums (GottsngerBausteine zur Geschichtswissenschaft 32) Berlin–Frankfurt/M. 1962; N. BULST, ZumProblem städtischer und territorialer Kleider-, Aufwands- und Luxusgesetzgebungin Deutschland (13. bis Mitte 16. Jahrhundert), in . A. GOURON - A. RIGAUDIkRE

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Gesten – sie sind Zeichen –, aber auch bei den Tischsitten und denBegräbniszeremonien etc., also allgemein im Alltagsleben als Thea-ter7.

II. ARCHÄOLOGISCHE BEISPIELE

Beide Aspekte von Kommunikationformen als zwischenmenschli-che Beziehungen, einerseits die Kontakte über größere Entfernungen,andererseits das tägliche unmittelbare Miteinanderleben, müssengleichzeitig berücksichtigt werden. Die Übernahme gleichartiger Zügeim Lebensstil und im Verhalten gehört als Reaktion auf ein Vorbildebenfalls zum Bereich Kommunikation, und die Frage ist erlaubt, obarchäologische Funde und Befunde auch hierüber etwas aussagenkönnen. Denn ein emailbemaltes kostbares Glas spiegelt nicht nurüber „Objektwanderung" Kommunikation zwischen mitteleuropäi-schen Städten und dem Gebiet jenseits der Alpen, wenn die Werk-stätten tatsächlich dort zu lokalisieren sind, also Handelsbeziehun-gen, sondern auch innerhalb der jeweiligen städtischen Gesellschaft,wenn man zu Beginn des 14. Jahrhunderts seinen Rang und seinwirtschaftliches Vermögen mit der Benutzung derartiger Trinkbecherbei der festlichen Tafel zum Ausdruck bringen will. Es ist ein Zeichensozial gehobenen Lebensstils in der Stadt und auf der Burg, wennman sich diese Gläser leisten kann; aber zugleich ist das auch einHinweis auf die einer sozialen Schicht europaweit eigene Wunschvor-stellung, an der festlichen Tafel aus derartigen Gläsern zu trinken undgleichzeitig durch die farbige Auflage des Wappens auf der Glaswandden Rang auszudrücken8 . Romanische gravierte Bronzeschalen, diesogenannten Hanseschalen, sind einerseits eine Quelle zum Handelmit Bronzegeschirr, verbunden mit der Frage nach Herkunft derRohstoffe und nach der Lage der Werkstätten und dem geistigenNiveau der Handwerker (wegen der gravierten Bilder und Inschrif-ten); andererseits verkünden ihre christlichen und weltlichen Bildin-halte (Tugend- und Laster-Schalen als Paare, Ritterdarstellungen,

(Hrsg.), Renaissance du pouvoir leislatif et Onise de l'gtat. Montpellier 1988, 29-57; JARITZ (wie Anm. 1) 20 mit Lit. in Anm. 32.

7 BURKE (wie Anm. 2) 20.8 E. BAUMGARTNER - I. KRUEGER, Phonix aus Sand und Asche. Glas des Mittel-

alters. München 1988; zur Verbreitung dieser Gläser und zu ihrem Vorkommen inStadt und Burg vgl. H. STEUER, Mittelalterliche Messerscheidenbeschläge ausKöln. Hammaburg, NF 9 (1989) 231-246, hier 242 f. mit Abb. 8 und 9.

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Engel) und die Inschriften moralische Aussagen, die von den gelehr-ten Kreisen in Klöstern über die Handwerker – waren es vielleichtMönche? – zu den unterschiedlichen Gruppen der Benutzer weiterge-geben wurden9 . Schlagmarken, eingepunzte Zeichen auf Metallgerätaller Art, die gegen Ende des 13. Jahrhunderts erscheinen, sind Indi-zien für die Entstehung der Zunftorganisationen und Mitteilung überdie Qualität, den Urheber und die Herkunft der Erzeugnisse. Von derAxt bis zur kleinen Maultrommel (Abb. 1) wird, auch wenn sich dieForm der Gegenstände in keiner Weise ändert, dieser Wandel in derOrganisation des Handwerks faßbar; er wird mitgeteilt'°.

Während noch über die Karolingerzeit hinaus mit Hilfe archäolo-gischer Quellen große Gebiete Europas gegeneinander abgegrenztwerden können, weil sie unterschiedliche Sachgüter im Alltag verwen-den (England, Skandinavien, der westliche Kontinent, die östlichenslawischen Gebiete und Italien), vereinheitlicht sich der Lebenszu-schnitt und die allgemeine zivilisatorische Ausstattung europaweitvon Island bis Ungarn, von Frankreich bis ins Baltikum, und zwarmit dem Aufkommen der Stadt. Das entwickelte Netz der Städte inEuropa seit 1200 – die Mehrzahl der Stadtgründungen fällt in die Zeitvon 1200 bis 1400 – schafft durch Kommunikation der Kaufleutedieses einheitliche zivilisatorische Bild l 1 . Über Güter des gehobenenStandards, dazu zählen die genannten Emailgläser oder die Hanse-schalen, will man überall verfügen. Die Geschichte der graviertenBronzeschalen beschreibt die Reaktion auf die Nachfrage: Zu Anfangproduziert ein Werkstattzentrum im Rhein-Maas-Gebiet diese Scha-len, die weithin verhandelt werden; bald kommen – auch nach dem

9 W. SCHÄFKE, Initium omnis peccati superbia. Beobachtungen zu zwei neuer-worbenen romanischen gravierten Bronzeschalen im Kölnischen Stadtmuseum.Wallraf-Richartz-Jahrbuch 47 (1986) 157-175, zur Verbreitung s. STEUER (wieAnm. 8) 240 f. mit Karte Abb. 7.

1 ° J. BAART, Werkzeug, Gerät und Handwerksarten in der Stadt um 1200, inZur Lebensweise in der Stadt um 1200 (wie Anm. 3) 379-389; DERS., Textil- undmetallverarbeitende Gewerbe an Hand von Funden im spätmittelalterlichenAmsterdam, in Handwerk und Sachkultur im Spatmittelalter (Veroffentlichungen desInstituts fur mittelalterliche Realienkunde Österreichs 11 = Sb. Ak. Wien, phil.-hist.Kl. 513) Wien 1988, 51-67, hier 51 und 53 Marken der Zünfte auf Messern (um1300); Art. „Beschauzeichen", in Lexikon des Mittelalters 1. München–Zürich 1980,Sp. 2056-2058.

11 Vgl. H. STOOB, Forschungen zum Stadtewesen in Europa 1. Raume, Formenund Schichten der mitteleuropaischen Stadte. Eine Aufsatzfolge. Köln–Wien 1970, 21,Abb. Stufen der Stadtentstehung in Mitteleuropa.

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Erschließen neuer Kupferlagerstätten im Harz – weiter im mittlerenDeutschand (Braunschweig, Hildesheim?) sekundäre Werkstättenhinzu, bis zuletzt auch weiter im Osten Herstellungszentren entstan-den sein sollen.

Die paarweise gebrauchten Bronzeschalen (Abb. 2) des 12. und 13.Jahrhunderts bilden ein Handwaschservice im gehobenen Haushalt,und zwar an der Tafel vor oder nach dem Essen; das Wasser wird ausder einen Schale über die Hände gegossen und mit der anderen aufge-fangenu . Die erste Schale wird oftmals durch ein Gießgefäß in Gestalteines Tieres, von Löwen- oder Ritterdarstellungen, ersetzt; diesesAquamanile gibt es auch für den weniger ranghohen Benutzerkreisaus Ton. Tönerne Aquamanilien (Abb. 3) des 12. bis 15. Jahrhunderts– so hat B. SCHOLKMANN gerade gezeigt – lassen nach Herstellungs-weise und Form im Gegensatz zu den über Europa verbreiteten Bron-zeschalen kleine Verbreitungsräume gegeneinander abgrenzen u . Diestrifft für Keramikprodukte insgesamt zu und mag uns als Hinweisdarauf dienen, daß je nach „Ranghöhe" eines Alltagsgegenstandesder Bereich, der über Objektwanderung erreicht wird, unterschiedlichgroß ist. Es läßt sich im groben die Gleichung aufstellen „weite Ver-breitung – hohe gesellschaftliche Bedeutung – städtische Führungs-schichten und Adel".

Zumeist ist der Forschungsstand noch sehr unbefriedigend – dieMehrzahl der großen Mittelalterausgrabungen ist noch nicht publi-ziert, und die mangelhafte Durchdringung des Fundmaterials bereitetim Gegensatz zu älteren Epochen der Ur- und Frühgeschichte noch

12 M. HASSE, Neues Hausgerät, neue Häuser, neue Kleider - eine Betrachtungder städtischen Kultur im 13. und 14. Jahrhundert sowie ein Katalog metallenerHausgeräte. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 7 (1979) 7-83, hier Abb. 22(Meister Bertram, Handwaschung des Pilatus vom Passionsaltar, um 1390); W.DEXEL, Holzgerät und Holzform. Berlin 1943, Taf. 120 (Relief vom Westchorlettnerim Naumburger Dom, um 1260); K. ECKERLE, Gießgefäße und Becken aus Bronzeund Messing im mittelalterlichen Haushalt (1150-1250), in: Zur Lebensweise in derStadt um 1200 (wie Anm. 3) 207-222 mit weiteren Bilddarstellungen von Hand-waschungen mit zwei Schalen.

13 B. SCHOLKMANN, Die Aquamanilien aus Bebenhausen und Jettenburg. NeueErgebnisse zu einer Gruppe mittelalterlicher Tongefäße in Südwestdeutschland.Fundberichte aus Baden-Württemberg 15 (1989) 669-691; zu den Aquamanilien ausMetall vgl. U. MENDE u. a., Produkte aus Metall, in: Stadt im Wandel 2, Ausstel-lungskatalog. Stuttgart 1985, 852 ff.; 0. v. FALKE - E. MEYER, RomanischeLeuchter und Gefäße, Gießgefäße der Gotik (Bronzegeräte des Mittelalters 1) Berlin1935, Ndr. Berlin 1983.

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Abb. 1: Maultrommeln mit Schlagmarken. Köln, alte Hafenstraße(Zeichnungen d. Verf.).

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Abb. 3: Fundorte von Widderaquamanilien in Süddeutschland, im Elsaß undin der nördlichen Schweiz.

