HEKS-Magazin handeln, Nr. 329, August 2015

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HANDELN DAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ AUGUST 2015 REPUBLIK MOLDAU Der Bauer wird neu erfunden NORDIRAK HEKS unterstützt Kriegsflüchtlinge FOKUS EZA IN DER KRITIK

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Sie fragen sich, wie Themenschwerpunkte in HEKS-Projekten umgesetzt werden und wie die Arbeit praktisch aussieht? Es interessiert Sie, wie HEKS funktioniert und wer die Menschen dahinter sind? Das HEKS-Magazin «handeln» gibt Einblick in die vielfältige Arbeit des Hilfswerks und dessen Partnerorganisationen im In- und Ausland. Schwerpunkt in diesem Heft: Entwicklungszusammenarbeit in der Kritik.

Transcript of HEKS-Magazin handeln, Nr. 329, August 2015

HANDELNDAS MAGAZIN DES HILFSWERKS DER EVANGELISCHEN KIRCHEN SCHWEIZ

AUGUST 2015

REPUBLIK MOLDAUDer Bauer wird neu erfunden

NORDIRAKHEKS unterstützt Kriegsflüchtlinge

FOKUSEZA IN DER KRITIK

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INHALT

THEMA

Kontroverse Entwicklungszusammenarbeit in der Kritik

IN DIESER NUMMER

3 Editorial

4 HEKS bezieht Position Eine Auslegeordnung zur EZA

6 Streitgespräch EZA – Humanitäres Gebot oder Geldverschwendung?

9 So funktioniert EZA Ein Blick hinter die Kulissen

12 Meinungen Antworten auf kritische Fragen zur EZA

20 Reportage EZA am Beispiel der Republik Moldau

26 Patenschaft HEKS setzt sich für die Rechte von Minderheiten in Bangladesch ein

27 Aktuell und Agenda

Indische Frauen fordern ihre Rechte ein: Entwicklungszusammenarbeit heisst auch, aus Misserfolgen zu lernen. Mehr dazu auf Seite 16. Foto: Karin Desmarowitz

IMPRESSUM NR. 329 / AUGUST 2015 HANDELNDas Magazin des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz Erscheint 4-mal jährlich

AUFLAGE 52 000

REDAKTIONSLEITUNGDieter Wüthrich (dw)

REDAKTIONBettina Filacanavo (fb)

BILDREDAKTION Sabine Buri

TITELBILDLunaé Parracho

KORREKTORATkorr.ch

GESTALTUNG Joseph Haas undCorinne Kaufmann-Falk,Zürich

DRUCKKyburz AG, Dielsdorf

PAPIERRefutura / Recycled / FSC

ABONNEMENTFr. 10.– / Jahrwird jährlich einmal von Ihrer Spende abgezogen

ADRESSEHEKS Seminarstrasse 28Postfach8042 ZürichTelefon 044 360 88 00 Fax 044 360 88 01E-Mail [email protected] www.eper.ch

HEKS-SPENDENKONTO: Hilfswerk der Evangelischen Kirchen SchweizPC 80-1115-1

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LIEBE LESERINLIEBER LESER

EDITORIAL

Ueli LocherDirektor

reichen Gesprächen, aus Zuschriften und aus wichtigen aktuellen Ereignissen in der Schweiz. Hoffentlich habe ich damit ab und zu Ihr Interesse geweckt.

Zum Abschied möchte ich HEKS und mei-nem Nachfolger die besten Wünsche mit auf den Weg geben. Ich wünsche den Menschen, in deren Händen die Geschi-cke von HEKS liegen, viel Gelassenheit, Ruhe, Rückgrat und Standfestigkeit, wenn sie wieder einmal im Gegenwind stehen.

Ich wünsche ihnen vie-le kreative, innovative Ideen und den Mut, die se auch umzuset-zen. Für das Bewälti-gen der Herausforde-rungen in einer sich rasch verändernden Welt wünsche ich Ih-

nen ein hohes Mass an Anpassungsfähig-keit und Flexibilität. Schliesslich wünsche ich ihnen auch einfach Glück, denn nicht alles lässt sich steuern und kontrollieren.

Und dann hoffe ich natürlich, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, HEKS weiter-hin die Treue halten und dessen Arbeit in irgendeiner Form unterstützen. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

Die Entwicklungszusammenarbeit war in jüngster Zeit etwas häufiger in der Kri-tik als auch schon. Sie erziele zu wenig Wirkung zugunsten der Ärmsten in den Ländern des Südens, versickere in korrup-ten Staatsapparaten und sei kaum in der Lage, die Armut der Bevölkerung nach-haltig zu reduzieren. Die selbstkritische Auseinandersetzung mit unserer eigenen Arbeit, insbesondere mit der erzielten Wirkung der zahlreichen Projekte, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Und wir haben den Anspruch, auch mit expliziten Kritikern den Dialog zu suchen.

Die vorliegende Aus-gabe von «handeln» nimmt einige dieser Kritikpunkte auf. Wir möchten Ihnen damit einen vertieften Einblick in unsere Arbeit vermitteln und Sie für die vielfältigen Herausforderungen sensibilisieren.

Für mich ist dieser entwicklungspolitische Akzent der Schlusspunkt meiner Tätigkeit bei HEKS. Anfang August hat Andreas Kressler die Leitung des Hilfswerks über-nommen.

Wie weit ich Sie mit meinen Texten in den vergangenen Jahren begleitet habe, kann ich nicht beurteilen. Seien Sie, liebe Le-serin, lieber Leser, jedoch versichert: Sie waren mir während der letzten acht Jah re treue Begleiterinnen und Begleiter! Beim Schreiben meiner Editorials habe ich mir nämlich stets überlegt, welche Themen Sie interessieren könnten. Die Inspiration für meine Texte holte ich mir aus zahl-

«Wir haben den Anspruch, mit

Kritikern den Dialog zu suchen.»

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EZA IN DER KRITIK

HEKS BEZIEHT POSITIONText Dieter WüthrichFoto Annette Boutellier

In einer von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in Auftrag gegebenen, repräsentativen Umfrage ga-ben im vergangenen Jahr 83 Pro zent der Schweizer Bevölkerung an, dass die Schweiz zumindest eine eher gute Ent-wicklungszusammenarbeit leiste. Der An-teil der Bevölkerung, welcher der Mei-nung ist, dass die Schweiz ihre Bemühun-gen in der EZA verstärken solle, hat in den letzten 15 Jahren gar um die Hälfte zugenommen und steht heute bei 30 Pro-zent, während nur noch 8 Prozent den-ken, die Schweizer EZA solle verringert werden (1999 waren es 17 Prozent). Doch die DEZA und die Schweizer Hilfswerke sollten sich angesichts dieser positiven Resultate nicht zurücklehnen und sich in Selbstgenügsamkeit üben. Denn seit ei-nigen Jahren mehren sich auch jene kri ti-schen Stimmen, die die EZA und die da-hinterstehenden Hilfswerke infrage stel- len. Befeuert wird dieser Trend durch die Diskussionen über die Wirksamkeit und Transparenz der EZA und ihrer Akteure, welche sich im Zuge der politischen For-derung nach einer Erhöhung der staatli-chen Mittel für die Entwicklungszusam-menarbeit verschärft haben. Nicht nur die Politik fragt sich, welchen Nutzen es hat, wenn den Hilfswerken mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Zusätzlichen Nährboden für die wachsen - de Skepsis gegenüber der EZA bietet die breite Verfügbarkeit von Informationen über die Arbeit von Hilfswerken und ihre Projekte, insbesondere im Internet und anderen elektronischen Medien. Aufmerk-samere Spendende, Geld- und Auftrag-gebende informieren sich online und stos-sen dort immer wieder auf Berichte über fehlgeschlagene Projekte, welche dann medial aufgedeckt und ausgeschlachtet

werden. Infrage gestellt werden insbe-sondere Nutzen und Nachhaltigkeit der EZA, die fehlende Transparenz über die Vergabe und Verwendung von EZA-Gel-dern – Stichworte dazu sind Korruption in den begünstigten Ländern und hohe Verwaltungskosten auf Seiten der Hilfs-wer ke – sowie deren mutmasslich feh-lende kritische Selbstreflexion.

HEKS stellt sich dieser Kritik – mit einem «handeln»-Spezialdossier zum Thema. In einem Streitgespräch legen Ueli Locher, bis Ende Juni dieses Jahres Direktor von HEKS, sowie SVP-Nationalrat Luzi Stamm als profilierter EZA-Kritiker ihre unter-schiedlichen Standpunkte dar. Zu Wort kommen aber auch Leute aus der Bevöl-kerung, die sich kritisch mit der Thematik auseinandersetzen. HEKS stellt sich ihren unbequemen Fragen über Sinn und Wir-kung der EZA. Anhand einer Analyse un-seres Landes programms in Indien legen wir zudem Rechenschaft ab über Erfolge und Misserfolge in unseren Projekten. Und wir zeigen anhand einer illustrierten «Timeline» auf, wie bei HEKS ein EZA-Pro-jekt initiiert, geplant und umgesetzt wird. Und schliesslich liefert der NZZ-Journa list Martin Woker eine unabhängige Aussen-sicht auf eines unserer EZA-Projekte in der Republik Moldau.

Unser Spezialdossier vermag wohl viele, aber sicher nicht alle offenen Fragen rund um die Entwicklungszusammenarbeit zu beantworten. Wir möchten Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, auf den folgenden 16 Seiten eine Übersicht über die wich-tigsten Argumente pro und contra Ent-wicklungszusammenarbeit geben und Ihnen einen vertieften Einblick in die Ar-beitsweise von HEKS vermitteln. Die Dis-kussion geht weiter ...

Entwicklungszusammenarbeit (EZA) – speziell jene der Schweiz – geniesst nach wie vor ein hohes Ansehen. Gleichwohl haben die öffentliche Diskussion und die Meinungen gegenüber der EZA, aber auch gegenüber Hilfswerken insgesamt, in den letzten Jahren eine zunehmend kritische Dimension angenommen.

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Entwicklungszusammenarbeit: Für die Befürworter eine Vo-

raussetzung für nachhaltiges Wachstum in den Ländern des

Südens, für manche Kritiker eine reine Geldverschwendung nach dem Giesskannenprinzip.

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EZA IN DER KRITIK – EIN STREITGESPRÄCH

In der Schweiz hat sich die Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) des Bundes, aber auch an jener der privaten Hilfswerke in den letzten Jahren spürbar akzentuiert. Fehlende Transparenz über die Vergabe und Verwendung der Mittel, mutmassliche Korruption in vielen Nehmerländern sowie eine fehlende Wirkungs-messung sind nur einige der Kritikpunkte, die von den Medien, Politikerinnen und Politikern und zunehmend auch von einer breiten Öffentlichkeit thematisiert wer-den. Im folgenden Streitgespräch diskutieren SVP-Nationalrat Luzi Stamm als pro-minenter Kritiker der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und HEKS-Direktor Ueli Locher ihre gegensätzlichen Standpunkte.

HUMANITÄRES GEBOT ODER GELDVERSCHWENDUNG?

