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ZUR Zeitschrift für Umweltrecht Das Forum für Umwelt- und Planungsrecht Aus dem Inhalt Aufsätze Jochen Fischer/Jan Henning Stromabnahme, Netzlastmanagement und Netzausbau nach § 4 EEG 225 Andreas Versmann Strategische Umweltprüfung für Abfallwirtschaftspläne 233 Alfred Scheidler Strategische Umweltprüfung für Luftreinhaltepläne 239 Xun Yu Wasserrechtliche Instrumentarien der Wassereinspeisung in der Volksrepublik China 243 Rechtsprechung LKW-Fahrverbot für Mautausweichstrecken, VGH Kassel 248 Mit einem Praxishinweis von Susan Krohn 250 Lärmschutz in der Straßenplanung, BVerwG 251 B-Planung und Eigentumsschutz, OVG Münster 256 Anspruch auf Akteneinsicht des Einwendungs- berechtigten nach RL 2003/4/EG, VGH Kassel 259 Zur Kostenverantwortung für die Rückführung illegaler Abfallexporte, VGH Mannheim 262 Erzeugungsmanagement bei Windenergieanlagen und Netzausbau, LG Itzehoe 270 Gesetzgebung Peter Schütte/Martin Winkler Neueste Entwicklungen im Bundesumweltrecht 273 Bericht, Buchrezension, Buchneuerscheinungen, Termine Herausgeber Verein für Umweltrecht e.V. in Verbindung mit: Prof. Dr. Martin Beckmann Siegfried Breier Prof. Dr. Matthias Dombert Dr. Günther-Michael Knopp Prof. Dr. Hans-Joachim Koch Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff Dr. Frank Petersen Dr. Renate Philipp Michael Sauthoff Prof. Dr. Reinhard Sparwasser Prof. Dr. Michael Uechtritz Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl Prof. Dr. Andreas Voßkuhle Prof. Dr. Gerd Winter 5/2006 Jahrgang 17 · Seiten 225– 280 · E 10882 Nomos Immissionsschutz Naturschutz Klimaschutz Bodenschutz Gentechnik Energiewirtschaft Abfallwirtschaft Gewässerschutz Chemikaliensicherheit

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ZURZeitschrift für Umweltrecht

Das Forum für Umwelt- und

Planungsrecht

Aus dem Inhalt

AufsätzeJochen Fischer/Jan HenningStromabnahme, Netzlastmanagement und Netzausbau nach § 4 EEG 225

Andreas VersmannStrategische Umweltprüfung für Abfallwirtschaftspläne 233

Alfred ScheidlerStrategische Umweltprüfung für Luftreinhaltepläne 239

Xun YuWasserrechtliche Instrumentarien derWassereinspeisung in der Volksrepublik China 243

Rechtsprechung

LKW-Fahrverbot für Mautausweichstrecken,

VGH Kassel 248

Mit einem Praxishinweis von Susan Krohn 250

Lärmschutz in der Straßenplanung, BVerwG 251

B-Planung und Eigentumsschutz, OVG Münster 256

Anspruch auf Akteneinsicht des Einwendungs-berechtigten nach RL 2003/4/EG,VGH Kassel 259

Zur Kostenverantwortung für die Rückführung illegaler Abfallexporte, VGH Mannheim 262

Erzeugungsmanagement bei Windenergieanlagen und Netzausbau, LG Itzehoe 270

Gesetzgebung

Peter Schütte/Martin WinklerNeueste Entwicklungen im Bundesumweltrecht 273

Bericht, Buchrezension, Buchneuerscheinungen, Termine

Herausgeber

Verein für Umweltrecht e.V.

in Verbindung mit:

Prof. Dr. Martin Beckmann

Siegfried Breier

Prof. Dr. Matthias Dombert

Dr. Günther-Michael Knopp

Prof. Dr. Hans-Joachim Koch

Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff

Dr. Frank Petersen

Dr. Renate Philipp

Michael Sauthoff

Prof. Dr. Reinhard Sparwasser

Prof. Dr. Michael Uechtritz

Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl

Prof. Dr. Andreas Voßkuhle

Prof. Dr. Gerd Winter

5/2006Jahrgang 17 · Seiten 225– 280 · E 10882

Nomos

Immissionsschutz ■ Naturschutz ■ Klimaschutz ■ Bodenschutz ■ Gentechnik

Energiewirtschaft ■ Abfallwirtschaft ■ Gewässerschutz ■ Chemikaliensicherheit

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ZUR 5/2006 | I

AUFSÄTZEStromabnahme, Netzlastmanagementund Netzausbau nach § 4 EEGJochen Fischer/Jan Henning 225

Strategische Umweltprüfung für AbfallwirtschaftspläneAndreas Versmann 233

Strategische Umweltprüfung für Luftreinhaltepläne Alfred Scheidler 239

Wasserrechtliche Instrumentarien der Wassereinspeisung in derVolksrepublik China Xun Yu 243

RECHTSPRECHUNG

� VGH KasselLKW-Fahrverbot für MautausweichstreckenBeschluss vom 16. Januar 2006 – 2 TG 2606/05 248

Praxishinweis von Susan Krohn 250

� BVerwGLärmschutz in der StraßenplanungUrteil des 9. Senats vom 23. November 2005 – 9 A 28.04 251

� OVG MünsterB-Planung und EigentumsschutzOVG Münster, Urteil vom 28.11.2005 – 10 D 68/03.NE 256

� VGH KasselAnspruch auf Akteneinsicht des Einwendungsberechtigten nach RL 2003/4/EGBeschluss vom 4. Januar 2006 – 12 Q 2828/05 259

� VGH MannheimZur Kostenverantwortung für dieRückführung illegaler AbfallexporteUrteil vom 22. November 2005 – 10 S 1208/04 262

� VGH MannheimBauleitplanerische Standortaus-weisung für Windenergieanlagen –»Holzschlägermatte«Urteil vom 13. November 2005 – 3 S 2521/04 264

� OLG LüneburgEnergetische Verwertung in einemMüllheizkraftwerkBeschluss vom 18. Januar 2006 – 7 ME 136/05 268

� LG ItzehoeErzeugungsmanagement bei Windenergieanlagen und NetzausbauUrteil vom 23. Dezember 2005 – 2 O 254/05 (nicht rechtskräftig) 270

I N H A LT

SchriftleitungProf. Dr. Wolfgang Köck (V.i.S.d.P.)UFZ – Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbHUniversität LeipzigDr. Moritz ReeseUniversität HamburgDr. Sabine SchlackeUniversität Rostock

Redaktionsadresse: Zeitschrift für Umweltrecht e.V. Langenstr. 34 c 28195 Bremen Tel. 0421/56 64 744Fax: 0421/56 64 745E-Mail: [email protected]

Redaktion:Prof. Dr. Christian CalliessUniversität GöttingenProf. Dr. Andreas FisahnUniversität BielefeldDr. Jochen GebauerBundesministerium für Umwelt,Naturschutz und ReaktorsicherheitDr. Harald GinzkyUmweltbundesamtCarola GlinskiUniversität BremenDr. Ekkehard HofmannUniversität HamburgMarkus KachelUniversität HamburgDr. Malte KohlsRechtsanwalt, HamburgStefan Kopp-AssenmacherRechtsanwalt, BerlinDr. Susan KrohnSachverständigenrat für Umweltfragen, BerlinDr. Silke R. LaskowskiUniversität HamburgChristian Maaß, MdHBVorsitzender des Umweltausschussesder Hamburgischen Bürgerschaft,HamburgDr. Antje NäckelMinisterium für Landwirtschaft,Umwelt und ländliche Räume,Schleswig-HolsteinDr. Peter SchütteRechtsanwalt, BremenProf. Dr. Bernhard W. WegenerUniversität ErlangenDr. Guido WustlichBerater des Bundesministerium fürUmwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheitDr. Cornelia ZiehmRechtsanwältin, Hamburg,Deutsche Umwelthilfe, Berlin

Verlag:Nomos-VerlagsgesellschaftWaldseestr. 3-5 c 76520 Baden-BadenTelefon (07221) 2104-0 Fax: (07221) 2104-27

Zeitschrift fürUmweltrechtDas Forum für Umwelt und Recht17. Jahrgang, S. 225- 280

ZUR 5/2006

Vorschau auf Heft 6/2006Vorgesehen s ind u.a .Deregulierung umweltbezogenerVerwaltungsverfahren auf Landes-ebene – Mecklenburg-Vorpommernals »Reformmotor«?Henning Biermann

Über den Schutz von AlleenErnst-Rainer Hönes

Ankunft des Artenschutzrechts in der FachplanungRandi Thum

GESETZGEBUNG

Neueste Entwicklungen im BundesumweltrechtPeter Schütte/Martin Winkler 273

BERICHT

Die Umweltpolitik der neuen Bundesregierung

Bericht über einen Vortrag des Bundesministers für Umwelt, Natur-schutz und ReaktorsicherheitBernd Ochtendung 275

BUCHREZENSION

Jürgen Fluck (Hrsg.): Kreislaufwirtschafts-, Abfall- undBodenschutzrechtStefan Kopp-Assenmacher 276

Durwood Zaelke/Donald Kaniaru/Eva Kruzíková (Hrsg.): Making Law WorkMoritz Reese 277

Helmut Köhler/Cedric C. Meyer: AbwasserabgabengesetzGünther-Michael Knopp 278

RUBRIKEN

BUCHNEUERSCHEINUNGEN 278

TERMINE III

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Gut anderthalb Jahre nach In-Kraft-Treten der EEG-Novelle haben ver-schiedene Gerichte in ersten Urteilen zu strittigen Fragen bezüglich Netz-anschluss- und Stromabnahmeansprüchen von Anlagenbetreibern undderen prozessualer Durchsetzung Stellung genommen. Auch wenn sichdiese Urteile teilweise widersprechen und der Weg zu einer kohärentenRechtsprechung noch weit ist, lassen sich doch anhand einiger Fixpunktebereits grundsätzliche Linien des Verhältnisses zwischen Anlagen- undNetzbetreibern ausmachen. Bislang in der Rechtsprechung kaum deutlichgeworden sind dagegen die unterschiedlichen Stoßrichtungen, die der von§ 4 EEG gewährte Netzausbauanspruch erhalten kann, je nachdem ob erim Zusammenhang mit einem Netzanschlussanspruch oder einemStromabnahmeanspruch verfolgt wird.

A. Anspruch auf Netzanschluss

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 EEG sind Netzbetreiber verpflichtet, Anla-gen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien unver-züglich und vorrangig an ihr Netz anzuschließen. Dieser Anspruchder Anlagenbetreiber wird in den Abs. 2 und 3 der Vorschrift prä-zisiert, wobei insbesondere die Bestimmung des geeigneten Ver-knüpfungspunktes mit dem Netz und die eventuelle Verpflich-tung des Netzbetreibers zum Netzausbau zur Ermöglichung desAnschlusses Streitpunkte bilden. § 4 EEG ist dabei stets im Zusam-menhang mit § 13 EEG zu sehen, der in Abs. 1 bestimmt, dass derAnlagenbetreiber von den Netzkosten die notwendigen Kosten

Jochen Fischer/ Jan Henning

Stromabnahme, Netzlastmanagement und Netzausbaunach § 4 EEG

1 OLG Nürnberg, Urt. v. 30.4.2002 – 3 U 4066/01 – ZNER 2002, S. 225 (226).2 OLG Nürnberg (Fn. 1), S. 226.

A U F S Ä T Z E

5/200617. Jahrgang • Seiten 225- 280

Zeitschrift fürUmweltrecht

Herausgeber: Verein für Umweltrecht e.V. Prof. Dr. Martin Beckmann, Rechtsanwalt, Münster; Siegfried Breier, EU-Kommission,Brüssel; Prof. Dr. Matthias Dombert, Rechtsanwalt, Potsdam; Dr. Günther-MichaelKnopp, Ministerialrat, Bayerisches Umweltministerium, München; Prof. Dr. Hans-Joachim Koch, Universität Hamburg; Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff, Richterin des Bun-desverfassungsgerichts, Karlsruhe; Dr. Frank Petersen, Ministerialrat, Bundesministeriumfür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bonn; Dr. Renate Philipp, Richterin amBundesverwaltungsgericht, Leipzig; Michael Sauthoff, Vizepräsident des Oberverwal-tungsgerichts Greifswald; Prof. Dr. Reinhard Sparwasser, Rechtsanwalt, Freiburg; Prof. Dr.Michael Uechtritz, Rechtsanwalt, Stuttgart; Prof. Dr. Ludger-Anselm Versteyl, Rechtsan-walt, Hannover; Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, Universität Freiburg; Prof. Dr. Gerd Winter,Universität BremenSchriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Köck, Dr. Moritz Reese, Dr. Sabine Schlacke

ZUR 5/2006 | 225

ZURDas Forum für Umwelt- und Planungsrecht

des Anschlusses seiner Anlage an den technisch und wirtschaftlichgünstigsten Verknüpfungspunkt trägt, während der Netzbetreibernach Abs. 2 die Kosten eines erforderlichen Netzausbaus zu tra-gen hat. Diese kann er allerdings nach § 13 Abs. 2 S. 3 EEG beider Ermittlung der Netznutzungsentgelte in Ansatz bringen.

I. Bestimmung des geeigneten Verknüpfungspunktes

§ 4 Abs. 2 S. 1 EEG bestimmt seinem Wortlaut nach zunächstnur, dass die Anschlussverpflichtung des § 4 Abs. 1 S. 1 EEG(ebenso wie die Abnahme- und Übertragungsverpflichtung) denje-nigen Netzbetreiber trifft, zu dessen technisch für die Aufnahmegeeignetem Netz die kürzeste Entfernung von der Anlage besteht,wenn nicht ein anderes Netz einen technisch und wirtschaftlichgünstigeren Verknüpfungspunkt aufweist. Bereits unter Geltungder entsprechenden Regelung des § 3 Abs. 1 S. 2 EEG 2000 waranerkannt, dass die Vorschrift nicht nur Bedeutung für die Identi-fizierung des verpflichteten Netzbetreibers hat, sondern dass sieauch zur Bestimmung der genauen Lage des Verknüpfungspunktesinnerhalb des Netzes des verpflichteten Netzbetreibers heranzu-ziehen ist.1 Das OLG Nürnberg hatte insoweit schon 2002 auf dieZielsetzung des Gesetzes hingewiesen, den Aufwand für die Strom-einspeisung aus Erneuerbaren Energien zu minimieren, um derenAnteil an der Stromerzeugung stark zu erhöhen.2 In einem Urteil

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A U F S Ä T Z E | F i scher/Henning, St romabnahme, Netz las tmanagement und Netzausbau nach § 4 EEG

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dung angelegt, die hervorhebt, dass zu prüfen und ggf. zu berück-sichtigen sei, ob der Anschluss weiterer Anlagen geplant sei unddass insbesondere dann, wenn bereits konkrete Netzprüfungsan-fragen vorliegen, die Gesamtkosten aller Anschlüsse mit denen desNetzausbaus zu vergleichen seien.11 Dies bedeutet im Ergebniseinen Vergleich der (einmaligen) Netzausbaukosten mit den Kos-ten des alternativen Anschlusses aller geplanten Anlagen.

b. Kostenvergleich Netzausbau und Errichtung der Anlage(n)Die zweite Berechnungsmethode setzt bei den Errichtungskostender Anlage an. Sie berücksichtigt, dass ein Netzbetreiber die aufihn entfallenden Netzausbaukosten nach § 13 Abs. 2 S. 3 EEGbei der Ermittlung des Netzentgelts in Ansatz bringen und damitletztlich umlegen kann. Aus dieser Perspektive ist die Zumutbar-keitsgrenze dann überschritten, wenn der Wert der Gesamtstrom-menge aus den aufgrund des Netzausbaus anschließbaren Anla-gen, der sich aus den Vergütungssummen im Vergütungszeitraumergibt, die Ausbaukosten nicht deutlich übersteigt.12 Die Gesetzes-begründung vereinfacht die Berechnung des Wertes der Gesamt-strommenge einer Einzelanlage, indem sie davon ausgeht, dassdieser Wert in der Regel näherungsweise in einem festen Verhält-nis zu den Investitions- und Betriebskosten der Anlage steht, diebereits zu Projektbeginn relativ sicher abzuschätzen sind. Auf die-ser Grundlage könne die Faustformel aufgestellt werden, dass dieGrenze der Zumutbarkeit eines Netzausbaus insbesondere dannnicht überschritten sei, wenn die Netzausbaukosten 25% dervoraussichtlichen Errichtungskosten der anzuschließenden Anla-gen nicht übersteigen.13 Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom28.11.2005 ebenfalls diese praktikable Methode zur Ermittlungder Zumutbarkeitsgrenze herangezogen.14 Auch hier sind im Inte-resse einer vorausschauenden – und damit gesamtwirtschaftlichsinnvollen – Planung die Investitions- und Betriebskosten weiterergeplanter Anlagen, für die bereits konkrete Netzprüfungsanfragenvorliegen, in die Berechnung einzubeziehen.15

2. Genehmigungserfordernis des § 4 Abs. 2 S. 3 EEG§ 4 Abs. 2 S. 3 EEG knüpft den Netzausbauanspruch für geneh-migungsbedürftige Anlagen an die zusätzliche Voraussetzung,dass der Anlagenbetreiber eine Genehmigung, Teilgenehmigungoder einen Vorbescheid vorlegt. Offensichtlicher Hintergrund die-ser Regelung ist, dass ein Netzbetreiber nicht zu einem Ausbau ver-pflichtet werden soll, der sich aufgrund späterer Nichterteilungder Anlagegenehmigung im Nachhinein als überflüssig heraus-stellt. Diesen Gedanken überträgt die Gesetzesbegründung aufgenehmigungsfreie Anlagen, indem sie davon ausgeht, dass sichdie Ausbaupflicht bei diesen danach richte, ob ein Ausbau bereitszumutbar sei. Hiervon sei dann auszugehen, wenn die Anlagen-

3 OLG Hamm, Urt. v. 28.11.2005 – 22 U 195/04 – ZNER 2005, S. 325.4 Einzelbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 33. Dies

betonend auch OLG Hamm (Fn. 3), S. 326; ebenso Oschmann in:Danner/Theobald, Energierecht, VI B 1, § 4 EEG, Rn. 61.

5 Häufig wird auch der Begriff »Erzeugungsmanagement« verwendet. In derSache geht es jedoch um die Verhinderung von Netzüberlastungen.

6 LG Itzehoe, Urt. v. 23.12.2005 – 2 O 254/05 –, ZUR 2006, S. 270 ff., (Abdruckmit Anm. Fischer/Lorenzen in RdE, Heft 4/2006 – im Erscheinen).

7 OLG Hamm (Fn. 3), S. 325; ähnlich – dies jedoch aus dem Begriff »notwen-dige Kosten des Anschlusses« des § 10 Abs. 1 S. 1 EEG 2000 (entspricht§ 13 Abs. 1 S. 1 EEG 2004) ableitend – bereits OLG Nürnberg (Fn. 1), S. 226.

8 Einzelbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 34.9 Einzelbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 34.

10 OLG Hamm (Fn. 3), S. 326.11 Einzelbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 34.12 So ausdrücklich die Einzelbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG 2004, BT-Drucks

15/2864, S. 34.13 Einzelbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 34. Skep-

tisch zum Wert sowie zur Praxistauglichkeit dieser Formel Salje, EEG, § 4,Rn. 48 f.; die Methode dagegen befürwortend Oschmann in: Danner/Theo-bald, Energierecht, VI B 1, § 4 EEG, Rn. 70.

14 OLG Hamm (Fn. 3), S. 326. 15 Ebenfalls für eine Berücksichtigung geplanter Anlagen Reshöft in:

Reshöft/Steiner/Dreher, EEG, § 4, Rn. 30.

vom 28.11.2005 hat das OLG Hamm ebenfalls unter Hinweis aufden beabsichtigten Zweck der Förderung regenerativer Energiendiese Bedeutung des § 4 Abs. 2 S. 1 EEG bestätigt.3

Dass der Verknüpfungspunkt, für den der Anschlussanspruchbesteht, nicht zwangsläufig der räumlich am nächsten gelegenePunkt im Netz des verpflichteten Netzbetreibers sein muss, sonderndass auch technische und wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berück-sichtigen sind, stellt der zweite Halbsatz des § 4 Abs. 2 S. 1 EEG seitder Gesetzesnovelle ausdrücklich klar. Im Ergebnis führt dies dazu,dass der Netzanschlussanspruch stets am wirtschaftlich günstigstentechnisch und rechtlich möglichen Verknüpfungspunkt besteht.Gemäß der Intention des Gesetzgebers spricht eine generelle Vermu-tung für die Eignung des nächstgelegenen Netzes an der nächstliegen-den Schnittstelle zwischen Anlagenanschluss und Netz, wobei aus-weislich der Gesetzesbegründung nicht erforderlich ist, dass an dieserStelle bereits ein Verknüpfungspunkt besteht.4

Im Übrigen hat das LG Itzehoe in einem Urteil vom 23.12.2005darüber hinaus darauf hingewiesen, dass der Netzanschlussan-spruch nicht zwangsläufig nur am nächsten Verknüpfungspunktbestehen könne. Vielmehr haben Anlagenbetreiber im Falle zeit-weiliger Netzüberlastungen ein Wahlrecht, ob sie ihre Anlage amnächsten Verknüpfungspunkt im Netzlastmanagement5 oder aneinem entfernteren Verknüpfungspunkt ohne Netzlastmanage-ment – unter Inkaufnahme höherer Kosten für die Realisierungdes Anschlusses – anschließen wollen.6

II. Netzausbauanspruch zur Ermöglichung des Anschlusses

§ 4 Abs. 2 S. 2 EEG bestimmt in Halbsatz 1, dass ein Netz auchdann als technisch geeignet gilt, wenn die Stromaufnahme erstdurch einen wirtschaftlich zumutbaren Netzausbau möglich wird.Für diesen Fall verpflichtet Halbsatz 2 den Netzbetreiber zumunverzüglichen Ausbau auf Verlangen des Einspeisewilligen. Hin-tergrund dieser Regelung ist, dass ein Anlagenbetreiber nur mitsolchen notwendigen Anschlusskosten belastet werden soll, diebei Zugrundelegung der kürzesten technisch und rechtlich mögli-chen Entfernung zwischen der Anlage und dem Netz anfallen.7

Maßgebendes Kriterium ist dabei die wirtschaftliche Zumutbarkeitdes Netzausbaus.

1. Beurteilung der Zumutbarkeit anhand gesamtwirtschaftlicher Betrachtung

Die Gesetzesbegründung liefert eine detaillierte Anleitung zurErmittlung der Zumutbarkeitsgrenze der Netzausbaupflicht.8 Aus-gehend vom Prinzip der Minimierung der gesamtwirtschaftlichenKosten gibt sie zwei alternative Methoden vor, die auch von derRechtsprechung angewendet werden:

a. Kostenvergleich Netzausbau und alternative AnschlüsseDie erste Methode stellt entscheidend auf einen Vergleich der Kos-ten der Einbindung an den verschiedenen Verknüpfungspunktenab. Zumutbar ist ein Netzausbau danach in der Regel dann, wenndie bei einem Ausbau entstehenden Gesamtkosten der Netzein-bindung der Anlage (d.h. die Ausbaukosten zuzüglich derAnschlusskosten) geringer sind als die Kosten eines Anschlusses ananderer Stelle, an der das Netz auch ohne Ausbau technisch geeig-net wäre.9

Bei dieser gesamtwirtschaftlichen Betrachtung ist auch zubeachten, dass es ein Netzausbau im Gegensatz zu einzelnen, vonden jeweiligen Anlagenbetreibern zu verlegenden Anschluss-leitungen regelmäßig erlaubt, weitere Anlagen in diesem Netzbe-reich anzuschließen. Auch das OLG Hamm hat im Urteil vom28.11.2005 die Belange von sich zukünftig ansiedelnden Erzeu-gern Erneuerbarer Energien in seine Wirtschaftlichkeitsbetrach-tung einbezogen.10 Dieser Ansatz ist bereits in der Gesetzesbegrün-

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planung nicht mehr unverbindlich, sondern bereits konkretisiertsei, z. B. durch die Vergabe von Aufträgen für Detailplanungenoder die Unterzeichnung von Verträgen zur Herstellung.16

Diese Beschränkung des Ausbauanspruchs durch das zusätzlicheErfordernis einer hinreichend konkretisierten Planung trägt demInteresse der Netzbetreiber an Planungs- und Investitionssicher-heit Rechnung. Andererseits verdeutlicht die Vorschrift des § 4Abs. 2 S. 3 EEG auch, dass der Netzausbauanspruch keinesfallseine betriebsfertig errichtete Anlage voraussetzt, sondern vielmehrbereits im Planungsstadium durchgreift. Damit wird das Bedürfnisan Planungs- und Investitionssicherheit auf Seiten der einspeise-willigen Anlagenbetreiber berücksichtigt. Bedenklich ist insoweitdie vom LG Halle in einem Urteil vom 28.6.2005 geäußerte Auffas-sung, die Ansprüche des § 4 Abs. 1 EEG setzten stets eine existie-rende Anlage voraus.17 Zwar hatte das Gericht im dem Urteilzugrunde liegenden Fall nicht über einen Netzausbauanspruch zuentscheiden, sondern begehrte die Klägerin lediglich die Erteilungeiner »Einspeisezusage« sowie bei Vorliegen der Einspeisefähigkeitden Anschluss an einen bereits bestehenden Verknüpfungspunkt,jedoch wäre die gesetzgeberische Wertung des § 4 Abs. 2 S. 3 EEGhier erst recht zu berücksichtigen gewesen. Kann ein Einspeisewil-liger, dessen Anlagenplanungen hinreichend konkretisiert sind,vom Netzbetreiber sogar den Ausbau des Netzes zur Herstellungeines neuen Verknüpfungspunktes verlangen, so muss der Ein-speisewillige erst recht die verbindliche Feststellung erhalten kön-nen, dass ein bestehender Verknüpfungspunkt der wirtschaftlichgünstigste Verknüpfungspunkt im Sinne von § 4 Abs. 2 S. 1 EEGist, an dem sein Anschlussanspruch besteht.

Wenn das LG Halle meint, ein Anspruch auf Erteilung einer»Einspeisezusage« für eine Anlage setze »denknotwendig« derenExistenz voraus und es könne nicht dem Willen des Gesetzgebersentsprechen, dem Netzbetreiber eine so erhebliche rechtliche Ver-pflichtung wie den Netzanschluss bereits für eine lediglich im Pla-nungsstadium befindliche Anlage aufzuerlegen,18 ist dem entge-genzuhalten, dass der Gesetzgeber dem Netzbetreiber mit derNetzausbaupflicht des § 4 Abs. 2 S. 2 Hs. 2, S. 3 EEG bewussteine noch viel erheblichere rechtliche Verpflichtung auferlegt hat.

Dementsprechend hat auch das OLG Hamm eine Klage aufbedingte Leistung, nämlich auf Herstellung des Netzanschlussesab Betriebsbereitschaft der bislang lediglich projektierten Anlage,für zulässig erachtet.19 Dabei hat es das schützenswerte praktischeBedürfnis der Einspeisewilligen nach abschließender Klärung derFrage des Netzverknüpfungspunktes betont20 und darauf hinge-wiesen, dass die Planungssicherheit bei lebensnaher Betrachtungals Voraussetzung für eine Fremdfinanzierung der Anlagenerrich-tung einzustufen sei.21 Dem LG Halle kann daher lediglich inso-weit zugestimmt werden, als der Netzanschlussanspruch selbst(ebenso wie der Abnahme- und Übertragungsanspruch des § 4Abs. 1 S. 1 EEG) erst mit der betriebsbereiten Errichtung derAnlage entsteht.22 Der Netzausbauanspruch greift nach dem ein-deutigen Wortlaut des § 4 Abs. 2 S. 3 EEG dagegen bereits imVorfeld der betriebsbereiten Errichtung einer Anlage.23

Nichts anderes kann für die verbindliche Bestimmung des wirt-schaftlich günstigsten Verknüpfungspunktes gelten, wenn dieserohne Ausbau bereits technisch geeignet ist. Ob ein Einspeisewilli-ger wirklich – wie im Verfahren vor dem LG Halle von der Klägeringeltend gemacht24 – einen Anspruch auf Erteilung einer »Einspei-sezusage« durch den verpflichteten Netzbetreiber hat, erscheintzweifelhaft, da es für diese in der Praxis verbreitete Zusage keinegesetzliche Grundlage gibt. Weigert sich ein Netzbetreiber vorpro-zessual, eine projektierte Anlage an sein Netz anzuschließen (etwamit der Begründung, er halte den Verknüpfungspunkt für nichtgeeignet), so steht es dem Einspeisewilligen jedoch frei, gewisser-maßen als minus zu seinem gesetzlichen Ausbauanspruch die

Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Verknüpfungspunkteszu verlangen und erforderlichenfalls einzuklagen, wenn er meint,sein (zukünftiger) Anschlussanspruch bestehe gerade an diesembestimmten Verknüpfungspunkt und das Netz sei an dieser Stellefür den Anschluss der Anlage bereits technisch geeignet.25 Prozes-suales Mittel hierfür ist eine Leistungsklage auf Netzanschluss abBetriebsbereitschaft der projektierten Anlage, die auch das OLGHamm anerkannt hat.26 Eine derartige Klage auf künftige Leistungist nach § 259 ZPO deshalb zulässig, weil aufgrund der vorherigenWeigerung des Netzbetreibers die Besorgnis besteht, dass diesersich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde.27 Schließlich istfestzuhalten, dass ein stattgebendes Urteil in die Rechte des Netz-betreibers wesentlich schwächer eingreift als dessen – unstreitigmögliche – Verurteilung zum Netzausbau zur Herstellung der tech-nischen Eignung des Netzes.

3. Einfluss eines bestehenden NetzlastmanagementsFür Fälle, in denen das Netz oder der betreffende Netzbereich desverpflichteten Netzbetreibers zeitweilig vollständig durch Stromaus Erneuerbaren Energien ausgelastet ist, sieht § 4 Abs. 3 EEGEinschränkungen der Ansprüche von Anlagenbetreibern vor.Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Netzanschlussanspruchausschließlich von S. 1 der Vorschrift beschränkt wird, währendsich die S. 2 und 3 allein auf den Stromabnahmeanspruch28 bezie-hen. Diese systematische Unterscheidung wirkt sich auch auf imRahmen dieser Ansprüche verfolgte Netzausbauansprüche aus.

Nach § 4 Abs. 3 S. 1 EEG besteht im Falle zeitweiliger Netz-überlastungen keine Verpflichtung des Netzbetreibers zumAnschluss neuer Anlagen, wenn die betreffende Anlage nicht miteiner »technischen Einrichtung zur Reduzierung der Einspeiseleis-tung bei Netzüberlastung« ausgestattet ist. Sinn und Zweck der

ZUR 5/2006 | 227

F i scher/Henning, St romabnahme, Netz las tmanagement und Netzausbau nach § 4 EEG | A U F S Ä T Z E

16 Einzelbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 33; ebensoAltrock/Oschmann/Theobald, EEG, § 4, Rn. 71.

17 LG Halle, Urt. v. 28.6.2005 – 4 O 195/05 – unveröffentlicht, S. 5. Eine kurzeZusammenfassung der wesentlichen Entscheidungsgründe findet sich in IR(Energie, Verkehr, Abfall, Wasser) 2006, 16.

18 So LG Halle (Fn. 17), S. 5.19 OLG Hamm (Fn. 3), S. 326.20 OLG Hamm (Fn. 3), S. 326f. Zutreffend weist das Gericht darauf hin, dass

dieses praktische Bedürfnis insbesondere dann besteht, »wenn der finan-zielle Investitionsaufwand sich stark unterschiedlich darstellt, je nachdem,wo der Netzverknüpfungspunkt liegt«.

21 OLG Hamm (Fn. 3), S. 326f.22 Allerdings hatte die einspeisewillige Klägerin in dem vom LG Halle zu ent-

scheidenden Fall dem gerade Rechnung getragen, indem sie den Anschluss-anspruch nur unter der aufschiebenden Bedingung der Einspeisebereit-schaft der geplanten Anlage geltend gemacht hatte.

23 Im Übrigen ist die Berücksichtigung lediglich projektierter Anlagen demEEG auch ansonsten nicht fremd. So ist nach der Gesetzesbegründung zu §4 Abs. 2 EEG (BT-Drucks 15/2864, S. 34) bei der Ermittlung der Zumutbar-keitsgrenze für den Netzausbau (vgl. hierzu oben 1.a) zu berücksichtigen »obder Anschluss weiterer Anlagen geplant ist, insbesondere dann, wenn bereitskonkrete Netzprüfungsanfragen vorliegen.«

24 Die Klägerin hatte u. a. beantragt, »für die [...] abschließend geplante Photo-voltaikanlage [...] unverzüglich die Einspeisezusage zu erteilen«, vgl. LGHalle (Fn. 17), S. 3.

25 Ein derartiges Vorgehen wird allerdings nicht immer sinnvoll sein, da dereinspeisewillige Kläger auf diese Weise das Risiko der technischen Eignungdes Netzes übernimmt. Er läuft damit Gefahr, mit seiner Klage zu unterlie-gen, wenn sich der von ihm benannte Verknüpfungspunkt als technischnicht geeignet herausstellt – und zwar selbst dann, wenn der von ihmbenannte Punkt der wirtschaftlich günstigste Verknüpfungspunkt im Sinnevon § 4 Abs. 2 S. 1 EEG ist, dessen Eignung durch einen wirtschaftlichzumutbaren Netzausbau ohne weiteres hergestellt werden könnte. Die dem-gegenüber sicherere Vorgehensweise besteht darin, den Netzbetreiber an dervon ihm geltend gemachten mangelnden Eignung des Verknüpfungspunk-tes festzuhalten und den weiter gehenden Netzausbauanspruch zu verfol-gen.

26 OLG Hamm (Fn. 3), S. 326; ebenso Altrock/Oschmann/Theobald, EEG, § 4,Rn. 22.

27 Das ernstliche Bestreiten des Anspruchs genügt zur Erfüllung der Prozessvo-raussetzung der Besorgnis der Leistungsverweigerung; vgl. Greger in: Zöller,Zivilprozessordnung, § 259, Rn. 3. Altrock/Oschmann/Theobald (EEG, § 4,Rn. 23) halten daneben »jedenfalls« auch eine Klage auf Feststellung, dassder Netzbetreiber an der gewünschten Stelle Netzanlagen für diegewünschte Einspeisung zur Verfügung zu stellen hat, für zulässig.

28 Siehe dazu unter B.

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Vorschrift ist es zu gewährleisten, dass die nötigen technischenVoraussetzungen für ein wirksames Netzlastmanagement vorlie-gen, d.h. dass bei Netzüberlastungen die Einspeiseleistung einzel-ner Anlagen soweit reduziert werden kann, dass Sicherheit undFunktionsfähigkeit des Netzes gewährleistet bleiben.29 Soweit einNetzanschlussanspruch am Fehlen einer entsprechenden techni-schen Einrichtung scheitert, kann auch kein Netzausbauanspruchnach § 4 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 EEG zur Ermöglichung diesesAnschlusses bestehen.

Das LG Itzehoe hat darüber hinausgehend die Frage aufgeworfen,ob ein Netzanschluss auch dann versagt werden dürfe, wenndurch den zusätzlichen Anschluss ein bereits bestehendes Netz-lastmanagement dermaßen verschärft würde, dass dies eine Aus-baupflicht des Netzbetreibers begründete, die aber mit unzumut-bar hohen Kosten verbunden wäre.30 Das Gericht hat sich ausführ-lich mit diesem auf die Überwindung des Netzlastmanagementsgerichteten Netzausbauanspruch auseinandergesetzt, ihn imErgebnis aber verneint und daher den Netzanschlussanspruchbejaht.31 Ein Netzausbauanspruch zur Ermöglichung der jederzeitvollständigen Stromabnahme ist jedoch sowohl in seiner Stoß-richtung als auch hinsichtlich seiner Voraussetzungen anders zubeurteilen als ein im Rahmen des Netzanschlussanspruchs beste-hender Netzausbauanspruch zur Ermöglichung des Anschlusses.32

Selbst wenn der Anschluss einer neuen Anlage nur im Netzlast-management möglich wäre und eine Ausbauverpflichtung desNetzbetreibers zur Überwindung des Netzlastmanagementsbewirkte,33 könnte dies nicht gegen einen Anschlussanspruch ein-gewendet werden. Dem stünde bereits der eindeutige Wortlaut des§ 4 Abs. 3 S. 1 EEG entgegen, nach dem die Anschlussverpflich-tung des Netzbetreibers »auch dann [besteht], wenn das Netz oderder Netzbereich zeitweise vollständig durch Strom aus erneuerba-ren Energien […] ausgelastet ist«. Die einzige Voraussetzung, andie diese Vorschrift den Anschlussanspruch knüpft, ist das Vor-handensein der technischen Reduzierungseinrichtung.34 Auch dieGesetzesbegründung ist hier eindeutig, indem sie klarstellt, dassder Netzbetreiber »den Anschluss von Anlagen nicht mit dem Ver-weis auf mögliche zeitliche Netzauslastungen verweigern« kannund darauf hinweist, dass diese nur extrem selten aufträten, etwabei Zusammentreffen von sehr hoher Einspeisung bei Starkwindund gleichzeitig niedrigem Verbrauch, während der Netzbetreiberim weit größeren sonstigen Zeitraum zur Aufnahme problemlos inder Lage sei.35

Der Netzanschlussanspruch ist damit unabhängig von der even-tuellen Erforderlichkeit von Ausbaumaßnahmen zur Überwin-dung eines bestehenden Netzlastmanagements. Daraus folgt, dassauch der diesen Netzanschluss erst ermöglichende Netzausbauan-spruch des § 4 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 EEG nicht von Erwägungen zurwirtschaftlichen Zumutbarkeit abhängen kann, die im Zusam-menhang mit den Kosten der Überwindung des Netzlastmanage-ments stehen. Zu berücksichtigende Netzausbaukosten könnenvielmehr allein diejenigen Aufwendungen sein, die getätigt wer-den, um die technische Eignung des Netzes für den Anschluss derbetreffenden Anlage am konkreten Verknüpfungspunkt herzustel-len;36 ein etwaiges Netzlastmanagement ist insoweit ohne Ein-fluss.

B. Anspruch auf Abnahme des erzeugten Stroms

Neben der Netzanschlusspflicht enthält § 4 Abs. 1 S. 1 EEG dieVerpflichtung des Netzbetreibers, den aus den angeschlossenenAnlagen angebotenen Strom aus Erneuerbaren Energien vorrangigabzunehmen und zu übertragen. Dies wird insbesondere bei Netz-überlastungen problematisch, wobei sich auch hier die Frage nacheiner Netzausbaupflicht des Netzbetreibers stellt. § 4 Abs. 1 S. 2

EEG schränkt den Abnahmeanspruch ein, indem er ihn nachErrichtung des in § 15 Abs. 3 EEG vorgesehenen Anlagenregistersan die Beantragung der Eintragung der Anlage knüpft. Bislangwurde das Register aber noch nicht errichtet.37 Außerdem ermög-licht § 4 Abs. 1 S. 3 EEG Anlagen- und Netzbetreibern, im Wegevertraglicher Vereinbarungen vom Abnahmevorrang abzuweichen,wenn dies der besseren Integration der Anlage in das Netz dient.Hierbei handelt es sich nur um eine zusätzliche Möglichkeit, eineentsprechende Vertragsabschlusspflicht besteht nicht. Die Grundre-gel des § 12 Abs. 1 EEG bleibt unberührt, nach der Netzbetreiberdie Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus §§ 4 und 5 EEG nicht vomAbschluss eines Vertrages abhängig machen dürfen.38

I. Grundsätzliche Einschränkungen bei Netzüberlastung

§ 4 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 EEG bestimmt, dass die Verpflichtung desNetzbetreibers zur vorrangigen Abnahme nur besteht, »soweit dasNetz oder der Netzbereich nicht durch Strom aus zeitlich vor die-sen Anlagen angeschlossenen Anlagen zur Erzeugung von Stromaus erneuerbaren Energien […] vollständig ausgelastet ist«. ImGegensatz zum Netzanschlussanspruch, der von einer etwaigenNetzüberlastung gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 EEG unberührt bleibt,39

wird der Stromabnahmeanspruch des Anlagenbetreibers damit –zeitweise – eingeschränkt. In der Praxis werden bei drohendenzeitweiligen Netzüberlastungen neue Anlagen im Netzlastmana-gement angeschlossen, über dessen Anwendung es unterschiedli-che, für die Praxis relevante Auffassungen gibt.

1. Beschränkung gemäß dem GleichrangigkeitsprinzipEine praktizierte Möglichkeit besteht darin, im Falle von Netz-überlastungen die Einspeiseleistung aller im Netzlastmanagementangeschlossenen Anlagen stufenweise, aber gleichmäßig zu redu-zieren (etwa zunächst auf 60%, dann auf 30%, schließlich aufNull). Diese Lösung wird auch im Schrifttum von Salje vertreten,der dies u. a. damit begründet, dass sich § 4 Abs. 3 S. 2 EEG auf§ 4 Abs. 3 S. 1 EEG beziehe, so dass nur eine Differenzierung zwi-schen den in diesem Satz genannten verschiedenen Gruppen vonAnlagen in Betracht komme – nämlich den Anlagen mit einertechnischen Einrichtung zur Reduzierung der Einspeiseanlageneinerseits und den außerhalb des Netzlastmanagements ange-schlossenen Altanlagen ohne eine entsprechende Einrichtungandererseits.40 Diese Auslegung entspreche auch der Zielsetzungdes EEG, die Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien zufördern, da die Investitionsbereitschaft von Neubetreibern unter-stützt werde, indem die Lasten des Netzlastmanagements gleich-

29 Zur Frage, welche Anlagen in welcher Reihenfolge zu drosseln sind, siehe unterB.I.

30 LG Itzehoe (Fn. 6).31 LG Itzehoe (Fn. 6).32 Zum auf die Überwindung des Netzlastmanagements gerichteten Netzaus-

bauanspruch siehe daher gesondert unter B.II.33 Zu den Voraussetzungen dieses Netzausbauanspruchs siehe unter B.II.2.34 So auch Oschmann in: Danner/Theobald, Energierecht, VI B 1, § 4 EEG, Rn.

80f.; Altrock/Oschmann/Theobald, EEG, § 4, Rn. 97.35 Einzelbegründung zu § 4 Abs. 3 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 34; ebenso

Müller, RdE 2004, 237 (239).36 Es besteht kein Anlass, von den in der Gesetzesbegründung genannten

Berechnungsmethoden zur Ermittlung der Zumutbarkeit (siehe oben 1)abzuweichen. Jedes Verwischen der Grenzen zwischen den verschiedenarti-gen Ausprägungen des Netzausbauanspruchs brächte dagegen die Gefahrunzulässiger Vermischungen der Zumutbarkeitskriterien mit sich.

37 Im Übrigen gilt die Bedingung des § 4 Abs. 1 S. 2 EEG gemäß der Über-gangsvorschrift des § 21 Abs. 2 S. 1 EEG auch nur für Strom aus solchenAnlagen, die drei Monate nach Bekanntgabe der Einrichtung des Anlagenre-gisters im Bundesanzeiger in Betrieb genommen worden sind. Für Strom ausAltanlagen gilt sie erst drei Monate nach gesonderter schriftlicher Aufforde-rung durch den Netzbetreiber (§ 21 Abs. 2 S. 2 EEG).

38 Darauf weist auch die Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 1 EEG ausdrücklichhin; vgl. BT-Drucks 15/2864, S. 33.

39 Vgl. oben A.II.2.40 Salje, RdE 2005, 250 (254).

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41 Salje (Fn. 40), S. 254 f., der in diesem Zusammenhang begrifflich missverständ-lich davon spricht, die Gemeinlast der Gruppe von Anlagenbetreibern träte andie Stelle eines »Sonderopfers« einzelner Neubetreiber.

42 Reshöft in: Reshöft/Steiner/Dreher, EEG, § 4, Rn. 43; ebenfalls noch in die-sem Sinne Salje, EEG, § 4, Rn. 100; wohl auch Altrock/Oschmann/Theobald,EEG, § 4, Rn. 92.

43 Zur erforderlichen Differenzierung zwischen diesen beiden Ansprüchen vgl.auch oben A.II.2. Auch das Argument Saljes (Fn. 40, S. 254), die Verwendungdes Begriffs »diese Anlagen« im Plural in § 4 Abs. 3 S. 2 EEG könne sich nurauf die Gruppen von Anlagen des § 4 Abs. 3 S. 1 EEG beziehen, überzeugtnicht, spricht doch der von der Vorschrift ausdrücklich in Bezug genom-mene § 4 Abs. 1 S. 1 EEG ebenfalls von »Anlagen« im Plural, nämlich ganzallgemein von »Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Ener-gien«.

44 LG Itzehoe (Fn. 6).45 Dabei ist auch zu beachten, dass selbst die vom Gleichrangigkeitsprinzip

vorgeblich »privilegierten« Neubetreiber hinsichtlich nachfolgender »Neu-Neubetreiber« mit denselben Unsicherheiten konfrontiert wären.

46 LG Itzehoe (Fn. 6).47 So auch Salje, EEG, § 4, Rn. 66.48 § 4 Abs. 2 S. 1 EEG nennt allgemein »[d]ie Verpflichtung nach Absatz 1

Satz 1«.

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mäßig auf die gesamte Gruppe von Anlagenbetreibern verteiltwerden.41

2. Beschränkung gemäß dem Prioritätsprinzip

Die Alternative hierzu stellt die Abschaltung von einzelnen, demNetzlastmanagement unterliegenden Anlagen in der umgekehr-ten zeitlichen Reihenfolge ihres Netzanschlusses dar.42 Eine derar-tige Beschränkung nach dem Prioritätsprinzip legt bereits derWortlaut des § 4 Abs. 3 S. 2 EEG nahe, der die Abnahmepflichtgewährt, »soweit das Netz […] nicht durch Strom aus zeitlich vordiesen Anlagen angeschlossenen Anlagen […] vollständig ausge-lastet ist«. Auch ist die teilweise vertretene These nicht nachvoll-ziehbar, § 4 Abs. 3 S. 2 EEG beziehe sich auf § 4 Abs. 3 S. 1 EEG.Die Vorschrift verweist ausdrücklich auf § 4 Abs. 1 S. 1 EEG undschränkt den dort gewährten Stromabnahmeanspruch ein, wäh-rend § 4 Abs. 3 S. 1 EEG ausschließlich den hiervon systematischzu unterscheidenden Netzanschlussanspruch regelt.43 Schließlichvermag im Ergebnis auch das im Ansatz zutreffende Argumentnicht zu überzeugen, das Prioritätsprinzip schade der Investitions-bereitschaft potentieller Neubetreiber, da es diesen die gesamtenLasten des Netzlastmanagements auferlege. In seinem Urteil vom23.12.2005 hat das LG Itzehoe auf die Folge einer Reduzierung derEinspeiseleistung nach dem Gleichrangigkeitsprinzip hingewie-sen, die darin bestehe, dass sich die wirtschaftliche Position allerdem Netzlastmanagement unterliegenden Anlagen mit jedemNeuanschluss weiter verschlechtere, da das Netzlastmanagementaufgrund der höheren Gesamtleistung immer häufiger in Krafttrete.44 Da zum Zeitpunkt der Investition eines Anlagenbetreibersnoch nicht absehbar ist, wie viele weitere Anlagen mit welcherKapazität zu welchem zukünftigen Zeitpunkt im fraglichen Netz-bereich noch angeschlossen werden, hätte dieser keinerlei Pla-nungs- und Investitionssicherheit.45 Dementsprechend stellt dasLG Itzehoe fest, es spreche nichts dafür, dass es Sinn und Zweck desEEG sein sollte, Neuinvestoren Anreize auf Kosten der Planungssi-cherheit bestehender Anlagen zu verschaffen.46

Das Prioritätsprinzip entspricht damit der gesetzlichen Logik,Anschluss und Vergütung in zeitlicher Reihenfolge sowie Investiti-onssicherheit zu gewähren. Dafür spricht auch, dass Netzüberlas-tungen die Ausnahme sind, auch weil die Netzbetreiber gemäߧ 11 Abs. 1 S. 1 EnWG verpflichtet sind, die Leistungsfähigkeitihrer Netze sicherzustellen.

3. Netzlastmanagement als Instrument zur Regulierung von Netzengpässen

Da die Regulierung zeitweiliger Netzüberlastungen nicht zu Lastender Betreiber von Altanlagen erfolgen darf, kann die Investitions-bereitschaft potentieller Neubetreiber sinken, wenn diese sämtli-che Lasten eines Netzlastmanagements tragen müssen. Dies giltbesonders, wenn absehbar ist, dass das Netzlastmanagement mitjeder zusätzlichen Anlage immer häufiger eingreifen wird. Hieranwird sich nichts ändern, solange der die zeitweiligen Netzüberlas-tungen hervorrufende Netzengpass nicht durch einen Netzausbaubehoben wird.

Auch die Organisation des Netzlastmanagements nach demGleichrangigkeitsprinzip ändert nichts am grundsätzlichen Pro-blem des Netzengpasses. Nach beiden Methoden ist das Netzlast-management ein Instrument zur Regulierung von Netzengpässen,das die daraus resultierenden Lasten zwar unterschiedlich vertei-len kann, nicht aber das eigentliche Problem zu lösen vermag.

Daher könnte man zu dem Schluss gelangen, dass die Überwin-dung von Netzengpässen ein rein rechtspolitisches Problem ist. Dievor dem Hintergrund der zunehmenden Erzeugung von Strom ausErneuerbaren Energien zutage tretenden Defizite der Netzinfra-struktur (gerade auch im Bereich der Übertragungsnetze) wärendanach vom Gesetzgeber zu beheben, der zur Verwirklichung der

Ziele des § 1 EEG weitere Maßnahmen zum Ausbau der Infrastruk-tur ergreifen und die Netzbetreiber stärker als bislang in die Pflichtnehmen müsste. Indes ist das Netzlastmanagement bereits nachdem Ansatz des § 4 Abs. 3 S. 2 EEG nur eine vorübergehendeLösung47 und hält bereits das EEG in seiner novellierten Fassungvon 2004 mit der Netzausbaupflicht des Netzbetreibers ein geeigne-tes Instrument zur Überwindung von Netzengpässen bereit. Wenndieses bislang in der Praxis noch nicht zu grundlegenden Verbesse-rungen der Netzinfrastruktur eingesetzt worden ist, liegt dies nichtdaran, dass es gänzlich wirkungslos wäre. Vielmehr scheint nochUnklarheit über seine Reichweite und seine Voraussetzungen zubestehen, die nachfolgend untersucht werden sollen.

II. Netzausbauanspruch zur Überwindung von Netzengpässen

Neben der Beschränkung des Abnahmeanspruchs im Netzlastma-nagement bestimmt § 4 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 EEG, dass »die Ver-pflichtung zum unverzüglichen Ausbau nach Absatz 2 Satz 2 [...]unberührt [bleibt].« Diese vom Gesetzgeber anerkannte Ausbau-verpflichtung der Netzbetreiber zieht die Frage nach sich, inwie-weit ihr ein entsprechender Netzausbauanspruch von Anlagenbe-treibern gegenübersteht und unter welchen Voraussetzungen die-ser durchgesetzt werden kann.

1. Qualität und Umfang der Anspruchsposition der AnlagenbetreiberDa § 4 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 EEG zunächst nur von »Verpflichtung«spricht, könnte dies auch dahingehend interpretiert werden, dassder Gesetzgeber nur eine generelle Pflicht der Netzbetreiberbeschreiben wollte. So verstanden ginge der Gehalt der Vorschriftnicht über § 11 Abs. 1 S. 1 EnWG hinaus, der seit der Gesetzes-novelle im Jahre 2005 auch die allgemeine Pflicht des Netzbetrei-bers festschreibt, »ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähigesEnergieversorgungsnetz […] bedarfsgerecht auszubauen, soweit eswirtschaftlich zumutbar ist.«

Indes verweist § 4 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 EEG gerade nicht auf § 11Abs. 1 S. 1 EnWG, sondern vielmehr auf § 4 Abs. 3 S. 2 EEG unddamit auch auf dessen Halbsatz 2, nach dem der Netzbetreiber»auf Verlangen des Einspeisewilligen« zum unverzüglichen Netz-ausbau verpflichtet ist. Der Pflicht zum Netzausbau im Falle vonNetzüberlastungen steht damit ein entsprechender Anspruch derbetroffenen Anlagenbetreiber gegenüber. Dies wird auch durch diesystematische Stellung der Regelung des Netzausbauanspruchs in§ 4 Abs. 2 EEG bestätigt. Dieser Absatz findet nämlich auf alle in § 4Abs. 1 S. 1 EEG genannten Verpflichtungen des NetzbetreibersAnwendung,48 d.h. neben der Netzanschlusspflicht auch auf dieStromabnahmepflicht. Die Formulierung in § 4 Abs. 3 S. 2 Hs. 2EEG, »die Verpflichtung zum unverzüglichen Ausbau nach Absatz2 Satz 2 bleibt unberührt«, trägt dieser Rechtslage Rechnung undsoll lediglich klarstellen, dass der grundsätzlich bestehende Aus-

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49 Vgl. auch die Gesetzesbegründung (Einzelbegründung zu § 4 Abs. 3 EEG 2004,BT-Drucks 15/2864, S. 33).

50 LG Itzehoe (Fn. 6) 51 Auch § 11 Abs. 1 S. 1 EnWG stellt auf dieses Kriterium ab, indem er

bestimmt, dass Betreiber von Energieversorgungsnetzen verpflichtet sind,ihr Energieversorgungsnetz »bedarfsgerecht auszubauen, soweit es wirt-schaftlich zumutbar ist.«

52 LG Itzehoe (Fn. 6), 53 BT-Drucks 15/2864, S. 34; vgl. zu diesen Methoden ausführlich oben A.II.1.54 Vgl. oben A.II.1.a.55 Dies folgt bereits daraus, dass dieser Strom gemäß dem Prioritätsprinzip (vgl.

oben B.I.2) gegenüber dem Strom aus den später angeschlossenen, die Aus-baupflicht des Netzbetreibers auslösenden Anlagen vorrangig abgenommenwerden muss.

56 Siehe oben A.II.1.b.57 Vgl. Begründung, Gesetzentwurf vom 13.8.2004, BR-Drucks 613/04, S. 100.

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bauanspruch zur Ermöglichung der Stromabnahme aufgrund derzeitweiligen Beschränkung des Abnahmeanspruchs im Rahmeneines Netzlastmanagements nicht ebenfalls beschränkt wird.49 DerNetzausbauanspruch des einspeisewilligen Anlagenbetreibers istsomit umfassend, d.h. er ist nicht nur auf die Ermöglichung desNetzanschlusses sowie darauf gerichtet, dass im Rahmen der jewei-ligen Netzkapazität überhaupt Strom abgenommen werden kann,sondern er zielt auch auf die Ermöglichung der vollständigenStromabnahme und damit auf die Überwindung von Netzengpäs-sen, die ein Netzlastmanagement erforderlich machen.

2. Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze

Ein derartiger Anspruch auf Netzausbau zur Überwindung vonNetzengpässen ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. DasLG Itzehoe hat in seinem Urteil vom 23.12.2005 darauf hingewie-sen, dass der bloße Einsatz des Netzlastmanagements nicht recht-lich zwingend stets eine Netzausbauverpflichtung zur Folge habenkönne, da ansonsten bereits zeitlich marginale Netzüberlastungenumfangreiche und kostenintensive Ausbaumaßnahmen nach sichzögen.50 Auch hier muss es letztlich auf die wirtschaftliche Zumut-barkeit des Netzausbaus gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 EEG ankom-men.51 In diesem Sinne zieht das LG Itzehoe im Rahmen des Aus-bauanspruchs zur Überwindung von Netzengpässen den Grund-satz der gesamtwirtschaftlichen Kostenminimierung heran.52 Hierkann wieder auf die beiden in der Gesetzesbegründung zu § 4 Abs.2 EEG detailliert beschriebenen Berechnungsmethoden53 zurück-gegriffen werden.

a. Kostenvergleich Netzausbau und alternative AnschlüsseNach der ersten Methode ist ein Netzausbau dann zumutbar,wenn seine Kosten zuzüglich der notwendigen Anschlusskostender betreffenden Anlagen geringer wären als die Kosten einesAnschlusses dieser Anlagen an ein anderes Netz, in dem sie ohneNetzlastmanagement betrieben werden könnten. Wie im Rahmendes Netzausbauanspruchs zur Ermöglichung des Anschlusses54

müssen auch hier die Anschlusskosten weiterer geplanter Anla-gen, für die bereits konkrete Netzprüfungsanfragen vorliegen, inder Vergleichsrechnung berücksichtigt werden. Der Umfang desNetzausbaus muss so ausgelegt sein, dass er auch die vollständigeAbnahme des in diesen Altanlagen erzeugten Stroms ermöglicht.55

Diese Methode führt im Ergebnis dazu, dass die Errichtung ein-zelner neuer Anlagen, die im Netzlastmanagement angeschlossenwerden, in der Regel noch keinen Ausbauanspruch zur Überwin-dung des Netzengpasses begründet. Dies gilt wegen der höherenNetzausbaukosten insbesondere dann, wenn Ausbaumaßnahmenim Bereich der Übertragungsnetze erforderlich sind. Das Ergebnisder Vergleichsbetrachtung ändert sich erst dann, wenn die Anzahlneuer Anlagen steigt, die ansonsten über einzelne Anschlusslei-tungen an entferntere Netzanschlusspunkte angeschlossen wer-den müssten oder wenn ganze Regionen dem Netzlastmanage-ment unterliegen. Zu berücksichtigen ist bei dieser Betrachtungjedoch auch der Umfang, in dem das Netzlastmanagement bereitseingreift. Zwar werden die bereits angeschlossenen, dem Netzlast-management unterliegenden Anlagen keine Alternativanschlüssemehr erwägen. Ein Netzausbau käme ihnen aufgrund des Priori-tätsprinzips jedoch zuallererst zugute. Daher müssen bei gesamt-wirtschaftlicher Betrachtungsweise die sie bereits belastendenwirtschaftlichen Einbußen in die Gesamtbetrachtung mit einge-stellt werden. Diese sind auch deswegen besonders zu berücksich-tigen, da es sich insoweit um Bestandsanlagen handelt und dieNetzbetreiber durch das EnWG allgemein zum bedarfsgerechtenAusbau verpflichtet sind.

b. Kostenvergleich Netzausbau und Errichtung der Anlage(n)Auch die zweite Berechnungsmethode liefert einen möglichenAnsatz zur Ermittlung der Zumutbarkeit: Nach der in erster Linieauf den Netzanschlussanspruch zugeschnittenen Gesetzesbegrün-dung kommt es insoweit auf das Verhältnis des Wertes der einzu-speisenden Gesamtstrommenge zu den Netzausbaukosten an.56

Die schwierige Ermittlung des Wertes der Gesamtstrommengewird dadurch vereinfacht, dass auf die Investitions- und Betriebs-kosten der Anlage abgestellt wird, auch wenn diese bei wirtschaft-licher Betriebsführung deutlich geringer ausfallen dürften. DesWeiteren gilt nach der Gesetzesbegründung, dass ein Netzausbaujedenfalls bei Netzausbaukosten von bis zu 25 % der Errichtungs-kosten zumutbar ist.

Da es vorliegend nicht um den Netzanschluss der Anlage, son-dern um die Überwindung von Netzabschaltungen durch den Aus-bau des Netzes geht, erscheint zweifelhaft, ob dieser Ansatz Anwen-dung finden kann. Der Wert der Gesamtstrommenge steht auf denersten Blick in der hiesigen Fallkonstellation nicht insgesamt inFrage. Es könnte daher erwogen werden, ob nicht lediglich derWert des Anteils, der infolge des Netzlastmanagements nicht einge-speist werden kann, den Ausbaukosten gegenüberzustellen ist.

Dies würde dazu führen, dass nach dieser Methode der gesamt-wirtschaftlichen Betrachtung ein Netzausbau zur Überwindungvon Netzengpässen erst bei ganz erheblichen Netzabschaltungen,die eine Vielzahl von Anlagen betreffen, in Frage käme. Bei Anwen-dung der 25 %-Formel könnten durchaus übliche Netzausbaukos-ten von mehreren Millionen Euro nur durch Netzabschaltungengerechtfertigt werden, die das Vierfache dieser Kosten betrügen.Dies wäre nicht nur unpraktikabel, es widerspräche auch der objek-tiv-rechtlichen Verpflichtung der Netzbetreiber gemäß § 11 Abs. 1EnWG, ihre Netze bedarfsgerecht auszubauen. Zwar steht dieseVerpflichtung auch unter dem Vorbehalt der wirtschaftlichenZumutbarkeit. Diese ist jedoch nicht lediglich regional in Bezug aufdas Anschlussbegehren einzelner Anlagen zu betrachten, sondernbezieht sich unter Beachtung des Umweltschutzes auf die wirt-schaftlichen Bedingungen des Netzausbaus insgesamt.57

Auch stünden derart hohe Anforderungen an die Ausbauver-pflichtung der Netzbetreiber im Widerspruch zu den gesetzlichenZielen des EEG. Danach soll der Anteil Erneuerbarer Energien ander Stromversorgung aus Gründen des Klima- und Umweltschut-zes nachhaltig gefördert werden. Dazu wird potenziellen Anlagen-betreibern durch die Gewährung langfristiger VergütungssätzeInvestitionssicherheit geboten. Wird diese Investitionssicherheitfür Neuanlagenbetreiber aufgrund erheblicher Netzabschaltungengefährdet, konterkariert dies neben den allgemeinen Netzbetrei-berpflichten auch die Zwecke des EEG.

Dem Anlagenbetreiber kommt es bei seiner Investition daraufan, die Amortisation der Kosten durch die Stromvergütungensicherzustellen und eine angemessene Rendite zu erzielen. Ist diesaufgrund der zu erwartenden Netzabschaltungen und der darausresultierenden geringeren Vergütungen nicht mehr möglich, stehtgenau wie bei der Frage des Netzanschlusses die Realisierung des

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Projektes insgesamt in Frage. Die Prüfung der Vergütungsaussich-ten wird im Rahmen der Projektplanung von den finanzierendenBanken regelmäßig verlangt. Auf Grundlage des Prioritätsprinzipskönnen die zu erwartenden Netzabschaltungen anhand der ver-gangenen Jahre relativ sicher prognostiziert werden, weil Neuan-lagen danach gegenüber Altanlagen vorrangig, gegenüber nach-folgenden Neuanlagen jedoch nachrangig abgeschaltet werden.

Ist danach das Projekt nicht mehr realisierungsfähig, ist es injedem Falle gerechtfertigt, die Ermittlung der Zumutbarkeits-grenze in entsprechender Weise vorzunehmen wie beim Netzan-schlussanspruch. Auch hier ist dann der Wert der Gesamtstrom-menge bzw. sind in vereinfachender Weise die Investitions- undBetriebskosten den Netzausbaukosten gegenüberzustellen.58

3. Anforderungen an den Planungsstand

Von erheblicher praktischer Bedeutung ist, ab welchem Zeitpunktdie Ausbaupflicht eines Netzbetreibers zur Überwindung von Net-zengpässen eingreift. Eine Antizipation des zukünftigen Angebotsvon Strom aus Erneuerbaren Energien ist um so bedeutsamer, alsdie hier in Frage stehenden Ausbaumaßnahmen im Gegensatz zuden verhältnismäßig geringfügigen Ausbaumaßnahmen zurErmöglichung des Netzanschlusses häufig planfeststellungsbe-dürftig nach § 43 Abs. 1 EnWG (Freileitungen) sein werden. Plan-feststellungsverfahren sind aber überaus zeitaufwändig, so dass siebereits lange Zeit vor der betriebsfertigen Errichtung der die Netz-ausbaupflicht begründenden Anlagen eingeleitet werden müssen,um gesamtwirtschaftliche Schäden infolge der Nichtabnahme desangebotenen Stroms abzuwenden. Demgegenüber ist der Netzaus-bau mit Erdkabeln mangels Planfeststellungsbedürftigkeit weitausschneller zu erreichen, dagegen jedoch in der Regel teurer.

Den spätesten Zeitpunkt, in dem die Netzausbaupflicht ent-steht, markiert § 4 Abs. 2 S. 3 EEG. Diese Vorschrift findet nichtnur auf den auf Netzanschluss gerichteten, sondern auch auf denauf Überwindung von Netzengpässen und vollständige Stromab-nahme gerichteten Ausbauanspruch Anwendung. Zwar verweist§ 4 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 EEG nur auf »Absatz 2 Satz 2« und nichtausdrücklich auch auf Satz 3, jedoch wird aus der Formulierung,die Verpflichtung bleibe »unberührt« deutlich, dass auf denumfassenden Ausbauanspruch in seiner gesamten Ausgestaltung –d.h. auch durch § 4 Abs. 2 S. 3 EEG – Bezug genommen werdensoll. Der Netzausbauanspruch besteht daher für jeden Betreibereiner im Netzlastmanagement angeschlossenen bzw. neu anzu-schließenden Anlage jedenfalls dann, wenn die Planungen für dieneu hinzukommenden, die Ausbaupflicht auslösenden Anlagenhinreichend konkretisiert sind. Im Falle genehmigungsbedürftigerAnlagen ist dies der Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung,einer Teilgenehmigung oder eines Vorbescheides, bei genehmi-gungsfreien Anlagen die Eingehung vertraglicher Bindungen imHinblick auf die geplante Errichtung wie etwa die Erteilung vonAufträgen für Detailplanungen.59

Im Übrigen ist nicht ausgeschlossen, dass die Ausbaupflicht imEinzelfall bereits früher entsteht, wenn aus anderen Gründen einestarke Erhöhung des Angebots von Strom aus Erneuerbaren Ener-gien antizipiert werden kann. Dies ist immer dann der Fall, wennbereits konkrete Netzprüfungsanfragen vorliegen, da auf dieseprojektierten Anlagen selbst die Gesetzesbegründung im Zusam-menhang mit der Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze des Netz-ausbaus Bezug nimmt.60 Ferner muss auch berücksichtigt werden,wenn die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Errich-tung einer Vielzahl von Anlagen zur Erzeugung von Strom ausErneuerbaren Energien geschaffen wurden.

C. Durchsetzung der Netzausbauansprüche im einstweiligenRechtsschutz

Wirft die prozessuale Durchsetzung von Netzausbauansprüchen imHauptsacheverfahren keine spezifischen Probleme auf, sollen nach-folgend einige Besonderheiten der Verfolgung dieser Ansprüche imVerfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dargestellt werden.

I. Durchsetzung des Ausbauanspruchs zur Ermöglichung des Netzan-schlusses

Zentrale Norm zur Durchsetzung des Netzanschlussanspruchs ist§ 12 Abs. 5 EEG. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht dieHauptsache durch einstweilige Verfügung regeln, dass der Schuld-ner der in den §§ 4 und 5 EEG bezeichneten Ansprüche dieAnlage vorläufig anzuschließen und den Strom abzunehmensowie hierfür einen als billig und gerecht erachteten Betrag alsAbschlagsleistung zu leisten hat. § 12 Abs. 5 S. 2 EEG bestimmtweiter, dass es der Darlegung eines Verfügungsgrundes im Sinneder §§ 935, 940 ZPO nicht bedarf. Der Gesetzgeber sieht darin kei-nen gravierenden Eingriff in die Rechte der Netzbetreiber, da dieDarlegung des Anordnungsgrundes nicht erleichtert werde undaußerdem ein ausreichender finanzieller Schutz über möglicheSchadensersatzansprüche nach § 945 ZPO bestehe.61 DieseErleichterung zugunsten der Anlagenbetreiber ist umso bedeuten-der, als die Leistungen, zu denen Netzbetreiber über § 12 Abs. 5EEG im Wege einstweiliger Verfügung verpflichtet werden kön-nen, die Hauptsache bereits vorwegnehmen. Ohne diese Sonder-regelung wäre eine derartige Leistungsverfügung nach allgemei-nen zivilprozessualen Grundsätzen nur unter äußerst engenVoraussetzungen zulässig.

1. Verpflichtung zum Netzausbau im einstweiligen Rechtsschutz§ 12 Abs. 5 EEG nennt den Netzausbauanspruch in seiner Aufzäh-lung nicht ausdrücklich, so dass sich die Frage stellt, ob dieserAnspruch nur im Hauptsacheverfahren durchgesetzt werden kann.Allerdings ist dieser Schluss bereits nach dem Wortlaut der Rege-lung keinesfalls zwingend. So spricht § 12 Abs. 5 S. 1 EEG aus-drücklich vom Netzbetreiber als dem »Schuldner der in den §§ 4und 5 bezeichneten Ansprüche« und schließt damit auch den in§ 4 Abs. 2 S. 2 EEG geregelten Netzausbauanspruch ein. Wennsich der Gesetzgeber in der Aufzählung auf Anschluss, Abnahmeund Vergütung – d.h. die Ansprüche der §§ 4 Abs. 1 S. 1 und 5Abs. 1 S. 1 EEG – beschränkt hat, war dies durchaus sinnvoll, weilder Ausbauanspruch lediglich der Durchsetzung des Anschluss-und Abnahmeanspruchs dient62 und diesen Ansprüchen vorgreif-lich ist.63 In vielen Fällen könnte ein Gericht einen Netzbetreibergar nicht zum Anschluss einer Anlage verpflichten, ohne ihmzugleich auch den Ausbau seines Netzes zur Ermöglichung diesesAnschlusses aufzugeben. Es spricht nichts dafür, dass der Gesetzge-ber derartige Fälle im Widerspruch zur gesetzlichen Fiktion des § 4Abs. 2 S. 2 Hs. 2 EEG aus dem Anwendungsbereich des § 12 Abs.5 EEG herausnehmen und den Anschlussanspruch damit auf Kon-

58 Vgl. oben A.II.1.b. 59 Vgl. oben A.II.2.60 Einzelbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 34 (vgl.

oben A.II.1.a). Jedenfalls zu berücksichtigen sind daher die projektiertenAnlagen, die in der Praxis der Netzbetreiber in deren sog. »Windhundlisten«aufgenommen worden sind.

61 Einzelbegründung zu § 12 Abs. 5 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 46.62 Vgl. zum auf Ermöglichung des Netzanschlusses gerichteten Ausbauan-

spruch oben A.II sowie zum Ausbauanspruch zur Ermöglichung der (voll-ständigen) Stromabnahme oben B.II.

63 Auch die Formulierung des § 4 Abs. 2 S. 2 EEG unterstreicht diese »Unter-stützungsfunktion« des Ausbauanspruchs. Dieser wird dort nämlich nichtisoliert als selbständiger, den Ansprüchen aus § 4 Abs. 1 S. 1 und § 5 Abs.1 S. 1 EEG gleichrangiger Anspruch gewährt, sondern im Rahmen dergesetzlichen Fiktion der technischen Eignung des Netzes genannt.

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stellationen beschränken wollte, in denen ein auch ohne Ausbautechnisch geeignetes Netz zur Verfügung steht.

Einer derartigen verkürzenden Interpretation stünden auchSinn und Zweck des § 12 Abs. 5 EEG entgegen. Ziel der Regelungist ausweislich der Gesetzesbegründung, den von der früherenSpruchpraxis der Zivilgerichte häufig versagten wirksamen einst-weiligen Rechtsschutz zu gewährleisten, um Hindernisse für denAusbau Erneuerbarer Energien zu beseitigen und zu verhindern,dass von Vorhaben infolge unsicherer RechtsschutzmöglichkeitenAbstand genommen wird.64 Dieses Ziel würde nicht erreicht, wenneine Vielzahl von Fällen aus dem Anwendungsbereich des § 12Abs. 5 EEG herausgenommen würde und sich ein Netzbetreiberbereits gegen die Zulässigkeit einer einstweiligen Verfügung erfolg-reich mit dem Einwand wehren könnte, ein Anschluss der betref-fenden Anlage an sein Netz setze einen – mitunter nur geringfügi-gen – Netzausbau voraus. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass§ 12 Abs. 5 EEG auch den Netzausbauanspruch des § 4 Abs. 2 S.2 Hs. 2 EEG umfasst, so dass dieser im Wege der einstweiligen Ver-fügung durchgesetzt werden kann.

2. Kein Erfordernis einer betriebsbereit errichteten Anlage

Das LG Halle hat die Auffassung geäußert, ein Antrag nach § 12Abs. 5 EEG setze stets eine betriebs- und einspeisebereit fertiggestellte Anlage voraus, da es Zweck der Regelung sei, die Anlagezunächst anzuschließen, damit der Anlagenbetreiber die gesetzli-che Mindestvergütung erhalten könne, um sich sodann in derHauptsache mit dem Netzbetreiber über die verbleibenden streiti-gen Fragen auseinander zu setzen.65 Dies ist zwar insoweit zutref-fend, als dass Sinn und Zweck des § 12 Abs. 5 EEG die frühzeitigeund unkomplizierte Durchsetzung der Anschluss-, Abnahme- undVergütungsansprüche der Anlagenbetreiber ist, dabei darf jedochnicht übersehen werden, dass der Anschlussanspruch des § 4 Abs.1 S. 1 EEG häufig erst durch einen Ausbau nach § 4 Abs. 2 S. 2EEG realisierbar wird und dass dieser gemäß § 4 Abs. 2 S. 3 EEGvom Anlagenbetreiber bereits vor der betriebsbereiten Errichtungder Anlage verlangt werden kann.66 Zumindest soweit (auch) dieserNetzausbauanspruch als Voraussetzung des Anschlussanspruchsmit dem Antrag nach § 12 Abs. 5 EEG verfolgt wird, muss daherder Antrag auch vor der Errichtung der Anlage möglich sein.67

Die von einer Netzbetreiberin vertretene, der Position des LGHalle genau entgegen gesetzte Auffassung, dass ein Antrag nach§ 12 Abs. 5 EEG zwar vor, aber nicht mehr nach Errichtung derbetreffenden Anlage zulässig sei, hat das LG Itzehoe in seinemUrteil vom 23.12.2005 zurückgewiesen. Das vom Gesetzgeberbekämpfte Risiko, dass potentielle Betreiber aufgrund bestehenderUnsicherheiten von einem Vorhaben Abstand nehmen, bestehezwar vor allem vor der Errichtung und Betriebsbereitschaft, jedochsei § 12 Abs. 5 EEG bereits deshalb auch nach Anlageerrichtunganzuwenden, weil ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz »inaller Regel« erst dann gestellt werde und die Vorschrift ansonsten»praktisch leer liefe«.68 Unabhängig davon, wann in der PraxisAnträge auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt werden, war gesetz-geberischer Hintergrund der Regelung des § 12 Abs. 5 EEG nichtallein das für die Sicherung der Finanzierung des Anlagenbausbestehende Bedürfnis, bereits vor deren Errichtung Klarheit überdie Anschlussperspektive zu erhalten. Vielmehr ging es demGesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung auch darum,den Primärrechtsschutz zu stärken und zu verhindern, dass Betrei-ber (errichteter) Anlagen auf Schadensersatzansprüche gegenüberden Netzbetreibern verwiesen werden.69 Im Ergebnis ist festzuhal-ten, dass Anträge nach § 12 Abs. 5 EEG sowohl vor als auch nachErrichtung der Anlage zulässig sind.70

64 Einzelbegründung zu § 12 Abs. 5 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 46. Im Sin-ne dieser Zweckrichtung der Schaffung von Planungs- und Investitionssicherheitfür Anlagenbetreiber wird die Vorschrift von der Rechtsprechung auch ange-wandt, siehe etwa LG Itzehoe (Fn. 6).

65 LG Halle (Fn. 17), S. 7.66 Vgl. oben A.II.2.67 Im Übrigen kann auch für einen allein auf Anschluss gerichteten Antrag (der

z.B. dann sinnvoll ist, wenn ein Anlagenbetreiber den Anschluss an einembereits bestehenden Verknüpfungspunkt begehrt) nichts anderes gelten. Einsolcher Antrag wäre zulässig, wenn er auf bis zur betriebsbereiten Errichtungaufschiebend bedingte Verpflichtung des Netzbetreibers zum Anschlussgerichtet wäre. Das OLG Hamm (Fn. 3, S. 326f.) hat zum sich im Hauptsa-cheverfahren stellenden Parallelproblem entschieden, dass eine Klage aufbedingte Leistung nach § 259 ZPO zulässig ist, sofern eine Anlage noch nichtbetriebsbereit errichtet, aber bereits genehmigt ist. Das hierfür erforderlichegegenwärtige Rechtsverhältnis folge daraus, dass die erforderliche Genehmi-gung bereits erteilt und der Netzausbauanspruch nach § 4 Abs. 2 S. 2 Hs.2 EEG damit schon entstanden sei; dass der Anspruch auf Netzanschluss erstnach Errichtung entstehe sei dagegen unschädlich, die Errichtung stelleinsoweit eine unschädliche Bedingung dar. Ferner spreche für die Zuerken-nung eines Anspruchs auf zukünftige Leistung, dass der Umfang des finan-ziellen Investitionsaufwandes stark von der Lage des Netzanschlusspunktesabhänge und eine frühzeitige abschließende Klärung Planungssicherheitschaffe, die häufig Voraussetzung für eine Fremdfinanzierung der Anlage sei.

68 LG Itzehoe (Fn. 6) 69 Einzelbegründung zu § 12 Abs. 5 EEG 2004, BT-Drucks 15/2864, S. 46.70 Im Ergebnis ebenso LG Itzehoe (Fn. 6).71 Vgl. zum Umfang des Abnahmeanspruchs oben B.II.1.72 Vgl. oben C.I.

232 | ZUR 5/2006

A U F S Ä T Z E | F i scher/Henning, St romabnahme, Netz las tmanagement und Netzausbau nach § 4 EEG

II. Durchsetzung des Ausbauanspruchs zur Überwindung von Net-zengpässen

Auch ein Anspruch von Anlagenbetreibern auf Netzausbau zurÜberwindung von Netzengpässen kann im Wege des einstweiligenRechtsschutzes nach § 12 Abs. 5 EEG verfolgt werden. Zwarerwähnt diese Vorschrift den Netzausbauanspruch nicht ausdrück-lich, er ist aber Vorbedingung des von § 12 Abs. 5 S. 1 EEGgenannten Abnahmeanspruchs, der im Sinne eines Anspruchs aufumfassende Abnahme zu verstehen ist, weil er nach § 4 Abs. 3 S.2 Hs. 2 EEG von etwaigen Netzüberlastungen unberührt bleibt.71

Er ist daher gleichermaßen wie der Netzausbauanspruch zurErmöglichung des Netzanschlusses – der seinerseits Vorbedingungdes Anschlussanspruchs ist – von der Privilegierung des § 12 Abs.5 EEG erfasst. Aus diesem Grunde können auch die oben entwickel-ten Grundsätze übertragen werden, nach denen weder ein Min-destbedürfnis an Eilbedürftigkeit besteht noch eine bereitsbetriebsbereit errichtete Anlage vorhanden sein muss.72 Zu beach-ten ist jedoch, dass das nach § 945 ZPO bestehende Haftungsrisikodes Anlagenbetreibers mit zunehmenden Netzausbaukosten steigt.

D. Fazit und Ausblick

Das EEG räumt Anlagenbetreibern und Einspeisewilligen effektiveAnspruchspositionen ein, die es ihnen erlauben, von Netzbetrei-bern den unverzüglichen Ausbau ihrer Netze sowohl zum Zweckeder Herstellung des Anschlusses als auch zur Gewährleistung dervollständigen Abnahme des in der Anlage erzeugten Stroms zuverlangen. In beiden Fällen ist entscheidende Voraussetzung desAusbauanspruchs die wirtschaftliche Zumutbarkeit des Netzaus-baus. Die in diesem Zusammenhang anzustellende gesamtwirt-schaftliche Betrachtung muss auch den Bedarf geplanter, sich erstzukünftig ansiedelnder Anlagen berücksichtigen. Auch wenn dasEEG eine zeitweilige Beschränkung des Abnahmeanspruchs imFalle von Netzüberlastungen zulässt, soll doch der Betrieb vonAnlagen im Netzlastmanagement prinzipiell kein Dauerzustandsein. Vielmehr sieht das EEG mit dem Ausbauanspruch ein Instru-ment zur Überwindung von Netzengpässen vor, dessen Wirksam-keit von den Anlagenbetreibern bislang noch nicht genutzt wor-den ist. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich im Falle zunehmenderNetzengpässe künftig Rechtsstreitigkeiten in diesem Bereich ent-wickeln, wenn nicht der Gesetzgeber im Rahmen von Novellie-rungen noch für gesetzliche Klarstellungen sorgt.

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Versmann, St rateg ische Umweltprüfung für Abfa l lwi r t schaf t sp läne | A U F S Ä T Z E

ZUR 5/2006 | 233

Mit der Richtlinie 2001/42/EG hat die EU ein neues Instrument zur inte-grativen Prüfung der Umweltauswirkungen von Plänen und Programmeneingeführt. Der Bundesgesetzgeber hat diese Richtlinie im Jahr 2005durch eine Ergänzung des UVPG umgesetzt. Der Autor analysiert, welcheAuswirkungen die neuen rechtlichen Anforderungen auf die Abfallwirt-schaftsplanung nach § 29 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz haben.Eine strategische Umweltprüfung ist für Abfallwirtschaftspläne nur dannerforderlich, wenn sie im Einzelfall Inhalte aufweisen, die für spätereZulassungsverfahren von UVP-pflichtigen Vorhaben – insbesondereDeponien oder sonstige Abfallbeseitigungsanlagen – einen Rahmen set-zen. Dies wird bei Abfallwirtschaftsplänen in der Praxis eher der Aus-nahmefall sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Funktion desAbfallwirtschaftsplans als Steuerungsinstrument für die Standortsucheund Zulassung von Abfallentsorgungsanlagen deutlich zurückgeht.

A. Einleitung

Mit der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments unddes Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmterPläne und Programme vom 27.6.20012 (SUP-Richtlinie) hat dieEuropäische Union ein integratives Instrument zur Prüfung derUmweltauswirkungen auf der Ebene der allgemeinen und der Fach-planung eingeführt. Ziel der strategischen Umweltprüfung (SUP) istes, Umweltauswirkungen nicht erst bei der Projektzulassung, son-dern schon möglichst frühzeitig auf der Ebene der Planung systema-tisch zu prüfen. Die SUP soll bei allen Plänen und Programmen mitvoraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen durchgeführtwerden. Die SUP-Richtlinie enthält Mindestanforderungen derUmweltprüfung bei der Aufstellung oder Änderung von bestimm-ten Plänen und Programmen, insbesondere die Durchführung einesScopings, die Erstellung eines Umweltberichts, die Durchführungeiner Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung, die Berücksichti-gung des Umweltberichts und der Ergebnisse der Beteiligung bei derweiteren Entscheidungsfindung und die Durchführung eines Moni-toring nach Erlass des Planes. Diese Anforderungen sind der Vorha-bens-UVP vergleichbar.

Auf Bundesebene ist die SUP-Richtlinie in zwei Schritten umge-setzt worden. Für den Bereich der Bauleitplanung hat der Bund dieSUP-Richtlinie im Baugesetzbuch durch das Europarechtsanpas-sungsgesetz – Bau (EAG-Bau) vom 24.6.20043, das am 20.7.2004 inKraft getreten ist, umgesetzt. Durch dieses Gesetz wird eine ein-heitliche Umweltprüfung auf der Grundlage eines Umweltbe-richts für jedes Bauleitplanungsverfahren eingeführt. Dieses Arti-

kelgesetz enthält auch rahmenrechtliche Vorschriften zur Umset-zung der SUP-Richtlinie in der Raumplanung. Für weitere bundes-rechtlich geregelte Pläne und Programme – darunter auch dieAbfallwirtschaftsplanung – hat der Bundesgesetzgeber die SUP-Richtlinie durch das Gesetz über die Strategische Umweltprüfung(SUPG) vom 25.6.20054 umgesetzt.

Im Folgenden werde ich die relevanten Vorschriften des SUPGvorstellen und vor diesem Hintergrund die Auswirkungen auf dieAbfallwirtschaftsplanung erläutern.

B. Die SUP-Pflicht für Abfallwirtschaftspläne nach dem UVPG

Das SUPG ergänzt als Artikelgesetz in erster Linie das UVPG umVorschriften zur SUP. Ähnlich wie bei der UVP wird das »Ob« derSUP abschließend im UVPG geregelt. Dazu ist in das UVPG eineAnlage 3 aufgenommen worden, in der alle SUP-pflichtigen Pläneund Programme aus dem Bereich der Gesetzgebungskompetenzdes Bundes, einschließlich der Rahmengesetzgebung, aufgeführtsind. Außerdem werden subsidiär zum Fachrecht geltende Verfah-rensanforderungen an die SUP festgelegt.

§ 14b Abs. 1 UVPG unterscheidet bei den in Anlage 3 aufgeführ-ten Plänen zwischen solchen, die stets SUP-pflichtig sind und sol-chen, bei denen die SUP-Pflicht zusätzlich davon abhängig ist,dass der konkrete Plan für Entscheidungen über die Zulässigkeitvon UVP-pflichtigen Vorhaben – einschließlich der vorprüfungs-pflichtigen Vorhaben – einen Rahmen setzt. Der ersten Kategoriesind in Anlage 3 zum UVPG solche Pläne zugeordnet, die notwen-digerweise stets einen Rahmen für Vorhabenszulassungen setzen.Unter der zweiten Kategorie sind solche Pläne aufgeführt, beidenen Rahmen setzende Inhalte zwar vorhanden sein können,aber nicht zwingend immer enthalten sein müssen.

Hintergrund dieser Regelungen ist Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 a) der SUP-Richtlinie. Danach ist eine Umweltprüfung bei solchen Plänenund Programmen obligatorisch, die in den Bereichen Landwirt-schaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energie, Industrie, Verkehr,Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommunikation, Frem-denverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung ausgearbeitet wer-den und durch die der Rahmen für die künftige Genehmigung derin den Anhängen I und II der Richtlinie 85/337/EWG aufgeführ-ten Projekte gesetzt wird.

1 Dieser Beitrag stellt eine aktualisierte Fassung eines Aufsatzes dar, der in Rechtder Abfallwirtschaft 2004, S. 212 veröffentlicht wurde.

2 ABl. EG Nr. L 197, S. 30.3 BGBl. I S. 1359.4 BGBl. I S. 1746.

Dr. Jochen FischerRechtsanwalt, Rechtsanwälte Gaßner, Groth, Siederer & Coll., EnergieForum Berlin, Stralauer Platz 34, 10243 Berlin, Telefon: 030/726 10 26 – 0,Fax: 030/726 10 26 – 10, E-Mail: [email protected]ätigkeitsschwerpunkte: Energierecht, Anlagenzulassungsrecht, Emissionshandelsrecht, Atomrecht, Planungsrecht.Aktuelle Veröffentlichungen: Neue Konstruktionstypen für Offshore-Windenergieanlagen im Genehmigungsverfahren nach der SeeAnlV, NuR 2004, S.764-769 (gemeinsam mit O. Lorenzen); Risiken des Vergütungsrechts bei der Planung von Fotovoltaik-Großanlagen, RdE 2004, S. 209-212 (gemein-sam mit O. Lorenzen); Störfallpflichten von Krankenhäusern aufgrund der Lagerung von Gefahrstoffen, Das Krankenhaus 01/2005, S. 46-49 (ge-meinsam mit O. Lorenzen); Priorität für EEG-Strom, Neue Energie 02/2006, S. 114 (gemeinsam mit H. Gaßner).

Dr. Jan HenningReferendar beim Kammergericht, Wahlstation: Rechtsanwälte Gaßner, Groth, Siederer & Coll., Adresse: s.o.Aktuelle Veröffentlichung: Die vorläufige Sicherung raumbedeutsamer Planung (im Erscheinen).

Andreas Versmann

Strategische Umweltprüfung für Abfallwirtschaftspläne1

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Hierbei handelt es sich nicht etwa um eine Einzelfallprüfung imSinne eines Screenings, wie es in § 3c UVPG geregelt ist und das derBewertung der Behörde einen gewissen Beurteilungsspielraumlässt. Vielmehr ist die Rahmen setzende Wirkung im Einzelfall alszusätzliches Tatbestandsmerkmal nach der in § 14b Abs. 3 enthal-tenen Legaldefinition zu prüfen. Nach § 14b Abs. 3 setzen Pläneund Programme einen Rahmen für die Entscheidung über dieZulässigkeit von Vorhaben, wenn sie Festlegungen mit Bedeutungfür spätere Zulassungsentscheidungen, insbesondere zum Bedarf,zur Größe, zum Standort, zur Beschaffenheit, zu Betriebsbedin-gungen von Vorhaben oder zur Inanspruchnahme von Ressourcenenthalten. Die im öffentlichen Recht relativ unübliche Formulie-rung »Festlegungen mit Bedeutung« geht ebenfalls auf die Ver-handlungen im Vermittlungsausschuss zurück. Der Entwurf derBundesregierung sprach hier noch sehr viel klarer von Festlegun-gen, »die bei der späteren Zulassungsentscheidung zu berücksich-tigen sind«10. Zur Rahmensetzung sind solche Planinhalte geeig-net, die rechtlich erhebliche Wirkungen auf die Zulassungsverfah-ren von UVP-Vorhaben entwickeln können. Voraussetzung derRahmensetzung ist ihre Rechtsverbindlichkeit11. Eine rechtsver-bindliche Rahmensetzung liegt aber nicht nur bei einer striktenBeachtenspflicht der Planinhalte im späteren Zulassungsverfah-ren, sondern auch bei einer Pflicht zu ihrer Berücksichtigung imRahmen von Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen vor12.

Bei den betreffenden UVP-pflichtigen Vorhaben kann es sichsowohl um planfeststellungsbedürftige Abfalldeponien und umsonstige Abfallentsorgungsanlagen, die der Genehmigungspflichtnach dem BImSchG unterliegen, handeln, als auch um Abfallerzeugende Anlagen, für die die Durchführung einer UVP imZulassungsverfahren vorgesehen ist .

Pflichtinhalte sowie fakultative Inhalte der Abfallwirtschaftspla-nung sind in § 29 Abs. 1 abschließend geregelt13.

Für verbindlich erklärte Abfallwirtschaftspläne setzen einenrechtlichen Rahmen für die abfallrechtliche Planfeststellung. Diesergibt sich bereits aus § 32 Abs. 1 Nr. 5 KrW-/AbfG, wonach diePlanfeststellung oder Plangenehmigung nur erteilt werden darf,wenn die für verbindlich erklärten Feststellungen eines Abfallwirt-schaftsplanes dem Vorhaben nicht entgegenstehen. Aber auchnicht für verbindlich erklärte Standortausweisungen in Abfallwirt-schaftsplänen sind ein Abwägungsbelang in der abfallrechtlichenPlanfeststellung14.

Dagegen ist durch den Abfallwirtschaftsplan eine Rahmen set-zende Wirkung für immissionsschutzrechtliche Zulassungsent-scheidungen nur im Falle einer Verbindlicherklärung möglich15.

Nachfolgend werden die gesetzlichen Inhalte der Abfallwirt-schaftsplanung im Einzelnen auf mögliche Rahmen setzende Wir-kungen untersucht.

I. Darstellung der Ziele der Abfallvermeidung und –verwertung

Gemäß § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KrW-/AbfG sind in Abfallwirtschafts-plänen die Ziele der Abfallvermeidung und -verwertung darzustel-

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A U F S Ä T Z E | Versmann, St rateg ische Umweltprüfung für Abfa l lwi r t schaf t sp läne

Abfallwirtschaftspläne gemäß § 29 Kreislaufwirtschafts- undAbfallgesetz (KrW-/AbfG) sind nach Nr. 2.5 der Anlage 3 zum UVPGder zweiten Kategorie derjenigen Pläne zugeordnet, bei denen dieSUP-Pflicht davon abhängt, ob sie im Einzelfall tatsächlich Rah-men setzende Inhalte für UVP-pflichtige Vorhaben enthalten.Diese Zuordnung war im Gesetzgebungsverfahren sehr umstritten– wie überhaupt die hauptsächlichen Streitpunkte bei diesemGesetz sich auf die Zuordnung von Plänen zu der Anlage 3 bezogen.Die Bundesregierung hatte die Abfallwirtschaftspläne zunächst derersten Kategorie der stets SUP-pflichtigen Pläne zugeordnet5. Siebegründete ihre Lösung damit, dass Abfallwirtschaftspläne regel-mäßig einen Rahmen für die künftige Genehmigung UVP-pflichti-ger Vorhaben, wie z. B. Abfallbeseitigungsanlagen setzen6. Dane-ben enthielten diese Pläne auch Aussagen zur Abfallbeseitigungund -verwertung (etwa zur Menge) und damit zur Auslastung derKapazität bereits bestehender Anlagen und setzten damit einenRahmen für spätere Änderungen dieser Anlagen. Außerdem werdemit der Aufnahme der Abfallwirtschaftspläne in die Anlage 3, Kate-gorie 1 die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlamentsund des Rates vom 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlich-keit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne undProgramme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und96/61/EG des Rates7 umgesetzt. Nach Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinieist bei den in deren Anhang I aufgeführten Plänen der Öffentlich-keit die Möglichkeit zu geben, sich frühzeitig und effektiv zu betei-ligen. Anhang I führt u. a. auf: Abfallwirtschaftspläne nach Art. 7Abs. 1 der Abfallrahmenrichtlinie 75/442/EWG und Art. 6 Abs. 1der Richtlinie über gefährliche Abfälle 91/689/EWG sowie die inArt. 6 der Batterierichtlinie 91/157/EWG und in Art. 14 der Verpa-ckungsrichtlinie 94/62/EG vorgesehenen Pläne.

Dieser Auffassung widersprach der Bundesrat8. Die SUP-rechtli-che Einstufung von Abfallwirtschaftsplänen gehörte schließlichzu den Gründen, mit denen der Bundesrat in diesem Gesetzge-bungsverfahren den Vermittlungsausschuss anrief. Nach der Auf-fassung des Bundesrates weisen Abfallwirtschaftspläne in der Pra-xis keineswegs immer oder auch nur überwiegend, sondern wohleher im Ausnahmefall Rahmen setzende Inhalte auf. Dies wirdauch durch die vorliegende Analyse im Folgenden bestätigt undentspricht auch der summarischen Einschätzung der europäi-schen Kommission in dem Leitfaden zur Umsetzung der SUP-Richtlinie9. Im Ergebnis wurden die Abfallwirtschaftspläne in derAnlage 3 von Kategorie 1 in Kategorie 2 umgestuft.

Für weitere abfallwirtschaftliche Planinstrumente ist in der Anlage3 Nr. 2.2 und 2.4 ebenfalls eine SUP-Pflicht nach Maßgabe Rahmensetzender Inhalte im Einzelfall vorgesehen. Dies betrifft zum einenkommunale Abfallwirtschaftspläne nach § 19 Abs. 5 KrW-/AbfG. DasGleiche gilt für die in § 16 Abs. 3 S. 4, 2. Alt. KrW-/AbfG geregeltenAbfallwirtschaftskonzepte von Privaten, denen Entsorgungspflichtennach § 16 Abs. 2 übertragen worden sind. Allerdings ist die SUP-Pflicht hier nur auf die Fortschreibung der Konzepte, nicht aber aufderen Aufstellung bezogen. Diese etwas eigenartige Beschränkung istdarauf zurückzuführen, dass die Aufstellung dieser Konzepte Voraus-setzung für die Übertragung von Hoheitsaufgaben nach § 16 Abs. 2 istund der Private daher zu diesem Zeitpunkt noch nicht Beliehener unddamit auch nicht als »Behörde« im Sinne des Art. 2a) der SUP-Richtli-nie möglicher Adressat der SUP-Pflicht ist.

C. Rahmen setzende Inhalte von Abfallwirtschaftsplänen

Entscheidend für die SUP-Pflicht von Abfallwirtschaftsplänen imSinne des § 29 KrW-/AbfG ist also eine Beurteilung im Einzelfall,ob der jeweilige Plan aufgrund seiner konkreten Planinhalte fürEntscheidungen über die Zulässigkeit von UVP-pflichtigen Vorha-ben einen Rahmen setzt.

5 Regierungsentwurf zum SUPG, BR-Drucks 588/04.6 Gesetzesbegründung zu Art. 1 Nr. 21 SUPG-E, ebd. S. 103.7 Amtsblatt Nr. L 156, S. 0017 - 0025.8 BRDrucks 52/05, Nr. 13.9 Europäische Kommission, Leitfaden zur Umsetzung der SUP-Richtlinie, der

so genannten SEA-Guidance, Abschnitt 9.9; http://europa.eu.int/comm/envi-ronment/eia/030923_sea_guidance_de.pdf.

10 Bundesregierung, SUPG-Entwurf, § 14b Abs. 3, siehe Fn. 4.11 Hendler, Umsetzung der EG-Richtlinie für die UVP bei Plänen und Program-

men, Rechtsgutachten im Auftrag des BMU, März 2002, S. 49; eine Zusam-menfassung des Gutachtens enthält: Hendler, Natur und Recht, 2003, S. 2 ff.

12 Hendler, ebd.13 Erbguth, in: Jarass/Ruchay/Weidemann, KrW-/AbfG, zu § 29, RdNr. 55.14 OVG NW, Beschluss vom 23.1.96, ZUR 1996, 208, 209; Erbguth, a.a.O., zu

§ 29, Rdn. 33; Paetow, a.a.O., zu § 29, Rdn. 73; Schink, a.a.O., S. 86.15 Erbguth, a.a.O., zu § 29, RdNr. 34; Paetow, a.a.O., zu § 29, Rdn. 72f; Jarass, BIm-

SchG, zu § 6, Rdn. 12.

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len. Dieser Inhalt ist nicht geeignet, Rahmen setzende Wirkungauf Zulassungsverfahren auszuüben, da es sich lediglich um Ziel-festlegungen handelt und hierdurch bewusst kein Eingriff in diemarktwirtschaftliche Freiheit der Abfallverwertung erfolgen sollte.

II. Darstellung des Bedarfs an Abfallbeseitigungsanlagen

Nach § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 sind in den Abfallwirtschaftsplänen diezur Sicherung der Inlandsbeseitigung erforderlichen Abfallbeseiti-gungsanlagen darzustellen. Gemäß § 29 Abs. 2 sind dabei zukünf-tige, innerhalb eines Zeitraums von mindestens zehn Jahren zuerwartende Entwicklungen zu berücksichtigen. Bei diesem Planin-halt ist hinsichtlich einer möglichen Rahmen setzenden Wirkungzu differenzieren.

Für die nach dem BImSchG zulassungspflichtigen Abfallbeseiti-gungsanlagen kann die Bedarfsprognose keine Rahmen setzendeWirkung entfalten, da im immissionsschutzrechtlichen Genehmi-gungsverfahren eine Bedarfsprüfung nicht vorgesehen ist16.Außerdem kann die Darstellung des Bedarfs an Abfallbeseitigungs-anlagen nach § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 KrW-/AbfG auch nicht aufgrund§ 29 Abs. 4 KrW-/AbfG für verbindlich erklärt werden, so dass der-artige Festlegungen für das immissionsschutzrechtliche Genehmi-gungsverfahren nicht gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 2 BImSchG als andereöffentlich-rechtliche Vorschrift einen Rahmen setzen können.

Anders ist dies im Planfeststellungsverfahren für Abfalldepo-nien gemäß § 31 Abs. 2 KrW-/AbfG. Der Bedarf an Abfallbeseiti-gungsanlagen ist bei der Planfeststellung einer Deponie entwederauf der Ebene der Planrechtfertigung oder zumindest auf derEbene der Abwägung bzw. Überwindung entgegenstehenderöffentlicher oder privater Belange ein rechtlich erheblicherGesichtspunkt17. Auch wenn sie nicht für verbindlich erklärt wer-den können, sind Bedarfsfeststellungen in Abfallwirtschaftsplä-nen im Planfeststellungsverfahren für Deponien zu berücksichti-gen und erfüllen damit den Tatbestand der Rahmensetzung imSinne des § 14b Abs. 3 UVPG. Zumindest also die Feststellungeines Bedarfs an zusätzlichen Deponien ist ein Rahmen setzenderInhalt im Sinne der SUP-Richtlinie.

Diese positive Bedarfsfeststellung dürfte aber künftig der Aus-nahmefall sein, da die allgemeine abfallwirtschaftliche Entwick-lung sowie die mit der Abfallablagerungsverordnung und derDeponieverordnung eingeführten Umweltstandards für die Abla-gerung von Abfällen zu einem Rückgang der abzulagerndenAbfälle und damit eher zu Überkapazitäten bei Deponieraum alszu einem zusätzlichen Bedarf führt. Es ist daher zu erwarten, dassAbfallwirtschaftspläne bei der Bedarfsprognose häufig feststellenwerden, dass im Plangebiet in dem maßgeblichen Planungszeit-raum zur Entsorgung abzulagernder Abfälle voraussichtlich ausrei-chende Kapazitäten zugelassener und den rechtlichen Anforde-rungen entsprechender Deponien vorhanden sind und keinBedarf an weiteren Deponien oder an der Erweiterung bestehenderDeponien besteht. Fraglich ist daher, ob auch eine derartige nega-tive Bedarfsprognose Rahmen setzende Wirkung für Zulassungs-verfahren von Deponien entfalten kann.

Grundsätzlich ist auch eine negative Bedarfsprognose in einemAbfallwirtschaftsplan geeignet, Rechtswirkungen für spätere Depo-nieplanfeststellungsverfahren zu entwickeln. Denn ein Mangel anDeponiebedarf kann zur Versagung einer Planfeststellung für einezur Zulassung beantragte neue Deponie oder Deponieerweiterungführen.18 Meines Erachtens kann dies jedoch nicht als Rahmen set-zende Wirkung im Sinne des Art. 3 Abs. 2a) der SUP-Richtlinie ange-sehen werden. Dabei muss an die Zielsetzung der SUP-Richlinieerinnert werden. Diese besteht nach Art. 1 der SUP-Richtlinie darin,ein hohes Umweltschutzniveau dadurch sicherzustellen, dass Pläneund Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkun-gen haben, einer Umweltprüfung unterzogen werden. Bei Plänen

mit Rahmen setzender Wirkung für UVP-pflichtige Zulassungsver-fahren soll deshalb die Umweltverträglichkeit bereits im Rahmender Planentscheidung geprüft werden, weil sie die spätere Zulas-sungsentscheidung vorstrukturiert. Häufig stellen sich auf der »stra-tegischen« Ebene der Planung noch Planalternativen, die im Ergeb-nis mit sehr wesentlichen Auswirkungen auf die Umwelt verbundensind und die in der UVP des jeweiligen Zulassungsverfahrens für dieeinzelnen aus der Planung resultierenden Vorhaben nicht mehr inden Blick genommen werden können. Beispielsweise kann in derübergreifenden Verkehrswegeplanung die Alternative Ausbau desStraßennetzes oder Ausbau des Schienennetzes zur Befriedigung deszunehmenden Mobilitätsbedarfs erörtert und hinsichtlich ihrerUmweltauswirkungen geprüft werden. Diese strategischen Alterna-tiven können allerdings im Planfeststellungsverfahren für den Baueiner Straße nicht mehr angemessen berücksichtigt werden. Auchdas Planfeststellungsverfahren für Deponien ist nicht geeignet, einevollständige überörtliche Standortplanung und –bewertung unterUmweltgesichtspunkten zu leisten. Die Planfeststellungsbehörde istzu einer flächendeckenden Standortsuche nicht verpflichtet19.Rechtlich relevant sind in diesem Verfahren in der Regel nur Pla-nungsalternativen, die sich »anbieten« oder »aufdrängen«20. Zweckder SUP ist es, dieser Verkürzung der UVP im Zulassungsverfahreneinzelner Vorhaben durch eine Umweltprüfung der strategischenEntscheidungen auf der Ebene der Pläne und Programme entgegenzu wirken und sie durch eine frühzeitige Umweltprüfung auszuglei-chen21. Die negative Bedarfsprognose in einem Abfallwirtschafts-plan führt jedoch nicht zu zusätzlichen Umweltauswirkungendurch die Inanspruchnahme zusätzliche Flächen für die Deponie-rung von Abfällen. Aus diesem Grund kann es auch nicht zu einerVerkürzung der UVP bei der Durchführung von Planfeststellungs-verfahren für Deponien kommen.

Dies gilt auch dann, wenn man »Negativplanungen« als Rahmensetzende Planungen im Sinne der SUP-Richtlinie einstuft22. AlsNegativplanung werden solche Pläne bezeichnet, die in dem Plan-gebiet bzw. an bestimmten Standorten bestimmte Nutzungen – ins-besondere auch UVP-pflichtige Vorhaben -ausschließen undRechtswirkungen entfalten, indem sie zu einem Versagungsgrundin der Vorhabenszulassung führen. Eine SUP ist bei solchen Nut-zungsuntersagungen oder Standortausschlüssen insbesondere des-halb gerechtfertigt, weil sie zu einer Verdrängung der betreffendenVorhaben in andere Gebiete führen kann und daher erheblicheUmweltauswirkungen implizieren kann. Dies ist aber mit einernegativen Bedarfsprognose in einem Abfallwirtschaftsplan nicht zuvergleichen. Die Feststellung ausreichender Entsorgungskapazitä-ten im Plangebiet führt nicht zu einer Verdrängung von umwelter-heblichen Tätigkeiten aus dem Plangebiet. Außerdem handelt essich um eine kalkulatorische Feststellung, nicht um eine nutzungs-einschränkende planerische Festsetzung. Selbstverständlich kanneine falsche Bedarfsprognose und ein daraufhin mangelnder Aus-bau der Entsorgungskapazitäten dazu führen, dass die Entsorgungs-pflichtigen zu einer Entsorgung außerhalb des Plangebiets gezwun-gen sind und damit erhebliche Umweltauswirkungen ausgelöst wer-den. Die Richtigkeit der Bedarfsprognose gemäß § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 2KrW-/AbfG, die sich aus der Prognose des Abfallaufkommens imVergleich mit den vorhandenen Entsorgungskapazitäten ergibt,kann jedoch nur nach statistischen und kalkulatorischen Grundsät-zen, nicht aber im Wege einer Umweltprüfung bewertet werden.

16 Jarass, ebd.17 Paetow, in: Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, zu § 32, Rdnr. 57f.18 Paetow, a.a.O., zu § 32 Rdn. 57 f.19 Hellmann-Sieg, in: Jarass/Ruchay/Weidemann, KrW-/AbfG, zu § 32, Rdn. 170.20 Ebd. m. w. N.21 So die Europäische Kommission in dem Vorwort zu ihrem Leitfaden zur

Umsetzung der SUP-Richtlinie, siehe Fn. 9.22 Hendler, a.a.O., S. 42 f.

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Im Ergebnis kann nur der Feststellung eines zusätzlichen Bedarfsan Deponiekapazitäten Rahmen setzende Wirkung zukommen.Dies gilt nicht nur für die Errichtung zusätzlicher neuer Deponien,sondern auch für die Erweiterung bestehender Deponien. Auf dieÄnderung des Betriebs bestehender Deponien können planerischeBedarfsfeststellungen nur Auswirkungen haben, wenn die Bedarfs-feststellung zu einer veränderten Nutzung einer Deponie führt –z. B. bei einem Wechsel der Abfallarten –, die eine planfeststel-lungsbedürftige Änderung von Deponien im Plangebiet erfordert.Änderungen und Stilllegungen von Deponien, die auf die rechtli-chen Standards der Abfallablagerungs- oder der Deponieverord-nung zurückzuführen sind, sind dagegen nicht der planerischenBedarfsfeststellung zuzurechnen.

III. Ausweisung zugelassener Abfallbeseitigungsanlagen

Die in § 29 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 vorgesehene Ausweisung zugelassenerAbfallbeseitigungsanlagen in dem Abfallwirtschaftsplan kannkeine Rahmen setzende Wirkung entfalten.

IV. Ausweisung geeigneter Flächen für Abfallbeseitigungsanlagen

Die nach § 29 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KrW-/AbfG vorgesehene Ausweisunggeeigneter Flächen für Abfallbeseitigungsanlagen zur Endablage-rung von Abfällen (Deponien) sowie für sonstige Abfallbeseiti-gungsanlagen enthält einen Rahmen setzenden Inhalt im Sinnedes Art. 3 Abs. 2a der SUP-Richtlinie23. Die Ausweisung von Stand-orten erfolgt nach den in § 29 Abs. 3 KrW-/AbfG festgelegten Krite-rien der grundsätzlichen Eignung von Flächen. Nicht erforderlichist die parzellenscharfe Ausweisung von Standorten. Gemäß § 29Abs. 3 S. 2 ist eine Flächenausweisung im Sinne des § 29 Abs. 1 S. 3Nr. 2 KrW-/AbfG zwar nicht Voraussetzung für die Planfeststellungoder Genehmigung von Abfallbeseitigungsanlagen. Die Behördekann aber bei der Durchführung des Zulassungsverfahrens auf dervorlaufenden Beurteilung der Standorteignung in einem Abfall-wirtschaftsplan im Sinne einer abgestuften Prüfung aufbauen. ImGegensatz zu abfallrechtlichen Planfeststellungsverfahren gilt diesfür immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren aller-dings nur, wenn derartige Standortausweisungen gemäß § 29 Abs.4 KrW-/AbfG für verbindlich erklärt worden sind.

Rechtlich ist die Flächenausweisung im Sinne des § 29 Abs. 1 S. 3Nr. 2 ein Pflichtinhalt der Abfallwirtschaftsplanung24. Versuche desBundesrates, die Übernahme dieses Pflichtinhaltes von Abfallwirt-schaftsplänen in das KrW-/AbfG zu verhindern, scheiterten auf-grund des Verweises der Bundesregierung auf die Anforderungen andie Abfallwirtschaftsplanung nach Art. 7 Abs. 1 der Abfallrahmen-richtlinie 75/442/EWG25. Der Wortlaut des § 29 Abs. 1 S. 3 Nr. 2KrW-/AbfG enthält keine Einschränkung dieser planerischenPflichtaufgabe. Es steht also nicht im Belieben des Planungsträgers,Flächenausweisungen vorzunehmen. Stellt er bei der Bedarfsprog-nose nach § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 fest, dass die zugelassenen Anlagen(§ 29 Abs. 1 S. 3 Nr. 1) zur Sicherung der Inlandesbeseitigung nichtausreichend sind (§ 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 2), so muss er Flächenauswei-sungen für die erforderlichen Anlagen vornehmen. Soweit dieBedarfsprognose jedoch ergibt, dass die Beseitigungskapazitätenausreichend sind, kann meines Erachtens die Ausweisung weitererFlächen vom Planungsträger nicht verlangt werden, denn in diesemFalle ist die Flächenausweisung abfallplanerisch nicht erforderlich.Sie könnte sogar als abfallwirtschaftlich kontraproduktiv wirken,indem sie die Zulassung nicht benötigter Abfallbeseitigungsanlagenerleichtert. § 29 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 KrW-/AbfG ist hiernach unterBerücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes so auszule-gen, dass es sich bei der Flächenausweisung um einen Pflichtinhaltder Abfallwirtschaftsplanung handelt, der insoweit greift, wie imRahmen der Bedarfsprognose ein Bedarf an Abfallbeseitigungskapa-

zitäten festgestellt wird. Bei Deponien werden daher künftig Flä-chenausweisungen der Ausnahmefall sein. Klarzustellen ist aber,dass sich die Pflicht zur Flächenausweisung auch auf andere Abfall-beseitigungsanlagen, wie insbesondere Abfallverbrennungsanlagenoder sonstige Behandlungsanlagen bezieht.