Nach SCHOLKMANN (wie Anm. 13), Karte, Abb. 3.

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Schwierigkeiten, wenn es um die Frage nach der Ausbreitungsge-schwindigkeit von Innovationen und neuen Sachgütern geht. Kom-munikation über Handelswege und Pilgerstraßen verlief jedenfallsnicht langsamer als zur frühen Neuzeit. Es ist z. B. zu fragen, wieschnell sich der beheizbare Wohnturm bzw. die Kemenate von derSchweiz bis zur Ostseeküste ausbreitet 14 – sofern die ältesten Bautendieser Art tatsächlich im Süden entstanden sind –, die nur als Idee,als Innovation wandern kann. Besser zu verfolgen sind die Ausbrei-tung der Idee und ihre Realisation des neuartigen adligen Wohnsit-zes, der Motte bzw. der Turmburg, die, in Nordfrankreich im frühen11. Jahrhundert entwickelt, sich im Laufe von Jahrzehnten bis zurMitte des 12. Jahrhunderts nach Osten ausbreitet15.

Die Einführung der öffentlichen Uhr im 14. Jahrhundert breitetsich jedenfalls sehr rasch aus, wie eine Zusammenstellung vonG. DOHRN-VAN ROSSUM verdeutlicht 16 . Für Mailand ist sie 1336 undfür Padua 1344 überliefert; das Überschreiten der Alpen brauchtanscheinend Zeit. Dann aber gibt es die öffentliche Uhr in Paris 1370,in London vor 1369, in Frankfurt 1361, in Straßburg 1372 und inLübeck 1384, d. h. in weniger als 15 Jahren, während einer halbenGeneration breitet sich eine derartige Neuerung aus.

III. FORMEN DER KOMMUNIKATION IM SPIEGEL DER ARCHÄOLOGIE

1. Verbreitung von Sachgütern

Sachgüter werden im Rahmen des Handels verbreitet, auch das istnatürlich Kommunikation. Der Nachweis und die Verwendunggleichartiger Sachgüter in einem größeren Gebiet spiegelt aber nicht

14 J. E. SCHNEIDER, Zürich im Mittelalter — Neue Erkenntnisse der Stadtkern-forschung. Archaologie der Schweiz 10 (1987) 124-135 („Versteinerung" in denKernzonen der Stadt, veranlaßt durch die städtischen Eliten); H. RÖTTING u. a.,Die Grabungen an der Turnierstraße in Braunschweig-Altstadt. Erster Vorbericht.Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 56 (1987) 195-278; DIES., Zweiter Vor-bericht. Ebd. 58 (1989) 207-278; G. P. FEHRING, „Domur lignea cum caminata" —Hölzerne, turmartige Kemenaten des späten 12. Jahrhunderts in Lübeck und ihreStellung in der Architekturgeschichte. Hammaburg, NF 9 (1989) 271-283.

15 H. HINZ, Motte und Donjon. Zur Frühgeschichte der mittelalterlichenAdelsburg (Zeitschrift fur Archaologie des Mittelalters, Beiheft 1) Köln—Bonn 1981,65

16 G. DOHRN-VAN Rossurn, Ausbreitung der öffentlichen Uhren, in Stadt imWandel 2 (wie Anm. 13) 1381, Kat. Nr. 935; auch JARITZ (wie Anm. 1) 106.

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in erster Linie Handel, sondern die Entscheidung für diesen Gegen-stand, der dann in unterschiedlicher Variation in verschiedenenWerkstätten hergestellt wurde.

(a) Als erstes Beispiel stelle ich die bronzenen Dreibeintöpfe, soge-nannte Grapen, des 13. bis 15. Jahrhunderts vor, die H. DRESCHER

schon vor längerer Zeit bearbeitet hat 17 , wobei er damals bei seinerMaterialsammlung nur den norddeutschen Raum erfaßte (Abb. 4).Erst mit dem Aufschwung des Erzbergbaus und dem zivilisatorischenUmbruch um 1200 gibt es diese schweren Gefäße, die gängige Tonge-fäßformen in Metall umsetzten. Die Karte registriert Funde in Jüt-land, Norddeutschland und den Niederlanden. Die Herstellungsweiseist verschieden. Die Formen lassen sich anhand einer Mittel- oderSeitennaht unterscheiden und an anderen Details der Rippen undHenkel. Zwei Verbreitungsräume lassen sich gegeneinander abgren-zen, in denen mit Sicherheit jeweils verschiedene Werkstätten produ-ziert haben, in den beiden Großräumen aber jeweils in einheitlicherTradition. Grapengießer sind für die größeren Städte schriftlich über-liefert. Wie die Formenähnlichkeit zustande gekommen ist, kann vor-erst aber nur vermutet werden, z. B. daß dies über wandernde Gesel-len geschah, die den Kontakt in einem größeren Werkstattkreis zwi-schen den Werkstätten herstellten.

(b) Im nördlichen Mitteleuropa werden zwischen Weichsel undRhein Messerscheidenbeschläge des 12. und 13. Jahrhunderts gefun-den, die als stilisierte rückwärts blickende Tierbilder ausgebildetsind 18 . Da die erste Fundbearbeitung eine Massierung östlich der

17 H. DRESCHER, Mittelalterliche Dreibeintöpfe aus Bronze. Rotterdam Papers(1968) 23-33; DERS., Mittelalterliche Dreibeintöpfe aus Bronze. Neue Ausgrabungenund Forschungen in Niedersachsen 4 (1969) 287-315; DERS., Grapen des 12.-13.Jahrhunderts aus Lübeck, Arbeiten Lübecker Gießer?, in • Lubeck 1226. Reichsfrei-heit und frohe Stadt. Lübeck 1976, 307-320; DERS., Zu den bronzenen Grapen des12.-16. Jahrhunderts aus Nordwestdeutschland, in Aus dem Alltag der mittelalter-lichen Stadt (Hefte des Focke Museums 62) Bremen 1982, 157-174; M. GLÄSER, Diemittelalterliche Bronzegießerei auf dem Grundstück Breite Straße 26. 25 JahreArchaologie in Lubeck = Lubecker Schriften zur Archaologie und Kulturgeschichte 17(1988) 134-136; DERS., Archäologische Untersuchungen einer hochmittelalterli-chen Bronzegießerei zu Lübeck, Breite Straße 26. Lubecker Schriften zur Archaolo-gie und Kulturgeschichte 16 (1989) 291-308.

18 STEUER (wie Anm. 8) 236 f. mit Karte Abb. 4, auch I. GABRIEL, Hof- undSakralkultur sowie Gebrauchs- und Handelsgut im Spiegel der Kleinfunde vonStarigrad/Oldenburg. Bericht der Romisch-Germanischen Kommission 69 (1988)103-291, hier 161-171 mit Karte 25.

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deutsch-slawischen Besiedlungsgrenze registrierte 19 , wurden sie alseine Mode der slawischen Bevölkerung angesehen, und slawisch orien-tierte Handwerker hätten derartige Beschläge auch nach der Ostsied-lungsbewegung weiter produziert: Eine ethnische Deutung archäolo-gischer Funde für das hohe Mittelalter, die jedoch nicht mehr haltbarist, nachdem derartige Beschläge auch im Westen bis an den Rheingeborgen und kartiert werden konnten. Oder sollte es sich um slawi-sche Kaufleute handeln, die in den Westen gezogen sind? Dort, mitMassierung in Köln, konnte im übrigen ein weiteres Werkstattgebietumschrieben werden20 . Beim gegenwärtigen Forschungsstand würdeman von einer norddeutschen Mode sprechen, die sich wohl tatsäch-lich von Osten nach Westen ausgebreitet und Werkstätten gefundenhat, in denen derartige Messerscheiden hergestellt wurden.

(c) Neben dieser bis heute weiterlebenden ethnischen Deutung der-artiger Metallbeschläge gibt es für eine andere Fundgruppe, nämlichbronzene Griffel mit handförmigem Ende, die Deutung als „HarzerGruppe", d. h., man vermutet die Herkunft aus Werkstätten imHarzbereich21 . Dafür sprach bisher die Massierung der Funde imGebiet östlich des Harzes bis zu Elbe und Saale, dort wo zentralerErzbergbau, auch auf Kupfer, betrieben wurde. Diese Griffel gehörenebenfalls ins 12. und 13. Jahrhundert, und neue Funde lassen wie-derum eine Gesamtverbreitung zwischen Oder und Rhein erkennen,wobei im westlichen Bereich durch neue Grabungen die Zahl derFunde steigt22 . (Man sollte auch nicht übersehen, daß der erste Bear-beiter dieser Fundgruppe im Gebiet östlich des Harzes arbeitet unddort alle Museumsfunde kennt, während weiter im Westen die Fund-aufnahme einfach noch lückenhaft ist.) Das Kartenbild kann wiedernur so interpretiert werden, daß gegen 1200 die Mode aufkam, Griffel-enden als Hand, die einen Aufhängering umfaßt, auszubilden; dennGriffel aus Bein, Eisen oder Bronze gibt es in anderer Form vorher

19 W. TIMPEL, Mittelalterliche Messerscheidenbeschläge in Thüringen. Alt-Thü-ringen 22/23 (1987) 275-295, zurückgehend auf H. A. KNORR, Die slawischen Mes-serscheidenbeschläge. Mannus 30 (1938) 479 ff.

20 STEUER (wie Anm. 8) 237, Karte Abb. 4; dazu auch DERS. (wie Anm. *,Anm. 103 mit Nachträgen).

21 V. SCHIMPFF, Zu einer Gruppe hochmittelalterlicher Schreibgriffel. Alt-Thü-ringen 18 (1983) 213-260.

22 W. SCHLÜTER, Zwei hochmittelalterliche Schreibgriffel aus dem OsnabrückerLand. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 14/15 (1988) 167-171; STEUER (wieAnm. 8) 238 f. mit Karte Abb. 5.

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Abb. 4: Bronzegrapen mit Seiten- oder Mittelnaht.Nach DRESCHER (wie Anm. 17), Bild 7.1.