Herr Stamm, nützt Entwicklungszu-sammenarbeit mehr, als sie schadet, oder ist der Schaden grösser als ihr Nutzen?Luzi Stamm: Entwicklungszusammen-arbeit nützt sicher mehr, als sie schadet. Es wäre ja anmassend zu sagen, dass in der EZA tätige Schweizer Hilfswerke mit ihrem Engagement Schaden anrichten würden.

Ueli Locher: Da stimme ich Herrn Stamm vollumfänglich zu.

Oft wird zwischen öffentlicher, also staatlicher, EZA und privater EZA, wie sie beispielsweise HEKS leistet, unter-schieden. Fällt da ihr Urteil gleich aus?Luzi Stamm: Da gibt es durchaus Unter-schiede. Bei der staatlichen EZA muss der Grundsatz gelten, dass jeder investierte

Franken ein Maximum bringen muss. Das ist noch sehr viel wichtiger als bei der von privaten Organisationen geleisteten EZA. Die entscheidende Frage ist immer und überall: Wo und wie verwenden Sie das Geld, wenn Sie zum Beispiel eine Million oder gar eine Milliarde Franken zur Verfü-gung haben? Als Privatperson oder als pri vate Organisation können Sie mit dem Geld machen, was Sie wollen. Da können

Moderation Markus Mugglin*Bearbeitung Dieter WüthrichFotos Sabine Buri

«Wer sich überall engagieren will, verzettelt sich.

Heute machen wir zu viel, sowohl

was die Zahl der Länder betrifft als auch die der

Projekte.»Luzi Stamm

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landprodukt statistisch erhöhen lässt. Ich persönlich meine, dass dies keine gute Art ist, die EZA-Gelder auszuweisen. Vor allem sollte man die beiden Bereiche – Flüchtlingshilfe und EZA – nicht miteinan-der vermischen. Die Wirksamkeit der EZA sollte vielmehr daran gemessen werden,

welche positiven Veränderungen mit den Mitteln ausgelöst werden, die in den Län-dern des Südens eingesetzt werden.

Wo verorten denn Sie, Herr Locher, die schweizerische EZA?Ueli Locher: Ich habe vor meiner Zeit als HEKS-Direktor selber fünf Jahre in der Entwicklungsarbeit in Afrika und Asien gearbeitet und konnte auch danach auf meinen Reisen als HEKS-Direktor immer wieder zwischen Schweizer Projekten in der EZA und solchen aus anderen Län-dern vergleichen. Und in diesem interna-tionalen Vergleich kann sich das, was die Schweiz in der EZA leistet, wirklich sehen lassen. Selbstverständlich gibt es auch bei uns Optimierungspotenzial, verlaufen nicht alle EZA-Projekte erfolgreich.

Luzi Stamm: Ich kann aus meiner Optik die Aussage von Herrn Locher in Bezug auf den internationalen EZA-Vergleich be- stätigen. Die Schweizer Hilfe ist besser als diejenige von vielen anderen Ländern »

Sie zum Beispiel auch jemanden unter-stützen, der es objektiv gesehen gar nicht braucht. Bei der öffentlichen EZA hinge-gen muss der Staat dem Steuerzahler Re-chenschaft ablegen. Hier muss besonders genau darauf geachtet werden, dass der einzelne Franken gut eingesetzt wird.

Dann ist HEKS als privates Hilfswerk also weniger unter Druck, Herr Lo- cher ... ?Ueli Locher: (lacht) Das glaube ich nun gar nicht. Unsere Geldgeber, seien dies nun Privatpersonen, Stiftungen oder etwa Kirchgemeinden, haben genau die glei-chen Erwartungen. Es muss zwar keinen Return of Investment in Form von Geld geben, aber es wird sehr wohl erwartet, dass mit den uns zur Verfügung gestell-ten Mitteln eine positive Entwicklung der Lebensumstände der Begünstigten in Gang gesetzt wird. Bei der öffentlichen EZA gilt es zu differenzieren. Es kommt zum Beispiel darauf an, welcher Staat EZA leistet. Staaten wie die USA oder China verknüpfen die EZA mit ihren eigenen geopolitischen Interessen. Der Druck auf die EZA, die geopolitische Ausrichtung des betreffenden Landes zu unterstützen, ist in diesen Ländern ungleich viel grösser als bei vielen europäischen Staaten. Und die Schweiz hat ja keine geopolitische Agenda.

Fokussieren wir auf die Schweiz. Herr Stamm, welche Note geben Sie der Schweizer EZA?Luzi Stamm: Als Politiker kritisiere ich: Die von der Schweiz eingesetzten Mittel sind vor allem dann hoch problematisch, wenn ein viel zu hoher Anteil in die

Schweiz selber fliesst. Statt angesichts der riesigen Flüchtlingsdramen die Mittel an Ort und Stelle in den Krisengebieten einzusetzen, werden unglaubliche Sum- men dazu verwendet, um in der Schweiz angebliche Flüchtlinge zu finanzieren. Dass wir viel zu viele EZA-Gelder in der Schweiz selbst für Juristen, Übersetzer, Wohnungseigentümer, Sozialarbeiter etc. ausgeben, ist meines Erachtens der ent-scheidende Mangel.

Ueli Locher: Das ist ein ewiger Streitpunkt in der Politik, aber auch unter EZA-Fach-leuten. Wir bei HEKS sind allerdings der Auffassung, dass die Mittel, die wir hier in der Schweiz für die Flüchtlinge einset-zen, keine EZA-Gelder im eigentlichen Sinne sind.

Aber es wird statistisch so ausgewie-sen ...Ueli Locher: Das ist leider so. Das hat da-mit zu tun, dass sich damit der Anteil der ein gesetzten EZA-Mittel am Bruttoin-

«Im internationalen Vergleich kann

sich das, was die Schweiz in der EZA

leistet, wirklich sehen lassen.»

Ueli Locher

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oder internationalen Organisationen.Aber wir sollten die Zahl der Länder und Projekte, die wir im Rahmen der EZA un-terstützen, unbedingt reduzieren. Wer sich überall engagieren will, verzettelt sich. Heute machen wir zu viel – sowohl was die Zahl der Länder betrifft als auch die Anzahl der Projekte.

Warum ist diese Diversifizierung ein Problem?Luzi Stamm: Wir sollten zum Beispiel längst darauf verzichten, EZA-Gelder in EU-Länder in Osteuropa fliessen zu las-sen. Die EU hat genug Geld! Wir sollten unsere EZA auf die wirklich armen Länder auf dieser Welt beschränken.

Herr Stamm, Sie haben aber vor eini-ger Zeit in einem parlamentarischen Vorstoss eine Erhöhung der Gelder für die humanitäre Soforthilfe zu Lasten der EZA gefordert. Besteht da nicht die Gefahr, dass dann für die langfris-tigen Anliegen der EZA die Mittel feh-len?Luzi Stamm: Wenn nur beschränkte Mit-tel da sind, fehlt immer irgendwo Geld! Da muss eben auch die Schweiz bei der Auswahl der Länder und Projekte Priori-täten setzen. Ich persönlich würde zum Beispiel Projekte wie dasjenige von Kin-derarzt Beat Richner in Kambodscha un-terstützen, der mit seinem Spital Men-schen rettet, die sich nie eine medizinische Hilfe leisten könnten. Das sind messbare Erfolge. Es würde unserem Land deshalb gut anstehen, solche Projekte in Zukunft noch stärker zu fördern. Was die Schweiz hingegen zum Beispiel in die sogenannte Demokratieförderung steckt, ist viel zu oft in den Sand gesetzt. Da gibt es keine sichtbaren Resultate. Politisches Engage-ment führt sogar zu Abhängigkeiten von den Weltmächten, die mit einem Wim-pernschlag alles kaputt machen können.

Ueli Locher: Was Beat Richner macht, würde ich nicht als humanitäre Soforthil-fe, sondern als klassische Entwicklungs-zusammenarbeit bezeichnen. Er baut In- frastrukturen auf, er stellt Leute ein, die die medizinische Versorgung der Bevöl- kerung sicherstellen. Ich möchte aber grundsätzlich davor warnen, die humani-

täre Soforthilfe und die längerfristige EZA gegeneinander auszuspielen. Es braucht beides. Nach einer Katastrophe geht es zuerst einmal um das nackte Überleben. Die EZA ist hingegen dazu da, die Lebensgrundlagen und -umstände dieser Menschen so zu verändern, dass sie längerfristig ein besseres Leben füh-ren können, ohne Hilfe von aussen in An-spruch nehmen zu müssen.

Luzi Stamm: Sicher braucht es beides. Und es ist natürlich positiv, wenn sich private Hilfswerke in der Entwicklungs- zusammenarbeit engagieren. Was die of-fizielle Entwicklungspolitik der Schweiz betrifft, so ist für mich immer noch das Rote Kreuz wegweisend. Wenn wir uns an die Umstände seiner Gründung durch Henri Dunant als Reaktion auf die Schlacht von Solferino erinnern, so führt uns das vor Augen, wie wichtig es ist, die Nerven zu bewahren und in einem Kon-flikt nicht Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen, sondern sich allein auf die Linderung menschlichen Leids zu kon-zentrieren. Und darum sollte die offiziel -le Schweiz ihre Mittel vor allem für die Linderung der Folgen solcher humanitärer Katastrophen einsetzen.

Probleme in EZA-Projekten transparent zu machen und Fehler einzuräumen, birgt doch immer auch die Gefahr rück-läufiger Spendenerträge. Wie geht HEKS mit diesem Dilemma um?Ueli Locher: Probleme und Fehler im Zeit-alter des Internets und der sozialen Medi-en lassen sich nicht unter dem Deckel halten. Ich sehe das Für und Wider einer offenen und ehrlichen Kommunikation deshalb auch ganz pragmatisch. Das Risi-ko eines nachhaltigen Reputationsscha-dens ist um ein Vielfaches geringer, wenn wir von uns aus proaktiv kommunizieren, statt darauf zu warten, dass wir durch die mediale Berichterstattung dazu gezwun-gen werden.

Herr Stamm, sollte die Schweiz ange-sichts ihres Reichtums nicht noch viel mehr EZA leisten?Luzi Stamm: Entscheidend ist doch nicht die Frage der Quantität, sondern der Qua- lität. Und da gilt es eben Prioritäten zu

setzen. Wenn ich zum Beispiel im Zusam-menhang mit den syrischen Flücht lingen zu entscheiden hätte, wo das Geld einge-setzt werden soll, dann würde ich alle Mittel demonstrativ im Grenzgebiet Syri-en selber einsetzen und unsere Hilfe an die Bedingung knüpfen, dass die Men-schen in ihrer Herkunftsregion bleiben. Wenn wir die extrem hohen Summen, die wir im Inland für das Asylwesen einset-zen, in die EZA im Ausland investieren würden, könnten wir viele Probleme in diesen Ländern viel wirksamer lösen.

Ueli Locher: Herr Stamm, Sie blenden al-lerdings aus, dass die Situation für die Menschen in Syrien unerträglich und lebensgefährlich ist. Deshalb habe ich grösstes Verständnis dafür, dass diese Menschen an einen Ort gelangen wollen, wo sie nicht Tag und Nacht an Leib und Leben bedroht sind.