Dieses Ergebnis ist auch mit dem europäischen Recht vereinbar.Nach Art. 7 der Abfallrahmenrichtlinie 75/442/EWG erstellen diezuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zur Umsetzung derZiele der Entsorgungsautarkie und der Entsorgung in umweltver-träglichen Anlangen Abfallwirtschaftspläne, die insbesondere eineDarstellung von Art, Menge und Ursprung der zu verwertendenoder zu beseitigenden Abfälle sowie die Ausweisung geeigneterFlächen für Deponien und sonstige Beseitigungsanlagen umfas-sen. Dass es sich bei Letzterem nicht nur um fakultative Inhalteoder informelle Angaben handeln soll, wird aus einem Urteil desEuGH deutlich26. Danach ist Art. 7 der Richtlinie 75/442/EWGdahingehend auszulegen, dass Bewirtschaftungspläne im Sinnedieser Vorschrift entweder eine geografische Karte enthalten müs-sen, in der die genauen Standorte der Abfallbeseitigungsflächenfestgelegt sind, oder aber hinreichend genaue Kriterien zur Bestim-mung dieser Orte, damit die für die Erteilung einer Genehmigungim Sinne des Art. 9 der Richtlinie zuständige Behörde feststellenkann, ob die fragliche Deponie oder Anlage sich in den vom Planvorgesehenen Bewirtschaftungsrahmen einfügt. Nach dem EuGHmüssen bei der zweiten Variante die Kriterien so genau formuliertwerden, dass die zuständige Behörde bei der Erteilung spätererGenehmigungen für Abfallbeseitigungsanlagen »eindeutig« dieFläche bestimmen kann, die den Zielen der Abfallwirtschaftspla-nung – Gesundheits- und Umweltschutz sowie Errichtung einesintegrierten Netzes von Beseitigungsanlagen zur Realisierung desNäheprinzips - am besten entspricht27. Die Vorlagefrage, über dieder EuGH zu entscheiden hatte, bezog sich aber auf einen Fall, indem der Bedarf an der Neuerrichtung einer Deponie gegeben warund lediglich über die Anforderungen an die sachgerechte Ermitt-lung des Standortes gestritten wurde. Aus dem Urteil des EuGHfolgt nicht, dass nach Art. 7 Abfallrahmenrichtlinie auch bei einernegativen Bedarfsprognose Flächenausweisungen in Abfallwirt-schaftsplänen erfolgen müssen. Auch die Europäische Kommis-sion hat in ihrem Leitfaden zur Umsetzung der SUP-Richtlinie dieMöglichkeit angenommen, es könne auch Abfallwirtschaftsplänegeben, die keine Standorte ausweisen, weil Abfallentsorgungsanla-gen ausreichend vorhanden sind. Auf diese sei die SUP-Richtlinie»wahrscheinlich nicht anwendbar«.28

V. Fakultative Inhalte

Gemäß § 29 Abs. 1 S. 4 können Pläne ferner bestimmen, welcherEntsorgungsträger vorgesehen ist und welcher Abfallbeseitigungs-anlage sich die Beseitigungspflichten zu bedienen haben. Rahmensetzende Wirkung kann insbesondere die zweite Alternative dieserfakultativen Planinhalte entfalten. Denn durch eine entspre-chende Regelung wird u. a. Abfall erzeugenden UVP-pflichtigenAnlagen ein Entsorgungsweg vorgegeben. Die Prüfung der gemein-wohlverträglichen Abfallbeseitigung ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3BImSchG eine Voraussetzung der Zulassung dieser Anlagen. Dervorgesehene Entsorgungsweg für die zu beseitigenden Abfälle ent-faltet bei einer Verbindlicherklärung gemäß § 29 Abs. 4 KrW-/AbfGRechtswirkungen sowohl für die Abfall erzeugende Anlage als auch

23 So auch Hendler, a.a.O., S. 108f.; ebenso Schink, Die Umweltverträglichkeitsprü-fung in der Abfallwirtschaft, in: Deutsche Umweltstandards in der Abfallwirt-schaft, S. 86.

24 Erbguth, a.a.O., zu § 29 Rdn. 55.25 Paetow, a.a.O.,zu § 29 Rdn. 8.26 EuGH Urteil v. 1.4.2004 Rs. C-53/02 und C-217/02.27 Ebd. Nr. 32f.28 SEA-Guidance Abschnitt 9.9; siehe Fn. 9.

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über § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG für die über die Zulassung entschei-dende Behörde. Daher ist ein Rahmen setzender Inhalt im Sinnedes Art. 3 Abs. 2a der SUP-Richtlinie auch insoweit zu bejahen29.

VI. Ergebnis

Bei Abfallwirtschaftsplänen nach § 29 KrW-/AbfG können sichRahmen setzende Inhalte im Sinne des Art. 3 Abs. 2 a) der SUP-Richtlinie aus der Bedarfsprognose über erforderliche Abfallbesei-tigungsanlagen, der Ausweisung geeigneter Flächen für Abfallbe-seitigungsanlagen sowie aus Festlegungen zum Entsorgungswegbestimmter Abfälle ergeben. Nicht jeder Abfallwirtschaftsplanmuss notwendigerweise solche Inhalte aufweisen. Rahmen set-zende Inhalte können im Einzelfall auch bei Beachtung derPflichtinhalte der Abfallwirtschaftsplanung fehlen, wenn bei derBedarfsprognose festgestellt wird, dass die vorhandenen Abfallbe-seitigungskapazitäten zur Sicherung der Inlandsbeseitigung aus-reichend sind. In diesem Falle müssen auch keine Flächenauswei-sungen für Abfallbeseitigungsanlagen erfolgen.

Enthält ein Abfallwirtschaftsplan Flächenausweisungen, sokann sich die SUP-Pflicht gemäß § 14c UVPG auch aus möglichenAuswirkungen auf Schutzgebiete ergeben, die eine Prüfung nachArt. 6 oder 7 der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie), bzw. § 34BNatSchG erforderlich machen.

Auch die Änderung SUP-pflichtiger Abfallwirtschaftspläneunterliegt grundsätzlich der SUP-Pflicht. Gemäß § 14d Abs. 1 isteine SUP durchzuführen, wenn in einer Vorprüfung im Einzelfallfestgestellt wird, daß die Änderung voraussichtlich erheblicheAuswirkungen auf die Umwelt haben wird. Dies dürfte für die Pra-xis der Abfallwirtschaftsplanung wenig relevant sein.

D. Anforderungen an die Durchführung der SUP bei Abfallwirt-schaftsplänen

Die Verfahrensschritte der SUP sind in § 14e bis § 14o UVPG gere-gelt. Gemäß § 14e UVPG gelten diese Vorschriften subsidiär fürden Fall, dass Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder dieSUP nicht näher bestimmen oder in ihren Anforderungen demUVPG nicht entsprechen. Das KrW-/AbfG enthält keine relevan-ten Verfahrensvorschriften für die Aufstellung von Abfallwirt-schaftsplänen, sondern überlässt die Regelung des Planaufstel-lungsverfahrens den Ländern. Die Bundesregierung hatte daherzunächst geplant, den Ländern in § 14o Abs. 2 UVPG auch das Ver-fahren der SUP in der Abfallwirtschaftsplanung zu überlassen.Seltsamerweise haben sich die Länder im Vermittlungsverfahrendagegen gewandt, so dass die Abfallwirtschaftsplanung aus § 14oAbs. 2 UVPG gestrichen wurde. Im Ergebnis können also die Län-der das Verfahren der SUP in der Abfallwirtschaftsplanung im Lan-desrecht regeln, dürfen dabei aber nicht hinter den in § 14e bis§ 14o UVPG festgelegten Mindeststandards zurückfallen. Soweitdie Länder keine Regelungen treffen oder hinter den §§ 14e ff.UVPG zurückbleiben, gelten die §§ 14e ff. UVPG unmittelbar. Mei-nes Wissens hat bislang noch kein Land Umsetzungsvorschriftenzur SUP in der Abfallwirtschaftsplanung erlassen.

Die wichtigsten Verfahrensschritte der SUP sind:1. Festlegung des Untersuchungsrahmens der SUP (Scoping), ein-

schließlich des Umfangs und Detaillierungsgrades der in denUmweltbericht aufzunehmenden Angaben und unter Beteili-gung der in ihrem umwelt- oder gesundheitsbezogenen Aufga-benbereich berührten Behörden (§ 14f UVPG);

2. Erstellung eines Umweltberichtes durch die zuständigeBehörde (§ 14g UVPG) mit folgenden Pflichtinhalten:

• Kurzdarstellung des Inhalts und der wichtigsten Ziele desPlans sowie der Beziehung zu anderen relevanten Plänenoder Programmen,

• Darstellung der für den Plan geltenden Ziele des Umwelt-schutzes sowie der Art, wie diese Ziele und sonstige Umwelt-erwägungen bei der Ausarbeitung des Plans berücksichtigtwurden,

• Darstellung der Merkmale der Umwelt, des derzeitigenUmweltzustandes sowie dessen voraussichtliche Entwick-lung bei Nichtdurchführung des Plans,

• Angabe der derzeitigen für den Plan bedeutsamen Umwelt-probleme,

• Beschreibung der voraussichtlichen erheblichen Auswirkun-gen auf die Umwelt,

• Darstellung der Maßnahmen, die geplant sind, um erhebli-che nachteilige Umweltauswirkungen zu verhindern, zu ver-ringern und soweit wie möglich auszugleichen,

• Hinweise auf Schwierigkeiten, die bei der Zusammenstellungder Angaben aufgetreten sind,

• Kurzdarstellung der Gründe für die Wahl der geprüften Alter-nativen sowie eine Beschreibung, wie diese Prüfung durchge-führt wurde,

• Darstellung des geplanten nachträglichen Planmonitorings.3. Behördenbeteiligung (§ 14h UVPG);4. Öffentlichkeitsbeteiligung mit öffentlicher Auslegung des Plan-

entwurfs sowie des Umweltberichts (§ 14i UVPG);5. Ggf. grenzüberschreitende Behörden- und Öffentlichkeitsbetei-

ligung;6. Überprüfung der Darstellungen und Bewertungen vor dem

Hintergrund der Stellungnahmen aus der Behörden- undÖffentlichkeitsbeteiligung und Berücksichtigung bei der Plan-aufstellung (§ 14k UVPG);

7. Öffentliche Auslegung des angenommenen Plans, einer zusam-menfassenden Erklärung, wie Umwelterwägungen in den Planeinbezogen, wie der Umweltbericht sowie die Stellungnahmenberücksichtigt wurden, und zu den Gründen der Alternativen-auswahl sowie einer Aufstellung der Monitoringmaßnahmen(§ 14l UVPG);

8. Monitoring der Auswirkungen der Plandurchführung (§ 14mUVPG).

Diese Anforderungen gelten für alle SUP-pflichtigen Abfallwirt-schaftspläne, deren erster förmlicher Vorbereitungsakt nach dem20.7.2004 erfolgt. Planungsverfahren, die bereits vorher begonnenworden sind, unterliegen diesen Vorschriften nur, wenn sie nichtbis 20.7.2006 beendet worden sind (§ 24 Abs. 8 und 9 UVPG).

Unabhängig von der SUP-Pflicht von Abfallwirtschaftsplänen istdie Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und desRates vom 26.5.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei derAusarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programmeund zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG desRates30 zu beachten. Nach Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie ist bei denin deren Anhang I aufgeführten Plänen der Öffentlichkeit die Mög-lichkeit zu geben, sich frühzeitig und effektiv zu beteiligen.Anhang I führt u.a. auf: Abfallwirtschaftspläne nach Art. 7 Abs. 1der Abfallrahmenrichtlinie 75/442/EWG und Art. 6 Abs. 1 derRichtlinie über gefährliche Abfälle 91/689/EWG sowie die in Art. 6der Batterierichtlinie 91/157/EWG und in Art. 14 der Verpackungs-richtlinie 94/62/EG vorgesehenen Pläne. Diese Richtlinie ist bis-lang weder im Bundesrecht noch von den Ländern umgesetzt wor-den. Sie ist daher mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 25.6.2005 beider Abfallwirtschaftsplanung unmittelbar anzuwenden.

29 Hendler, a.a.O., S. 109.30 Siehe Fn. 6.

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E. Schlussfolgerungen und Ausblick: SUP in der Abfallwirtschaftsplanung

Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass die SUP nur begrenzte Aus-wirkungen auf die Abfallwirtschaftsplanung der Länder habenwird. Eine Pflicht zur Durchführung einer SUP bei der Aufstellungeines Abfallwirtschaftsplanes wird in der Praxis wohl eher denAusnahmefall darstellen. Ein Überblick über die Abfallwirtschafts-pläne der Länder zeigt, dass Abfallwirtschaftspläne ohne Rahmensetzende Inhalte sehr verbreitet sind. Die Funktion des Abfallwirt-schaftsplans als Steuerungsinstrument zur Vorbereitung der Zulas-sung von Abfallbeseitigungsanlagen geht in der Praxis eindeutigzurück. Zum einen nehmen deponiebezogene Planungsinhalte inAbfallwirtschaftsplänen ab. Zugleich werden Planfeststellungsver-fahren für Deponien seltener. Deponien gelten als ein »Auslauf-modell« in der Abfallwirtschaft, auch wenn es unwahrscheinlicherscheint, dass man eines Tages vollständig auf sie verzichten kön-nen wird. Für sonstige Abfallbeseitigungsanlagen weisen Abfall-wirtschaftspläne jedoch in der Regel keine Vorgaben mit Verbind-lichkeitserklärung aus.

Auch wenn es sich hierbei teilweise auch um Vollzugsdefizitehandeln mag, hat dieser Rückgang der Steuerungsfunktion vonAbfallwirtschaftsplänen primär strukturelle Ursachen. Zum Zeit-punkt der Einführung dieses abfallrechtlichen Planungsinstru-mentes in den 70er Jahren war die Abfallwirtschaft durch den sogenannten Entsorgungsnotstand geprägt. Es bestand eine Not-wendigkeit der Standortausweisung durch »autoritative« überört-liche Planung. Dadurch sollte einerseits eine Zersplitterung derAbfallentsorgung in wirtschaftlich nicht leistungsfähige Anlagenvermieden werden. Außerdem sollte es dieses Instrument ermögli-chen, neue Standorte für wirtschaftliche und umweltverträglicheAnlagen gegen die Proteste von Bürgern und Standortgemeindennach dem »St.-Florians-Prinzip« durchzusetzen. Mit dem Wandelin der Abfallwirtschaft vom Entsorgungsnotstand zu Überkapazi-täten hat die Abfallwirtschaftsplanung diese Funktion eingebüßt –wobei hier nicht untersucht werden kann, ob diese gesetzlicheFunktion in der früheren Praxis tatsächlich erfolgreich angewandtwerden konnte. Mit der zunehmenden Verwertung von Abfällen,die bislang noch beseitigt werden, insbesondere auch durch denEinsatz in Kraftwerken und Industrieanlagen wird sich dieserTrend noch verstärken. Diese Entwicklung wird auch nicht durchdie Entsorgungsengpässe im Zusammenhang mit dem Inkrafttre-ten der Abfallablagerungsverordnung im Jahre 2005 in Fragegestellt. Diese Engpässe sind m. E. vorübergehender Natur und vorallem der mangelnden Transparenz der Entsorgungsverantwor-tung im Bereich der gewerblichen Siedlungsabfälle sowie dentechnischen Anlaufschwierigkeiten von Behandlungsanlagengeschuldet, die mit den praktisch anfallenden Durchsatzmengenzuvor nicht erprobt werden konnten. Grundsätzlich ist davon aus-zugehen, dass es heutzutage einen funktionierenden Entsorgungs-markt gibt, der in der Lage ist, auf eine bestehende Nachfrageinnerhalb angemessener Zeit entsprechende Entsorgungsleistun-gen anzubieten. Letztlich ist dies weniger eine Frage staatlicherAbfallwirtschaftsplanung. Es ist nicht ernsthaft zu befürchten,dass umweltverträgliche Entsorgungsleistungen nicht auf demMarkt angeboten werden. Offen ist lediglich, zu welchem Preis sieangeboten werden und welchen Preis der Nachfrager zu zahlenbereit ist. Staatliche Abfallwirtschaftsplanung würde sich aberhoffnungslos überfordern, wollte sie den entsorgungspflichtigenAbfallerzeugern bzw. öffentlich-rechtlichen Körperschaften dieeigenverantwortliche Entscheidung über den aus ihrer Sicht wirt-schaftlichsten Entsorgungsweg abnehmen.

Schließlich hat die Einführung allgemeiner Umweltstandardsvon der TA-Abfall und TA-Siedlungsabfall bis zur Abfallablage-

rungs-Verordnung und der Deponie-Verordnung in Bezug aufDeponien und immissionsschutzrechtliche Standards im Hinblickauf Abfallbehandlungsanlagen dazu geführt, dass generelleRechtsnormen den Abfallwirtschaftsplan als Steuerungsinstru-mentarium für die Standortauswahl für Abfallbeseitigungsanlagenablösen. Zudem werden planerische Vorgaben schon ausreichenddurch Raumordnungspläne und Flächennutzungspläne gemacht,für die ihrerseits eine SUP obligatorisch ist. Es macht wenig Sinn,Standorte, die sich nach diesen generellen Umweltstandards sowieauch nach den Vorgaben des allgemeinen Planungsrechts fürbestimmte Abfallentsorgungsanlagen als geeignet erweisen, nochweiter mit dem schwerfälligen speziellen Planungsinstrument desAbfallwirtschaftsplans zu selektieren.

In der Tat ähneln Abfallwirtschaftspläne heute häufig eherumweltpolitischen Programmen, in denen abgesehen von einemstatistischen und prognostischen Teil über das Abfallaufkommenwortreiche Ausführungen über beabsichtigte Maßnahmen zur För-derung der Abfallvermeidung und -verwertung gemacht werden.Nach alledem ist also im Hinblick auf die im Sinne des § 14b Abs. 3UVPG Rahmen setzenden Inhalte von Abfallwirtschaftsplänen eingewisser Funktionsverlust zu beobachten. Durchaus zu erwägen istes allerdings, auch in Abfallwirtschaftsplanungen ohne Rahmen set-zenden Inhalt »freiwillig« Teile der SUP zu realisieren. Abfallwirt-schaftspläne stellen neben ihrer Prognosefunktion eine wichtigeGrundlage zur Formulierung und Festlegung der abfallwirtschaftli-chen Strategie des Planungsträgers, also des Bundeslandes oder derRegion, dar. Diese schlägt sich in der Regel in weiteren Vollzugsmaß-nahmen nieder, die zwar nicht mit rechtlicher Verbindlichkeit ausdem Abfallwirtschaftsplan abgeleitet werden können, aber faktischdurch die abfallwirtschaftlichen Positions- und Strategiebestim-mungen vorprogrammiert und die mit Auswirkungen auf dieUmwelt verbunden sind. So impliziert beispielsweise eine Entschei-dung zur Förderung der biologischen Verwertung von Abfällendurch Kompostierung und Aufbringung auf landwirtschaftlichgenutzte Flächen durchaus erhebliche Umweltauswirkungen, diegegen eine alternative Ausweitung der thermischen Abfallbehand-lung oder andere alternative Entsorgungsformen und derenUmweltauswirkungen abzuwägen wäre. Ziel der SUP ist, bei solchenPlanentscheidungen eine Umweltfolgenbetrachtung sicherzustel-len und innerhalb der Umweltfolgenbetrachtung zu bewirken, dassnicht nur die fachlichen Belange der jeweiligen Fachplanung – hieralso die abfallwirtschaftlichen Belange – betrachtet werden, sondernsämtliche Umweltschutzgüter in den Blick genommen werden. Eskann daher durchaus sinnvoll sein, das Instrumentarium desUmweltberichts aus der SUP für diese Zwecke auch in diesen Berei-chen der Abfallwirtschaftsplanung zu nutzen. Auch die Öffentlich-keitsbeteiligung bei der Aufstellung von Abfallwirtschaftsplänenkönnte effektiver gestaltet werden, wenn der Öffentlichkeit ineinem Umweltbericht zu dem Plan die Umweltauswirkungen desPlanwerks transparent gemacht werden. Die Entscheidung, inwie-weit aus diesen Gründen trotz fehlender Rahmen setzender Inhalteeine SUP für einen Abfallwirtschaftsplan durchgeführt wird, bleibtjedoch dem jeweiligen Planungsträger überlassen.

Um die künftige Rolle der Abfallwirtschaftsplanung zu beurtei-len, sind abschließend auch die Entwicklungen auf der europäi-schen Ebene zu berücksichtigen. Die Europäische Kommission hatam 21.12.2005 eine »thematische Strategie für Abfallvermeidungund -recycling« beschlossen31. Ergebnis dieser Strategie ist ein Vor-schlag für eine neue Abfallrahmenrichtlinie32. Art. 29 des Richtli-nienentwurfs sieht zunächst als neues abfallrechtliches Planungs-instrument so genannte Abfallvermeidungsprogramme vor. Diese

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31 KOM (2005) 666 endgültig; zu finden unter: http://europa.eu.int/comm/envi-ronment/waste/strategy.htm.

32 KOM (2005) 667 endgültig, ebd.

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haben eher den Charakter einer politischen Maßnahmeplanungund dürften mangels konkreter Rahmen setzender Inhalte nichtder SUP-Pflicht unterliegen. Folgerichtig sieht Art. 29 Abs. 3 desRichtlinienentwurfs denn auch lediglich eine Öffentlichkeitsbetei-ligung nach Maßgabe der Richtlinie 2003/35/EG vor. Bemerkens-wert ist aber, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur her-kömmlichen Abfallwirtschaftsplanung in Art. 26 des Richtlinien-entwurfs beibehalten wird und die Pflichtinhalte derAbfallwirtschaftspläne sogar noch ausgeweitet werden. In Art. 26Nr. 3e ist insbesondere die Pflicht zu Standortausweisungen derRechtsprechung des EuGH folgend33 konkretisiert sowie auf Ver-wertungsanlagen ausgeweitet worden. Die Abfallwirtschaftsplänemüssen danach »ausreichende Informationen in Form von Krite-rien zur Standortbeschreibung, die den zuständigen Behörden eineEntscheidung über die Genehmigung künftiger Beseitigungs- undgroßer Verwertungsanlagen ermöglichen« enthalten. Diese Auf-gabe würde die SUP-pflichtigen Inhalte von Abfallwirtschaftsplä-nen erheblich ausweiten. Andererseits würde sie die Abfallwirt-schaftsplanungen der Länder aus den oben genannten Gründenvor erhebliche Vollzugsprobleme stellen. Wenn sie jetzt schon inden Abfallwirtschaftsplänen keine Standortplanung für Beseiti-gungsanlagen betreiben, wie soll dann eine Standortplanung für

den marktwirtschaftlichen Bereich der Abfallverwertung erwartetwerden? Eine Ausweitung der Pflichtinhalte der Abfallwirtschafts-planung im europäischen Abfallrecht sollte daher noch vertiefterörtert werden. Sie mag Sinn machen, in Mitgliedstaaten, die überkeine ausgebaute allgemeine raumordnerische Planung verfügen.Zumindest sollte es den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, ob siedie Standortplanung für Abfallentsorgungsanlagen in Abfallwirt-schaftsplänen oder im Wege der allgemeinen Raumordnungspla-nung vornehmen. Einer SUP unterliegt die Standortplanung in bei-den Fällen.

1 Klinger/Löwenberg, ZUR 2005, 169; Krohn, ZUR 2005, 371; Zeiss, UPR 2005,253; Schink, UPR 2005, 281 (286); Rehbinder, NuR 2005, 493; Faßbender,NVwZ 2005, 1122 (1125); Brenner, DAR 2005, 426; Willand/Buchholz, NJW2005, 2641; Steenbuck, NVwZ 2005, 770; Rebler, SVR 2005, 211 (214); ders.,SVR 3/2006; Calliess, NVwZ 2006, 1; aus der Rechtsprechung siehe die bei-den Beschlüsse des VG München v. 27.4.2005, ZUR 2005, 367 bzw. ZUR2005, 369 und die beiden Urteile v. 26.7.2005, NVwZ 2005, 1215 bzw. NVwZ2005, 1219; VG Stuttgart, Urt. v. 31.5.2005, NVwZ 2005, 971; VG Berlin, Be-schl. v. 1.6.2005, Az. 10 A 75.05 (juris); außerdem die beiden Beschlüsse desBayVGH v. 30.6.2005, UPR 2005, 395 bzw. UPR 2005, 396.

2 Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v.27.6.2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläneund Programme (ABl. L 197, S. 30), siehe dazu Hendler, NuR 2003, 2; ders.,DVBl. 2003, 227; Stüer, UPR 2003, 97; Sander, UPR 2003, 336; Schink, NVwZ2005, 615; ders., NuR 2005, 143; Wahl/Hönig, NVwZ 2006, 161 (165).

3 Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes über die Umweltverträglich-keitsprüfung vom 25.6.2005, BGBl. I, S. 1757.

4 Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom11.9.2002 (BGBl. I, 3622); Verordnung über Immissionswerte für Schad-stoffe in der Luft – 22. BImSchV vom 11.9.2002 (BGBl. I, 3626), geändert am13.7.2004 (BGBl. I, 1625).

5 Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27.9.1996 über die Beurteilung und dieKontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55).

6 1999/30/EG (ABl. L 163, S. 41), 2000/69/EG (ABl. L 313, S. 12), 2002/3/EG(Abl. L 67, S. 14); siehe inzwischen auch die 4. Tochterrichtlinie2004/107/EG (ABl. L 23, S. 3); zu Bestrebungen, die Tochterrichtlinienzusammen mit der Rahmenrichtlinie in einem einzigen legislativen Doku-ment zusammenzufassen siehe Urlinger/Teichmann, Der Bayer. Bürgermeister2005, 432; Urlinger, Bayer. Gemeindetag 2005, 404.

7 Hendler, NuR 2003, 2; siehe auch Wahl/Hönig, NVwZ 2006, 161 (165).

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Sche id ler, S t rateg ische Umweltprüfung für Luf t re inha l tep läne | A U F S Ä T Z E

Andreas VersmannRegierungsdirektor, Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umweltund Verbraucherschutz des Landes Brandenburg ([email protected]). Von 1991 bis 2005 Referent für Abfall-recht sowie für das Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung und derstrategischen Umweltprüfung. Gegenwärtig Leiter des Sachgebiets fürRechtsmanagement und Entbürokratisierung.Studium der Rechts- und der Politikwissenschaft an der Freien Univer-sität Berlin

Alfred Scheidler

Strategische Umweltprüfung für Luftreinhaltepläne

Mit Verbindlichwerden der Immissionsgrenzwerte der 22. BImSchV fürFeinstaub am 1.1.2005 sind die gebietsbezogenen Instrumente zur Luft-reinhaltung in den Mittelpunkt des Fachinteresses1 gerückt, so vor allemdie Luftreinhalteplanung nach § 47 BImSchG. Während es bei diesenDiskussionen in erster Linie um den materiellen Inhalt der Luftreinhalte-pläne und Rechtsschutzfragen geht, stellt der nachfolgende Beitrag aufdie Verfahrensebene ab, indem untersucht wird, welche Luftreinhalte-pläne einer Strategischen Umweltprüfung (SUP) unterzogen werden müs-sen und wie sich das Verfahren zur Aufstellung eines SUP-pflichtigenLuftreinhalteplanes im Einzelnen ausgestaltet.

A. Der europarechtliche Hintergrund

In Umsetzung der EU-Richtlinie über die Strategische Umweltprü-fung (SUP-Richtlinie)2 trat am 26.6.2005 die Neufassung desGesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG)3 inKraft, mit dem für bestimmte Pläne und Programme das Erforder-nis einer SUP eingeführt wird. SUP-pflichtig können danach unterbestimmten Voraussetzungen auch Luftreinhaltepläne sein, dieim 5. Teil des BImSchG in § 47 sowie in § 11 der 22. BImSchV gere-gelt sind. Die Luftreinhalteplanung erfuhr – wie der 5. Teil desBImSchG und die 22. BImSchV insgesamt – umfangreiche Ände-rungen im Jahr 20024, die ebenfalls europarechtlich bedingt sind.So bestimmt die Luftqualitätsrahmenrichtlinie5 die allgemeinenAnforderungen für die von den Mitgliedstaaten zu ergreifendenMaßnahmen zur Messung und Verbesserung der Luftqualität,wohingegen die konkreten Grenz- und Alarmwerte sowie eineVielzahl schadstoffspezifischer Regelungen in den auf Art. 4 derRahmenrichtlinie gestützten Tochterrichtlinien6 geregelt sind.Das in diesen Richtlinien festgelegte EG-Luftqualitätsrecht zieltmit seiner übergreifenden, gebietsbezogenen Strategie der Immis-sionsbegrenzung darauf ab, unmittelbar eine bestimmte Qualitätder Luft sicherzustellen, unabhängig davon, welche Quellen die-ses Ziel gefährden oder beeinträchtigen.

Die SUP-Richtlinie verfolgt das Ziel, ein hohes Umweltschutzni-veau sicherzustellen, indem dafür gesorgt wird, dass bestimmtePläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltaus-wirkungen haben, einer Umweltprüfung unterzogen werden. ImUnterschied zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die erstrelativ spät einsetzt, wenn wichtige planerische Vorentscheidun-gen zur Projektverwirklichung bereits getroffen sind, zielt die SUPauf Pläne und Programme ab, die der Projektgenehmigung vorge-lagert sind, indem die im Vorfeld der Projektgenehmigung zu tref-fenden planerischen Entscheidungen ebenfalls einer besonderenökologischen Untersuchung unterworfen werden7.

33 Siehe Fn. 25.

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B. Die Luftreinhalteplanung nach § 47 BImSchG

I. Abgrenzungsfragen

Die in § 47 BImSchG geregelte Luftreinhalteplanung ist das wich-tigste Instrument einer gebietsbezogenen Luftreinhaltung8. Plänenach § 47 Abs. 1 und 2 BImSchG dienen der Einhaltung vonImmissionsgrenzwerten, die EG-rechtlich in den Luftqualitäts-richtlinien festgelegt und im innerdeutschen Recht in der22. BImSchV umgesetzt sind. Ermächtigungsgrundlage für die22. BImSchV ist § 48a Abs. 1 BImSchG. Neben diesen Plänen mitEG-rechtlichem Bezug regelt § 47 Abs. 3 BImSchG die Aufstellungvon Plänen ohne diesen Bezug: Es geht u. a. um die Einhaltungvon Immissionswerten, die in einer Verordnung nach § 48a Abs.1a BImSchG festgelegt sind, also einer Verordnung über die Festle-gung von nationalen Immissionswerten. Eine solche Verordnungexistiert derzeit nicht. Innerhalb der Pläne mit EG-rechtlichemBezug ist zu unterscheiden zwischen Luftreinhalteplänen nach§ 47 Abs. 1 und Aktionsplänen nach § 47 Abs. 2 BImSchG.

Ein Luftreinhalteplan ist nach § 47 Abs. 1 BImSchG aufzustellen,wenn die Grenzwerte der 22. BImSchV einschließlich festgelegterToleranzmargen9 überschritten werden. Mit der Bezugnahme aufToleranzmargen wird zum Ausdruck gebracht, dass die künftige Ein-haltung der Immissionsgrenzwerte bereits im Vorfeld des Inkrafttre-tens der Immissionsgrenzwerte durch vorsorgliche Maßnahmensichergestellt werden soll10. Die Maßnahmen müssen »dauerhaft«zur Verminderung der durch die 22. BImSchV erfassten Schadstoffegeeignet sein. Insoweit ist es erforderlich, dass die Maßnahmen dieEinhaltung der maßgebenden Immissionsgrenzwerte langfristiggewährleisten11. Demgegenüber legt ein Aktionsplan nach § 47 Abs.2 BImSchG fest, welche Maßnahmen kurzfristig zu ergreifen sind12.

In vorliegendem Zusammenhang sind nur die Luftreinhalte-pläne nach § 47 Abs. 1 BImSchG von Bedeutung, denn nur diesesind in Anlage 3 zum UVPG, in der die SUP-pflichtigen Pläne undProgramme aufgelistet sind, enthalten. Aktionspläne nach § 47Abs. 2 BImSchG und Pläne nach § 47 Abs. 3 BImSchG bleibendaher von der weiteren Betrachtung ausgeklammert.

II. Bindungswirkung eines Luftreinhalteplanes nach § 47 Abs. 1 BImSchG

Luftreinhaltepläne haben lediglich verwaltungsinternen Charakter13.Die in einem solchen Plan festgelegten Maßnahmen sind daher nichtvon sich heraus wirksam, sondern bedürfen zu ihrer Umsetzung undDurchführung weiterer behördlicher Aktivitäten (vgl. § 47 Abs. 6BImSchG). Dabei ist § 47 Abs. 6 S. 1 BImSchG zu entnehmen, dass diedie Maßnahmen umsetzenden Behörden strikt an die Vorgaben desLuftreinhalte- oder Aktionsplanes gebunden sind14. Sind die in den Plä-nen festgelegten Maßnahmen planungsrechtlicher Natur, so bestehtgemäß § 47 Abs. 6 S. 2 BImSchG eine Bindungswirkung insoweit, als fürden zuständigen Planungsträger eine Pflicht zur Berücksichtigung derFestlegungen des Luftreinhalteplanes normiert ist; d. h., dass jene Pla-nungsbehörden im Rahmen ihrer eigenen Planungs- und Abwägungs-entscheidungen nach Maßgabe der spezialgesetzlichen Grundlage dieVorgaben zwar nicht zu befolgen, so aber doch immerhin in ihre Abwä-gung einzustellen haben15. Für die Bauleitplanung als die wichtigste derhier erfassten Fallgruppen hebt § 1 Abs. 6 Nr. 7g BauGB dieses Berück-sichtigungsgebot nochmals ausdrücklich hervor.

C. Die Umweltprüfung bei Luftreinhalteplänen

I. Die SUP-Pflichtigkeit eines Luftreinhalteplanes

1. Luftreinhaltepläne als Pläne im Sinne des UVPG

Die SUP-Pflichtigkeit bezieht sich auf bestimmte »Pläne und Pro-gramme« (§ 14b UVPG). Darunter versteht das UVPG nach der

Legaldefinition in § 2 Abs. 5 bundesrechtlich vorgesehene Pläneund Programme, zu deren Ausarbeitung, Annahme oder Änderungeine Behörde durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften verpflich-tet ist. Luftreinhaltepläne, zu deren Aufstellung die zuständigenBehörden gemäß § 47 Abs. 1 BImSchG bei Grenzwertüberschreitun-gen bundesrechtlich verpflichtet sind, sind unzweifelhaft von dieserLegaldefinition erfasst. Welche Pläne und Programme SUP-pflichtigsind, ergibt sich aus den §§ 14b bis 14d UVPG.

2. SUP-Pflichtigkeit nach § 14b Abs. 1 UVPGArt. 3 Abs. 2a SUP-RL normiert eine SUP-Pflicht nur für solchePläne und Programme in bestimmten Bereichen16, die einen Rah-men für die künftige Genehmigung eines UVP-pflichtigen Vorha-bens setzen. In Umsetzung dieser europarechtlichen Vorgabe ord-net § 14b Abs. 1 UVPG in Verbindung mit Anlage 3 die SUP-Pflichtnur für Rahmen setzende Pläne und Programme an, die den vonArt. 3 Abs. 2a SUP-RL genannten Bereichen angehören. Dabei istzu unterscheiden: Für Pläne, die in Anlage 3 Nr. 1 UVPG aufge-führt sind, ist stets zwingend eine SUP durchzuführen (§ 14b Abs.1 Nr. 1 UVPG). Hier legt das Gesetz selbst abschließend fest, dassdiese Pläne jeweils einem der von Art. 3 Abs. 2a SUP-RL genanntenBereiche zuzuordnen sind und dass sie einen Rahmen für die Ent-scheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben setzen. Eine kon-krete Prüfung der zuständigen Behörde ist insoweit nicht mehrerforderlich17. Dazu gehört als wichtigste Fallgruppe die Bauleit-planung nach den §§ 6 und 10 BauGB18. Im Unterschied dazumuss die Behörde bei den in Anlage 3 Nr. 2 UVPG aufgeführtenPlänen und Programmen stets erst prüfen, ob diese einen Rahmenfür die Zulässigkeit von UVP-pflichtigen Vorhaben19 setzen (§ 14bAbs. 1 Nr. 2 UVPG). Luftreinhaltepläne nach § 47 Abs. 1 BImSchGsind in Anlage 3 Nr. 2.2 UVPG aufgeführt. Die zuständige Behördehat deshalb zu prüfen, ob der konkrete Luftreinhalteplan, um des-sen Aufstellung es geht, einen Rahmen für die Entscheidung überdie Zulässigkeit eines UVP-pflichtigen Vorhabens setzt.

Gemäß § 14b Abs. 3 UVPG wird ein Rahmen immer danngesetzt, wenn der Plan »Festlegungen mit Bedeutung für spätereZulassungsentscheidungen« enthält, insbesondere zum Bedarf,zur Größe, zum Standort, zur Beschaffenheit, zu Betriebsbedin-gungen von Vorhaben oder zur Inanspruchnahme von Ressour-cen. Liegt einer dieser beispielhaft aufgezählten Planinhalte vor,

8 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2004, ZUR 2005, 199 (Leitsatz 5); Rehbinder, NuR 2005,493 (497).

9 Zu den Begriffen »Immissionsgrenzwert« und »Toleranzmarge« siehe § 1 Nr.3 und 5 der 22. BImSchV.

10 Rehbinder, Rechtsgutachten über die Umsetzung der 22. BImSchV, Juli 2004(Download: www.stadtklima-stuttgart.de), Rn. 28; Jarass, BImSchG (6. Aufl.2005), § 47 Rn. 3; ders., NVwZ 2003, 257 (261); siehe auch BTDrucks14/8450, S. 8 und 18.

11 BTDrucks 14/8450, S. 13; siehe auch Jarass, BImSchG, § 47 Rn. 3, 12; ders.,NVwZ 2003, 257 (262).

12 Siehe dazu Herrmann, in: Koch/Scheuing/Pache (Hrsg.), GK-BImSchG(Stand: Mai 2005), § 47 Rn. 37; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht (5.Aufl. 2003), § 10 Rn. 433.

13 BTDrucks 14/8450, S. 14; Zeiss, UPR 2005, 253 (254); Assmann/Knierim/Fried-rich, NuR 2004, 695 (700); Herrmann, in: GK-BImSchG, § 47 Rn. 102; Hans-mann, in: Landmann/Rohmer, BImSchG (Stand: Dez. 2005), § 47 Rn. 29.

14 Jarass, BImSchG, § 47 Rn. 37; ders., NVwZ 2003, 257 (262); Hansmann, in:Landmann/Rohmer, BImSchG, § 47 Rn. 29; Herrmann, in: GK-BImSchG,§ 47 Rn. 102 ff.; Rehbinder, NuR 2005, 493 (495); Assmann/Knierim/Friedrich,NuR 2004, 695 (700); siehe zu dieser Bindungswirkung auch die Ausarbei-tung des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI) aus dem Jahr 1991,UPR 1991, 334.

15 Herrmann, in: GK-BImSchG, § 47 Rn. 100. 16 Es handelt sich um die Bereiche Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei,

Energie, Industrie, Verkehr, Abfallwirtschaft, Wasserwirtschaft, Telekommu-nikation, Fremdenverkehr, Raumordnung oder Bodennutzung; siehe dazuHendler, NuR 2003, 2 (4).

17 BTDrucks 15/3441, S. 26 f.18 § 14b Abs. 1 Nr. 1 UVPG in Verbindung mit Anlage 3 Nr. 1.8; in Übereinstim-

mung damit ordnet § 2 Abs. 4 BauGB die Durchführung einer Umweltprü-fung bei Bauleitplänen an.

19 Das sind Vorhaben, die in Anlage 1 zum UVPG aufgeführt sind oder Vorhaben,die nach Landesrecht einer UVP oder Vorprüfung des Einzelfalls bedürfen.

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so indiziert dies eine Rahmensetzung20. Da ein Rahmen für eineGenehmigungsentscheidung gesetzt werden muss, muss es sichum einen rechtsverbindlichen Rahmen handeln21. Diese Voraus-setzung ist nicht nur dann erfüllt, wenn der Rahmen von derBehörde bei der künftigen Genehmigung von Projekten beachtet,d. h. strikt eingehalten werden muss22, sondern auch dann, wennlediglich eine behördliche Pflicht besteht, den Plan in Abwägungs-oder Ermessensentscheidungen oder bei Auslegung unbestimmterRechtsbegriffe zu berücksichtigen. In der behördlichen Berück-sichtigungspflicht kommt die Rechtsverbindlichkeit zum Aus-druck23. Rahmensetzung bedeutet also, dass durch den Plan inirgendeiner Weise auf die Genehmigung eines UVP-pflichtigenProjektes Einfluss genommen und diese vorbereitet werden muss,sei es auch nur im Sinne einer bloßen Abwägungsrelevanz24.

Ein Luftreinhalteplan nach § 47 Abs. 1 BImSchG setzt danneinen Rahmen für UVP-pflichtige Vorhaben, wenn in dem PlanMaßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreini-gungen festgelegt wurden, welche bei der Genehmigung von UVP-pflichtigen Anlagen zu berücksichtigen sind25. Dass die Vorgabeneines Luftreinhalteplanes von den ihn umsetzenden Behörden zuberücksichtigen sind, ergibt sich aus der oben festgestellten Ver-bindlichkeit des Planes nach § 47 Abs. 6 BImSchG (s. o. B.II.). Umdie Einhaltung der Immissionsgrenzwerte der 22. BImSchV sicher-zustellen, kann ein Luftreinhalteplan z. B. vorsehen, dassbestimmte (UVP-pflichtige) Anlagen nur genehmigt werden dür-fen, wenn die Anlagen mit bestimmten Vorkehrungen zur Luft-reinhaltung ausgestattet sind26. Ein Luftreinhalteplan kann auchals planerische Festsetzung, die im Wege der Bauleitplanungumzusetzen ist, die Sperrung von Standorten für bestimmte Anla-gen vorsehen27. In beiden Fällen enthält der LuftreinhalteplanFestlegungen, die sich auf die spätere Zulassungsentscheidungauswirken. Damit liegt eine Rahmensetzung im Sinne des § 14bAbs. 3 UVPG vor, mit der Konsequenz, dass der Plan gemäß § 14bAbs. 1 Nr. 2 UVPG i. V. mit Anlage 3 Nr. 2.2 SUP-pflichtig ist.

Unerheblich ist es, dass im Falle der zwischengeschalteten Bau-leitplanung die Festlegung des Luftreinhalteplans nicht unmittel-bar, sondern nur mittelbar auf die spätere Zulassungsentscheidungeinwirkt, denn die vom Luftreinhalteplan beeinflusste Bauleitpla-nung macht ihrerseits verbindliche Vorgaben für die spätere Zulas-sungsentscheidung. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlautdes § 14b Abs. 3 UVPG, der nicht zwischen unmittelbaren und mit-telbaren Festlegungen differenziert, sondern allein darauf abstellt,dass die Festlegung Bedeutung für die spätere Zulassungsentschei-dung haben muss. Bedeutung für die spätere Zulassungsentschei-dung kann ein Luftreinhalteplan aber auch dergestalt haben, dasser auf einen Bebauungsplan Einfluss hat und erst dieser seinerseitsfür die Zulassungsentscheidung Vorgaben macht. Zum anderenergibt sich die Richtigkeit dieses Ergebnisses aber auch aus demZweck der SUP, eine ökologische Untersuchung eines Vorhabensbereits zu einem Zeitpunkt zu gewährleisten, in dem auf wichtigeplanerische Vorentscheidungen zur Projektverwirklichung nochEinfluss genommen werden kann28. Bezweckt ist also eine mög-lichst weite Vorverlagerung des Umweltschutzes29. Diesem Zweckentspricht es, wenn auch schon einer solchen Festlegung einesLuftreinhalteplans die Bedeutung einer Rahmensetzung beigemes-sen wird, die sich erst mittelbar, nämlich über einen Bauleitplan,auf die spätere Zulassungsentscheidung auswirkt.

3. SUP-Pflichtigkeit nach § 14b Abs. 2 UVPG

§ 14b Abs. 2 UVPG macht die SUP-Pflicht von einer Vorprüfung imEinzelfall abhängig. Die Vorschrift gilt aber nur für die nicht unter §14b Abs. 1 UVPG fallenden Pläne und Programme, also nur für sol-che, die nicht der Anlage 3 zugeordnet werden können30 und somitnicht für Luftreinhaltepläne, da diese sich in Nr. 2.2 der Anlage 3 fin-

den. Auch sonst bestehen gegenwärtig keine bundesrechtlich vorge-sehenen Pläne und Programme, für die § 14b Abs. 2 UVPG gilt31.

4. SUP-Pflichtigkeit nach § 14c UVPG SUP-pflichtig sind nach § 14c UVPG auch solche Pläne und Pro-gramme, die einer Verträglichkeitsprüfung nach § 35 S. 1 Nr. 2BNatSchG, der auf § 34 BNatSchG verweist, unterliegen. Pläne indiesem Sinne sind nach § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG nur solchePläne und Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren, die beibehördlichen Entscheidungen zu beachten oder zu berücksichtigensind, soweit sie, einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plä-nen oder Projekten geeignet sind, ein Gebiet von gemeinschaftli-cher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet erheblichzu beeinträchtigen32. Fraglich ist, ob ein Luftreinhalteplan, der dieübrigen Voraussetzungen dieser Definition erfüllt, geeignet ist, einGebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein EuropäischesVogelschutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen, da er ja gerade eineVerbesserung der Situation anstrebt. Theoretisch denkbar dürftedies nur in extremen Ausnahmefällen sein, so dass sich in aller Regelaus § 14c UVPG keine SUP-Pflicht für Luftreinhaltepläne ergibt.

II. Feststellung der SUP-Pflicht

Ob ein Luftreinhalteplan nach den Vorgaben der §§ 14b bis 14dUVPG SUP-pflichtig ist, hat die zuständige Behörde gemäß § 14aAbs. 1 UVPG frühzeitig festzustellen. Damit gewinnt sie einesichere Ausgangsbasis für das nachfolgende Verfahren. Da die SUPgemäß § 2 Abs. 4 UVPG ein unselbstständiger Teil behördlicher Ver-fahren zur Aufstellung oder Änderung von Plänen und Program-men ist, ist sie Teil des Verfahrens zur Aufstellung eines Luftreinhal-teplanes und daher von der hierfür zuständigen Immissionsschutz-behörde, wie sie sich aus dem Landesrecht ergibt, durchzuführen.

Wurde eine Vorprüfung des Einzelfalles nach § 14d UVPG vorge-nommen, was insbesondere dann erforderlich ist, wenn ein Luft-reinhalteplan nur geringfügig geändert wurde, so ist die (positive)Feststellung, dass der Plan SUP-pflichtig ist, der Öffentlichkeitnach den Bestimmungen des Bundes und der Länder über denZugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen (§ 14dAbs. 2, 1. HS UVPG). Vorschriften des Bundes finden sich imUmweltinformationsgesetz (UIG)33. In seiner am 14.2.2005 inKraft getretenen Neufassung gilt das UIG allerdings nur noch fürinformationspflichtige Stellen des Bundes und der bundesunmit-telbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 2UIG). Solange die Länder noch keine Umweltinformationsgesetze

20 BTDrucks 15/3441, S. 29.21 Vgl. Spannowsky, UPR 2000, 201 (204); Hendler, NuR 2003, 2 (8); Schink,

NVwZ 2005, 615 (618) (jeweils zu Art. 2 Abs. 2a SUP-RL); siehe demgegen-über Ginzky, UPR 2002, 47 (48).

22 Hendler NuR 2003, 2 (9).23 Hendler, NuR 2003, 2 (9); zustimmend Schink, NVwZ 2005, 615 (618); siehe

auch Ginzky, UPR 2002, 47 (48), wonach es genügt, dass der Plan eine »Steue-rungswirkung« enthält.

24 Schink, NVwZ 2005, 615 (618).25 BTDrucks 15/3441, S. 43. 26 § 6 BImSchG lässt für die Genehmigung als gebundene Entscheidung zwar

scheinbar keinen Spielraum; einen Spielraum eröffnet aber die TA Luft in Nr.4.2.3 hinsichtlich der erst künftig geltenden Grenzwerte, vgl. Herrmann, in:GK-BImSchG, § 47 Rn. 57 ff.; zu Maßnahmen gegenüber Anlagen nach demBImSchG siehe auch Rehbinder (Fn. 10), Rn. 70 ff.

27 Herrmann, in: GK-BImSchG, § 47 Rn. 58.28 Hendler, NuR 2003, 2. 29 Siehe Erwägungsgrund (4) der SUP-Richtlinie, wonach die Umweltprüfung

gewährleistet, dass erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt »bei der Ausar-beitung« und »vor der Annahme« der Pläne und Programme berücksichtigtwerden.

30 BTDrucks 15/3441, S. 29.31 BTDrucks 15/3441, S. 29.32 Siehe dazu Herter/Kratsch/Schumacher in: Schumacher/Fischer-Hüftle,

BNatSchG (2003), § 10 Rn. 29.33 In der Fassung der Bekanntmachung vom 22.12.2004, BGBl. I, 3704; siehe dazu

Scheidler, UPR 2006, 13; Guckelberger, UPR 2006, 89; Näckel/Wasielewski, DVBl.2005, 1351.

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erlassen haben, sind aber die Vorschriften der Richtlinie2003/4/EG34 unmittelbar anzuwenden35.

III. Das Verfahren zur Aufstellung eines SUP-pflichtigen Luftreinhalteplanes

1. Verfahrensvorschriften in § 47 Abs. 5 BImSchG

§ 47 Abs. 5 BImSchG enthält nur fragmentarische Regelungen zurAufstellung von Luftreinhalteplänen. So ordnet § 47 Abs. 5 S. 2BImSchG lediglich an, dass die Öffentlichkeit zu beteiligen ist,ohne diese Öffentlichkeitsbeteiligung näher auszugestalten. ZurKonkretisierung kann aber auf die Vorschriften zur Öffentlich-keitsbeteiligung bei der Bauleitplanung (§ 3 BauGB) zurückgegrif-fen werden36. Außerdem sind – auch ohne ausdrückliche Regelung– diejenigen Behörden zu beteiligen, die die in dem Plan vorgese-henen Maßnahmen gemäß § 47 Abs. 6 BImSchG umsetzen müs-sen37. Dies folgt aus der allgemeinen Pflicht jedes Trägers hoheitli-cher Verwaltung zur Rücksichtnahme auf andere Hoheitsträger38.

Ist ein Luftreinhalteplan nach den §§ 14b ff. UVPG SUP-pflich-tig, so kommen – da das BImSchG die SUP nicht näher bestimmt –zusätzlich zu den allgemeinen Vorgaben in § 47 Abs. 5 BImSchGdie Verfahrensschritte der §§ 14f ff. UVPG zur Anwendung (vgl.§ 14e S. 1 UVPG). Dabei greifen die im BImSchG enthaltenen Rege-lungen zur Luftreinhalteplanung und die Verfahrensschritte der§§ 14f ff. UVPG insofern ineinander, als diese Verfahrensschritteauf das Luftqualitätsrecht hin auszurichten sind.

2. Festlegung des Untersuchungsrahmens, § 14f UVPG

Das Verfahren beginnt mit der unter Beteiligung anderer Behör-den erfolgenden Festlegung des Untersuchungsrahmens gemäߧ 14f UVPG39. Bei diesem als »Scoping« bezeichneten Schritt han-delt es sich um das zentrale Verfahrensinstrument zur sachgerech-ten und effizienten Steuerung des nachfolgenden Prüfprozesses40.Es soll festgelegt werden, auf welcher Verfahrensstufe des mehrstu-figen Planungs- bzw. Entscheidungsprozesses welche Umwelt-aspekte schwerpunktmäßig geprüft werden sollen, um Mehrfach-prüfungen zu vermeiden und das Prüfverfahren zu optimieren.Das Scoping dient bei der SUP deshalb vor allem auch dazu, eineebenenspezifische Abschichtung und damit eine Schwerpunktset-zung und Konzentration auf die jeweils planerheblichen Aspektezu ermöglichen41. Bei Festlegung des Untersuchungsrahmens derSUP für einen Luftreinhalteplan ist stets auch die Zielsetzung desPlans im Auge zu behalten, nämlich die Einhaltung der Immissi-onswerte der 22. BImSchV (vgl. § 47 Abs. 1 BImSchG).

Bereits auf der frühen Verfahrensstufe des Scopings sind dieAnforderungen zu berücksichtigen, die § 47 Abs. 5 S. 1 in Verbin-dung mit § 45 Abs. 2 BImSchG an Luftreinhaltepläne stellt. Danachmüssen die in einem Luftreinhalteplan vorgesehenen Maßnahmenvor allem dem Ziel des integrierten Umweltschutzes Rechnung tra-gen, d. h. bei der Auswahl und Ausgestaltung der Maßnahmenmüssen die Auswirkungen auf die gesamte Umwelt beachtet wer-den. Insbesondere ist eine Verlagerung von Problemen aus demUmweltmedium der Luft in ein anderes Umweltmedium (Wasseroder Boden) möglichst zu vermeiden42. Außerdem ist zu berück-sichtigen, dass die Maßnahmen nicht zu erheblichen Beeinträchti-gungen der Umwelt in anderen Mitgliedstaaten führen dürfen.

3. Erstellen eines Umweltberichts, § 14g UVPG

Sodann hat die den Luftreinhalteplan aufstellende Immissions-schutzbehörde frühzeitig einen Umweltbericht als das zentrale Ele-ment einer SUP aufzustellen (§ 14g UVPG)43. Dabei sind die voraus-sichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen des Plans zu ermit-teln, zu beschreiben und zu bewerten. Einbezogen werden müssenauch vernünftige Alternativen des Plans44, deren Umweltauswirkun-gen vergleichbar ermittelt, beschrieben und bewertet werden müs-

sen. Ziel des Umweltberichts ist es insbesondere, eine wirksameBeteiligung der Öffentlichkeit an der SUP zu ermöglichen45. Auchhier gilt die Besonderheit, dass die für einen Luftreinhalteplan zubeachtenden Anforderungen des § 47 Abs. 5 in Verbindung mit § 45Abs. 2 BImSchG zu beachten sind. Aus dem Umweltbericht mussdaher insbesondere ersichtlich sein, auf welche Weise einem inte-grierten Ansatz Rechnung getragen wird. Außerdem muss ersichtlichsein, wie die Vorgaben des § 47 Abs. 4 BImSchG umgesetzt wurden;nach dessen Satz 1 sind die in einem Luftreinhalteplan vorgesehenenMaßnahmen entsprechend des Verursacheranteils unter Beachtungdes Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegen alle Emittenten zurichten, die zum Überschreiten der Immissionswerte beitragen.

4. Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung, §§ 14h, 14i UVPG Gemäß § 14h UVPG hat die Gemeinde den Behörden, derenumwelt- und gesundheitsbezogener Aufgabenbereich durch denLärmaktionsplan berührt wird, den Entwurf des Plans sowie denUmweltbericht zu übermitteln und die Stellungnahmen dieserBehörden einzuholen. Nach Satz 2 ist den beteiligten Behörden fürdie Abgabe der Stellungnahmen eine angemessene Frist zu setzen,die in Anlehnung an § 73 Abs. 3a VwVfG mindestens einen Monatbeträgt. Bei der Fristsetzung sollen Inhalt und Umfang der Unter-lagen berücksichtigt werden46.

Die Öffentlichkeitsbeteiligung für die Aufstellung SUP-pflichti-ger Pläne ist in § 14i UVPG geregelt47, der in Abs. 1 auf die Vorga-ben des § 9 Abs. 1 UVPG für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei derUVP verweist und in den Abs. 2 bis 4 besondere Bestimmungen fürdie Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Durchführung der SUP ent-hält. Danach sind vor allem der Entwurf des Plans und derUmweltbericht für die Dauer von mindestens einem Monatöffentlich auszulegen.