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und auch später noch in beachtlicher Variationsbreite23 . Es sei ange-merkt, daß diese Griffel in ungefähr gleich großer Anzahl in Städtenund auf Burgen gefunden worden sind 24 (Abb. 5). Die Mode breitetesich dann über Norddeutschland aus, nicht nur durch reisende Kauf-leute und andere, die zu schreiben Anlaß hatten, sondern auch ver-schiedene Werkstätten gingen dazu über, gerade diese Form zu ferti-gen. Warum eine Begrenzung bei den Messerscheidenbeschlägen undden Griffeln aus der Zeit um 1200 auf Norddeutschland zu vermerkenist, bleibt vorerst eine offene Frage.

(d) Denn wenn man die Verbreitung der schon näher angesproche-nen Hanseschalen (Abb. 2) betrachtet, die in norddeutschen Werk-stätten des 12. bis 13. Jahrhunderts hergestellt sein sollen, dann fälltzwar auch eine größere Funddichte im Norden auf. Die Fundverbrei-tung von London über die Rheinmündung die Küsten entlang bis insBaltikum hat denn auch zum Namen Hanseschüssel geführt. Aberinzwischen konnten Fundstücke auch überall im Süden bis Ungarnund Italien aufgelistet werden, und zwar mit steigender Tendenz par-allel zum Ausbau der Mittelalterarchäologie 25 . Ist die Verbreitungdieser Schalen Spiegelbild eines intensiven Handels? Denn als Reise-gepäck werden die immer doppelten Schalen kaum so verbreitet wor-den sein. Kommen sie alle aus norddeutschen Beckengießerwerkstät-ten und bildet sich jetzt schon ein Monopol heraus wie später beiNürnberger Einsatzgewichten, Mörsern und anderen schwerenBronze- bzw. Messinggeräten? 26 Die Art der Kommunikation, die sich

25 A GRASSMANN, Das Wachstafel-Notizbuch des mittelalterlichen Menschen,in Zur Lebensweise in der Stadt um 1200 (wie Anm. 3) 223-235, H STEUER,

Schreibgerät des Mittelalters, in Spiegel des taglichen Lebens Archaologische Funde

des Mittelalters aus Koln = Kolnisches Stadtmuseum (1982) 9 f mit Abb 12,Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos 2 Hamburg 1989, 201 ff , U GROSS, Bil-der und Sachen, in Codex Manesse, Ausstellungskatalog. Heidelberg 1988, 102 C63-67 (Griffel); Die Kuenringer. Das Werden des Landes Niederosterreich, Ausstel-lungskatalog (Katalog des Niederosterreichischen Landesmuseums, NF 110) Wien1981, 289-299.

24 STEUER (wie Anm. 8) 244, Abb. 9.25 Zuletzt U. GROSS, Ein „Hansaschalen"-Fragment vom Marktplatz in Heil-

bronn. Denkmalpflege in Baden-Wurttemberg 19 (1990) 180-183; Die Hanse 2 (wieAnm 23) 187, Nr 10.16 (Hanseschalen-Fragmente aus Gamla Lödöse).

26 Parallel dazu gibt es aber auch immer norddeutsche Werkstätten W. Höm-BERG, Der norddeutsche Bronzemorser im Zeitalter von Gotik und Renaissance. Stutt-gart 1983. Es genügt auch, darauf hinzuweisen, daß Glocken überall unmittelbarim Bereich der Kirchen gegossen worden sind, daß also Rohstoff überall ausrei-chend zu erhandeln war.

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„OBJEKTWANDERUNG” ALS QUELLE DER KOMMUNIKATION

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Messerscheiden--beschläge(37)

Griffel(60)

Waagen(27)

Bronzeschalen(124 von 250)

EmailbemalteGläser(63)

IslamischeGläser(23)

Abb. 5: Verteilung der Sachgruppen auf die unterschiedlichen FundorteStadt, Burg, Fluß, Kirche, Kloster, Bestattung und Dorf. Die Säulen derHistogramme geben Prozentwerte an, die absolute Anzahl, die mit gesicher-

tem Fundort berücksichtigt werden konnte, ist in Klammern genannt.Nach STEUER (wie Anm. 23) 244, Abb. 9.

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aus dieser Objektwanderung ergibt, muß noch studiert werden; d. h.eine neue, nicht nur kunstgeschichtliche oder ikonographische Ana-lyse aller 250 Schalen sollte folgen.

Neben diesen Bronzeschalen gibt es eine zeitgleiche und längerhergestellte Gruppe noch kostbarerer, reich emaillierter Schalen,sogenannte Gemellions, die wesentlich seltener aus archäologischenFundzusammenhängen stammen, vielmehr in der Regel seit dem Mit-telalter oberirdisch aufbewahrt und überliefert wurden27.

Zu den emaillierten Bronzen, die in ganz Europa als Luxusgegen-stände verhandelt und geschätzt wurden, gehören die Schmuck- undZierscheiben, meist zum Pferdezaumzeug gehörend, und andereGegenstände bis hin zu Bischofsstäben aus Limoges. Von einem Zen-trum aus wurden sie über ganz Europa verhandelt, und sekundäreWerkstätten hat man bisher nicht erkennen können28.

(e) Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit einem Gegenstand,der vom 9. bis über das 13. Jahrhundert hinaus im Rahmen vonGeldgeschäften und Gewürzhandel gebraucht wird, mit zusammen-klappbaren Waagen aus Messing 29 . Es gibt eigentlich in dieser Phasenur diese zusammenklappbaren Waagen, eine Anregung aus demOrient, die von den Wikingern mit in den Norden und von dort nachEuropa gebracht wurde, ähnlich wie ein Weg des Schachspiels nachMitteleuropa über Osten und Norden verlief» . Die Klappwaage warein praktisches Instrument für den reisenden Kaufmann, so wie Rei-

27 J. J. MARQUET DE VASSELOT, Les Omellions limousins du XIII siicle. Paris1952; M.-M. GAUTHIER, Emaux du Moyen Age occidental. Fribourg 1972, vgl. z. B.auch den Schatz von Rouen-Gaillon mit mehreren emaillierten Schalen aus Silber,in Les Fastes du Gothique. Le siicle de Charles V Paris 1981, 255 ff , ECK ERLE (wieAnm. 12) 208.

28 E. RUPIN, L'cevre de Limoges. Paris 1890, Ndr. Nogent le Roi (1977).29 H. STEUER, Zusammenklappbare Waagen des hohen Mittelalters. Archaolo-

gisches Korrespondenzblatt 7 (1977) 295-300; aktualisierte Karte in DERS (wieAnm. 8) 240, Abb. 6; wurden in dieser Arbeit von 1989 45 Fundpunkte kartiert, sohat sich die Zahl der Klappwaagen eines der Form nach eng begrenzten Typs –Typ 8 meiner formenkundlichen Gliederung – durch Neufunde, aber vor allemdurch Registrierung von Stücken in den Museen auf über 90 erhöht, und auch dasVerbreitungsgebiet hat sich ausgeweitet.

3° H. STEUER, Gewichtsgeldwirtschaften im frühgeschichtlichen Europa. Fein-waagen und Gewichte als Quellen zur Währungsgeschichte, in- Der Handel derKarolinger- und Wikingerzeit. Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- undfrühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa 4 (Abh. Ak. Göttingen, phil.-hist.Kl., 3. Flg. 156) Göttingen 1987, 405-527.

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sende in dieser Zeit auch zusammenklappbare Löffel, Messer, Leuch-ter und andere Geräte am Leib mit sich führten 31 . FormenkundlicheStudien für einzelne Waagentypen, die also durch ganz bestimmteKonstruktions- und Verzierungselemente zu beschreiben sind, habenz. B. für die Zeit um 1200 gezeigt, daß gleichartige Klappwaagen vonIsland bis Ungarn, von Schweden bis Italien gefunden werden(Abb. 6). Massierungen auf dem Kartenbild gehen schlicht auf denForschungsstand zurück, der für Dänemark außerordentlich gut ist,für Italien aber noch mangelhaft. Niemand wird behaupten, daß allediese Waagen aus einer Werkstatt kämen und durch die Mobilitätbestimmter Händler verbreitet worden seien. Aber die Mode war sozwingend, daß man an verschiedenen Stellen Europas in den städti-schen Werkstätten derartig ähnliche Stücke herstellte.

(f) Wenden wir uns einer anderen Materialgruppe zu. Emailbe-malte Becher mit Bildauflagen, Wappen und Inschriften (Abb. 7) –sie wurden schon erwähnt – aus dem späten 13. und 14. Jahrhundertgehörten zu den kostbarsten Stücken des Trinkgeschirrs 32 . Hatte manvor wenigen Jahren noch angenommen, besonders im ritterlichenMilieu der Burgen wären sie geschätzt gewesen und als Mitbringselvon den Kreuzzügen aus dem Orient nach Europa gekommen 33 , sohaben die Stadtkerngrabungen gezeigt, daß sie eigentlich in allenStädten – wo nämlich Kloaken etwas umfangreicher untersucht wor-den sind – verwendet wurden (Abb. 5) 34 . Sie sind wahrscheinlich inNorditalien hergestellt worden und haben im Rahmen des Fernhan-dels alle Gebiete Europas, auch Schweden und Nordrußland, erreicht,wohl über See und von Hansekaufleuten vertrieben. Das Studium derWappen könnte zeigen, ob diese Gläser so geschätzt wurden, weil sietatsächlich nach orientalischen Vorbildern ritterlichen Lebensstilmarkierten, ob sie Wappen bekannter adliger Familien zeigen undvon städtischen Oberschichten nachgeahmt wurden. Das Fehlen der-

31 Die Hanse 2 (wie Anm. 23) 204 f. Nachlaß des Kölner Großkaufmanns Her-mann von Goch (hingerichtet 1398) – Klapplöffel; STEUER (wie Anm. 23) 14 –Klappleuchter, Leuchter mit abnehmbarem Dorn.

32 BAUMGARTNER - KRUEGER (wie Anm. 8).33 B. SCHOLKMANN, Bodenfunde als Zeugnisse des täglichen Lebens in Dorf,

Burg und Stadt. Ein Beitrag zur Erforschung des Alltags in der Stauferzeit, inAlltag in der Stauferzeit Göppingen 1984, 15-40, hier 29 ff. und Abb. 7.