Herr Locher, Sie treten nach acht Jah-ren als HEKS-Direktor ab. Welches ist Ihre wichtigste Erkenntnis, die Sie im Bereich der Entwicklungszusammen-arbeit gewonnen haben?Ueli Locher: Ich habe vor allem eines ge-lernt, nämlich bescheiden zu bleiben. Wir müssen uns realistische Ziele setzen: Wir können zwar mit unseren bescheidenen Mitteln im Kleinen Grosses bewirken, aber wir können nicht die Weltpolitik ver-ändern. Und eine zweite Erkenntnis, die mich mit grosser Besorgnis erfüllt: Für zivilgesellschaftliche Hilfsorganisationen wie HEKS ist es in vielen Ländern zuneh-mend schwierig geworden, sich zu enga-gieren. Sobald man von Menschenrech-ten spricht oder die Zivilbevölkerung über ihre Rechte informieren und aufklären will, muss man mit staatlichen Restriktio-nen rechnen. Zu leiden haben darunter immer die Ärmsten und Schwächsten. Umso mehr brauchen sie aber unsere Un-terstützung.

* Markus Mugglin war während 25 Jahren als Redak tor bei Schweizer Radio SRF tätig, unter anderem als Leiter des traditionsreichen Polit- ma gazins «Echo der Zeit». Er ist ein profunder Kenner der schweizerischen Entwicklungspolitik. Heute arbeitet er als freischaffender Journalist und Ökonom zu Themen der Globalisierung.

EZA IN DER KRITIK

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Im Projekt «Schutz für nomadische Vieh-züchterfamilien in Maradi» geht es dar-um, Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Bauernfami-lien zu verhindern. Diese beiden Gruppen kommen sich im Sahelland Niger nämlich zunehmend in die Quere.

ProjektkontextAuf der Suche nach Wasser und Weide-flächen wandern mobile Viehzüchter zum Ende der Regenzeit über Hunderte Kilo-meter vom trockenen Norden des Landes in die Ackerbauzone des Südens, wo ihre Herden die abgeernteten Äcker bewei-den. Nach den ersten Regenfällen im Juli kehren sie zurück, damit die Bauern er-neut die Felder bestellen können. Doch aufgrund der wiederkehrenden Dürren und des enormen Bevölkerungswachs-tums werden die natürlichen Ressourcen in Niger immer knapper. Dies hat zur Fol-ge, dass die Bauern ihre Felder immer

Entwicklungszusammenarbeit – wie funktioniert das eigentlich? Wie entsteht ein Projekt, und welche Phasen durchläuft es? Erfah-ren Sie mehr über «unser Handwerk» anhand eines konkreten Projektbeispiels in Niger.

Text Corina BosshardFoto Heidi Keita

BLICK HINTER DIE KULISSEN

öfter in den für die Viehzüchter bestimm-ten Weidekorridoren bestellen. Die sich normalerweise in ihren Wirtschaftsfor-men ergänzenden Ackerbauern und Vieh- züchter stehen sich zunehmend im Kampf um dieselben natürlichen Ressourcen ge-genüber. Während der jährlichen Wan-derbewegungen kommt es daher oft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Um dies zu vermeiden, verabschiedete die nigrische Regierung bereits 1993 den «Code Rural», ein Rahmengesetz, das die Landnutzungsrechte für die sesshafte ländliche Bevölkerung regelt und gleich-zeitig Räume für die Viehzucht sichert. Ein wichtiger Bestandteil des Code Rural ist die Einrichtung von Landkommissio-nen, zusammengesetzt aus VertreterIn-nen der Regierung sowie der einzelnen Nutzergruppen. Die Kommissionen sollen dafür sorgen, dass die Durchgangswege respektiert werden, und Landkonflikte

schlichten. Doch die Umsetzung des Code Rural geht nur schleppend voran. Längst gibt es noch nicht überall Land-kommissionen und dort, wo sie bereits existieren, funktionieren sie häufig nur unzureichend. ProjektzieleZiel des HEKS-Projekts ist es, ein friedliches Zusammenleben von ViehzüchterInnen und sesshaften Bauernfamilien zu fördern, indem in der Region Maradi in breit abge-stützten Konsultationsverfahren mit allen Betroffenen – Nomadisierenden und Sess-haften – klar demarkierte Durchgangs-korridore für Viehherden und Weide-land-Zonen ausgehandelt und festgelegt werden. Diese sollen mit Begrenzungs-pfosten und Hecken markiert werden.

Auch der Zugang zu Wasser führt immer wieder zu Konflikten zwischen Bauern und Viehzüchtern. Um die Lage zu ent-schärfen, will das Projekt entlang der Durchgangskorridore Brunnen bauen und defekte Brunnen reparieren. Das Projekt soll auch den Aufbau von gut ausgebil-deten Landkommissionen auf Dorf-, Dis-trikts- und Departementsebene fördern, wie vom Code Rural vorgesehen.

Auf der folgenden Doppelseite ist der Pro-jektverlauf – von der Projektidee bis zum heutigen Stand – grafisch abgebildet.

7°20' 7°40' 8°00'

14°

14°20'

0 10 km

Echelle

G O U L B I N K A B A

7 6 HEKS

6.2 CTB

3 HEKS

4 CTB

5

4

21

Gondama

TESSAOUA

Dadin Tamro

Guidan Issa

Dan Gado

Rapka

Tobana

Azarori

Guidan Bawa

Kabirgui

Koufan Agoua

Djibbi Inkidi

Zongon Kankaré

GuidanKoussaw

Rouga Mai Layou

Rougar Moussa (kaka)

Kahin Kossaou

Barkégé

Loda

Kadakay

Araourayé

Mai Douma

Guidan Kata

Guidan Tanko

Sarkin Hatsi

Dan Tsountsou

Toulou Bouché

Rougga Hamadi

Tchaké Batchiri

Guidan Magagi Bara

MaygizonAréwa

Dalawa

Zongon Dédé

MAYAHI

May Bagay

Guidan Koré Tossa

Al Moktar

Guidan Maga

Malamawa

Sirdawa

Guidan Ranaou

May Yara

KowaGwani Gangara

Tambarawa

Dan Bakoy

Ita Sofoua

Dan Mairo

Maché Jambaouchi

Malamawa

Maissakari

Korén Abjia

SERKIN HAOUSSA

Wakasso

Atchi lafia

Dan Maimouna

GuidanMeyda

Guidan BaraIn Gawa

Labara

KankaléMajikay

Kotya

DaboubouSansamé

Samia Andi

Dan Baou

Guidan Tanko

Serkin Aréwa

Janrwa

Salifawa

Mayléllé Baba

Hassane

Zarso

Oura

Karoubini

Dan Koulou

Baja

Gidan Assaka

Soké Soké Saboa

Kouka Dan BakoGuidan Ato

Dan Gao

May Kiéléwa

Algoum

Koudou Baro

Farou Bakey

Gisgué

Djali

Guidan Antou

GuidanIbrahim Djilguigé

Gakwey

GuidanAtchié

Litao

DanGaladima

Dan Goulbi

KANAN BAKATCHÉ

Danko

Guidan Kibia

Dan Kori

Gourjougou

ISSAWAN

Aytaden

Karé Dahaouka

Wala

Sarékou

Inyélwa

Kago

Boultou

Dan Ila

Guidan Nakaora

Mallamawa

Guidan Gagéré

El Mayahi

May Gachi

Dan Zao

Garin Wari

Toukounda

Garin Agali

ATANTANÉ

TCHAKYÉ

Dan Amaria

NwalaMaydoubou

Garin Galadima

Mayrakouma

Garin Nanaya

Moforawa

Gourbabo

Guidan Bara

Sakawa

Linkidim

Bantacha

Garin BalaKatoley

SaidawaKonkorma

Dan Albawa

Dan Askya

Garin Bizo

10

Links: Die Durchgangskorridore für die Viehherden sind mindestens 50 Meter breit und werden mittels rot-weisser Betonpfosten markiert.

Rechts: Mögliche Nord-Süd-Korridore wie auch geplante Brunnen und Weidegebiete wurden vom Projekt- team voridentifiziert und kartografisch festgehalten. In Rot der Durchgangs- korridor im Departement Mayayi, an dem im Projekt zurzeit gearbeitet wird.

PROJEKTIDEEDie Projektidee wurde vom HEKS-Landes- direktor in Niger, Maman Mansour Moutari, eingebracht. Bevor der 53-jährige Geologe im Jahr 2008 das HEKS-Koordinationsbüro in Niamey übernahm, war er in Niger für die DEZA tätig. In dieser Funktion war er mass-geblich am Aufbau eines Projekts zur Siche rung von Korridoren für Vieh- züchterfami lien entlang der Nord-Süd-Rou-ten beteiligt. Diese Erfahrung und Expertise veranlasste HEKS dazu, ein Pilotprojekt zu starten mit dem gleichen Ansatz, jedoch in einem an deren geografischen Gebiet.

AKTIVITÄTEN PROJEKTPHASE I – Organisation von diversen Foren mit den

ver schiedenen Nutzergruppen, um den Verlauf der Korridore und den Zugang zu Weideland aus zuhandeln.

– Kartografierung und Kennzeichnung der Korridore und Weidegebiete (mit Betonpfosten und Hecken).

– Unterstützung beim Aufbau von 32 Land-kommissionen und Organisation von 20 Ausbil-dungs-Workshops für ihre Mitglieder.

– Bau oder Reparatur von 26 Brunnen entlang der Korridore.

– Organisation von Sensibilisierungskampagnen (z.B. Friedenskarawanen durch die betroffenen Dörfer oder Ausstrahlung von Radiosendungen).

– Landwirtschaftliche Unterstützung von rund 500 sesshaften Bauernfamilien entlang der Kor ridore (Ausbildung in neuen Produktions techniken, Unterstützung mit Saatgut).

VORABKLÄRUNGEN Das Team des HEKS-Koordinationsbüros in Niger machte mehrere Abklärungsmissionen im Projektgebiet, um sich mit den verschiedenen Akteuren über die Pro jektidee

auszutauschen. Wanderrouten der Viehzüchter-familien wurden beobachtet und Konflikte dokumentiert. So konnten die geplanten Durch-gangskorridore wie auch verfügbares Weideland kartografisch vor identi fiziert werden. Die für die Umsetzung des Projekts verantwortliche Projekt-koordinatorin wie auch die weitere Projekt equipe

wurden vom HEKS-Koordinationsbüro rekrutiert. Das Pro jekt- team zeichnet sich durch einen grossen Erfah rungsschatz im Bereich der pastoralen Mobilität aus.

