HEKS-Magazin handeln, Nr. 324, Mai 2014

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handeln ›››››› DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ | Nr. 324 2 / Mai 2014

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Sie fragen sich, wie Themenschwerpunkte in HEKS-Projekten umgesetzt werden und wie die Arbeit praktisch aussieht? Es interessiert Sie, wie HEKS funktioniert und wer die Menschen dahinter sind? Das HEKS-Magazin «handeln» gibt Einblick in die vielfältige Arbeit des Hilfswerks und dessen Partnerorganisationen im In- und Ausland. Schwerpunkt in diesem Heft: Kampagne «Chancengleichheit zahlt sich aus»

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Welchen Job man macht,liegt auch an den

Chancen, die man erhält.www.gleiche-chancen.ch

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handeln››››››DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ | Nr. 324 2 / Mai 2014

4 INHALT

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IMPRESSUM Nr. 324, 2/Mai 2014handeln. Das Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz. Erscheint 4-mal jährlich. Auflage 52 000 Redaktionsleitung:Susanne Stahel Redaktion: Bettina Filacanavo, Corina Bosshard Fotoredaktion: Ruedi Lüscher Korrektorat: www.korr.ch Gestaltung: Herzog Design,Zürich Druck: Kyburz AG, Dielsdorf Papier: LEIPA ultraLux silk /Recycled /FSC Material Abonnement: Fr. 10.–/Jahr, wird jährlich einmal von Ihrer Spendeabgezogen Adresse: HEKS, Seminarstrasse 28, Postfach, 8042 Zürich, Telefon 044 360 88 00, Fax 044 360 88 01, E-Mail [email protected], Internetwww.heks.ch bzw. www.eper.ch HEKS-Spendenkonto: Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz, PC 80-1115-1

5 Editorial

6 Schwerpunkt in diesem Heft: HEKS-Kampagne«Chancengleichheit zahlt sich aus»

7 Einleitung ins Kampagnenthema

10 Zurück in den Arbeitsmarkt – zwei Porträts

14 10 goldene Tipps für Unternehmen

16 Stimmen aus der Praxis

18 Flüchtlingssonntag: Luz Marina Cantillon Romero aus Kolumbien möchte arbeiten

22 Philippinen: 1700 Häuser für die Taifunopfer

23 Friedensprojekte im Südkaukasus

26 Landkampf: Erfolg für HEKS und seine Partner in Indien

29 Transparent – warum das Projekt «schritt:weise» beendet wird

30 Haiti: Vier Jahre nach dem Erdbeben – HEKS zieht Bilanz

33 Patenschaft für Kleinbauernfamilien

34 Moldawien: Den Lebensabend in Würde verbringen

35 10 Fragen an Lhakpa Kyang aus Tibet

36 Der Zeitzeuge

38 Vorschau Benefizkonzert

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EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber LeserWie jedes Jahr wird auch im kommenden Juni anlässlich der nationalen Flüchtlingstage das Schicksal von

Flüchtlingen in Erinnerung gerufen und an unsere humanitäre Pflicht, ihnen beizustehen, erinnert. Ge-

meinsam mit Flüchtlingen werden in über 200 Städten und Gemeinden in der Schweiz Anlässe wie Be-

gegnungstage, Podiumsgespräche, Gottesdienste, Kaffeestuben, Picknicks, Filmnächte, Lesungen,

Marktstände oder Open-Air-Konzerte organisiert. Tausende von Menschen beteiligen sich jedes Jahr an

diesen Aktivitäten und legen damit eindrücklich Zeugnis ab von ihrer Solidarität mit Menschen auf der

Flucht. Das stimmt mich hoffnungsvoll und zuversichtlich.

Fast überall, wo eine Unterkunft für Asylsuchende geplant wird, regt sich in unserem Lande aber auch

Widerstand. Manchmal moderat, manchmal ausserordentlich heftig. Menschen, die bei uns Schutz suchen,

werden dann rasch einmal pauschal als Wirtschaftsflüchtlinge, Kriminaltouristen oder Wohlstandsschma-

rotzer abqualifiziert. In der politischen Debatte und der medialen Berichterstattung werden Asylsuchende

nicht selten als Bedrohung für die Schweiz dargestellt. Und im Vorfeld von Abstimmungen über die Asyl-

gesetzgebung scheint mir oft deutlich mehr von Abschreckung oder Ver-

hinderung von Missbrauch als von humanitärer Verpflichtung oder von

Menschen in Not die Rede zu sein. Das bedrückt mich, macht mich manch-

mal auch wütend.

Unseren statutarischen Auftrag, Flüchtlingshilfe zu leisten, erfüllen wir

mittendrin in diesem Spannungsfeld. Wir begleiten Asylsuchende in den

Anhörungen durch die Behörden und bieten ihnen juristische Beratung oder Unterstützung an. Wenn wir

feststellen, dass ein Verfahren nicht korrekt ablief oder dass wesentliche Tatsachen nicht berücksichtigt

wurden, übernehmen wir die Rechtsvertretung bei der nächsthöheren Instanz. Das kann, wie im Februar

dieses Jahres, auch einmal so weit gehen, dass wir Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Men-

schenrechte in Strassburg einreichen. Dass diese Beschwerde von der grossen Kammer des Gerichtshofs be-

handelt wird, ist ein deutliches Zeichen für die Bedeutung, welche dem Fall beigemessen wird. Für mich ist

dies auch eine Bestätigung für die hohe Qualität unserer juristischen Arbeit.

Schliesslich ist es uns auch ein Anliegen, mit sachlichen Argumenten in der öffentlichen Debatte prä-

sent zu sein. So erinnern wir etwa daran, dass in der Regel nicht mehr als die Hälfte der Gesuchstellerin-

nen und Gesuchsteller – vorläufig oder definitiv – in der Schweiz bleiben dürfen und dass zum Beispiel der

Libanon allein 2,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat, während in der Schweiz im vergan-

genen Jahr insgesamt gerade einmal rund 20 000 Asylanträge gestellt worden sind. Verlieren wir also nicht

das Augenmass, den Blick fürs Ganze und setzen wir der Polemik nüchterne Zahlen und Fakten entgegen.

Es würde mich freuen, wenn Sie die Zeit fänden, sich an einem der zahlreichen Anlässe zu den Flücht-

lingstagen ein persönliches Bild davon zu machen, was es heisst, auf der Flucht zu sein (Veranstaltungen

unter www.heks.ch/handeln). Und ich danke Ihnen ganz herzlich dafür, dass Sie uns auch in der wichtigen

Arbeit für verfolgte Menschen unterstützen.

Ueli Locher, Direktor

Welchen Job man macht, liegt auch an den Chancen, die man erhält.www.gleiche-chancen.ch

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Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt bedeutet, dass Faktoren wieetwa das Geschlecht, die Herkunft oder das Alter eines Menschen seineChancen auf eine Arbeitsstelle und seinen beruflichen Werdegang nichtbeeinträchtigen, sondern dass allein seine tatsächlichen Fähigkeiten, seinTalent, seine Leistungen ausschlaggebend sind.

Wenn eine 53-jährige Bürofachfrau unzählige Bewerbungenschreibt und aufgrund ihres Alters immer nur Absagen erhält, wenn einjunger Tamile keine Arbeit finden kann, obwohl er in der Schweiz aufge-wachsen ist und einwandfrei Deutsch spricht, wenn eine in die Schweizgeflüchtete Kolumbianerin hier um die Anerkennung ihrer 20-jährigenBerufserfahrung als Geschichtslehrerin kämpfen muss, dann bestehtHandlungsbedarf.

Dies sind nur drei Beispiele von Menschen, denen HEKS in seinenArbeitsintegrationsprogrammen täglich begegnet. In der Kampagne«Chancengleichheit zahlt sich aus» weist HEKS daher auf diesen Hand-lungsbedarf hin und macht den chancengleichen Zugang zum Arbeits-markt zum Thema.

Unterstützt wird HEKS dabei vom Schweizerischen Arbeitgeber-verband (SAV). Denn HEKS und SAV sind sich einig: Die Förderungvon Chancengleichheit in der Arbeitswelt ist keine lästige Pflichtaufgabe,sondern ein echter Gewinn für die Wirtschaft. Unternehmen, die die Ta-lente und Fähigkeiten aller Menschen erkennen und einbinden, nutzenauf dem Arbeitsmarkt vorhandenes Potenzial optimal.

Oder eben anders gesagt: Chancengleichheit zahlt sich aus!

8 CHANCENGLEICHHEIT ZAHLT SICH AUS

WIR ALLE BED IENEN UNS GEWISSER B I LDER undDenkmuster, um Menschen zu charakterisie-ren und einzuordnen. Diese sind einerseits

gesellschaftlich, andererseits durch individuelle Erfah-rungen geprägt. Bestimmten Merkmalen wie etwa demGeschlecht, dem Alter oder der Nationalität werdendabei unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben:Frauen gelten als konsensorientiert, Männer als wett-bewerbsorientiert. Älteren Menschen wird nachgesagt,sie seien nicht flexibel. Jugendliche mit einem schlech-ten Schulabschluss werden als nicht leistungsorientierteingestuft, ausländische Arbeitnehmende oft automa-tisch mit schlechten Deutschkenntnissen und niedrigenQualifikationen in Verbindung gebracht.

Diese Aussagen sind nicht zwingend falsch, jedochin der Regel einseitig und vereinfachend. Solch stereo-types Denken beeinflusst nicht nur unsere Haltung alsPrivatpersonen, sondern auch als Vorgesetzte, Perso-nalverantwortliche, Geschäftsführende oder Arbeitskol-legen im beruflichen Umfeld.

Dies kann etwa bei der Personalrekrutierung zurFolge haben, dass ältere Stellensuchende erst gar nichtzu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden,weil sie als weniger lernfähig eingeschätzt werden. Oderbei Personalförderentscheiden Frauen nicht für Füh-rungsaufgaben vorgeschlagen werden, weil sie ver-meintlich zu wenig wettbewerbsorientiert sind. Es istausserdem nachgewiesen, dass bei Personalentscheiden

meist unbewusst Personen bevorzugt werden, dieeinem ähnlich und dadurch vertrauter sind, was sowohlbei der Personalauswahl wie auch bei der Personalför-derung zu Ungleichbehandlung und Diskriminierungführen kann.

Verschiedene Studien und Arbeitsmarktstatistikenbelegen – und HEKS macht auch in seiner Projektarbeitim Bereich der Arbeitsmarktintegration die Erfahrung –,dass gewisse Personengruppen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Dies sind etwa er-werbslose Menschen über 50, die es schwer haben, denWiedereinstieg ins Arbeitsleben zu finden. Es sind Ju-gendliche, die aufgrund eines schlechten Schulab-schlusses oder aufgrund ihres Migrationshintergrundesden Einstieg in die Berufsbildung oder ins Erwerbslebennicht schaffen. MigrantInnen mit ausländisch klingen-dem Namen haben nachweislich geringere Chancen beider Stellensuche. Auch niedrig qualifizierte Arbeitskräftewerden bei der Suche nach Arbeitsplätzen benachtei-ligt und oft durch Personen verdrängt, deren formaleQualifikationen höher sind. Gleichzeitig finden hoch-qualifizierte MigrantInnen, insbesondere aus Drittstaa-ten, den Einstieg ins Erwerbsleben nur schwer, wenn sienicht einen beruflichen Abstieg in Kauf nehmen wollen.

Gemeinsam Talente suchenIn allen Arbeitsintegrationsprojekten von HEKS wird derBlick auf die individuellen Ressourcen der Stellensu-

Chancengleichheit heisst Pote Vorurteile verstellen oft den Blick auf vorhandene Qualifikationen, Talente und Potenziale – mit der Fo sam mit Unternehmen auf, dass sich eine vorurteilsfreie, auf Chancengleichheit ausgerichtete Personalp VON NINA GILGEN (TEXT), ANNETTE BOUTELLIER (FOTOS)

Nur jede fünfte Person, die nach dem 55. Lebensjahr den Job verliert, findet wieder den Einstieg ins Arbeitsleben.

Jede dritte Migrantin aus einem Staat ausser die sie hier verrichtet, überqualifiziert.

chenden gerichtet. Sie werden dabei unterstützt, sichihrer Fähigkeiten, Stärken und Potenziale bewusst zuwerden, diese weiterzuentwickeln und besser zu nut-zen. Doch immer wieder hat HEKS feststellen müssen:Das allein reicht nicht. Wenn die Stellensuchenden keineChancen erhalten, ihre Fähigkeiten und ihr Engagementin der Arbeitswelt unter Beweis zu stellen, dann kannauch die Stärkung ihrer Ressourcen und Kompetenzennur bedingt Erfolg haben.