34 Erweitert STEUER (wie Anm. 8) 240 ff. mit Abb. 99.

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artiger Fundstücke in Frankreich ist nicht nur eine Forschungslücke,auch wenn jüngste Funde in Südfrankreich das Kartenbild ergän-zen35

(g) Eine zweite frühe Gruppe des 13. bis 14. Jahrhunderts, Gläsermit hohem Fuß und gerippter Kuppa, die E. BAUMGARTNER und.I. KRUEGER 1985 zusammengestellt haben, scheint den weitausgrei-fenden Handel mit Luxusglas zu bestätigen (Abb. 8)36 . Doch dieseGläser, die sich in der Form völlig von den Bechern unterscheiden,scheinen im ostfranzösisch-belgischen Raum, im Rhein-Maas-Gebiet,hergestellt und nur im französischen Raum sowie im Rheinland ver-breitet worden zu sein. Zeitgenössische Miniaturen, Tafelbilder undFresken unterstützen die Datierung. Aber verwandte Formen gibt esin Böhmen und Süditalien, und die Zusammenstellung von 1985 zeigtgerade, wie vorläufig und zufällig das bisherige Kartenbild noch ist.Doch bisher wird die Verbreitung so gedeutet, daß eine französischeMode, die noch das Rheinland erreicht, Form und Verbreitungbestimmt und daß weiter im Osten diese Gläser nicht gewünschtwaren. Vielleicht ist es doch erlaubt, die Verbreitung der unter (f)geschilderten Gläser mit dem Deutschen Reich oder dem Wirkungs-raum der Hanse und die der unter (g) beschriebenen Gläser mitFrankreich als politischem Großraum zu parallelisieren.

Gläser werden überwiegend in Städten gefunden, und zwar ausdem Zeitraum, in dem es dort üblich war, Kloaken als Abfall- undToilettengruben zu errichten, was im 13. Jahrhundert einsetzt37.Glasfunde in ländlichen Siedlungen und auf Burgen sind aus diesenÜberlieferungsgründen wesentlich seltener.

(h) Nach ganz anderen Regeln sind anscheinend die heimischenKeramikprodukte verbreitet worden. Bis ins hohe Mittelalter hineinwurde Keramik in Töpfereien ländlicher Siedlungen hergestellt, unddiese gehörten zu Grundherrschaften. Große Grundherrschaften wiedie Kölner Stifte oder im Süden die Grundherrschaft der Straßburger

35 D FOY - G. SENNEQUIER (Red ), A travers le verre du mogen ei ge ä la renais-sance Rouen 1989, 189 ff., Gallia Informations 1989/1 115, Fig 45.

36 E BAUMGARTNER - I. KRUEGER, Zu Gläsern mit hohem Stiel oder Fuß des13 und 14. Jahrhunderts. Bonner Jahrbuch 185 (1985) 363-413 mit Karte Abb. 1.

37 S. SCHÜTTE, Brunnen und Kloaken auf innerstädtischen Grundstücken imausgehenden Hoch- und Spätmittelalter, in Zur Lebensweise in der Stadt um 1200(wie Anm. 3) 237-255, hier 238 mit Anm. 6 Erst die Verdichtung innerstädtischerBebauung brachte die Notwendigkeit der Abfall- und Fäkalienbeseitigung mitsich, die zum Bau von Kloaken führte.

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Abb. 8: Fundorte von Gläsern mit hohem Stiel des 13. und 14. Jahrhunderts.Nach BAUMGARTNER - KRUEGER (wie Anm. 36) 364, Abb. 1.

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Bischöfe haben sicherlich mehrere Orte mit Töpfereien, zum anderenaber im Rahmen der sogenannten Villikationsverfassung weitge-streute Besitzungen, die sich bei den Kölner Grundherrschaften vonder Rheinmündung im Norden bis zum Weingebiet im Rhein-Main-Mündungsgebiet erstreckten38 . Einige dieser grundherrschaftlichenHofkomplexe waren für die Produktion der Keramik zuständig, diedann über weite Gebiete, aber innerhalb der geschlossenen Grund-herrschaft, verteilt wurde. Das Bild der Verbreitung früher Pingsdor-fer Ware des 10. bis 12. Jahrhunderts ist daher im wesentlichen nichtnur Niederschlag eines unabhängigen Handels, sondern markiert viel-mehr den Streubesitz großer Grundherrschaften; denn da zudemmehrere Grundherrschaften gleichzeitig am Töpfergebiet des Rheini-schen Vorgebirges Anteil hatten, auch an den einzelnen Töpferorten,ergeben sich entsprechende Verbreitungsmuster als Abbild der Kom-munikation in einer Grundherrschaft. U. GROSS konnte für Südwest-deutschland ebenfalls mehrere Keramikverbreitungsbilder in Korre-lation zum Streubesitz von Grundherrschaften des frühen und hohenMittelalters nachweisen. Der Transport von Abgaben innerhalb derGrundherrschaften sorgt für das Auftreten von Keramik weitab ihresEntstehungsgebietes, eben vor dem Hintergrund herrschaftlicherBindungen39.

Dieses Kommunikations- und Verteilungsmuster löst sich im spä-ten Mittelalter auf, als das Villikationssystem seit dem 13. Jahrhun-dert aufgegeben und fernabliegende Höfe zur Besitzabrundung gegennahegelegene getauscht wurden. Deshalb müssen hinter den Verbrei-tungsmustern von Trinkbechern aus Keramik des hohen und spätenMittelalters andere Gründe stehen. Trinkbecher aus Ton kommen vorallem auf Burgen vor, selten in der Stadt – weil man dort Metall undGlas bevorzugte – und überhaupt nicht in ländlichen Siedlungen – fürdie spezielle Trinkgefäße nicht nachweisbar sind «). Sie werden vom12. bis ins frühe 16. Jahrhundert gebraucht, wie die Forschungen von

38 H. STEUER, Stadtarchäologie in Köln, in H. JÄGER (Hrsg.), Stadtkernfor-schung (Städteforschung, Reihe A 27) Köln–Wien 1987, 61-102, hier bes. 62 ff. mitAbb. 2-4 (Pingsdorfer Keramik); U. GROSS, Commerce et echanges. Une etude decas: la ceramique ä decor flammule d'origine Alsacienne, in. Vivre au Moyen Äge.30 ans d'arcUologie mgdi&ale en Alsace. Strasbourg 1990, 91 f. mit Karte (rotbe-malte Ware).

39 U. GROSS, Beobachtungen zur Verbreitung frühmittelalterlicher Keramik-gruppen in Südwestdeutschland 1. Archaologische Informationen 10 (1987) 194-202.

4° SCHOLKMANN (wie Anm. 13) 24.

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R. KOCH ergeben haben 41 . Die Kartenbilder selbst markieren rechteng begrenzte Verbreitungen, die auf zentrale Töpfereien und Handel

. .hinweisen.

Die Verbreitungsmuster von glasierten und unglasierten Widder-Aquamanilien des 13. bis 15. Jahrhunderts, die vor allem in Städten,recht häufig auch in Burgen, aber auch in ländlichen Siedlungengefunden werden, müssen ebenfalls anders erklärt werden. Hier ste-hen langdauernde Modeströmungen dahinter, denn die Korrelationder Verbreitung mit größeren politischen Gebilden wie z. B. demElsaß für die glasierten und dem Herzogtum Schwaben für die ungla-sierten Aquamanilien besagt nur, daß damit weiträumig zusammen-hängende Verkehrsgebiete erfaßt werden.

Neben dieser von lokalen Werkstätten flächendeckend verbreite-ten Keramik gibt es qualitätvolle Ware, wie z. B. das SiegburgerSteinzeug des 14. und 15. Jahrhunderts, das weithin verhandelt wor-den ist und als Luxusgut transportiert wurde 42 . Man muß fast voneiner Monopolstellung ausgehen, welche die Siegburger Töpfereienbesaßen, so wie für den niedersächsischen Raum später die soge-nannte Werrakeramik marktbeherrschend war43.

Bei Metall, Glas und Keramik gibt es also drei Gruppen vonGegenständen, die erste besteht aus Luxusgütern, die aus einer Werk-statt stammen und über ganz Europa verhandelt werden, die zweitebesteht aus gehobenem Inventar, das sehr bald auch in sekundärenWerkstätten hergestellt wurde, und die dritte Gruppe besteht auslokal produzierten Erzeugnissen, die dann auch den Nahhandelbeherrschten, die Stadt-Land-Beziehung markierten. Beim Glasgehören die von einer Werkstatt weit verhandelten emailbemalten

41 R. KOCH, Mittelalterliche Trinkbecher aus Keramik von der Burg Weiber-treu bei Weinsberg, Kr. Heilbronn. Forschungen und Berichte der Archaologie desMittelalters in Baden-Wurttemberg 6 (1979) 47-75.

42 J. G. HURST -n g ND. S. NEAL - H. J. E. VAN BEUNINGEN, Pottery produced andtraded in north-west Europe 1350-1650. Rotterdam Papers VI (1986); dazuH.-G. STEPHAN, Keramikproduktion und -handel in Nordwesteuropa 1350-1650.Zeitschrift fur Archaologie des Mittelalters 14/15 (1989) 153-165; G. FISCHER, Sieg-burger Keramik als Handelsprodukt, in. Die Hanse 1 (wie Anm. 23) 489-491; auchebd. 2,115 ff. (mit Lit.), E. KLINGE, Siegburger Steinzeug. Düsseldorf 1972.

43 H.-G. STEPHAN, Stand und Aufgaben der Archäologie des Mittelalters undder Neuzeit in Nordwestdeutschland, in G. WIEGELMANN (Hrsg.), Geschichte derAlltagskultur. Münster 1980, 23-51; DERS., Werrakeramik und Weserware. Zentrender Renaissancekeramik im Werraland und an der Oberweser, in Keramik anWeser, Werra und Fulda (1981) 69-90 mit Karte S. 70.

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Becher zur ersten Gruppe, die farblosen Nuppenbecher zu qualität-vollen Produkten aus einigen Werkstätten mit größerem Absatzge-biet zur zweiten und schließlich die grünen Waldgläser, die aus Glas-hütten des städtischen Hinterlandes stammen, zur dritten Gruppe.Das sind drei Stufen von Handel, aber auch von Kommunikation.