§ 47 Abs. 5 S. 2 BImSchG, der lediglich anordnet, dass bei Auf-stellung eines Luftreinhalteplanes die Öffentlichkeit zu beteiligenist, wird bei einem SUP-pflichtigen Luftreinhalteplan also durchdie Verfahrensvorschrift des § 14i UVPG mit ihren detaillierterenBestimmungen ausgefüllt.

5. Abschließende Bewertung und Berücksichtigung, § 14k UVPG Gemäß § 14k Abs. 1 UVPG hat die planaufstellende Behörde dieDarstellungen und Bewertungen des Umweltberichts unter Ein-schluss der Ergebnisse der Öffentlichkeits- und Behördenbeteili-gung zu überprüfen und das Ergebnis dieser Überprüfung zuberücksichtigen (§ 14k Abs. 2 UVPG). »Berücksichtigen« meint,dass das festgestellte Ergebnis zumindest in die Abwägung einge-

34 Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.1.2003über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhe-bung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates, ABl. Nr. L 41, S. 26.

35 Scheidler UPR 2005, 247 (253); ders., UPR 2006, 13 (14); VG Stuttgart, Beschl.v. 12.12.2005, UPR 2006, 123; zur unmittelbaren Geltung der Umweltinfor-mationsrichtlinie in ihrer alten Fassung (90/313/EWG) siehe Röger, NuR1994, 125.

36 BayVGH, Beschl. v. 30.6.2005, UPR 2005, 395 f.; siehe auch Hansmann, in:Landmann/Rohmer, BImSchG, § 47 Rn. 19; Jarass, BImSchG, § 47 Rn. 36;Rehbinder (Fn. 10), Rn. 32; Assmann/Knierim/Friedrich, NuR 2004, 695 (699);siehe außerdem BTDrucks 14/8450.

37 Hansmann, in: Landmann/Rohmer, BImSchG, § 47 Rn. 18; Jarass, BImSchG,§ 47 Rn. 35; siehe auch Rehbinder (Fn. 10), Rn. 33; Assmann/Knierim/Friedrich,NuR 2004, 695 (699); Herrmann, in: GK-BImSchG, § 47 Rn. 121.

38 Schulze-Fielitz, UPR 1992, 41 (45); Jarass, BImSchG, § 47 Rn. 35; BVerwG, Urt.v. 28.7.1989, BVerwGE 82, 266 (268 ff.).

39 Vgl. im Einzelnen Schink, NuR 2005, 143 (144 f.); Ginzky, UPR 2002, 47 (50).40 BTDrucks 15/3441, S. 31. 41 Schink, NuR 2005, 143 (144) m. w. N.42 Jarass, BImSchG, § 45 Rn. 11; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, BImSchG,

§ 45 Rn. 12.43 Vgl. im Einzelnen Schink, NuR 2005, 143 (145 f.); Ginzky, UPR 2002, 47 (51).44 Zur Alternativenprüfung siehe Schink, NuR 2005, 143 (146); Spannowsky,

UPR 2000, 201 (208); Ginzky, UPR 2002, 47 (50). 45 BTDrucks 15/3441, S. 32. 46 BTDrucks 15/3441, S. 33.47 Siehe dazu Schink, NuR 2005, 143 (148); Ginzky, UPR 2002, 47 (51); Holm,

NuR 2003, 144 (147).

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hen muss, ohne dass damit eine Bindungswirkung verbundenwäre48. Das heißt, es kann auch der Fall eintreten, dass Umweltbe-lange ganz oder teilweise zurückzutreten haben, soweit ihnengewichtigere andere Belange entgegenstehen49; dies darf aber nieso weit führen, dass das durch die Planung zu erreichende Ziel,nämlich die Einhaltung bestimmter, rechtsverbindlicher Luftqua-litätswerte, verfehlt wird.

6. Bekanntgabe bzw. Unterrichtung, § 14l UVPG Gemäß § 14l Abs. 1 S. 1 UVPG ist die Annahme eines Plans öffent-lich bekannt zu machen50. Die öffentliche Bekanntmachung derAblehnung eines Plans stellt § 14l Abs. 1 S. 2 UVPG hingegen indas Ermessen der Behörde. Die Unterrichtung der Öffentlichkeitüber die getroffenen Entscheidungen dient zum einen der allge-meinen Information der Öffentlichkeit über den Inhalt eines Luft-reinhalteplans, zum anderen verfolgt sie aber auch den Zweck,dem Einzelnen ein Bild darüber zu vermitteln, ob und inwieweitvon ihm im Rahmen der Mitwirkung gemachte Planungsbeiträgeim Plan Niederschlag gefunden haben.

7. Überwachung, § 14m UVPG Die erheblichen Umweltauswirkungen, die sich aus der Durchfüh-rung des SUP-pflichtigen Luftreinhalteplans ergeben, sind zu über-wachen, um unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen zuermitteln und geeignete Abhilfemaßnahmen ergreifen zu können(vgl. § 14m Abs. 1 UVPG). Mit diesem »Monitoring« tritt neben diein die Zukunft gerichtete Prüfung von Umweltauswirkungen einesLuftreinhalteplans eine nachsorgende Prüfung nach seiner Durch-führung51. Ziel ist es insbesondere, möglichst frühzeitig auchunvorhergesehene Auswirkungen auf die Umwelt zu ermitteln52.Soweit der Bund oder die Länder keine abweichende Regelungtreffen, ist für die Überwachungsmaßnahmen die gleiche Behördezuständig, die für die Durchführung der SUP zuständig ist, beieinem Luftreinhalteplan also grundsätzlich die nach Landesrechtzuständige Immissionsschutzbehörde.

D. Zusammenfassung

In Umsetzung der SUP-Richtlinie legt das UVPG fest, dass bestimmtePläne und Programme, wie sie in Anlage 3 im Einzelnen aufgelistetsind, einer SUP unterzogen werden müssen. Als unselbstständigerTeil der behördlichen Verfahren zur Aufstellung oder Änderung vonPlänen und Programmen wird die SUP von der Behörde durchge-führt, die auch den Plan selbst aufstellt oder ändert.

Luftreinhaltepläne als das zentrale Instrument einer gebietsbe-zogenen Luftreinhaltung müssen von der nach Landesrechtzuständigen Immissionsschutzbehörde aufgestellt werden, wenndie Immissionsgrenzwerte der 22. BImSchV überschritten werden.Setzt ein Luftreinhalteplan einen Rahmen für nachfolgende Ent-scheidungen über die Zulassung UVP-pflichtiger Vorhaben, so istdieser Luftreinhalteplan SUP-pflichtig. Verfahrensmäßig ergibtsich daraus die Rechtsfolge, dass über die fragmentarischenBestimmungen zur Aufstellung eines Luftreinhalteplans in § 47Abs. 5 BImSchG hinaus zusätzlich die §§ 14e ff. UVPG zur Anwen-dung kommen. Diese schreiben als wichtigste Bestandteile einerSUP die Erstellung eines Umweltberichts sowie eine Behörden-und Öffentlichkeitsbeteiligung vor.

48 Schink, NuR 2005, 143 (148); siehe auch Ginzky, UPR 2002, 47 (51 f.).49 BTDrucks 15/3441, S. 34.50 Vgl. dazu Schink, NuR 2005, 143 (148); Ginzky, UPR 2002, 47 (52) (jeweils zu

den Vorgaben in Art. 9 SUP-RL).51 Vgl. Schink, NuR 2005, 143 (149).52 BTDrucks 15/3441, S. 35.

ZUR 5/2006 | 243

Xun Yu, Wasser recht l iche Inst rumentar ien der Wassere insparung in der Vo lks republ ik China | A U F S Ä T Z E

Xun Yu

Wasserrechtliche Instrumentarien der Wassereinspeisung in der Volksrepublik China

Die größten Umweltprobleme Chinas liegen in der starken Luftverschmut-zung und mangelhaften Wasserqualität und -verfügbarkeit.1 Zurzeit sind70 Prozent des Oberflächenwassers in China durch hauptsächlich die che-mische Industrie verseucht.2 Abgesehen von der erheblichen Verschmutzungder Gewässer nimmt die Wasserknappheit durch den verschwenderischenUmgang mit der Ressource zu. Wirtschaftswachstum um fast jeden Preishat zu Umweltverschmutzung und Energieengpässen geführt.

Die chinesische Regierung misst jedoch dem Umweltschutz zunehmendBedeutung bei.3 Zahlreiche Normen und Verwaltungsverordnungen wur-den in China verabschiedet. Diese bilden das gesamte UmweltrechtChinas. Die Wassereinsparung betreffenden Regelungen darin spiegeln dieschwierige Situation der gegenwärtigen Wasserknappheit Chinas wider.

A. Wasserhaushalt und Verbrauch in China

Die nachstehende Tabelle zeigt die Höhe der Wasserreserve inChina und verdeutlicht zudem, dass die Pro-Kopf-Wasserreserve inChina aufgrund der Bevölkerungsexplosion nicht ausreichend ist.4

Der Wasserverbrauch in China nach den Verbrauchergruppenstellt sich wie folgt dar (s. 2. Tabelle, nächste Seite):

Die obige Statistik (1. Tabelle, nächste Seite) zeigt, dass die Land-wirtschaft der größte Wasserverbraucher in China ist.

Die Wasserknappheit in China spitzte sich während der raschenEntwicklung der Industrie zu. Statistisch gesehen stieg der Wasser-verbrauch – im Zuge der Modernisierung Chinas – bei industriellerund privater Nutzung kontinuierlich an. Aufgrund der großenBedeutung der Landwirtschaft in China erscheint es sinnvoll, hiervorrangig Einsparmaßnahmen zu treffen, um den weiter steigen-den Wasserbedarf der Industrie und der privaten Haushalte decken

1 Heymann, Deutsche Bank Research, Umweltsektor China, S. 8, 19.1.2006.2 Vgl.: The monthly reports of Enviromental Monitoring of China; vgl.:

Bericht der Tageszeitung (taz) vom 9.1.2006 und F.A.Z. vom 22.12.2005.3 Vgl.: Interview in »Die Zeit« vom 20.10.2005 mit Pan Yue, Vize-Umweltmi-

nister von China 4 Ca. einen Viertel des Weltdurchschnitts, vgl.: U.S. Department of Commerce

(2005): »Water Supply and Wastewater Treatment Market in China«, S. 1.

Dr. Alfred ScheidlerOberregierungsrat, Abteilungsleiter am Landratsamt Neustadt an derWaldnaab, u. a. zuständig für Umweltrecht. Aktuelle Veröffentlichungen: Kommentierung der §§ 18, 59, 60, 62 unddemnächst der §§ 40, 49 BImSchG in: Feldhaus, Bundesimmissions-schutzrecht (Stand: Jan. 2005); Der Anspruch auf Zugang zu Um-weltinformationen, UPR 2006, 13; Rechtsschutz Dritter bei fehlerhafteroder unterbliebener Umweltverträglichkeitsprüfung, NVwZ 2005, 863.

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zu können.5 Durch gezielte Maßnahmen können und müssenenorme Wassermengen eingespart werden. Ein Beispiel aus derPraxis dafür sind die Sparmaßnahmen in der Autowäschebranche.

Allein in Schanghai gibt es zurzeit eine Million Autos.6 FolgendeBerechnung (3. Tabelle, nächste Seite) zeigt, wie groß der Unter-schied des Wasserverbrauches bei Waschanlagen mit oder ohneRückgewinnung ist.

Die Tabelle zeigt, dass bis zu drei Mio. Kubikmeter Wasser alleinin Schanghai jährlich durch Wasserrückgewinnung in Autowasch-anlagen gespart werden könnten.

B. Maßnahmen gegen Wasserverschwendung in China

Am Anfang 2004 haben der Nationale Ausschuss für Entwicklungund Reformen zusammen mit dem Ministerium für Wasserres-sourcen der VR China eine »Gebührenverordnung für die Wasser-nutzung« bekannt gegeben.7 Gemäß § 14 Abs. 1 der Verordnungmuss der Wasserverbrauch aller Art nach Quote festgelegt werden.Der Preis für die Menge, die über die Quote hinausgeht, wird pro-gressiv erhöht.8 Seitdem reformieren die Provinzen die in den eige-nen Verwaltungsgebieten geltenden Wasserpreise. Trotz der Erhö-hung der Gebühren ist der aktuelle Preis für Wasser dennoch alsrelativ niedrig anzusehen.9 Als Beispiel sollen die Kosten für denWasserverbrauch in Peking dienen(4. Tabelle, nächste Seite).10

Rechtliche und ökonomische Mittelwerden sowohl von der chinesischenZentralregierung als auch von den Lan-desregierungen angewendet, um gegendie Wasserverschwendung anzukämp-fen. Außer Erhöhung der Wasserpreisewurden mittlerweile zahlreiche Nor-men mit dem Zweck der Wassereinspa-rung verabschiedet.

C. Wasserbezogene Normen in der VRChina

Der Nationale Volkskongress (NVK)erlässt als Gesetzgeber eine Vielzahl derNormen bezüglich des Wasserrechts.Durch andere Gesetzgebungsverfah-ren, wie etwa derer der Zentralregie-rung (Staatsrat), wurden auch einigeBestimmungen aufgenommen, die alsgesetzliche Normen definiert werden.11

Die Regierungen von Provinzen, Auto-nomiegebieten und direkten Verwal-tungsstädten sowie deren Behörenerließen zudem zahlreiche wasserbezo-gene Verwaltungsverordnungen, dienur in deren eigenen Verwaltungsge-bieten gelten.

I. Gesetze

1. »Wassergesetz der Volksrepublik China«

a) GeltungsbereichDas Wassergesetz der VolksrepublikChina (chinWasserG) wurde am 29.Aug. 2002 auf der 29. Sitzung des stän-digen Ausschusses des IX. NationalenVolkeskongress (NVK), der LegislativeChinas, verabschiedet und trat am

1.10.2002 in Kraft.12 Das chinWasserG zerfällt in 8 Kapitel und ent-hält 82 Paragraphen. Der Geltungsbereich des chinWasserGbeschränkt sich auf Gewässer, die nach § 2 Abs. 2 oberirdischeGewässer und Grundwasser sind.

b) Zweck des GesetzesDer Zweck des Gesetzes ist in § 1 ausgeführt worden: zur Anpas-sung an die nationale Ökonomie und die Bedürfnisse der Gesell-schaft soll die Ressource Wasser vernünftig entwickelt, verwendetund geschützt werden. Ferner sollen Überschwemmungen ver-

5 Heymann, Deutsche Bank Research, Umweltsektor China, S. 9, 19.1.2006.6 Vgl.: Shanghai Statistical Yearbook 2005.7 Diese Methode trat am 1.1.2004 in Kraft.8 Zu der Verbrauchquotierung und dem progressiven Preissystem siehe Cao

Taikang, Einführung in das chinWasserG, Q & A-Ziffer 61 u. 64. 9 Siehe z.B. http://env.people.com.cn/GB/35525/3334690.html

10 Liste der Wasserpreise in großen Städten Chinas: vgl.: U.S. Department ofCommerce (2005), Water Supply and Wastewater Treatment Market inChina, S. 15.

11 Über den Unterschied zur deutschen Gesetzgebung durch die Regierungsiehe Heuser, Einführung in die chinesische Rechtskultur, IFA, Hamburg, S.188.

12 Über die bisherige Änderung des Wassergesetzes siehe Huang Jianchu, Erklä-rung des chinWasserG, Law Press, 2003, Teil II; die Änderung im Vergleichzu alter Fassung von 1988 siehe U.S. Department of Commerce (2005),Water Supply and Wastewater Treatment Market in China, S. 7.

244 | ZUR 5/2006

A U F S Ä T Z E | Xun Yu, Wasser recht l iche Inst rumentar ien der Wassere insparung in der Vo lks republ ik China

2003 Statistik des Wasserverbrauches

Wasserverbraucher Maßeinheit 2000 2001 2002 2003

Totaler Wasserverbrauch Mrd. Kubikmeter 549,76 556,74 549,73 532,04

Landwirtschaft Mrd. Kubikmeter 378,35 382,57 373,62 343,28

% 68,8% 68,7% 68,0% 64,5%

Industrie Mrd. Kubikmeter 113,91 114,18 114,24 117,72

% 20,7% 20,5% 20,8% 22,1%

Privathaushalte Mrd. Kubikmeter 57,49 59,99 61,87 63,09

% 10,5% 10,8% 11,3% 11,9%

Wasserverbrauch Kubikmeter pro Person pro Person 435,4 437,7 429,3 412,9

Wasserverbrauch Kubikmeter im Haushalt pro Person 45,5 47,2 48,3 49,0

Wasserverbrauchpro Kubikmeter 10 Tsd. Yuan* des BIP pro Person 614 572 523 454

Quelle: China Statistical Yearbook 2004 of National Bureau of Statistics of China; *ca. 1.000,– Euro

2003 Statistik der Wasserreserven

Wasserquelle Maßeinheit 2000 2001 2002 2003

Totale Wasserreserve Mrd. Kubikmeter 2.770,08 2.686,78 2.826,13 2.746,02

– Oberirdische Gewässer Mrd. Kubikmeter 2.656,19 2.593,34 2.724,33 2.625,07

– Grundwasser Mrd. Kubikmeter 850,19 839,01 869,72 829,93

– Schnittmenge von oberirdischen Gewässer und Grundwasser Mrd. Kubikmeter 736,30 745,57 767,92 708,99

Regen Mrd. Kubikmeter 6.009,20 5.812,20 6.261,00 6.041,55

Wasserreserve Kubikmeter pro Person pro Person 2.193,9 2.112,5 2.207,2 2.131,3

Quelle: National Bureau of Statistics of China

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mieden werden, sowie eine kontinuierliche Verwendung der Was-serreserve sichergestellt werden.

2. »Gesetz der VR China zur Benutzung und Verwaltung der Küstengewäs-ser«

Am 27.10.2001 wurde das Gesetz der VR China zur Benutzung undVerwaltung der Küstengewässer auf der 24. Sitzung des ständigenAusschusses des IX. Nationalen Volkskongresses verabschiedetund ist am 1.1.2002 in Kraft getreten. Der Wirkungsbereich desGesetzes erstreckt sich auf Küstengewässer.

3. »Gesetz der VR China zur Vermeidung der Wasserverschmutzung«

Am 11.5.1984 wurde das Gesetz der VR China zur Vermeidung derWasserverschmutzung auf der 5. Sitzung des ständigen Ausschus-ses des VI. Nationalen Volkskongresses verabschiedet und auf derIXX. Sitzung des ständigen Ausschusses des VIII. NationalenVolkskongresses geändert.13

4. »Gesetz der VR China zum Schutz vor Hochwasser«

Das Gesetz der VR China zum Schutz vor Hochwasser wurde am29.8.1997 auf der 27. Sitzung des ständigen Ausschusses des VIII.Nationalen Volkskongresses verabschiedet.

5. »Gesetz der VR China zum Umweltschutz der Küstengewässer«14

Das Gesetz der VR China zum Umweltschutz der Küstengewässerwurde am 23.8.1982 auf der 24. Sitzung des ständigen Ausschussesdes V. Nationalen Volkskongresses verabschiedet und am25.12.1999 auf der XIII. Sitzung des ständigen Ausschusses des IV.Nationalen Volkskongresses geändert.

II. Richtlinie und Gesetze der Ministerien

Der Staatsrat, die Nationale Meerbehörde, die Staatliche ObersteBehörde des Umweltschutzes und das Ministerium für Wasserres-sourcen (und dessen lokale Zweigstellen) verabschiedeten in ihren

Verantwortungsbereichen verschiedene Gesetze,Regelungen und Richtlinien, um wasserrechtlicheNormen zu ergänzen und sie in der Praxis besserumsetzen zu können.

III. Verwaltungsverordnungen betreffend Wasserein-sparung in den Provinzen

Die Regierungen der Provinzen, Autonomiegebieteund der direkten Verwaltungsstädte erließen zahlrei-che landesrechtliche Verwaltungsverordnungen, diesich auf die Wassereinsparung beziehen. Sie regeln diewasserwirtschaftlichen Verhältnisse mit der Zielset-

zung der Wassereinsparung in einem bestimmten Gebiet. Sie kon-kretisieren, ergänzen oder gehen auf ausfüllungsbedürftige undausfüllungsfähige Einzelnormen des chinWasserG zurück.

Im Folgenden sollen nicht sämtliche Vorschriften aller Landes-gesetze bzw. Verordnungen, die die Wassereinsparung betreffenerläutert werden. Exemplarisch werden nachfolgend entspre-chende Bestimmungen der Städte Peking und Schanghai verdeut-licht.

1. »Methode der Stadt Peking zur Wassereinsparung« (Methode Peking)Die Methode der Stadt Peking zur Wassereinsparung wurde am18.2.2005 auf der 36. ständigen Sitzung der Regierung Pekings ver-abschiedet und ist am 1.5.2005 in Kraft getreten.

2. »Vorläufige Methode der Stadt Schanghai zur Benutzung und Verwal-tung von wassersparenden Fahrzeugwaschanlagen« (Vorläufige MethodeSchanghai)Außer den seit langem geltenden wasserbezogenen bzw. die Was-sereinsparung betreffenden Regelungen, wie etwa die »Verwal-tungsmethode der Stadt Schanghai zur Wassereinsparung«15 1994und die »Verwaltungsregelung der Stadt Schanghai zur Wasserver-sorgung«16 aus dem Jahre 1996, haben die Shanghai Water Autho-rity zusammen mit der Shanghai Municipal City Appearance andEnvironmental Sanitation Administration im März 2003 eine»Vorläufige Methode der Stadt Schanghai zur Benutzung und Ver-waltung von wassersparenden Fahrzeugwaschanlagen« bekanntgegeben. Am 1.3.2003 trat die Verordnung in Kraft.

Ziel der Verwaltungsordnung ist laut § 1 der VorläufigenMethode der Stadt Schanghai, den Betrieb der wassersparendenAutowaschanlagen verstärkt zu überwachen, die Autowaschaktivi-täten in Schanghai zu regulieren, und das Niveau einer angemesse-nen Wasserverwendung und Wassereinsparung zu erhöhen.

D. Rechtliche Bestimmungen betreffend die Wassereinsparung

I. Aus dem chinWasserG

1. Der Grundsatz der Wassereinsparung§ 8 des chinWasserG enthält einen Grundsatz bezüglich der Wasser-einsparung.17

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Xun Yu, Wasser recht l iche Inst rumentar ien der Wassere insparung in der Vo lks republ ik China | A U F S Ä T Z E

13 Die vollständige deutsche Übersetzung siehe Münzel: Chinas Recht unterhttp://lehrstuhl.jura.uni-goettingen.de/chinarecht/840511.htm

14 Vollständiger deutscher Text, siehe Münzel: Chinas Recht unter http://lehr-stuhl.jura.uni-goettingen.de/chinarecht/820823.htm

15 Am 27.06.1994 wurde die Methode der Wassereinsparung in der StadtPeking durch die 69. Mitteilung der Schanghaier Regierung bekannt gege-ben und am 14.12.1997 durch die 53. Mitteilung der Schanghaier Regierunggeändert.

16 Diese Regelung wurde am 21.6.1996 auf der 28. Sitzung des ständigen Aus-schusses des X. Volkskongresses verabschiedet und am 10.10.2003 auf der 7.Sitzung des ständigen Ausschusses des XII. Volkskongresses geändert.

17 Über die Prinzipien der Entwicklung, Benutzung, Einsparung und des Schut-zes der Gewässer siehe Cao Taikang: Einführung in das chinWasserG, ChinaLaw, 2003, Q & A-Ziffer 8.

Statistik Schanghai ohne Wasserrück- Mit Wasserrück-gewinnung gewinnung

Anzahl der Fahrzeuge*/Stücke 1 Mio. 1 Mio.

Häufigkeit der Autowäschen pro Jahr** /Mal 50 50

Wasserverbrauch pro Wäsche**/Liter 70-80 15-20

Wasserverbrauch gesamt per Jahr/Kubikmeter 3,5-4,0 0,75-1,0

Quelle: *Municipal Statistical Bureau of Shanghai; **eigene Einschätzung

Branche Yuan je Kubikmeter

private Haushalte(einschließlich der Abwassergebühr) 3,7

Allgemeines 5,04

Anstalten u. Behörden 5,4

Industrie, Handel 5,6

Hotel, Gastronomie 6,1

Bäder 61,5

Landwirtschaft 0,6

Fahrzeugwäsche 41,5

Quelle: http://www.qianlong.com/2955/2004/08/02/[email protected]; Stand 1.8.2004; 1 Yuan = 0,1 Euro

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Nach § 8 Abs. 1 führt der Staat strikt Wassereinsparung durchund fördert Maßnahmen für diese. Der Staat unterstützt die Ent-wicklung von neuen Techniken und Modellen der Wassereinspa-rung; sowie einer wassersparenden Industrie, Agrarwirtschaft undDienstleistung und baut auf diese Weise eine wassersparendeGesellschaft auf.

In § 8 Abs. 2 wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Volksre-gierungen aller Instanzen Maßnahmen einleiten sollen, die dieOrganisation der Wassereinsparung verbessern. Ebenso soll einSystem für Entwicklung und Verbreitung von wassersparendenTechniken ins Leben gerufen werden, um so eine wassersparendeIndustrie aufbauen und entwickeln zu können.Organisationseinheiten und Personen sind gemäß § 8 Abs. 3 zurWassereinsparung verpflichtet.

2. Detaillierte Regelungen der Wassereinsparung

Das fünfte Kapitel bzw. die §§ 44-55 ff. chinWasserG bestimmendie Aufteilung der Wasserreserve und deren sparsame Verwen-dung. Dabei betreffen die §§ 47- 55 ff. die Wassereinsparung.

Der Staat führt gemäß § 47 Abs. 1 chinWasserG ein kombiniertesSystem durch, durch das die gesamte Menge des Wasserverbrauchskontrolliert werden kann und die Wasserzuteilung nach Quotenerfolgt. Gemäß § 47 Abs. 2 führen die Landesregierungen in deneigenen Verwaltungsgebieten eine Quote für jede Branche.

Entnehmen Unternehmen oder private Personen Wasser direktaus Flüssen, Seen oder dem Grundwasser, ist eine Erlaubnis derWasser- oder Fluss-Verwaltungsbehörden erforderlich und eineGebühr für die Nutzungsbefugnis zu entrichten, so § 48 Abs. 1chinWasserG.

Gemäß § 49 Abs. 2 chinWasserG wird der Wasserverbrauch nachder Menge berechnet und in Fällen von überschrittenen Quotennach einem progressiven Ansatz-Preissystem berechnet.

Die §§ 51-53 chinWasserG regeln prinzipielle wassersparendeMaßnahmen für Landwirtschaft, Industrie und Städte.

3. Rechtsfolgen

Das siebente Kapitel bzw. die §§ 64-77 chinWasserG bestimmendie Rechtsfolgen einer Verletzungshandlung. Gegen verschiedenegesetzwidrige Handlungen werden Verwaltungsstrafen18 durch dieWasserverwaltungsbehörden19 oder andere Behörden der Kreis-und ihrer oberen Volksregierungen auferlegt.20 Die Verwaltungs-strafen sind u.a. die Verpflichtung zur Unterlassung der konkretenVerletzungshandlungen und Wiederherstellung des ursprüngli-chen Zustandes.21 In den meisten Fällen werden zusätzlich Geld-bußen auferlegt.22

Um die Produktion der Unternehmen überwachen zu können,schreibt § 68 chinWasserG vor: Im Falle der Herstellung, des Ver-kaufs oder der Verwendung solcher Techniken, Geräte oder Pro-duktionsmittel, die veraltet sind und deshalb große Mengen Was-ser verbrauchen, sowie solcher, deren Verwendung bereits durchden Staat ausdrücklich untersagt wurde, können die für Ökono-mie einheitlich zuständigen Behörden der Kreis- und ihrer oberenVolksregierungen die Unternehmen verpflichten, diese nicht wei-ter herzustellen, zu verkaufen oder zu verwenden. Eine Geldbußezwischen 20.000 und 100.000 Yuan23 kann auferlegt werden.

II. Aus der »Methode der Stadt Peking zur Wassereinsparung«

Sie präzisiert die prinzipiellen Regelungen, die das chinWasserGenthält.

1. Detaillierte Regelungen der Wassereinsparung

§ 7 der Methode deutet aufgrund entsprechender Regelungen des§ 47 chinWasserG an, dass die Wasserbehörden einen Plan fürWassereinsparung der Stadt Peking aufstellen sollen.

§ 9 sieht vor, die Quote des Wasserverbrauchs jeder Branche derProduktion und Dienstleistung durch die zuständigen Dienststel-len festzustellen. Der Plan wird dann von den Wassereinsparungs-stellen der Wasserbehörden und Verwaltungs-Dienststellen fürQualitätsüberwachung überprüft und genehmigt.

Gemäß § 10 der Methode Peking konzipiert die Wassereinspa-rungsstelle der Wasserbehörden aufgrund des Plans und der Quotefür die Branchen eine Maßgabe für bestimmte Organisationsein-heiten. Vor dem 31.12. jeden Jahres ist den entsprechenden Orga-nisationseinheiten eine solche Maßgabe zuzuteilen.

§ 14 der Methode Peking präzisiert das durch § 49 Abs. 2 chin-WasserG angeforderte progressive Preissystem und stimmt mit§ 14 der Gebührenverordnung für Wassernutzung überein.24 Fürden Anteil, der über die zugeteilte Quote hinaus geht, wird derPreis wie folgt in progressivem Ansatz berechnet:Bis 20%, das 2-fache des normalen Tarifs;20-40%, das 3-fache des normalen Tarifs;Über 40%, das 4-fache des normalen Tarifs.

Wie die obige Tabelle 2003 Statistik des Wasserverbrauches zeigt,liegt der Grund der Wasserknappheit des Landes hauptsächlich inder intensiven Bewässerungslandwirtschaft. §§ 19-21 der MethodePeking regeln die Sparmaßnahmen bezüglich der Landwirtschaft.Die Kommunen sollen gemäß § 19 Abs. 2 bezüglich der RessourceWasser in den eigenen Verwaltungsgebieten die Landwirte anlei-ten, die landwirtschaftlichen Produktionen vernünftig umzustruk-turieren, um so die bewässerungsintensiven Flächen zu reduzieren.

§ 23 Abs. 1 der Methode Peking sieht vor, dass die Autowaschun-ternehmen Wasserrückgewinnungsanlagen einbauen sollen.

§ 24 Abs. 1 betont wiederum, was § 68 chinWasserG vorgeschrie-ben hat, nämlich das Verbot der Herstellung und des Verkaufs vonveralteten Geräten mit hohem Wasserverbrauch. Eine Liste dernicht mehr zu verwendenden Geräte bzw. der nunmehr verwend-baren, wassersparenden Geräte wird von der zuständigen Wasser-behörde zusammen mit den Qualitätsüberwachungsbehördenbestätigt und bekannt gegeben.

2. RechtsfolgenDie §§ 32-38 ff. der Methode Peking regeln die Rechtsfolgen beiVerstößen gegen die Regelungen.

III. Aus der »Vorläufigen Methode der Stadt Schanghai zur Benutzungund Verwaltung von wassersparenden Fahrzeugwaschanlagen«

1. Detaillierte Regelungen der WassereinsparungDas Prinzip der Wassernutzung ist in § 5 der vorläufigen MethodeSchanghai bestimmt: Die Stadt führt Wassersparmaßnahmendurch, indem sie u.a. die moderne Technik der Autowaschanlagenund damit das Wasserrecycling fördert. Die Stadt befürwortet einPrinzip der Nutzung von erneuerbaren Wasserressourcen underhöht die Nutzungsratio des Wassers.

Die Standards des Wasserverbrauchs für die Wäsche der PKW,LKW und Sonderfahrzeuge sind in § 6 geregelt worden.

Eine Wasserrückgewinnungsanlage muss in den durch § 8bestimmten Fällen eingebaut werden:

18 Verwaltungsstrafen sind Zwangsmaßnahmen, die im Falle der Verletzung vonVerwaltungsnormen einem Bürger oder Unternehmen gemäß den Gesetzen,Rechtsbestimmungen oder Verwaltungsvorschriften von einer zuständigen Ver-waltungsbehörde auferlegt werden. Mehr dazu siehe Heuser: »›SozialistischerRechtsstaat‹ und Verwaltungsrecht in der VR China«, S. 60.

19 Ca. 1.200 Wasserbehörden wurden in 50% aller Städte und Landkreise Chi-nas eingerichtet.

20 Siehe § 12 Abs. 2 und 4 sowie einzelne Vorschriften in §§ 64-77 chinWas-serG.

21 Wie z.B. § 65 Abs. 1, 1. Hs; § 65 Abs. 2, 1. Hs; § 67 Abs. 1, 1. Hs;22 Wie z.B. in § 65 Abs. 1, 2. Hs; § 65 Abs. 2 zweiten Halbsatz; § 66; § 67 Abs. 1

zweiten Halbsatz und Abs. 2; § 68; § 69 Abs. 1, 1. Hs; § 71; § 72, 1. Hs.23 Umgerechnet 2.000 und 10.000 Euro.24 Siehe oben Fn 7.

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Xun Yu, Wasser recht l iche Inst rumentar ien der Wassere insparung in der Vo lks republ ik China | A U F S Ä T Z E

Bei Organisationseinheiten mit einem Fuhrpark von 50 Autos; fürden ein Sammelparkplatz besteht;bei Organisationseinheiten, die über 50 Autos pro Tag waschenoder monatlich für die Autowäsche über 300 Kubikmeter Wasserverbrauchen;bei Autowäschefirmen.

2. Rechtsfolge

Gemäß § 10 der vorläufigen Methode Schanghai werden die fol-genden Verletzungshandlungen von den Verwaltungs-Dienststel-len der Planung des Wasserverbrauchs als Vollzugsbehörden nachder »Verwaltungsregelung der Stadt Schanghai zur Wasserversor-gung«25 und der »Verwaltungsmethode der Stadt Schanghai zurWassereinsparung«26 sanktioniert:– Verstoß gegen die Regelung des § 8 Abs. 1;– Anbieten eines Anschlusses für die Autowäsche ohne Genehmi-

gung;– fehlende Installation von Wasserzählern in Waschunterneh-

men.

E. Zusammenfassung im Hinblick auf das deutsche Wasserrecht

Die Ordnung der Wasserwirtschaft ist eine dem Wohl der Allge-meinheit dienende Aufgabe und »gehört zu den typischen Angele-genheiten des öffentlichen Rechts, die mit den Mitteln des Privat-rechts kaum erfüllt werden können.«27 Die Umweltsituation ein-schließlich der Wasserknappheit in China ist alarmierend. Die indie Wege geleiteten rechtlichen und ökonomischen Mittel habenwenigstes den Umweltschutz einen Schritt voran gebracht. Nebender Lenkungswirkung bezüglich des alltäglichen Wasserver-brauchs mittels einer Preiserhöhung28 spielt das rechtliche Instru-mentarium eine wichtige Rolle.

Wichtige rechtliche Rahmenbedingungen zur Verbesserung derUmwelt bzw. der Wassereinsparung sind bereits in China geschaf-fen worden. Die Gesetze, die durch den Volkskongress und denStaatsrat Chinas verabschiedet wurden, sowie die verwaltungs-rechtlichen Verordnungen, die von verschiedenen Ministerienund den lokalen Regierungen und deren Behörden verabschiedetwurden, sind in China die Normen, die als Wasserrecht bezeichnetwerden können. In Deutschland bilden das WHG und die Landes-wassergesetze nach wie vor die wasserwirtschaftsrechtlichen Kern-gesetze.29

Ähnlich wie das deutsche Gesetz zur Ordnung des Wasserhaus-halts (WHG) ist das chinWasserG von seinem Ursprung hertypisch polizei- und ordnungsrechtlicher Natur.30 Das chinWas-serG regelt in seinem Kern einzelne Fälle über den Erlass von Ge-und Verboten durch die Eingriffsverwaltung und enthält generelleRegeln für Wasserschutz und Einsparung.

Wegen des Erlasses vor allem des chinWasserG haben die Lands-regierungen31 entsprechende kommunale Verwaltungsordnungenbezüglich des Wasserrechts bzw. der Wassereinsparung verabschie-det. Die verwaltungsrechtlichen Verordnungen der Landesregie-rungen, die sich auf die Wassereinsparung beziehen, sollen dieentsprechenden prinzipiell geltenden Bestimmungen in Gesetzenum ein Lenkungsinstrument ergänzen.32 Die entsprechendenRegelungen werden sicherlich die betriebswirtschaftlich ausge-richteten Entscheidungen der Unternehmer beeinflussen.33

Während in Deutschland ein prinzipiell mischinstrumentellesEingriffsmuster bei Gewässerschutz angestrebt wird,34 greift diechinesische Regierung überwiegend durch ordnungsrechtlichesVorgehen im Rahmen des Umweltschutzes einschließlich derWassereinsparung ein. Eine wirksame Ordnung des Wasserhaus-haltes kann sich aber nicht mit dem klassischen Instrumentariumder eingreifenden, repressiven, leistenden und planenden Verwal-

tung und mit Bestimmungen begnügen, die nur die Inanspruch-nahmen der Gewässer regeln.35 Sie muss sich auch sonstiger, z.B.ökonomischer, Mittel bedienen36 und vor allem möglichst frühzei-tig ansetzen.37 Die ökologischen Steuerungsinstrumente, z.B.Erhöhung des Wasserpreises, sind jedoch angesichts des nochniedrigen Wasserpreises und des mangelnden Umweltbewusst-seins in China wenig wirksam.38 Bislang werden die Kosten für denWasserverbrauch stark subventioniert. Die Knappheit des Guteskommt so nicht zum Ausdruck. Dies begünstigt sogar den ver-schwenderischen Umgang sowohl in der Landwirtschaft, als auchin der Industrie und den privaten Haushalten.39 In ländlichenRegionen muss bei der Erhöhung der Preise freilich der Zahlungs-fähigkeit der Bewohner Rechnung getragen werden. Die Praxis inChina hat gezeigt, dass sich der Verwaltungsprozess einfach undschnell vollzieht und so gegen die Wasserverschwendung erfolg-reich ist. Aufgrund der gegenwärtigen Wasserknappheit in Chinawird imperatives Verwaltungshandeln auch bei der Wassereinspa-rung als vorrangig erachtet.

Die oben vorgenommenen Kommentierungen zu den Regelun-gen der Stadt Peking und Schanghai sind ferner ein Beispiel dafür,wie Wassersparmaßnahmen in der Praxis durch die in China cha-rakteristischen Verwaltungsverordnungen geregelt wurden. Diebeiden kommunalen Verordnungen haben die ordnungs- undbewirtschaftungsrechtlichen Mittel des Wasserrechts um ein Len-kungsinstrument bedeutend ergänzt. Durch die Bestimmungen,wie etwa des § 24 der Methode Peking i.V.m. § 68 chinWasserGsowie § 8 der »Vorläufigen Methode Schanghai«, werden Unter-nehmen im Rahmen ihrer Entscheidungen mit umweltpoliti-schen Themen konfrontiert, jedoch muss sich die chinesischeRechtspraxis von der Tauglichkeit der rechtlichen Basissteuerungfür eine (ergänzende) Marktlenkung erst noch überzeugen lassen.

25 Diese Regelung wurde am 21.6.1996 auf der 28. Sitzung des ständigen Aus-schusses des X. Volkskongresses verabschiedet und am 10.10.2003 auf der 7. Sit-zung des ständigen Ausschusses des XII. Volkskongresses geändert.

26 Am 27.6.1994 wurde diese Methode durch die 69. Mitteilung der Schang-haier Regierung bekannt gegeben und am 14.12.1997 durch die 53. Mittei-lung der Schanghaier Regierung geändert.

27 Vgl.: BVerfG v. 15.7.1981 BVerfGE 58, 344 = ZfW 1982, 294 f.28 Über die Festlegung eines vernünftigen Wasserpreises in China siehe: Shen

Dajung, Theorie und Praxis des Wasserpreises, Science Press China, 1999.29 Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 2. Auflage, München 1987,

Rn. 7.30 Bzgl. des deutschen Rechts: siehe Czychowski: Einleitung, S. 59; vgl. auch

Henseler, NuR 1984, 249 u. 250. 31 Hier die Regierungen von Provinzen, Autonomiegebieten und den direkt

verwalteten Städten in China.32 Breuer, Rn. 10, 11; Engelhardt, ZfW 1980, 336; Czychowski, Einleitung, S. 47.33 Vgl. etwa §§ 23, 24 der Methode Peking und § 8 der Vorläufigen Methode

Schanghai.34 Siehe Bawel, ZfW 1994, S. 254.35 Czychowski, Kommentar zum Wasserhaushaltsgesetz, 7. Aufl., Einleitung,

S. 46.36 Dazu allgemein siehe Kluth, NuR 1997, 108.37 Siehe die umfangreiche Aufzählung bei Nisipeanu, Abwasserrecht, 1991, S. 12 ff.38 So liegt der Haushaltswasserverbrauch pro Kopf und Jahr in China um zwei

Drittel höher als in Deutschland; siehe Heymann, Deutsche Bank Research,S. 9.

39 Heymann, Deutsche Bank Research, Umweltsektor China, S. 9.

Dr. jur. Xun YuWashTec Cleaning Technologie GmbH Augsburg, http://www.xunyu.de.vuAktuelle Veröffentlichungen: China Copyright, 2002, Peking/China;Immobilienwirtschaft und Recht, 2004, Freiburg/Deutschland; Scha-densersatz im Urheberrecht, Sierke Verlag, 2005, Göttingen/Deutsch-land.

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248 | ZUR 5/2006

R E C H T S P R E C H U N G | VGH Kasse l , LKW-Fahrverbot für Mautausweichst recken

R E C H T S P R E C H U N G

gemäß § 45 StVO (…) berechtigt sind, dass sie aber, falls wid-mungsgemäßer Verkehr durch bestimmte Fahrverbote ausge-schlossen werden soll, auf die für die jeweilige Fernstraße getrof-fene Nutzungsentscheidung die gebotene Rücksicht nehmen müs-sen, nämlich in der Weise, dass die vom Bund vorgegebeneKonzeption des Fernstraßenverkehrs durch das konkrete Verbotnicht in Frage gestellt wird.

Die vorstehenden Überlegungen führen zu der Feststellung, dassin diesen Fällen die von der zuständigen Behörde in Anspruchgenommenen Anordnungsgründe ein solches Gewicht habenmüssen, das demjenigen des Leitschutzguts der (verkehrsbezoge-nen) öffentlichen Sicherheit (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StVO) entspricht(vgl. Steiner, a.a.O., Seite 343 unter Hinweis auf den Senatsbe-schluss vom 12. November 1992 – 2 TG 1527/92 –, NVwZ-RR1993, 389 ff.). Angesichts der vollkommenen tatbestandsmäßigenOffenheit des auf den »Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärmund Abgasen« abzielenden § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO bedarfes, wenn entsprechender Schutz gerade durch Anordnung vonVerkehrsverboten für den LKW-Fernverkehr gewährt werden soll,einer tatbestandsbezogenen restriktiven Auslegung dieser Ermäch-tigungsnorm, und zwar dergestalt, dass innerhalb eines konkretenräumlichen Bereichs von den durch den Straßenverkehr verur-sachten Lärm- und/oder Abgasimmissionen eine im Hinblick aufArt. 2 Abs. 2 Satz 1 GG relevante Gesundheitsgefährdung derWohnbevölkerung ausgehen muss; eine derartige Gefährdung dermenschlichen Gesundheit durch Straßenverkehrslärm mag (…)bei Überschreitung eines (…) Beurteilungspegels von 70 dB(A) tags(…) vorliegen. Lässt sich eine derartige Überschreitung (…) ermit-teln, steht der Erlass eines Fahrverbots im behördlichen Ermessen,das in Form einer normativ nicht näher strukturierten Abwä-gungsentscheidung auszuüben ist. Voraussetzung einer rechtmä-ßigen Ermessensausübung ist dabei aber jedenfalls, dass das Fahr-verbot in seiner konkreten Ausgestaltung zum Schutz der Wohn-bevölkerung vor Verkehrslärm geeignet sowie erforderlich seinmuss und dass es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ent-spricht (…) Insoweit folgerichtig rügt die Antragstellerin (…), derAntragsgegner habe das ihm durch § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVOeingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt. Diese (…)Gründe ergeben jedoch ebenfalls nicht, dass das streitgegenständ-liche Verbot bereits im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren alsoffensichtlich rechtswidrig zu qualifizieren wäre (…);

Der Antragstellerin ist allerdings darin beizupflichten, dass beiZugrundelegung der bis zum 3. August 2005 gewonnenen tat-sächlichen Erkenntnisse über die Verkehrsbelastung der B 27durchaus zweifelhaft erscheint, ob das an diesem Tag von demRegierungspräsidium Kassel nach entsprechender »Bitte gemäß §44 Abs. 1 Satz 2 StVO«, d.h. einer Weisung des Hessischen Minis-teriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 2.August 2005 erlassene Verkehrsverbot eine tragfähige Grundlageallein in § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO – in der vorstehend skiz-zierten, für Bundesfernstraßen gebotenen restriktiven Auslegungfinden kann. Entsprechende (…) Bedenken ergeben sich vor allemaus dem Umstand, dass sich das Erfordernis zur Sperrung der B 27im nördlichen Bereich (…) aus der »Überschreitung der Lärm-grenzwerte in E.« ergeben soll. Zwar werden in der dortigen Orts-durchfahrt drei in einem Wohngebiet liegende Häuser (…) tagsvon einer 70 dB(A)-Isophone durchschnitten; über sonstigeErkenntnisse, die für eine Gesundheitsgefährdung der Wohnbe-völkerung an der B 27 im hier betrachteten nördlichen Abschnitt(…) sprechen könnten, verfügt der Antragsgegner (…) nicht. Ins-

LKW-Fahrverbot für Mautausweichstrecken

VGH Kassel, Beschluss vom 16. Januar 2006 – 2 TG 2606/05

Leitsätze:1. LKW-Durchfahrverbote für Bundesstraßen, die als Mautaus-

weichstrecken genutzt werden, greifen als »statusnahe« stra-ßenverkehrliche Anordnungen ihrem Gehalt nach in die Wid-mung der Straße ein. Aus Gründen der gebotenen Rücksicht-nahme auf die Straßennutzungskonzeption des Bundes ist dieAnordnung von Durchfahrverboten auf Grundlage des § 45Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO daher auf Fälle beschränkt, in denen dieLärm- oder Abgasimmissionen eine Gesundheitsgefährdungbei der Wohnbevölkerung verursachen. (Leitsatz der Redak-tion)

2. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO, wonach das Oberverwaltungsge-richt nur die dargelegten Gründe prüft, enthebt das Beschwer-degericht in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 nicht derVerpflichtung zu prüfen, ob sich die angefochtene Entschei-dung zwar nicht mit der von der Beschwerde angegriffenenBegründung des Verwaltungsgerichts, wohl aber aus anderenGründen als im Ergebnis richtig erweist.

Vorinstanz: VG Kassel, AZ: 2 G 1215/05

Aus den Gründen:Die (…) Beschwerde der Antragstellerin (…) bleibt jedoch in derSache ohne Erfolg. (…) Die Antragstellerin hat als Betreiberin einer»speziellen LKW-Tankstelle« das mit Wirkung vom 5. August2005 für die Dauer eines Jahres u.a. für den Abschnitt der B 27zwischen den Anschlussstellen (…) angeordnete (ganztägige)»LKW-Fahrverbot« hinzunehmen, weil die insoweit geboteneInteressenabwägung zu ihrem Nachteil ausgeht.(…)

Soweit die Antragstellerin ihre Beschwerde in erster Linie aufden Rechtsstandpunkt stützt die (…) »Sperrung der B 27 für Last-kraftwagen über 3,5 t sei nicht mit verkehrsbehördlichen Anord-nungen gemäß § 45 StVO, sondern nur über ein wegerechtlichesEinziehungsverfahren möglich«, vermag sich der beschließendeSenat ihrer Auffassung nicht anzuschließen. Die Überlagerungs-oder Verdrängungsfähigkeit straßenverkehrsrechtlicher Anord-nungen (…) zu Lasten der Widmung und des widmungsgemäßenVerkehrs auch auf Bundesstraßen ist vielmehr jedenfalls demGrunde nach anerkannt (…) Dies hat sich seinerzeit schon bei derDiskussion über Zulässigkeit und Grenzen der verkehrsrechtlichenAnordnung von Nachtfahrverboten zu Lasten des Lastkraftwagen-verkehrs auf Bundesstraßen (vgl. hierzu im Einzelnen: Steiner,DAR 1994, 341 ff. mit zahlreichen Nachweisen) gezeigt. Für vonLandesbehörden ganztägig (…) angeordnete, nur räumlich undsachlich beschränkte Lkw-Fahrverbote gilt grundsätzlich nichtsanderes. Solche Verbote haben (…) in Bezug auf die widmungsge-mäße Funktion von Bundesfernstraßen ein anderes Gewicht alsbeispielsweise bloße Geschwindigkeitsbeschränkungen oder fürbestimmte Streckenabschnitte angeordnete Überholverbote; siegreifen als »statusnahe« straßenverkehrsbehördliche Anordnun-gen ihrem Gehalt nach in die Widmung (§ 2 i.V.m. § 1 Abs. 1und 2 FStrG) ein und werfen demzufolge die Frage auf, ob jeder in§ 45 StVO aufgeführte Anordnungsgrund – unabhängig von sei-nem jeweiligen Gewicht im Einzelfall – einen solchen Eingriffrechtfertigen kann.

Diese Frage ist im Anschluss an Steiner (a.a.O., Seite 342 f.)dahin zu beantworten, dass die Landesstraßenverkehrsbehördenin Bezug auf die Bundesfernstraßen zwar zu allen Anordnungen

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besondere fehlen jegliche Feststellungen dazu, ob eine auch fürdie Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr angeordnete Sperrung derOrtsdurchfahrt E. für den »LKW-Durchgangsverkehr (ab 3,5 t)«zum Schutz der in den Häusern (…) lebenden Menschen über-haupt erforderlich oder ob (…) gebotener Lärmschutz nicht bereitslängst durch Einbau von Schallschutzfenstern oder in geeigneteranderer Weise sichergestellt ist. Weiterhin ist bislang (…) unge-klärt, ob (…) das streitgegenständliche Verkehrsverbot zur Errei-chung des Lärmschutzziels, nämlich einer Verringerung des Ver-kehrslärms um 3 dB (A) objektiv geeignet ist; über die Äußerungeiner bloßen Erwartung, der LKW-Verkehr werde infolge diesesVerbots in einem Umfang zurückgehen, der zu einer spürbar gerin-geren Lärmbelastung führen werden, gehen auch (…) festgehalte-nen Erwägungen des Antragsgegners nicht hinaus. Insoweitbedarf es aber tragfähiger tatsächlicher Feststellungen. Schließlicherscheint in hohem Maße fraglich, ob selbst eine von den Bewoh-nern dreier Häuser in der Ortsdurchfahrt E. nach den Gesetzen derAkustik wahrnehmbare Lärmreduzierung (…) unter dem Gesichts-punkt der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dieSperrung eines so langen Abschnitts der B 27 (nur) für den »Durch-gangsverkehr« rechtfertigen könnte. Insoweit dürften sich, fallseiner Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch übermäßi-gen Straßenverkehrslärm (…) im nördlichen Abschnitt der B27nur in einer einzigen Ortslage, im südlichen Abschnitt (…) in zweiweiteren Ortslagen (…) entgegengewirkt werden müsste, Maßnah-men des aktiven - falls nach den räumlichen Gegebenheiten mög-lich - oder des passiven Lärmschutzes (…) geradezu aufdrängen.Jedenfalls wäre voraussichtlich eine Beschränkung auf derartigeSchutzvorkehrungen und damit der Verzicht auf ein weiträumigangelegtes Verkehrsverbot für Lastkraftwagen gerade auch im Hin-blick auf § 45 Abs. 9 StVO nicht als ermessensfehlerhaft zu bean-standen, falls ein von Verkehrslärm betroffener Anwohner einstraßenverkehrsbehördliches Einschreiten zur Minderung der voneiner Bundesstraße ausgehenden Lärmbelastung gerichtlicherzwingen wollte. (…)

Dass der Antragsgegner bisher noch keine hinreichenden tat-sächlichen Feststellungen getroffen hat bzw. treffen konnte, (…)steht offenkundig in einem – zumindest zeitlichen – Zusammen-hang mit der Einführung der LKW-Maut auf Autobahnen und derhierdurch verursachten Mehrbelastung von (bisher noch maut-freien) Bundesstraßen, die, wie wegen der ungünstigen Trassen-führung der A 5/A 7 über die »Kasseler Berge« seit langem auch dieB 27 (…) als für den Schwerverkehr attraktive Ausweichstreckenbenutzt werden und deshalb alsbald nach dem 1. Januar 2005eine teilweise sprunghafte Zunahme dieses Verkehrsanteils zu ver-zeichnen hatten. Dass es gerade im Sommer 2005 (…) zu einer denErlass eines ganztägigen LKW-Fahrverbots betreffenden Weisungan die obere Straßenverkehrsbehörde gekommen ist, findet des-halb seine Erklärung und rechtliche Grundlage erkennbar nichtausschließlich in der Ermächtigung der Straßenverkehrsbehördenaus § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO, zum Schutz der Wohnbevölke-rung vor Lärm und Abgasen verkehrsbeschränkend oder – verbie-tend tätig zu werden. Vielmehr stützt sich die jedenfalls auch als(eilbedürftige) Reaktion auf die »Mautfluchtbewegung« zu verste-hende Entscheidung des Antragsgegners der Sache nach auf dieweitere Ermächtigungsvorschrift des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO,wonach die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmterStraßen oder Straßenstrecken zur Erforschung des Unfallgesche-hens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie zurErprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnderMaßnahmen beschränken oder verbieten und den Verkehr umlei-ten können. Dies ergibt sich für das Beschwerdegericht hinrei-chend deutlich aus der Weisung des Hessischen Ministeriums fürWirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 2. August 2005,

worin es ausdrücklich heißt: »Die Sperrung ist auf ein Jahr befristetmit der Maßgabe von begleitenden verkehrlichen Untersuchun-gen durch die Hessische Straßen- und Vekehrsverwaltung.« DasRegierungspräsidium K. hat dementsprechend seine Anordnungvom 3. August 2005 »mit Wirkung vom 05.08.2005 für die Dauervon einem Jahr« getroffen, ohne allerdings hierbei auf die Durch-führung begleitender Verkehrsuntersuchungen einzugehen. Ander zwingend auf den Erprobungscharakter des streitgegenständli-chen Verkehrsverbots hinweisenden Befristung muss sich derAntragsgegner nach Maßgabe der Senatsrechtsprechung(Beschluss vom 19. Oktober 1992 – 2 TH 246/92 –, UPR 1993, 74 ff.m.w.N.) festhalten lassen. Danach muss zur Erforschung des Ver-kehrsverhaltens sowie zur Erprobung geplanter verkehrsregelnderMaßnahmen der hierzu ermächtigten Behörde regelmäßig einZeitraum von einem Jahr zugestanden werden, damit jahreszeitli-che Besonderheiten der Verkehrsabläufe vollständig erfasst undkorrekt in den Entscheidungsprozess eingestellt werden können.Außerdem muss der Behörde bei »Verkehrsverboten auf Probe«(…) eine angemessene Frist zur Entscheidung darüber eingeräumtsein, zu welchen von der Straßenverkehrsbehörde zu veranlassen-den Maßnahmen das erforschte Verkehrsverhalten bzw. dieerprobte Verkehrsregelung letztlich Anlass geben. Diese Frist wirdsich im Regelfall auf drei Monate (nach Ablauf des Jahreszeit-raums) belaufen, kann sich aber bei Vorliegen triftiger Gründeauch verdoppeln.