Um die Talente dieser benachteiligten Gruppen bes-ser in den Arbeitsmarkt einzubinden, hat HEKS im Rah-men seiner Projektarbeit, aber auch der Kampagne«Chancengleichheit zahlt sich aus» die Kontaktpflegeund Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Ar-beitgebenden verstärkt. HEKS stellt dabei fest: Es gibtbereits Unternehmen, die sich in ihrem Betrieb für mehrChancengleichheit engagieren und vermehrt auf Ar-beitskräfte setzen, die sie bisher nicht im Blick hatten.Und sie machen damit gute Erfahrungen.

Vorurteile entkräften – Vielfalt gewinnen So zeigen die Erfahrungen dieser Unternehmen etwa,dass – entgegen den gängigen Vorurteilen – Jugendli-che mit schlechter Schulkarriere in der Berufsausbildungsehr gute Leistungen bringen können und Lernende mitMigrationshintergrund in ihrem Betrieb im Schnitt gardie erfolgreicheren Lehrlinge sind. Dass niedrig Qualifi-zierte oft ein hohes Engagement zeigen, wenn sie im

Unternehmen die Möglichkeit erhalten, sich weiter zuqualifizieren. Dass ältere Mitarbeitende oft ausgegli-chener sind, besser mit kritischen Situationen umgehenkönnen und zudem wertvolles Wissen haben, das sie anjüngere Mitarbeitende weitergeben können. Oder dassviele MigrantInnen sich auf neue Situationen flexibeleinstellen können und ihre interkulturellen Kompeten-zen in unterschiedlichen Bereichen von Nutzen sind.

Wenn es einem Unternehmen also gelingt, Ältereso gut in den Betrieb zu integrieren wie Jüngere, Frauenso gut wie Männer oder Menschen mit Migrationshin-tergrund so gut wie Menschen ohne, dann profitierendavon nicht nur die Menschen, die eine faire Chance er-halten, ihre Fähigkeiten und ihr Engagement unter Be-weis zu stellen. Auch für die Unternehmen ist eine aufChancengleichheit ausgerichtete Unternehmenspolitikein Gewinn: Sie lernen, die wachsende Vielfalt ihrer Mit-arbeitenden bewusst für den wirtschaftlichen Erfolg ein-zusetzen, sie bereiten sich aktiv auf den demografischenWandel vor und verbessern ihre Chancen, im sich ver-schärfenden Wettbewerb um Nachwuchs und Fach-kräfte zu bestehen.

>> Lesen Sie auf den folgenden Seiten, wie HEKS sichfür mehr Chancengleichheit in der Schweizer Arbeits-welt einsetzt: einerseits in seiner Projektarbeit, ande-rerseits im Rahmen der Kampagne «Chancengleichheitzahlt sich aus».

nziale erkennen und nutzen lge, dass bestimmte Gruppen im Zugang zur Arbeitswelt benachteiligt sind. HEKS zeigt gemein-olitik lohnt.

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halb der EU ist für die Arbeit, Jugendliche mit Migrationshintergrund müssen fünfmal mehr Bewerbungen schreiben als Schweizer Jugendliche, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

10CHANCENGLEICHHEIT ZAHLT SICH AUS

FÜ N F Z E H N P E R S O N E N haben sich an diesemMontagmorgen in den Kursräumlichkeiten vonHEKS Stellennetz in Burgdorf eingefunden. Sie

könnten unterschiedlicher nicht sein: Männer undFrauen, Ältere und Jüngere, Schweizer und Men-schen mit Migrationshintergrund. Verbinden tut sievor allem eines: Sie sind auf der Suche nach Arbeit.

Das Arbeitsintegrationsprogramm HEKS Stel-lennetz wird im Auftrag der Arbeitsmarktbehördedes Kantons Bern (beco) durchgeführt und unter-stützt Stellensuchende aus den Regionen Oberaar-gau, Emmental und Berner Oberland auf drei Arten:Erstens wird ihnen ein individueller, sechsmonatigerArbeitseinsatz in einem Unternehmen vermittelt.Zweitens erarbeiten sie mit einem persönlichenCoach und Berater eine individuelle Bewerbungs-strategie. Und drittens findet einmal pro Woche,parallel zum Arbeitseinsatz, ebendieser Kurstagstatt.

«Belastend» statt «belastbar»Heute sind die Anwesenden in zwei Gruppen auf-geteilt: Einige besuchen gerade den Aufbaukurs,die anderen den darauf folgenden Vertiefungskurs.Alle haben den Grundlagenkurs bereits absolviert.Hier haben sie zusammen mit den Kursleitenden ihrBewerbungsdossier vervollständigt und à jour ge-

Zurück in den ArbeitsmarktEs gibt viele Gründe, weshalb Menschen ohne Arbeit sind – aber keinen Grund, sie mit diesem Problem alleinzulassen. HEKS Stellennetz unterstützt Arbeitsuchende auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt.VON CORINA BOSSHARD (TEXT) UND WALTER IMHOF (FOTOS)

Die Leute sehenmeinen Namen,aber erwartennicht jemanden,der hier aufge-wachsen ist undBerndeutschspricht. DerName ist haltder erste Ein-druck.

Satheesan Nadarajah

Gemeinsam mit Lorenzo Wirz, FachleiterBildung von HEKS Stellennetz, arbeitet Satheesan Nadarajahan seinen Bewerbungs-unterlagen.

11brikarbeiter, Servicehilfe. Seit November 2012 ist erarbeitslos. «Die Stellensuche war schon immeretwas schwierig für mich, schon die Lehrstellensu-che», sagt er. «Die Leute sehen meinen Namen,aber erwarten nicht jemanden, der hier aufge-wachsen ist und Berndeutsch spricht.» SatheesanNadarajah, ein passionierter Koch, träumt vom Wir-tepatent und vom eigenen Restaurant. HEKS Stel-lennetz hat ihm nun einen sechsmonatigen Einsatzin der Küche eines Alterszentrums vermitteln kön-nen, der ihm sehr gefällt – und bei der Stellensuchesicher helfen wird.

bracht, Bewerbungsgespräche geübt und am CVund Motivationsschreiben gefeilt. «Das hat mirwirklich viel gebracht», sagt Satheesan Nadarajah.Obwohl der junge Tamile in der Schweiz lebt, seit erneun ist, und einwandfreies Berndeutsch spricht, seier froh, wenn jemand jeweils seine Bewerbung re-digiere. So habe er in seinem Motivationsschreibenetwa immer geschrieben, er sei «belastend» statt«belastbar».

Der angelernte Autolackierer, der aus gesund-heitlichen Gründen nicht in diesem Beruf arbeitenkann, hat schon diverse Jobs gemacht: Gipser, Fa-

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Ein Pool von 500 Betrieben«Diese Arbeitseinsätze sind ein zentraler Teil desProgramms», erklärt «Stellennetz»-Programmleite-rin Michèle Pauli. «Die Teilnehmenden sammelnpraktische Erfahrungen, knüpfen wertvolle Kon-takte, erhalten ein Arbeitszeugnis.» «Stellennetz»hat Kontakte zu einem Pool von rund fünfhundertUnternehmen aufgebaut, die es für Arbeitseinsätzeangehen kann. «In der Regel finden wir für die Teil-nehmenden innerhalb von zwei bis vierzig Arbeits-tagen einen passenden Einsatzort. Uns ist vor allemwichtig, dass beide Seiten vom Einsatz profitieren:die Betriebe und die Stellensuchenden, die ihr Po-tenzial so gut wie möglich einbringen und weiter-entwickeln können sollen», so Pauli.

Während die Teilnehmenden im Aufbaukurs andiesem Morgen eine Standortbestimmung machen,sich anhand von Collagen mit dem bewussten Er-kennen der persönlichen Stärken und Fähigkeitenauseinandersetzen, bearbeitet die Kursgruppe imVertiefungskurs das Thema Work-Life-Balance: Wiekönnen wir unser Leben im Lot halten, wenn ein sozentraler Bereich wie die Arbeit wegfällt und allesaus dem Gleichgewicht zu bringen droht?

Jede Absage eine AblehnungAnnemarie Gerber weiss nur zu gut, wovon ge-sprochen wird. Die gelernte Verkäuferin mit Han-delsdiplom Bürofach verlor vor rund fünf Jahren, als48-Jährige, ihren Job als kaufmännische Angestellteund muss seither die Erfahrung machen, wieschwierig es ist, in ihrem Alter wieder eine Festan-stellung zu finden. «Mit fünfzig gehörst du zumalten Eisen. Auf meine Bewerbungen erhalte ichnur Absagen – und jede davon empfindet man alspersönliche Ablehnung.» Ja, es sei schwierig, moti-viert zu bleiben. Aber sie könne sich heute sagen: Esgibt im Leben noch anderes als Arbeit. «Wennmeine dreissig Jahre Berufserfahrung heute nichtsmehr gelten, dann kann ich nicht viel daran ändern.Ich habe gelernt, dass ich auch ohne Arbeit etwas

wert bin. Das ist ein wichtiger Schritt, zu demHEKS Stellennetz sicher beigetragen hat.»

Selbstsicherheit zurückgewinnenDie «Erfolgsquote» von «Stellennetz» – wenn mandarunter die durchschnittliche Zahl der Menschenversteht, die während oder nach dem Programmeine Festanstellung finden – beträgt im Schnittrund 30 bis 40 Prozent. Aber Michèle Pauli ist eswichtig, unter «Erfolg» mehr zu verstehen: «Oftkommen Menschen zu uns, die schon länger ar-beitslos sind, viele Absagen bekommen haben und

Es wäre schön,wenn die Un-ternehmen nichtnur auf die Abschlüsse unddas Alter des Bewerbers ach-ten, sondern aufden Menschen, der dahinter-steckt.

Annemarie Gerber

Seit rund fünf Jahren auf der Suche nach einerFestanstellung: Annemarie Gerber tauschtsich mit einer anderenKursteilnehmerin aus.

entsprechend in ihrem Selbstwert angeschlagensind. Es ist wichtig, diese Menschen aufzubauen,ihnen Selbstsicherheit zurückzugeben. Ein gesun-des Selbstwertgefühl, zusammen mit einem saube-ren Bewerbungsdossier und einem guten Zeugnisvom Arbeitseinsatz, kann die Chancen auf eine Anstellung definitiv verbessern. Ob es dann abertatsächlich klappt, ist stark vom Arbeitsmarkt ab-hängig.»

Ähnlich formuliert das auch Annemarie Gerber:«Der Arbeitseinsatz, den ich dank ‹Stellennetz› ma-chen kann, gibt mir Sicherheit zurück, zeigt mir,

dass ich sehr wohl noch arbeiten kann, und dass ichgerne arbeite», sagt sie. «Ich weiss: Ich gebe meinBestes. Am Ende gehört einfach auch eine PortionGlück dazu. Glück, dass mein Bewerbungsdossiereinmal in den Händen von jemandem landet, dernicht nur mein Alter sieht, sondern der meine Ar-beits- und Lebenserfahrung zu schätzen weiss.»

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10 goldene Tipps für Unternehmen

Wie fördert man Chancengleichheit auf dem Arbeits-markt? HEKS hat gemeinsam mit dem SchweizerischenArbeitgeberverband 10 Tipps erarbeitet, die Arbeitgebe-rInnen Anregungen und Beispiele geben, was sie in ihremBetrieb konkret für mehr Chancengleichheit tun können.Die 10 Tipps werden im Rahmen der Kampagne «Chan-cengleichheit zahlt sich aus» breit in der Schweizer Ar-beitswelt gestreut – helfen auch Sie mit!

VON CORINA BOSSHARD UND NINA GILGEN

Oft braucht es nicht viel, um etwas für mehr Chancengleichheit auf dem Ar-beitsmarkt zu tun – manchmal genügen schon ein paar wenige Worte. Bei Stel-lenausschreibungen etwa: Ein Stelleninserat sollte so neutral formuliert sein,dass es sich nur auf die Kompetenzen bezieht, die für die ausgeschriebene Stellewirklich relevant sind. Klingt selbstverständlich, doch der Teufel steckt im Detail:Oft sind sich ArbeitgeberInnen nicht bewusst, dass auch Formulierungen wie«Sie sind jung und dynamisch», oder «Ihre Muttersprache ist Deutsch» gewissePersonen – in diesem Fall «ältere» Menschen oder Menschen, die zwar Deutschsprechen, aber deren Erstsprache nicht Deutsch ist – ausschliessen. Dies kanndazu führen, dass sich BewerberInnen, welche die gewünschten Qualifikationenzwar mitbringen, nicht angesprochen fühlen und sich daher erst gar nicht mel-den.