2. Archäologische Spuren reisender Menschen

Die Reisewege und Reiseziele sowie vor allem die Reichweite derVerkehrsbeziehungen werden durch unterschiedliche archäologischeQuellengruppen faßbar. Da sind die Pilgerzeichen und Wallfahrtsme-daillen, die der einzelne Reisende persönlich als Andenken und Belegfür die Reise mit nach Hause bringt. Da sind die Warenplomben vorallem an Textilien, die auf dem Wege des Handels verbreitet werdenund zugleich die Reisestrecken der Kaufleute markieren können.Auch als einzelne Stücke, abgefallen von den Textilien und wegge-worfen, bleiben sie eine Quelle für den Nachweis von Kommunika-tion. Schließlich gehört die wichtige Gruppe der Beschauzeichen undSchlagmarken auf den Metallgegenständen selbst zu diesem Quellen-bereich.

(a) Am Anfang der aus dem kirchlichen Wirkungsbereich stam-menden Zeichen stehen die sogenannten Kreuzemail- und Heiligenfi-beln, die im 9. bis frühen 11. Jahrhundert vor allem in Norddeutsch-land vorkommen und wohl die Beziehung der Träger dieser Abzei-chen zu den Bischofssitzen Köln und Mainz markieren (Abb. 9)44.Eine spezielle Gruppe stellen die sogenannten Alsengemmen dar, ein-gesetzt in Ringe oder andere Schmuckgegenstände bis hin zu Buch-deckeln, die seit dem 11. bis zum frühen 14. Jahrhundert vorkom-men. Die jüngste Zusammenstellung und Deutung bringt eine Gruppedieser Alsengemmen überzeugend mit der seit 1164 an Köln gebunde-nen Verehrung der Heiligen Drei Könige zusammen (Abb. 10) 45 . Seitdem 11. Jahrhundert markieren Funde von Jakobsmuscheln die Pil-

44 J. GIESLER, Zu einer Gruppe mittelalterlicher Emailscheibenfibeln. Zeit-schrift für Archäologie des Mittelalters 6 (1978) 57-72; H. VIERCK, Mittel- und west-europäische Einwirkungen auf die Sachkultur von Haithabu/Schleswig, in- Han-delsplatze des fruhen und hohen Mittelalters 2 Archaologische und naturwissenschaft-liche Untersuchungen an ländlichen und frühstädtischen Siedlungen im deutschenKustengebiet vom 5. Jh. v. Chr. bis zum 11. Jh. n. Chr. Weinheim 1984, 366-422,hier 407 mit Karte Abb. 193.

45 M. SCHULZE-DÖRRLAMM, Bemerkungen zu Alter und Funktion der Alsen-gemmen. Archälogisches Korrespondenzblatt 20 (1990) 215-226.

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Abb. 9: Emailfibeln des „nördlichen Formenkreises".Nach GIESLER (wie Anm. 44) 65, Abb. 4.

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gerwege von Santiago de Compostela zurück nach Hause bis weithinauf nach Skandinavien (Abb. 11)46.

Vom 12. Jahrhundert an gibt es die unerhörte Vielfalt der Pilger-zeichen aus Blei-Zinn-Legierung, die oftmals anhand des Heiligen,des Stadtbildes oder der Umschrift zu lokalisieren sind und vieleHunderte von Pilgerorten belegen 47 . Als Beispiel sei die von K. Kö-STER gefertigte Karte der Fundorte von Pilgerzeichen aus Rocama-dour aus Südfrankreich gezeigt: „Die mittelalterliche Pilgerfahrt warein Massenphänomen", zu Hunderttausenden einst hergestellt auchfür kleine, sekundäre Pilgerorte, sind bisher nur relativ wenige – aberdoch schon einige hundert – Stücke dieser Pilgerzeichen wieder aufge-funden worden, seitdem Mittelalterausgrabungen in größerem Um-fang stattfinden. Schon diese begrenzte Menge von einem Promillezeigt das Netz der Pilgerstraßen und die so stattfindende intensiveKommunikation eindrücklich48.

Seit dem 13./14. Jahrhundert gibt es aus Ton hergestellte Heiligen-figürchen von brauner Farbe 49 , seit der Zeit um 1500 aus dem typischweißen Pfeifenton hergestellte Devotionalien aller Art, zu denenWerkstätten in Köln, Worms und an anderen Orten nachgewiesenwerden konnten50 . Dabei zeigt sich auch, daß Heiligenfigürchen nicht

46 K. KÖSTER, Pilgerzeichen und Pilgermuscheln von mittelalterlichen San-tiagostraßen. Saint-Leonard. Rocamadour. Saint-Gilles. Santiago de Compostela(Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 2) Neumünster 1983.

47 M. MITCHINER, Medieval Pilgrim Secular Badges. London 1986.48 KÖSTER (wie Anm. 46) 18: In Einsiedeln sind 1466 innerhalb von 14 Tagen

130.000 Stück verkauft worden; JARITZ (wie Anm. 1) 108 • An der Kirche der Schö-nen Maria in Regensburg wurden 1520 rund 120.000 Abzeichen verkauft. Wie dieVerbreitung von Pilgerzeichen das enger werdende Einzugsgebiet erkennen läßt,zeigen die Karten von Pilgerzeichen aus Göttingen-Nikolausberg aus dem 14., 15.und 16. Jahrhundert: vgl. Stadt im Wandel 2 (wie Anm. 13) 1360, Karte 332(A. HAUCAP, ST. MIELKE); auch Die Hanse 2 (wie Anm. 23) 188 und 493-498 mitLit •

46 U. ZIMMERMANN, Die Ausgrabungen in alten Bergbaurevieren des südlichenSchwarzwaldes, in: Erze, Schlacken und Metalle = Freiburger Universitätsblätter 109(1990) 115-146, hier 128, Abb. 10 (Mutter-Kind-Darstellung/Maria aus dem 13.Jahrhundert, wofür es in Südwestdeutschland eine ganze Reihe von Parallelstük-ken gibt).

5° R. NE-u-KocK, Heilige und Gaukler — Kölner Statuetten aus Pfeifenton (Köl-ner Museums-Bulletin, Sonderheft 1) Köln 1988; DIES., Irdene Kleinplastik im Spät-mittelalter, in: J. NAUMANN (Hrsg.), Keramik vom Niederrhein. Köln 1988, 179-186; DIES., Kölner „Bilderbäcker" im frühen 15. Jahrhundert. Kölner Museums-Bulletin 1990/3, 9-21; P. SEEWALDT, Tonstatuetten aus Spätmittelalter und Neu-

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unbedingt typisch für einen Ort geblieben sind, sondern daß Modelzur Herstellung der gleichen Figuren transportiert und gleichartigeMarien oder Katharinen an verschiedenen Orten entstanden, datier-bar auch im Vergleich zur Großplastik, nach der sich diese Klein-kunst richtete. Devotionalien dienten wie Spielzeugfiguren, Ritter-und Venusdarstellungen aus den gleichen Werkstätten schlicht alsAndenken, belegen aber auch die Reise ländlicher Bevölkerung zuden nächsten größeren Städten und von Stadt zu Stadt.

(b) Schlagmarken und Beschauzeichen kennzeichnen als Qualitäts-marken und Herkunftsangaben seit dem Aufkommen der Zünfte imspäten 13. Jahrhundert alle Arten von Waren, für die Archäologenfaßbar in den meisten Erzeugnissen aus Metall, vom Schwert bis zumArmbrustbolzen, von der Axt bis zur Maultrommel 51 . Ein Studiumdieser Zeichen, die manchmal Wappen oder Hausmarken ähneln – sovor allem auf der von R. PITTIONI und anderen bearbeiteten süd-deutsch-österreichischen Keramik des späten Mittelalters und derfrühen Neuzeit 52 –, wird die Herkunft und Verbreitung von Güternerkennen lassen. Diese Verbreitung beschreibt nicht nur Handel, son-dern gerade weil damit die Entstehung des nach Zünften organisier-ten, streng spezialisierten Handwerks faßbar wird, die Struktur dieserHandwerkszweige mit wandernden Gesellen, die über Produktfor-men, Schlagmarken und deren Ausbreitung erschlossen werden kann.

(c) Wie die Schlagmarken erscheinen die Tuchplomben aus Blei alsQualitätsmarken durch die städtischen Kontrollinstanzen seit demspäten 13. Jahrhundert, zuerst in den Niederlanden53 . Es handelt sich

zeit. Katalog der Sammlung im Rheinischen Landesmuseum Trier Trierer Zeit-

schrift 53 (1990) 293-310; I. FINGERLIN, Ein Tonfigürchen aus Alt-Breisach.Archaologische Nachrichten aus Baden 44 (1990) 34-41.

51 STEUER (wie Anm. 23) 11, Abb. 16 Armbrust-Bolzen 14. Jahrhundert miteingepunzten Herstellerzeichen aus dem Kölner Rheinuferbereich. Die hier abge-bildeten Maultrommeln stammen ebenfalls vom Kölner Rheinufer. Vgl. allg.W. MEYER - H. OESCH, Maultrommelfunde in der Schweiz. FS A. Geering. Bern–Stuttgart 1972.

52 G. BRACHMANN, Mittelalterliche Geschlechterwappen auf oberösterreichi-scher Schwarzhafner-Ware. Oberosterreichische Heimatblatter 11 (1957) 223-227;A. KIES, Mittelalterliche Töpfermarken. Ein Beitrag zur Terminologie und Ver-breitung. Unsere Heimat 47 (1976) 129-150; DERS., Die Töpfermarken des WienerRaumes. In. Keramische Bodenfunde aus Wien. Mittelalter – Neuzeit (Wien o. J.)25-30.

53 Die Hanse 2 (wie Anm. 23) 240 f.; BAART 1986 (wie Anm. 10) 380 ff. mitAbb. 1; DERS. 1988 (wie Anm. 10) 63; S. SCHÜTTE, Nordwestdeutsche Funde und

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Abb. 11: Fundorte von mittelalterlichen „Jakobsmuscheln" und die wichtig-sten Pilgerrouten nach Santiago de Compostela.

Nach KÖSTER (wie Anm. 48) 120, Abb. 8.

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um Bleizeichen, die auf der einen Seite das Stadtwappen oder einKürzel dieses Wappens und auf der anderen beispielsweise das Zei-chen des Landesherrn tragen und somit die Herkunft klar erkennenlassen. S. SCHÜTTE hat für Göttingen den Tuchhandel nach Norden inden Ostseeraum auf den Wegen der Hanse beschrieben, indem er dieTuchmarken kartiert hat.