2010 2011 2012 2013

JAHRESBERICHT JAHRESBERICHT

PROJEKTANTRAG VON GESCHÄFTSLEITUNG

BEWILLIGT

7°20' 7°40' 8°00'

14°

14°20'

0 10 km

Echelle

G O U L B I N K A B A

7 6 HEKS

6.2 CTB

3 HEKS

4 CTB

5

4

21

Gondama

TESSAOUA

Dadin Tamro

Guidan Issa

Dan Gado

Rapka

Tobana

Azarori

Guidan Bawa

Kabirgui

Koufan Agoua

Djibbi Inkidi

Zongon Kankaré

GuidanKoussaw

Rouga Mai Layou

Rougar Moussa (kaka)

Kahin Kossaou

Barkégé

Loda

Kadakay

Araourayé

Mai Douma

Guidan Kata

Guidan Tanko

Sarkin Hatsi

Dan Tsountsou

Toulou Bouché

Rougga Hamadi

Tchaké Batchiri

Guidan Magagi Bara

MaygizonAréwa

Dalawa

Zongon Dédé

MAYAHI

May Bagay

Guidan Koré Tossa

Al Moktar

Guidan Maga

Malamawa

Sirdawa

Guidan Ranaou

May Yara

KowaGwani Gangara

Tambarawa

Dan Bakoy

Ita Sofoua

Dan Mairo

Maché Jambaouchi

Malamawa

Maissakari

Korén Abjia

SERKIN HAOUSSA

Wakasso

Atchi lafia

Dan Maimouna

GuidanMeyda

Guidan BaraIn Gawa

Labara

KankaléMajikay

Kotya

DaboubouSansamé

Samia Andi

Dan Baou

Guidan Tanko

Serkin Aréwa

Janrwa

Salifawa

Mayléllé Baba

Hassane

Zarso

Oura

Karoubini

Dan Koulou

Baja

Gidan Assaka

Soké Soké Saboa

Kouka Dan BakoGuidan Ato

Dan Gao

May Kiéléwa

Algoum

Koudou Baro

Farou Bakey

Gisgué

Djali

Guidan Antou

GuidanIbrahim Djilguigé

Gakwey

GuidanAtchié

Litao

DanGaladima

Dan Goulbi

KANAN BAKATCHÉ

Danko

Guidan Kibia

Dan Kori

Gourjougou

ISSAWAN

Aytaden

Karé Dahaouka

Wala

Sarékou

Inyélwa

Kago

Boultou

Dan Ila

Guidan Nakaora

Mallamawa

Guidan Gagéré

El Mayahi

May Gachi

Dan Zao

Garin Wari

Toukounda

Garin Agali

ATANTANÉ

TCHAKYÉ

Dan Amaria

NwalaMaydoubou

Garin Galadima

Mayrakouma

Garin Nanaya

Moforawa

Gourbabo

Guidan Bara

Sakawa

Linkidim

Bantacha

Garin BalaKatoley

SaidawaKonkorma

Dan Albawa

Dan Askya

Garin Bizo

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AUSBLICKDas Projekt leistet einen wichtigen Beitrag an den Aufbau der Strukturen des Code Rural und könnte sich zu einem Kompetenzpool im Bereich Sicherung der pastoralen Mobilität entwickeln. Das Projekt könnte geografisch weiter ausgedehnt werden und so auch die schwierigen Fragen der Mobilität von Vieh-züchtern über die Grenze Niger-Nigeria aufgreifen.

Sorgen bereitet der HEKS-Programmbe-auftragten für Niger, Heidi Keita, jedoch die fragile Sicherheitslage in Niger. Für EuropäerI nnen besteht eine er- höhte Entführungsgefahr. Projektbesuche aus der Schweiz können daher nicht immer wie geplant durchgeführt werden.

EVALUATIONDie erste Projektphase wurde in der Evaluation des HEKS-Landesprogramms Niger 2009 – 2012 von zwei externen Konsulenten evaluiert.

ErfolgeIn der Projektphase I konnten fünf Korridore von 531 km Länge ausgehandelt und markiert werden. Dank der gebauten Brunnen haben die nomadisierenden Viehzüchter nun einen besseren Zugang zu Wasser – dies entlastet die Dorfbrunnen, deren Nutzung durch Vieh- züchter häufig zu Konflikten führte. Wurden zu Beginn des Projekts rund zwanzig Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Bauern registriert, sank die Zahl bis zum Ende der Projektphase auf null. Die lokale Bevölkerung wie auch die Behörden stehen hinter dem Projekt. So be willigte etwa ein Bürgermeister die Finan zierung des Aufbaus von zehn lokalen Landkommissionen über das Gemeindebudget. Bisher wurde dies von HEKS finanziert. Dies zeigt die Bereitschaft auf lokaler Ebene, das Projekt mit eigenen Mitteln weiter zutragen.

SchwierigkeitenDer Bedarf der nomadisierenden Viehzüchter nach Wasserstellen entlang der Korridore wurde unterschätzt. Auch wurde es versäumt, die teils stark degradierten Weideflächen von Unkraut zu befreien und wieder nutzbar zu machen. In Phase II wurde daher ein stärkerer Fokus auf die Wasserversorgung entlang der Korridore wie auch auf die Regenerierung der Weideflächen gelegt.

PROJEKTPHASE II In der laufenden Projektphase wurden bis jetzt:– in 14 Foren rund 300 km Durchgangs-

korridore ausgehandelt und markiert,– 6 Sensibilisierungskampagnen durchge-

führt und 73 Radiosendungen ausgestrahlt,– 35 Landkommissionen gegründet und

deren Mitglieder ausgebildet,– 13 neue Brunnen gebaut und 4 repariert,– 480 ha Weideland entlang der Korridore

frisch angesät.

Aufbau Land- kommissionen 5% Sicherung

Korridore und Weidegebiete 23%

Landwirt- schaftliche

Unterstützung 11%

Brunnen- und Latrinenbau

42%

Sensibilisierungs-kampagnen

2%

Personal 12%

Infrastruktur 5%

PROJEKTKOSTEN 2014Investierter Betrag: CHF 351 400

2013 2014 2015 2016

JAHRESBERICHT JAHRESBERICHT

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EZA IN DER KRITIKEZA IN DER KRITIK – MEINUNGEN

HERBERT WIDMER (49), STÄFA

«Ich spende nicht für Entwicklungszusam-men arbeit. Ich bin der Meinung, dass es nicht förderlich ist, Geld zu verteilen, ohne dafür eine Gegenleistung einzufordern. Die Empfän-ger von Entwicklungshilfegeldern müssen sich so gar nicht anstrengen, um selbst Lösungen für ihre Probleme zu finden. Im schlechtesten Fall gewöhnen sie sich an den Geldsegen und sind ohne diesen kaum mehr überlebensfähig. Korruption ist ein weiteres grosses Problem. Anstatt dass das Geld bei den Bedürftigen ankommt, wird ein Grossteil davon bereits vorher von korrupten Regimen abgezweigt.»

HEKS ANTWORTET:«Sie haben völlig recht, eine nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn sie die Betroffenen selbst in die Hand nehmen. HEKS macht daher auch keine Geschenke, sondern erwartet von den Projektteilnehmenden Eigeninitiative. HEKS-Programme arbeiten an der gesellschaftlichen Basis mit lokalen Partnerorga-nisationen. Mit Unterstützung dieser Organisationen definieren die Betroffenen selber ihre jeweiligen Bedürfnisse und suchen nach Lösungen, wie ihre soziale und wirtschaftliche Situation verbessert werden kann. Das Risiko, dass Mittel der Entwicklungszusammenarbeit miss-braucht werden, besteht. Auch HEKS hat damit in mehreren Ländern schon Erfahrungen machen müssen. Abmachungen, die die NutzniesserInnen selber einbinden, und Transparenz bei der Verwendung der Mittel helfen jedoch, den Missbrauch von Hilfsgeldern zu minimieren.»

REINHARD MARGELISCH (41), DIESSBACH BEI BÜREN

«Ich habe Mühe mit der Emotionalisierung der EZA. Oft dramatisieren Hilfsorganisationen die Verhältnisse, um möglichst viele Spenden zu generieren. Gerade Sammelaktionen zur Weihnachtszeit, die einen riesigen Hype um die EZA produzieren, zielen darauf ab, die Men-schen aus einer momentanen Emotion heraus zum Spenden zu animieren. Der Aspekt der Nachhaltigkeit kommt dabei zu kurz. Hilfsor-ganisationen sollten den Menschen fun diertes Wissen vermitteln, das ihre Haltung verändert und sie dazu bewegt, sich das ganze Jahr über für benachteiligte Menschen und die Verbes-serung von Notständen auf dieser Welt einzu-setzen.»

HEKS ANTWORTET:«Es gibt viele Menschen, die aufgrund von Emotionen spenden. Vor allem im letzten Quartal des Jahres, wenn Weihnachten naht, möchten viele Gutes tun. Sie wollen nicht nur ihre Familie beschenken, sondern mit einer Spende dazu beizutragen, das Leben für Benachteiligte zu verbessern. Natürlich profitieren Hilfswerke von diesem Bedürfnis und werben mit entsprechen-den Angeboten. Auch HEKS. Uns ist es aber sehr wichtig, dass wir neben der Bitte um eine Spende sensibilisieren und infor-mieren, denn Sie haben recht: Nur eine Änderung im Verhalten gegenüber den Schwachen und Ausgegrenzten in unserer Ge-sellschaft und die Befähigung dieser Leute, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können, bringt nachhaltige Entwicklung – und das nicht nur an Weihnachten!»

HEKS lässt Kritiker und Kritikerinnen der EZA zu Wort kommen und gibt Antworten auf die unterschiedlichen und auch berechtigten Argumente.

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NAOMI JONES (44), BERN

«Ich spende nicht oft für EZA-Projekte. Ich spende eher für die Flüchtlingshilfe, die mich direkter betrifft und mich entsprechend be-rührt. Entwicklungszusammenarbeit hat aus meiner Sicht oft etwas Bevormundendes. Viele Hilfsorganisationen glauben zu wissen, was die Begünstigten brauchen, ohne diese Menschen zu fragen, was ihre tatsächlichen Bedürfnisse sind. Hilfsorganisationen sollten verstärkt Entwicklungspolitik betreiben, damit die Regierungen die nötigen politischen Rah-menbedingungen bereitstellen und die Be-völkerung ihre Lebensbedingungen selbstbe-stimmt verbessern kann.»

HEKS ANTWORTET:«Selbstverständlich muss sich Entwicklungszusammenarbeit im-mer an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientie-ren. Deshalb arbeitet HEKS in seinen Projekten immer mit loka-len Partnerorganisationen zusammen. Deren Mitarbeitende sind mit den Lebensumständen, den Problemen und Bedürfnissen der Bevölkerung vertraut. Sie wissen deshalb sehr genau, in wel-cher Form und in welchem Umfang die Menschen tatsächlich Unterstützung brauchen. Ein zentrales Element des Engage-ments in der Entwicklungszusammenarbeit von HEKS ist die an-waltschaftliche Arbeit. Wir unterstützen Menschen in ihrem Be stre ben, eine reale Partizipation an den Entscheidungsprozes-sen der Regierung und anderer wichtiger Organe zu erreichen. Die anwaltschaftliche Arbeit von HEKS ist damit auch ein wich-tiger Faktor zur Stärkung der Selbstkompetenz von Menschen mit einem Rechtsanspruch.»

THOMAS FERON (24), PALÉZIEUX

«Ich spende nicht für Entwicklungsprojekte. Ich engagiere mich lieber politisch in der Schweiz und unterstütze NGO, die hier vor Ort handeln. Denn indem ich mich hier enga-giere, kann ich im Ausland etwas bewirken. Was mich an vielen im Ausland tätigen NGO stört, ist ihr imperialistischer Ansatz. Einige bezahlen ihren ins Ausland entsandten Mitar-beitenden hiesige Gehälter, beuten aber ihre Mitarbeiter vor Ort aus und verwehren ihnen gewerkschaftliche Rechte. Ausserdem zwin-gen sie den Menschen Denk- und Handlungs-weisen auf, die sich nicht mit lokalen Gege-benheiten vereinbaren lassen.»