§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO bietet, auch wenn diese Bestim-mung einschränkende Anwendungsvoraussetzungen nicht aus-drücklich aufführt, demgegenüber keine rechtliche Handhabedafür, eine Verkehrsbeschränkung länger andauern zu lassen, alses nach dem Normzweck (…) erforderlich ist. Im Übrigen muss fürdie Erprobung verkehrsregelnder Maßnahmen – selbstverständ-lich – ein hinreichender sachlicher Grund vorliegen, der hierjedoch in der nach Einführung der LKW-Maut auf Bundesauto-bahnen - jedenfalls zunächst – wesentlich verschärften Verkehrssi-tuation auf der B 27 und der dadurch verursachten zusätzlichenBelastung der Wohnbevölkerung mit (Schwerverkehrs-)Lärm zuerblicken ist. Ob darüber hinaus ein fiskalisches Interesse daran,LKW-Verkehr in möglichst großem Umfang auf mautpflichtigeAutobahnstrecken zu verweisen, ebenfalls als hinreichender sach-licher Grund für eine auf § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO gestützteErprobungsmaßnahme in Betracht kommt, bedarf hier deshalbkeiner Entscheidung. (…)

Schließlich ist der beschließende Senat nicht durch die dengerichtlichen Kontrollumfang begrenzende Vorschrift des § 146Abs. 4 Satz 6 VwGO daran gehindert, seiner Entscheidung vonAmts wegen – ohne dass sich ein Beteiligter hierauf berufen hätte -zugrunde zu legen, dass eine straßenverkehrsbehördliche Anord-nung, die allein auf der Grundlage des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3StVO (noch) nicht gerechtfertigt sein mag, im Übrigen ihre ausrei-chende Grundlage aber in Nr. 6 dieser Vorschrift finden kann undim vorliegenden Streitfall (…) auch tatsächlich findet. § 146 Abs. 4Satz 6 VwGO bezeichnet nämlich keinen speziellen Prüfungsmaß-stab in dem Sinne, dass eine Beschwerde bereits dann Erfolg habenmüsste, wenn die vom jeweiligen Beschwerdeführer fristgerechtdargelegten Gründe zutreffend einen Mangel der erstinstanzli-chen Entscheidung aufzeigen. Vielmehr hat das Beschwerdege-richt seine Prüfung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzesan den in § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ausdrücklich aufgeführten§§ 80, 80 a und 123 VwGO auszurichten. Deshalb hat es – nichtanders als unter der Geltung des früheren Rechts (vgl. § 146 VwGOin der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) zu prüfen,ob sich die angefochtene Entscheidung zwar nicht mit der von derBeschwerde angegriffenen Begründung des Verwaltungsgerichts,wohl aber aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig erweist.

ZUR 5/2006 | 249

VGH Kasse l , LKW-Fahrverbot für Mautausweichst recken | R E C H T S P R E C H U N G

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250 | ZUR 5/2006

R E C H T S P R E C H U N G | Prax i sh inweis Krohn zum Besch luss des VGH Kasse l

Dieses Verständnis des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO steht im Einklangmit dem aus der Entstehungsgeschichte der Norm erkennbarenZweck der mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in Kraft getretenenGesetzesänderung, nämlich das Beschwerderecht zu vereinfachen,ohne zum früheren Rechtszustand der zulassungsfreienBeschwerde mit voller Überprüfung der angegriffenen Entschei-dung zurückzukehren (…).

Aus alledem folgt, dass (…) ihrem vorläufigen Rechtsschutzan-trag nicht schon im Hinblick auf eine bei summarischer Prüfungzutage tretende offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochte-nen Verbots zu entsprechen ist. Die Entscheidung hängt deshalbvon dem Ergebnis einer gerichtlichen Interessenabwägung ab (…)Allerdings hat ein – unter Haushaltsgesichtspunkten durchausnaheliegendes – Interesse an der Erzielung möglichst hoher Ein-nahmen aus der Autobahn-Maut in diesem Zusammenhang unbe-rücksichtigt zu bleiben; denn eine Rechtsgrundlage dafür, dasseine entsprechende Zielsetzung mit den den Straßenverkehrsbe-hörden nach § 45 StVO zu Gebote stehenden Maßnahmen ver-folgt wird, existiert (noch) nicht. (…)

Praxishinweis

1. Seit dem 1.1.2005 wird für die Benutzung der Bundesautobah-nen durch schwere Nutzfahrzeuge eine streckenbezogene Nut-zungsgebühr erhoben. Um sich der Gebührenpflicht zu entziehen,ist der prinzipiell mautpflichtige Schwerlastverkehr zum Teil aufnicht bemauerte Straßen ausgewichen1. Abgesehen von den durchmautbedingte Verkehrsverlagerungen entstehenden Einnahme-ausfällen können derartige Ausweichverkehre zu erhöhten Lärm-und Schadstoffbelastungen der Anwohner der »Maut-Umge-hungsstraßen« führen. Mit § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO räumt dasStraßenverkehrsrecht den zuständigen Behörden die Befugnis ein,für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken »zum Schutz derWohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen« Verkehrsbeschränkun-gen oder -verbote zu erlassen. Im Rahmen dieser Regelung existie-ren keine spezifischen Schwellenwerte, deren Überschreitung zumbehördlichen Tätigwerden ermächtigt. Die Straßenverkehrsbehör-den haben vielmehr einzelfallbezogen zu ermitteln, »was unterBerücksichtigung der Belastung des Verkehrs im konkreten Fall alsortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss«2.Als Orientierungswerte können insoweit die Grenzwerte der 16.BImSchV dienen3. Ebenso wenig wie die Unterschreitung der dortgenannten Schwellenwerte Verkehrsbeschränkungen oder -ver-bote per se ausschließt, zieht eine Überschreitung dieser Wertebehördliche Anordnungen zwingend nach sich. Auch bei einerLärmbelastung oberhalb der Lärmpegel der 16. BImSchV steht dieDurchführung von Maßnahmen im Ermessen der Behörde. Einerechtmäßige Ausübung dieses Ermessens erfordert eine umfas-sende Abwägung aller von der in Aussicht genommenen Verkehrs-beschränkung berührten Interessen.

2. In seinem Beschwerdebeschluss im einstweiligen Rechtsschutz-verfahren gegen die Anordnung eines LKW-Fahrverbots für eineBundesstraße modifiziert der VGH Kassel die vorstehend skizziertePrüfungssystematik. Der VGH geht dabei zutreffend von der Fest-stellung aus, dass ein LKW-Fahrverbot eine bestimmte Form derStraßennutzung auszuschließen bezweckt, die prinzipiell von derdurch Widmung bestimmten Verkehrsfunktion der (Fern-) Straßegedeckt ist. Als »statusbezogene« Verkehrsbeschränkung beein-trächtigt das Fahrverbot seinem Gehalt nach die getroffene Wid-mungsentscheidung, die im Falle einer Bundesstraße dem Bund alsTräger der Straßenbaulast obliegt (§§ 1 Abs. 1 und 2, 2 Abs. 1 FStrG).Die Entscheidung des Bundes zugunsten einer bestimmten Straßen-nutzungskonzeption kann nach Auffassung des VGH nicht über

straßenverkehrsrechtliche Anordnungen zur Disposition der Lan-desbehörden gestellt werden. Die zuständigen Landesbehörden hät-ten im Rahmen straßenverkehrsrechtlicher Maßnahmen die gebo-tene Rücksicht auf die vom Bund getroffene Nutzungsentscheidungzu nehmen und dürften seine Konzeption des Fernstraßenverkehrsüber Fahrverbote nicht in Frage stellen. Um dem Rücksichtnahme-gebot zu genügen, erachtet das Gericht eine restriktive Auslegungdes Tatbestandes des § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO für erforderlich undinterpretiert in diesen eine behördliche Eingriffsschwelle quasihinein. Die Anordnung von Durchfahrverboten für den LKW-Ver-kehr soll danach erst in Betracht kommen, wenn von den verkehrs-bedingten Lärm- oder Abgasimmissionen eine Gesundheitsgefähr-dung für die Wohnbevölkerung ausgeht. Der Interessenkonflikt zwi-schen der Aufrechterhaltung der Verkehrsfunktion derBundesstraße bzw. der sie betreffenden Widmungsentscheidung desBundes und den Schutzinteressen der Anwohner soll also imWesentlichen auf Tatbestandsebene und somit abstrakt entschiedenwerden. Ist eine Gesundheitsgefährdung nicht nachweisbar, sollenFahrverbote schon mangels Erfüllung des Tatbestandes des § 45 Abs.1 S. 2 Nr. 3 StVO ausscheiden.

Ein derartiger Ansatz stößt auf Bedenken: Einerseits bereitet erangesichts der Tatsache, dass sich die Gesundheitsgefährlichkeitvon Straßenverkehrslärm nach den Erkenntnissen der Lärmwir-kungsforschung nicht in der Überschreitung eines bestimmtenGrenzwertes ausdrücken lässt, nicht nur erhebliche praktischeSchwierigkeiten4. Vielmehr führt die einheitlich anzulegende,hohe Eingriffsschwelle auch zu einer äußerst fragwürdigen Nivel-lierung des Lärmschutzes. Eine gebietsbezogene Differenzierungder Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit der Anwohner, so wie sieauch in der 16. BImSchV zum Ausdruck kommt, ist mit dem inForm des Kriteriums der Gesundheitsgefährdung unterschiedslosformulierten Schutzniveau nämlich nicht vereinbar. Infolge dieseseinheitlichen und dabei lediglich am verfassungsrechtlich zwin-gend gebotenen Mindestmaß ausgerichteten Schutzstandards hät-ten die Gebiete, die bis dato von einer verkehrsbedingten Verlär-mung freigehalten werden konnten, die größten Lärmzuwächsehinzunehmen, bevor ein LKW-Durchfahrverbot dort überhauptangeordnet werden könnte.

3. Keine Berücksichtigung im Beschluss des VGH hat die zum1.1.2006 in Kraft getretene 15. Verordnung zur Änderung der StVOgefunden, mit der nach dem Willen des Verordnungsgebers im Inte-resse eines verbesserten Schutzes der Anwohner eine »speziell fürMautausweichverkehre definierte, abgesenkte Eingriffsschwelle«5

für ein behördliches Einschreiten formuliert werden sollte. Dazuwurde § 45 Abs. 9 StVO mit dem neu eingefügten Satz 3 um eineVorgabe ergänzt, nach der Beschränkungen oder Verbote des flie-ßenden Verkehrs u. a. zum Schutz der Anwohner vor Lärm undAbgasen angeordnet werden können, »soweit dadurch erheblicheAuswirkungen veränderter Verkehrsverhältnisse, die durch dieErhebung der Maut nach dem Autobahnmautgesetz für schwereNutzfahrzeuge hervorgerufen worden sind, beseitigt oder abgemil-dert werden können«. § 45 Abs. 9 S. 3 StVO ist dabei als abwei-chende Regelung zu Satz 2 des Absatzes 9 konzipiert. Dieser modifi-ziert die Ermächtigungsgrundlagen des § 45 Abs. 1 StVO für Fälle derBeschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs und verlangtinsoweit (zusätzlich) das Vorliegen einer Gefahrenlage, die – erstens

1 Zum Umfang der so genannten Mautausweichverkehre vgl. den Bericht der Bun-desregierung über die Verlagerungen von schwerem LKW-Verkehr auf das nach-geordnete Straßennetz infolge der Einführung der LKW-Maut vom 13.12.2005,BTDrucks 16/2989.

2 So grundlegend BVerwGE 74, 234 (236).3 BayVGH, BayVBl. 1999, 371 (372); OVG Münster, ZUR 2003, S. 368 ff.4 Zum Stand der Wissenschaft vgl. insoweit die Ausführungen des Sachver-

ständigenrats für Umweltfragen im Sondergutachten „Umwelt und Stra-ßenverkehr“, Baden-Baden 2005, Tz. 26 ff.

5 Begründung zum Verordnungsentwurf, BRDrucks 824/05, S. 7.

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ZUR 5/2006 | 251

– auf »besondere örtliche Verhältnisse« zurückzuführen ist und die –zweitens – das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in § 45StVO genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Welche Abweichungen von § 45 Abs. 9 S. 2 StVO die neu einge-fügte Regelung ermöglichen soll, lässt sich nur schwer erschlie-ßen. Grundsätzlich kann die überproportionale Nutzung einerStraße durch den Schwerlastverkehr auch zur Annahme besonde-rer örtlicher Verhältnisse im Sinne des § 45 Abs. 9 S. 2 StVO füh-ren,6 wobei die Nutzung der (über-)regionalen Verbindungsfunk-tion einer Straße durch den Mautausweichverkehr allerdings überdas Merkmal der besonderen Ortsbezogenheit hinausgehendürfte. Hier käme allenfalls § 45 Abs. 9 S. 3 StVO zur Anwendung.Zur Prüfung einer spezifischen Gefahrensituation im Sinne desSatzes 2 wäre die Straßenverkehrsbehörde gehalten, einen Ver-gleich zwischen dem Grad der Schutzgutgefährdung an einerMautausweichstrecke und einer durchschnittlich von LKW befah-renen (Bundes-)Straße vorzunehmen7. Hier müsste eine erhebli-che Diskrepanz gegeben sein.

Auch nach Einfügung des neu gefassten Satzes 3 dürfte eine sol-che vergleichende – allerdings allein auf die konkrete Straße bezo-gene – Betrachtung nicht entbehrlich werden. Die Feststellung»veränderter Verkehrsverhältnisse, die durch die Erhebung derMaut nach dem Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeugehervorgerufen worden sind«, verlangt nämlich denknotwendigeine Gegenüberstellung der Verkehrsituation ex ante und ex post.Was die Feststellungen hinsichtlich der aus verschiedenen zeitli-chen Blickwinkeln formulierten »Gefahrenlage« (Satz 2) bzw. der»Auswirkungen« (Satz 3) betrifft, wird man diese aber an unter-schiedlichen Erheblichkeitsschwellen zu messen haben. In Über-einstimmung mit der Zielsetzung des Verordnungsgebers, diebehördliche Eingriffsschwelle bei Mautausweichverkehren zu sen-ken, sind an die Erfüllung des Erheblichkeitskriteriums nach Satz 3geringere Anforderungen zu stellen. Ab wann dabei von erhebli-chen Auswirkungen der Mautausweichverkehre gesprochen wer-den muss, lässt der Verordnungsgeber allerdings offen. Die Ent-scheidung über den Wirkungsgrad des § 45 Abs. 9 S. 3 StVO unddamit auch über die Verbesserung des Lärmschutzes in der Praxiswird also maßgeblich – wie in diesem Bereich auch sonst durchausnicht selten – den Gerichten überantwortet.

Im Hinblick auf die teilweise erheblichen immissionsbedingtenBelastungen durch Mautausweichverkehre8 erscheinen Bestrebun-gen zugunsten eines verbesserten Schutzes der Anwohner notwen-dig und begrüßenswert. Bedauerlich ist allerdings, dass die Bereit-schaft, die Eingriffsbefugnisse der Behörden im Interesse eines ver-besserten Schutzes vor Straßenlärm zu verstärken, nur dort zubestehen scheint, wo sich dies – wie im Falle der Rückführung derMautpflichtigen auf die Autobahnen – auch positiv auf das»Staatssäckel« auswirkt.

Was die vom VGH Kassel vorgenommene restriktive Auslegungdes Tatbestandes des § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StVO für den Fall derDurchfahrverbote auf Bundesstraßen betrifft, dürfte dieser durchdie StVO-Änderung die Grundlage entzogen worden sein. Mit derEntscheidung des Bundes, die Eingriffsschwelle der Straßenver-kehrsbehörden zugunsten eines besseren Schutzes der Anwohnervor Lärm und Abgasen abzusenken, geht der Sache nach eine Auf-wertung der Belange der Wohnbevölkerung an den Ausweichstra-ßen einher. Anders ausgedrückt nimmt der Bund stärkere Beein-trächtigungen der Verkehrsfunktion seiner Bundesstraßenzugunsten der Anwohner – und wohl auch mittelbar im Interesseder Verhinderung größerer Einnahmeausfälle bei der Maut – inKauf. In Anbetracht der Entscheidung, den Länderbehörden stär-kere Eingriffsrechte im Hinblick auf Bundesstraßen zuzuweisen,dürfte auch das Gebot der Rücksichtnahme die vom VGH vorge-

nommene, sehr restriktive Interpretation des § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3StVO jedenfalls nicht mehr erfordern.

4. Im vorliegenden Fall sah sich der VGH in Anbetracht des Feh-lens grundlegender behördlicher Feststellungen zur Anzahl derLärmbetroffenen, ihrer tatsächlichen Schutzbedürftigkeit sowiezur Verhältnismäßigkeit des LKW-Durchfahrverbots im nördli-chen Streckenabschnitt der B 27 insgesamt an der Annahmegehindert, die Behörde habe ihre Anordnung allein auf § 45 Abs. 1S. 2 Nr. 3 StVO stützen wollen. Das Gericht hat daher – unter res-triktiver Auslegung des § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO – die Ermächti-gungsgrundlage des § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StVO ergänzend herange-zogen. Diese ermöglicht u. a. Maßnahmen zur Erforschung desVerkehrsverhaltens und zur Erprobung von Verkehrsregelungen.Die zeitliche Befristung des Durchfahrverbots und der engeZusammenhang zwischen seiner Anordnung und der Weisung desHessischen Verkehrsministeriums, die B 27 unter gleichzeitigerDurchführung begleitender verkehrlicher Untersuchungen fürden LKW-Durchfahrverkehr zu sperren, lässt den Erprobungscha-rakter der Maßnahme durchaus erwägenswert erscheinen. Aller-dings verlangt eine »Erprobung« nach herkömmlichem Begriffs-verständnis, dass eine Lösungsmöglichkeit, die auf Grundlageeiner näheren Analyse und Bewertung der änderungsbedürftigenVerkehrssituation entwickelt worden ist, einem Praxistest unter-worfen wird9. An diesen Anforderungen an die behördlichen »Vor-arbeiten« schien es vorliegend zumindest nach der im einstweili-gen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung jedoch eben-falls zu fehlen, was den Rückgriff auf § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StVOzweifelhaft erscheinen lässt. Feststellungen zur Belastungssitua-tion der Anwohner wären insoweit nämlich nur dann verzichtbar,wenn die Erprobung einem anderen als zulässig anzuerkennendenZiel dienen würde. Ob die Verhinderung von Ausweichverkehrenaus fiskalischen Gründen eine derartige Zielsetzung im Rahmendes § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StVO darstellt, hat der VGH allerdingsoffen gelassen.

Dr. Susan Krohn, Wissenschaftliche Referentin, Sachverständigenrat fürUmweltfragen, Berlin

Lärmschutz in der Straßenplanung

BVerwG, Urteil des 9. Senats vom 23. November 2005 – 9 A 28.04

Leitsatz:Steht ein erheblicher baulicher Eingriff in einen Verkehrsweg inengem konzeptionellen und räumlichen Zusammenhang miteinem bereits planfestgestellten oder während des Prognose-zeitraums absehbaren Weiterbau dieses Verkehrsweges, so ist diedurch den Eingriff bewirkte Erhöhung des Beurteilungspegels desvon dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärmsnach § 1 Abs. 2 der 16. BImSchV zu ermitteln aus der Differenz derim maßgeblichen Prognosezeitpunkt zu erwartenden Beurtei-lungspegel am Immissionsort für den Zustand ohne und für denZustand mit der Gesamtplanung. Das gilt auch dann, wenn derWeiterbau teilweise ohne den in Rede stehenden baulichen Ein-griff durchgeführt werden könnte.

BVerwG, Lärmschutz in der St raßenplanung | R E C H T S P R E C H U N G

6 VG Göttingen, Urteil vom 12.7.2005; Az.: 1 A 97/04 – juris – unter Verweis aufdas BVerwG, NJW 2001, 3139.

7 Zur Interpretation des § 45 Abs. 9 S. 2 StVO vgl. insoweit: BVerwG, NJW2001, 3139 im Anschluss an das OVG Hamburg, NordÖR 2000, 330 (332);OVG Bremen, NordÖR 1999, S. 86 (87).

8 Vgl. dazu den in Fn. 1 erwähnten Bericht der Bundesregierung.9 So das OVG Saarland, VerkMitt 2003, Nr. 47.

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R E C H T S P R E C H U N G | BVerwG, Lärmschutz in der Straßenplanung

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Aus dem Tatbestand:Die Klage richtet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss desRegierungspräsidiums Chemnitz vom 8. Juni 2004 für den »Neu-und Ausbau Knoten Neefestraße/ Südring, Unterführung mitÜberflieger« in der Stadt Chemnitz.

In dem genannten Knotenpunkt kreuzen sich die in Ost-West-Richtung verlaufende B 173 (Neefestraße) und die StadtstraßeSüdring, die dort von Süden nach Norden verläuft. Die vierstrei-fige Neefestraße verbindet als Radiale das Stadtzentrum vonChemnitz mit der westlich der Stadt verlaufenden Bundesauto-bahn A 72. Der ebenfalls vierstreifige Südring ist Teil des soge-nannten Südverbundes, der als halbkreisförmige äußere Tangenteum die südlichen Stadtteile von Chemnitz herumgeführt werdensoll und in weiten Teilen bereits realisiert ist. Der 1980 gebauteSüdring reicht als ca. 250 m langer Straßenstumpf nach Nordenüber die Kreuzung mit der Neefestraße hinaus. Von dort aus wirdder Verkehr über kleinere Gemeindestraßen zur weiter nördlichverlaufenden Zwickauer Straße weitergeleitet.

Der bisher plangleiche Knotenpunkt soll teilniveaufrei umge-baut werden. Es ist geplant, den Geradeausverkehr auf der Neefest-raße in Tieflage und den Verkehrsstrom vom südlichen Teil desSüdrings zum westlichen Teil der Neefestraße mittels eines »Über-fliegers« in Hochlage zu führen; die übrigen Verkehrsbeziehungensollen weiterhin ebenerdig abgewickelt werden. Im Knoten-punktsbereich ist eine Aufweitung der Fahrspuren vorgesehen.

Im nördlichen Anschluss an den Südringstumpf, der in das hierin Rede stehende Ausbauvorhaben einbezogen ist, plant die Beige-ladene als weitere Vorhaben die Fortführung der Ringstraße alsSüdverbund Teil III bis zur Zwickauer Straße und als SüdverbundTeil V bis zur Kalkstraße mit Anbindung an die A 72. Den Bau desSüdverbundes Teil III hat das Regierungspräsidium Chemnitz mitbestandskräftigem Beschluss vom 12. März 2004 planfestgestellt,für den Südverbund Teil V, der Bestandteil des 1994 beschlossenenVerkehrskonzepts der Beigeladenen ist, ist ein Zulassungsverfah-ren noch nicht eingeleitet worden. Der Südverbund soll als Bun-desstraße eingestuft werden.

(…)

Aus den Gründen:Die unter der Sammelbezeichnung »EigentümergemeinschaftBahnstraße 53-59« erhobene Klage der nach Abtrennung der Ver-fahren BVerwG 9 A 37.05 und BVerwG 9 A 38.05 verbleibendenKläger ist zulässig. (…)

Die Klage ist teilweise begründet. Die Kläger können zwar nichtdie mit ihrem Hauptantrag erstrebte Aufhebung des Planfeststel-lungsbeschlusses vom 8. Juni 2004 verlangen, haben aber einenAnspruch auf erneute Entscheidung über die mit ihrem erstenHilfsantrag begehrte Ergänzung des Planfeststellungsbeschlussesum Lärmschutzauflagen.

(…) 2. Die Kläger können aber beanspruchen, dass der Beklagte über

die mit ihrem ersten Hilfsantrag begehrte Anordnung zusätzlicherSchallschutzmaßnahmen unter Beachtung der Rechtsauffassungdes Gerichts neu entscheidet. Dem planfestgestellten Schall-schutzkonzept liegt eine Ermittlung der durch das Planungsvorha-ben bewirkten Lärmsteigerung zu Grunde, die auf unzutreffendenrechtlichen Annahmen über die nach der immissionsschutzrecht-lichen Regelung in den §§ 41, 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr.2, erste Alternative der Verkehrslärmschutzverordnung (16.BImSchV) zu berücksichtigenden Lärmsteigerungsbeiträge beruht(a). Das rechtfertigt zwar noch nicht den begehrten Verpflich-tungsausspruch, führt aber zur Notwendigkeit, über ergänzendeSchutzauflagen neu zu entscheiden (b). Die fehlerhafte Lärmstei-

gerungsprognose bewirkt zugleich die Fehlerhaftigkeit der nach §17 Abs. 1 Satz 2 FStrG gebotenen planerischen Abwägung derLärmschutzbelange der Kläger mit der Folge, dass auch in Befol-gung des planungsrechtlichen Abwägungsgebots erneut überergänzenden Schallschutz befunden werden muss (c).

a) Das planfestgestellte Schallschutzkonzept beruht im Aus-gangspunkt auf der zutreffenden Annahme, dass Ansprüche derKläger auf Schallschutz nur unter dem Gesichtspunkt einerwesentlichen Änderung durch einen erheblichen baulichen Ein-griff (§ 41 Abs. 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG i.V.m. § 1Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 der 16. BImSchV) in Betracht kom-men, also voraussetzen, dass sowohl eine im Sinne dieser Regelungrelevante Lärmsteigerung eintritt als auch die Immissionsgrenz-werte des § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16. BImSchV überschritten wer-den. Die geplanten Schallschutzmaßnahmen sind darauf zuge-schnitten, dass beide Voraussetzungen nur für das zweite unddritte Obergeschoss der Westfassade des Gebäudes Bahnstraße 53-59 erfüllt seien. In der zu Grunde liegenden lärmtechnischenUntersuchung ist jedoch verkannt worden, welche Lärmsteigerun-gen dem baulichen Eingriff zuzurechnen sind.

aa) Zutreffend hat der Beklagte das Vorhaben in lärmtechni-scher Hinsicht weder als Neubau (§ 1 Abs. 1 der 16. BImSchV)noch als bauliche Erweiterung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der 16.BImSchV), sondern als erheblichen baulichen Eingriff (§ 1 Abs. 2Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV) behandelt.

Dass das Vorhaben nicht den Neubau einer Straße betrifft, liegtentgegen der Auffassung der Kläger auf der Hand. Die planfestge-stellte Baumaßnahme erstreckt sich auf einen Bereich, der schonbisher als Straße vorhanden war. Die Schaffung eines drei Ebenenumfassenden Kreuzungsbauwerks an Stelle der vorhandenen plan-gleichen Kreuzung ändert daran nichts. Ebenso wenig wirkt sichder nördlich anschließende Neubau des Südverbundes Teil III aufdie Eigenart der hier in Rede stehenden Maßnahme aus. Die Quali-fizierung dieser Maßnahme als Änderung ist nämlich nicht, wiedie Kläger meinen, Ausdruck einer nach ihrer Auffassung misslun-genen Abschnittsbildung. Auch bei einheitlicher Planfeststellungfür die Umgestaltung des Knotenpunkts und den Weiterbau desSüdverbundes wäre die unterschiedliche Einordnung beider Maß-nahmen durch die Begriffswahl in § 41 BImSchG, § 1 Abs. 1 der16. BImSchV vorgegeben.

Soweit Nr. 28 der Richtlinien für den Verkehrslärmschutz anBundesfernstraßen in der Baulast des Bundes (VLärmSchR 97,VkBl 1997, 434) die Einbeziehung eines bereits vorhandenen Stra-ßenabschnitts in den Lärmschutzbereich einer neu zu bauendenStraße bei grundlegender Funktionsänderung des vorhandenenStraßenabschnitts (Wandel einer Sackgasse oder Anliegerstraße ineine Hauptdurchgangsstraße) vorsieht, kann diese Ausnahme hiernicht zum Tragen kommen. Zum einen betrifft sie nur den anläss-lich der – hier bestandskräftig planfestgestellten – Neubaumaß-nahme geschuldeten Schallschutz. Zum anderen fehlt es an einergrundlegenden Funktionsänderung des Südrings, der schon bisherwegen seiner Einbindung in eine von der Neefestraße zur Zwick-auer Straße reichende Straßenverbindung den Charakter einerDurchgangsstraße hatte und dementsprechend erheblich mit Ver-kehr belastet war.

Bei dem Vorhaben handelt es sich auch nicht um eine baulicheErweiterung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der 16.BImSchV. Baulich erweitert wird eine Straße nur, wenn sie zusätzli-che Fahrstreifen zwischen verschiedenen Verknüpfungen mit demStraßennetz im Übrigen erhält, nicht dagegen, wenn zusätzlicheFahrbahnebenen in einem Kreuzungsbereich geschaffen werden.

Vielmehr hat der Beklagte die Maßnahme zu Recht als erhebli-chen baulichen Eingriff im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der16. BImSchV eingestuft. Ein derartiger Eingriff setzt eine bauliche

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Änderung voraus, die in die Substanz des Verkehrswegs eingreiftund über eine bloße Erhaltungsmaßnahme hinausgeht, indem siedie Funktionsfähigkeit der Straße steigert (BVerwG, Urteil vom9. Februar 1995 – BVerwG 4 C 26.93 – BVerwGE 97, 367 <369>).Diese Voraussetzungen sind erfüllt. In die Straßensubstanz wirdvor allem im eigentlichen Kreuzungsbereich durch Schaffungmehrerer Fahrbahnebenen und Verbreiterung der Fahrspuren,daneben aber auch im Bereich des Südrings durch Anlegung einesGeh- und eines Radwegs eingegriffen. Die Änderungen steigernauch die Funktionsfähigkeit des Knotenpunkts, da sie seineDurchlässigkeit verbessern und ihn so ertüchtigen, dass er die vor-handene und zu erwartende Verkehrsbelastung besser als im bis-herigen Zustand bewältigen kann.

bb) Der Planfeststellungsbehörde ist jedoch insofern ein Fehlerunterlaufen, als sie bei der Beurteilung, ob der bauliche Eingriff zueiner ihn als wesentliche Änderung qualifizierenden Lärmsteige-rung führt, nicht alle durch ihn ausgelösten und ihm zurechenba-ren Steigerungsbeiträge berücksichtigt hat.

Anders als ein Neubau oder eine bauliche Erweiterung löst einerheblicher baulicher Eingriff Schutzansprüche der Lärmbetroffe-nen nur aus, falls zu ihrem Nachteil eine relevante Erhöhung derBeurteilungspegel eintritt. Als wesentliche Änderung ist er ledig-lich dann anzusehen, wenn der Beurteilungspegel um mindestens3 dB(A) oder auf mindestens 70 dB(A) tags oder mindestens 60dB(A) nachts erhöht wird (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16.BImSchV); außer in Gewerbegebieten bewirkt er darüber hinauseine wesentliche Änderung, wenn ein schon bisher 70/60 dB(A)erreichender oder überschreitender Beurteilungspegel weitererhöht wird (§ 1 Abs. 2 Satz 2 der 16. BImSchV). Die hier alleinin Betracht zu ziehende Alternative einer Lärmsteigerung um min-destens 3 dB(A) hat der Beklagte für die Ost- und die Südfassadedes Hauses Bahnstraße 53 - 59, für die die Kläger ergänzendenSchallschutz begehren, verneint. Der Vergleichsprognose, die zudiesem Ergebnis geführt hat, liegt die Annahme zu Grunde, der biszum Prognosehorizont 2015 zu erwartende Weiterbau des Südver-bundes in den Abschnitten III und V sei für den Prognose-Nullfallgleichermaßen zu berücksichtigen wie für den Planfall, die damitverknüpfte Lärmsteigerung sei also für die Beurteilung einerwesentlichen Änderung unerheblich. Dem kann nicht gefolgtwerden.

(1) § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV, der für seinenAnwendungsbereich das Tatbestandsmerkmal der wesentlichenÄnderung in § 41 Abs. 1 BImSchG abschließend konkretisiert(BVerwG, Urteil vom 3. März 1999 – BVerwG 11 A 9.97 – Buch-holz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 26 S. 19; Urteil vom 17. März2005 – BVerwG 4 A 18.04 – DVBl 2005, 1044 <1045>), stelltdarauf ab, ob sich »durch« den baulichen Eingriff »der Beurtei-lungspegel des von dem zu ändernden Verkehrsweg ausgehendenVerkehrslärms« in dem geforderten Maß erhöht. Welche Lärmstei-gerungen in die Vergleichsprognose einzubeziehen sind, ist damitin zweifacher Hinsicht eingegrenzt.

Zum einen müssen die Steigerungen von dem zu änderndenVerkehrsweg ausgehen. Schutzanspruch und Änderungsmaß-nahme sind also räumlich miteinander verknüpft. Schallschutznach dieser Vorschrift wird nur im räumlichen Zusammenhangmit der Baumaßnahme gewährt. Die Formulierung in § 41 Abs. 1BImSchG, Lärmschutz sei »bei dem Bau oder der wesentlichenÄnderung« zu treffen, unterstreicht diese Einschränkung. Lärm-steigerungen, die infolge der baulichen Veränderung des Verkehrs-wegs an anderer Stelle im Verkehrsnetz auftreten, können demge-genüber nicht anspruchsbegründend wirken (vgl. BVerwG, Urteilvom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 9.95 – Buchholz 406.25 § 41BImSchG Nr. 12 S. 24 f.; Beschluss vom 11. November 1996 –BVerwG 11 B 65.96 – Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 5 S. 4;

Beschluss vom 26. Januar 2000 – BVerwG 4 VR 19.99 – Buchholz407.4 § 17 FStrG Nr. 156 S. 38).

Zum anderen verlangt § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16.BImSchV einen Kausalzusammenhang zwischen dem baulichenEingriff und der Lärmsteigerung. Bereits zu § 17 Abs. 4 FStrG a.F.hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass es für dieFrage, welche Lärmbeeinträchtigungen ursächlich auf ein plan-festgestelltes Vorhaben zurückzuführen sind und daher Schutzan-sprüche auslösen können, auf einen adäquaten Ursachenzusam-menhang ankommt. Die Beeinträchtigung muss einerseits in typi-scher Weise mit dem Bau oder der Änderung der Straße oder derenBetrieb verbunden sein und darf andererseits nach ihrer Art alsFolgewirkung der Straße nicht außerhalb aller Erfahrung liegen,insbesondere nicht ganz überwiegend durch andere Umständebedingt sein (BVerwG, Urteil vom 17. November 1972 – BVerwG4 C 21.69 – BVerwGE 41, 178 <186>; Urteil vom 15. April 1977 –BVerwG 4 C 3.74 – BVerwGE 52, 226 <236>; Beschluss vom 9. Feb-ruar 1989 – BVerwG 4 B 234.88 – BA S. 3). Diese Grundsätze sindübertragbar auf die hier in Rede stehende Fragestellung, ob dasplanfestgestellte Änderungsvorhaben zu relevanten Lärmsteige-rungen führt. Letztlich geht es um eine Zurechnungsfrage, näm-lich darum, welche Lärmsteigerungen derart mit dem Vorhabenzusammenhängen, dass der Baulastträger für sie einzustehen hat(vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 1972 a.a.O.).

Hiernach können mittelbare Auswirkungen des Planungsvorha-bens bei der Lärmsteigerungsprognose nicht ausgeklammert wer-den, wenn sie bei realistischer Betrachtung absehbar und maßgeb-lich auf die Realisierung des geplanten Vorhabens zurückzuführensind. Für die vorhabenbedingte Umlenkung von Verkehrsströmenauf einen leistungssteigernd ausgebauten Verkehrsweg entsprichtdies allgemeiner Praxis. Nichts anderes kann dann gelten, wennräumliche Anschlussplanungen ohne die streitige Maßnahme ent-weder gar nicht oder zumindest nicht in der gewählten Konzep-tion geplant worden wären und ihrerseits Rückwirkungen auf dieVerkehrsbelastung und Lärmentwicklung des von der streitigenMaßnahme umfassten Straßenteils haben. Kennzeichnend fürdiese Fallgestaltung ist ein enger räumlicher und konzeptionellerZusammenhang zwischen dem nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der16. BImSchV zu beurteilenden erheblichen baulichen Eingriff ineinen Verkehrsweg und einem während des Prognosezeitraumsabsehbaren Weiterbau oder weiteren Ausbau dieses Verkehrswegs.Ist ein solcher Zusammenhang zu bejahen, so ist die durch denEingriff bewirkte Erhöhung des Beurteilungspegels zu ermittelnaus der Differenz der im maßgeblichen Prognosezeitpunkt zuerwartenden Beurteilungspegel am Immissionsort für den Zustandohne die konzeptionell verknüpften Maßnahmen und für denZustand mit ihnen. Auf Grund des einheitlichen Gesamtkonzeptsbeider Maßnahmen handelt es sich dann der Sache nach um einein Planungsabschnitte aufgeteilte Gesamtplanung. DieserUmstand rechtfertigt es, die durch den Neu- bzw. Ausbau desFolgeabschnitts ausgelösten Lärmsteigerungen der baulichen Ver-änderung des vorangehenden Abschnitts zuzurechnen. Bei eineram Gleichheitssatz orientierten Auslegung darf die Zuerkennungvon Ansprüchen auf Lärmschutz nicht von der jeweiligenAbschnittsbildung abhängig gemacht werden. Abschnittsbildun-gen dienen dem Zweck, die vielfältigen Schwierigkeiten, die miteiner detaillierten Streckenneu- oder -ausbauplanung einherge-hen, praktikabel und effektiv zu bewältigen (BVerwG, Urteil vom26. Juni 1981 – BVerwG 4 C 5.78 – BVerwGE 62, 342 <353>;Urteil vom 19. Mai 1998 – BVerwG 4 A 9.97 – BVerwGE 107, 1<14>). Dieses Anliegen hat keinen Bezug zur Schutzbedürftigkeitund Schutzwürdigkeit der Lärmbetroffenen. Es wäre deshalb nichtsachgerecht, nach Maßgabe der Abschnittsbildung zu entschei-

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den, ob und in welchem Umfang die Betroffenen Schallschutzerhalten.

Dieser Sichtweise kann nicht entgegengehalten werden, sieführe zu einem sachlich unangemessenen Problemtransfer vondem einen auf das andere Vorhaben, der dem Grundsatz wider-spreche, die Probleme im Zuge desjenigen Vorhabens zu bewälti-gen, durch das sie aufgeworfen werden. Von einem Problemtrans-fer kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil imHinblick auf den geforderten Kausalzusammenhang die Lärmstei-gerung jedenfalls auch ein Problem des zu beurteilenden Vorha-bens darstellt. Darüber hinaus ist zu beachten, dass – wie schonausgeführt – nach Wortlaut und Systematik der immissionsschutz-rechtlichen Regelung Bau bzw. Änderung eines Verkehrswegs undLärmschutz räumlich miteinander verknüpft sind. Da § 41 Abs. 1BImSchG i.V.m. § 1 der 16. BImSchV keine allgemeine Pflicht zurLärmsanierung, sondern nur zum Lärmschutz aus Anlass bauli-cher Maßnahmen am Verkehrsweg begründet, können Ansprücheauf Lärmschutz nach diesen Vorschriften nur dort entstehen, woeine Straßenbaumaßnahme stattfindet. Würde die Problembewäl-tigung dem räumlich anschließenden – gleichgültig ob vorheroder nachher planfestgestellten – Planungsabschnitt zugewiesen,so schieden Ansprüche nach der immissionsschutzrechtlichenRegelung von vornherein aus mit der Folge, dass der Lärmbetrof-fene auf die wesentlich schwächere Rechtsposition beschränktwäre, die Berücksichtigung seiner Lärmschutzbelange nach Maß-gabe des Abwägungsgebots (§ 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG) beanspru-chen zu können. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass eineabschließende Entscheidung über die im Zuge eines Straßenaus-baus vorzunehmenden Lärmschutzmaßnahmen sachgerecht nurim Zusammenhang mit der Zulassung des Ausbauvorhabensgetroffen werden kann. Nur im Rahmen der Planfeststellung fürden Ausbau des betreffenden Straßenabschnitts lässt sich das Aus-maß der mit dem Gesamtkonzept verbundenen Lärmbelastungbestimmen, weil diese Belastung von der Feintrassierung undsonstigen Detailgestaltung des Abschnitts abhängt. Außerdemkann die typischerweise notwendige bauliche Abstimmung derSchutzmaßnahmen auf die Umgestaltung des Verkehrswegs sach-gerecht ebenfalls nur in diesem Stadium geleistet werden.

Ein zurechenbarer Kausalzusammenhang zwischen dem zubeurteilenden und einem weiteren Vorhaben wird schließlichnicht dadurch in Frage gestellt, dass die Planfeststellung für dasweitere Vorhaben derjenigen für das zu beurteilende Vorhabenvorangeht. Für Planungen, die auf einem einheitlichen Gesamt-konzept beruhen, ist typisch, dass die Reihenfolge ihrer Zulassungund Verwirklichung nicht strikt vorgegeben ist. Entscheidend fürdie Zurechnung ist nicht die zeitliche Reihenfolge der Zulassungs-akte, sondern eine konzeptionelle Verknüpfung dergestalt, dassohne das eine Vorhaben das andere nicht geplant und verwirk-licht würde.

(2) Hiervon ausgehend sind in der zur Grundlage des planfestge-stellten Lärmschutzkonzepts gemachten lärmtechnischen Unter-suchung die dem Vorhaben zurechenbaren Lärmsteigerungen nurunzureichend berücksichtigt worden. Zusätzlich zu den in Ansatzgebrachten Lärmeinträgen, die sich aus dem Ausbau des Knotensergeben, hätten auch die Lärmeinträge, die aus der mit dem Wei-terbau des Südverbundes bis zur Kalkstraße verbundenen Ver-kehrssteigerung resultieren, als vorhabenbedingte Lärmsteigerun-gen in die Vergleichsprognose eingehen müssen. Auch sie sinddem Knotenpunktsausbau zurechenbar. Beide Planungen stehenin einem engen räumlichen und konzeptionellen Zusammen-hang, der den Schluss rechtfertigt, der Weiterbau des Südverbun-des hänge von dem Knotenpunktsausbau ab. Im Planfeststellungs-beschluss (S. 26) und im planfestgestellten Erläuterungsbericht(S. 6 und 8) ist die Ausbaumaßnahme mit mangelhafter Leistungs-

fähigkeit des Knotens in seinem vorhandenen Ausbauzustandbegründet worden. Schon bisher sei der Knoten in den Hauptver-kehrszeiten permanent überlastet. Auf Grund seiner hohen ver-kehrlichen Bedeutung und der prognostizierten Verkehrszu-nahme werde er seiner Funktion nicht mehr gerecht. Die Planunggeht also davon aus, dass die Funktionsfähigkeit des Knotensschon aktuell Einschränkungen unterliegt und dass diese sichkünftig noch verschärfen werden. Nach den vom Beklagten zuGrunde gelegten Verkehrsprognosen wird die Verkehrszunahmeim Knoten maßgeblich vom Weiterbau des Südverbundes beein-flusst werden. Während für den Südring im Istzustand eine Ver-kehrsbelastung von ca. 8 500 Kfz/16 h bei einem Schwerver-kehrsanteil von 4 bis 6 % ermittelt worden ist, sind für den Prog-nosehorizont 2015 nach Realisierung des Südverbundes bis zurKalkstraße ca. 24 100 Kfz/24 h bei einem Schwerverkehrsanteilvon 10 % prognostiziert worden. Infolge dessen steigen dieAnforderungen an die Durchlässigkeit des Knotens massiv an.Kommt es – wie in der Planfeststellung vorausgesetzt – schongegenwärtig zu Unzuträglichkeiten, die der Abhilfe bedürfen, soliegt auf der Hand, dass der Weiterbau des Südverbundes ohne denKnotenpunktsausbau nicht verantwortet werden könnte. Ange-sichts dessen handelt es sich bei dem Ausbau des Knotens unddem räumlich praktisch nahtlos anschließenden Weiterbau desSüdverbundes nicht um nur zufällig zeitlich zusammenfallendeselbständige Vorhaben, sondern um aufeinander bezogeneBestandteile eines einheitlichen Gesamtkonzepts.

Dem kann der Beklagte nicht entgegenhalten, der Knoten-punktsausbau diene vornehmlich dem Zweck, die besondersbedeutenden Verkehrsströme zwischen dem Stadtzentrum undder A 72 sowie der südlich von Chemnitz gelegenen Region undder A 72 zu bewältigen, die unabhängig vom Weiterbau des Süd-verbundes anfielen. Dieser Umstand mag dazu führen, dass dieAusbauplanung auch ohne die Neubauplanung gerechtfertigtwäre. Hingegen stellt er nicht umgekehrt – worauf es hierankommt – einen adäquaten Ursachenzusammenhang zwischendem Ausbau und dem Neubau in Frage. Denn der durch die Neu-baustrecke auf den Südring gelenkte Mehrverkehr beeinflusst not-wendig auch die vorgenannten Verkehrsbeziehungen. Das giltnamentlich für den Linksabbiegeverkehr vom südlichen Teil desSüdrings zur Neefestraße, der sich umso mehr aufstauen und denGeradeausverkehr auf dem Südring behindern muss, je stärker derSüdring insgesamt belastet ist. Angesichts dessen bildet der dieLeistungsfähigkeit des Knotens steigernde und auf die mit demWeiterbau des Südverbundes einhergehende Prognosebelastungausgelegte Knotenpunktsausbau eine wesentliche Voraussetzungfür die Fertigstellung des Südverbundes; er erweist sich damit beiwertender Betrachtung als Bestandteil einer übergreifendenGesamtplanung.

(…)b) Trotz des darin liegenden Mangels kann der Beklagte nicht

zur Planergänzung durch Anordnung entsprechender Schutzauf-lagen verpflichtet werden, denn die Sache ist noch nicht spruch-reif. Um festzustellen, ob sich die Lärmbelastung unter Berück-sichtigung der erwähnten zusätzlichen Lärmeinträge an weiterenTeilen des Gebäudes der Kläger um mindestens 3 dB(A) erhöht,bedarf es einer erneuten Steigerungsprognose. Soweit der betref-fende Wert erreicht werden und daher von einer wesentlichenÄnderung auszugehen sein sollte, wird nach § 41 Abs. 2BImSchG abwägend darüber zu entscheiden sein, ob und ggf. wiedem durch Maßnahmen aktiven Schallschutzes Rechnung zu tra-gen ist.

aa) Auf Grund der Angaben des Beklagten zur bisherigen Ver-kehrsbelegung des Südringstumpfs (ca. 8 500 Kfz/16 h mit 4 - 6 %Schwerverkehrsanteil) und der dort nach Weiterbau des Südver-

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bundes zu erwartenden Verkehrsbelegung (24 100 Kfz/24 h mit10 % Schwerverkehrsanteil) spricht vieles dafür, dass bezogen aufdas Gebäude der Kläger an weiteren Immissionspunkten eineLärmsteigerung um mindestens 3 dB(A) eintreten wird. Datenzum Prognose-Nullfall, die Voraussetzung für eine verlässlicheVergleichsprognose wären, sind indes bislang auf zutreffenderrechtlicher Grundlage nicht ermittelt worden. Um die danach feh-lende Spruchreife herzustellen, ist der Beklagte gehalten, eineneue Vergleichsprognose zu erstellen, in der die mit der Weiterfüh-rung des Südverbundes bis zur Kalkstraße verbundenen Lärmein-träge nur für den Planfall in Ansatz gebracht werden, und ggf. dasLärmschutzkonzept auf dieser Basis zu überarbeiten.

(…)bb) Sollte sich auf Grund der Vergleichsprognose ergeben, dass

für bestimmte Immissionspunkte sowohl eine wesentliche Ände-rung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV alsauch eine Überschreitung der nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 16.BImSchV maßgebenden Grenzwerte zu erwarten ist, so besteht fürdiese Immissionspunkte Anspruch auf Lärmschutz. Der Beklagtewird dann nach § 41 Abs. 2 BImSchG darüber zu entscheidenhaben, ob weitergehende Maßnahmen aktiven Schallschutzesergriffen werden sollen oder ob und ggf. in welchem Umfang dieBetroffenen stattdessen auf passiven Schallschutz verwiesen wer-den sollen. Die hierfür gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung, dieden prinzipiellen Vorrang des aktiven Schallschutzes vor Maßnah-men passiven Schallschutzes zu beachten hat, vollzieht sich aufGrund einer planerischen Abwägung (BVerwG, Urteil vom 15.März 2000 – BVerwG 11 A 42.97 – UPR 2000, 351). Geboten isteine differenzierte Kosten-Nutzen-Analyse, die insbesondere dieZahl der Lärmbetroffenen, das Maß der Grenzwertüberschreitungund den Lärmminderungseffekt je unterschiedlicher Minderungs-maßnahmen berücksichtigt. Da die Ergebnisse der neuen Ver-gleichsprognose nicht hinreichend absehbar sind, können die Vor-gaben für die Abwägung hier nicht weiter konkretisiert werden.

c) Aus der fehlerhaften Beurteilung der vorhabenbedingtenLärmsteigerung ergibt sich weiterhin, dass der Beklagte die Lärm-schutzbelange der Kläger nicht mit dem ihnen zukommendenGewicht in seine planerische Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 Satz2 FStrG eingestellt hat. Auf Grund dessen hat er selbst dann erneutüber ergänzende Schallschutzmaßnahmen zu entscheiden, wenneine korrekte Vergleichsprognose ergeben sollte, dass der Knoten-punktsausbau nicht an weiteren Immissionspunkten des Hausesder Kläger zu einem die Voraussetzungen einer wesentlichenÄnderung erfüllenden Lärmzuwachs von mindestens 3 dB(A)führt.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-richts ist jede mehr als nur geringfügig zunehmende Lärmbetrof-fenheit von Anwohnern eines auszubauenden Verkehrswegs indie Abwägung der Planfeststellungsbehörde auch dann einzustel-len, wenn sie unterhalb der Schwelle der Unzumutbarkeit bleibtund deshalb keine Schutzansprüche auslöst (BVerwG, Urteil vom20. Mai 1998 – BVerwG 11 C 3.97 – Buchholz 406.25 § 41BImSchG Nr. 18 S. 50 m.w.N.). Der Beklagte ist ausweislich derplanfestgestellten lärmtechnischen Untersuchung von derAnnahme ausgegangen, der Lärm werde unter Berücksichtigungder geplanten Schutzmaßnahmen an allen für das Haus der Klägeruntersuchten Immissionspunkten leicht abnehmen bzw. – ineinem Immissionspunkt – gleich bleiben. Hiernach bestand keinAnlass, die Lärmschutzbelange der Kläger weitergehend in derAbwägung zu berücksichtigen und zusätzliche Lärmschutzmaß-nahmen zu ihren Gunsten in Erwägung zu ziehen. Unter Einrech-nung der mit dem Weiterbau des Südverbundes verbundenenLärmeinträge ergibt sich indes ein deutlich verändertes Bild; statteiner Abnahme ist zumindest teilweise eine nicht unerhebliche

Zunahme der Lärmbelastung zu erwarten. Da dies verkannt wor-den ist, fehlt es an einer ordnungsgemäßen Abwägung der Lärm-schutzbelange.

Der Mangel ist nicht nach § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG unerheb-lich. Er ist offensichtlich, weil er sich den Planunterlagen entneh-men lässt. Ihm kann auch ein Einfluss auf das Abwägungsergebnisnicht abgesprochen werden; denn nach den Umständen des Falleslässt sich nicht ausschließen, dass weitergehende Schallschutz-maßnahmen angeordnet worden wären, wenn die tatsächlichevorhabenbedingte Lärmsteigerung und der enge konzeptionelleZusammenhang zwischen dem Knotenpunktsausbau und demWeiterbau des Südverbundes, entlang dessen Teil III Schallschutz-wände planfestgestellt sind, erkannt worden wäre.

bb) Für seine erneute Entscheidung muss der Beklagte die Lärm-schutzbelange der Kläger auf Grund einer ordnungsgemäßen Ver-gleichsprognose neu gewichten. Soweit sich keine nach § 1 Abs.2 Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV wesentliche Steigerung ergibt, ister grundsätzlich nicht gehindert, sich bei seiner Abwägung daranzu orientieren, dass die Verkehrslärmschutzverordnung für diesenFall Lärmschutzansprüche versagt und damit den Nutzungskon-flikt zwischen Straßenverkehr und lärmbetroffener Nachbarschaftzu Lasten letzterer entscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai1998 a.a.O.).

Im Rahmen der Abwägung hat sich der Beklagte allerdings auchmit der Relevanz eines etwa bestehenden LärmminderungsplansChemnitz-Schönau auseinander zu setzen und ggf. dessen Aussa-gen zu berücksichtigen. Für das genannte Gebiet, zu dem der Kno-tenpunkt Neefestraße/Südring und der vom Knotenpunktsausbaubetroffene Bereich gehören, hat die Beigeladene in der erstenHälfte der 1990er Jahre ein Verfahren zur Erarbeitung eines Lärm-minderungsplans eingeleitet. Der von einem Planungsbüro erar-beitete Planentwurf sieht u.a. eine Schallschutzwand vor, die dasGebäude Bahnstraße 53 - 59 vom Südring und dem Kreuzungsbe-reich abschirmen würde. Während die Kläger davon ausgehen, derPlan sei aufgestellt worden und deshalb bei späteren Fachplanun-gen zu beachten, machen der Beklagte und die Beigeladene gel-tend, das Verfahren sei nicht zu Ende geführt und eine Beschluss-fassung über den Plan durch ein dafür zuständiges städtisches Gre-mium nicht herbeigeführt worden. Sollte – wofür wenig spricht –der Stadtrat der Beigeladenen oder ein nach Ortsrecht zuständigerAusschuss den Plan beschlossen haben, so ist dieser bei der Abwä-gung zu berücksichtigen. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob§ 47 a Abs. 4 BImSchG a.F., der durch seine Verweisung auf § 47Abs. 6 Satz 2 BImSchG eine Berücksichtigung von Lärmminde-rungsplänen bei weiteren Planungen vorsah, jedoch durch Art. 1Nr. 3 des Gesetzes vom 24. Juni 2005 (BGBl I S. 1794) aufgeho-ben worden ist, auf eine erneute Entscheidung noch Anwendungfinden kann. Auch wenn dies nicht zutrifft, gebietet doch schondas Abwägungsgebot als solches, bestehende gemeindliche Pla-nungen als Abwägungsmaterial zu berücksichtigen (vgl. auch dieStellungnahme des Bundesrats zu Art. 1 Nr. 5 des Gesetzentwurfsder Bundesregierung zur Umsetzung der Umgebungslärmrichtli-nie, BTDrucks 15/3782 S. 41). Sollte der Lärmminderungsplanhingegen nicht beschlossen worden sein, so kommt den im Plan-entwurf enthaltenen Festlegungen dennoch im Wege der Selbst-bindung der Verwaltung abwägungserhebliches Gewicht zu, fallsder Entwurf von der Beigeladenen bei eigenen späteren Planungenals sachverständige Arbeits- und Entscheidungshilfe genutzt wor-den ist, wie die Kläger unter Hinweis auf Nr. 3.3.2 und 3.3.3 desUmweltberichts Chemnitz 2000 geltend gemacht haben.

(…)

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B-Planung und Eigentumsschutz

OVG Münster, Urteil vom 28.11.2005 – 10 D 68/03.NE

Leitsätze:1. Die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fordert, dass

bei der Überplanung privaten Grundeigentums durch einenBebauungsplan in erster Linie Vorkehrungen getroffen wer-den, die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümersreal vermeiden und die Privatnützigkeit des Eigentums soweitwie möglich erhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002,– 1 BvR 1402/01 –, BRS 65 Nr. 6).

2. Dem Bebauungsplan muss eine Erschließungskonzeption zuGrunde liegen, nach der das im Plangebiet anfallende Oberflä-chenwasser so beseitigt werden kann, dass Gesundheit undEigentum der Planbetroffenen diesseits und jenseits der Plan-gebietsgrenzen keinen Schaden nehmen (vgl. BVerwG, Urteilvom 21.3.2002, – 4 CN 14.00 –, BRS 65 Nr. 17).