3. Verbreitung von Innovationen

Innovationen wandern, weil es Kommunikation zwischen denMenschen gibt. Sie wandern als Konstruktionsmodell im Gehirn,wofür ich die Wassermühle als Beispiel bringe, die nicht als Maschinetransportiert werden kann, oder die praktische Fußbodenisolierungin Steinhäusern auf feuchtem Untergrund oder den Kachelofen bzw.die Kemenate (caminata) als beheizbaren Raum. Uhren und Brillendagegen können mitgenommen werden, und die Vorführung derneuen „positiven" Eigenschaften dieser Geräte führt rasch zur Über-nahme.

(a) Auf einem archäologisch untersuchten Herrenhof im mittlerenJütland ist eine Wassermühle ausgegraben worden, deren Bauanhand der Holzteile dendrochronologisch auf das Jahr 840/41datiert werden kann 54 . Die Konstruktion dieser Mühle ist völlig aus-gereift, wird ohne Vorbild in Dänemark gebaut, wo in allen anderengut ausgegrabenen Siedlungen die Handmühle weiter benutzt wird.Die Ausgräber erklären die Einführung dieser Innovation alsWunsch, damit zu repräsentieren. Ein Wikingerführer hat sie beiZügen nach Irland oder England kennengelernt und einen Baumei-ster mit nach Jütland genommen, um die Mühle zu errichten, auchwenn sie dann vorerst nur als Prestigebau dienen sollte.

(b) In Braunschweig wurde ein in Stein errichteter Turm von etwa9,50 Metern im Quadrat mit Kemenate auf einer Okerinsel ausgegra-

Befunde zu Metall-, Textil- und Bauhandwerk im städtischen Bereich, in Hand-werk und Sachkultur (wie Anm. 10) 69-94; N.-K. LIEBGOTT, Da klaede var en„maerkevare". Fra Nationalmuseets Arbejdsmark 1975, 35-46; R. KAISER, Fäl-schungen von Beschauzeichen als Wirtschaftsdelikte im spätmittelalterlichenTuchgewerbe, in- Fälschungen im Mittelalter 5- Fingierte Briefe – Frommigkeit undFalschung – Realienfalschungen (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 33/V)Hannover 1988, 723-752, z. B.. in Ypern sind im 14. Jahrhundert pro Jahr durch-schnittlich 40.000 Siegel hergestellt worden.

54 L. C. NIELSEN, Omgärd. The Viking Age Water-Mill Complex. A provisionalreport an the 1986 excavation. Acta Archaeologica 57/1986 (1987) 177-210.

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ben, erbaut im 13. Jahrhundert55 . In der zweiten Hälfte des 14. Jahr-hunderts wurden wegen des feuchten Untergrunds mehrere Fußbo-denlagen aus Fliesen und Ton und vor allem eine Schicht aus fast1000 Tongefäßen eingebaut, die mit der Öffnung nach unten weisendeine ausgezeichnete Isolierung bewirken. In zahlreichen weiteren nie-dersächsischen Städten (Peine, Hildesheim, Hameln) ist diese Tech-nik nachgewiesen und war im späten 14. Jahrhundert anscheinendallen Bauleuten bekannt.

(c) Die Ausbreitung des städtischen Steinhauses mit Kemenatezwischen 1100 und 1200, der Steinbau um und bald nach 1100 unddie Kemenate vor 1200 ist aus Mangel an einer präzisen Datierungnoch nicht als Wanderung einer Innovation zu fassen, sondern sieerscheint „gleichzeitig" vom Alpenrand bis zur Nord- und Ostseekü-ste. Die Vorstellung vom feuersicheren, beheizbaren Wohn- und Spei-cherbau breitet sich so schnell aus, weil Kaufleute den Stil ihrer Han-delsgeschäfte ändern, weniger selber reisen, sondern Kontore undSpeicher brauchen. Aber ihre grundsätzlich weiterhin vorhandeneMobilität fördert die Ausbreitung von Neuerungen dieser Art. InLübeck ist – wegen des Steinmangels und vor Einführung des Ziegel-steins – eine andere Lösung gewählt worden, nämlich die domus ausHolz und, mit einem Kachelofen ausgestattet, als mehrstöckigeKemenate mit mächtigem Holzfachwerk zu errichten 56 . In Lübecksind mehrere gleichartige Bauten, dendrochronologisch zwischen1185 und 1190 datiert, untersucht worden. J. TAUBER hat erläutert,daß der Kachelofen im 12. Jahrhundert zunehmend an Bedeutunggewann, Ofenkacheln seien um 1150 in Süddeutschland recht häufig(ihre Einführung liegt um, wenn nicht vor 1100), vor allem in Burgen,und die Übernahme in die Stadt setze vor 1200 ein 57 . G. FEHRINGvermutet jetzt, daß der Lübecker Kachelofen unmittelbar mit Erbau-ung des Hauses oder spätestens Anfang des 13. Jahrhunderts aufge-führt worden sei und nennt einige ähnlich datierte Parallelen aus demsüdlichen Niedersachsen. In Göttingen sind Becherkacheln für die

5 ' H. RÖTTING, Stadtarchaologie in Braunschweig. Hameln 1985, 100-108(Stadtgrabung 18).

'6 FEHRING (wie Anm. 14).'7 J. TAUBER, Herd, Ofen und Kamin. Zur Heizung im romanischen Haus, in

Zur Lebensweise in der Stadt um 1200 (wie Anm. 3) 93-110; DERS., Herd und Ofenim Mittelalter. Untersuchungen zur Kulturgeschichte am archäologischen Materialvornehmlich der Nordwestschweiz (9.-14. Jahrhundert) (Schweizer Beitrage zurKulturgeschichte und Archaologie des Mittelalters 7) Olten—Freiburg i. Br. 1980.

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Zeit um 1200 oder noch aus dem 12. Jahrhundert überliefert, aus demKloster Tom Roden bei Corvey für das 12./13. Jahrhundert, und ähn-liche Reste eines Becherkachelofens stammen aus der Wiprechtsburgbei Groitzsch/Sachsen aus einer Zeitspanne von der ersten Hälfte des12. bis zur ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Wahrscheinlich habensich der Steinbau in der Stadt, später die Kemenate und der Kachel-ofen ähnlich rasch ausgebreitet wie am Beispiel der öffentlichenUhren schon erläutert worden ist.

Kacheln für Öfen kann man im Gegensatz zu Mühlen oder Stein-häusern transportieren. Doch fügen sich die verschiedenen Kachelfor-men nach der Machart in die ortsübliche Tonware ein, werden alsonach entsprechenden Vorbildern in den benachbarten Töpfereien her-gestellt. Lager mit ineinandergesetzten Kacheln sind mehrfach auchin Handelshäusern im Materiallager nachgewiesen, so in der Stadtwü-stung von Walehusen bei Miltenberg Topfkacheln aus dem erstenDrittel des 13. Jahrhunderts, deren Herkunft aus einer benachbartenTöpferei „Kirschfurter Höfe" bei Miltenberg nachgewiesen werdenkann58.

(d) Für 1267 sind die theoretischen Überlegungen des Roger Baconüber die Verwendung geschliffener Gläser als Lesehilfe überliefert;aus Italien sind dann die Erfindung und die Konstruktion von Brillennoch für das Ende des 13. Jahrhunderts bezeugt, wie aus einerErwähnung des Dominikanermönchs Giordano da Rivolta aus Pisa inseinem Predigtmanuskript von 1305 zu erschließen ist. Die ersteRechnung über eine Brille ist in Italien aus dem Jahr 1316 überlie-fert, für 1320 wird die venezianische Brillenmacher-Gilde belegt, und1326 ist die Brille in England als Neuerung im Nachlaß des Bischofsvon Exeter genannt. Archäologische Funde sind aus dem KlosterWienhausen bei Celle bekannt, etwa 1330 datiert und zwischen bzw.unter den Bodenbrettern der Kirche entdeckt, und aus einer Kloakedes Freiburger Augustinerklosters, jünger als 1278, wahrscheinlichauch aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Wieder scheint die Aus-breitung dieser Innovation, nicht der Handel mit Gläsern oder

'8 B BECKMANN, Walehusen – Wallhausen, eine mittelalterliche Stadt aufrömischen Ruinen, in 750 Jahre Stadt Miltenberg 1237-1987. Miltenberg 1987, 75-100, hier 85 mit Abb. 15; L. WAMSER, In den Ruinen des Römerkastells Milten-berg-Altstadt Fränkischer Stützpunkt, staufische Turmburg, pfalzgräflich-wit-telsbachisches Oppidum, spätmittelalterlicher Herrensitz, in Das archaologischeJahr in Bayern 1989. Stuttgart 1990, 160-168.

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Gestellen aus Italien bis weit in den Norden, in wenigen Jahrenerfolgt zu sein59.

(e) Wie sehr die Bewertung von Innovationen für den allgemeinenGeschichtsablauf von der korrekten zeitlichen Einordnung abhängt,ergibt sich aus der Einschätzung des horizontalen oder Trittweb-stuhls für die Wirtschaftsgeschichte, mit dem man endlos lange Bah-nen weben konnte. Bisher mit dem Aufkommen der Zünfte und auchmit der Ausbreitung der Zisterzienser in das fortgeschrittene 13.Jahrhundert datiert, liegen jetzt neue archäologische Befunde vor,die eine andere Bewertung nahelegen. Der Gewichtswebstuhl ist zwarim 12./13. Jahrhundert immer noch in Gebrauch, um bestimmteGewebearten zu schaffen, und am bekanntesten sind die Langhäusermit Spuren derartiger Webstühle in der Pfalz Tilleda, die noch bisEnde des 12. Jahrhunderts in Gebrauch waren60 . Zu dieser Zeit sollteder Tritt- oder Flachwebstuhl erfunden worden sein. Doch habenarchäologische Funde von Webstuhlteilen und von Stoffrestengezeigt, daß dieser das Textilhandwerk revolutionär veränderndeWebstuhl schon wesentlich früher, in Haithabu z. B. im 10. Jahrhun-dert, verwendet wurde 61 und die Einführung nicht erst im 13. Jahr-hundert anzusetzen ist. Auch J. BAART setzt die Erfindung des Tritt-webstuhls ins 10. Jahrhundert und betont, daß „wie immer, wennwichtige materielle Veränderungen stattfinden. . ., sich nach diesenErfindungen auch die soziale Organisation der Textilproduktion"verändert62 . Im 11. und 12. Jahrhundert würden die häuslichenWeberinnen verschwinden, ihren Platz würden Weber einnehmen, die

59 H. STEUER, Mittelalterliche Nietbrillen aus Freiburg im Breisgau. Archaolo-gische Nachrichten aus Baden 34 (1985) 46-56; DERS., Mittelalterliche Brillenfutte-rale – ein Nachtrag. Ebd. 36 (1986) 47-48; D. FOY, Les lunettes. La verre au MoyenAge = Les Dossiers d' Archaologie 143 (1989) 52-53; DIES. - G. SENNEQUIER (ed.), Atravers le verre du Moyen Age d la renaissance. Rouen 1989, 337 f. Jüngere Draht-brillen • Die Hanse 2 (wie Anm. 23) 107; Vivre au Moyen Age. 30 ans d'arch4ologiemgdWvale en Alsace. Strasbourg 1990, 487.