HEKS ANTWORTET:«Auch HEKS ist der Ansicht, dass es manchmal Aktivitäten hier in der Schweiz braucht, um die Lebensbedingungen von Men-schen in anderen Ländern zu verbessern. HEKS setzt daher auf die Sensibilisierung der Schweizer Öffentlichkeit zu gewissen Themen und beteiligt sich an schweizweiten Kampagnen von NGO-Koalitionen wie etwa der Klima-Allianz oder der ‹Recht ohne Grenzen›-Kampagne.Was den imperialistischen Ansatz von im Ausland tätigen NGO betrifft, geben wir uns grösste Mühe, nicht in diese Kategorie zu fallen. Die Entwicklung und Umsetzung unserer Projekte er folgt wo immer möglich in einem partnerschaftlichen Dialog mit den Betroffenen. Wir entsenden auch generell keine Mitarbeitenden ins Ausland, sondern wir arbeiten eng mit lokalen Partnern vor Ort zusammen, da wir davon ausgehen, dass diese die lokalen Gegebenheiten am besten kennen und verstehen, welche Form der Unterstützung nötig und sinnvoll ist.»

GHANAIllegale Goldgräber in der Mine von Obuasi in der Region Ashanti Foto George Osodi/Panos

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Herausragende Erfolge im Landkampf, aber eine unzureichende Breitenwirkung bei den landwirtschaftlichen Aktivitäten. Überzeugende Programmkomponenten, aber eine ungenügende Verknüpfung und Synergiennutzung. HEKS hat in Indien viel er-reicht, aber es gibt Verbesserungspotenzial. Das neue Indien-Landesprogramm 2015–2018 will dieser Erkenntnis Rechnung tragen.

Text Corina BosshardFotos Karin Desmarovitz

ligte und marginalisierte Bevölkerungs- gruppen wie etwa Kastenlose (Dalit), Frauen oder Indiens Ureinwohner (Adi- vasi).Im Jahr 1997 wurden die Projektaktivitä-ten auf drei Gliedstaaten in Südindien be schränkt, und ab 2009 wurde auch der

AUF ERFOLGE BAUEN, AUS MISSERFOLGEN LERNEN

HEKS arbeitet bereits stolze 57 Jahren in Indien. Das erste HEKS-Entwicklungspro-jekt in Südindien war eine mechanische Lehrwerkstätte für ländliche Jugendliche in Kerala. In den folgenden Jahren reali-sierte HEKS mit indischen Partnerorgani-sationen diverse Projekte für benachtei-

EZA IN DER KRITIK

thematische Fokus des Indien-Programms enger gefasst: Die Projekte konzentrier-ten sich nun stärker auf den Zugang zu Land für marginalisierte Bevölkerungs-gruppen und auf diverse Aktivitäten zur Urbarmachung und Nutzung des mobili-sierten Landes.

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Ausserdem werden die Projektbegünstig-ten in der Programmkomponente «LRM» («Local Resource Mobilisation») darin un-terstützt, staatliche Dienstleistungen zur Entwicklung und Bewirtschaftung des erkämpften Landes einzufordern, wie etwa die Einrichtung von Brunnenbohr-löchern oder das Bereitstellen von Elektri-zität. HEKS-Partnerorganisationen klären die Menschen über ihre Rechte auf und helfen ihnen, diese Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.

Evaluation und NeuausrichtungDas Landesprogramm 2008–2012 wurde am Ende der Programmphase durch ei-nen externen Konsulenten evaluiert. Sei-ne Empfehlung: HEKS sollte in Indien damit weitermachen, worin es am bes-ten ist: mit der Landmobilisierung. Doch gemäss dem Konsulenten sollten die neu-en LandbesitzerInnen verstärkt in Wert-schöpfungsketten eingebunden werden, so dass sie für die Produkte, die sie auf ihrem Land anbauen, einen Absatzmarkt mit fairen Preisen finden.

SYNERGIEN BESSER NUTZEN

Der Programmbeauftragte Adrian Scherler hat die Verantwortung für das Indien-Programm vor zwei Jah-ren übernommen, den Evaluations-prozess gesteuert und gemeinsam mit dem Landesdirektor in Indien das neue Landesprogramm verfasst. Mit ihm sprach Corina Bosshard.

Adrian Scherler, was ist das wichtigste Fazit aus den Evaluationen?Die Landrechtsforen sind der grösste Er-folg von HEKS in Indien: HEKS-Partner-organisationen konnten zwischen 2009 und 2014 Land für rund 69 000 Dalit- und Adivasi-Familien mobilisieren. HEKS Indien will sich daher in der nächsten Programmphase in erster Linie auf die »

Die Zeit von Januar 2013 bis Dezember 2014 wurde schliesslich zur Übergangs-phase erklärt, um die thematische Neu-ausrichtung einzuleiten. HEKS-Partner-organisationen in den Bundesstaaten Andhra Pradesh und Karnataka began-nen im Oktober 2013 mit dem Aufbau eines Wertschöpfungsketten-Programms in den Bereichen Cashewnüsse und Ragi (Fingerhirse).

Im September 2014 wurden eine weite re Evaluation durch den externen Konsu-lenten und ein HEKS-interner Workshop in Indien durchgeführt, um die Aktivitä-ten im Bereich Wertschöpfungsketten zu evaluieren und aus den Ergebnissen das neue Indien-Landesprogramm 2015–2018 zu skizzieren.

Ein Ziel – diverse ProjektkomponentenIm Jahr 2003 gründete HEKS in den drei Bundesstaaten, in denen es tätig ist, Landrechtsforen, die die Aktivitäten der verschiedenen HEKS-Partnerorganisatio-nen im Bereich Landkampf koordinieren. Die Organisationen treffen sich in diesen Foren regelmässig, tauschen Informatio-nen aus, besprechen Strategien und pla-nen gemeinsame Aktivitäten. Sie helfen Landlosen und Menschen ohne gesicher-te Landtitel durch die administrativen Mühlen und den Gesetzesdschungel hin-durch, bis sie gesicherten Zugang zu ei-nem eigenen Stück Land erhalten.

Land zu mobilisieren hat aber wenig Sinn, wenn dieses von den betroffenen Famili-en nicht auch bewirtschaftet und genutzt werden kann. Aus diesem Grund fördern HEKS-Partner in der Programmkompo-nente «SEASON» eine nachhaltige Land-wirtschaft mit traditionellen Getreide-sorten. Dies geschieht etwa durch das An legen von Gemüsegärten, durch die Herstellung und Anwendung von organi-schen Düngemitteln und Pestiziden sowie durch den Aufbau von Saatgutzentren.

Oben: Familie Bhumela hat mit HEKS-Unterstützung ein Stück Land erkämpfen können, auf dem sie nun Cashewnuss-Bäume anpflanzen möchte. Unten: Tomatenernte in Kattogadda. Diese Familien können von ihrem Stück Land bereits ein Einkommen erwirtschaften.

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EZA IN DER KRITIK

Arbeit der Landrechtsforen konzentrieren und diese unterstützen, auch in Zukunft nachhaltig und selbstständig arbeiten zu können.

Was lief weniger gut? Wo gab es Miss-erfolge?Man musste feststellen, dass die land-wirtschaftliche Unterstützung im «SEA-SON»-Programm nicht die gewünschte Breitenwirkung erzielte: Nur rund ein Drittel der Begünstigten konnte von den Interventionen nachhaltig profitieren. Zu-dem zeigte sich, dass die Synergien zwi-schen den einzelnen Programmkompo-nenten zu wenig genutzt wurden und dass diese oft etwas verzettelt angewen-det wurden.

Was heisst das konkret?Etwa nahmen bisher viele Familien am «SEASON»-Programm teil, die aber kein eigenes Land besassen. Andererseits wur- den nicht alle Familien, die dank HEKS Land erkämpft hatten, auch in die «SEA-SON»- und «LRM»-Aktivitäten eingebun-den, so dass sie ihr neues Land nur un ge- nügend oder gar nicht nutzen konn ten. Auch fehlte den Projekten eine Follow- up-Komponente: Es wurde nicht syste-matisch erfasst, wie es den neuen Land- be sitz ern nach ein paar Jahren mit dem neuen Land erging.

Dies soll sich in der neuen Programm-phase nun ändern?Ja. Hauptfokus soll sein, die Familien, die um ein Stück eigenes Land kämpfen, im ganzen Kreislauf zu begleiten: von der Landmobilisierung über die nachhaltige Bewirtschaftung des erkämpften Landes bis zum Absetzen der angebauten land-wirtschaftlichen Produkte. Die Cashew-nuss- und Ragi-Vermarktung kann dabei eine wichtige Rolle spielen.

Was ist mit den weiteren Programm-komponenten?Diese werden nicht als separate Pro-grammkomponenten weitergeführt, son-dern vielmehr in Landmobilisierungs- und Landbewirtschaftungsaktivitäten eingegliedert. Idealerweise werden die Aktivitäten in Zukunft von Animatoren in den Dörfern eigenständig, ohne HEKS- Unterstützung, weitergeführt. Denn lang-fristiges Ziel ist – wie in jedem anderen HEKS-Projektland – auch in Indien, dass Strukturen aufgebaut werden, die weiter-funktionieren, auch wenn HEKS sich ein-mal aus Indien zurückziehen wird. Indien ist eine aufstrebende Wirt-schaftsmacht. Braucht es da überhaupt noch Entwicklungshilfe?Das Schwellenland Indien erlebt derzei tig effektiv einen bedeutenden Wirtschafts-boom. Von diesem Aufschwung profi-tiert jedoch nur ein kleiner Teil der Bevöl-kerung. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt nach wie vor unter der Armutsgren-ze. Der Wirtschaftsboom Indiens ver-schärft zudem die Konflikte um Land und Ressourcen. Genau in dieser Phase benö-tigen die Kleinbauernfamilien unsere Un-terstützung. Sobald unsere Partnerorga-nisationen und Landrechtsforen ge nü- gend gestärkt sind, können wir ihnen die Projektverantwortung endgültig über- geben und uns schrittweise aus Indien zurückziehen.

Auf die Aussaat folgt die Ernte und schliesslich die Fahrt zum lokalen Markt, wo die Produkte verkauft werden.

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EZA IN DER KRITIK – MEINUNGEN

GERHARD ITEN (65), ZÜRICH

«Ich spende nicht, wenn die Verwaltungs- kosten sehr hoch sind. Das Engagement einer Organisation muss uneigennützig sein, und es darf sich niemand daran bereichern. Zudem müssen die Rechnung und die Kommunika- tion transparent sein, denn als Spender will ich wissen, wie ein Projekt durchgeführt wird und ob das Geld wirklich ankommt. Je grösser eine Organisation, und je weniger ich erken-nen kann, wie diese Organisation aufgestellt ist, desto eher zögere ich, zu spenden.»