Generell können bei der Personalrekrutierung – oft auch unbewusste – Vor-urteile dazu führen, dass bestimmte Menschen etwa wegen niedriger Schul-noten, des Alters oder eines ausländisch klingenden Namens erst gar nichteingeladen werden oder bereits am Bewerbungsgespräch scheitern. Dies, ob-wohl sie die für die Stelle erforderlichen Qualifikationen eigentlich mitbringenwürden. Daher weist HEKS darauf hin: Neben klassischen Bewerbungsge-sprächen gibt es eine Vielzahl von Alternativen, um wirklich geeignete Mitar-beitende zu finden. Praktische Eignungstests etwa, Probetage oder Schnup-perwochen geben den BewerberInnen mehr Zeit und die Möglichkeit, ihretatsächlichen Fähigkeiten und Talente unter Beweis zu stellen.

Ein weiterer Bereich, in welchem Chancengleichheit am Arbeitsplatz einezentrale Rolle spielt, ist die Förderung der Mitarbeitenden, etwa in Form vonWeiterbildungen. Unternehmen sollten darauf achten, dass die von ihnen an-gebotenen oder unterstützten Weiterbildungen unabhängig von Alter, Ge-schlecht, Qualifikation oder Herkunft vergeben werden. Genauso wichtig istes, den Mitarbeitenden flexible Arbeitsmodelle wie etwa Teilzeitarbeit, Jobsha-ring oder Home-Office anzubieten. Flexible Arbeitszeiten und -orte berücksich-tigen die individuellen Lebenslagen der Mitarbeitenden und ermöglichen esihnen, auch dann erwerbstätig zu bleiben, wenn sie mehr Zeit für die Kinder-betreuung, die Angehörigenpflege, die Genesung nach einer Krankheit oderdie Religionsausübung benötigen.

Auch lohnt es sich für Unternehmen, Personengruppen, die in ihrem Betriebunterrepräsentiert sind, gezielt zu rekrutieren und die Arbeitsteams bewusst zumischen. Denn eine Belegschaft, die sich durch eine grosse Bandbreite an Er-fahrung und Wissen auszeichnet, kann besser auf ebenso vielfältige Kunden-segmente und -wünsche eingehen und ist zudem innovativer: Schliesslichbetrachten Mitglieder eines gemischten Teams ein und dasselbe Problem meistaus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln und finden so oft verblüffend neueLösungsansätze.

Auf der Website www.gleiche-chancen.ch finden Sie alle 10 Tipps,illustriert mit vielen Bei-spielen und Stimmen ausder Unternehmenspraxis.Leiten Sie die 10 Tippsauch an Ihren Vorgesetztenoder Personalchef weiterund setzen Sie ein Zeichenfür mehr Chancengleich-heit in der Arbeitswelt – es lohnt sich!

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Stimmen aus der PraxisJeden der 10 Tipps für Chancengleichheit illustriert HEKS mit positiven Beispielen aus der Unternehm

VON CORINA BOSSHARD

Was haben der Austausch eines Ra-diators in einer Wohnung, die Dach-entwässerung eines Flugzeughangarsoder die Installation einer Komfort-lüftung gemeinsam? Sie alle gehörenzu den Kernkompetenzen der Hunzi-ker Partner AG. Dies wiederum be-legt, wie vielfältig die Tätigkeiten unddamit auch die Kundschaft des Un-ternehmens sind.

«Wer diese Vielfalt bedient, ver-steht seine Kunden und designt seineDienstleistungen danach. Dies ge-schieht am besten, wenn diese Viel-falt auch in der Unternehmungabgebildet ist», sagt Christian Hunzi-ker, der die Firma seit über dreissigJahren mit seinem Bruder und seitzehn Jahren mit aus der Unterneh-mung aufgestiegenen, neuen Mitbe-sitzern leitet. «Darum ist Diversity imUnternehmen keine ‹Nice to have›-Aktion, sondern eine strategischeEntscheidung für eine nachhaltige,erfolgreiche und zukunftsfähige Un-ternehmung.»

Mehrfach ausgezeichnetDies sind keine leeren Worte. DieHunziker Partner AG setzt die im Leit-bild formulierten Grundsätze derChancengleichheit und der individu-ellen Entwicklungsförderung sowiedas Versprechen, eine fortschrittlicheArbeitgeberin zu sein, im Arbeitsall-tag um. Davon zeugen auch diversePreise, die die Firma mit ihrem Enga-gement in den letzten Jahren im In-und Ausland gewonnen hat. 2000und 2001 erhielt das Unternehmenden ESPRIX, den Schweizer Preis fürBusiness Excellence; 2005 wurde esvon der Plattform für Familie undBeruf des Schweizerischen Arbeitge-berverbandes als familienfreundlichs-te Firma der Schweiz geadelt. Und2009 erhielt es vom deutschen Bun-desministerium für Wirtschaft undTechnologie das Label «ExzellenteWissensorganisation» für ihr «be-wusstes und integriertes Wissensma-nagement in allen Bereichen».

Weiterbildung als Schlüsselaufgabe«An einer kontinuierlichen Ausbil-dung der gesamten Belegschaft liegtuns viel», so Hunziker. Das firmen-eigene Ausbildungskonzept PIP, das«permanente Instruktions-Programm»,sieht jeden Freitag eine Unterrichts-einheit vor. PIP bedeutet Schulungvon Mitarbeitenden für Mitarbei-tende. Die behandelten Themen sindausgesprochen vielfältig: Sie reichenvon Informationen zu neuen techni-schen Verfahren über die Verbesserungvon Prozessen bis zu Diskussionen übergesunde Ernährung und Religion imAlltag. Dabei werden Präsentations-technik, interkultureller Austausch undgegenseitiges Lernen gefördert.

Pro Jahr und Mitarbeitenden wen-det die Hunziker Partner AG insge-samt 40 bis 50 Stunden für die Wei-terbildung der Belegschaft auf. KeineSelbstverständlichkeit für einen Be-trieb, der vor allem Gebäudetechnik-monteure beschäftigt – für Hunzikeraber eine Notwendigkeit: «40 Stun-den Schulung sind 90 Prozent wenigerFehler. Wir haben weniger Un- fälle,sind gesünder, gehen mit Kundenfreundlicher und professioneller um,sind leistungsfähiger – und weil wir sosind, wie wir sind, haben wir ein an-deres Image bei den Kunden. Das allesschlägt sich direkt in der Wirtschaft-lichkeit eines Unternehmens nieder.»

Hunziker Partner AGDie auf Gebäudetechnik spezialisierte Hunziker Partner AG in Winterthur fördert ihre Mitarbeitenden auf unterschiedlichsten Ebenen. CEO Christian Hunziker ist überzeugt: Das zahlt sich aus.

Firmensitz: Winterthur (ZH) / Tätigkeit: Gebäudetechnik / Mitarbeitende: ca. 70

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enspraxis. Zwei dieser Betriebe stellen sich hier vor.

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Aligro ist auf dem Vormarsch. InSchlieren hat der Grosshändler Ende2012 seine erste Filiale in derDeutschschweiz eröffnet – mittler-weile betreibt das Familienunterneh-men mit Sitz in Chavannes-Renensfünf grosse Abholmärkte. Nicht zu-letzt basiert dieser Erfolg auf denüber 600 Mitarbeitenden, welche dieFirma beschäftigt.

Denn wirtschaftlicher Erfolg istbei Aligro nicht alles, wie der HR-Ver-antwortliche François Burnier betont.«Wir sind uns der Rolle bewusst, diewir als Unternehmen spielen», sagter. «Falls möglich, versuchen wir denMenschen zu helfen, die Schwierig-keiten haben.» Das können jungeLeute sein, die auf der Suche nacheiner Lehrstelle sind, aber auch ältereMenschen, welchen der Wiederein-stieg ins Arbeitsleben schwerfällt. Umdie passenden Lernenden zu finden,setzt das Unternehmen auf einen Eignungstest von Multicheck, persön-liche Gespräche und Schnupperwo-

chen. Dass sich heute alles um Kom-petenzen und Abschlüsse dreht, emp-findet Burnier als schwierig für dieStellensuchenden. Man versuche des-halb, nur die wirklich notwendigenKompetenzen zu berücksichtigen.

Chance im AlterAligro stellt daher auch ältere Men-schen ein, die Mühe mit dem Wie-dereinstieg in die Arbeitswelt haben.So fand zum Beispiel die heute 50-jährige Rose-Marie Raemy-Favreeinen Job in der Filiale in Matran beiFribourg. Nachdem sie lange in derGastronomie gearbeitet hatte, hattesie Schwierigkeiten, eine neue An-stellung zu finden. «Ich wurde oft zuVorstellungsgesprächen eingeladen,aber jüngere Bewerber wurden mirvorgezogen», sagt sie. Daher konntesie es fast nicht glauben, als sie denAnruf von Aligro erhielt. Mit demneuen Arbeitgeber ist die Kassiererinsehr zufrieden – vor allem auch, weilihre Arbeit abwechslungsreich ist und

geschätzt wird. «Das Unternehmenwill, dass die Mitarbeitenden vielfäl-tig einsetzbar sind», sagt sie. So ar-beitet sie nicht nur an der Kasse,sondern auch in der Bar-Cafeteriaund macht manchmal Kundenbesu-che.

Fremdsprache als VorteilAuch Flüchtlinge hat das Unterneh-men angestellt – zudem arbeiten vieleMenschen mit Migrationshintergrundbeim Grosshändler. «Das ist schonetwas multikulti bei uns», sagt Bur-nier mit einem Lächeln. «Ich sehe dasaber auch klar als einen Vorteil,schliesslich haben wir auch ein sehrdurchmischtes Kundensegment.»Ausländische Kunden, die etwa einRestaurant führen, würden gerne voneinem Landsmann beraten. So schicktAligro zum Beispiel bewusst türkischeMitarbeitende zum Kundenbesuch intürkische Läden.

Wer bei Aligro arbeitet, nimmtregelmässig an Kursen zu den Wertender Firma teil. Letzthin ging es dabeium Respekt – gegenüber den Mitar-beitenden und den Kunden. «Uns istes wichtig, dass wir diese Werte nichtnur schriftlich festlegen, sondernauch leben», sagt Burnier.

Aligro Demaurex & Cie SABeim Familienunternehmen Aligro haben Menschen mit Migrationshintergund ebenso eine Chance auf eine Anstellung wie ältere Arbeitsuchende. Der HR-Verantwortliche François Burnier erklärt warum.Firmensitz: Hauptsitz in Chavannes-Renens (VD)Tätigkeit: Grossmarkt Gastronomie / Mitarbeitende: ca. 600

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einem Kloster, bis sie schliesslich Ant-wort von der Botschaft erhielt. DieSchweiz nahm Mutter und Sohn auf,beide beantragten schliesslich erfolg-reich Asyl. Das war vor zwei Jahren.Auch wenn Luz Marina die unfass-bare Gewalt noch längst nicht ver-daut hat, gehört sie zu denen, dienach vorn schauen.

In Kolumbien unterrichtete sie alsMittelstufenlehrerin seit 20 JahrenGeschichte und arbeitete parallel aneinem Forschungsauftrag der Univer-sität. Sie hatte eine sichere Stellungund war anerkannt. Daneben enga-gierte sie sich ehrenamtlich für denSchutz der Rechte von Müttern, dieOpfer bewaffneter Konflikte gewor-den waren. In diesem Zusammen-hang erhielt sie den Auftrag derpolitikwissenschaftlichen Fakultät, dieGeschichte von Menschen aufzu-schreiben, die in einem Bananen-anbaugebiet Opfer von Folter, Ver-schleppung, Tötung und sexuellerGewalt geworden waren. Allein indem Dorf, in dem sie arbeitete, zählte

man 823 Tote. «Durch diese Aufgabewar ich nützlich für die Gesellschaft,sie gab meinem Leben einen Sinn. Esging mir nie nur darum, meinen Le-bensunterhalt zu verdienen. Es warmir immer schon wichtig, mich einerSache mit ganzer Hingabe widmen zukönnen.»