Aus dem Tatbestand:Der mit dem Normenkontrollantrag angegriffene Bebauungsplandient der Änderung eines bereits in Kraft getretenen Bebauungs-plans, der in erster Linie Festsetzungen für den zweiten Bauab-schnitt einer Umgehungsstraße und die zugehörigen Lärmschutz-maßnahmen trifft. Grund für die Planänderung ist die beab-sichtigte Anhebung der ursprünglich in Troglage geplantenUmgehungsstraße bei unveränderter Trassenführung. Die Antrag-stellerin ist Eigentümerin beziehungsweise Miteigentümerin meh-rerer bebauter und unbebauter Grundstücke, die zum Teil im Gel-tungsbereich des angegriffenen Bebauungsplans und zum Teil indessen unmittelbarer Nähe liegen. Eines dieser unbebautenGrundstücke, das durch den Änderungsplan erstmals überplantwird, ist als »Öffentliche Grünfläche – Grünanlage« festgesetzt.Der Normenkontrollantrag hatte Erfolg.

Aus den Gründen:Gegenstand des Normenkontrollantrags ist ausschließlich der am4.6.2003 beschlossene und am 12.7.2003 ortsüblich bekanntgemachte Bebauungsplan Nr. 2/96 »Ortsumgehung B. – 2. Bau-abschnitt, von S.-Straße bis D.-Straße«, 1. Änderung. Im Rahmendes Normenkontrollverfahrens prüft der Senat deshalb nur dieFestsetzungen dieses Plans und nicht sämtliche Festsetzungen desUrsprungsplans. Die Wirksamkeit des Ursprungsplans ist aller-dings als Vorfrage für die Gültigkeit der mit dem Normen-kontrollantrag angegriffenen Planänderung zu prüfen, denn diebloße Änderung eines unwirksamen Bebauungsplans ohne voll-ständigen Neuerlass des gesamten Regelungswerks geht ins Leere,wenn sie nicht auf einer wirksamen Grundlage beruht. Insoweitbesteht ein Rechtmäßigkeitszusammenhang zwischen demUrsprungsplan und dem Änderungsplan (vgl. BVerwG, Urteil vom16.12.1999 – 4 CN 7.98 –, BRS 62 Nr. 44).

Das Normenkontrollgericht hat deshalb inzident zu prüfen, obder geänderte Ursprungsplan taugliche Grundlage des streitgegen-ständlichen Änderungsplans sein kann. Daran fehlt es, wenn derUrsprungsplan an Mängeln leidet, die auch in Ansehung desGrundsatzes der Planerhaltung zu seiner Gesamtunwirksamkeitführen. In einem solchen Fall ist der Änderungsplan mangelszureichender Grundlage unwirksam, es sei denn, er vermag fürsich genommen – also unabhängig vom Ursprungsplan – für denüberplanten Bereich eine vollständige städtebauliche Ordnung zuschaffen.

Darüber hinaus muss das Normenkontrollgericht prüfen, ob derPlangeber bei Erlass des Änderungsplans die Auswirkungen derÄnderungen auf die Festsetzungen des zu ändernden Ursprung-splans, seine Erforderlichkeit, sein Verhältnis zu den Vorgaben der

Raumordnung und die ihm zu Grunde liegende Abwägungbedacht und gegebenenfalls die erforderlichen Schlussfolgerun-gen für die Änderungsplanung gezogen hat. Fehlt es daran, kannder Änderungsplan, wenn beispielsweise das im Zusammenwirkenvon Ursprungs- und Änderungsplan neu entstehende Planungs-recht fehlerhaft ist, unwirksam sein.

Der Normenkontrollantrag ist zulässig. (Wird ausgeführt).Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. Der Bebauungs-

plan Nr. 2/96, 1. Änderung, der Antragsgegnerin ist unwirksam.Er genügt nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 6 BauGB (§ 1

Abs. 7 BauGB n.F.), wonach die öffentlichen und privatenBelange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägensind.

Das so normierte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine sach-gerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in dieAbwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage derDinge in sie eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung derbetroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischenden von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorge-nommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belangeaußer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens istdem Abwägungserfordernis jedoch genügt, wenn sich die zur Pla-nung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belangefür die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise fürdie Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet.

Was den Umfang der Abwägung angeht, wenn, wie hier, derletzte Teilabschnitt einer Verbindungsstraße geplant werden soll,gilt Folgendes: Ob die Gemeinde nur die in diesem letzten Teilab-schnitt widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen indie Abwägung einbeziehen muss oder ob sie auch rückschauendauf die bis dahin auf Grund rechtswirksamer Bebauungspläne rea-lisierten Teilabschnitte zu prüfen hat, ob die Verwirklichung desGesamtkonzeptes – etwa durch Zeitablauf oder wegen veränderterVerhältnisse – erneut zur Disposition steht, erschließt sich aus denGrundsätzen über eine mögliche rechtliche Verpflichtung zurÄnderung von Bebauungsplänen. Eine solche Rechtspflicht folgtaus § 1 Abs. 3 BauGB nur bei einer erheblichen Abweichung derwirklichen Entwicklung von den ursprünglichen planerischenVorstellungen. Liegt eine derartige Abweichung nicht vor,beschränkt sich die Abwägung auf den Lückenschluss und seineAusstrahlungswirkungen auf die bereits ausgebauten Teilab-schnitte (vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.8.1996 – 11a D 125/92.NE–, BRS 58 Nr. 17).

Der Senat kann bei der im Normenkontrollverfahren gebotenenobjektiven Prüfung den Bebauungsplan auch auf solche Abwä-gungsfehler untersuchen, die die Antragstellerin mit ihrem Nor-menkontrollantrag nicht geltend gemacht hat, denn die Frist desinsoweit noch maßgeblichen § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F., wo-nach Mängel der Abwägung unbeachtlich werden, wenn sie nichtinnerhalb von sieben Jahren seit Bekanntmachung der Satzungschriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht wordensind, ist noch nicht abgelaufen. Die Unbeachtlichkeit eines Abwä-gungsfehlers gemäß § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB a.F. hängt vonzwei Voraussetzungen ab, nämlich dem Fristablauf und demNichtvorliegen einer Mängelrüge. Die Frist ist ein entscheidendesElement der Fehlerfolgenregelung. Erst nach Ablauf der festgeleg-ten Zeit soll, wenn niemand eine Rüge erhoben hat, der an sichbeachtliche Fehler unbeachtlich werden. Bis zum Fristablauf istdie uneingeschränkte Kontrolle eines Bebauungsplans auf Abwä-gungsfehler möglich und im Hinblick auf den Untersuchungs-grundsatz auch geboten.

Bei Anlegung dieser Maßstäbe weist der Bebauungsplan sowohlFehler im Abwägungsvorgang als auch im Abwägungsergebnis auf.

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Die privaten Belange der Antragstellerin, die sich bereits imBeteiligungsverfahren ausführlich geäußert hatte, sind vom Plan-geber zwar gesehen worden, doch hat er den Ausgleich zwischendem öffentlichen Interesse an der Verwirklichung der Ortsumge-hungstrasse und dem von der Planung berührten Eigentumsin-teresse der Antragstellerin in einer Weise vorgenommen, die zurobjektiven Gewichtigkeit dieses Eigentumsinteresses außer Ver-hältnis steht.

Der Bebauungsplan bestimmt Inhalt und Schranken des Grund-eigentums. Eingriffe in das verfassungsrechtlich geschützte pri-vate Eigentum müssen daher aus Gründen des Allgemeinwohlsgerechtfertigt sein. Die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1GG fordert, dass in erster Linie Vorkehrungen getroffen werden,die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real ver-meiden und die Privatnützigkeit des Eigentums soweit wie mög-lich erhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002 – 1 BvR1402/01 –, BRS 65 Nr. 6).

Mit der Festsetzung nahezu des gesamten Flurstücks 186 (etwa1.300 qm) als »Öffentliche Grünfläche – Grünanlage« soll derErbengemeinschaft, in deren Eigentum es steht und zu der auch dieAntragstellerin gehört, letztlich die private Nutzung dauerhaft ent-zogen werden. Zwar kann der Plangeber die durch Art. 14 Abs. 1Satz 1 GG vermittelte Rechtsposition aus sachgerechten Erwägun-gen hinter andere überwiegende Belange zurückstellen (vgl.BVerwG, Urteil vom 26.8.1993 – 4 C 24.91 –, BVerwGE 94, 100(106); Beschluss vom 3.6.1998 – 4 BN 25.98 –, NVwZ-RR 1999,425), doch fehlt es für die hier in Rede stehende Festsetzung an jeg-lichen sachgerechten Erwägungen. Der Rat hat an keiner Stelleerkennen lassen, weshalb er das Flurstück 186, das vom Ursprung-splan nicht erfasst war, nunmehr fremdnützig überplant hat. Es istzu vermuten, dass er das Flurstück 186 in den Geltungsbereich desBebauungsplans einbezogen hat, um zwischen der Stichstraße »AmB.« und der geplanten Ortsumgehungstrasse einen 9 m breitenund 70 m langen Geländestreifen, der auf einer Länge von etwa 25m über das Flurstück 186 verläuft, als Fläche festzusetzen, die inVerbindung mit der textlichen Festsetzung Nr. 7 mit Geh-, Fahr-und Leitungsrechten zu Gunsten der Ver- und Entsorgungsträgerzu belasten ist. Über diese Fläche soll das im Bereich der Ortsumge-hungstrasse anfallende Niederschlagswasser in den öffentlichenKanal geleitet werden, der in der Stichstraße »Am B.« verlegt ist. Fürdie planungsrechtliche Sicherung des als Entsorgungsflächegedachten Geländestreifens hätte es jedoch nicht der Festsetzungnahezu des gesamten Flurstücks 186 als »Öffentliche Grünfläche«bedurft. Soweit für eine solche Sicherung nicht schon die Festset-zung des besagten Geländestreifens als eine mit Geh-, Fahr- undLeitungsrechten zu belastende Fläche ausgereicht hätte, hätte bei-spielsweise eine darüber hinausgehende Festsetzung des Flurstücks186 als »Private Grünfläche« weiterhin dessen private Nutzungermöglicht, ohne dass die Entwässerung über die mit Geh-, Fahr-und Leitungsrechten zu belastende Fläche gefährdet gewesen wäre.Die Inanspruchnahme nahezu des gesamten Flurstücks 186 füröffentliche Zwecke erweist sich daher als unverhältnismäßig undist abwägungsfehlerhaft.

Die Erweiterung des Plangebiets im südwestlichen Randbereichund die damit zusammenhängende teilweise Überplanung vonFlächen, die bisher zum Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr.3/63 »S.-, T.- und K.-Straße« gehörten, stellt sich ebenso als eineVerletzung des Abwägungsgebots dar wie die Festsetzung derStraßenverkehrsfläche für die Verbindung zwischen L.-Straße undT.-Straße auf Flächen, die bereits vom Geltungsbereich desUrsprungsplans erfasst waren. Den Aufstellungsvorgängen lässtsich nicht entnehmen, dass sich der Rat im Hinblick auf dieseFestsetzungen in irgendeiner Weise mit den möglicherweisegegenläufigen Interessen der jeweiligen Grundstückseigentümer

befasst hat. Es ist bereits fraglich, ob er die Eigentumsverhältnisseüberhaupt ermittelt hat. Auch in der mündlichen Verhandlungkonnten die Vertreter der Antragsgegnerin trotz der vorausgegan-genen Bitte des Senats, die konkrete Eigentumssituation imBereich der südwestlichen Planerweiterung mitzuteilen, die Eigen-tumsverhältnisse hinsichtlich des Flurstücks 213 (Gemarkung B.,Flur 20) nicht befriedigend darlegen. Da der Bebauungsplan diebesagten Flächen als »Straßenverkehrsfläche« beziehungsweise als»Öffentliche Grünfläche – Parkanlage« festsetzt, handelt es sichwie bei den Festsetzungen für das Flurstück 186 um eine Überpla-nung, die die private Nutzung der Flächen dauerhaft ausschließensoll.

Was die überplanten Teile des Flurstücks 213 angeht, warendiese zwar im bisher geltenden Bebauungsplan Nr. 3/63 von 1964als »Öffentliche Grünfläche – Erholungsgebiet« festgesetzt, waseine private Nutzung ebenfalls ausschloss, doch hatte der Rat derAntragsgegnerin die fraglichen Flächen im Flächennutzungsplanvon 1984 als »Gewerbliche Bauflächen« dargestellt und damit zumAusdruck gebracht, dass er sie – jedenfalls langfristig – abweichendvon den Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 3/63 entwickelnwill. Eine Bauleitplanung, die diesem Willen zuwiderläuft, bedarfdaher einer eingehenden Begründung und einer abwägendenBewertung der betroffenen Eigentümerinteressen.

Die Inanspruchnahme der Flurstücke 314 und 316 (jeweilsGemarkung B., Flur 20) für die Verbindungsstraße zwischen L.-Straße und T.-Straße hätte ebenfalls einer eingehenden Befassungmit den Eigentümerinteressen bedurft. Gerade bei der fremdnützi-gen Überplanung privater Grundstücke mit Verkehrsflächen mussder Plangeber prüfen, ob gegebenenfalls anderweitige Möglichkei-ten bestehen, das angestrebte Ziel zu erreichen. Insbesonderemuss er prüfen, ob die Beeinträchtigung privaten Grundeigen-tums durch einen Zugriff auf Flächen der öffentlichen Hand ver-mieden oder doch zumindest minimiert werden kann (vgl.BVerwG, Urteil vom 6.6.2002 – 4 CN 6.01 –, BRS 65 Nr. 78).

Eine alternative Führung der Verbindungsstraße über Flächender öffentlichen Hand war hier nicht von vornherein ausgeschlos-sen. Nach der Planurkunde des Bebauungsplans Nr. 3/63 befindetsich das unmittelbar westlich des Flurstücks 213 gelegene Flur-stück 211 (Gemarkung B., Flur 20) im Eigentum der Antragsgeg-nerin.

Abwägungsfehlerhaft ist auch die Entwässerungskonzeption,die dem Bebauungsplan zu Grunde liegt.

Der Planung muss eine Erschließungskonzeption zu Grunde lie-gen, nach der das im Plangebiet anfallende Oberflächenwasser sobeseitigt werden kann, dass Gesundheit und Eigentum der Planbe-troffenen diesseits und jenseits der Plangebietsgrenzen keinenSchaden nehmen. Überschwemmungen und Wasserschäden alsFolgen der Planverwirklichung müssen die Nachbarn des Plange-biets ebenso wenig hinnehmen wie die Bewohner des Plangebietsselbst. Planbedingte Missstände, die den Grad der Eigentumsver-letzung erreichen und einer Rechtfertigung vor Art. 14 Abs. 1Satz 2 und Abs. 2 GG nicht standhalten, setzen der bauleitplane-rischen Abwägung strikte, mit einer »gerechten Abwägung« nichtüberwindbare Grenzen. Bei Erlass des Satzungsbeschlusses mussder Plangeber davon ausgehen können, dass das für das Baugebietnotwendige Entwässerungssystem in dem Zeitpunkt tatsächlichvorhanden und funktionstüchtig sein wird, in dem die nach demPlan zulässigen baulichen Anlagen fertig gestellt und nutzungsreifsein werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.3.2002 – 4 CN 14.00 –,BRS 65 Nr. 17).

Im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses wardie Beseitigung des im Bereich der Ortsumgehung anfallendenDrainagewassers (Grund- und Sickerwasser) nicht geregelt. Ineiner Stellungnahme der Stadtentwässerung H. SEH zu der den

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Satzungsbeschluss vorbereitenden Ratsvorlage 600067/03 vom8.5.2003 heißt es dazu:

»Die Drainage der Ortsumgehung B. ist nach Aussage desBodengutachters ein wichtiger Bestandteil der bautechnischenPlanung und Ausführung. Diese Drainage darf – wie schon mehr-fach mündlich und schriftlich mitgeteilt – nicht an den öffentli-chen Kanal angeschlossen werden. Für den Anschluss der Drai-nage an den B.-Bach gibt es […] bisher keine fertige technische Pla-nung, keine notariell abgeschlossene liegenschaftliche Regelung[und] keine Genehmigung nach § 7 WHG für die Einleitung derDrainage in den B.-Bach. Da die Lösung dieses Problems grund-sätzlich möglich ist, stimmt die SEH unter dem Vorbehalt, dass dasProblem abschließend gelöst wird, der Vorlage Rat 600067/03 zu.Sollte das Problem wider Erwarten nicht gelöst werden können,kann die SEH aus technischen Gründen keinem Anschluss derDrainage an den öffentlichen Kanal zustimmen«.

Auf der Grundlage dieser fachlichen Stellungnahme konnte derRat im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nicht davon ausgehen,dass bei Fertigstellung der Ortsumgehungstrasse und der Lärm-schutzwälle das notwendige Entwässerungssystem in vollemUmfang tatsächlich vorhanden und funktionstüchtig sein werde.Die SEH hatte die Lösung des Drainagewasserproblems durch Ein-leitung in die Vorfluter B.-Bach und L.-Siepen zwar als grundsätz-lich möglich angesehen, jedoch auch ein Scheitern dieser Lösungfür möglich erachtet.

Der Rat hat das Konfliktpotenzial, das mit der zum Teil ungelös-ten Entwässerungsproblematik unter Umständen verbunden seinkönnte, nicht hinreichend ermittelt. Er hat weder die Menge des zuerwartenden Drainagewassers noch die Folgen einer unzu-reichenden Ableitung dieses Drainagewassers für die hydraulischeSituation des Plangebiets und der umliegenden Wohnbauflächenabschätzen lassen. Vielmehr hat er darauf vertraut, dass sich einmöglicher Konflikt durch auftretendes Drainagewasser im Nachhi-nein noch während des Trassenausbaus werde lösen lassen können.

Grundsätzlich hat jedoch bereits der Bebauungsplan die vonihm geschaffenen oder ihm sonst zurechenbaren Konflikte zulösen. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebau-ungsplan darf die Gemeinde nur dann Abstand nehmen, wenn dieDurchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungs-maßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe derVerwirklichung der Planung sichergestellt ist (vgl. BVerwG,Beschluss vom 14.7.1994 – 4 NB 25.94 –, BRS 56 Nr. 6).

Von einer Sicherstellung der Problemlösung auf der Stufe derPlanverwirklichung konnte bezüglich der Drainagewasserbeseiti-gung im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses angesichts einer Viel-zahl offener Fragen und der vom Bodengutachter offen gelegtenbesonderen Grundwassersituation im Plangebiet allerdings keineRede sein. Neben der zu beseitigenden Wassermenge war auch derWeg der Ableitung unklar und weder die möglicherweise notwen-dige Inanspruchnahme privater Grundstücke noch die Einlei-tungsgenehmigung nach § 7 WHG gesichert. Unklar war des Wei-teren, ob die beabsichtigten Einleitungen in die Vorfluter einenGewässerausbau erfordern und welche Kosten damit verbundensein würden oder ob das Drainagewasser letztlich doch – nacheinem entsprechenden Ausbau – in das Kanalnetz hätte entsorgtwerden müssen. Nach allem war mithin im Zeitpunkt des Sat-zungsbeschlusses nicht geklärt, ob sich der offen gelassene mögli-che Interessenkonflikt in einem nachfolgenden Verfahren sachge-recht würde bewältigen lassen.

Ob der Rat die Eingriffsregelung nach dem Bundesnaturschutz-gesetz entsprechend § 1a Abs. 2 Nr. 2 BauGB (§ 1a Abs. 3 Satz 1BauGB n.F.) in der Abwägung hinreichend berücksichtigt hat, ver-mag der Senat auf der Grundlage der Aufstellungsvorgänge sowohl

des Ursprungsplans als auch des Änderungsplans nicht sicherfestzustellen.

Sind auf Grund der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Auf-hebung eines Bebauungsplans Eingriffe in Natur und Landschaftzu erwarten, ist der Plangeber verpflichtet, zu ermitteln und zuentscheiden, ob vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur undLandschaft zu unterlassen und ob und wie unvermeidbare Beein-trächtigungen auszugleichen oder durch Ersatzmaßnahmen zukompensieren sind. Ermittlung und Entscheidung müssen denAnforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots ent-sprechen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.1.1997 – 4 NB 27.96 –,BRS 59 Nr. 8).

Soweit der Änderungsplan abweichend vom Ursprungsplaneine Verbindung zwischen der L.-Straße und der T.-Straße vor-sieht, sind damit zusätzliche Versiegelungen, das heißt zusätzlicheEingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten.

Der Rat hat dementsprechend anlässlich der Planänderungdurch das Grünflächenamt der Verwaltung eine Eingriffsbilanzie-rung »für die geplante Verkehrserschließung zwischen der L.-Straße und der T.-Straße« erstellen lassen. Die Eingriffs-bilanzierung gelangt zu dem Ergebnis, dass diese Verkehrserschlie-ßung eine zusätzliche Kompensationsfläche von 2.501 qm erfor-derlich mache, jedoch wegen des bestehenden Kompensations-überhanges von 5.105 qm im Zusammenhang mit den für denUrsprungsplan festgesetzten Ausgleichsflächen weitere Aus-gleichsmaßnahmen entbehrlich seien. Der Rat ist dem gefolgt undin der 1. Ergänzungsbegründung (7.3) davon ausgegangen, dasssich aus dem für den Ursprungsplan erstellten Grünordnungsplanein deutlicher Kompensationsüberhang ergebe, der den zusätzli-chen Bedarf von etwa 2.500 qm Ausgleichsfläche abdecke.

Ob der Rat mit dieser Annahme allerdings von zutreffendenVoraussetzungen ausgegangen ist, ist zweifelhaft.

Der besagten Eingriffsbilanzierung lässt sich nämlich nicht ent-nehmen, ob mit der Berücksichtigung der geplanten Verkehrser-schließung zwischen L.-Straße und T.-Straße tatsächlich alle Aus-wirkungen der Planänderung auf die naturschutzrechtlicheEingriffsregelung Beachtung gefunden haben.

Beispielsweise können die Änderung der Höhenlage der Orts-umgehungstrasse und die Veränderung der Flächen für die geplan-ten Lärmschutzwälle bereits für sich genommen solche Auswir-kungen haben. Der Erläuterungsbericht zum Grünordnungsplan –Ortsumgehung B. –, der Gegenstand des Ursprungsplans ist, gehtbei der Berechnung der zusätzlichen Kompensationsflächen unterZiffer 3.2.2.1.2 davon aus, dass für die Seitenräume der Ortsumge-hungstrasse in den Bereichen 50 bis 100 m und 100 bis 150 mkeine erhebliche Störung mehr zu erwarten sei, da durch die mas-siven Lärmschutzwälle und die Trog- und Einschnittsführung eineabschirmende Wirkung erreicht werde. Diese Einschätzung hat imErgebnis dazu geführt, dass für die besagten Bereiche keine Ein-griffe in Natur und Landschaft angenommen und keineKompensationsmaßnahmen vorgesehen wurden, obwohl dafür inder tabellarischen Übersicht unter Ziffer 3.2.1.1.1 Beeinträchti-gungsintensitäten von 7 % beziehungsweise 5 % vorgesehensind. Ob es bei dieser Eingriffsbewertung für die Seitenräume derOrtsumgehungstrasse im Bereich von 50 bis 150 m bleiben kann,obwohl die Abschirmungswirkung der Trogführung wegfällt undauch die Festsetzungen für die geplanten Lärmschutzwälle hin-sichtlich Lage, Ausdehnung und Höhe wesentliche Änderungenerfahren haben, hat die Verwaltung offensichtlich nicht geprüft.Jedenfalls hat sie die Prüfung und deren Ergebnis nicht in der Ein-griffsbilanzierung dokumentiert, sodass nicht erkennbar ist, obund in welcher Größenordnung insoweit ein zusätzlicher Kom-pensationsbedarf entstehen würde und ob dieser noch durch den

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vom Rat angenommenen Kompensationsüberhang – dessenBestehen der Senat nicht näher geprüft hat –, gedeckt wäre.

Eine weitere Unsicherheit im Hinblick auf eine beanstandungs-freie Behandlung der Umweltbelange ergibt sich im Zusammen-hang mit den geänderten Festsetzungen der für die Lärmschutz-wälle vorgesehenen Flächen. Unter Ziffer 3.3 des Erläuterungsbe-richts zum Grünordnungsplan heißt es:

»Die für den Lärmschutz erforderlichen Erdwallflächen geltennicht als Eingriff. Sie sind bei der Eingriffsregelung als neutral zubewerten, da sie durch die mehrschichtig aufgebauten Gehölz-pflanzungen und Anreicherungen mit Einzelbäumen und Baum-gruppen eine gleichwertige ökologische Funktion erreichen wer-den«.

Die Bewertung der Lärmschutzwallflächen als »neutral« fußtmithin auf der Annahme, dass sie intensiv bepflanzt und durch dieBepflanzung eine höherwertige ökologische Funktion wahrneh-men werden. Eine intensive Bepflanzung ist jedoch für die west-lich der Ortsumgehungstrasse festgesetzten Lärmschutzwallflä-chen im nördlichen und mittleren Planabschnitt nicht gesichert.Für diese Flächen fehlt die für die übrigen Lärmschutzwallflächengetroffene textliche Festsetzung Nr. 5, die je 100 qm eine Be-pflanzung mit einem Baum und 50 Sträuchern näher bestimmterGehölzarten vorschreibt. Es spricht daher vieles dafür, dass wegender Nichtberücksichtigung der westlich der Ortsumgehungstrassefestgesetzten Lärmschutzwallflächen im nördlichen und mittlerenPlanabschnitt sowohl die Ermittlung des Umfangs der Eingriffe alsauch die Berechnung der zusätzlich erforderlichen Kompensati-onsflächen fehlerhaft ist.

Die festgestellten Abwägungsmängel sind im Sinne des § 214Abs. 3 BauGB erheblich und erfassen den Bebauungsplan insge-samt.

Hinsichtlich der Bestimmtheit der die vorgesehenen Lärm-schutzwälle betreffenden Höhenfestsetzungen – »maximal +5,00 m« – bestehen wegen der Verwendung des Zusatzes »maxi-mal«, der nach allgemeinem Verständnis eine beliebige Wallhöheunterhalb von 5 m zulässt, erhebliche Zweifel. Nach derRechtsprechung fehlt einer Bebauungsplanfestsetzung die gebo-tene Normenklarheit und Bestimmtheit allerdings nicht schondeshalb, weil sie der Auslegung bedarf. Es ist vielmehr ausrei-chend, wenn der Norminhalt durch Auslegung ermittelt werdenkann, wobei die Interpretation nicht durch den formalen Wortlautbeschränkt wird. Ausschlaggebend ist vielmehr der objektive Willedes Gesetzgebers, soweit er wenigstens andeutungsweise imGesetzestext einen Niederschlag gefunden hat (vgl. BVerwG,Beschluss vom 14.12.1995 – 4 N 2.95 –, BRS 57 Nr. 57).

Möglicherweise sind die in der Planurkunde eingetragenenHöhen der geplanten Lärmschutzwälle in Verbindung mit dertextlichen Festsetzung Nr. 3 so auszulegen, dass jeweils Lärm-schutzwälle von 5 m Höhe über der geplanten Gradiente der Orts-umgehungstrasse festgesetzt sind, diese Lärmschutzwälle abernicht höher ausgeführt werden dürfen. Es kann aber auch gemeintsein, dass die Lärmschutzwälle – ohne eine Höhe von 5 m zu über-schreiten – jeweils so hoch aufgeschüttet werden sollen, wie es derLärmschutz an der jeweiligen Stelle erfordert.

Ob und wenn ja welche dieser Auslegungsvarianten demwenigstens andeutungsweise zum Ausdruck gekommenen Willendes Plangebers entspricht, vermag der Senat nicht eindeutig fest-zustellen. Die Beantwortung dieser Fragen ergibt sich jedenfallsnicht ohne weiteres aus Nr. 7.2 der Planbegründung, wonach dieLärmschutzwälle nach dem der Begründung als Anlage beigefüg-ten akustischen Gutachten – gemeint ist die SchalltechnischeUntersuchung der M.-BBM GmbH vom 13.1.2003 – dimensio-niert werden sollen. In dieser Schalltechnischen Untersuchungheißt es dazu unter Ziffer 1 lediglich: »Für die Neubaustrecke sind

Wallanlagen mit einer Höhe von 5 m über Fahrbahnoberkanteder Neubauplanung bereits festgelegt worden. Diese Erdwälle wer-den zur Fahrbahn hin als Steilwälle mit einem Neigungsverhältnisvon 1:0,6 ausgebildet«. Die Untersuchung geht mithin fälschlichvon einer bereits konkret festgesetzten Höhe der Lärmschutzwälleaus, ohne selbst die ihr in der Planbegründung zugewieseneDimensionierung dieser Wälle vorzunehmen.

Letztlich braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die die vor-gesehenen Lärmschutzwälle betreffenden Höhenfestsetzungenunwirksam sind und ob diese Unwirksamkeit zur Unwirksamkeitdes gesamten Bebauungsplans führen würde, da sich letztere be-reits aus den oben festgestellten Abwägungsmängeln ergibt.

Im Hinblick auf die Bedeutung des streitgegenständlichen2. Bauabschnitts der Ortsumgehung B. für die mit dieser Ortsum-gehung insgesamt und der nachfolgenden Umgestaltung des Orts-kerns verbundenen Konzeption ist damit zu rechnen, dass der Ratder Antragsgegnerin die oben angesprochenen Mängel des Bebau-ungsplans beheben und ihn erneut als Satzung beschließen wird.Da eine solche Fehlerkorrektur als durchaus möglich erscheint,sieht sich der Senat zur Vermeidung künftiger Rechtsstreitigkeitenveranlasst, zu den von den Beteiligten angesprochenen und disku-tierten Gesichtspunkten, die die Wirksamkeit des Bebauungsplansbetreffen und auch für einen neuen Bebauungsplan von Bedeu-tung sein können, Folgendes auszuführen: (Wird ausgeführt).

Anspruch auf Akteneinsicht desEinwendungsberechtigten nach RL 2003/4/EG

VGH Kassel, Beschluss vom 4. Januar 2006 – 12 Q 2828/05

Leitsätze:1. Bei dem Begehren auf Akteneinsicht in die Verfahrensakten, die

im Zusammenhang mit dem Planfeststellungsverfahren für dengeplanten Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main entstandensind, handelt es sich um eine Streitigkeit im Sinne von § 48 Abs.1 Satz 1 Nr. 6 VwGO, über die der Hessische Verwaltungsge-richtshof im ersten Rechtszug zu entscheiden hat.

2. Das Recht, im Planfeststellungsverfahren Einwendungen erhe-ben und diese in einem Erörterungstermin substantiell erörternzu können, wird durch den Anspruch auf Umweltinformationennach der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments unddes Rates vom 28. Januar 2003 mit der rechtlichen Konsequenzerweitert, dass die Betroffenen, die zur Erhebung von Einwen-dungen befugt sind, bei der Begründung und Erörterung dieserEinwendungen auf den bei der Planfeststellungsbehörde, derAnhörungsbehörde oder sonstigen Behörden vorhandenenAkteninhalt mit Umweltdaten zurückgreifen können.

Aus dem Tatbestand:Die Antragsteller, eine Bürgerinitiative und vier ihr angehörigeBürger, begehren im Wege der einstweiligen Anordnung Einsicht-nahme in die Verfahrensakten zum Planfeststellungsverfahrenbetreffend den Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main. DieAntragsteller beantragten beim Hessischen Ministerium für Wirt-schaft, Verkehr und Landesentwicklung Einsichtnahme in dieUnterlagen, die von der Vorhabensträgerin zum Ausbau des Flug-hafens Frankfurt/Main vorgelegt worden waren.

Das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landes-entwicklung teilte den Antragstellern unter dem 6. Dezember2004 mit, dass der Antrag zuständigkeitshalber an das Regierungs-präsidium Darmstadt weitergeleitet worden sei.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2004 erklärten die Antragstel-ler, dass Akteneinsicht in die gesamten Verfahrensunterlagen, ins-

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besondere in weitere Gutachten und Stellungnahmen andererFachbehörden begehrt werde.

Das Regierungspräsidium Darmstadt gewährte mit Schreibenvom 24. Januar 2005 Einsicht in die von der Vorhabensträgerinvorgelegten Planunterlagen zu dem Planfeststellungsantrag undteilte gleichzeitig mit, diese Unterlagen lägen auch in 57 Städtenund Gemeinden aus. In Kürze werde gesondert über den Antragauf Einsicht in die bei der Behörde geführten Verfahrensunterla-gen entschieden.

Mit Bescheid vom 19. September 2005 lehnte das Regierungs-präsidium Darmstadt den Antrag ab und führte zur Begründungim wesentlichen aus, die von den Antragstellern begehrten Gut-achten und fachbehördlichen Stellungnahmen gehörten zwar zuden »Informationen über die Umwelt«, zu denen die Richtlinie2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom28. Januar 2003 ein Zugangsrecht begründeten, zum gegenwärti-gen Zeitpunkt für die Dauer des Anhörungsverfahrens könne aberkeine Einsichtnahme in diese Umweltinformationen gewährt wer-den, da die Ausnahmetatbestände des Art. 4 Abs. 1 lit. d und e derRichtlinie vorlägen. Danach sei der Zugang zu unvollständigemMaterial, noch nicht abgeschlossenen Schriftstücken, noch nichtaufbereiteten Daten und zu internen Mitteilungen abzulehnen.Auch die fachbehördlichen Stellungnahmen zu den Unterlagender Fraport AG dienten dem Sinn und Zweck des Anhörungsver-fahrens, nämlich die rechtzeitig erhobenen Einwendungen gegenden Plan und die Stellungnahmen der Behörden mit den Trägerndes Vorhabens, den Behörden, den Betroffenen sowie den Einwen-dern zu erörtern. Erst das Ergebnis des Anhörungsverfahrenswerde in eine abschließende behördliche Einschätzung der Aus-wirkungen des Vorhabens – zunächst in der Form der Stellung-nahme der Anhörungsbehörde – und dann in die Entscheidungüber den Planfeststellungsbeschluss einfließen. Die behördlichenEinschätzungen, die in den Stellungnahmen beteiligter Behördendokumentiert seien, bildeten lediglich ein Zwischenstadium aufdem Weg zu dieser Einschätzung. Diese Stellungnahmen seien Teildes von der Anhörungsbehörde zu berücksichtigenden Sachver-halts. Wenn im laufenden Anhörungsverfahren in diese Stellung-nahmen Einsicht genommen werde, die bei der Vielzahl der abge-gebenen Stellungnahmen sehr zeitintensiv ausfallen werde, sei derinterne Arbeitsablauf des Erörterungstermins in seiner Effektivitätnicht mehr sichergestellt, da gerade die vollständige Sachverhalts-aufklärung ein wesentliches Ziel der Erörterung darstelle.

Hiergegen legten die Antragsteller (…) Widerspruch ein (…).

Aus den Gründen:Der Antrag hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden UmfangErfolg.

Die instanzielle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibtsich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO. Danach entscheidet dasOberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug über sämtliche Strei-tigkeiten, die das Anlegen, die Erweiterung oder Änderung undden Betrieb von Verkehrsflughäfen und von Verkehrslandeplätzenmit beschränktem Bauschutzbereich betreffen. Unter »sämtlicheStreitigkeiten« sind dabei alle ein Tatbestandmerkmal des Katalogsbetreffenden Hauptsache- und Nebenverfahren der Verwaltungs-gerichtsbarkeit zu verstehen (Kopp/Schenke, VwGO, § 48 Rdnr. 3;Ziekow in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 48 Rdnr. 9). Die Vorschrift sollnach der gesetzgeberischen Intention durch die Beschränkung aufeine Tatsacheninstanz und die Vermeidung der Wiederholungumfangreicher Beweisaufnahmen eine Abkürzung der Verfahrens-dauer bewirken und die Verwaltungsgerichte entlasten. Wie sichauch aus Satz 2 der Vorschrift ersehen lässt, sollte die erstinstanzli-che Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungs-gerichtshofs weit in das Vorfeld für das Vorhaben erstreckt wer-

den, um eine gespaltene Zuständigkeitszuweisung für die miteinem der aufgezählten Vorhaben zusammenhängenden Fragenzu vermeiden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 19.05.1987 – 7 C1/87 – NVwZ 1988, 76, für die Vorgängervorschrift Art. 2 § 9 Ent-lastG; von Oertzen, DÖV 1985, 750 m.w.N.). Streitigkeiten imSinne der in der Vorschrift aufgezählten Fälle sind bei der nachdem Normzweck gebotenen weiten Interpretation demnach auchStreitigkeiten über Verfahrensfragen im Vorfeld des eigentlichenHauptsacheverfahrens (Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietz-ner, VwGO, § 48 Rdnr. 6). Das Begehren der Antragsteller auf Ein-sicht in die Verfahrensakte des Planfeststellungsverfahrens, das siemateriell auf die Umweltinformationsrichtlinie stützen, betrifftdamit die Erweiterung des Verkehrsflughafens Frankfurt/Main; esgeht um eine Streitfrage innerhalb dieses Verfahrens, an dem dieAntragsteller als Einwender beteiligt sind. Der von den Antragstel-lern geltend gemachte Anspruch auf Umweltinformation ist –insoweit ist dem Antragsgegner zuzustimmen – seiner Ausgestal-tung nach verfahrensunabhängig. Dies hat aber nicht zur Folge,dass die begehrte Akteneinsicht in die Verfahrensakte nicht eineStreitigkeit ist, die die Erweiterung eines Verkehrsflughafensbetrifft, denn die Antragsteller wollen mit den erlangten Informa-tionen ihre Einwendungen und ihre Beiträge zur Erörterung ebendieses Vorhabens verstärken und der Antrag bezieht sich geradeauf die Verfahrensakte, die im Zusammenhang mit dem Planfest-stellungsverfahren für den geplanten Ausbau des FlughafensFrankfurt/Main entstanden ist.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123Abs. 1 VwGO ist für das Begehren der Antragsteller die statthafteRechtsschutzform, ohne dass es hier darauf ankommt, ob in derHauptsache die allgemeine Leistungsklage oder die Verpflich-tungsklage zu erheben wäre (vgl. hierzu Fluck/Winterle, Verw.Arch. 2003, 456).

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstwei-lige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes inBezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Rege-lung zur Vermeidung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint,wobei es erforderlich ist, dass ein Anordnungsanspruch und einAnordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).

Die Antragsteller zu 2. bis 5. haben einen Anordnungsanspruchglaubhaft gemacht. Der ihr Begehren stützende Anspruch ergibtsich aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 der Richtlinie 2003/4/EG desEuropäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 überden Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zurAufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (ABl. EU Nr. L 41v. 14.02.2003, S. 26 ff.). Diese Richtlinie gilt nach dem Erlass desHessischen Ministeriums für Umwelt, ländlichen Raum und Ver-braucherschutz vom 17. Februar 2005 (StAnz. 11/2005 S. 1027) biszum Inkrafttreten einer landesgesetzlichen Regelung für die infor-mationspflichtigen Stellen des Landes Hessen unmittelbar. Die am14. Februar 2005 in Kraft getretene Neufassung des Umweltinfor-mationsgesetzes (BGBl. I 2004, S. 3704 ff.) gilt dem Anwendungs-bereich nach nur für die informationspflichtigen Stellen des Bun-des und der bundesunmittelbaren juristischen Personen desöffentlichen Rechts; das Umweltinformationsgesetz a.F., das auchfür die Länder galt, ist außer Kraft getreten.

Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/4/EG gewährleisten dieMitgliedstaaten, dass Behörden gemäß den Bestimmungen dieserRichtlinie verpflichtet sind, die bei ihnen vorhandenen oder fürsie bereitgehaltenen Umweltinformationen allen Antragstellernauf Antrag zugänglich zu machen, ohne dass diese ein Interessegeltend zu machen brauchen. Nach Art. 3 Abs. 2 lit. a sind diebegehrten Umweltinformationen dem Antragsteller so bald wiemöglich, spätestens jedoch innerhalb eines Monats nach Eingang

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des Antrags oder gemäß lit. b innerhalb von zwei Monaten nachEingang des Antrags bei der Behörde zugänglich zu machen, fallsdie Information zu umfangreich und komplex für die Fristvorgabenach lit. a ist.

Es ist davon auszugehen und wird auch vom Antragsgegnernicht bestritten, dass die von den Antragstellern begehrten Infor-mationen aus der Verfahrensakte fachbehördliche Stellungnah-men und Gutachten betreffen, die in weiten Teilen solcheUmweltinformationen enthalten; dies sind nach Art. 2 Nr. 1 derRichtlinie alle Informationen, die für den Umweltschutz vonBedeutung sein können, gleich ob in schriftlicher oder andererForm, über den Zustand der Umwelt in ihren verschiedenenBestandteilen, über die verschiedenen Einwirkfaktoren auf dieseUmweltbestandteile und über Maßnahmen (einschließlich Ver-waltungsmaßnahmen), die sich auf die Umweltbestandteile aus-wirken oder ihrem Schutz dienen.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners können auchweder die Ausnahmetatbestände nach Art. 4 Abs. 1 lit. d nochnach lit. e für eine Ablehnung des Gesuchs der Antragstellerherangezogen werden. Art. 4 der Richtlinie bestimmt, dass dieMitgliedstaaten in den im Einzelnen aufgeführten Fällen dieAblehnung eines Antrages auf Zugang zu Umweltinformationenvorsehen können. Bei einer unmittelbaren Geltung der Richtlinie,wie sie hier durch Erlass vom 17. Februar 2005 vorgesehen ist, sindauch die Ausnahmetatbestände anzuwenden. Dabei ist zu beach-ten, dass vom Richtliniengeber – wie der 16. Begründungserwä-gung zu der Richtlinie 2003/4/EG zu entnehmen ist – eine engeAuslegung der Verweigerungsgründe gewollt ist.

Der Ausnahmetatbestand nach Art. 4 Abs. 1 lit. d der Richtlinieliegt nicht vor. Bei den Gutachten und Stellungnahmen der Fach-behörden, auf die sich der Antrag richtet, handelt es sich nicht umMaterial, das gerade vervollständigt wird (erster Fall). Hieruntersind etwa Daten oder sonstige Erhebungen zu verstehen, diezusammengetragen werden und noch nicht vollständig sind.

Auch unter den zweiten Fall von Art. 4 Abs. 1 lit. d der Richtli-nie, die»noch nicht abgeschlossene(n) Schriftstücke«, fallen dievon den Antragstellern begehrten Informationen nicht. Hierbeihandelt es sich um Entwürfe für Verwaltungsakte, Stellungnah-men und sonstige Erklärungen etc., die noch nicht für den Rechts-verkehr nach außen bestimmt sind und in der Regel noch nichtdie Unterschrift des Verfassers tragen und nicht datumsmäßiggekennzeichnet sind. Nicht unter diese Ausnahme fallen auchihrerseits abgeschlossene Schriftstücke, die zur Fertigstellung einesGesamtschriftstücks benötigt werden, wie Gutachten, Stellung-nahmen und dergleichen (vgl. Schrader in: Schomerus/Schra-der/Wegener, UIG, § 7 Rdnr. 27).

Es handelt sich schließlich auch nicht um »noch nicht aufberei-tete Daten« (dritter Fall). Um solche Daten würde es sich handeln,wenn die technische Ermittlung oder Bearbeitung noch nichtabgeschlossen wäre (hierzu nach dem früheren Umweltinformati-onsgesetz Turiaux, UIG, § 7 Rdnr. 47). So muss etwa die Behördebei einer automatischen Aufzeichnung der Messdaten nicht denAufzeichnungsvorgang unterbrechen, um die gewünschten Infor-mationen zur Verfügung zu stellen (Kummer/Schumacher, UIG, S.38 f.). Die fehlende Bewertung der Daten stellt keinen Ausschluss-grund dar (Kramer, Erl. § 7 UIG Nr. 20). Soweit die streitgegen-ständlichen Gutachten und Stellungnahmen Umweltdaten ent-halten, sind diese aufbereitet im Sinne der Richtlinie.

Auch der Ausnahmetatbestand nach Art. 4 Abs. 1 lit. e der Richt-linie, wonach »interne Mitteilungen« nicht zugänglich zu machensind, liegt nicht vor. Der öffentliche Belang, dem diese Ausnahmedient, nämlich der Schutz der Vertraulichkeit des innerbehördli-chen Entscheidungsprozesses, ist bei der Stellungnahme eineranderen beteiligten Behörde regelmäßig nicht berührt (vgl. OVG

Schleswig, Beschluss v. 10.07.1996 – 4 L 222/95 –, ZUR 1997, 43).Die von den Antragstellern begehrten Stellungnahmen der Fach-behörden zu dem Vorhaben sind keine Verwaltungsinterna.

Die Antragsteller zu 2. bis 5. haben auch einen Anordnungs-grund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO),der ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfer-tigt. Diese prozessuale Voraussetzung gilt auch dann, wenn dermateriell-rechtliche Anspruch, der durchgesetzt werden soll, ver-gleichbare Voraussetzungen nicht enthält, wie hier beimAnspruch auf Zugang zu Umweltinformationen, der ohne Nach-weis eines Interesses der Antragsteller besteht (Bay. VGH,Beschluss v. 22.11.2000 – 22 ZE 00.2779 –, NVwZ 2001, 342 zumUIG). Die Richtlinie 2003/4/EG enthält keine Regelung darüber,dass spezielle Erleichterungen im Verfahren des vorläufigenRechtsschutzes vorzusehen sind.

Die Antragsteller tragen zur Begründung ihres Begehrens vor, siekönnten ihre Bedenken und Anregungen zu dem Plan für den Aus-bau des Flughafens Frankfurt/Main auf der Grundlage der in denfachbehördlichen Gutachten und Stellungnahmen enthaltenenUmweltinformationen besser vortragen und erörtern. Die Behör-denstellungnahmen und die vorliegenden Gutachten ermöglich-ten es ihnen, die von der Vorhabensträgerin vorgelegten Gutach-ten einer weiteren kritischen Prüfung zu unterziehen. Da sie selbstdie finanziellen Möglichkeiten nicht hätten, die Vielzahl der vorge-legten Gutachten durch eigene Gutachtensaufträge auf Mängelund Unzulänglichkeiten zu überprüfen, würden sie durch die Stel-lungnahmen der Fachbehörden hierzu besser in die Lage versetzt.Der Zugang zu den von ihnen gewünschten Informationen sei einenotwendige Voraussetzung ihrer bürgerschaftlichen Verfahrens-teilhabe und diene der Öffentlichkeitsbeteiligung in ihren partizi-patorischen, rechtsstaatlichen und demokratischen Funktionen.

Dieser von den Antragstellern so bestimmten und beschriebe-nen Nutzungs- und Verwendungsabsicht kann nicht mit Erfolgentgegengehalten werden, dass der Umweltinformationsanspruchgerade verfahrensunabhängig bestehe. Der mit den zu erlangen-den Informationen verfolgte Zweck ist vielmehr als Element desInformationsanspruchs zu berücksichtigen. Infolge des Zusam-menhangs zwischen dem Anspruch auf Umweltinformationenund dem Erörterungsverfahren zu dem Planfeststellungsantrag fürden Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main ergibt sich die Dring-lichkeit des Begehrens aus dem Zeitplan des Verfahrens und demdanach vorgesehenen voraussichtlichen Ende des Erörterungster-mins im Frühjahr 2006. Die begehrte Akteneinsicht ist somit not-wendig, um eine Beeinträchtigung der Rechtspositionen derAntragsteller zu 2. bis 5. im Planfeststellungsverfahren zu vermei-den. Die Vorschriften über das Planfeststellungsverfahren gewäh-ren zwar nur ein Recht auf Erhebung von Einwendungen und aufsubstantielle Erörterung dieser Einwendungen, diese Verfahrens-position wird aber durch den Anspruch auf Umweltinformationennach der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments unddes Rates vom 28. Januar 2003 mit der rechtlichen Konsequenzerweitert, dass die Betroffenen, die zur Erhebung von Einwendun-gen befugt sind, bei der Begründung und Erörterung dieser Ein-wendungen auf das bei der Planfeststellungsbehörde, der Anhö-rungsbehörde oder sonstigen Behörden vorhandene Material überUmweltdaten zurückgreifen können. Inhaltlich erstreckt sich derAnspruch auf alle Umweltinformationen, auch wenn sich dieAntragsteller zu 2. bis 5. im Planfeststellungsverfahren nur aufimmissionsschutzrechtliche Belange berufen können.

Eine Verweisung der Antragsteller auf ein Hauptsacheverfahrenist bei Berücksichtigung der mit der Umweltinformationsrichtli-nie verfolgten Zwecke nicht zumutbar (zum Einfluss materiell-rechtlicher Wertungen auf die Zumutbarkeit vgl. BVerfG,Beschluss v. 25.10.1988 – 2 BvR 745/88 –, BVerfGE 79, 69, 75 und

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VGH Kasse l , Anspruch auf Aktene ins icht des E inwendungsberecht igten | R E C H T S P R E C H U N G

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R E C H T S P R E C H U N G | VGH Mannheim, Kostenverantwortung für d ie Rückführung i l lega ler Abfa l lexporte

78). Der rechtlich möglichst ungehinderte und uneingeschränkteZugang zu Umweltinformationen soll zur Kontrolle der Verwal-tung, zur Schärfung des Umweltbewusstseins und zur Effektuie-rung der von den Mitgliedstaaten umzusetzenden Umweltpolitikbeitragen (BVerwG, Urteil v. 25.03.1999 – 7 C 21/98 –, BVerwGE108, 369, 373; Bay. VGH, a.a.O., 342). Diese Zwecke legen einebeschleunigte Rechtsdurchsetzung nahe, da der Anspruch derSache nach »einen hohen Evidenzgrad besitzt« und keine schwie-rigen Rechtsfragen aufwirft, die noch einer Klärung bedürften (vgl.Bay. VGH, a.a.O., 343; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO,§ 123 Rdnr. 83).

Klarzustellen ist allerdings, dass der Anspruch auf Umweltinfor-mationen den Antragstellern kein Recht verleiht, EinwendungenPrivater einzusehen (Art. 4 Abs. 3 lit. f der Richtlinie), darauf zieltder Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach der vor-getragenen Begründung auch nicht ab.

Die Art und Weise, in der die Umweltinformationen zu erteilensind, richtet sich in erster Linie nach dem Begehren der Antragstel-ler. Eine Verweisung auf die Überlassung von Kopien kommtdaher nur in Betracht, wenn die Einsicht in die Akten eine aufwen-dige oder praktisch gar nicht zu leistende Entfernung von Unterla-gen voraussetzt, die zum Schutz öffentlicher oder privater Belangevom Informationsanspruch nicht erfasst werden (BVerwG, Urteilv. 06.12.1996 – 7 C 64.95 –, BVerwGE 102, 282, 285). Dass die Ein-räumung von Akteneinsicht einen unverhältnismäßigen Verwal-tungsaufwand erfordert, ist für den Senat nicht erkennbar. Dieje-nigen Aktenteile, die nicht eingesehen werden dürfen, könnenabgetrennt werden, was bezüglich der Einwendungen Privaterohnehin einer verbreiteten Praxis in Planfeststellungsverfahrenentspricht. Das schließt nicht aus, dass der Antragsgegner denAntragstellern zu 2. bis 5. mit deren Einverständnis wie im Schrift-satz vom 21. Dezember 2005 angedeutet, Kopien der Unterlagenüberlässt und dazu in verbindlicher Form erklärt, dass der zur Ver-fügung gestellte Aktenstand inhaltlich der Originalaktenlage invollem Umfang entspricht.

Unbegründet ist allerdings der Antrag der Antragstellerin zu 1.Auch wenn sowohl der Anspruch auf Umweltinformation als auchdie prozessuale Beteiligtenfähigkeit grundsätzlich auch einer Bür-gerinitiative zustehen kann (Fluck/Wintterle, Verw. Arch. 2003,S. 437, 443) fehlt der Antragstellerin zu 1. eine Rechtsposition, zuderen Verteidigung die begehrte einstweilige Anordnung nötig ist.Nach dem Vortrag der Antragsteller sind Gesellschafter der Antrag-stellerin zu 1. Anwohner des Stadtteils Sachsenhausen, »diegemeinsam den Zweck verfolgen, ihre Interessen insbesondere imVerfahren zum Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main wahrzuneh-men«. Damit verfolgt die Antragstellerin zu 1. lediglich den Zweck,die Belange ihrer Mitglieder wahrzunehmen. Es ist kein Anhalts-punkt dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass der Antragstellerinzu 1. als Außengesellschaft des Bürgerlichen Rechts eine eigene,von den Belangen der Mitglieder unabhängige Rechtsposition imPlanfeststellungsverfahren eingeräumt ist, die durch die Vorenthal-tung von Umweltinformationen beeinträchtigt sein könnte. DerAntragstellerin zu 1. steht weder Eigentum noch eine eigentums-ähnliche Position zu. Auch Immissionsabwehrbelange können vonihr nicht als eigene Rechtsposition geltend gemacht werden.

Zur Kostenverantwortung für die Rückführungillegaler Abfallexporte

VGH Mannheim, Urteil vom 22. November 2005 – 10 S 1208/04

Leitsätze der Redaktion:1. § 6 Abs. 1 Satz 1 Abfallverbringungsgesetz ist darin, dass er

neben denen, die die Verbringung notifiziert, veranlasst, ver-

mittelt oder durchgeführt haben, auch alle sonstigen an derVerbringung Beteiligten zur Kostentragung für die Rückfüh-rungskosten heranzieht, so zu verstehen, dass auch alle diejeni-gen für die Kosten inzustehen haben, die im Sinne eines polizei-rechtlichen Störers dazu beigetragen haben, dass es zu demrückführungspflichtigen Export gekommen ist.

2. Verantwortlich ist demnach im Sinne der Theorie der Zweckver-anlassung auch ein ehemaliger Abfallbesitzer, der die Abfälleeinem Dritten zur Entsorgung überlassen hat, wenngleich eraufgrund der äußeren Umstände annehmen musste, dass derDritte die Abfälle illegal ins Ausland exportiert.

Sachverhalt der Redaktion:Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem größereMengen Kunststoffabfälle lagerten. Nachdem er behördlicherseitsdazu verpflichtet worden war, die Abfälle abzuräumen, übergab ersie an den durch B vermittelten E, der gegen Zahlung eines Vor-schusses von 43.000 DM die Verfrachtung in den Libanon veran-lasste. Aus den Umständen ergibt sich, dass der Kläger mit einerVerbringung in den Libanon rechnen musste. Der Kläger wurdezur Tragung eines Teils der Abwicklungskosten herangezogen. DasVerwaltungsgericht gab seiner Klage gegen Leistungsbescheidstatt. Es war der Auffassung, das sonstiger Beteiligter an einem ille-galen Export nur Beteiligte im strafrechtlichen Sinne sein könn-ten. Der VGH gab demgegenüber der Berufung statt.