HEKS ANTWORTET:«HEKS verfügt über das Zewo-Gütesiegel. Dieses bestätigt, dass eine Organisation einen gemeinnützigen Zweck verfolgt und die Spenden wirkungsvoll zur Erfüllung dieses Zwecks einsetzt. Das Gütesiegel wird unter anderem nur dann verliehen, wenn die betreffende Organisation einen haushälterischen und verant-wortungsvollen Umgang mit Verwaltungskosten nachweist. Bei HEKS lag der Anteil der Verwaltungskosten (Kosten für Admi-nistration, Kommunikation und Fundraising) im Jahr 2014 bei 13,4 Prozent. Dieser Wert liegt weit tiefer als der Durchschnitt der zertifizierten Organisationen. Aber trotzdem braucht es ein Minimum an Administration: zum Beispiel für Qualitätsmanage-ment. Wenn ein Projekt oder Programm möglichst breit wirken soll, muss es gut umgesetzt werden. Das bedingt Kontrollen und Evaluationen. Und wenn Spendende erfahren sollen, was mit den Mitteln geschieht, müssen detaillierte Jahresberichte und Statistiken erstellt werden. HEKS hat zudem einen umfassenden Transparenzkodex veröffentlicht. Damit soll Klarheit über Defi-nition, Grundsätze und Praxis transparenter Kommunikation geschaffen werden. Gleichzeitig nimmt HEKS jährlich eine Standortbestimmung vor, um bestehende Mängel bezüglich Transparenz zu erkennen und Massnahmen zur Verbesserung einzuleiten.»

KATRIN SANTSCHI (34), BERN

«Ich denke, dass die EZA bis zu einem gewis-sen Grad die Regierungen in den Entwick-lungsländern aus der Verantwortung nimmt: Wenn Hilfsorganisationen die Bildung fördern, nehmen sie eine Aufgabe wahr, die eigentlich die Regierung übernehmen müsste. Darum sollten sich die Hilfsorganisationen verstärkt auch auf politischer Ebene einsetzen und die Regierungen in die Verantwortung nehmen. Hilfsorganisationen sollten auch ihre eigenen Regierungen in die Pflicht nehmen, damit diese beispielsweise mit wirtschaftspolitischen Massnahmen Druck auf die Regierungen in den Entwicklungsländern ausüben, ihre Ver-antwortung für die Verbesserung der Lebens-bedingungen wahrzunehmen.»

HEKS ANTWORTET: «HEKS engagiert sich im Rahmen der Entwicklungszusammen-arbeit vor allem dort, wo staatliche Strukturen und Angebote nicht greifen bzw. gar nicht vorhanden sind. Gleichzeitig steht HEKS entweder direkt oder über seine lokalen Partnerorganisa-tionen vor Ort im Dialog mit Regierungen und Behörden, damit diese ihre rechtliche und moralische Verantwortung verstehen und wahrnehmen. Auch in der Schweiz steht HEKS stets in en-gem Kontakt mit den politischen und wirtschaftlichen Entschei-dungsträgern, um sie für die Situation in den Projektländern zu sensibilisieren, über die Entwicklung zu informieren und so Ein-fluss auf Gesetzgebung und Rechtsprechung zu nehmen.»

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EZA IN DER KRITIK

Massenarmut, Menschenhandel, Migration. Auf der Republik Moldau lastet ein Fluch. Seit ihrer Unabhängigkeit vor 24 Jahren sorgt die einstige Sowjetrepublik stets nur für negative Schlag-zeilen. Das rund dreieinhalb Millionen Einwohner zählende Land belegt im europäischen Ranking der Emigranten-Rimessen seit Jahren den Spitzenrang. Hunderttausende von Moldauerinnen und Moldauern verdienen ihr Geld ausschliesslich oder zeitwei-se im Ausland; nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Vorbei sind die Zeiten, da es im blühenden Agrarstaat gut be-zahlte Lohnarbeit in den Kolchosen gab, mit Überstundenrege-lung und Ferienanspruch. Der real existierende Sozialismus hat-te die Bauern zwar von ihrer Bindung an die Scholle gelöst. Eine bleibende Befreiung aber war’s nicht.

Kleinbauern wider WillenDie Moldau hat mit ihren vorzüglichen klimatischen Bedingun-gen und fruchtbaren Böden während Jahrhunderten arbeitsame Bauern aus halb Europa angezogen. Sie liessen sich in den lieb-lichen Hügeln und weiten Flächen nieder, brachten heimisches Saatgut mit und liessen blühende Siedlungen entstehen. Zum Beispiel Burlacu. Das im südlichen Verwaltungsbezirk Cahul ge-legene Dorf, einst Alexandrowka geheissen, zählt heute 2500 Bewohner. Gegründet wurde es 1908 von deutschen Kolonisten. Gut dreissig Jahre später wurden sie wie alle andern Bessarabi-en-Deutschen in Folge der sowjetischen Besetzung nach Deutschland umgesiedelt. Dem heute mehrheitlich von rumä-nisch sprechenden Moldauern und einer bulgarischen Minder-heit besiedelten Ort haftet bis heute der Ruf von der Tüchtigkeit seiner Bewohner an.

Einer von ihnen ist Petru Mihow, Vorsitzender der Tafeltrauben- produzenten der Region Cahul. Der stämmige und selbstsicher auftretende Agronom bewirtschaftet derzeit 2000 Hektaren Land und hat gegen hundert Angestellte auf der Lohnliste. Doch zufrieden ist er nicht. «Meine Generation opfert sich, weil wir den russischen Markt verloren haben», sagt er. Mihow ist einer,

Ziel des HEKS-Projekts ist die Verbesserung der Einkommen und

AN DIE SCHOLLE GEBUNDENIn der Republik Moldau, im ehemaligen Obstgarten und Weinbaugebiet der Sowjet-union, findet eine Rückbesinnung statt. Nach dem Ende der Kolchosen binden sich innovative Landwirte wieder freiwillig an die Scholle. Der Bauer wird neu erfunden.

Text Martin Woker Foto Mihai Vengher

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Nötige GewinnmaximierungIn der Gemeinde Manta südlich von Cahul begegnen wir Viorel Bezman, dem Verwalter des örtlichen Kühlhauses. Manta liegt im Zentrum des Anbaugebiets der Tafeltrauben, deren begehr-teste Sorte «Muscat de Hambourg» traditionell nach Weissruss-land und in die Ukraine exportiert wurde. Die Käufer holten die Trauben jeweils direkt bei den Produzenten zum Preis von um-gerechnet etwa 50 Rappen pro Kilo. Seit dem Bau des Kühlhau-ses mit einem Fassungsvermögen von 50 000 Tonnen müssen die Produzenten ihre Ernte nicht länger ab Feld verkaufen, was ihnen beachtlichen Gewinn einbringt. Bis im Frühling steigt der Preis ihrer Trauben bis ums Dreifache.

Dank der Vermittlung des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) können in Manta neuerdings auch Kleinprodu-zenten ihre Trauben im Kühlhaus lagern, das ursprünglich von ein paar Grossbauern finanziert und gebaut wurde. Einer der Kleinbauern ist des Lobes voll. Die von ihm verlangten Lagerkos-ten von umgerechnet 10 Rappen pro Kilo Trauben lohnen sich angesichts des höheren Verkaufspreises. Trotz kleinerer Ernte als im Vorjahr wird er dieses Jahr einen höheren Gewinn erzielen. Diesen will er in Netze investieren, die seine 4,5 Hektaren gros-se Anbaufläche vor Hagel schützen. Der Erfolg der Traubenpro-duzenten ist messbar. Innert der letzten paar Jahre hat sich in der Region der Bodenpreis für Landwirtschaftsland auf umge-rechnet etwa 700 Franken pro Hektare verdoppelt, mit steigen-der Tendenz. Von Optimismus erfasst wurde auch Bezman. Er hat in Italien moderne Produktionsbetriebe besichtigt und be-griffen, dass ausser der Lagerung auch eine marktgerechte Ver-packung einen Teil der Wertschöpfungskette bildet. Die Produ-zenten in Manta, und zwar grosse und kleine, planen bereits, dem Kühlhaus eine moderne Verpackungsanlage anzugliedern.

Marktzugang als HürdeGeradezu getrieben von Innovationseifer erscheint Slava Burla -cu, ein junger Agronom, der am südlichen Stadtrand von Cahul auf dem Gelände einer heruntergekommenen ehemaligen Kol-chose Gemüse produziert. Derzeit bewirtschaftet er eine Fläche von drei Hektaren. In Plastiktunnels wachsen Peperoni, China-kohl und Salat. Slava hat sich in den Ruinen des Verwaltungsge-bäudes notdürftig eingerichtet. Drei freundliche Kleinhunde begleiten ihn auf Schritt und Tritt durch die Trümmer der ehe-maligen Staatsfarm. Fast alles Land liegt brach, rostende Rohre und allerlei Eisenschrott versperren den Weg, was den Agrono-men in seinem Tun nicht hindert. Er plädiert vehement für bio-logischen Gemüseanbau und bezeichnet den Marktzugang als einziges echtes Hindernis auf seinem Weg. Dank der Vermittlung eines von HEKS engagierten Beraters kann er seit kurzem eine einheimische Supermarktkette beliefern, was ihm dringend nö-tiges Geld in die Kasse spült. Er, der seine Fachausbildung in Frankreich zum Thema Apfelwein abgeschlossen hat, will die Lage der örtlichen Landwirtschaft nicht beschönigen. «Ich kann dies alles tun, weil ich studiert habe», räumt er freimütig ein. Ohne einschlägige Fachkenntnisse wären für ihn die Türen des Landwirtschaftsministeriums und damit auch der Zugang zu Subventionen verschlossen. Wird der dynamische Agronom der-einst auch Apfelwein herstellen? Das wäre zu weit vorgegriffen, sagt er, so sehr ihm der Gedanke auch gefällt. Vorerst träumt er davon, auf der einstigen Kolchose für sich ein Haus zu bauen, um in unmittelbarer Nähe seiner Pflanzungen zu wohnen. »

damit der Lebensbedingungen von TraubenproduzentInnen in der Zentral- und der Südmoldau.

der stets an die Zukunft der Landwirtschaft glaubte und dies immer noch tut. Als die Kolchosen nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems zerschlagen wurden, erhielten deren Angestellte Realersatz. Hier im Süden der Republik Moldau gab es knapp zwei Hektaren Land pro Angestellten.Der für eine grossflächige Landwirtschaft passende Maschinen-park der Kolchosen war für die wider Willen zu Kleinbauern gewordenen Kolchose-Angehörigen nutzlos. Mit dem Land al-lein wussten sie nichts anzufangen, und so suchten sie eben Arbeit im Ausland. Viele von ihnen verpachteten oder verkauf-ten ihre Landanteile an Personen wie Mihow, die im alten Sys-tem Verwaltungspositionen innehatten und heute die Grossbau-ern von morgen sind. «Im alten System waren die Landbewohner Befehlsempfänger,» sagt Mihow. «Das prägte ihre Mentalität. Noch heute haben sie Mühe, selbstständig zu entscheiden.» Doch Besserung ist in Sicht.