Ich würde gerne arbeitenMit dem Erhalt der B-Bewilligungstellte sich für Luz Marina unmittelbardie Frage nach einer Arbeitsstelle.«Ich bin der Schweiz sehr dankbardafür, dass sie mir Unterkunft undVerpflegung bezahlt, aber ich möchtearbeiten, um nicht länger auf Hilfeangewiesen zu sein. Das ist für micheine Frage der Würde.» Die französi-sche Sprache macht es zusätzlichschwer. Als sie in die Schweiz kam,sprach sie kein einziges Wort Fran-zösisch. Motiviert und ausdauerndnimmt sie an verschiedenen Sprach-kursen teil, unter anderem an einemKurs der Association Découvrir, dersich an qualifizierte Frauen mit viel-

Die Flüchtlingstage rufen uns das schwere Schicksal vonFlüchtlingen in Erinnerung und unsere humanitäre Pflicht,ihnen zu helfen. Immer am dritten Wochenende im Juni wirdin über 200 Schweizer Städten und Gemeinden gemeinsammit den Flüchtlingen gefeiert. Im Fokus steht die soziale Inte-gration. Auch die 48-jährige Kolumbianerin Luz MarinaCantillon Romero, die vor zwei Jahren ihr Land verlassenmusste, kämpft um ihre Integration in der Schweiz und um dieAnerkennung ihrer 20-jährigen Erfahrung als Geschichtsleh-rerin und Menschenrechtsaktivistin. VON JOËLLE HERREN

Flüchtlingssonntag, 15. Juni 2014

«Hier bin ich nie-mand, solange ichkeine Arbeit habe.»

LUZ MARINA CANT ILLON ROMERO,die wie der Literaturnobelpreis-träger Gabriel García Márquez

aus dem kleinen kolumbianischen OrtAracataca stammt, musste von einemMoment auf den anderen aus ihremLand fliehen. Ihr Leben, das so garnichts mit den magischen Geschich-ten des Schriftstellers gemeinsam hat,geriet an jenem Tag ins Wanken, alssie den bewaffneten Männern ent-kam, die sie aus ihrem Haus ver-schleppen wollten. Durch dieHintertür floh sie ins Auto zu ihremSohn und kam nur knapp mit demLeben davon. Von einem Tag auf denanderen musste sie ihr Zuhause, ihreArbeit, ihre Familie und alles, was siesich bis dahin aufgebaut hatte, hinter sich lassen.

Asylantrag auf BotschaftSie bat die Schweizer Botschaft in Bo-gotá um Hilfe und versteckte sich –ohne auch nur ein Mal ihre Verwand-ten anrufen zu können sechs Monatelang mit ihrem 24-jährigen Sohn in

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fältigen Interessen wendet, die soihren Wortschatz stetig erweiternwollen. Das spornt sie an. Weil sienicht untätig sein will, arbeitet sie seit2012 30 Prozent im Jardin Robinson,einem Freizeitzentrum für Jugendli-che. «Auch wenn ich für diese Arbeitnicht bezahlt werde, ist sie für michgenau das Richtige, um Französischzu lernen, zumal in einem Bereich,der mir Spass macht und mir fürmeine berufliche Zukunft etwas brin-gen könnte», erklärt sie.

Anerkennung der BerufserfahrungIm September erfährt sie im Rahmeneiner Befragung vom HEKS-ProjektPonts emploi. Die Befragung widmetsich der Frage, was qualifizierteFlüchtlinge brauchen, damit ihreLernleistungen anerkannt werdenund sie einer Arbeit in der Schweiznachgehen können. Zusammen mitihrer Mentorin Stéphanie Voserspricht Luz Marina über ihre Kompe-tenzen, die in der Schweiz anerkannt

werden, aber auch über Qualifikatio-nen, die sie noch erwerben muss, umeine Arbeitsstelle zu finden, die ihremPotenzial entspricht. Sie kann wählenzwischen: Spanisch-Lehrerin oder So-zialberaterin bzw. Animatorin. Sté-phanie hilft Luz Marina, ausgehendvon der mitgebrachten Erfahrung,ihre berufliche Zukunft zu planen,speziell beim Erstellen des Lebens-laufs und dem Verfassen von Motiva-tionsschreiben. «Das ist für mich sehrwichtig, weil ich nicht weiss, was ichin der Schweiz beachten muss.» Auchein Gespräch mit der Abteilung zurValidierung von Bildungsleistungender Universität Genf ist bereits ge-plant. Dort wird man prüfen, ob LuzMarina für ein verkürztes Bachelor-Studium der Sozialarbeit zugelassenwerden kann. Je nach Voraussetzun-gen lässt sich das Studium von regu-lär drei Jahren auf zwei, vielleichtsogar auf ein Jahr reduzieren. «Ichwerde alles dafür tun, dass manmeine berufliche Erfahrung als er-brachte Lernleistung anerkennt.» Obsie nicht auch ein bisschen Angsthabe, mit 50 Jahren nochmal ein Studium aufzunehmen? «Im Gegen-teil, das wäre eine grosse Chance für mich. In Kolumbien hatte ich übrigens ein Master-Studium ange-fangen. Studieren ist Teil meiner Lehr-tätigkeit.»

Vorwärts schauenLuz Marina ist eine Kämpferin. Abersie macht sich nichts vor. «In Kolum-bien hatte ich einen sozialen Auftrag.Aber hier bin ich niemand, solangeich keine Arbeit habe.» Bevor LuzMarina bei «Ponts emploi» teilnahm,bekam sie wegen ihres «Arbeitsei-fers» viel Entmutigendes zu hören.Die Aussicht auf eine Arbeit, bei dersie ihr ganzes Wissen einbringenkann, freut sie sehr: «Zu arbeiten bedeutet für mich weniger, mir et-was kaufen zu können, sonderneinen Sinn im Leben zu haben undWürde!»

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FlüchtlingssonntagAm 15. Juni ist der Flüchtlingssonntag,an dem in vielen Kirchgemeinden in derganzen Schweiz Veranstaltungen zumThema stattfinden. HEKS stellt auch dieses Jahr eine breite Palette von Mate-rialien wie Plakate, Karten, Predigtbau-steinen u.a. zur Verfügung unter:

www.heks.ch/news-service/kampagnen/

«Ponts emploi» – das aktu-elle HEKS-Projekt in derWestschweizIm Auftrag des Bundesamtes für Migra-tion startete HEKS Ende 2012 ein Projektmit dem Ziel, das berufliche Potenzialvon Flüchtlingen und vorläufig aufge-nommenen Ausländern in den KantonenWaadt und Genf zu aktivieren. Betreutwerden 16 Personen. Es werden Strate-gien entwickelt, die die Suche nach einerpassenden Arbeitsstelle unterstützen.Dabei geht es insbesondere um die Aner-kennung von Berufserfahrung und imAusland erworbenen Abschlüssen sowieum die Aufnahme verkürzter Ausbildun-gen.

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22HUMANITÄRE HILFE

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DIE FAMIL I E C. WAR IN IHREM HAUS auf derInsel Panay, als der Taifun begann. Als derSturm das Haus wegfegte, flohen sie durch

umknickende Bäume und herumfliegende Kokos-nüsse zu ihrem Fischerboot und wollten damit flie-hen. Doch das Boot kenterte, und die ganzeFamilie, die Eltern Eddie und Gina sowie die vierKinder Je (19), Edwin (12), Gwen (3) und Enerie(1,5) fielen aus dem Boot. Die zwei jüngsten er-tranken. Die beiden älteren Kinder und der Vaterkonnten von Verwandten gerettet werden, die

Mutter wurde mit einem verletzten Fuss ans Landgeschwemmt. Die Leichen der beiden Kinder fan-den sie am nächsten Tag und konnten die Kleinenim öffentlichen Gemeindegrab beerdigen. Dies istnur eines der tragischen Unglücke, denn viele Fa-milien haben ihr Zuhause, Angehörige und die ge-samte Lebensgrundlage verloren.

Ein Haus in zwei TagenNach dem Sturm war die Not gross, es fehlte anallem. Zusammen mit seiner Partnerorganisation

1700 Häuser für die Taifunopf Die Philippinen sind am 8. November 2013 vom schwersten Taifun aller Zeiten heimgesucht worden. mittel verteilt hatte, konnte HEKS im Februar auf der Insel Panay mit dem Bau von neuen Häusern be

VON SUSANNE STAHEL (TEXT) UND BENI BASLER (FOTOS)

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Task Force Mapalad (TFM) verteilte HEKS in einer er-sten Phase Nahrungsmittlel an 2000 Familien. Seitdem 10. Februar sind HEKS und TFM in der ProvinzCapiz – ebenfalls auf der Insel Panay – dabei, Häu-ser zu bauen. Insgesamt werden bis im Sommer1700 neue Häuser entstehen und für 400 Häuserwird das Material für Reparaturen verteilt. Der Baueines Hauses dauert zwei Tage. Zuerst wird ausSturmholz der umgeknickten Kokospalmen dasGrundgerüst inklusive Dachstuhl gebaut. An-schliessend werden die Wände aus Bastmatten er-stellt und das Dach errichtet. Es besteht ausWellblech mit hohem Aluminiumanteil, damit esnicht rostet. Innerhalb von zwei Arbeitstagen ist dasHaus bezugsbereit. Neu hat nun HEKS gemeinsammit der Glückskette entschieden, dass die Häuserauch ein Fundament erhalten sollen, um dadurchnoch mehr Stabilität zu erreichen. Der Bau einesHauses mit Fundament dauert insgesamt drei Tage.

Ein Haus kostet zwischen 360 und 400 Fran-ken. Die Begünstigten bauen nebst ihrem eigenenein zweites Haus gratis mit auf, das ist ihr Beitrag.Ab dem dritten erhalten sie im Rahmen des «Cashfor work»-Programms von HEKS einen Lohn. Da-durch können die Begünstigten vorübergehend Ein-künfte erwirtschaften um zum Beispiel zerstörteFischerboote zu reparieren.

Zum Andenken an den traurigen Tag, an demsie ihre Kinder und ihr Zuhause verloren hatten,stellte die Familie C. die Überreste des Bootes in denGarten des neuen Hauses. Eddie arbeitet nun alsTaglöhner auf Krabbenfarmen, für ein neues Bootfehlt ihm das Geld. Gina arbeitet als Wäscherin, er-hält aber nur wenig Aufträge. Der 19-jährige Sohnarbeitet beim «Cash for work»-Programm vonHEKS mit und verdient so etwas dazu. Gina ist jetztwieder schwanger, darin liegt für sie «die Hoffnungauf neues Leben».

Spenden bitte auf das PC-Konto 80-1115-1

mit dem Vermerk «Taifun Asien»

er Nachdem HEKS in den Monaten November und Dezember Nahrungs- ginnen. Finanziell wird das Projekt von der Glückskette unterstützt.

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Bereits konnten 340 Häuser (Stand 20. März 2014) gebaut werden. 60 Häuser sind im Bau. Die Arbeitenlaufen in fünf Dörfern mit 45 Arbeits-gruppen.

FilmSehen Sie online einen Zeitraffer-Film, der in weniger als drei Minuten die Entstehung eines Gerüstes samt Dach zeigt. Eine festinstallierte Kamera hat einen Taglang alle 50 Sekunden ein Bild vomBau gemacht.

www.heks.ch/handeln.

24 KONFLIKTTRANSFORMATION

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Frieden vermehrenHEKS unterstützt im Südkaukasus Friedensprojekte, die zum Zielhaben, friedliches Verhalten zwischen Jugendlichen und jungen Er-wachsenen und Werte wie Toleranz und Respekt gegenüber anderenKulturen und Nationalitäten zu fördern.VON BETTINA FILACANAVO UND CHRISTINE SPIRIG (TEXT) UND WALTER IMHOF (FOTOS)

DI E R E G I O N S Ü D K A U K A S U S istseit Jahrzehnten Schauplatzvieler Konflikte, die zum gros-

sen Teil ungelöst geblieben sind undmehr oder weniger aktiv ausgetragenwerden. Besonders schwierig sind dieBeziehungen zwischen Armenien undAserbeidschan. Der bald 100-jährigeKonflikt um die Region Bergkarabachhat sich ins Nationalbewusstsein bei-der Völker eingebrannt und die ge-genseitigen Vorurteile verhärtet.

«Die jungen Menschen in Arme-nien und Aserbeidschan sind derSchlüssel zum Frieden», sagt zum Bei-spiel Karen Nazaryan, Direktor derHEKS-Partnerorganisation «ArmeniaRound Table Foundation» (ART). Ge-meinsam mit der aserbeidschanischenOrganisation Internews produziertART eigene Filme und führt diese anPodien in Armenien und Aserbei-dschan vor. Teilnehmende sind Ju-gendliche, die sich nach derFilmvorführung auch kritisch mit demThema auseinandersetzen. Das Pro-jekt hat zum Ziel, den Dialog und dieVersöhnung zwischen ArmenierInnenund AserbeidschanerInnen zu för-dern. In Armeniens Hauptstadt Ere-wan bilden rund zwanzig ehemaligePodiumsteilnehmende eine Kern-gruppe von FriedensaktivistInnen, dieden Dialog zwischen jungen Men-schen aus beiden Ländern fördernwollen.