6° H. ZIMMERMANN, Archäologische Befunde frühmittelalterlicher Webhäuser.Jahrbuch der Manner vom Morgenstern 61 (1982) 111-144; P. GRIMM, Beiträge zuHandel und Handwerk in der Vorburg der Pfalz Tilleda. Zeitschrift für Archaologie6 (1972) 104 ff.

61 H. ELSNER, Wikinger-Museum Haithabu. Schaufenster einer frühen Stadt.Neumünster o. J. (1989) 54; G. GRENANDER NYBERG, Eine Schaftrolle aus Hai-thabu als Teil eines Trittwebstuhls mit waagerecht gespannter Kette. Berichte uberdie Ausgrabungen in Haithabu 19 (1984) 145-150.

62 BAART 1988 (wie Anm. 10) 60.

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einfache Tuche weben, während der alte Gewichtswebstuhl vonFrauen zur Anfertigung schwieriger Motive gewählt wurde. DieseDatendiskrepanz zwischen Erfindung im 10. und Umorganisation desstädtischen Textilhandwerks im 13. Jahrhundert bringt nun einGegenbeispiel zu den raschen Ausbreitungen von Innovationen überKommunikation.

4. Verbreitung von Stilrichtungen oder Modeerscheinungen

Nur kurz kann auf die Ausbreitung von Stilmerkmalen oder Mode-erscheinungen eingegangen werden, die ohne Kommunikation überalle Berufsgrenzen hinweg nicht zu erklären ist. Es kann eine unbe-wußte Beeinflussung sein, die beispielsweise gotische Stilelemente ausdem Bereich der Kathedralen in alltägliches Gerät überführt. Da sinddie Schlüssel mit rhombischem Bart (13./14. Jahrhundert) (Abb. 12)63,die quadratischen gotischen Kacheln mit einschwingenden Seiten undsomit die Ecken betonend 64 – nicht nur die mit verkleinerten goti-schen Bauelementen, sondern schon die einfachen, vierkantigen Topf-kacheln zeigen das Stilelement –, die keramischen Vierpaßbecher oderdie schlanken spätgotischen Jacoba-Kannen aus Siegburger Stein-zeug (15. Jahrhundert) sowie die spitzen Schuhe, deren Reste ausarchäologischen Fundkomplexem inzwischen ebenso häufig sind, wiesie in bildlicher Überlieferung auf uns gekommen sind65.

Merkmale der Stilrichtungen haben sich mit dem Transport derGegenstände über weite Entfernungen, aber auch von der Stadt aufdas Land verbreitet. Das gleiche gilt schon für den romanischen Tier-stil an Altarleuchtern, Mörsern und Bronzegrapen bis hin zu denMesserscheidenbeschlägen. Hergestellt in verschiedenen Werkstätten,greifen sie den Zeitstil auf und verbreiten ihn über den Handel, über

63 Zum Beispiel Kranzkacheln mit rhombischen gotischen Schlüsselabdrücken,wohl vor 1300 • J. EWALD - J. TAUBER, Die Burgruine Scheidegg bei Gelterkinden(Schweizer Beitrage zur Kulturgeschichte und Archaologie des Mittelalters 2) Olten-Freiburg i. Br. 1975, 59 mit Anm. 1; TH. BITTERLI-WALDVOGEL, Grabungen undLesefunde auf der Ruine Wieladingen (Gem. Rickenbach, Kr. Waldshut, Baden-Württemberg) Nachrichten des Schweizerischen Burgenvereins 15/4 (1988) 82-87

64 Zum Beispiel Typentafeln zu diesen Kacheln in Vivre au Moyen Age (wieAnm. 59) 440 f. (erste Hälfte 15. Jahrhundert).

65 F. GREW - M. DE NEERGAARD, Shoes and Pattens. Medieval Finds from Exca-vations in London 2. London 1988; W. GROENMAN-VAN WAATERINGE - L. M. VELT,Schuhmoden im späten Mittelalter. Funde und Abbildungen. Zeitschrift furArchaologie des Mittelalters 3 (1975) 95-119.

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Abb. 12: Kranzkachel mit Abdruck gotischer Schlüssel mit rhombischem Griff.Nach EWALD - TAUBER (wie Anm. 63) 59.

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Reisen der Besitzer dieser Gegenstände und nicht zuletzt – wieerwähnt – über wandernde Handwerksgesellen.

Modeerscheinung, die übernommen wird, ist aber auch eine neueTischsitte, wenn man statt Tonbechern Gläser verwendet und wennTestamente von Gläsern sprechen, obwohl – weil gerade vorhanden –Metall- oder Tonbecher gemeint sind 66 . So ist es auch mit neuenHandwaschsitten, wenn man zwei gravierte Bronzeschalen oderAquamanile und Schale einführt.

Als zweckorientierte Modeerscheinungen sei einerseits auf dieTrippchen, gestelzte hölzerne Überschuhe, hingewiesen, die es erlaub-ten, über schlammige Straßen zu gehen, ohne die feinen gotischenSchuhe zu beschmutzen67 , andererseits auf die Daubenschälchen alsTrinkgefäße. Diese sind aus zahllosen Kloakenfunden von Nord- bisSüddeutschland bekannt 68 . Wieder zusammengesetzte Gefäße wirkenüberregional gleich, doch genaue Beobachtungen beweisen, daß dieProportionen der Gefäße und die Abmessungen der einzelnen Brett-chen zwischen Nord- und Süddeutschland durchaus verschieden sindund lokale Werkstatt-Traditionen spiegeln. Wie sehr diese Dauben-schälchen Mode waren, beweist die Umsetzung derartiger Trinkscha-len aus Holz in Silber. Der vor 1349 zu datierende Schatzfund vonLingenfeld, Kr. Germersheim, enthält ein derartiges Daubenschäl-chen, bei dem auch die umgewundenen Weidenruten zum Zusammen-halten der Dauben in Silber nachgeahmt sind, und außerdem aucheinen Nuppenbecher, der ein solches Glas in Silber umgesetzt hat.Aus Böhmen gibt es einen ganzen Satz derartiger silberner Dauben-becher, teils mit Imitation der Umwindung, datiert in die erste Hälftedes 14. Jahrhunderts69 . Der Wandel der Eß- und Tischsitten und zum

66 HASSE (wie Anm. 12) 17 en sulvern glas.

67 KRUEGER, Unscheinbar, doch aussagekräftig. Eine spätmittelalterlicheTrippe. Das Rheinische Landesmuseum Bonn 1990/1, 1-4, Stadt im Wandel (wieAnm. 13) 302, Farbabb. 240; Die Hanse 2 (wie Anm. 23) 517 (A. FALK), DERS.,Hausgeräte aus Holz, in: Aus dem Alltag (wie Anm. 17) 55-63; K. SCHIETZEL, BurgUda in Oedt (Schriften des Rheinischen Landesmuseums Bonn 4) Köln 1982, 52 f.,158 f. mit Taf. 67-68 (Fund und Bilddarstellungen).

68 P. SCHMIDT-THOME, Hölzernes Tischgeschirr des 13. Jahrhunderts, in: DasLeben in der Stadt um 1200 (wie Anm. 3) 129-158, hier 146 ff. (vor allem Funde ausFreiburg i. Br.); A. FALK, Holzgeräte und Holzgefäße des Mittelalters und der Neu-zeit aus Lübeck. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 11/1983 (1985) 31-48.

69 HASSE (wie Anm. 12) Abb. 8 (Becher aus Böhmen), Abb. 12 (LingenfelderSchatz); SCHMIDT-THOME (wie Anm. 68) 156 f.; STEUER, Spiegel (wie Anm. 23) 23,Abb. 40.

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Beispiel die Einführung der Gabel sind kein Thema für den Archäolo-gen, da ihm die Ausgrabungsfunde noch fehlen. Doch gerade gemein-same Mahlzeiten sind Kommunikation.

Ein spezieller Wirtschaftsbereich, nämlich der Bergbau, wird beigegenwärtig einsetzender intensivierter Forschung dazu beitragenkönnen, über größere Distanzen neben Objektwanderung und Inno-vationsübernahmen Kommunikation zu belegen, da Bergleute bei derErschließung neuer Reviere hingewandert oder dorthin gerufen wor-den sind. Im sprachlichen Bereich ist dies unmittelbar zu fassen. Dieältesten Bergrechte der Zeit um 1200 und aus dem frühen 13. Jahr-hundert, wie das aus Trient und das von Massa Marittima, enthaltenso viele spezielle deutsche Ausdrücke, daß die Herkunft der Bergleutedaran abgelesen werden kann70.