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EZA IN DER KRITIK

BER ATUNG UND VERMITTLUNG

Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) orientiert sich bei seinem Engagement für die ländliche Bevölke-rung in der Moldau an einer Strategie na-mens M4P. Das Kürzel steht für «Making Markets Work for the Poor». Die Vorge-hensweise stützt sich auf die Erkenntnis, wonach effiziente Armutsbekämpfung eine Stärkung jener Märkte erfordert, an denen die Armen bereits beteiligt sind. Für diese Form von Strukturhilfe einge-setzt werden erfahrene einheimische Agronomen, die den Kleinbauern beim Erstellen von Business-Plänen helfen, fachliche Weiterbildung organisieren, ge-nossenschaftliche Strukturen begünsti-gen und die Vernetzung mit dem Markt herstellen. Im Unterschied zur herkömm-lichen Entwicklungszusammenarbeit, die meist Infrastrukturprojekte finanziert, sind die Resultate des M4P-Vorgehens schwieriger messbar.

Im eigenen BauernhausDen Traum vom guten Leben auf heimischer Scholle im eigenen Bauernhaus hegt auch Adrian Cepoi in Mihaileni. Sein Dorf liegt fünf Fahrstunden nördlich von Cahul im Distrikt Riscani. Zentrum der sehr fruchtbaren Region ist die zweitgrösste Stadt der Mol-dau, Balti (ausgesprochen: Belz). So wie Slava ist auch Adrian einer jener jungen Agronomen, die sich zum Anpacken nicht zu schade sind. Er bewirtschaftet 200 Hektaren Land mit Soja, Wei-zen und Mais. Eine von HEKS initiierte praxisorientierte Weiter-bildung bewog ihn dazu, die Verwendung von Kunstdünger zu reduzieren. So begann er, den Tierhaltern im Dorf den Mist ab-zunehmen. 250 Tonnen waren es im vergangenen Jahr, sagt er stolz und lässt mit der Erfolgsgeschichte seine Besucher die Käl-te seines ungeheizten Kabäuschens am Dorfrand vergessen, von wo aus er seinen Grossbetrieb dirigiert.Adrians Mistproduzenten im Dorf sind eigentlich gar keine Bau-ern. Wir begegnen einigen von ihnen an der örtlichen Milchsam-melstelle; ausnahmslos ältere Männer und Frauen, die alle in der einstigen Kolchose beschäftigt waren, als Melker, Maschinisten oder Mechaniker. Alle hatten sie ein geregeltes Einkommen, Fe-rienanspruch und Pensionsberechtigung. Heute halten sie in den Gärten ihrer Häuser in behelfsmässigen Ställen zwei oder drei Kühe. Mehr Tiere zu ernähren ist nicht möglich mit dem Ertrag aus den 1,2 Hektaren Land, die den Dorfbewohnern hier zuge-teilt wurden. Die Dörfler überleben nur darum, weil die im Aus-land arbeitende Generation ihrer Kinder ihnen Geld zukommen lässt. Die improvisiert wirkende Milchsammelstelle ist ein aus der Not geborenes genossenschaftliches Selbsthilfeprojekt. Dass die Milch in kleinen Plastikeimern auf Fuhrwerken herbeigekarrt wird, ist Ausdruck von technologischem Rückschritt im Vergleich zur Zeit, da die Kolchose funktionierte und alles mechanisiert war.

Ein erwachter GlaubeDrei jüngeren Dorfbewohnern begegnen wir auf freiem Feld. Dort haben sie kürzlich dank Mikrokrediten mit bescheidensten Mitteln je einen Stall errichtet, wo sie ein paar Rinder, Kühe und Schweine halten. Von den drei einfachen Nutzbauten genügt nur gerade einer den Ansprüchen artgerechter Tierhaltung. In ihrer neuen Rolle als Kleinbauern fühlen sich die drei noch etwas unwohl. Sie klagen über tiefe Fleischpreise und andere Hemm-nisse, wie den erschwerten Export nach Russland. Europa sei für Produkte aus der Republik Moldau nicht bereit, sagt einer. Dass die Sachlage wohl eher umgekehrt ist, will ihm nicht einleuch-ten.Eine solche Erwartungshaltung erstaune ihn nicht, sagt der Bür-germeister von Mihaileni, Valerian Cecan. Auch er ortet den Kern der wirtschaftlichen Probleme in den ländlichen Regionen in den Köpfen der Bewohner. Und fügt an, dass immerhin schon einiges passiert sei. Das Dorf zähle wieder wie zu Zeiten der Kolchose rund 1200 Milchkühe. Das Problem sei noch, dass das Nutzvieh heute bei den Wohnhäusern im Dorf gehalten werde. Die Kommunalverwaltung ermuntere die Bevölkerung, ausser-halb des Siedlungsgebiets Ställe zu bauen, und stelle dafür Land zur Verfügung. Der Glaube an die Zukunft der Landwirtschaft sei eindeutig wieder erwacht. Ausdrücklichen Dank richtet Cecan an jene wenigen Organisationen wie HEKS, die nicht nur in harten Zeiten Hilfe brachten, sondern niemals Zweifel daran liessen, dass solch fruchtbare Erde einst guten Ertrag zugunsten von allen abwerfen werde.

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UNGARN

REPUBLIK MOLDAU

Bevölkerung der Republik Moldau

3 938 679davon arbeiten im Ausland

ca. 30%Die Republik Moldau ist das

ärmste Land Europas. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens wurde der

traditionell enge Kontakt mit dem Nachbarland schwieriger, das

Land immer stärker isoliert. Politisch und wirtschaftlich laviert

die moldawische Regierung zwischen Europa und Russland.

Eine der grössten Herausforde run-gen der Republik ist die hohe Arbeitsmigration ins Ausland.

Bragaru Tudor ist ein Tafeltrauben- pro duzent aus dem Dorf Manta im Bezirk Cahul. Er ist 37 Jahre alt und verheiratet. Er hat Jura studiert, konnte aber als Jurist keine Arbeit finden. Nachdem er von seinen Eltern zwei Hektaren Land geerbt hatte, entschloss er sich, Landwirt zu wer-den. Die Produktion von Tafeltrau-ben ist zu seiner Leidenschaft und auch zur wichtigsten Einkommens-quelle für seine Familie geworden.

Text Bettina FilacanavoFoto Octavian Olaru

Bragaru Tudor, wie sind Sie mit HEKS in Kontakt gekommen?Ich erfuhr in einem Seminar des Verban-des der Cahuler Tafeltraubenproduzen- ten (APSM) vom Projekt, das von HEKS in der Republik Moldau umgesetzt wird. 2013 besuchte ich die Farmer Field School (FFS) und die Farmer School for Viticulture (FSV). Die Lehrgänge wurden mit Unter-stützung von HEKS Moldawien und von

APSM organisiert. Die Ausbildner der theoretischen und praktischen Kurse ver-fügen über langjährige Erfahrung im Bereich der Tafeltraubenproduktion. Da konnte ich sehr viel lernen.

Was konkret haben Sie in der Ausbil-dung gelernt?Ich konnte durch diese Lehrgänge mein Wissen erweitern, die Qualität der Trau-ben verbessern und die Produktivität er-höhen. Inzwischen habe ich weitere drei Hektaren Land gepachtet, auf denen ich Weintrauben anbaue. Letztes Jahr wurde ich gemeinsam mit sieben örtlichen Tafel- traubenproduzenten Mitglied der Trau-benproduzenten-Kooperative «Struguri de Colibasi» (Trauben aus Colibasi). Mit Hilfe von HEKS erhiel ten wir Zugang zu Mitteln der Weltbank und wir arbeiten jetzt daran, für die Mitglieder ein Kühl-haus zu errichten. Es soll 450 Tonnen fas-sen. So können wir die Ernte besser la-gern, die Trauben zu einem besseren Preis verkaufen und einen höheren Gewinn erzielen.

DAS WISSEN ERWEITERN

Was bereitet Ihnen nach wie vor Sor-gen?Da der bestehende Markt in Osteuropa, und hier meine ich vor allem den russi-schen Markt, unberechenbar ist, versu-che ich nun Zugang zum EU-Markt zu erhalten. Dies ist eine grosse Herausfor-derung für mich. Hier könnte ich noch Unterstützung gebrauchen.

INDIEN

UNGARN

RUMÄNIEN

MOLDAVIEN

ÖSTERREICH

TSCHECHIEN

SLOWAKEI

SERBIEN

UNGARN

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HUMANITÄRE HILFE IN NORDIRAK

«WER FLIEHEN MUSS, GEHT NACH SULAYMANIYAH»

HEKS unterstützt zusammen mit seinen Partnerorganisationen «Christian Aid» und «REACH» Christen und andere intern Vertriebene (IDP) im Nordosten Iraks. Die Menschen mussten vor der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) fliehen. HEKS-Mitar-beiter Simon Salman hat das Projektgebiet besucht. Im Gespräch mit Redaktorin Bettina Filacanavo berichtet er von seinen Eindrücken und Erfahrungen.

Text Bettina FilacanavoFotos Sabine Buri/Simon Salman

Simon Salman, wer sind die vertriebe-nen Menschen, die in Sulaymaniyah Zuflucht suchen?Es sind vor allem religiöse Minderheiten wie Christen, Jesiden oder Schabaks, das sind kurdische Schiiten, aber auch Sunni-ten. Wer vor der Terrororganisation Isla-mischer Staat (IS) fliehen muss, geht nach Sulaymaniyah ins kurdische Autonomie-gebiet. Sulaymaniyah gilt noch als sicher, geschützt durch die eigenen Streitkräfte (Peschmerga). Rund 168 000 IDP hat Su-laymaniyah bereits aufgenommen, und

öfen und Decken, und einige Familien, die gar kein Geld hatten, erhielten auch einmalig 400 Dollar. Damit haben sie sich das Nötigste kaufen können. 40 Perso-nen konnten an einem «Cash for work»- Programm teilnehmen.

Wie ist die Situation in Sulaymaniyah?Ich war sehr erstaunt darüber, wie hilfs-bereit die lokale Bevölkerung ist und wie sie die Flüchtlinge offen aufnimmt, Wohnraum und Nahrungsmittel zur Ver-fügung stellt. Es herrscht eine grosse So-

es werden noch mehr erwartet. Hinzu kommen noch etwa 250 000 Flüchtlinge aus Syrien.

Wie unterstützt HEKS die intern Ver-triebenen? Mithilfe unserer lokalen Partner «Christi-an Aid» und «REACH» konnten wir in einer ersten Phase von Anfang November 2014 bis Anfang Mai dieses Jahres 2280 Familien mit dem Nötigsten versorgen: Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Koch-utensilien, Matratzen, im Winter mit Heiz-

Simon Salman, HEKS-Delegierter in Libanon.

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lidarität. Man muss allerdings sagen, dass es dieser Region wirtschaftlich gut geht im Vergleich zu den anderen Regionen im Irak. Auch die lokale Regierung unter-stützt die IDP so gut es geht. Die christli-chen Familien zum Beispiel finden auch grossen Rückhalt bei der katholischen Kirche, die ihnen Obdach gewährt. Aber nicht alle können vom Netzwerk der Kir-che profitieren. Vor allem die Jesiden ha-ben es noch einmal schwieriger, denn sie kommen häufig schwer traumatisiert in Sulaymaniyah an und müssen nebst dem Elend noch mit den Grausamkeiten fer-tigwerden, die ihre Familien erlebt haben.