Persönliche Begegnungen gegenVorurteileART organisiert die Jugendlichen ausArmenien, Internews diejenigen ausAserbeidschan, zum Beispiel für einTreffen auf neutralem Boden, in Ge-orgiens Hauptstadt Tbilissi. MariaAdaiman aus Armenien hat an einem

dieser Treffen teilgenommen, obwohlihr Familie und Freunde davon abge-raten hatten. «Bei uns glaubt man,dass die AserbeidschanerInnen unshassen und brutal sind», sagt sie. ZuHause erzählte sie dann von ihren po-sitiven Erfahrungen und Freundschaf-ten. «Ich will offen sein für meineneuen Freunde aus Aserbeidschan,den letztlich wollen wir alle das Gleiche: Frieden.» Auch HarutyunHayrepetian hatte vor dem TreffenBedenken. «Wir wussten ja von derpolitischen Propaganda gegen Arme-nien in Aserbeidschan», erzählt er.Doch nach anfänglichen Berührungs-ängsten schmolz das Eis. «Ich habetolle Leute kennengelernt, mit denenich immer noch in Kontakt bin per E-Mail und auf Facebook.»

Ferienlager in Georgien und ArmenienNeben diesen Filmpodien und Treffenin Tbilissi sollen auch Ferienlager dazubeitragen, die festgefahrenen undvon der älteren Generation übermit-telten Vorurteile zu beseitigen. DiePeace-Camps werden für armenische,georgische und aserbeidschanischeKinder (die in Georgien leben) jedenSommer in Georgien und Armeniendurchgeführt. Organisiert werden sievon den beiden HEKS-Partnerorgani-sationen Syunik aus Armenien undLazarus sowie der «Union of Azer-baijan Women of Georgia» ausGeorgien. Rund 120 Jugendliche ausbenachteiligten oder sozial schwa-chen Milieus und 20 junge Erwach-sene, die das Lager leiten, nehmenjährlich an den Lagern teil. Sie kom-men hauptsächlich aus ländlichen Re-gionen. Ziel der Camps ist es, dasSelbstvertrauen der Kinder zu stär-

ken, Vorurteile abzubauen undFreundschaften zwischen den Kin-dern zu fördern, die auch über dasCamp hinaus weiterbestehen. Für dieLagerteilnehmenden wurde eigenseine Facebook-Gruppe gegründet,die bereits über 300 Mitglieder zähltund aktiv genutzt wird.

In einer politisch sehr instabilenRegion, in der die Vorurteile zwischenden einzelnen Nachbarländern tiefverwurzelt sind, stellen diese Freund-schaften einen ersten Schritt auf demWeg in eine friedlichere Zukunft imSüdkaukasus dar. Dabei soll ein kul-tureller Austausch entstehen, eineSensibilisierung für die Konflikte statt-finden und ein Klima von Toleranzund Gemeinschaft entstehen. Fürviele Kinder ist es zudem die einzigeMöglichkeit, einmal Ferien ausserhalbihres Landes zu machen.

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Dass die Lager auch wirklich eineWirkung auf das Zusammenlebenhaben, zeigen Befragungen der Camp-teilnehmenden: Im Jahr 2012 zumBeispiel besuchten 105 Jugendlicheund 18 BetreuerInnen die Friedens-camps. Zu Beginn der Lager gabenpraktisch alle Jugendlichen an, Müheim Umgang mit anderen Ethnien in-nerhalb der Gruppe zu haben. Bereitsnach wenigen Tagen hatten sie ihre Meinungen geändert. Am Endewaren sich alle Teilnehmenden derschlechten Auswirkungen von Ste-reotypen bewusst und verwendetenkeine entsprechenden Ausdrückemehr. Fast drei Viertel der Kindergaben an, dass sie nunmehr andereethnische Gruppen schätzten, undüber die Hälfte wünschten sich gar eine multikulturelle Gesellschaft.Nicht nur die Jugendlichen selbst,

sondern auch ihr direktes Umfeld –Familie, Freunde – bekommen etwasmit auf den Weg. Somit wirken dieJugendlichen als MultiplikatorInnen,indem sie von ihren Erfahrungen er-zählen. Nune Nuredyans ist die Mut-ter eines Jugendlichen, der vor zweiJahren an einem Camp in Armenienteilgenommen hat. «Ich hatte Angst,mein Kind in ein Lager zu schicken,an dem auch aserbeidschanische Kin-der teilnahmen», gesteht sie. Aber ihrSohn hat sie aus dem Lager angeru-fen und gesagt, er sei im Paradies. Siehat gesehen, dass ihn das Erlebnisverändert hat. «Er hatte eine weltof-fenere Einstellung, er ist selbständiger

und sagt immer wieder, dass es egalsei, welche Nationalität ein Menschhabe.» Sie ist stolz, wie offen er seineMeinung sagt: «Wenn seine Freundeim Dorf etwas anderes denken vonden Aserbeidschanern, verteidigt erseinen neuen Standpunkt.»

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Jugendliche im Friedenscampin Borjomi (Georgien): Sie sind die Generation, dieetwas ändern kann.

26ENTWICKLUNG LÄNDLICHER GEMEINSCHAFTEN

Erfolg für HEKS und seine Part Über 8600 Hektaren Land konnten HEKS und seine Partnerorganisationen bei der siebten Landvertei für Landlose erstreiten.Die Regierung hat auf Druck geltendes Recht umgesetzt und an über 9500 Fam VON BETTINA FILACANAVO (TEXT), KARIN DESMAROWITZ (FOTOS)

IN ZUSAMMENARBE I T mit seinen Partnerorganisa-tionen, die sich seit Jahren gemeinsam im Land-rechtsforum «Andhra Pradesh Peoples’s Forum

for Land Right» (APFLR) für die Landrechte der ärmsten Bevölkerungsschichten einsetzen, konnteHEKS einen Grosserfolg verbuchen: Die Regierung,bei der APFLR seit Jahren gemeinsam mit den Land-losen lobbyiert, hat 9565 Familien Land zugespro-chen und ihnen Landtitel ausgestellt. Insgesamtkonnten so 8624 Hektaren Land für arme Bauern-familien zugänglich gemacht werden. Beim Landhandelt es sich um brachliegendes Gemeindeland,auf das Landlose in Indien Anspruch haben.

Ein Resultat, das nicht zuletzt auch mit demneuen HEKS-Kampagnenfilm «Naa Boomi» zu tunhat: Während der Dreharbeiten im Frühjahr 2013versicherte der amtierende Revenue Minister vorlaufender Kamera den HEKS-Mitarbeitenden ausder Schweiz und Indien, dem Gesetz Folge zu leis-ten und das Land bis Ende Jahr zu verteilen. (Film-szene: www.heks.ch/andhra-pradesh).

HEKS arbeitet seit 55 Jahren in Indien. Seit rundzehn Jahren ist der Landkampf für benachteiligteBevölkerungsgruppen ein Schwerpunkt, und seit-her hat HEKS rund 100 000 Hektaren Land fürLandlose erkämpft. Im Jahr 2003 gründete HEKS in

ner in Indienlung im indischen Gliedstaat Andhra Pradeshilien Landtitel verteilt.

«Gesellschaftlicher Status und wirtschaftli-che Entwicklung gehenHand in Hand mit denLandtiteln»

Die HEKS-Partnerorganisationen in Indien helfenLandlosen und Menschen ohne Landtitel durchdie administrativen Mühlen hindurch, bis sie gesi-cherten Zugang zu einem Stück Land erhalten.Wenn nötig werden auch Protestmärsche organi-siert, um Druck auf die zuständigen Stellen auszu-üben. Bettina Filacanavo sprach mit dem Leiterdes HEKS-Koordinationsbüros in Indien, GuntipilliChinnappa Siluvappan.

9500 Familien haben Land erhalten, das sie in Zukunft bearbeiten können. Wer sind diese Familien?

Von den Familien sind 59 Prozent Adivasi, alsoUreinwohner Indiens, 12 Prozent sind Dalits, die inIndien zu den sogenannten Unberührbaren gehö-ren, und 29 Prozent der Familien gehören zu denuntersten Kasten im indischen Kastensystem. Siehaben alle gemein, dass sie von der indischen Ge-sellschaft ausgestossen werden und kaum Chancenhaben, aus eigener Kraft der Armut zu entkommen.

Was bedeutet es für diese Familien, eigenes Land zu besitzen?

Ein Dokument zu besitzen, das bestätigt, dassman Eigentümer eines Landstücks ist, bedeutet,dass das Ansehen und somit der Status dieser Men-schen in der Gesellschaft steigt. Sie werden respek-tiert. Sobald diese Familien Landtitel in der Handhaben, können sie zudem bei den Banken Klein-kredite beantragen und diverse staatliche Dienstleis-tungen zur Bearbeitung ihres Landes einfordern,wie etwa die Bereitstellung von Wasser oder Elek-trizität. Dank diesen Ressourcen können sie sicheine Lebensgrundlage aufbauen und haben genü-gend Nahrung. Oberstes Ziel dieses Landkampfesist es, das Ansehen dieser Menschen in der Gesell-schaft anzuheben. Sie sollen respektiert werden.Gesellschaftlicher Status und wirtschaftliche Ent-wicklung gehen Hand in Hand mit den Landtiteln.

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drei Bundesstaaten, in denen es tätig ist, Land-rechtsforen. Deren Ziel ist es, die Aktivitäten derPartnerorganisationen für den Landkampf zu koor-dinieren. Die verschiedenen HEKS-Partnerorganisa-tionen treffen sich in diesen Foren regelmässig,tauschen Informationen aus, besprechen Strategienund planen gemeinsame Aktivitäten. Zudem unter-stützt HEKS die Bauernfamilien bei der Bewirt-schaftung ihres neu erworbenen Landes sowie beimAufbau neuer Wertschöpfungsketten und hilftihnen so, sich eine neue Existenzgrundlage aufzu-bauen.

Guntipilli Chinnappa Siluvappan, Leiter desHEKS-Koordinations-büros bei der Arbeit.

Wer Land hat, mussetwas anpflanzen kön-nen. Es ist eine Formvon Starthilfe, wennKleinbauernfamilienden klimatischen Bedin-gungen gut angepass-tes Saatgut erhaltenund verwenden kön-nen. Damit sollen dieErträge erhöht und die Abhängigkeit vonKunstdünger oder Pestiziden vermindertwerden.

28ENTWICKLUNG LÄNDLICHER GEMEINSCHAFTEN

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Gesetzlich verankerte Landrechtein IndienIn Indien gibt es bereits gesetzlicheGrundlagen, die landlosen Feld-arbeitern, Dalits, Ureinwohnern (Adi-vasi), Männern und Frauen aus den ärmsten Schichten eigenes Land zu-gestehen. Das indische Forstgesetz(«Forest Rights Act», seit 2006 inKraft) besagt, dass Adivasi das vonihnen besiedelte und bebaute Forst-land erhalten und Waldprodukte nutzen können. Sie sammeln Blätter,Früchte, Blumen, Feuerholz und andere Erzeugnisse, die sie selbernutzen oder verkaufen. Auch der«Andhra Pradesh Land Reforms Act»(seit 1973 in Kraft), besagt, dass Kastenlose und Menschen untererKasten, die brachliegendes Regie-rungsland während dreier Jahre be-wirtschaftet haben, Landtitel dafüreinfordern können. Deshalb ermuti-gen die HEKS-Partnerorganisationen

die Ärmsten der Bevölkerung, brach-liegendes Land zu bebauen, um sich in einem weiteren Schritt dieLandrechte zu sichern. Mit diesenLandrechten können die Landbesitzerauch am staatlichen ProgrammMGNREGA teilnehmen: Der «Ma-hatma Gandhi National Rural Em-ployment Guarantee Act» ist ein imJahr 2005 von Sonia Gandhi einge-führtes Regierungsprogramm, dasallen Indern in ländlichen Gebieten100 bezahlte Arbeitstage im Jahr garantiert – für viele ist das ein lebenswichtiges Zusatzeinkommen.Gleichzeitig können Menschen inDorfgemeinschaften mit eigenemLand Anträge stellen für grössere Arbeiten, die im Rahmen des Pro-gramms auf ihren Feldern verrichtetwerden müssen.

Weiterführende Informationen zumLandkampf in Indien unter:

www.heks.ch/handeln

Wie lange dauerte dieser Landkampfprozess vomBeginn weg bis zur Vergabe der Landtitel?

Es kommt immer ein bisschen darauf an, wiedie verantwortlichen PolitikerInnen kooperieren. ImSchnitt dauert dieser Prozess drei bis fünf Jahre.

Die Landtitel sind den Kleinbauernfamilien nun zugesprochen, was ist der nächste Schritt,den die HEKS-Partnerorganisationen unternehmenwerden?