Aus den Gründen:(…) 2. Bestand somit nach Maßgabe des Art. 26 VO 259/93/EWGeine Pflicht zur Wiedereinfuhr der in den Libanon verbrachtenAbfälle im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG, traf diese Ver-pflichtung auch den Kläger, weil er zu den Adressaten der Rückfüh-rungspflicht gehört. Der Kläger kann nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Abf-VerbrG zwar weder als Erzeuger der verbrachten Abfälle noch alsPerson, die die Verbringung notifiziert hätte, in Anspruch genom-men werden; er hat auch nicht die illegale Abfallverbringung ver-anlasst, vermittelt oder durchgeführt. Er ist jedoch »in sonstigerWeise« an der illegalen Abfallverbringung in den Libanon beteiligtgewesen.

a) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der in § 6Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG verwendete und auf den illegalen Abfall-export bezogene unbestimmte Rechtsbegriff »in sonstiger Weisebeteiligt« nicht nach den Grundsätzen der Beihilfe im Strafrechtzu konkretisieren. Diese im Schrifttum ohne nähere Begründungvertretene Auffassung (von Lersner/Wendenburg, Recht derAbfallbeseitigung, Stand: Oktober 2005, § 6 AbfVerbrG RdNr. 9),der sich das Verwaltungsgericht angeschlossen hat, versucht,wegen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots dem Begriff »insonstiger Weise beteiligt« handhabbare Konturen zu verleihenund bedient sich hierfür der »Hilfe der strafrechtlichen Definitionder Beteiligung (Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe) in §§ 25 ff.StGB« (so von Lersner/Wendenburg, a.a.O.).

aa) Diese Rechtsauffassung verkennt indes, dass es sich bei demAbfallverbringungsrecht – jedenfalls in dem hier maßgeblichenZusammenhang – nicht um eine Materie des Strafrechts, sonderndes Gefahrenabwehrrechts handelt. Deshalb erfolgt die Konkreti-sierung des Gesetzesmerkmals der Beteiligung »in sonstiger Weise«an dem illegalen Abfallexport in den Libanon nicht nach denstrafrechtlichen Grundsätzen zur Beihilfe, sondern nach denRegeln zur Verantwortlichkeit (»Störer«eigenschaft) des allgemei-nen Polizei- und Ordnungsrechts. Der Europäische Gerichtshofhat in seinem Urteil vom 28. Juni 1994 zur Rechtmäßigkeit derEG-Abfallverbringungsverordnung ausdrücklich erklärt, dass dasAbfallverbringungsrecht eine Materie des Umweltrechts (undnicht der Binnenmarktharmonisierung) darstelle und daher einSystem zur Überwachung und Kontrolle der Abfallverbringung

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schaffe (EuGH, Slg. 1994 I-2857 = DVBl 1994, 997 = NVwZ 1995,261 – RdNr. 18). Dieser gefahrenabwehrrechtliche Ansatz desAbfallverbringungsrechts wird durch die zur Auslegung der EG-Verordnung maßgeblichen Erwägungsgründe (vgl. Art. 190EWGV = Art. 253 EGV) gestützt (vgl. Gründe Nr. 6 und Nr. 9) undausdrücklich auf diejenigen Staaten bezogen, die nicht demOECD-Rechtsregime unterfallen (vgl. Gründe Nr. 12 und Nr. 13),wobei die Notwendigkeit des Überwachungsverfahrens geradeauch auf Abfälle der Grünen Liste erstreckt wird (vgl. Grund Nr.15). In Bezug auf die Rückführungspflicht spricht das EGRecht(Art. 26 Abs. 2 VO 259/93/EWG) präziser als das deutsche Recht(§ 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG) von der Pflichtigkeit derjenigen Per-son, die die illegale Abfallverbringung »zu verantworten« hat (ein-geräumt auch von Lersner/Wendenburg, a.a.O.). Diese Regelungsteht in Übereinstimmung mit Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 des BaslerÜbereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitendenVerbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (BGBl II1994 S. 2703), nach dem der illegale Abfallexport ebenfalls nur andas Verhalten des Exporteurs (Absatz 2) bzw. des Importeurs(Absatz 3) und nicht (auch noch) an ein Verschulden geknüpft ist.Für Art. 26 VO 259/93/EWG ist vor diesem Hintergrund nichtstreitig, dass der Verantwortungsmaßstab für die Rückführungs-pflicht verschuldensunabhängig ist (Krieger, in: Rengeling, Hand-buch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Band II, 2.Aufl. 2003, § 74 RdNr. 66; Scholl, in: Fluck, a.a.O., Art. 26EGAbfVerbrVO RdNr. 59).

bb) Die Entstehungsgeschichte des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrGsteht einem Verständnis der Pflichtigkeit für die Wiedereinfuhrillegal exportierter Abfälle im Sinne des allgemeinen Gefahrenab-wehrrechts nicht entgegen, sondern stützt diese Auslegung eher.Die Verantwortlichkeit des »in sonstiger Weise« an der illegalenAbfallverbringung Beteiligten für die Rückführung der Abfälle warweder im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung(vgl. BTDrucks. 12/5278, S. 5) noch in einem späteren Regierungs-entwurf enthalten (vgl. BT-Drucks. 12/6351, S. 7), sondern wurdeerstmals vom Bundesrat formuliert (vgl. BT-Drucks. 12/6351,S. 23), jedoch von der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerungnicht aufgegriffen (vgl. BT-Drucks. 12/6351, S. 35). Auch in derBeschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit wurde darauf verzichtet, dieWiedereinfuhrpflicht auf »in sonstiger Weise« an dem illegalenAbfallexport Beteiligte zu erstrecken (vgl. BT-Drucks. 12/7032,S. 10); die – gegenüber dem Regierungsentwurf vorgenommene –Ausdehnung der Pflichtigkeit wurde ausdrücklich auf den Abfal-lerzeuger, den Abfallexporteur sowie den Vermittler oder Zwi-schenhändler des Abfallexports begrenzt (vgl. BT-Drucks.12/7032, S. 27). Im Anrufungsbegehren des Bundesrates an denVermittlungsausschuss wurde zur Rückführungspflicht beim ille-galen Abfallexport der Passus »oder daran in sonstiger Weise betei-ligt war« wieder in den Gesetzentwurf aufgenommen (vgl. BT-Drucks. 12/7479, S. 3). Zur Begründung für die vorgeschlageneGesetzesfassung wurde ausgeführt: »Der Kreis der Rückführungs-pflichtigen muss auf alle ausgedehnt werden, die in irgendeinerForm kausal für die unerlaubte Verbringung waren. Dies erfordertneben einem Auffangtatbestand (jeder, der an einer unerlaubtenVerbringung in sonstiger Weise beteiligt war) auch die Einbezie-hung des Abfallerzeugers« (BT-Drucks. 12/7479, S. 3 f.) Der Ver-mittlungsausschuss ist dem in der Sache gefolgt und hat sich aufdie noch heute geltende Fassung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrGverständigt (vgl. BT-Drucks. 12/8085, S. 4).

Die Entstehungsgeschichte der Gesetzesvorschrift macht deut-lich, dass an eine strafrechtlich geprägte Ausfüllung des Gesetzes-merkmals »in sonstiger Weise beteiligt« nicht gedacht war. Viel-mehr belegt der Hinweis auf die Kausalität einer Beteiligung an der

unerlaubten Abfallverbringung, dass die Gesetzeskonkretisierungnach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen zu erfolgen hat. Da dieEntstehungsgeschichte des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG keine wei-teren Aufschlüsse zu den Anforderungen an die Kausalität derBeteiligung am illegalen Abfallexport gibt, ist die Konkretisie-rungsaufgabe der Rechtsprechung überantwortet, die sich ihrer-seits aus den erwähnten Gründen an den allgemeinen Grundsät-zen des Gefahrenabwehrrechts zu orientieren hat. Danach trifftdie Verantwortlichkeit für eine rechtswidrige bzw. ordnungswid-rige Lage denjenigen, der in rechtsnormativem Sinn als »Störer«qualifiziert werden kann. Denn nur dann besteht der rechtsstaat-lich geforderte Zurechungszusammenhang zwischen der illegalenSituation und der hierfür bestehenden Verantwortlichkeit einerPerson, der eine Durchbrechung des Freiheitsanspruchs des Ein-zelnen rechtfertigt, von behördlichen (Gefahrenabwehr-) Maß-nahmen verschont zu bleiben, die nicht durch eine hinreichendeBeziehung zwischen dieser Person und der illegalen Lage legiti-miert sind (Schoch, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwal-tungsrecht, 13. Aufl. 2005, 2. Kap. RdNr. 118, m.w.Nachw.).

b) Die für die illegale Abfallverbringung hier allein in Betrachtkommende Verhaltensverantwortlichkeit ist nach der Theorie derunmittelbaren Verursachung zu ermitteln. Danach verursacht nurdiejenige Person verantwortlich eine Gefahr, die mit ihrem Ver-halten die Schwelle zu einer konkreten Gefahrenlage unmittelbarüberschreitet. Das ist in der Regel derjenige, der die zeitlich letzteUrsache gesetzt hat. Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Ver-antwortlichkeit des Klägers aus. Handlungsstörer in Bezug auf dieunrechtmäßige Abfallverbringung in den Libanon waren die Her-ren B. und E.. Die von ihnen veranlasste und durchgeführte Ver-bringung der Kunststoffe in den Libanon war die rechtswidrigeAktion, die zur Rückführungspflicht geführt hat. Dem Kläger istkein Verhalten anzulasten, das ihn als eigentlichen Handlungsstö-rer im Sinne des Gefahrenabwehrrechts erscheinen lässt.

Der Kläger ist jedoch Zweckveranlasser im Sinne des Gefahren-abwehrrechts. Nach der Theorie der unmittelbaren Verursachungwerden – unabhängig vom zeitlich letzten Beitrag – im Wege einerwertenden Betrachtung alle wesentlichen Faktoren ermittelt undin Rechnung gestellt, die ausschlaggebende Ursachen für den poli-zei- bzw. ordnungswidrigen Erfolg darstellen. Es muss ein hinrei-chend enger Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang zwi-schen dem Überschreiten der Gefahrenschwelle und dem Verhal-ten einer Person vorliegen, der es gerechtfertigt erscheinen lässt,die Pflichtigkeit dieser Person zu bejahen. Dabei kommt es nachder subjektiven Theorie auf die Intention des »Hintermannes« an;er ist Störer, wenn er mit Wissen und Wollen die Überschreitungder Gefahrenschwelle durch den »eigentlichen« Störer begleitet,dies jedenfalls billigend in Kauf nimmt. Nach der objektivenTheorie kommt es auf den aus der Sicht eines unbeteiligten Drit-ten erkennbaren Wirkungs- und Verantwortungszusammenhangan; ist der Eintritt der Gefahrensituation eine typische Folge desVerhaltens des »Hintermannes«, ist auch dieser gefahrenabwehr-rechtlich verantwortlich. Die Kombinationstheorie sieht im Inte-resse einer wirksamen Gefahrenabwehr durch Verknüpfung vonsubjektiver und objektiver Theorie als Zweckveranlasser an, wereine Gefahrensituation herbeiführt, indem er entweder den Erfolgbezweckt oder dieser sich als Folge seines Verhaltens zwangsläufigeinstellt (vgl. dazu m.w.Nachw. Schoch, a.a.O., RdNr. 140).

Der Senat kann offen lassen, nach welcher der genannten Theo-rien die Anforderungen an die Zweckveranlassung zu bestimmensind. Nach allen drei Lehren ist der Kläger »Zweckveranlasser« imSinne des Gefahrenabwehrrechts.

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VGH Mannheim, Kostenverantwortung für d ie Rückführung i l lega ler Abfa l lexporte | R E C H T S P R E C H U N G

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R E C H T S P R E C H U N G | VGH Mannheim, Baule i tp laner i sche Standortausweisung für Windenerg ieanlagen

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Bauleitplanerische Standortausweisung fürWindenergieanlagen – »Holzschlägermatte«

VGH Mannheim Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04

Leitsätze der Redaktion:1. Ein Flächennutzungsplan, dessen Verwirklichung unüberwind-

bare rechtliche Hindernisse entgegenstehen, verstößt gegen§ 1 Abs. 3 BauGB.

2. Für die Beurteilung, ob einer Planverwirklichung unüberwind-bare rechtliche Hindernisse entgegenstehen, ist von den imErläuterungsbericht zum F-Plan enthaltenen Festlegungen zurmaximalen Anlagenhöhe auszugehen.

3. Zu den Voraussetzungen für eine Befreiung von naturschutz-rechtlichen Vorschriften, insbesondere zur Abwägung zwi-schen Klimaschutzinteressen und Naturschutzinteressen.

Aus dem Tatbestand:Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die 51.Änderung ihres Flächennutzungsplans mit der Darstellung vonVorrangflächen für Windenergieanlagen auch im Hinblick auf denBereich Holzschlägermatte zu genehmigen.

Mit der Änderung des Flächennutzungsplans hat die Klägerindie Standortbereiche Holzschlägermatte und Rosskopf als Vor-rangflächen für die Windenergie dargestellt und diesen Darstel-lungen die Ausschlusswirkung für das übrige Gemeindegebietzuerkannt. Dabei wurden die maximale Nabenhöhe von 98 m unddie maximale Gesamthöhe von 133 m sowie die Einheitlichkeitdes Anlagentyps festgeschrieben.

Die Vorrangfläche »Holzschlägermatte« liegt im räumlichenGeltungsbereich der Verordnung des Regierungspräsidiums Frei-burg über das Natur- und Landschaftsschutzgebiet »Schauinsland«vom 12.12.2002. (…) Der Standort Holzschlägermatte liegt etwa300 m unterhalb des Schauinslandgipfels. Die Vorrangflächebefindet sich zwischen ca. 625 m und 1,25 km von der westlichenGrenze des Landschaftschutzgebietes und ca. 500 m vom westli-chen Rand des Naturschutzgebiets entfernt. (…)

Aus den Gründen:Die Berufung des Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgerichthat zu Unrecht den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburgvom 23.6.2003, soweit mit ihm die Erteilung der Genehmigungfür den Bereich der Vorrangfläche »Holzschlägermatte« abgelehntwurde, aufgehoben und die Verpflichtung des Beklagten ausge-sprochen, die Genehmigung der Änderung des Flächennutzungs-plans zu erteilen. Die Versagung der Genehmigung ist rechtmäßigund verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hatkeinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung (§ 113 Abs. 5VwGO).

(…)Die Vorschrift des § 6 Abs. 2 BauGB normiert abschließend die

Voraussetzungen, nach denen die beantragte Genehmigung ver-sagt werden darf und will die Genehmigungsfähigkeit auf eineRechtsprüfung beschränken. Neben den »internen« Normen, wel-che das Baugesetzbuch selbst enthält, sind bei der Rechtsprüfungauch »externe« Normen zu berücksichtigen, zu denen auch Rege-lungen des Natur- und Landschaftsschutzes gehören. Auch diesehat die planende Gemeinde bereits bei den zu treffenden Darstel-lungen ihres Flächennutzungsplans zu beachten (BVerwG, Urteilvom 21.10.1999 – 4 C 1.99 –, BVerwGE 109, 371; vgl. hierzu auchBayVGH, Urteil vom 14.1.2003 – 1 N 01 .2072 –, BauR 2003, 997 =BayVBI 2003, 686). In welcher Weise »sonstige Rechtsvorschrif-ten« als dritte Alternative der Rechtsprüfung bereits bei der Auf-stellung eines Flächennutzungsplans verbindlich und wider-spruchsfrei zu beachten sind, ist auf der Grundlage der Aufgabe zu

beurteilen, die der Plan gemäß § 1 Abs. 3 BauGB für die städtebau-liche Entwicklung und Ordnung zu erfüllen hat (BVerwG, Urteilvom 21.10.1999 -4 C 1.99 –, BVerwGE 109, 371).

Die Darstellung einer Vorrangfläche für Windkraftanlagen imBereich der Holzschlägermatte verstößt gegen § 1 Abs. 3 BauGB.Danach sind Bauleitpläne aufzustellen, zu ändern, zu ergänzenoder aufzuheben, sobald und soweit es für die städtebauliche Ent-wicklung und Ordnung erforderlich ist. Der Gesetzgeber richtetmit dem Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit u.a. eine Pla-nungsschranke für den Fall auf, dass sich eine Planung als nichtvollzugsfähig erweist, weil ihr auf unabsehbare Zeit unüberwind-bare rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen. EinBauleitplan, der aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen aufDauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt,vermag die Aufgabe der verbindlichen Bauleitplanung nicht zuerfüllen und verstößt deshalb gegen das Gebot der Erforderlichkeitder Planung. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB setzt eine Darstellungvoraus, bei der eine positive Standortzuweisung mit einer Aus-schlusswirkung für das übrige Gemeindegebiet verknüpft wird.Das mit dieser Regelung verfolgte Ziel wird von vornherein ver-fehlt, wenn die Fläche, die für die vorgesehene Nutzung zur Verfü-gung stehen soll, für diesen Zweck aus tatsächlichen oder rechtli-chen Gründen schlechthin ungeeignet ist (BVerwG, Urteil vom17.12.2002-4 C 15.01–, BVerwGE 117, 287). Diese Voraussetzun-gen können z.B. erfüllt sein, wenn eine Verwirklichung der Pla-nung an genehmigungsrechtlichen Anforderungen scheiternwürde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.8.1997 – 4 NB 12.97 –,NVwZ-RR 1998, 162 und Urteil vom 12.8.1999 – 4 CN 4.98 –,BVerwGE 109, 246). Allerdings kann von einer Vollzugsunfähig-keit eines Bauleitplans nur ausgegangen werden, wenn dessenRealisierung zwangsläufig an rechtlichen Hindernissen scheiternmüsste. Dies ist zu verneinen, wenn z.B. durch Auflagen im Bauge-nehmigungsverfahren oder durch angemessene Beschränkungender Nutzung Hindernisse überwindbar sind (BVerwG, Urteil vom12.8.1999 – 4 CN 4.98 –, BVerwGE 109, 246).

Derartige rechtliche Hindernisse können auch in den natur-schutzrechtlichen Verboten in Natur- und Landschaftsschutzge-bieten liegen. Sieht der Verordnungsgeber allerdings davon ab,einer von ihm getroffenen Verbotsregelung absolute Geltung bei-zulegen und eröffnet gleichzeitig eine Abweichungsmöglichkeit,so schränkt er die Verbotswirkungen insoweit selbst von vornhe-rein ein. Sind die Voraussetzungen, an die er den Ausnahmevorbe-halt knüpft, objektiv erfüllt, so kann von einem unüberwindbarenrechtlichen Hindernis im Sinne der zu § 1 Abs. 3 BauGB ergange-nen Rechtsprechung keine Rede sein. Von den Verbotsvorschrif-ten, die sich in naturschutzrechtlichen Regelungen finden, kannunter Beachtung bestimmter gesetzlicher Vorgaben eine Befreiunggewährt werden (BVerwG, Urteil vom .17.12.2002 – 4 C 15.01 –,BVerwGE 117, 287; vgl. zu diesen Grundsätzen auch BVerwG,Urteile vom 21.3.2002 – 4 CN 14.00 –, BVerwGE 116, 144 und vom19.5.1998 – 4 A 9.97–, VerwGE 107, 1 <16>; OVG Nordrhein-West-falen, Urteil vom 19.5.2004 – 7 A 3368/02 –, NuR 2004, 690). Dienaturschutzrechtlichen Schutzvorschriften enthalten Verbote, diebestimmte Tathandlungen untersagen. Nicht der Bauleitplan odereinzelne seiner Darstellungen oder Festsetzungen, sondern erstderen Verwirklichung stellen somit den untersagten Eingriff dar.Befreiungsbedürftig nach § 62 BNatSchG ist deshalb das Vorha-ben, dessen Realisierung mit den naturschutzrechtlichen Vor-schriften kollidiert, nicht der Bauleitplan, auf dessen Grundlagedas Vorhaben verwirklicht werden soll. Adressat der Befreiungs-vorschrift des § 62 BNatSchG ist nicht der Plangeber, sondern der-jenige, der den Plan in die Tat umsetzen will. Für die Vollzugsfä-higkeit eines Bauleitpans kommt es somit darauf an, ob die Ver-wirklichung der in ihm vorgesehenen Darstellungen oder

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VGH Mannheim, Baule i tp laner i sche Standortausweisung für Windenerg ieanlagen | R E C H T S P R E C H U N G

ZUR 5/2006 | 265

Festsetzungen durch Erteilung einer naturschutzrechtlichenBefreiung ermöglicht werden kann. Die Planung einer baulichenNutzung scheitert nicht an § 1 Abs. 3 BauGB, wenn eine Aus-nahme oder Befreiung von naturschutzrechtlichen Verboten inBetracht kommt (für ein Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet:BVerwG, Urteil vom 30.1.2003 – 4 CN 14.01 –, DVBI. 2003, 733 =NVwZ 2003, 742).

Für die Verwirklichung der Vorrangfläche »Holzschlägermatte«bestehen unüberwindbare rechtliche Hindernisse. Die Vorrang-zone für Windkraftanlagen liegt, soweit es den Bereich »Holzschlä-germatte« betrifft, im Geltungsbereich der Verordnung über dasNatur- und Landschaftsschutzgebiet »Schauinsland« vom12.12.2002 – NLVO –, die es untersagt, in dem Landschaftsschutz-gebiet Handlungen vorzunehmen, die den Charakter des Gebietesverändern oder dem Schutzzweck zuwiderlaufen, insbesonderewenn dadurch der Naturhaushalt geschädigt (Nr. 1), die Nutzungs-fähigkeit der Naturgüter nachhaltig gestört (Nr. 2), eine im Sinnedes § 6 geschützte Flächennutzung auf Dauer geändert (Nr. 3), dasLandschaftsbild nachhaltig geändert oder die natürliche Eigenartder Landschaft beeinträchtigt oder eine Beeinträchtigung imNaturschutzgebiet nach § 4 Abs. 1 herbeigeführt (Nr. 4) oder derNaturgenuss oder der besondere Erholungswert der Landschaftbeeinträchtigt wird (Nr. 5) (§ 7 NLVO). Anders als im Naturschutz-gebiet (vgl. § 4 Abs. 3 NLVO) sind für das Landschaftsschutzgebietkeine konkreten verbotenen Handlungen wie z.B. die Errichtungbaulicher Anlagen genannt und deshalb auch nicht absolut undgenerell untersagt, sondern nur verboten, wenn die aufgeführtenVoraussetzungen eingreifen.

Die Verordnung ist entgegen der Auffassung der Klägerin rechts-gültig und nicht unwirksam. (wird ausgeführt; die Red.)

Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt die NLVO auchnicht gegen § 7 BauGB. (wird ausgeführt; die Red.)

Die Realisierung der Darstellung des Flächennutzungsplans fürden Bereich Holzschlägermatte steht nicht in Einklang mit denVorschriften der NLVO. Dargestellt im Flächennutzungsplan istinsoweit eine Vorrangfläche für Windkraft sowie eine Fläche fürMaßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung vonBoden, Natur und Landschaft. Im Erläuterungsbericht sind wei-tere »Festlegungen« bezüglich der Windkraftanlagen genannt. Sowerden in Nr. 7.3.2 »maximale Bauhöhen hinsichtlich der Naben-höhe baulicher Anlagen von 98 m und hinsichtlich der Gesamt-höhe baulicher Anlagen von 133 m festgeschrieben«. Außerdemwird in Nr. 7.3.3 »die Verschiedenartigkeit von Windenergieanla-gen ausgeschlossen«.

Von diesen Festlegungen ist auszugehen. Zwar ist der Erläute-rungsbericht – ähnlich wie die Begründung des Bebauungsplans –nach § 5 Abs. 5 BauGB dem Flächennutzungsplan beizufügen unddeshalb nicht Bestandteil des FIächennutzungsplans, so dass ergrundsätzlich auch keine verbindlichen Festlegungen enthaltenkann. Vielmehr dient er (nur) der Auslegung und Verdeutlichungdes Flächennutzungsplans (Mitschang, ZfBR 2003, 431 <442>).Etwas Anderes kann sich nur im Hinblick auf die beabsichtigteAusschlusswirkung ergeben. Allein nach ihrer Darstellung in derPlanzeichnung kann der Darstellung einer Vorrangfläche regelmä-ßig nicht entnommen werden, ob und inwieweit ein Ausschlussder Windenergie an anderen Stellen im Gemeindegebiet stattfin-den soll. Diese Absicht kann sich nur aus den Darlegungen imErläuterungsbericht ergeben (Mitschang, a.a.O. m.w.N.). Im Ubri-gen müssen – wie bei der Begründung eines Bebauungsplans – alleDarstellungen mit rechtsverbindlicher Wirkung im normativenTeil des Flächennutzungsplans, also in der Planzeichnung oder imnormativen textlichen Teil (für den Bebauungsplan vgl. Söfker inErnst-Zinkahn-Bielenberg, Kommentar zum BauGB, Stand Januar2005, § 9 RdNr. 288) enthalten sein.

Vorliegend konkretisieren die Ausführungen im Erläuterungsbe-richt die verbindliche Darstellung einer Vorrangfläche für Wind-kraftanlagen dahingehend, dass auf dieser Fläche gleichartigeWindkraftanlagen mit den genannten Maximalhöhen realisiertwerden sollen. Dies ergibt sich aus der Formulierung, wonach diemaximalen Bauhöhen »festgeschrieben« werden und die Verschie-denartigkeit der Anlagen »ausgeschlossen« wird. Bei der Prüfung,ob die Realisierung dieser Darstellung mit der NLVO zu vereinbarenist, ist danach von derartigen Windenergieanlagen auszugehen.Der Darstellung einer Vorrangfläche kommt nicht nur eine dieWindkraftnutzung (in den anderen Bereichen) ausschließende,sondern (innerhalb der Vorrangfläche) auch eine die Windkraftzulassende Wirkung zu, jedenfalls insoweit, als die Belange abge-wogen worden sind. Vorranggebiete sind Gebiete, die fürbestimmte, raumbedeutsame Funktionen oder Nutzungen vorgese-hen sind und andere raumbedeutsame Nutzungen in diesem Gebietausschließen, soweit diese mit den vorrangigen Funktionen, Nut-zungen oder Zielen der Raumordnung nicht vereinbar sind (§ 7Abs. 4 Nr. 1 ROG). Die positive und die negative Komponente derVorrangflächen bedingen einander. Der Ausschluss der Anlagen aufTeilen des Plangebiets lässt sich nach der Wertung des Gesetzgebersnur rechtfertigen, wenn der Plan sicherstellt, dass sich die betroffe-nen Vorhaben an anderer Stelle gegenüber konkurrierenden Nut-zungen durchsetzen (BVerwG, Urteil vom 13.3.2003 – 4 C 4.02 –,BVerwGE 118, 33 für Konzentrationszonen in Regionalplänen).Legt die Gemeinde im Flächennutzungsplan für ein bestimmtesGebiet die Nutzung der Windkraft fest, werden einer für diesesGebiet beantragten Windkraftanlage angesichts der gesetzgeberi-schen Privilegierung regelmäßig keine öffentlichen Belange mehrentgegenstehen (Wagner, UPR 1996, 370 <373>). Dem Eigentümersteht aufgrund der Darstellung im Flächennutzugsplan innerhalbeiner Vorrangfläche für Windenergieanlagen vorbehaltlich entge-genstehender öffentlicher Belange grundsätzlich ein Anspruch aufGenehmigung einer Windenergieanlage zu (OVG Nordrhein-West-falen, Urteil vom 27.5.2004 – 7aD 55/03.NE –, BauR 2004, 1742 fürden Fall einer Konzentrationszone; so auch Redeker in Festschriftfür Hoppe, 2000, S. 329 ff; vgl. hierzu auch Greiving/Schroder, UPR2003, 13 <15>; Enders/Bendermacher, ZfBR 2001, 450 <451>;Kirste, DVBI. 2005 S. 993 <1002>).

Die Errichtung von zwei Windkraftanlagen mit einer Gesamt-höhe von bis zu 133 m stellt eine nach § 7 NLVO verbotene Hand-lung dar, die nicht nach § 8 NLVO erlaubt werden kann. Nach § 8Abs. 1 und 2 Nr. 2 NLVO bedürfen Handlungen, die den Charakterdes Landschaftsschutzgebietes verändern oder dem Schutzzweckzuwiderlaufen können, insbesondere die Errichtung baulicherAnlagen im Sinne der LBO oder ihnen gleichgestellte Maßnahmender Erlaubnis der unteren Naturschutzbehörde, die zu erteilen ist,wenn die Handlung Wirkungen der in § 7 genannten Art nicht zurFolge hat oder solche Wirkungen durch Auflagen oder Bedingun-gen abgewendet werden können (§ 8 Abs. 3 Satz 1 NLVO).

Bei der Errichtung der Windenergieanlagen handelt es sich umeine verbotene Handlung. Sie läuft dem Schutzzweck des Gebieteszuwider. Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes ist u.a. dieErhaltung der historisch gewachsenen Kulturlandschaft einesSchwarzwaldhochlagengebietes mit seinen in die umliegendenTäler reichenden Ausläufern mit eiszeitlich geprägten Geländefor-men und dem Wechsel zwischen Wald und Feldflur, vielgestalti-gen Waidrändern, Wiesen, Weiden und markanten Weidbäumensowie die Erhaltung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Naturund Landschaft (§ 6 NLVO). Der Senat ist nach den Feststellungenbei der Augenscheinseinnahme in der mündlichen Verhandlungdavon überzeugt, dass der als Vorranggebiet dargestellte Bereichund seine nähere Umgebung dem Charakter und der Schutzwür-digkeit der Landschaft entspricht und nicht durch vorhandene

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bauliche oder sonstige Anlagen in seiner Schutzwürdigkeit ent-wertet ist. (…)

Im Landschaftsschutzgebiet sind u.a. alle Handlungen verboten,wenn dadurch das Landschaftsbild nachhaltig geändert wird (§ 7Nr. 4 NLVO). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. DieRealisierung der Darstellung des Flächennutzungsplans durch dieErrichtung von Windenergieanlagen ändert das Landschaftsbildnachhaltig. Die durch die Windenergieanlagen hervorgerufeneÄnderung des Landschaftsbildes ist nachhaltig, auch wenn ent-sprechende Genehmigungen regelmäßig nur zeitlich begrenzt undmit der Auflage erteilt werden, die Anlagen nach Ablauf der Geneh-migung wieder abzubauen. Es geht vorliegend um die Darstellungeiner Vorrangfläche im Flächennutzungsplan, so dass davon ausge-gangen werden muss, dass diese Fläche auf Dauer und damit nach-haltig für diesen Nutzungszweck zur Verfügung steht. Ob durch dieErrichtung der Windenergieanlagen weitere Verbotstatbeständeder NLVO verwirklicht sind, kann dahingestellt bleiben.

Von den Verbotsvorschriften der NLVO kann nach § 63NatSchG im Naturschutzgebiet von der höheren Naturschutzbe-hörde, im Landschaftsschutzgebiet von der unteren Naturschutz-behörde Befreiung erteilt werden (§ 11 NLVO). Zeichnet sich dieErteilung einer Befreiung für die Zukunft ab, weil eine Befreiungs-lage objektiv gegeben ist und einer Überwindung der Verbotsrege-lung auch sonst nichts im Wege steht, so darf die Gemeinde diesim Rahmen der Prognose, die sie bei der nach § 1 Abs. 3 BauGBgebotenen Erforderlichkeitsprüfung anzustellen hat, berücksichti-gen. Hierbei bildet die Stellungnahme der zuständigen Natur-schutzbehörde ein gewichtiges Indiz (BVerwG, Urteil vom17.12.2002-4 C 15.01 –, BVerwGE 117, 287 m.w.N.; vgl. auchBayVGH, Urteil vom 14.1.2003 – 1 N 01.2072 –, BauR 2003, 997 =BayVBI 2003, 686).

Der für die Errichtung der beiden Windenergieanlagen von derunteren Naturschutzbehörde erteilten Befreiung kommt keineTatbestandswirkung zu. Diese Befreiung erging zu der NLVO inihrer alten Fassung aus dem Jahr 1939, eine Befreiung zu der NLVOvon 2002, die vorliegend allein entscheidungserheblich ist, liegtnicht vor.

Eine objektive Befreiungslage ist ebenfalls nicht gegeben. DieVoraussetzungen für eine Befreiung liegen nicht vor. Nach dementsprechend anwendbaren (§ 63 Abs. 1 Satz 3 NatSchG) § 62 Abs.1 NatSchG kann im Einzelfall Befreiung erteilt werden, wenn über-wiegende öffentliche Belange die Befreiung erfordern (Nr. 1) oderder Vollzug der Bestimmung zu einer offenbar nicht beab-sichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit denöffentlichen Belangen vereinbar ist (Nr. 2).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. DerRechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zu entneh-men, dass hinsichtlich einer Befreiung aus Gründen des Wohls derAllgemeinheit zwei Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müs-sen. Die der Naturschutzbehörde durch § 62 Abs. 1 Nr. 1 NatSchGeröffnete Möglichkeit der Befreiung setzt zum Einen – wie auch inanderen Fällen einer gesetzlich vorgesehenen Befreiung – den sonicht vorausgesehenen und deshalb atypischen, singulären Fallvoraus (BVerwG, Urteil vom 26.3.1998 – 4 A 7.97 –, UPR 1998, 382und Beschluss vom 20.2.2002 – 4 B 12.02 –, BauR 2002, 1368 zu§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG; vgl. auch Beschluss vom26.6.1992-4 B 1 – 11.92 –, NVwZ 1993, 572). Ist diesem Erfordernisgenügt, so bedarf es zusätzlich einer Abwägungsentscheidung. DerBilanzierungsgedanke kommt im Tatbestandsmerkmal der »über-wiegenden« Gründe zum Ausdruck. »Überwiegen« bedeutet, dassdie Gründe des Gemeinwohls im Einzelfall so gewichtig sind, dasssie sich gegenüber den mit der Verordnung verfolgten Belangendurchsetzen. Ob dies (ausnahmsweise) der Fall ist, ist aufgrund

einer Abwägung zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 20.2.2002 –4 B 12.02 – I BauR 2002, 1368 m.w.N.).

Durch den Hinweis auf das »Gemeinwohl« ist klargestellt, dassin die bilanzierende Betrachtung zugunsten einer Ausnahme nurGründe des öffentlichen Interesses und nicht auch private Belangeeingestellt werden dürfen. Dabei entspricht nicht jedes beliebige,sondern nur ein qualifiziertes öffentliches Interesse dem Gemein-wohl. Bei der Abwägung ist in Rechnung zu stellen, dass eine Aus-nahme allenfalls in Betracht kommt, wenn Gründe des öffentli-chen Interesses von besonderem Gewicht sie rechtfertigen(BVerwG, Beschluss vom 20.2.2002 – 4 B 12.02 –, BauR 2002, 1368m.w.N.).

Sind überwiegende Gemeinwohlbelange gegeben, so müssendiese darüber hinaus die Befreiung auch »erfordern«. Dies bedeutetzwar nicht, dass die Befreiung das einzige denkbare Mittel für dieVerwirklichung des jeweiligen öffentlichen Zwecks sein muss, siesetzt aber voraus, dass es zur Wahrnehmung des öffentlichen Inte-resses vernünftigerweise geboten ist, mit Hilfe der Befreiung dasVorhaben an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen; dessenErfüllung muss also nicht mit der Erteilung der Befreiung stehenund fallen. Auch dann, wenn andere auch weniger nahe liegendeMöglichkeiten zur Erfüllung des Interesses zur Verfügung stehen,kann eine Befreiung im vorstehenden Sinn vernünftigerweise gebo-ten sein. Nicht ausreichend ist, dass die Befreiung dem Gemeinwohlnur irgendwie nützlich oder dienlich ist (BVerwG, Beschluss vom5.2.2004 – 4 B 110.03 –, BauR 2004, 1124 zu § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB;Thüringer OVG, Urteil vom 6.6.1997 – 1 KO 570/97 –, NVwZ 1998,983). Sind alternative Lösungen erkennbar, die ohne unzumutbarenAufwand oder langfristige Untersuchungen eine Realisierung derInteressen auch ohne Befreiung ermöglichen, ist eine Befreiungnicht erforderlich ([Louis, NuR 1995 S. 62 <70>).

Die Gründe des Wohls der Allgemeinheit, die für die Errichtungder Windenergieanlagen sprechen, überwiegen vorliegend nichtdie gegenläufigen öffentlichen Belange.

Grundsätzlich handelt es sich bei dem öffentlichen Interesse,das mit der Errichtung von Windenergieanlagen verfolgt wird, umein in diese Abwägung mit hohem Gewicht einzustellendes quali-fiziertes Interesse. Die Nutzung der Windenergie dient der Nut-zung regenerativer Energiequellen und letztlich der Reduktionvon Treibhausgasen und damit einem wichtigen umweltpoliti-schen Ziel. Dies kommt nicht zuletzt durch verschiedene Aktivitä-ten des Bundesgesetzgebers zum Ausdruck. So hat der DeutscheBundestag dem Kyoto-Protokoll, mit dessen Annahme die DritteKonferenz der Vertragsstaaten des Klimaabkommens von 1992erstmals verbindliche, quantitative Zielvorgaben und Umset-zungsinstrumente für die Reduktion von klimaschädlichen Treib-hausgasen beschlossen hat, zu deren Umsetzung sich die inAnhang 1 genannten Industriestaaten verpflichtet haben, mit Ver-tragsgesetz vom 27. April 2002 (BGBI II S. 966) zugestimmt. DiePrivilegierung der Windenergieanlagen in § 35 BauGB verfolgt denZweck, den Anteil erneuerbarer Energien an der Energieversor-gung aus klimaschutz-, energie- und umweltpolitischen Gründenzu steigern und den Ausstoß von Kohlendioxid zu senken (vgl.BTDrs. 13/4978, S. 1, 6) und dient insoweit auch den Reduzie-rungszielen des Protokolls von Kyoto. Andererseits schreibt dasProtokoll weder die bestmögliche Förderung der Windenergie vor,noch legt es konkrete innerstaatliche Umsetzungsstrategien fest(BVerwG, Urteil vom 13.3.2003 – 4 C 4.02–, BVerwGE 118, 33).Weiterhin wird in der Richtlinie 2001/77/EG des EuropäischenParlaments und des Rates vom 27.9.2001 (ABI. L 283/33) ausge-führt, die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Ener-giequellen sei aus Gründen der Sicherheit und Diversifikation derEnergieversorgung, des Umweltschutzes und des sozialen undwirtschaftlichen Zusammenhalts für die Gemeinschaft von hoher

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VGH Mannheim, Baule i tp laner i sche Standortausweisung für Windenerg ieanlagen | R E C H T S P R E C H U N G

ZUR 5/2006 | 267

Priorität; Zweck der Richtlinie sei es, eine Steigerung des Anteilserneuerbarer Energiequellen an der Stromerzeugung im Elektrizi-tätsbinnenmarkt zu fördern und eine Grundlage für einen ent-sprechenden künftigen Gemeinschaftsrahmen zu schaffen (§ 1 derRichtlinie). Hinzu kommt der Erlass des Gesetzes für den VorrangErneuerbarer Energien (EEG) vom 21.07.04 (BGBI. 1, 1918). Zweckdieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse des Klima-, Natur-und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energie-versorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten derEnergieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristigerexterner Effekte zu verringern, Natur und Umwelt zu schützen,einen Beitrag zur Vermeidung von Konflikten um fossile Energie-ressourcen zu leisten und die Weiterentwicklung von Technolo-gien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu för-dern sowie dazu beizutragen, den Anteil erneuerbarer Energien ander Stromversorgung bis zum Jahr 2010 auf mindestens 12,5 Pro-zent und bis zum Jahr 2020 auf mindestens 20 Prozent zu erhöhen(§ 1 EEG). Schließlich wird in dem vom Gemeinderat der Klägerinbeschlossenen Freiburger Klimaschutzkonzept die Nutzung erneu-erbarer Energien als prioritäres Ziel formuliert.

Andererseits überlässt die genannte EU-Richtlinie es den Mit-gliedstaaten, »geeignete Maßnahmen« zu ergreifen, um die Steige-rung des Verbrauchs von Strom aus erneuerbaren Energiequellenentsprechend den festgelegten nationalen Richtzielen zu fördern(Art. 1 und 3 Abs. 1) und enthält die Richtlinie keine verbindlicheprozentuale Aufteilung des nationalen Richtziels auf die einzelnenBundesländer, so dass es auch keine verbindlichen Bedarfsprogno-sen oder andere Vorgaben zur Anzahl und zum Umfang vonKonzentrationsflächen in den regionalen Planungsräumen gibt(BVerwG, Urteil vom 13.3.2003-4 C 4.02 – l BVerwGE 118, 33).Außerdem gilt die die gesetzliche Anerkennung der Windkraftan-lagen durch die Privilegierung in § 35 Abs. 1 Nr. 7 BauGB nichtuneingeschränkt. Vielmehr sollen öffentliche Belange nach demebenso eingefügten § 35 Abs. 3 S. 4 BauGB einem solchen Vorha-ben in der Regel auch dann entgegenstehen, soweit hierfür durchDarstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raum-ordnung oder Landesplanung eine Ausweisung an anderer Stelleerfolgt ist. Danach handelt es sich bei der Förderung der Wind-energie einerseits um ein gewichtiges öffentliches Interesse, demaber andererseits nicht von vornherein Priorität gegenüber ande-ren öffentlichen Interessen zukommt. Insbesondere ist aus dengenannten Regelwerken eine Realisierung des Interesses im Einzel-fall bezogen auf einen bestimmten Standort nicht abzuleiten.

Diesem öffentlichen Interesse steht das in § 1 BNatSchG allge-mein zum Ausdruck kommende Interesse an der dauerhaftenSicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaus-halts und der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erho-lungswerts von Natur und Landschaft entgegen. Diesem Interessekommt vorliegend besonderes Gewicht zu. Der VorrangbereichHolzschlagermatte liegt im räumlichen Geltungsbereich der Ver-ordnung über das Natur- und Landschaftsschutzgebiet Schauins-land, die einen weiter gesteigerten Landschaftsschutz bewirkt. Siebezweckt mit ihren Verboten in § 7, eine Vielzahl von Einwirkun-gen auf die Landschaftsgestaltung in den Schutzzonen zu verhin-dern. Mit dieser auf die Erhaltung der naturräumlichen Eigenartausgerichteten Schutzfunktion in Verbindung mit den gebietsty-pischen Nutzungen sollen weitere, neue Eingriffe möglichst ver-mieden werden. Eine Befreiung im Einzelfall kann deshalb nurdann überwiegend gefordert sein, wenn die konkrete Anlage auchunter Berücksichtigung der Zwecke, die die Verordnung selbst imAuge hat, aus Gründen des Gemeinwohls geboten erscheint. Zen-tral kommt es dafür auf die Schutzwürdigkeit der Landschaft amvorgesehenen Standort an. Diese hängt insbesondere von der

Schutzwürdigkeit des Landschaftsbildes und dem Grad der Beein-trächtigung durch die Windkraftanlagen ab.

Bei der Abwägung ist zum Einen der Umstand zu berücksichti-gen, dass der vorliegende Bereich in den räumlichen Geltungsbe-reich der NLVO einbezogen worden ist. Dies bedeutet, dass denBelangen des Natur- und Landschaftsschutzes eine gesteigerteBedeutung und ein gesteigertes Gewicht zukommt. Denn nurGebiete, die schutzwürdig und schutzbedürftig sind, dürfen alsNatur- oder Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen werden. Diehinreichende Schutzwürdigkeit von Natur und Landschaft ist eineder naturschutzbehördlichen Abwägung beim Erlass der Verord-nung vorgelagerte objektive Voraussetzung für die Unterschutz-stellung (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.6.2000 – 5 S 3161198 –,NVwZ-RR 2001, 659; vgl. auch Urteil vom 18.11.1996 – 5 S 432/96–, NVwZ-RR 1998, 99). Der Stellungnahme der Bezirksstelle fürNatur- und Landschaftsschutz aus dem Jahr 1996 ist zu entneh-men, dass speziell die Holzschlägermatte eine eigenständigeschutzwürdige Funktion hat. Danach handelt es sich um die ein-zige Freifläche innerhalb des Bergwaldes, auf der noch extensivbewirtschaftete Goldhaferwiesen zu finden sind; am z. 1. reichstrukturierten Waldrand gebe es Hochstaudenflure und Gehölze.Wie der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlungunwidersprochen erklärt hat, gilt diese Einschätzung auch nochheute.

Bei der Abwägung ist zum Anderen auch zu berücksichtigen,dass durch die Darstellung der Vorrangflächen eine Konzentrationder Windenergienutzung im vorliegenden Bereich erreicht wirdund die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch derartigeAnlagen in anderen Bereichen ausgeschlossen wird, dass es sichnur um zwei Anlagen und nicht um einen Windpark mit einerVielzahl von Anlagen handelt und dass nicht schon wegen derNeuartigkeit einer solchen Windkraftanlage stets davon ausgegan-gen werden kann, dass sie die natürliche Eigenart oder die Erho-lungsfunktion der Landschaft beeinträchtigt und als störenderFremdkörper anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom 16.6.1994 – 4 C20.93 –, BVerwGE 96, 95 m.w.N.). Hinzu kommt, dass die von derKlägerin in der mündlichen Verhandlung übergebene und erör-terte Sichtbarkeitsanalyse ergibt, dass die beiden Anlagen nur ausganz bestimmten Gebieten sichtbar und die Sichtbeziehungenmaßgeblich eingeschränkt sind, insbesondere nicht »rundherum«bestehen. Auch nehmen die beiden Anlagen verglichen mit derGesamtfläche des Natur- und Landschaftsschutzgebietes eine rela-tiv geringe Fläche ein, was allerdings durch die Fernwirkungen der133 m hohen Anlagen relativiert wird. Weiter hat die Augen-scheinseinnahme ergeben, dass von der Brücke am Bahnhof ausgesehen keine Horizontüberhöhungen vorhanden sind und dieAnlagen vom Turm des Schauinslandgipfels und der Bergstationder Schauinslandbahn zwar deutlich ins Blickfeld fallen, aber denoptisch hinter den Anlagen liegenden Schönberg bzw. sonstigeHügel nicht überragen und den umfassenden Blick ins Tal bis zuden Vogesen lediglich in einem Korridor einschränken.

Gleichwohl ist der Senat unter Berücksichtigung dieserGesichtspunkte und auf der Grundlage der bei der Einnahme desAugenscheins getroffenen Feststellungen der Überzeugung, dassvorliegend keine überwiegenden Gründe für die Befreiung spre-chen. Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes ist derart gravie-rend, dass die Windenergieanlagen an dieser Stelle nicht – wie dieuntere Naturschutzbehörde meint – hingenommen werden kön-nen. Dies gilt insbesondere für die Beeinträchtigung des Land-schaftsbildes von Horben bzw. von der nahe gelegenen Eduards-höhe aus. Wie bei der Augenscheinseinnahme festzustellen war,überragen die Windkraftanlagen nicht nur den vorhandenenWald um ca. 100 m, sondern auch die Höhenlinie des Schauins-land erheblich. Sie sind in der dortigen Landschaft ohne Beispiel.

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R E C H T S P R E C H U N G | OVG Lüneburg, Energet i sche Verwertung in e inem Mül lhe izkra f twerk

268 | ZUR 5/2006

Mit Ausnahme des Turms auf dem Gipfel des Schauinsland, deraber hinsichtlich der Höhe und Gestaltung deutlich hinter denBeeinträchtigungen des Landschaftsbildes durch die Windkraftan-lagen zurückbleibt, gibt es keine »turmartigen« Erhöhungen.Hinzu kommt die Verstärkung der optischen Wahrnehmung derAnlagen durch die luftverkehrsrechtlich erforderlichen Kenn-zeichnungen und die Bewegung der Rotorblätter. Die von derunteren Naturschutzbehörde und dem Verwaltungsgericht ange-führten Vorbelastungen des Landschaftsbildes und des Gebietesfallen nicht derart ins Gewicht, dass die beeinträchtigende Wir-kung der Windenergieanlagen geringer ausfiele. (…)

Der Vollzug des Veränderungsverbotes nach § 7 NLVO führtauch nicht zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte im Sinnevon § 62 Abs. 1 Nr. 2 NatSchG. Diese Befreiungsmöglichkeit willeiner rechtlichen Unausgewogenheit begegnen, die sich ergebenkann, wenn auf Grund der besonderen Umstände des EinzelfallesAnwendungsbereich und materielle Zielsetzung einer Vorschriftnicht miteinander übereinstimmen; in derartigen (Sonder-)Fällensoll der generelle und damit zwangsläufig auch schematischeGeltungsanspruch der Vorschrift zugunsten der Einzelfallgerech-tigkeit durchbrochen werden (VGH Bad.-Württ., Urteile vom29.7.1999 – 5 S 1603/97 –, VBIBW 2000, 117 und vom 7.2.1997– 5S 3223/95 –, VBIBW 1997, 269). Eine solche Fallgestaltung liegthier nicht vor. Die sich aus der Verhinderung von Windenergiean-lagen für einen potentiellen Betreiber möglicherweise ergebendeHärte, die allenfalls in dem Verlust finanzieller Gewinnchancenliegen könnte, ist genauso wie die Verhinderung sonstiger beein-trächtigender baulicher Anlagen im Landschaftsschutzgebietnicht unbeabsichtigt, sondern gewollt. Dies ist gerade Sinn undZweck des Erlasses einer entsprechenden Verordnung und wirdvorliegend belegt durch die »Entstehungsgeschichte« der Land-schaftsschutzverordnung. Die Windenergieplanung der Klägerinwar beim Erlass der Verordnung bekannt. Es sollte u.a. gerade ver-hindert werden, dass Windenergieanlagen in diesem Gebieterrichtet werden (zu den allgemeinen Grundsätzen: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.7.1999 – 5 S 1603/97 –, VBIBW 2000, 117;vgl. auch Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 6.6.1997– 1 KO 570/94 –, NVwZ 1998, 983 m.w.N.). Besonderheiten, die andem konkreten Standort eine andere Beurteilung rechtfertigenkönnten, sind nicht ersichtlich.

(…)

Energetische Verwertung in einem Müllheizkraftwerk

OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.1.2006 – 7 ME 136/05

Leitsätze der Redaktion:1. Gegen die Energiegewinnung als Hauptzweck kann nicht ange-

führt werden, dass in der Anlage die volle Austauschbarkeit derAbfälle mit Primärenergiequellen nicht gewährleistet sei unddie Verbrennung der Abfälle daher nicht die Verbrennung vonRohstoffen erspare.

2. Im Hinblick auf den Hauptzweck der Substituierung von Roh-stoffen durch Abfälle sind das Müllheizwerk und ein ergänzen-des, mit Heizöl betriebenes Spitzenheizwerk zusammen zubetrachten.

3. Auf das Heizwertkriterium des § 6 II Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG kannzur Abgrenzung der energetischen Verwertung von der thermi-schen Vorbehandlung zur Beseitigung nicht abgestellt werden.

Sachverhalt der Redaktion:Der Ast. betreibt ein Alten- und Pflegeheim. Die dort anfallendenInkontinenzabfälle (vor allem Windeln) hatte der Ast. bis zumBeginn des Jahres 2005 dem Ag. als entsorgungspflichtiger Körper-

schaft zur Beseitigung überlassen. Im Februar 2005 teilte der Ast.dem Ag. mit, dass die Inkontinenzabfälle ab April 2005 durch einvom Lieferanten der Produkte beauftragtes Unternehmen abge-holt und im Müllheizkraftwerk Bremen energetisch verwertet wer-den sollen. Der Ag. lehnte die teilweise Befreiung des Ast. vomBenutzungszwang hinsichtlich der Abfallentsorgung ab. Zugleichverpflichtete er den Ast., ihm die auf dem Grundstück anfallendenAbfälle, insbesondere gebrauchte Inkontinenzartikel, zu überlas-sen. Bei dem Müllheizwerk Bremen handele es sich um eineAbfallbeseitigungsanlage, so dass eine ordnungsgemäße Verwer-tung dort nicht erfolgen könne. Zudem sei zweifelhaft, ob dieInkontinenzabfälle überhaupt zur Energieerzeugung eingesetztwerden könnten. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebendeWirkung der Klage wiederhergestellt. Gegen diesen Beschluss hatder Ag. Beschwerde eingelegt. (…)

Aus den Gründen:

II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wir-

kung der Anfechtungsklage des Ast. gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGOwiederhergestellt. Das Ergebnis der Interessenabwägung, wonachdas Aussetzungsinteresse des Ast. das Vollzugsinteresse überwiegt,weil sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der gebotenensummarischen Prüfung aller Voraussicht nach als rechtswidrigdarstellt, hält einer Prüfung am Maßstab der dargelegten Gründe(§ 146 IV Satz 6 VwGO) stand.

Die Inkontinenzabfälle des Ast. unterliegen nicht der Überlas-sungspflicht gem. § 13 I Satz 2 KrW-/AbfG i.V. mit § 11 I NAbfGund § 9 II der Abfallentsorgungssatzung des Ag.. Diese Überlas-sungspflicht betrifft lediglich Abfälle zur Beseitigung, nicht aberAbfälle zur Verwertung gem. § 3 I Satz 2 Var. 1 KrW-/AbfG. Umsolche Abfälle handelt es sich hier. Abfälle zur Verwertung sindgem. § 3 I Satz 2 Var. 1 KrW-/AbfG Abfälle, die verwertet werden.Die Verwertung erfolgt gem. § 6 I Satz 1 KrW-/AbfG in Form derstofflichen oder energetischen Verwertung. Bei der Verbrennungder Inkontinenzabfälle im Müllheizwerk Bremen handelt es sichum eine zulässige energetische Verwertung gem. § 6 I Satz 1 lit. b)KrW-/AbfG.

1. Die Zulässigkeit der energetischen Verwertung der Inkonti-nenzabfälle im Müllheizwerk Bremen folgt aus § 6 I Satz 1 lit. b)KrW-/AbfG i.V. mit § 4 IV KrW-/AbfG und dem Anhang II B zumKrW-/AbfG. Bei der Verbrennung im Müllheizwerk handelt es sichum eine Hauptverwendung als Brennstoff und damit um eine Ver-wertungsmaßnahme gem. R 1 des Anhangs II B. Zur Abgrenzungeiner Verwertungsmaßnahme nach R 1 des Anhangs II B von einerBeseitigungsmaßnahme D 10 des Anhangs II A kommt es daraufan, unter welchen Voraussetzungen eine Hauptverwendung alsBrennstoff vorliegt, also gem. § 4 IV Satz 2 KrW-/AbfG derHauptzweck der Maßnahme auf die Verwertung gerichtet ist. Inso-fern ist maßgeblich auf die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH)entwickelten Kriterien abzustellen, denn die Anhänge II A und II Bsind aus der Richtlinie 75/442/EWG vom 15. 7. 1975 über Abfälle(ABl. EG Nr. L 194/47), zuletzt geändert durch Verordnung (EG)Nr. 1882/2003 vom 29. 9. 2003 (ABl. EG Nr. L 284/1), in das KrW-/AbfG übernommen worden. Eine Hauptverwendung als Brenn-stoff erfordert nach der Rechtsprechung des EuGH die Erfüllungvon drei Kriterien. Hauptzweck des fraglichen Verfahrens musserstens die Verwendung der Abfälle als Mittel der Energieerzeu-gung sein, weil der Begriff der Hauptverwendung impliziert, dassdas dort genannte Verfahren im Wesentlichen dazu dient, dieAbfälle für einen sinnvollen Zweck, nämlich die Energieerzeu-gung, einzusetzen. Die Energieerzeugung ist hingegen nichtHauptzweck, wenn die Verbrennung hauptsächlich der Minerali-sierung von Abfällen dient und die Energiegewinnung nur einen

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OVG Lüneburg, Energet i sche Verwertung in e inem Mül lhe izkra f twerk | R E C H T S P R E C H U N G

ZUR 5/2006 | 269

Nebeneffekt darstellt. Erforderlich ist, dass die Abfälle in derAnlage andere Materialien ersetzen, die sonst für den Zweck hät-ten eingesetzt werden müssen und dadurch natürliche Rohstoff-quellen erhalten werden. Zweitens fällt die Verwendung vonAbfällen als Brennstoff nur dann unter das in R 1 des Anhangs II Bgenannte Verfahren, wenn die Bedingungen, unter denen diesesVerfahren durchzuführen ist, die Annahme zulassen, dass estatsächlich ein Mittel der Energieerzeugung ist. Das setzt voraus,dass durch die Verbrennung der Abfälle mehr Energie erzeugt underfasst wird, als beim Verbrennungsvorgang verbraucht wird, unddass ein Teil des bei dieser Verbrennung gewonnenen Energieüber-schusses tatsächlich genutzt wird, und zwar entweder unmittelbarin Form von Verbrennungswärme oder nach Umwandlung inForm von Elektrizität. Drittens ergibt sich aus dem Begriff Haupt-verwendung, dass die Abfälle hauptsächlich als Brennstoff oderandere Mittel der Energieerzeugung verwendet werden müssen.Dies bedeutet, dass der größere Teil der Abfälle bei dem Vorgangverbraucht und der größere Teil der freigesetzten Energie erfasstund genutzt werden muss (EuGH, Urteil vom 13. 2. 2003, Rs. C-228/00, Rn. 41 ff., Slg. 2003, I-1439 = NVwZ 2003, 455; Urteil vom13. 2. 2003, Rs. C-458/00, Rn. 32 ff., Slg. 2003, I-1553 = NVwZ2003, 457). Gemessen daran ist - wie das Verwaltungsgericht zuRecht angenommen hat - die Verbrennung der Inkontinenzabfälleim Müllheizwerk Bremen als Verwertung i.S. von R 1 des AnhangsII B zum KrW-/AbfG einzustufen.