5. Lebensstil

Mit den neuen Tisch- und Waschsitten wird der Bereich Lebensstilund Lebensweise angesprochen, der sich – Alltag wird durch Kommu-nikation verändert – durch Vergleich und Auseinandersetzung mitanderen wandelt. Die Stadt ist als Zusammenfassung unterschiedli-cher sozialer Gruppen im hohen Mittelalter der neue Platz, wo diesgeschieht. Hier leben Handwerker und ranghöhere Kaufleute mitihren Familien, welche zu Patriziergeschlechtern werden, und diesewollen einen Lebensstil führen wie die – teilweise auch stadtsässigen –Adligen und Ritter. Wenn im Kölner Overstolzenhaus aus dem13. Jahrhundert, einem spätromanischen, repräsentativen Steinge-bäude, die Patrizierfamilie ritterliche Turnierszenen an die Wandmalen läßt, wenn die wohl auf Köln zu beziehende Dichtung „Dergute Gerhard" des Rudolf von Ems beschreibt, daß die Patrizier gernwie Ritter Turniere abhalten wollen, dann wird diese Übertragungvon Lebensstil greifbar 71 . Wenn in profanen bürgerlichen Gebäuden

7° R. WILLECKE, Art. „Bergrecht", in Lexikon des Mittelalters 1. München–Zürich 1980, Sp. 1957 f.; DERS., Das Bergrecht von Massa Marittima (1225-1335)und seine Abstammung vom ältesten deutschen Bergrecht. Der Anschnitt 31 (1979)124-132; D. HÄGERMANN - K.-H. LUDWIG, Europaisches Montanwesen im Hochmit-telalter. Das Trienter Bergrecht 1185-1214. Köln–Wien 1986.

71 H. STEUER, Zur Erforschung des Alltagslebens im mittelalterlichen Köln, in.Koln. Die Romanischen Kirchen. Von den Anfangen bis zum Zweiten Weltkrieg (Stadt-spuren 1) Köln 1984, 79-109; TH. ZOTZ, Städtisches Rittertum und Bürgertum inKöln um 1200, in • Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. FS J. Flek-kenstein. Sigmaringen 1984, 609-638.

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die Fußbodenfliesen Ritterdarstellungen bringen oder — wie in Min-den — gar Falkenreiter 72 , dann wird diese Vorbildwirkung ebenso faß-bar wie in den Aquamanilien in Rittergestalt oder in den tönernenkleinen Spielzeugreitern mit Schwert, die sich im stadtbürgerlichenMilieu finden73.

6. Schriftlichkeit

Sprache und Schrift sind Grundelemente für Kommunikation,eigentlich kein Feld der Archäologie. Aber es gibt eine Reihe vonFundgegenständen, die Schrift transportieren und damit überObjektwanderung Kommunikation beschreiben. Auf die Griffel binich anfänglich schon eingegangen, deren Fundstellen angeben, woSchriftkundige lebten und wie Schriftlichkeit sich im 12. Jahrhundertausgeweitet hat, vor allem — für Kaufleute und in erster Linie für ihreFrauen zu erwarten, die die Kontobücher führten — in der Stadt, aberauch auf der Burg, wo wirtschaftliche Abrechnungen erfolgen muß-ten74 . Hölzerne Wachstäfelchen haben die Mitteilungen aufgenom-men und transportiert75 . Erinnert sei auch an die zahlreichen Runen-funde auf hölzernen Gegenständen aus der Hansestadt Bergen inNorwegen, die für das ganze Mittelalter nachgewiesen sind und nebenGeschäftsbriefen auch lateinische Dichtung von Vergil bis zu den„Carmina burana" vermittelt haben 76 , oder an die Birkenrindentexteaus dem Raum von Nowgorod77 . Da sind aber auch die ebenfalls

72 E. LANDGRAF, Mittelalterliche Bodenfliesen, in. Ausgrabungen in Minden.Burgerliche Stadtkultur des Mittelalters und der Neuzeit. Münster 1987, 65-74, hier71; vgl. auch STEUER (wie Anm. *) Anm. 49.

73 Ritteraquamanile: FALKE - MEYER (wie Anm. 13); 0. V. FALKE, Reiter-Aquamanilien. Pantheon 1 (1928); Stadt im Wandel 2 (wie Anm. 13) 855 ff.; Die Zeitder Staufer 1. Stuttgart 1977, 275, Nr. 394-395; Spielzeugreiter . R. NEU-Kocx (wieAnm. 50).

74 Vgl. Anm. 23 und STEUER (wie Anm. *) Anm. 65.75 A. v. D. BRINCKEN, Stilübungen. Ein „aufregender Schriftfund" aus dem

mittelalterlichen Köln. Kölner Römer-Illustrierte 2 (1975) 270-272 (politischer Briefdes 14. Jahrhunderts auf einem Wachstafel-Buch); Vivre au Moyen Age (wie Anm.59) 490, Nr. 4.77 (Wachstäfelchen mit hebräischen Inschriften).

76 A. LIESTOL, Runeninschriften von der Bryggen in Bergen (Norwegen). Zeit-schrift für Archäologie des Mittelalters 1 (1973) 129-139; mehrere Beiträge in: TheBryggen Papers, Supplementary Series 2. Oslo 1988.

77 B. A. RYBAKOV, Die Kultur des mittelalterlichen Nowgorod, in: J. HERR-MANN (Hrsg.), Wikinger und Slawen. Zur Frühgeschichte der Ostseevölker. Berlin1982, 240-262.

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schon vorgestellten romanischen gravierten Bronzeschalen, in dieneben den geistlichen und profanen Bildern durchaus längere Texteeingeritzt worden sind, die gelesen werden sollten und damit ganzeGedankenkomplexe verbreiteten. Die Handwerker haben die Schriftgekannt, denn Verschreibungen – wie das früher bei Schwert- oderMünzinschriften zu beobachten war – gibt es nicht, was für Kloster-werkstätten – eben auch wegen des Inhalts der Bilder – sprechenkönnte. Inschriften tragen auch die Emailglasbecher, nicht nur dieHerstellernamen mit dem Zusatz me fecit, sondern auch andere Mit-teilungen. Inschriften auf Schwertern des hohen und späten Mittel-alters bestehen nicht nur aus Qualitätsmarken oder christlichenZeichen, sondern bringen längere Texte und sind somit „Ideologie"-Träger78 . Pilgerzeichen aus Blei und Zinn mit ihren oft recht differen-zierten Bildinhalten verbreiten nicht nur Abbilder von Heiligen, son-dern (fast wie Postkarten) Kirchen- und Stadtvorstellungen, aberauch geschriebene Heiligennamen und Bibelzitate.

Weder die Inschriften auf den Schalen noch die auf den Gläsernoder auf den Pilgerzeichen sind bisher dahingehend betrachtet oderausgewertet worden, weshalb es bei diesen Andeutungen bleibenmuß.

IV. SCHLUSSBEMERKUNG

Ganze Kategorien habe ich nicht angesprochen, so den Bereich„Reiten und Fahren" zu Lande oder die Schiffe als Transportmittelund damit als Träger von Kommunikation, ebensowenig die Münzen,die mit ihren Inschriften Zeit und Ort der Prägung und die über denFundort ihren Ausbreitungsweg über den Handel als Kommunika-tion markieren. Kommunikation darf aber auch vom Archäologennicht nur als Objektwanderung beschrieben werden, und er darf sichnicht auf die Interpretation von Verbreitungskarten beschränken.Neben den vordergründigen Deutungsmustern müssen die angespro-chenen vielschichtigen Wege der Kommunikation berücksichtigt wer-

78 M. GLOSEK - J KAJZER, Zu den mittelalterlichen Schwertern der Benedic-tus-Gruppe. Zeitschrift fur Waffen- und Kostümkunde 19 (1977) 117-128, G.JACOB-FRIESEN, Ein hochmittelalterliches Schwert mit Inschriften aus dem Teu-felsmoor (Fuhrer zu vor- und fruhgeschichtlichen Denkmalern 31) Mainz 1976, 162-165; M. MÜLLER-WILLE, Krieger und Reiter im Spiegel früh- und hochmittelalter-licher Funde Schleswig-Holsteins. Offa 34 (1977) 40-74, hier 53 mit Anm. 51.

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den, wenn man die Ausbreitung von Gleichartigem, seien es Gegen-standsformen oder damit verbundene Lebensweisen, verstehen will.

Die Mittelalterarchäologie steht diesbezüglich noch ganz amAnfang. Noch erlaubt unser Material selten, überhaupt erst einmaldie Werkstätten und damit den Herkunftsort zu lokalisieren. Werk-stätten für Hanseschalen oder für Bronzegrapen werden bis heuteüber die bekannte Schriftüberlieferung erschlossen und auf diearchäologische Fundsituation übertragen 79. Wieviel städtischeHandwerksplätze und verschiedenartige Werkstätten aber bisherschon ausgegraben sind, geht aus dem umfangreichen Katalog her-vor, den W. JANSSEN zusammengestellt hat80 . Glockengußwerkplätzesind in größerer Anzahl entdeckt und ausgegraben worden 81 ; aberzum Thema Kommunikation helfen sie nicht viel weiter, da sie iminteressierenden Zeitraum an Ort und Stelle in oder vor der Kirchegebaut wurden, wo die Glocke aufgehängt werden sollte. Aber es gibtinzwischen auch Hunderte von Gußformen aus Mittelaltergrabungen,die vom Pilgerzeichen bis zu allen möglichen TrachtbestandteilenMetallgegenstände erzeugt haben, deren Besonderheiten registriertund deren Verbreitung dann erforscht werden können. Wie schongesagt, für die Bronzezeit gibt es Katalogbände zu allen Gegenstands-typen, nicht nur, aber auch zu den Gußformfunden in Europa, für dasMittelalter hat man mit der Sammlung noch gar nicht begonnen.

Objektwanderung als Kommunikationsabbild zwischen Stadt undLand, zwischen Zentrum und einer größeren Landschaft oder garüber ganz Europa hinweg erfordert die Analyse dieser archäologi-schen Quellen auf ganz verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen, öff-net aber einen neuen Zugang über den sonst oftmals nur als Abfallgewerteten archäologischen Quellenstoff; und dieser Quellenstoffsollte neben Schrift- und Bildquellen gleichberechtigt zur Erhellungvergangener Wirklichkeit beitragen.

79 Vgl. aber Anm. 16 mit Bronzegießerei in Lübeck.8° W. JANSSEN, Handwerksbetriebe und Werkstätten in der Stadt um 1200, in:

Zur Lebensweise in der Stadt um 1200 (wie Anm. 3) 301-378.81 Zum Beispiel J. ZEUNE, Zwei Glockengußanlagen vom Bamberger Domberg,

in Das archäologische Jahr in Bayern (wie Anm. 58) 193-195.