25 Familien haben in der chaldäisch-katholischen Kirche in Sulaymaniyah Unterschlupf gefunden.

«ICH WERDE HIER WAHNSINNIG»

Von HEKS unterstützt wurde auch die christliche Familie Shaba. Sie musste am frühen Morgen des 28. Juli 2014 ihren Heimatort, die Stadt Qaraqoush, die dreissig Kilometer südöstlich von Mosul liegt, fluchtartig verlassen, um der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu entkommen. Elias, seine Frau Fawzia und Sohn Anwar leben seit einem Jahr zusammen mit 24 an-deren Familien in der chaldäisch-ka-tholischen Kirche im Stadtzentrum von Sulaymaniyah. Dort leben sie auf engs-tem Raum, die Privatsphäre ist not-dürftig gewährleistet. Fawzia Shaba, möchte nur noch nach Hause: «Ich kann nicht mehr, ich werde hier wahn-sinnig, ich bringe mich um, wenn ich nicht wieder nach Hause gehen darf», sagt sie verzweifelt. «Als die IS-Kämp-fer damals die Stadt Mosul erober- ten und Beamte der Polizei, Sicher-heitskräfte und Soldaten festnahmen, machten wir uns grosse Sorgen», er-zählt ihr Mann Elias. Zu diesem Zeit-punkt habe es zwar noch keine Über-griffe auf Christen gegeben. «Doch dann erfuhren wir, dass der IS allen Christen in Mosul ein Ultimatum ge-stellt hatte. Wir hatten vier Möglich-keiten: entweder zum Islam zu konver-tieren, eine besondere Steuer zu be- zahlen, die Stadt zu verlassen oder zu sterben.»

UNTERSTÜTZEN SIE KRIEGSFLÜCHTLINGE!

Von Oktober 2014 bis Ende Mai 2015 hat HEKS in Sulaymaniyah rund 13 000 Kriegsflüchtlinge mit Lebensmitteln und Kochutensilien sowie Matratzen, Decken und Kissen versorgt, dies im Rahmen eines Projekts der Partner- organisationen «Christian Aid» und «REACH». Das Projekt wurde erfolg-reich abgeschlossen. HEKS plant, ab Ok- tober 2015 in Sulaymaniyah ein weite-

res Soforthilfe-Projekt umzusetzen, die Abklärungen dazu sind im Gange. Zu-dem unterstützt HEKS neu mit der Part- nerorganisation «Norwegian Church Aid» 32 000 Menschen in einem Flücht-lingscamp in der Region Dohuk mit drin gend benötigten Hygiene-Artikeln. Helfen auch Sie mit! Vielen Dank! Spen-den bitte auf das PC-Konto 80-1115-1 mit dem Vermerk «Nordirak»

Was brauchen die Menschen vor Ort jetzt dringend?Eigentlich brauchen sie vor allem Geld. Damit sie einkaufen und ihren Lebensun-terhalt bestreiten oder ihre Behausungen fertigstellen können. Die Vertriebenen haben mit Hilfe von REACH von der Re-gierung am Stadtrand Land erhalten, um notdürftige Unterkünfte zu bauen. Gera-de in diesen Gebieten braucht es drin-gend Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Anlagen. Zurzeit klären wir mit unseren Partnerorganisationen ab, wie wir weiterhin im Nordirak helfen kön-nen.

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Dipa lebt mit ihrer Familie im Distrikt Pa- ra von Nilphamari. Ihr Vater ist Strassen-wischer und gehört zur untersten Gesell-schaftsschicht. Anstatt die Schule zu be- suchen, half Dipa ihren Eltern beim Stras-senwischen. «Mein Vater sagte mir, dass mich die Schule niemals aufnehmen wür-de, weil ich das Kind einer Strassenwi-scherfamilie bin», erzählt Dipa.

Die HEKS-Partnerorganisation SERP («Ser-vice Emergency for Rural People») infor-mierte die Familie, dass Dipa ein Recht habe, die öffentliche Schule zu besuchen. Sie überzeugte den Vater, Dipa in die Vor-schule zu schicken, wo SERP jedes Jahr sechzig Kinder auf den Eintritt in die öf-fentliche Primarschule vorbereitet. SERP zahlt zudem die Schuluniformen und das Schreibmaterial und bietet den Kindern nach dem Eintritt in die öffentliche Pri-marschule Nachhilfeunterricht an.

PATENSCHAFT

2014 hat Dipa den Übertritt von der Vor-schule in die öffentliche Schule geschafft. Damit hat sich ein grosser Wunsch von ihr erfüllt. «Meine neue Lehrerin meint, dass ich in meiner Klasse zu den besten und motiviertesten Schülerinnen gehöre. Das macht mich sehr, sehr glücklich.»

SERP verhilft aber nicht nur benachteilig-ten Kindern zu einer Schulbildung, son-dern unterstützt die Minderheiten in Bangladesch auch bei der Einforderung ihres Rechts auf Land. Sie fördert die Bil-dung und Vernetzung von Dorfgruppen und sensibilisiert Behörden und Organisa-tionen für deren Situation. Um das Ein-kommen der Minderheiten zu verbessern, bildet sie SERP im handwerklichen Be-reich, im Gartenanbau und in der Admi-nistration weiter.

In Bangladesch werden Minderheiten wie die Dalits oder Adivasi systematisch diskri-miniert. Die HEKS-Partnerorganisation SERP informiert sie über ihre Rechte und hilft ihnen, diese einzufordern.

Text Olivier SchmidFoto HEKS/SERP

WERDEN SIE PATINODER PATE!

Mit einer Patenschaft «Rechte für Minderheiten» für 360 Franken im Jahr helfen Sie benachteiligten Menschen, sich gegen Entwürdi-gung und Ausgrenzung zur Wehr zu setzen und ihr Menschenrecht auf Zugang zu Ressourcen wie Land, Wasser, Nahrung oder Bil-dung einzufordern: zum Beispiel den Dalits in Bangladesch, den Roma in Serbien oder den Guaraní Kaiowá in Brasilien. Weitere Infor-mationen zur Patenschaft sowie den Einzahlungsschein finden Sie auf dem Beilageblatt zu diesem Heft. Kontakt: Jeannette Vögeli, Tel. direkt 044 360 88 08, [email protected]

RECHTE FÜR MINDERHEITEN

Dipa ist das Kind eines Strassenwischers

und hätte ohne die Hilfe von HEKS

die Schule nicht besuchen können.

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AGENDAAKTUELL

Tagung im RomeroHaus

Tagung und Workshops zum Thema «Kairos Palästina – Dem Hilfe-schrei palästinensischer Christinnen und Christen gerecht werden». Anmeldung bis Mittwoch, 19. August 2015, an [email protected] oder 058 854 11 73.

SAMSTAG, 5. SEPTEMBER 2015, 10.00 – 16.30 UHRLuzern, RomeroHaus, Kreuzbuchstrasse 44

Interreligiös offene Feier

Die reformierten Kirchgemeinden Saatlen und Schwamendingen und «HEKS Neue Gärten Zürich» laden ein zur interreligiös offenen Feier. Bei Regen findet die Feier im Kirchgemeinde- haus Schwamendingen an der Stettbach- strasse 58 statt. Treffpunkt: 10.15 Uhr vor der Migros beim Schwamendinger-platz. Bei Unsicherheit über den Durch-führungsort: Tel. 076 496 23 76.

SONNTAG, 23. AUGUST, 10.30 UHRZürich, Familiengarten Auzelg

Lunchkino

MONTAG, 31. AUGUST, ZÜRICHIM KINO ARTHOUSE LE PARIS Gottfried-Keller-Strasse 7, Zürich

FREITAG, 4. SEPTEMBER, BERNIM KINO KUNSTMUSEUM Hodlerstrasse 8, Bern

DIENSTAG, 8. SEPTEMBER, LUZERNIM STATTKINO Löwenplatz 11, Luzern

FREITAG, 11. SEPTEMBER, BASELIM STADTKINO Klostergasse 5, Basel

DONNERSTAG, 17. SEPTEMBER, THUNIM KINO REX Aarestrasse 2, Thun

FREITAG, 25. SEPTEMBER, ST. GALLENIM KINOK Grünbergstrasse 7, St. Gallen

Wechsel in der HEKS-Direktion

Nach acht Jahren in der operativen Führung des Hilfswerks der Evange-lischen Kirchen Schweiz (HEKS) hat Direktor Ueli Locher die Organisation per Ende Juni 2015 verlassen. Ueli Locher trat das Amt als Direktor von HEKS im Juli 2007 an. Seither hat er die Entwicklung des Hilfswerks mass-geblich geprägt. In seine Amtszeit fällt die strategische Fokussierung von HEKS, die Neuausrichtung ver-schie de ner Tätigkeitsbereiche und eine weitreichende Neugestaltung des Auf tritts. Seit dem 1. August lei-tet nun An dreas Kressler (Bildmitte) die Organisation. Der gelernte Jurist bringt breite Erfahrungen zum Tätig-keitsgebiet des Hilfswerks mit. So war er mit der Herrnhuter Mission, deren Vorstand er über mehrere Jahre ange-hörte, im Einsatz in Entwicklungspro-jekten in Tansania. Er ist zudem Stif-tungsrat einer Einrichtung für statio - näre und ambulante Wohnbegleitung und Mitglied der Expertenkommissi-on für Entwicklungszusammenarbeit des Kantons Basel-Stadt. Zudem ver-fügt er über langjährige Führungser-fahrung in einem komplexen Arbeits-umfeld. Zuletzt leitete er das staat- liche Immobilienunternehmen von Basel-Stadt. Zuvor war er als General-sekretär des kantonalen Finanzdepar-tements Basel-Stadt tätig.

Lunchkino

Auch dieses Jahr präsentiert Ihnen HEKS im Rahmen der «Lunchkinos» den Film zur jährlichen Sammelkam-pagne. Der neue Kampagnenfilm «Cido – Eine Zukunft im Cerrado» zeigt die Arbeit von HEKS in Brasilien. Die preisgekrönte Regisseurin Barba- ra Miller zeichnet in diesem Film ein eindrückliches Porträt eines Kleinbau-ern und seiner Gemeinschaft, die trotz widriger Umstände nicht nur einen Weg aus der Armut gefunden haben, sondern einen nachhaltigen Weg für eine ganze Region aufzeigen.Beginn der Lunchkinos: jeweils 12.00 Uhr. Für Verpflegung ist gesorgt. Wei-tere Informationen und Anmeldung unter www.heks.ch/lunchkino

HEKS-Kampagne im «Stöckli»

Die basel-städtische Ständerätin Ani-ta Fetz (SP) unterstützt die diesjährige HEKS-Kampagne «Chancengleichheit zahlt sich aus». In einem in der Som-mersession eingereichten Postulat for- dert sie den Bundesrat auf, den Auf-bau einer nationalen Datenbank zur Interpretation und Vergleichbarkeit aus ländischer Berufsdiplome zu prü-fen. Unternehmen sollen anhand einer solchen Datenbank leichter einen Ein-druck über die beruflichen Qualifika-tionen und Fähigkeiten hochqualifi-zierter Migrantinnen und Migranten erhalten. Diese stellen ein bisher kaum beachtetes Potenzial an Fachkräften dar. Im Rahmen seiner Kampagne for-dert HEKS, dass diese Ressourcen als Massnahme gegen den Fachkräfte-mangel besser genutzt werden.

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