Wir kümmern uns in einem nächsten Schrittdarum, dass die Familien auch wirklich zu ihren Do-kumenten kommen. Die Familien müssen diese beider lokalen Regierung abholen. Zudem unterstüt-zen wir die Bauern dabei, ihr Land schnell bearbei-ten zu können. Tun sie das nicht, kann ihnen dieRegierung das Land wieder wegnehmen. Wir zei-gen ihnen, wie sie die von der Regierung zur Ver-fügung gestellten Ressourcen nutzen können. Alsowie sie zum Beispiel einen Kleinkredit aufnehmen,damit sie Saatgut kaufen können, oder sich den Zu-gang zu Wasser für die Bewässerung der Felder si-chern können. Weiter zeigen wir ihnen, wie sie eineWurmkompostanlage anlegen und mit dieser Erdeihre Felder düngen können.

HEKS arbeitet in drei Regionen in Indien. Neben Andhra Pradesh auch in Karnataka und Tamil Nadu. Die Erfolgsmeldungen über erkämpftes Land für Landlose kommen aber hauptsächlich aus Andhra Pradesh. Ist es in den anderen beiden Gliedstaaten schwieriger, Land zu erkämpfen?

In Andhra Pradesh hatten wir in den letztenzehn Jahren eine gute Zusammenarbeit mit der Re-gierung. Wir sind dort mit unseren Forderungenimmer wieder auf offene Ohren gestossen. In denanderen beiden Regionen ist das leider nicht so. Ob-wohl wir in allen drei Regionen Landkampfforen bil-deten, die Druck auf die Politik ausüben, weigernsich zum Beispiel in Tamil Nadu die verantwortlichenRegierungsmitglieder, den nationalen Forest RightsAct aus dem Jahr 2006 – eine nationale Gesetzge-bung, die verlangt, dass den Adivasi das von ihnengenutzte Forstland zugesprochen werden muss –umzusetzen. Und dafür werden wir weiterkämpfen.Dazu ist eine von uns unterstützte Klage beim Ge-richt hängig. In Karnataka wiederum ist die politi-sche Situation äusserst komplex, was unsere Arbeiterschwert. Aber auch dort verfolgen wir unser Zielhartnäckig.

Die neusten Entwicklungen in Andhra Pradeshsind wohl nicht ganz einfach für die Arbeit vor Ort: Die Abgeordneten des Oberhauses in Delhi haben im Februar die Gründung des neuen süd-indischen Gliedstaates Telangana beschlossen. Im Mai 2014 gibt es Neuwahlen. Was bedeutet das für die Fortsetzung der Arbeit von HEKS und seinen Partnerorganisationen?

Wir gehen davon aus, dass wir in den nächstenein bis zwei Jahren keine weiteren Landtitel erstrei-

ten können. Es muss zuerst klar sein, wer die neuenVerantwortlichen in den beiden Gliedstaaten sind.Wir werden aber so schnell wie möglich wieder beiden Verantwortlichen mit unseren Anliegen vor-stellig werden. Wir konzentrieren uns deshalb indieser Zeit auf die Bewirtschaftung des erstrittenenLandes und die Unterstützung jener Familien, diebereits Land erhalten haben. Konkreter heisst das,dass wir die Landwirtschaft fördern und die Bauernaus- und weiterbilden, damit sie sich zusätzlichesEinkommen erwirtschaften und ein Leben in Würdeführen können.

Lashiamma und ihrMann werden voneinem Mitarbeiter derHEKS-Partnerorganisa-tion SES beraten. Diedrei stehen auf demLand, um das sie jahre-lang gekämpft haben.

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Politischer Entscheid bedeutet

Ende für HEKS-ProjektVON NATALI VELERT

HEKS BETRACHTET soziale Integra-tion als einen Prozess, derdazu beiträgt, dass alle Mit-

glieder unserer Gesellschaft am wirt-schaftlichen, sozialen und kulturellenLeben teilhaben. Die Projekte, dieHEKS im Inland durchführt, tragendazu bei. Ein Lebensbereich, in wel-chem HEKS das erforderliche Fach-und Erfahrungswissen aufgebaut hat,betrifft die frühe Kindheit.

Eltern mit einer bescheidenenSchulbildung, die finanzielle und/oderberufliche Sorgen haben und überwenig soziale Kontakte verfügen, be-nötigen oftmals Unterstützung beider Gestaltung einer entwicklungs-fördernden Umgebung für ihre Kin-der und bei deren Vorbereitung aufden Kindergarten. Ohne Unterstüt-zung haben ihre Kinder bereits zu Beginn der Schulzeit schlechtereStartchancen.

Mit dem Programm «schritt:weise» leistet HEKS einen wichtigenBeitrag zu mehr Chancengleichheitbeim Schuleintritt. «schritt:weise» ist

ein präventives Programm der frühenFörderung für sozial benachteiligteund bildungsferne Familien mit oderohne Migrationshintergrund. Seit2009 führt HEKS das Spiel- und Lern-programm im Auftrag des Sozialde-partements der Stadt Zürich imStadtkreis Zürich Nord durch.

Die Aufbauphase gestaltete sichaufwendig. Bei der Zielgruppe von«schritt:weise» handelt es sich um Fa-milien, die oftmals zurückgezogenleben. Sie nutzen die bestehendenAngebote für Familien nicht oderkaum. Den Zugang zu dieser Ziel-gruppe zu finden, stellte eine Heraus-forderung dar, es galt, das Vertrauenund Interesse zu diesen Familien aufzubauen. Inzwischen läuft dasProgramm durch Mund-Propagandasehr gut, da ehemals teilnehmendeFamilien in ihrem Bekannten- undFreundeskreis andere Familien daraufaufmerksam machen. Das Programmstärkt die Ressourcen und Kompeten-zen der Familie im Alltag, fördert dieEigenverantwortung der Eltern und

unterstützt sie bei ihrer sozialen Inte-gration.

Im Herbst 2014 werden die letz-ten fünfzehn Familien ihre Teilnahmeabschliessen. Dann endet die Pilot-phase von «schritt:weise». Inzwi-schen hat das Sozialdepartement denstrategischen Entscheid gefällt, dassdie Arbeit in Familien neu in die Zu-ständigkeit der Sozialen Dienste desSozialdepartements fällt und keineAufträge mehr an Dritte erfolgen.HEKS bedauert diesen Entscheid sehr,weil es in den letzten Jahren vielKnow-how und ein gutes Bezie-hungsnetz aufgebaut hat, das nunverloren geht. Der Entscheid zeigtauf, dass unsere Angebote von politi-schen Entscheidungsprozessen ab-hängig sind und dass auch dann,wenn sie sich in der Praxis bewähren,sie nicht immer Bestand haben. HEKSwird jedoch auch in Zukunft bedarfs-und zielgruppengerechte Angeboteanbieten und arbeitet aktuell an ent-sprechenden Abklärungen.

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VO R M E H R A L S V I E R J A H R E N, am 12. Januar2010, wurde Haiti von einem Erdbeben derStärke 7,3 auf der Richterskala erschüttert.

HEKS führt seit mehr als vierzig Jahren auf Haiti Ent-wicklungs- und Soforthilfeprojekte durch und ver-fügte deshalb zum Zeitpunkt des Erdbebens bereitsüber lokale Partnerorganisationen sowie ein Koor-dinationsbüro in Port-au-Prince. Dank diesem Netz-werk konnte das Hilfswerk nach der Katastropherasch handeln und Soforthilfe leisten. Beim Wie-deraufbau konzentrierte sich HEKS mit finanziellerUnterstützung der Glückskette auf die RegionenGrand’Anse und Petit Goâve. Nachdem diesen

Frühling die Ziele erreicht worden waren, schlossHEKS die Humanitäre Hilfe in Petit Goâve ab.

Nur wenige Tage nach dem Erdbeben richteteHEKS in Port-au-Prince Strassenküchen ein. Wäh-rend 100 Tagen bereiteten 42 lokale MitarbeiterIn-nen jeden Tag 3000 warme Mahlzeiten zu, dieanschliessend in 12 Lagern in Pétion-Ville verteiltwurden. Auch im Südwesten der Insel, im Departe-ment Grand’Anse, war das Hilfswerk kurz nach derKatastrophe im Einsatz. In dieser Region ist HEKSbereits seit Jahrzehnten mit Landwirtschaftsprojek-ten tätig und unterstützte nach dem Erdbeben Fa-milien, die Verwandte aufnahmen, die aus derRegion Port-au-Prince geflüchtet waren. Es verteilteihnen Saatgut und Werkzeuge, damit sie mehr Ba-nanen, Gemüse und Reis anbauen konnten, umsich und die Neuzugezogenen ernähren zu können.

Wiederaufbau in Grand’AnseTrotz einem fragilen Umfeld konnten die Wieder-aufbauarbeiten im Januar 2014 beendet werden:HEKS ist insbesondere stolz auf die 406 aufgebau-ten Häuser, ausgerüstet mit Toiletten, sowie die In-frastruktur zur Bewässerung. Letztere ermöglichtden Kleinbauern, ihre Felder selbst während derTrockenzeit zu bewirtschaften. In Grand’Anse wur-den für Familien in 5 verschiedenen Gemeinden wiegeplant 25 traditionelle Häuser gebaut, ausgestat-tet mit Öfen, Toiletten, Wasserzisternen und -filtern.Zudem wurden 23,2 Kilometer Strassen ausgebes-sert und 1,1 Kilometer betoniert. Daneben wurdenMauern in einer Länge von insgesamt 4,3 Kilome-tern erstellt, um die Strassen zu stützen. 1046 Schul-kinder erhielten ein Stipendium. Weiter bildete HEKSMaurer und Klempner im Häuserbau aus. Auchnach Abschluss der Humanitären Hilfe werden dieProjekte in den Bereichen Landwirtschaft und Wis-sensvermittlung wie bis anhin weitergeführt.

Wiederaufbau in Petit GoâveDie meisten im Land aktiven NGO verliessen die Ge-meinde Petit Goâve bereits Ende 2011. Einzig HEKSblieb länger vor Ort, um anstelle von temporärenUnterkünften permanente Wohnunterkünfte zubauen. Ein Konzept, das sich bewährt hat: Die be-reits gebauten Häuser überstanden die Wirbel-stürme im Jahr 2012, und die Begünstigten sindzufrieden. Sie konnten sogar Nachbarn und Ange-hörige bei sich aufnehmen, die in weniger soliden

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VierJahre nach dem Erdbeben Nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti im Januar 2010 schliesst HEKS derzeit seine Humanitäre Hwässerungskanäle saniert, Strassen wieder instand gestellt, lokale Arbeiter und Bauern aus- und weiter VON VALENTIN PRÉLAZ

Oben: 2800 Personen inPetit Goâve undGrand‘Anse erhieltenein neues Zuhause.Unten:Rückstaubecken, umdas Wasser zu kanalisie-ren und zu sammeln.

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Unterkünften lebten, die dem Hurrikan nicht stand-hielten. HEKS hat die Behörden und die lokale Be-völkerung so stark wie möglich in seine Projekte miteinbezogen. So wählte die Bevölkerung in PetitGoâve schon vor Baubeginn lokale Komitees. Diesewurden anschliessend mit einer Vorauswahl derpotenziell Begünstigten beauftragt. Das Projektrichtete sich hauptsächlich an alleinerziehende Fa-milien, Grossfamilien und Familien mit Angehöri-gen, die aufgrund des Erdbebens körperlichbehindert sind. Die Begünstigten und ihre Familienleisteten ihren Beitrag, indem sie beim Bau mithal-fen. Der partizipative Ansatz, der eine aktive Betei-

ligung der Begünstigten verlangte und sie bei Ent-scheidungen involvierte, hat sich bewährt: Die Ei-geninitiative und das Engagement der lokalenBevölkerung wurden gestärkt. Zusätzlich bildeteHEKS unter den haitianischen Maurern und Zim-merleuten, die beim Aufbau mitarbeiteten, mehr als80 Vorarbeiter aus.

Schwierige BedingungenHEKS hat in Petit Goâve jedoch in einem fragilenUmfeld und unter schwierigen Bedingungen gear-beitet, und die Aufbauarbeiten nahmen mehr Zeitin Anspruch als geplant. Dies war vor allem auf die

in Haiti – HEKS zieht Bilanzilfe in Grand’Anse und Petit Goâve ab. Es wurden Häuser, Stützmauern und Wassertanks gebaut, Be-

gebildet und Schulstipendien verteilt. In vier Jahren hat HEKS, trotz steinigem Weg, das Ziel erreicht.

Marie Alina vor ihremneuen Haus in PetitGoâve.

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Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von geeigne-tem Personal zurückzuführen und auf die Heraus-forderung, mit einem gemischten Team ausausländischen und lokalen Arbeitskräften zu arbei-ten. Zusätzlich hatte die Abklärung der Besitzver-hältnisse mehr Zeit in Anspruch genommen alsvorgesehen, wie auch die Zusammenarbeit mit denBehörden. Schliesslich konnten bei kontroversenAspekten, wie der Fläche der zu bauenden Häuser,Kompromisse gefunden werden. Die Erfahrung hatauch gezeigt, dass es kostengünstiger ist, beschä-digte Häuser abzubrechen und neue aufzubauen,als diese zu reparieren. Im Rahmen von HEKS-inter-

nen Kontrollen wurden zudem im September 2012Unregelmässigkeiten im Warenlager in Petit Goâvefestgestellt. Ein lokaler Mitarbeiter wurde dringendverdächtigt, zusammen mit Komplizen 328 000Franken veruntreut zu haben. In der Folge hat sichHEKS von den Hauptverdächtigen wie auch vonden massgeblich verantwortlichen Mitarbeitendengetrennt. Gegen die Hauptverdächtigen läuft einStrafprozess. Die operative Arbeit in Petit Goâvemusste in der Folge vorübergehend eingestellt wer-den. Mit einem neu gegründeten Department fürLogistik und neuen Personen in Schlüsselpositionengelang der Neustart und das Projekt konnteschliesslich erfolgreich abgeschlossen werden. DerSchaden konnte durch Rückstellungen aus Wert-schriftenerträgen gedeckt werden, es waren alsokeine Spendengelder davon betroffen.

Unterstützung der KleinbauernfamilienSeit April 2011 führte HEKS in Petit Goâve mit Un-terstützung der Glückskette zudem ein Projekt zurDiversifizierung der Existenzgrundlagen durch. BisEnde Januar 2014 waren 11 Wassertanks aus Back-steinen fertiggestellt. Während der Trockenzeit er-möglichen diese Vorrichtungen das Auffangen desRegenwassers und das Speisen der von HEKS er-stellten Tropfbewässerungssysteme. Durch das Er-richten eines Damms, der flussaufwärts das Wasserdes Caiman filtert, sowie die Sanierung von Bewäs-serungskanälen von einer Länge von insgesamt 2,5Kilometern kann das Regenwasser aufgefangenund auf die Gemüseanbauflächen verteilt werden,ohne dass die Wasserbezüger flussabwärts be-nachteiligt werden. Zusätzlich wurde ein Aquäduktgebaut, um dieses Wasser vom anderen Ufer her-beizuführen.

Gleichzeitig wurden auch Ausbildungspro-gramme in den Bereichen Obstanbautechniken undBaumveredelung angeboten. Diese stiessen bei derBevölkerung auf grosses Interesse. Schliesslich wur-den noch 8 Spar- und Kreditgruppen gegründet.

Schliessung des Büros in Petit GoâveAm 23. Januar 2014 organisierte HEKS eine Feierfür die Übergabe der Hausschlüssel an die letztenBegünstigten. In Petit Goâve und in Grand’Anseprofitieren nun 2800 Personen von permanenten

Wohnunterkünften: 406 Häuser undToiletten sind gebaut worden. DieseFeier bedeutete gleichzeitig das Endeder Humanitären Hilfe in Haiti unddie Schliessung des HEKS-Büros inPetit Goâve. HEKS wird sich nunmehrauf die laufenden Aktivitäten im De-partement Grand’Anse konzentrie-ren, wo verschiedene Projekte zurländlichen Entwicklung und zumAufbau von Infrastruktur fortgesetztwerden.

Weitere Informationen:www.heks.ch/handeln

Neue Bewässerungs-infrastrukturen helfenden Kleinbauernfami-lien, ihre Felder zu be-wässern.Oben: BewässerungskanäleUnten: Tröpfchenbewässerung

Haiti:Das ärmste Land derwestlichen Hemisphärewar am 12. Januar 2010von einem Erdbeben derStärke 7.3 erschüttertworden. Rund 250 000Menschen starben, übereine Million wurde ob-dachlos. Noch immerleben rund 170 000 Men-schen in Zeltlagern, dieArmut ist gross, der Wie-deraufbau kommt nurschleppend voran.

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NAHE BEI DEN MENSCHEN

Das können Sie tun:Bringen Sie einen jungen Erwerbszweig zum Blühen!VON MONIKA ZWIMPFER

An der Petite Côte, südlich von Sene-gals Hauptstadt Dakar, ist der Klima-wandel schon seit längerem spürbar.Die Regenzeiten werden immer kür-zer, und die Trockenperioden dehnensich aus. Darunter leiden die Erntenund auch das Vieh der Kleinbauern-familien. Für viele von ihnen ist es un-möglich geworden, allein von derLandwirtschaft zu leben.

Vor rund sieben Jahren wurde inder Gegend das «Centre Mampuya»gegründet. Das Kultur- und Ökozen-trum machte es sich zur Aufgabe, die von Dornbü-schen überwucherte Hügel-landschaft wieder mit derursprünglichen Vegetation zubepflanzen. Die Vielfalt dereinst einheimischen Bäumeund Sträucher sollte wieder-hergestellt und nach her-kömmlicher Tradition genutztwerden.

Der sichtbare Erfolg die-ser Massnahmen weckte dieAufmerksamkeit der Frauen-gruppen aus den umliegen-den Dörfern. Auch sie wolltenversuchen, die wild wachsen-den Pflanzen nach ihrem tra-ditionellen Wissen zu ver-

arbeiten und damit ein Zusatz-einkommen zu erwirtschaften. Die lokale HEKS Partner-OrganisationACCES («Association d’Actions Con-certées pour l’Entraide et la Solida-rité») bot ihnen Unterstützung an.

Verdienst für 1500 FrauenZuerst sprachen die Frauen bei denBehörden vor, um brachliegendes Ge-meindeland in sogenannte «Airesprotégées», geschützte Allmenden,umzuwandeln. Dann pflanzten sie ur-

sprüngliche Wildpflanzenwie Kel, Kinkéliba, Mbania-oder Hennasträucher an.Eine zentrale Baumschule lie-fert die Setzlinge. Um dieJungpflanzen vor Wind undErosion sowie Ziegen undSchafen zu schützen, wur-den Schutzhecken angelegt.Ein Brunnen dient der Be-wässerung. Nach der Erntewerden die Früchte, Blätter,Samen und Rinden frischoder getrocknet verkauftoder zu Sirup, Salben oderTinkturen verarbeitet.

Bis heute sind 19 solcherAllmenden entstanden, undrund 1500 Frauen pflegen

und nutzen sie. So auch MadameCiss. Ihre Familie lebt hauptsächlichvom Ackerbau und hält einige Schafeund Ziegen. Doch die Erträge aus derLandwirtschaft reichen nicht für denLebensunterhalt. Auch die steigendenPreise für Reis, Öl und Zucker machenihr zu schaffen.

Als Mitglied einer Frauengruppepflegt und nutzt sie die Wildpflanzeneiner geschützten Allmend. DieGruppe hat ihr einen Kredit vonknapp 100 Franken gewährt. Damitwill sie nun einen Kleinhandel auf-bauen: Sie kauft den anderen Fraueneinen Teil ihrer Kinkéliba-, Kel- undMbania-Ernte ab, verarbeitet undkonfektioniert sie, um sie dann aufdem Markt in einem Vorort von Dakarzu verkaufen. «Jedes Mal, wenn ichnach Thiaroye fahre, kann ich etwatausend ‹Baguettes› aus Kinkéliba-Zweigen, fünfhundert Kränze für Kel-Tee und fünf bis zehn Kilo frischeMbania-Beeren mitnehmen», sagtsie. Pro Baguette verdient sie 10Francs, pro Kilo Mbania rund 200Francs, etwa 38 Rappen. Mit demErlös trägt sie zum Familieneinkom-men bei und bezahlt den Kredit mit10 Prozent Zins zurück.

Die Allmenden sind zu Einkom-mensquellen für rund 1500 Familiengeworden und entwickeln sich zueinem neuen Erwerbszweig für Men-schen, die vorher kaum mehr Zu-kunftsperspektiven in ihren Heimat-dörfern sahen.

Weitere Auskunft erteilt Ihnengerne: Susanne Loosli,

Tel. direkt 044 360 88 09, E-Mail [email protected].

Den Anmeldetalon finden Sie aufder Rückseite dieser Ausgabe.

Frauengruppe des DorfesDaga auf dem Gemein-schaftsfeld. Die Frauensammeln und binden Kinkéliba-Zweige, mitdenen Tee zubereitet wird.

Für 360 Franken imJahr: Eine Paten-schaft für Kleinbau-ernfamilienMit einer Patenschaftfür Kleinbauernfamilienhelfen Sie Menschenwie Madame Ciss, miteiner Starthilfe, einemKredit oder einemKleinhandel ein zusätz-liches Einkommen zuerwirtschaften unddamit die Lebensquali-tät ihrer Familien zuverbessern. HerzlichenDank.

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Den Lebensabend in Würde verbringenFrüher galt die Republik Moldau aufgrund ihrer florierenden Landwirtschaft als Korn-kammer der UdSSR. Heute ist sie das ärmste Land Europas. Ein Drittel der arbeitsfähigenBevölkerung ist ausgewandert – Kinder und ältere Menschen bleiben zurück. VON JOËLLE HERREN

Tatiana Dimitriv, 82 Jahre alt, sitzt aufeinem Stuhl auf der Vortreppe ihresHauses und wartet auf die Pflegerin.Als diese eintrifft, erhellt sich ihr Ge-sicht. Jeder Besuch bedeutet eine willkommene Abwechslung zur all-täglichen Einsamkeit. Die Pflegerin Li-liane wird so herzlich empfangen wieeine eigene Tochter. «Sie ist meinerechte Hand!», ruft Frau Dimitrivfreudig aus. Liliane schaut zwei- bisdreimal pro Woche nach ihr. Sie misstden Blutdruck und massiert die Füsse,da die alte Dame Mühe hat, sich zubewegen.

Wir befinden uns im Dorf Pârlita,im Norden der Republik Moldau.Zahlreiche Frauen im Ruhestandleben hier in prekären Verhältnissen,wie überall in diesem hügeligen undvon Landwirtschaft geprägten Land.Zur Sowjetzeit arbeitete Frau Dimitrivin einer Kolchose. Heute bezieht sieeine Rente von 60 Franken proMonat, gerade die Hälfte des Exis-tenzminimums. Ihre vier Kinder lebenim Ausland und besuchen sie nur sel-ten.

Zurückgelassene ElternDas Drama, das sich in der RepublikMoldau abspielt, ist offensichtlich:

Viele Häuser sind verlassen und dieFelder liegen brach. Ein Drittel derfast vier Millionen Einwohner verlässtdas Land, weil es an Arbeit fehlt. Diemeisten arbeiten als Saisonniers inRussland, weil dort für einen dreimo-natigen Aufenthalt kein Visum ver-langt wird. Die anderen leben – meistillegal – in Rumänien, Italien, Grie-chenland, Spanien, Portugal oderFrankreich. Der Republik Moldaubringt dies Einnahmen; für die Kinderund älteren Menschen, die sich selbstüberlassen werden, sind die sozialenKonsequenzen jedoch schlimm. Die78-jährige Tatiana Dimitriv ist in ihremHaus gefangen. Ihre nach Frankreichund Russland ausgewanderten Kin-der schicken ihr zwar Geld für Le-bensmittel, aber mit ihrer Hepatitisund den Schmerzen, die sie ans Bettfesseln, muss sie alleine zurechtkom-men. Gesellschaft leistet ihr einzig einFernsehgerät.

Damit ältere Menschen, die iso-liert, krank oder in ihrer Bewegungeingeschränkt sind, trotzdem zuHause bleiben können, hat HEKS2010 einen Hauspflegedienst ge-gründet. Vom «Centre for Social andMedical Assistance at Domicile»(CASMED) profitieren gegen 300 Be-

günstigte in 11 Dörfern im Nordendes Landes. Jährlich erfolgen zwi-schen 20 000 und 25 000 Hausbesu-che. Die Dienstleistungen umfassenPflege und Unterstützung im Haus-halt oder Arbeiten wie Schneeräu-men, Einheizen, Einkaufen undWäschewaschen.

Erfolgsrezept: Alle beteiligenDas Projekt CASMED benötigt injedem Dorf die finanzielle und prakti-sche Unterstützung der Behörden:Diese stellen die Räumlichkeiten fürBüro und Waschmaschine zur Verfü-gung und kommen für einen Teil derLöhne und der Kosten für Hygiene-produkte auf. Das Projekt übernimmtdie Pflege und delegiert die Arbeitenim sozialen Bereich an lokale Organi-sationen. «Im Unterschied zu anderenInstitutionen verlangen wir einen be-scheidenen finanziellen Beitrag vonden Begünstigten», erklärt VéronicaCazacu, Direktorin der HEKS-Projektein der Republik Moldau. «Damit tra-gen wir zu einer globalen Verbesse-rung der Sozialdienste bei, die vonder Gemeinschaft benötigt werden.Wir sind guter Hoffnung, dass unsereTätigkeit langfristig weiter getragenwird.»

Nachdem die Pflegerin Frau Di-mitriv versorgt hat, überlässt sie denPlatz der Sozialhilfe Neagu. Diesebringt einen Eimer mit Wasser, da dasHaus über kein fliessendes Wasserverfügt, sowie Gemüse für eineSuppe. Frau Dimitriv vertraut uns an,dass sie wieder auflebe, seit sie regel-mässig betreut werde: «Dank derMassagen kann ich wieder laufen, ichkann sogar ganz alleine zur Kirchegehen!» Die Angestellten von CAS-MED stellen bei den von ihnen be-treuten Patientinnen und Patientenwirklich grosse Fortschritte fest. «Wasgibt es Wichtigeres», sagt die Direk-torin, «als dieses Lebensalter inWürde und umsorgt zu verbringen?»

Die Betreuerinnenvon CASMED mit der78-jährigen TatianaDimitriv, deren Kin-der – wie viele jungeMoldawierInnen –im Ausland leben.

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NAHE BEI DEN MENSCHEN

Was machen Sie heute beruflich?

Zurzeit bin ich Teilnehmer bei«HEKS rollt» und arbeite beim Haus-lieferdienst in Kloten und Uster, woich meist älteren Leuten dabei helfe,ihre Einkäufe nach Hause zu fahren.Daneben besuche ich einen Deutsch-kurs und einen Vorbereitungskurs fürdie Ausbildung zum Pflegehelfer.

Was beschäftigt Sie momentanam meisten?

Die aktuelle Situation in Tibet.Das machtlose Zusehen, wie meinVolk in dem Land, in dem ich bishergelebt habe, unterdrückt wird.

Wie sind Sie mit HEKS in Kontakt gekommen?

Im Jahr 2012 wurde ich durchmeine Betreuerin über das Projekt«HEKS rollt» informiert. Es hat michsofort begeistert. Zum ersten Mal er-hielt ich hier in der Schweiz eine Be-schäftigung, in der ich eine Funktionhabe. Da ich zu diesem Zeitpunktkeine sinnvolle Tagesstruktur hatte,nahm ich die Chance, die mir gebo-

ten wurde, wahr. Ich bereue denSchritt bis heute nicht, denn ohnedieses Projekt hätte ich es nie ge-schafft, mit so vielen Schweizerinnenund Schweizern in Kontakt zu kom-men. Das hilft mir bei der Integrationund auch beim Deutschlernen.

Wie wohnen Sie?Ich wohne zusammen mit ande-

ren Tibetern in einer 3,5-Zimmer-Ge-meinschaftswohnung der GemeindeWädenswil. Meine Frau und ich teilenuns ein Zimmer. Die Wohnung ist nurfünf Gehminuten vom Bahnhof ent-fernt mit vielen Einkaufsmöglichkei-ten.

Was haben Sie gestern gegessen?

Gestern zum Abendessen habeich zusammen mit meiner Frau einetibetische Nudelsuppe, genannt Thu-kpa, gekocht. Wenn wir Zeit haben,kochen wir oft unsere tibetischen Tra-ditionsgerichte.

Was macht Sie glücklich?Lesen macht mich glücklich, ich

lese in jeder freien Minute. Bei mei-ner Arbeit als Velokurier erlebe ich oftglückliche Momente, wenn meine Ar-beit geschätzt wird. Das Lachen derKunden gibt mir das Gefühl, ein wert-voller Mensch zu sein und auch ge-braucht zu werden.

Was macht Ihnen Angst?Ich habe oft Zukunftsängste. In

Bezug auf meinen beruflichen Wer-degang macht es mir auch Angst,dass ich trotz Deutschkurs Mühehabe, die Schweizer mit ihremSchweizer Dialekt zu verstehen. Aberder direkte Kundenkontakt bei «HEKSrollt» hilft mir dabei, das Schweizer-deutsch besser zu verstehen. Auchder Konflikt in Tibet bereitet mirAngst. Er wird wohl nicht so schnellenden.

Was bringt Sie zum Lachen?Offensichtliches Lügen bringt

mich zum Lachen. Als ich zum Bei-spiel in Tibet als Lehrer unterrichtete,habe ich ein Kind gefragt, ob es einBonbon gestohlen hätte. Es antwor-tete mit «Nein», obwohl der Mundnoch klebrig war. Im Allgemeinenbringen mich Kinder sehr zum La-chen. Sie haben das ehrlichste La-chen.

Ein schöner Moment, an den Sie sich erinnern?

Beim letzten Weihnachtsessen inunserem Projekt, als alle miteinanderfriedlich Weihnachten feierten. Esgab Essen aus unterschiedlichen Kul-turen, welches die Teilnehmendenmitgebracht hatten. Wir tauschtenunsere Erlebnisse und Erfahrungenaus. Ich bekam sogar ein Geschenkals Belohnung für meine geleisteteArbeit. Das war das schönste Weih-nachtsgeschenk. Es war ein Bücher-gutschein.

Was ist Ihr grösster Wunsch?Ein guter Abschluss in meinem

Kurs als Pflegehelfer, damit ich in Zu-kunft als Pfleger arbeiten kann. Undmein grösster Wunsch wäre: Freiheitfür mein Volk in Tibet.

10 Fragen an Lhakpa Kyang, Teilnehmer bei «HEKS rollt» in Kloten

Nach seiner Flucht aus dem von politischen Unruhen erschütterten Tibet kamLhakpa Kyang in die Schweiz, wo er seit 2011 mit seiner Frau lebt. Die ersten Mo-nate verbrachte er in einem Durchgangszentrum für Asylsuchende, bis er schliess-lich in Wädenswil am Zürichsee sesshaft wurde. Seit rund eineinhalb Jahrenarbeitet er nun als fliegender Velokurier beim Integrationsprojekt «HEKS rollt».

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AugenzeugenVON RUEDI LÜSCHER

Vor 26 Jahren habe ich in der damaligen «HEKS-Zeitung» zum Fotoarchiv, zur Fotografie, zuden Fotos bei HEKS geschrieben:

«Fotos zeigen uns Facetten des Lebens, die wir auf fast keine andere Art und Weise sodirekt wahrnehmen können. Die Fotografie wirkt unmittelbar und ist an keine Sprache ge-bunden. Ohne Fotos blieben viele Fälle von Ungerechtigkeit, Verfolgung und Unterdrückungblass. Ich denke an Auschwitz, Hiroshima, Vietnamkrieg, Apartheid, Hungerkatastrophen,Bürgerkriege, Flüchtlingselend. Haben wir noch Blicke für Bilder? Lassen wir uns von ihnenüberfluten oder drängen Fotos uns dazu, bewusster zu handeln? Was bedeutet es, wenn Re-gierungen das Fotografieren von Ereignissen verbieten? Vielleicht das, dass Bilder nichtlügen?»

Nach 27 intensiven Arbeitsjahren, immer mit dem Anspruch im Herzen, die Welt ein biss-chen zum Bessern zu verändern, verlasse ich HEKS und gehe in den Ruhestand. Die Bilderflutwurde während meiner HEKS-Jahre immer grösser, unermesslicher. Überall wird fotografiert.Von allen Ecken der Erde ist jederzeit zu allem sofort ein Foto erhältlich. Schön ausgeleuch-tete, retuschierte Menschen, alles ist aufgeblitzt und funkelnd. Lügen deshalb Bilder nicht?

Die Bildsprache der Medien, auch der Hilfswerke, hat unsere Sichtweise verändert, ge-prägt.

Auch ich habe Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser des «handeln», Fotos von aktiven, star-ken und selbstbewussten Menschen gezeigt. Ich und HEKS haben unseren Begünstigten einGesicht gegeben. Die Fotos haben sicher nicht gelogen, sie waren authentisch. Trotzdem, siewaren nie die ganze Wahrheit, nie das Leben, die Realität der Ärmsten. Wir haben aber ver-sucht, eine Ahnung davon zu vermitteln.

Das Bild ist losgelöst von der Wirklichkeit realer geworden. Die Wahrheit sehen wir nichtmehr, wir sehen die Bilder. Bei HEKS haben wir selten solche Fotos gezeigt, wie von diesemhungernden Kind aus Niger. Weshalb? Die Empörung über solche Fotos ist gross. Wir redendann bald von Würde und Ethik. Weshalb empören wir uns nicht über die Realität? Vermut-lich weil das Leben dieses Kindes nicht mehr zu unserer Lebensweise, zu unserem Weltbildpasst.

Hätte man ihm damals, am 1. April vor 27 Jahren, gesagt, dass er biszu seiner Pensionierung bei HEKS arbeiten würde, er hätte die Be-hauptung vielleicht für einen Scherz gehalten. Doch es kam genau so:Ruedi Lüscher, verantwortlich bei HEKS für die Fotografie und dasgesamte Bildarchiv, geht in wenigen Wochen in Pension. 124 Ausgaben Fo

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des Spendenmagazins «handeln» (früher noch «HEKS-Zeitung») hater mitgestaltet, und die Nummer, die Sie soeben in den Händen halten,ist nun seine letzte. Wir danken Ruedi Lüscher für seine engagierte undprofessionelle Mitarbeit und seine vielen Anregungen und Ideen in allden Jahren.

Die Menschen im westafrikanischenSahelland Niger sind immer wiedermit Dürreperioden und Hungerkrisenkonfrontiert. Mangelernährung ist vorallem bei Kleinkindern ein grossesProblem. 44 Prozent der Bevölkerungmüssen mit weniger als 1,25 Dollarpro Tag auskommen. Im «Human Development»-Index der Uno liegtNiger auf dem letzten Rang. HEKS istseit der grossen Dürre der siebzigerJahre in Niger tätig und finanziertEntwicklungsprojekte, die langfristigbessere Lebensbedingungen für dieBegünstigten schaffen. Während derakuten Hungerkrisen leisten HEKSund seine Partner Humanitäre Hilfe.www.heks.ch/weltweit/afrika/niger/

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Motetten werden durch die schöns-ten Arien aus Bach-Kantaten ergänzt.Die Leitung hat Ulrich Meldau.

Das Bach Ensemble Zürich hatsich kurz nach seiner Entstehung2009 als erstklassiger und flexiblerKlangkörper profiliert und 2012 ineinem HEKS-Benefizkonzert mit derh-Moll-Messe begeistert. Unter derLeitung von Ulrich Meldau werden inder Kirche Enge, Zürich, regelmässigWerke von J.S. Bach aufgeführt.

Solistinnen und Solisten: Pene-lope Monroe, Ulla Westvik (Sopran);Breno Quinderé, Jan Thomer (Alt);Achim Glatz, Ivo Haun (Tenor); FrancisBenichou, Tobias Wicky (Bass).

Benefizkonzert zugunstenvon HEKS Am Montag, 2. Juni 2014, werden inder Tonhalle in Zürich die Motettenvon Johann Sebastian Bach aufge-führt. Sie gelten als höchste Chor-kunst. Mozart soll beim Hören dieserWerke seine «innigste Verehrung»ausgedrückt haben. Die meist dop-pelchörigen Kompositionen stellenenorme Anforderungen an die Sin-genden. In virtuosen Koloraturenwird die Stimme oft wie ein Instru-ment eingesetzt, weshalb diese Meis-terwerke selten alle zusammen ineinem Konzert zu hören sind. Die

Das Capriccio Barockorchesterhat sich bereits kurz nach seinerGründung 1999 an die Spitze der ein-heimischen Barockorchester gespielt.«Capriccio» veranstaltet eigene Kon-zertreihen im Aargau, in Basel undZürich und brilliert mit herausragen-den ExponentInnen der historischenAufführungspraxis.

Ticket-BestellungDatum: Montag, 2. Juni 2014Zeit: 19.30 UhrOrt: Tonhalle Zürich, grosser

SaalDie Karten können bestellt werdenunter www.bach-ensemble.ch

1. Kategorie Fr. 90.–2. Kategorie Fr. 80.–3. Kategorie Fr. 50.–4. Kategorie Fr. 40.–

Jugendliche bis 18 Jahre, Stu-dierende und AHV-RentnerInnenhaben in der 3. Kategorie Fr. 10.–Ermässigung. Die Karten werdenmit Rechnung zugestellt.

Rückfragen: Flavio Vassalli, Tel. 079 405 34 61