Gegen die Energiegewinnung als Hauptzweck kann nicht ange-führt werden, dass in der Anlage die volle Austauschbarkeit derAbfälle mit Primärenergiequellen nicht gewährleistet sei und dieVerbrennung der Abfälle daher nicht die Verbrennung von Roh-stoffen erspare. Zutreffend geht der Ag. zwar in Übereinstimmungmit der zitierten Rechtsprechung des EuGH und des Oberverwal-tungsgerichts des Saarlands (Urteil vom 22. 8. 2003 - 3 R 1/03 -,AbfallR 2003, 304) davon aus, dass die Austauschbarkeit gegebensein muss. Sie ist jedoch im Müllheizwerk Bremen hinreichendbelegt. Aus den im Verfahren 7 LC 21/04 vorgelegten »Energiebi-lanzen für das Müllheizwerk Bremen« vom Juli 2003 ergibt sich(S. 9/10), dass die im Müllheizwerk eingesetzte Brennstoffenergiezu 99 % aus den Abfällen kommt und nur 1 % auf den Einsatz vonHeizöl, welches für die Stützfeuerung eingesetzt wird, zurückgeht.Von den in das Fernwärmenetz eingespeisten Wärmemengenresultieren 96 % aus der Verbrennung von Abfällen im Müllheiz-werk und lediglich 4 % aus der Verbrennung von Heizöl im Spit-zenheizwerk. Unbeachtlich ist, dass das Heizöl nicht auf dem Rostdes Müllheizwerks, sondern in der Spitzenkesselanlage verbranntwird. Diese dient dazu, die Wärmelieferungsverpflichtungen auchdann zu erfüllen, wenn das Müllheizwerk – etwa bei einem Ausfall– nicht ausreichend Wärme erzeugt (Energiebilanzen, S. 20). Ange-sichts der bestehenden Abnahmeverträge führt eine Verminde-rung der Leistung des Müllheizwerks zu einer Erhöhung der einzu-setzenden Heizölmenge. Im Hinblick auf den Hauptzweck derSubstituierung von Rohstoffen durch Abfälle sind das Müllheiz-werk und das Spitzenheizwerk zusammen zu betrachten. Es würdedie Anforderungen an den Hauptzweck einer Maßnahme überstei-gern, wenn die Austauschbarkeit von Abfall und Rohstoffen nichtbloß in der Gesamtanlage, sondern zusätzlich auch in Bezug aufden jeweiligen Anlagenteil, hier den jeweiligen Ofen, gegeben seinmüsste. Maßgeblich ist aus Sicht des Europarechts lediglich, ob dieAbfälle sinnvoll verwendet werden, indem sie unmittelbar andereEnergieträger ersetzen. Dies ist schon dann der Fall, wenn beieinem Ausbleiben von Abfällen unmittelbar auf andere Energie-träger zurückgegriffen werden müsste, damit der Betrieb aufrech-terhalten werden kann. So liegt es hier.

Gegen die Annahme, dass die Verbrennung zum Zweck der Ener-giegewinnung den Hauptzweck darstellt, spricht auch nicht ent-

scheidend, dass das Müllheizwerk Bremen nach dem unbestritte-nen Vortrag des Ag. für die Entgegennahme des Abfalls ein Entgelterhebt. Die Erhebung eines Entgelts kann zwar auch nach derRechtsprechung des EuGH ein Indiz dafür sein, dass die Beseitigungdes Abfalls im Vordergrund steht (vgl. Urteil vom 13. 2. 2003, Rs. C-458/00, aaO, Rn. 44). Zu Recht hat der Ast. aber eingewandt, dassder Markt darüber bestimmt, ob für die Verwertung von Abfällenein Entgelt gezahlt werden muss oder ein Erlös erzielt werden kann.Die Zahlungsrichtung folgt somit unter anderem den vorhande-nen Verwertungskapazitäten sowie der Nachfrage nach dem jewei-ligen Abfall bzw. den daraus gewonnenen Produkten.

2. Die energetische Verwertung ist auch nicht - wie der Ag.meint - gem. § 6 II Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG unzulässig, weil dieInkontinenzabfälle einen Heizwert von mindestens 11.000 kj/kgnicht erreichen. Darauf kommt es hier schon deshalb nicht an,weil das Heizwertkriterium des § 6 II Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG mithöherrangigem europäischen Recht unvereinbar ist und daheraußer Anwendung bleiben muss (a). Das zieht auch der Ag. nichtin Zweifel. Dieser ist überdies der hilfsweise getroffenen Feststel-lung des Verwaltungsgerichts, dass die Inkontinenzabfälle einenHeizwert von mehr als 11.000 kj/kg aufweisen, nicht in der erfor-derlichen Weise entgegengetreten (b).

a) Eine Abgrenzung der Verwertung von der Beseitigung anhanddes Heizwerts des einzelnen Abfalls steht nach der Rechtsprechungdes EuGH im Widerspruch zu der Richtlinie 75/442/EWG. Danachist – wie dargelegt – für die Einstufung als Verwertungsmaßnahmegem. Art. 3 I lit. b) der Richtlinie 75/442/EWG entscheidend, dasses der Hauptzweck der jeweiligen Maßnahme ist, die Abfälle füreinen sinnvollen Zweck einzusetzen, also andere Materialien zuersetzen, die sonst für diesen Zweck hätten eingesetzt werden müs-sen, und dadurch natürliche Rohstoffquellen zu erhalten. Erfülltdie Verwendung von Abfällen als Brennstoff die dafür maßgebli-chen Voraussetzungen, ist dies als Verwertung anzusehen, ohnedass andere Kriterien wie der Heizwert, der Schadstoffgehalt oderdie Frage der Vermischung der Abfälle herangezogen werden dür-fen (EuGH, Urteil vom 13. 2. 2003, Rs. C-228/00, Rn. 45 ff., aaO;Urteil vom 13. 2. 2003, Rs. C-458/00, Rn. 36 ff., aaO). Der Berück-sichtigung dieser Rechtsprechung steht nicht entgegen, dass sie zurVerordnung (EWG) Nr. 259/93 vom 1. 2. 1993 (ABl. EG Nr. L 30, S.1) – betreffend die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen– ergangen ist. Denn der EuGH hat die Unterscheidung von Beseiti-gung und Verwertung ausdrücklich auf die Begriffe der Richtlinie75/442/EWG bezogen, deren Umsetzung auch das KrW-/AbfGdient. Damit definieren die Entscheidungen, welche Kriterien ausSicht des Europarechts zur Einstufung einer Maßnahme als Verwer-tung bzw. Beseitigung anzulegen sind (vgl. Schoch, DVBl. 2004, 69[77]; Frenz, NuR 2003, 395 [397]).

In Folge dieser europarechtlichen Vorgaben muss das Heizwert-kriterium des § 6 II Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG bei der Unterscheidungvon Verwertung und Beseitigung i.S.v. § 3 I Satz 2 KrW-/AbfGaußer Acht gelassen werden, weil es gegen Art. 3 I lit. b) der Richtli-nie 75/442/EWG verstößt (ebenso OVG Saarland, Urteil vom 22.8. 2003 - 1 R 1/03 -, AbfallR 2003, 304; für das Abfallverbringungs-recht auch BVerwG, Urteil vom 6. 11. 2003 - 7 C 2/03 -, NVwZ2004, 334). Dabei kann offen bleiben, ob die Außerachtlassung desHeizwertkriteriums die Folge einer richtlinienkonformen Ausle-gung der einschlägigen Vorschriften des KrW-/AbfG ist oder aber §6 II Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG auf Grund seines zwingenden Wort-lauts keiner Auslegung zugänglich ist und daher durch Art. 3 I lit.b) der Richtlinie 75/442/EWG verdrängt wird. Die Rechtswirkun-gen sind in Bezug auf diesen Fall identisch und werden auch vomAg. nicht in Frage gestellt.

(…)

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R E C H T S P R E C H U N G | LG I tzehoe, Erzeugungsmanagement be i Windenerg ieanlagen und Netzausbau

270 | ZUR 5/2006

Erzeugungsmanagement bei Windenergieanlagen und Netzausbau

LG Itzehoe, Urteil vom 23. Dezember 2005 – 2 O 254/05 (nicht rechtskräftig)

Leitsätze der Redaktion:1. Der Netzanschluss einer Anlage nach dem Erneuerbare-Ener-

gien-Gesetz soll grundsätzlich an dem Anschlusspunkt erfol-gen, an dem er die geringsten gesamtwirtschaftlichen Kostenverursacht.

2. Soll der Netzanschluss einer Windenergieanlage an ein Netzerfolgen, das nur dann zur Abnahme des Stroms technischgeeignet ist, wenn die Anlage bei kritischen Netzsituationenzeitweilig gedrosselt oder abgeschaltet wird (Erzeugungsma-nagement), und ist der Einsatz dieses Erzeugungsmanage-ments gesamtwirtschaftlich günstiger als ein Ausbau des Net-zes, hat der Betreiber der Windenergieanlage einen Anspruchauf Anschluss seiner Anlage an das Netz unter Einsatz desErzeugungsmanagements; er hat jedoch keinen Anspruch aufAusbau des Netzes.

3. Bei einem Einsatz des Erzeugungsmanagements sind die zeit-lich früher angeschlossenen Anlagen hinsichtlich der Ausnut-zung der Netzkapazitäten bevorrechtigt (Prioritätsprinzip).

Aus dem Sachverhalt:Die Verfügungsklägerin, die Betreiberin einer Windenergieanlage(W2) mit einer Nennleistung von 2 MW, beantragte bei der Verfü-gungsbeklagten als Verteilernetzbetreiberin den Anschluss, dieAbnahme und die Vergütung des von der Anlage erzeugten Stromsam Umspannwerk U1. Die Verfügungsbeklagte verwies die Verfü-gungsklägerin auf das weiter entfernte Umspannwerk U2 mit derBegründung, dass die Netzkapazitäten am Umspannwerk U1bereits durch Einspeisezusagen für andere, zum Teil erst geplanteWindenergieanlagen in der Umgebung vergeben seien und dasNetz daher zum Anschluss weiterer Anlagen nicht mehr technischgeeignet sei. Aus dem selben Grund wandte die Streithelferin, dievorgelagerte Übertragungsnetzbetreiberin, bei allen Windenergie-anlagen am Anschlusspunkt des Umspannwerkes U1 ein Erzeu-gungsmanagement an, das dazu führte, dass diese Anlagen stufen-weise gedrosselt wurden, wenn aufgrund von Starkwindphaseneine höhere Leistung angeboten wurde, als über das Netz abtrans-portiert werden konnte.

Die Verfügungsklägerin schloss ihre Anlage W2 dennoch an dasUmspannwerk U1 an, weil die Betreiber der in der Umgebungerrichteten Windenergieanlagen ihre Einspeiseverträge mit derVerfügungsbeklagten noch nicht vollständig ausnutzten. Der vonder Anlage W2 erzeugte Strom wurde auf die Einspeisungskapazi-tät der anderen Anlagen angerechnet, so dass die Verfügungskläge-rin nur einen Teil des in ihrer Anlage produzierten Stroms in dasNetz einspeisen konnte. Im einstweiligen Verfügungsverfahrennach § 12 Abs. 5 EEG begehrte sie nunmehr die vollständigeAbnahme des von ihrer Anlage erzeugten Stroms sowie dessenabschlägige Vergütung nach dem EEG.

Das Gericht verurteilte die Verfügungsbeklagte zur vollständi-gen Abnahme des angebotenen Stroms an dem Umspannwerk U1,solange nicht das Erzeugungsmanagement der Streithelferin inKraft ist, weil der Netzbereich am Umspannwerk U1 durch Stromaus Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energienvollständig ausgelastet ist.

Aus den Gründen:Die Verfügungsklägerin hat einen Anspruch gegen die Verfü-gungsbeklagte aus § 4 Abs. 1 EEG auf Anschluss der Windenergie-anlage W2 am Umspannwerk U1 im Rahmen des Erzeugungsma-

nagements (…). Das Umspannwerk ist ein technisch geeigneterNetzanschlusspunkt. Es ist technisch möglich, unter Ausnutzungdes Erzeugungsmanagements auch eine deutlich höhere Leistungals die derzeit im Bereich des Umspannwerks U1 angeschlosseneLeistung an das Umspannwerk anzuschließen. Insoweit hat derZeuge X glaubhaft ausgesagt, dass ein Anschluss von Mehrleistun-gen, was die technische Seite angeht, möglich ist und lediglichdazu führen würde, dass das Erzeugungsmanagement öfter ein-greife. Technische Probleme in Form einer Netzüberlastung, diesich im Falle eines Kurzschlusses ergeben könnten, beträfen imWesentlichen alte Anlagen und seien im Zusammenhang mit dervorliegenden Anlage wenig relevant. Das Gericht hat keinenGrund, an dieser Aussage zu zweifeln, zumal auch keine sonstigenGründe ersichtlich sind, warum es technisch nicht möglich seinsollte, weitere Windkraftanlagen am Umspannwerk U1 anzu-schließen und in Starkwindphasen über das Erzeugungsmanage-ment so zu drosseln, dass die Übertragungskapazität des 110-kV-Netzes nicht überschritten wird.

(2 c) Das Umspannwerk U1 ist auch der wirtschaftlich geeigneteNetzanschlusspunkt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz folgt inso-weit dem Grundsatz einer gesamtwirtschaftlichen Kostenoptimie-rung (Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG, BTDrucks. 15/2864S. 57 f.). Gemäß § 4 Abs. 2 EEG hat der Anschluss an dem Netzan-schlusspunkt zu erfolgen, der (die) kürzeste Entfernung zumStandort der Anlage aufweist, wenn nicht ein anderes Netz einentechnisch und wirtschaftlich günstigeren Verknüpfungspunktaufweist. Der Anschluss von neuen Anlagen soll grundsätzlich andem Punkt erfolgen, an dem dies zu den geringstmöglichengesamtwirtschaftlichen Kosten stattfinden kann. Das wird imRegelfall auch der räumlich nächstgelegene, technisch geeigneteNetzanschlusspunkt sein. Entscheidendes Kriterium ist aber nichtdie räumliche Entfernung, sondern die gesamtwirtschaftliche Kos-tenminimierung.

Ausgehend von diesen Gedanken folgt das erkennende Gerichtder Rechtsansicht der Verfügungsbeklagten nicht, wonach derAnschluss weiterer Windkraftanlagen am Umspannwerk U1 zwin-gend auch eine Ausbauverpflichtung hinsichtlich des Über-tragungsnetzes zwischen dem Umspannwerk U1 und demUmspannwerk U2 zur Folge hätte. Das setzt, wie die Verfügungsbe-klagte auch meint, voraus, dass der Einsatz des Erzeugungsmana-gements rechtlich mit einer Netzausbauverpflichtung verbundensei und der Einsatz des Erzeugungsmanagements daher immer nurein vorübergehender Zustand sein könnte, bis der Netzausbauerfolgt ist.

Eine solche Verknüpfung von Anschluss- und Netzausbau-pflicht wäre mit dem Grundsatz gesamtwirtschaftlicher Kostenop-timierung nicht vereinbar. Sie würde nämlich dazu führen, dassselbst in Fällen zeitlich minimaler Netzüberlastungen eine Ver-pflichtung der Netzbetreiberin bestünde, einen Netzausbau vorzu-nehmen, dessen Kosten bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtunggänzlich außer Verhältnis zu dem gesamtwirtschaftlichen Nutzenstünden, der darin bestünde, dass die angeschlossenen Anlagenzur Erzeugung erneuerbarer Energien zusätzlich auch in dem Zeit-raum vollständig genutzt werden können, in dem sie ansonstennicht oder nur teilweise in Betrieb wären, weil sie ganz oder teil-weise durch das Erzeugungsmanagement abgeschaltet würden.

Konkret war das Erzeugungsmanagement der Streithelferin indem Bereich, der das Umspannwerk U1 betrifft, im Jahr 2004 fürinsgesamt neun Stunden in Kraft. Davon wurden die angeschlos-senen Anlagen am 20.9.2004 für 3,5 Stunden auf 30 Prozent ihrerLeistung reduziert und am 21.10.2004 für 5,5 Stunden auf 60 Pro-zent ihrer Leistung. Im ersten Halbjahr 2005 gab es eine Abschal-tung für die Dauer von sieben Stunden, in denen die dem Erzeu-gungsmanagement in diesem Bereich unterliegenden Anlagen

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vollständig abgeschaltet wurden. Im Rahmen der bei einemeinstweiligen Verfügungsverfahren gebotenen summarischenBetrachtungsweise erscheint es dem Gericht als praktisch ausge-schlossen, dass der gesamtwirtschaftliche Nutzen, der darin liegt,dass die im Bereich des Umspannwerks U1 angeschlossenen Anla-gen auch für diese Zeiträume unvermindert betrieben werden kön-nen, gesamtwirtschaftliche Kosten von bis zu 7,5 Millionen €rechtfertigen würde.

Der Grundsatz gesamtwirtschaftlicher Kostenoptimierung mussvielmehr dazu führen, dass eine Netzausbauverpflichtung nichtschon dann eingreift, wenn zeitlich marginale Netzüberlastungenauftreten. Vielmehr muss es auf das Verhältnis zwischen den Kos-ten des Ausbaus und dem gesamtwirtschaftlichen Nutzen durchdie Vermeidung der anteiligen Drosselung oder Abschaltung derAnlagen ankommen.

Von daher folgt aus dem Sinn und Zweck des Erneuerbare-Ener-gien-Gesetzes kein Grundsatz, dass das Erzeugungsmanagementzwingend nur eine vorübergehende Lösung sein könnte. In Fällen,in denen eine Anlage zu geringen Kosten an einem Netzan-schlusspunkt angeschlossen werden kann, an dem sie vereinzeltwegen einer Überlastung des Netzes, die nur mit sehr hohen Kostenzu beseitigen ist, gedrosselt oder abgeschaltet würde, und in denenein Anschluss an einen anderen Netzanschlusspunkt, an dem einesolche Abschaltung vermieden würde, erhebliche Kosten verursa-chen würde, kann die gesamtwirtschaftliche optimale Lösung sein,diese Anlage dauerhaft am ersten Anschluss anzuschließen unddauerhaft in Kauf zu nehmen, dass es vereinzelte Drosselungenoder Abschaltungen dieser Anlage gibt. Dem Sinn und Zweck desErneuerbare-Energien-Gesetzes entspricht es in einem solchen Fall,die gesamtwirtschaftlich optimale Lösung zu wählen. Die Ausbau-pflicht des Netzbetreibers stößt dann an die Zumutbarkeitsgrenze,weil der Wert der dadurch mehr abzunehmenden Gesamtstrom-menge die Kosten des Ausbaus nicht deutlich übersteigt (vgl. Geset-zesbegründung zu § 4 Abs. 2 EEG, BT-Drucks. 15/2864 S. 57 f. fürdie Errichtung einer neuen Anlage. Nichts anderes kann nach demGrundkonzept des Erneuerbare-Energien-Gesetz für die Frage gel-ten, ob ein Ausbau für bereits bestehende, aber noch nicht ange-schlossene Anlagen zumutbar ist).

In einem solchen Fall widerspräche es im Übrigen auch denInteressen des Anlagenbetreibers, wenn ein Netzanschluss miteiner Ausbaupflicht verbunden würde. Das würde nämlich dazuführen, dass ihm der Anschluss an dem für ihn deutlich günstige-ren Anschlusspunkt verwehrt würde. Er wäre dann zu erhöhtenInvestitionen gezwungen. Das wäre auch für den Anlagenbetrei-ber jedenfalls dann wirtschaftlich unrentabel, wenn der Verlustaus den zeitweiligen Drosselungen und Abschaltungen derAnlage, die beim Anschluss am günstigeren Anschlusspunkt erfol-gen würden, geringer ist als die laufenden Kapitalkosten für dieMehrkosten des Anschlusses am teureren Netzanschlusspunkt.

Das widerspräche letztlich auch der Intention des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, den Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern,weil die zwingende Verbindung zwischen Netzanschluss und Aus-baupflicht dazu führen würde, dass die Errichtung neuer Anlagenzur Nutzung erneuerbarer Energien in solchen Fällen nur mit deut-lich erhöhten Anschlusskosten möglich wäre und die Gefahrbestünde, dass solche Investitionen teilweise gänzlich unterbleiben.

Nach dem Sinn und Zweck des Erneuerbare-Energien-Gesetzesmuss es in einem solchen Fall, in dem ein Netzausbau wegenUnverhältnismäßigkeit nicht verlangt werden könnte, ein Wahl-recht des Anlagenbetreibers geben, ob er die Anlage an dem teure-ren Netzanschlusspunkt anschließen will, um einer anteiligenDrosselung der Abschaltung zu entgehen, oder ob er diese Drosse-lung und Abschaltung in Kauf nehmen will, um einen günstigerenNetzanschluss zu erreichen.

Besteht danach nach dem Sinn und Zweck des Erneuerbare-Energien-Gesetzes keine zwingende Verbindung zwischen demAnschluss neuer Anlagen und einer Netzausbaupflicht, kommt esfür die Frage, ob die Verfügungsklägerin den Anschluss ihrerAnlage am Umspannwerk U1 verlangen kann, nicht darauf an, obim Falle dieses Anschlusses für die vollständige Abnahme desangebotenen Stromes auch in Starkwindphasen ein Ausbau des110-kV-Netzes erforderlich wäre. Sollte das Netz auch ohne einensolchen Ausbau auch in Starkwindphasen zur Aufnahme des ange-botenen Stromes vollständig in der Lage sein, hätte die Verfü-gungsklägerin ohne weiteres einen Anspruch auf Anschluss ihrerAnlage am Umspannwerk U1. Sollte für die vollständige Abnahmedes Stromes ein Ausbau erforderlich sein, könnte die Verfügungs-klägerin in jedem Falle gleichwohl den Anschluss am Umspann-werk U1 verlangen. Die Frage, ob die Verfügungsbeklagte einenNetzausbau vornehmen müsste, hinge davon nicht ab.

Es kommt daher für die Netzanschlusspflicht auch nicht daraufan, ob ein solcher Ausbau, wie die Verfügungsbeklagte behauptet,7,4 Millionen ? kosten würde, oder ob er, wie die Verfügungskläge-rin behauptet, etwa im Wege des Temperaturmonitorings zu sehrviel geringeren Kosten möglich wäre. Selbst wenn die von der Ver-fügungsbeklagten behaupteten Ausbaukosten von 7,4 Millio-nen € zuträfen und der Bau einer 20-kV-Anschlussleitung zumUmspannwerk U2 günstiger wäre, wäre es der Verfügungsklägerinwie ausgeführt unbenommen, einen Anschluss am UmspannwerkU1 zu verlangen und die – bislang nur wenige Stunden jährlich –stattfindenden Produktionseinschränkungen dauerhaft in Kauf zunehmen. (…)

(2 g) Dem Umfang nach besteht ein Anspruch auf Anschluss ander Anlage W 2 am Umspannwerk U1 lediglich mit der Maßgabe,dass die Anlage vollständig abgeschaltet wird, sobald das Erzeu-gungsmanagement in diesem Gebiet auch nur anteilig in Krafttritt. Gemäß § 4 Abs. 3 EEG ist der Anspruch auf vollständigeAbnahme des aus Anlagen zur Erzeugung erneuerbaren Energienerzeugten Stromes dann eingeschränkt, wenn das Netz vollständigdurch Strom aus den zeitlich vor diesen Anlagen angeschlossenenAnlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien oderGrubengas ausgelastet ist. Dem ist der Gedanke zu entnehmen,dass die zeitlich früher angeschlossenen Anlagen hinsichtlich derAusnutzung der Netzkapazitäten bevorrechtigt sind. Nichts ande-res kann für die Behandlung der Anlagen, die dem Erzeugungsma-nagement unterliegen, untereinander gelten. Zwar wird insoweitvertreten, es handele sich bei den Produktionseinschränkungenaufgrund eines Erzeugungsmanagements um ein Sonderopfer,welches gleichmäßig auf alle Anlagenbetreiber zu verteilen sei, diedem Netzmanagement unterliegen (Salje RdE 2005, S. 13 ff.). Die-ser Ansatz müsste in der Konsequenz aber zu einer gleichmäßigenVerteilung auf alle Anlagenbetreiber, nicht nur auf diejenigen, diedem Netzmanagement unterliegen, führen. Dafür wäre lediglicheine Verpflichtung der früher angeschlossenen Anlagen erforder-lich gewesen, eine sogenannte Abschaltautomatik nachzurüsten.Diesen Weg ist der Gesetzgeber nicht gegangen, sondern hatbewusst die zeitlich früher angeschlossenen Anlagen privilegiert.Die gesetzessystematische Auslegung führt daher zu dem Ergebnis,dass für die Behandlung der dem Erzeugungsmanagement unter-liegenden Anlagen untereinander nichts anderes gelten kann.Auch in diesem Rahmen sind die zeitlich früher angeschlossenenAnlagen privilegiert und daher die zeitlich später angeschlossenenAnlagen zuerst zu drosseln oder ganz abzuschalten, bevor die zeit-lich früher angeschlossenen Anlagen gedrosselt werden.

Sollte es, wie die Verfügungsbeklagte vorträgt, aus Gründen derVersorgungssicherheit nicht möglich sein, die Anlagen in einemGebiet nacheinander zu drosseln, weil dies im Überlastungsfall zulange dauern würde, wäre es der Verfügungsbeklagten oder ihrer

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LG I tzehoe, Erzeugungsmanagement be i Windenerg ieanlagen und Netzausbau | R E C H T S P R E C H U N G

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Streithelferin unbenommen, in einem Gebiet jeweils mehrereAnlagen zusammenzufassen und diese gemeinsam zu drosselnoder abzuschalten, bevor die nächst älteren Anlagen gedrosseltoder abgeschaltet werden.

Im übrigen würde eine gleichmäßige Drosselung aller demErzeugungsmanagement unterliegenden Anlagen in einem Gebietdazu führen, dass sich die wirtschaftliche Position der Anlagenbe-treiber, deren Anlagen dem Erzeugungsmanagement unterliegen,mit jedem Anschluss einer weiteren Anlage verschlechtern würde,weil das Erzeugungsmanagement aufgrund der höheren installier-ten Gesamtleistung öfter in Kraft treten würde und daher auch diezeitlich früher angeschlossenen Anlagen öfter gedrosselt odersogar abgeschaltet würden. Das wäre mit dem Grundsatz der Pla-nungssicherheit, der dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zugrundeliegt, nicht vereinbar.

Zwar würde eine gleichmäßige Drosselung aller dem Erzeu-gungsmanagement unterliegenden Anlagen in einem Gebiet denAnreiz erhöhen, neue Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energienzu errichten. Dieser Anreiz ist naturgemäß geringer, wenn diejeweils neu errichteten Anlagen am häufigsten gedrosselt odersogar abgeschaltet würden. Das Gericht vermag aber nicht zuerkennen, dass es Sinn und Zweck des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sein sollte, den Investoren einen solchen Anreiz auf Kos-ten der Planungssicherheit der Betreiber bestehender Anlagen zuverschaffen.

Ein Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerin besteht daher,gerichtet darauf, mit der Anlage W2 am Umspannwerk U1 mit der

Maßgabe angeschlossen zu werden, dass die Anlage vollständigabgeschaltet wird, sobald das Erzeugungsmanagement überhauptin Kraft tritt. Technisch ist eine solche Lösung ohne weiteres mög-lich, wie der Geschäftsführer der Verfügungsklägerin in der münd-lichen Verhandlung vom 12. August 2005 glaubhaft erklärt hat.

(2 h) Ein Anschluss der Anlage W2 am Umspannwerk U1 würdenach der eben geschilderten Systematik weiter zu einem Anspruchder Verfügungsklägerin führen, hinsichtlich einer Drosselungoder Abschaltung im Rahmen des Erzeugungsmanagements privi-legiert vor etwa nachfolgend anzuschließenden Anlagen behan-delt zu werden.

Angesichts der derzeit sehr geringen wirtschaftlichen Bedeu-tung des Erzeugungsmanagements im Bereich des UmspannwerksU1 und der Tatsache, dass eine kurzfristige Änderung dieser Bedeu-tung weder vorgetragen noch gerichtsbekannt absehbar ist, hältdas Gericht es im Rahmen der in einem einstweiligen Verfügungs-verfahren lediglich vorläufig verfolgenden Regelung für ausrei-chend, einen Anschluss der Anlage W2 am Umspannwerk U1 mitder geschilderten Maßgabe anzuordnen und bei der vorläufigenRegelung von einer Privilegierung der Anlage W2 vor zeitlichnachfolgenden Anlagen abzusehen. Dabei berücksichtigt esinsbesondere, dass eine solche Privilegierung voraussetzen würde,dass die Streithelferin ihr Erzeugungsmanagement, das derzeitdem Grundsatz der Gleichbehandlung aller dem Er-zeugungsmanagement in einer Gebiet unterliegenden Anlagenohne Rücksicht auf die zeitliche Priorität folgt, grundlegendumstellen müsste. (…)

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R E C H T S P R E C H U N G | LG I tzehoe, Erzeugungsmanagement be i Windenerg ieanlagen und Netzausbau

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Gut drei Monate nach dem Amtsantritt der Gro-ßen Koalition zeichnet sich ab, dass es imUmweltbereich (vorerst) nicht zum großen »roll-back« kommt; vielmehr ist ein großes Maß anKontinuität zu spüren. So wurde eine Reihe vonGesetzesvorhaben, die zunächst dem Ende derLegislaturperiode zum Opfer gefallen waren, wie-der aufgegriffen und zum Abschluss gebracht.Dies gilt beispielsweise für den Entwurf einesGesetzes zur Vereinfachung der abfallrechtlichenÜberwachung (dazu unter A.) oder für die mit derVerkündung im Bundesgesetzblatt am13.2.20061 in Kraft getretene Erste Verordnungzur Änderung der Altfahrzeug-Verordnung.2 Fer-ner hat das Bundeskabinett die Chemikalien-Ozonschichtverordnung beschlossen.3 Eine wei-tere Altlast, mit der schon die Vorgängerregierungzu kämpfen hatte, ist nun endlich bereinigt wor-den, nachdem etliche FFH-Gebiete nach Brüsselgemeldet wurden (dazu unter B.). Des Weiterenist über den Gang der Föderalismusreform zuberichten (dazu unter C.). Ferner sollen der Ent-wurf einer Verordnung zur Kennzeichnung vonemissionsarmen Fahrzeugen (unter D.) sowiedas vom Kabinett beschlossene Energiesteuerge-setz (unter E.) vorgestellt werden. Schließlich ist(unter F.) auch die Fußball-WM Thema diesesBerichts.

A. Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachungder abfallrechtlichen Überwachung

Bereits am 4.5.2005 hatte die alte Bundes-regierung ein Gesetz sowie eine Verord-nung zur Vereinfachung der abfallrechtli-chen Überwachung vorgelegt.4 Nunmehrhat die Bundesregierung am 18.1.2006 ihreGegenäußerung zur Stellungnahme desBundesrates abgegeben. Da zwischen Bundund Ländern weitgehende Einigkeit überKonzeption, Struktur und materielle Ein-zelregelungen des Gesetzentwurfs besteht,5

ist damit zu rechnen, dass das Gesetz zügigdurch das parlamentarische Verfahren6

gehen wird. Durch die sehr umfassende Neuregelung

sollen Form und Struktur der abfallrechtli-chen Überwachung erheblich vereinfachtund an europarechtliche Vorgaben angepasstwerden. Während bislang pro Jahr ca. 130.000Entsorgungsnachweise, rund 3 Mio. Begleit-scheine und eine noch größere Zahl an Über-nahmescheinen von den Unternehmen aus-gefüllt und von den Behörden geprüft wer-den müssen, sollen diese Formulare künftigdurch elektronische Nachweise ersetzt wer-den. Näheres soll durch eine auf § 7 Abs. 5

tet worden.8 Inzwischen ist das Gesetzge-bungsverfahren in Gang gekommen. Am6.3.2006 hat das Kabinett den von derReformkommission vorgelegten Entwurf»durchgewunken«, zeitgleich erklärten dieMinisterpräsidenten der Bundesländer aufeiner Sondersitzung fast einstimmig ihreZustimmung. Die parlamentarischen Bera-tungen in Bundestag und Bundesrat began-nen am 10.3.2006.9 Gegenüber dem – ohneBeteiligung von Umweltrechtlern erarbei-teten – Entwurf der Föderalismuskommis-sion haben der Sachverständigenrat fürUmweltfragen10, Wirtschaftsvertreter, dasBMU wie auch Fachpolitiker des Bundesta-ges11 zum Teil vehemente Kritik geäußert.Trotzdem kam es bislang nicht zu Ände-rungen der umweltrechtlichen Passagen.Die fast einhellige Kritik der Fachpolitikeran der Zersplitterung des Umweltrechtswurde mit der Begründung zurückgewie-sen, dass um der Reform willen das »Paket«nicht »aufgeschnürt« werden dürfe. Jedeinhaltliche Diskussion über einzelne Fra-gen soll unterbunden werden. Ziel ist, dieReform noch vor der parlamentarischenSommerpause zu verabschieden.

D. Entwurf einer Verordnung zum Erlass und zur Änderung von Vorschriften über die Kennzeichnung emissionsarmerKraftfahrzeuge

Die Diskussion über die Reduzierung derFeinstaubbelastung trägt weitere Früchte.Nachdem Ende 2005 die Nachrüstung mit

KrW-/AbfG n.F. gestützte Rechtsverordnunggeregelt werden. Aber auch materiell wird dieÜberwachung vereinfacht, indem nur nochzwischen gefährlichen und nicht gefährli-chen Abfällen unterschieden wird (§ 3 Abs. 8KrW-/AbfG n.F.); zudem entfallen für Abfal-lerzeuger die Pflichten zur Erstellung betrieb-licher Abfallwirtschaftskonzepte und Abfall-bilanzen (§ 19 KrW-/AbfG n.F.), und die Über-wachung im Bereich der freiwilligenRücknahme von Abfällen soll vereinfachtwerden (u.a. §§ 25 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 13 Abs. 3 S.1 Nr. 1a KrW-/AbfG n.F.). In Umsetzung derAbfallrahmenrichtlinie (75/442/EWG) sowieder Richtlinie über gefährliche Abfälle(91/689/EWG) wird im Gegenzug durch § 42KrW-/AbfG ein von den Entsorgern zu füh-rendes Abfallregister eingeführt, welches imWesentlichen die bisherigen Nachweisbü-cher (§§ 42 ff. KrW-/AbfG a.F.) ersetzen soll.

B. FFH-Meldungen

Im Zuge eines von der Kommission einge-leiteten Vertragsverletzungsverfahrens warDeutschland bereits 2001 wegen der man-gelhaften Umsetzung der FFH-Richtlinieverurteilt worden, weil Gebiete, die alsFFH-Gebiete in Betracht kommen, nicht alssolche gemeldet wurden.7 Im Laufe des sichanschließenden Zwangsgeldverfahrenshatte die Kommission der Bundesrepublikeine letzte Frist gesetzt, um bis zum19.2.2006 die noch nicht erfolgtenGebietsmeldungen vorzunehmen. Vorallem die Flussmündungen von Weser,Ems, Elbe und Trave waren von den jeweili-gen Bundesländern wohl vornehmlich auswirtschaftspolitischen Gründen bislangnicht als FFH-Gebiete ausgewiesen worden.Nachdem am 17.2.2006 weitere Gebietegemeldet wurden, hat die Kommission dasVerfahren eingestellt. Die nun erfolgtenFFH-Nachmeldungen betreffen 21 neueGebiete sowie Erweiterungen mehrererbereits gemeldeter Schutzgebiete mit einerFläche von insgesamt ca. 19.000 ha in Nie-dersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen,Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.

C. Föderalismusreform

Über die Föderalismusreform, die nachgegenwärtigem Stand weitreichende Ände-rungen bei den umweltrechtlichen Gesetz-gebungskompetenzen mit sich bringensoll, ist in dieser Zeitschrift bereits berich-

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G E S E T Z G E B U N G

Peter Schütte/Martin Winkler

Neueste Entwicklungen im BundesumweltrechtBerichtsperiode: 17. Januar 2006 bis 17. März 2006

1 BGBl. I, 326.2 Siehe dazu die Berichte in ZUR 2006, 163 und

ZUR 2005, 442.3 BTDrucks 16/411; siehe dazu den Bericht in

ZUR 2005, 220 f.4 BRDrucks 331/05.5 Vgl. BRDrucks 331/05 (Beschl.), BTDrucks

16/400.6 Unter BTDrucks 16/400.7 EuGH, Urteil vom 11.9.2001 - C-71/99, Slg.

2001, I-5811.8 ZUR 2006, 52; ferner: Stock, Föderalismusreform

– Mit der großen Koalition ins Abenteuer, ZUR2006, 113 ff.

9 BTDrucks 16/813: Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung des Grundgesetzes; BTDrucks 16/814:Entwurf eines Föderalismusreform-Begleitgeset-zes.

10 www.umweltrat.de/03stellung/downlo03/stel-lung/Stellung_Foederalismusreform_Feb2006.pdf

11 Der Bundestagsausschuss für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit hat auf seiner Sit-zung am 8.2.2006 den Entwurf parteiübergrei-fend kritisiert, vgl. Ausschussprotokoll 16/05, S.7 ff., im Internet unter www.bundestag.de/aus-schuesse/a16/aktuelles/index.html

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Rußpartikelfiltern durch die 29. Verord-nung zur Änderung der Straßenverkehrszu-lassungsordnung geregelt wurde,12 hat dasBundeskabinett am 22.2.2006 die Verord-nung zur Kennzeichnung emissionsarmerKraftfahrzeuge beschlossen. Rechtsgrund-lage ist vor allem § 40 Abs. 3 BImSchG. DerVorschlag ist am 24.2.2006 dem Bundesratzugeleitet worden.13

Die bisher in etlichen Kommunen erlasse-nen Fahrverbote für bestimmte Fahrzeugehaben sich als nicht vollzugstauglich erwie-sen. Um besonders emissionsintensive Fahr-zeuge überhaupt erkennen und mit vollzieh-baren Fahrverboten belegen zu können, sol-len Personenkraftwagen, Lastkraftwagen undBusse, die die noch zu beschließende Euro-V-Abgasnorm einhalten, mit einer grünen Pla-kette bundesweit einheitlich gekennzeichnetwerden. Welche konkreten Maßnahmenerlassen werden, ist dagegen nicht Gegen-stand der Verordnung; vielmehr ermöglichtdie Einteilung und Kennzeichnung nachSchadstoffgruppen es den nach Landesrechtzuständigen Behörden, gestützt auf § 40 Abs.1 BImSchG lokal und regional angepasste Ver-kehrsbeschränkungen zu erlassen.

E. Entwurf eines Energiesteuergesetzes

Am 15.3.2006 beschloss die Bundesregie-rung den Entwurf eines Gesetzes zur Neure-gelung der Besteuerung von Energieerzeug-

Nebeneinander von Primärenergie- undEndverbrauchssteuer geben: Energieträger,die zur Stromerzeugung eingesetzt werden,sind von der Steuer ausgenommen; statt-dessen wird der erzeugte Strom besteuert.Dagegen unterliegen Kraft- und Heizstoffeder Steuerpflicht als Primärenergieträger.

F. Lärmschutz zur Fußball-WM

Nicht unerwähnt bleiben soll auch der Ein-satz der Bundesregierung, die durch einefür die Dauer der WM befristete Ausnah-meregelung bei Lärmschutz »mit öffentli-chen TV-Übertragungen ein bisschen Sta-dion-Atmosphäre und Fußball-Begeiste-rung in unsere Städte holen« will.15 Hierzusoll den Ländern die Möglichkeit eröffnetwerden, bei der Zulassung öffentlicherFernsehübertragungen der WM-Spielenach eigenem Ermessen die Interessen vonAnwohnern und Fußballfreunden gegenei-nander abzuwägen. Man darf gespanntsein, wie diese Abwägungen im Einzelfallausfallen werden.

Peter Schütte/Martin Winkler

nissen und zur Änderung des Stromsteuer-gesetzes.14

Die Novelle dient zum einen der Umset-zung der Richtlinien 2003/96/EG (Energie-steuerrichtlinie) und 2003/30/EG (Bio-kraftstoffrichtlinie), zum anderen will dieBundesregierung die Besteuerung der ver-schiedenen Energieträger harmonisierenund die klimapolitisch kontraproduktiveUngleichbehandlung verschiedener Ener-gieträger beenden.

Durch Art. 1 des Entwurfs wird ein Ener-giesteuergesetz eingeführt, das das bishe-rige Mineralölsteuergesetz ablösen soll. DieEnergiesteuer soll auf alle in Art. 2 Abs. 1der Energiesteuerrichtlinie genanntenEnergieträger erweitert werden und künftiginsbesondere auch auf Steinkohle, Braun-kohle und Koks sowie pflanzliche Öle undtierische und pflanzliche Fette, die zur Ver-wendung als Kraft- oder Heizstoffbestimmt sind, erhoben werden. Fernerwerden die Ausnahme- und Befreiungstat-bestände grundlegend geändert und an dasEG-Recht angepasst; u.a. soll die Steuerer-mäßigung für Erdgas als Kraftstoff nurnoch bis 2015 gelten.

Änderungen des Stromsteuergesetzes sol-len vor allem zu einer Reduzierung der seitlangem kritisierten Besteuerung von Gaszur Stromerzeugung führen (Art. 2 desGesetzentwurfs). Künftig wird es nach derKonzeption der Energiesteuerrichtlinie ein

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G E S E T Z G E B U N G | Schütte/Wink ler, Neueste Entwick lungen im Bundesumwelt recht

Gesetz zu der Zweiten Änderung desÜbereinkommens vom 25.2.1991 überdie Umweltverträglichkeitsprüfung imgrenzüberschreitenden Rahmen - Zwei-tes Espoo-Vertragsgesetz, Zustimmungdes Bundesrats am 10.2.2006, BRDrucks36/06 (Beschl.)

Drittes Gesetz zur Änderung des Gentech-nikgesetzes, Zustimmung und Entschlie-ßung des Bundesrates am 10.3.2006,BRDrucks 108/06 (Beschl.); Verordnungzur Änderung gentechnikrechtlicher Vor-schriften, Zustimmung des Bundesratesam 10.3.2006, BRDrucks 77/06

Entwurf eines Gesetzes zur Reduzierungund Beschleunigung von immissions-schutzrechtlichen Genehmigungsver-fahren, eingebracht durch den Bundesratam 10.3.2006, BRDrucks 819/05(Beschl.)

Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfa-chung und Beschleunigung von Zulas-sungsverfahren für Verkehrsprojekte,

BTDrucks 16/45, eingebracht durch denBundesrat am 10.3.2006, BRDrucks 94/06(Beschl.)

Entwurf einer Verordnung zur Umsetzungder Ratsentscheidung vom 19.12.2002 zurFestlegung von Kriterien und Verfahren fürdie Annahme von Abfällen auf Abfalldepo-nien, BTDrucks 16/573, Beschluss der Bun-desregierung vom 8.2.2006

Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokollvom 21.5.2003 über die strategischeUmweltprüfung zum Übereinkommenüber die Umweltverträglichkeitsprüfungim grenzüberschreitenden Rahmen (Ver-tragsgesetz zum SEA-Protokoll), AnnahmeBundestag am 16.3.2006, BRDrucks 202/06v. 17.3.2006

Gesetz zur Änderung des Abkommens vom31.3.1992 zur Erhaltung der Kleinwale inder Nord- und Ostsee – Gesetz zur Auswei-tung des ASCOBANS-Abkommensgebiets,keine Anrufung des Vermittlungsausschus-ses, BRDrucks 37/06 (Beschl.)

SONSTIGE GESETZE, VERORDNUNGEN, ENTWÜRFE UND BERICHTE

Entwurf einer Ersten Verordnung zurÄnderung der 22. BImSchV (Verordnungüber Immissionswerte für Schadstoffe inder Luft) v. 8.2.2006, BTDrucks 16/574

Entwurf einer 10. Verordnung zur Ände-rung chemikalienrechtlicher Verordnun-gen (Änderung der Chemikalien-Verbots-verordnung und der Gefahrstoffverord-nung) v. 9.3.2006, BRDrucks 190/06

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-rung des Pflanzenschutzgesetzes, Beschlussdes Bundestages v. 16.3.2006, BTDrucks16/645 i.d.F Ds. 16/897

Erste Verordnung zur Änderung der Sport-anlagenlärmschutzverordnung, BGBl. I,324

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserungdes Schutzes vor Fluglärm in der Umge-bung von Flugplätzen v. 2.2.2005,BTDrucks 16/508, 16/263 (FDP), 16/551(B`90/GRÜNE)

12 Siehe den Bericht in ZUR 2006, 163, 164.13 BRDrucks 162/06.14 Vgl. BMU, Pressemitteilung 049/06 vom

15.3.2006; Referentenentwurf unter www.ihk-koeln.de/Navigation/FairplayRechtUndSteu-ern/Steuern/Anlagen/GesetzentwurfEnergie-steuergesetz.pdf

15 BMU, Pressemitteilung 046/06 vom 15.3.2006.

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Den Forschungszentren Umweltrecht und Technikrecht e.V. ander Humboldt-Universität zu Berlin ist es gelungen, den neuenBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,Sigmar Gabriel, am 20.2.2006 als Redner zum Thema »Die Umwelt-politik der neuen Bundesregierung« zu gewinnen. Dabei handeltees sich um eine der ersten Gelegenheiten, bei der Minister Gabrieldie Umweltpolitik der neuen Bundesregierung in der Öffentlich-keit präsentierte und sich der Diskussion stellte. Trotz der soebenbegonnenen Semesterferien war der Senatssaal der Humboldt-Universität überfüllt und viele Interessierte mussten mit der Laut-sprecherübertragung auf dem Gang vorlieb nehmen. Anwesendwaren namhafte Vertreter aus Wissenschaft, Regierung und Wirt-schaft; in seiner Begrüßung versprach sich Prof. Dr. Michael Kloepferals Präsident der gastgebenden Vereine von der »Humboldt-Rede«1

des Ministers unter Umständen eine Renaissance des Umweltbe-wusstseins und der Umweltpolitik in Deutschland. Der Ministerknüpfte gerne hieran an und startete mit einer Parallele zwischendem Lebenswerk der Gebrüder von Humboldt, Wilhelm als Vor-kämpfer der Bildung, Alexander als weit gereister Naturforscher,und einer wissensbasierten und ökologisch erneuerten Umweltpo-litik im 21. Jahrhundert, die einen entscheidenden Parameter derGlobalisierung bilde. Bereits als Mitglied des SPD-Jugendverban-des Falken in den Anfängen der Umweltschutzbewegung habeGabriel realisiert, dass das Thema Umwelt als gleichberechtigterFaktor neben Kapital und Arbeit treten könne, heute gehe esdarum, Umweltpolitik nicht mehr nur als bloße »Verteidigungs-politik« zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, sondernals Innovationsmotor von Wirtschaft und Gesellschaft zu betrach-ten: Ein Umweltminister könne nicht mehr nur noch »Verteidi-gungsminister sein, sondern er müsse zugleich Wirtschafts- undInnovationsminister sein«. »Es ginge uns besser, wenn die Ökolo-gen ökonomischer und die Ökonomen ökologischer denken wür-den«. Eine Renaissance der Umweltpolitik werde sich zwingendaufgrund des steigenden wirtschaftlichen Drucks ergeben. Derrapide ansteigende Bedarf an Energie und Ressourcen werde stu-fenweise zu drei Entwicklungen führen, die zugleich die Kernthe-sen seines Vortrages bildeten:– Umweltschutz und Wirtschaftswachstum bildeten zwei Seiten

einer Medaille – eine moderne Umweltpolitik führe zu Wettbewerbsvorteilen – moderne Umweltpolitik ermögliche mehr Gerechtigkeit und

Teilhabe weltweit. Während einige noch an einen fundamentalen Gegensatz zwi-

schen Umwelt und Wirtschaft glaubten, führe die Berücksichti-gung ökologischer Belange, etwa bei Unternehmen im Bereich dererneuerbaren Energien, regelmäßig zu verbesserten Ratings aufden Finanz- und Kapitalmärkten. Klimaphänomene, wie die Häu-fung von Hurricanes, bedrohten die Rückversicherungsbranche.Die Verknappung fossiler Energien sorge zunehmend für Preis-sprünge und politische Auseinandersetzungen.

Erforderlich sei eine Abkehr von fossilen und eine Hinwendungzu erneuerbaren Energieträgern bei Stromerzeugung und Kraft-stoffen. Außerdem müsse effizienter mit Energie und Ressourcenumgegangen werden. Innerhalb der Energiewende liege gerade beider Energieeffizienz ein enormes Potential, nicht zuletzt im

Bereich der Gebäude, Kühl- und Gefriergeräte bzw. Leuchtmittel.Die technologischen Voraussetzungen seien vielfach vorhanden,es fehle jedoch an einem ausreichenden Handlungsdruck, dieseauch einzusetzen. An dieser Stelle seien etwa die Japaner einenSchritt voraus, die für Elektrogeräte bestimmte Effizienzstandardssetzten, die innerhalb einer bestimmten Zeit einzuhalten seien.Auch volkswirtschaftlich lasse sich eine neue Kennziffer »einge-sparte Energie pro Einheit Bruttosozialprodukt« ins Auge fassen.

Umwelttechnologie bilde heute einen der letzten Bereiche, indenen Deutschland weltweit eine Technologieführerschaft inne-habe. Der weitere Ausbau garantiere internationale Wettbewerbs-vorteile. Bestandteil einer intelligenten Energieeffizienzstrategie seifür Gabriel aber auch der Verzicht auf »Atom«kraft, weil hiermitunumkehrbare Belastungen (was letztlich auch für die Gentechno-logie gelte) und eminente Gefährdungen einhergingen, zugleichbilde »Atom«kraft ein Innovationshemmnis, über das Großunter-nehmen ihre marktbeherrschende Stellung ausnutzten, um dieÖffnung für dezentrale, erneuerbare Energiequellen zu blockieren.

Stets bilde der moderne Umweltschutz auch eine Garantie fürGerechtigkeit und Teilhabe weltweit: Global betriebener Raubbau,global betriebene Misswirtschaft im Energie- und Ressourcenbe-reich und der Klimawandel bedrohten insbesondere Entwick-lungsländer, in denen es in den nächsten 20 Jahren 100 Mio.Umweltflüchtlinge geben werde, deren Entwicklungshilfe durchÖlpreissteigerungen »aufgefressen« werde, während die Vorteileaus der Nutzung von Natur, Ressourcen und wachsender Wohl-stand ganz überwiegend den Industriestaaten zuflössen. Demmüsse durch ein zeitgemäßes Konzept der Nachhaltigkeit undGerechtigkeit begegnet werden.

Es handelte sich um eine außenpolitische, philosophische, bis-weilen visionäre Rede (Minister Gabriel forderte alle auf, imBereich Umweltschutz nach einem Man-to-the-Moon-Project zusuchen; etwa nach einer Technologie zur Sammlung von Solar-energie auf der Südhalbkugel und ihrer globalen Nutzung). Wersich von der Rede auch ein innenpolitisches Arbeitsprogrammerhofft hatte (der Autor möchte sich hiervon nicht ausschließen),wurde jedenfalls durch den engagierten und schwungvollen Vor-trag des Ministers entschädigt. In der anschließenden Diskussion,die einen deutlich überdurchschnittlichen Unterhaltungswerthatte, bewies er in einigen Bereichen bereits erstaunliche Detail-kenntnisse aus der erst vier Monate währenden Amtszeit. Auf dieFrage von Prof. Kloepfer, wie es denn um die Zukunft des Umwelt-gesetzbuches stehe, zeigte sich Herr Gabriel sehr zuversichtlich: Erhabe noch in der Vorwoche im Rahmen der abschließendenGespräche über die Föderalismusreform dafür geworben, dieAbweichungsmöglichkeiten der Länder etwa im Bereich desNaturschutzes und des Wasserhaushalts zurückzudrängen zuguns-ten einer umfassenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes fürden Bereich Umwelt. Er bedaure, dass es nicht auch noch Konsensdarüber gegeben habe, ein bundeseinheitliches Verfahrensrechtzu verabschieden, hoffe aber, dass sich dies noch nachträglich ein-führen lasse. Die Gegenauffassung (wohl insbesondere des Wirt-

Die Umweltpolitik der neuen Bundesregierung – Bericht über einen Vortrag des Bundesministers für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, bei den Forschungszentren Umwelt-recht und Technikrecht e.V. am 20.2.2006 in Berlin –

1 Der Wortlaut der Rede ist abgedruckt auf der Website des Bundesministeriumsfür Umwelt: http.//www.bmu.de/reden/bundesumweltminister_sigmar_gabri-el/doc/print/36659.php

TA G U N G S B E R I C H T

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schaftsministeriums) habe hier eine Überregulierung durch dasBundes-Umweltrecht befürchtet, Gabriel hingegen glaubt, dass esim Kern stattdessen um Ansiedlungspolitik einzelner Länder gehe.Auf die Frage nach möglichen Neuerungen im Bereich Verpa-ckungsverordnung antwortete Gabriel, dass es beim Dosenpfandbleiben werde, weil eine Kehrtwende hier schlicht zu teuer sei; essei auch nicht an eine Beendigung der getrennten Erfassung vonVerpackungsabfällen in privaten Haushalten (Gelbe Tonne)gedacht. Auch wenn hier die Verwertungsmöglichkeiten immernoch begrenzt seien, bedeutete das Ende der Mülltrennung in pri-vaten Haushalten (»Der Deutschen liebstes Umweltkind!«) einenunwiederbringlichen Verlust an Umweltbewusstsein. Im Bereichder grünen Gentechnik wolle man den Kurs fortsetzen, der eineKoexistenz ermögliche, gleichzeitig aber klare Haftungsregelun-gen schaffe, nach denen die Verursacher im Wege eines Haftungs-fonds die Folgen von Einkreuzungen entschädigen müssten. Wei-tere Fragen reichten von der internationalen und europäischen

Vorreiterrolle Deutschlands bis hin zur Förderung und Gesetzge-bung für spezifische Projekte. Ingesamt erschien Minister Gabrielentschlossen, dem Amt des Umweltministers seinen Stempel auf-zudrücken. Sicherlich wird er in vielem an die Umweltpolitik derRot-Grünen Bundesregierung anknüpfen, deshalb haben auch dieführenden Umweltverbände die 100-Tage-Bilanz vom 27.2.2006überwiegend gelobt. Das dürfte sich in der bevorstehenden Ent-scheidung über den Antrag von RWE über die Laufzeitverlänge-rung für Biblis A fortsetzen. Allerdings dürfte die Umweltpolitikder Großen Koalition weniger programmatisch ausfallen und stär-ker durch Kompromisse geprägt sein, wie dies etwa in der eherzurückhaltenden Position Gabriels bei der Abstimmung über dieChemikalienreform Reach zum Ausdruck kam.

Dr. Bernd Ochtendung, LLM, Rechtsanwalt, Mock Rechtsanwälte, Berlin,

[email protected]

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Jürgen Fluck (Hrsg.):Kreislaufwirtschafts-, Abfall- und Boden-schutzrechtKommentar, Loseblattwerk in 9 Ordnern, Stand:Dezember 2005, 10.584 Seiten, 218,– €, Ver-lagsgruppe Hüthig Jehle Rehm.

Der »Fluck« ist eine Institution. Diejeni-gen, die sich näher mit Fragen des Abfall-,Bodenschutz- und Altlastenrechts befas-sen, werden das umfangreiche Loseblatt-werk regelmäßig in die Hand nehmen.Mittlerweile liegt die 61. Ergänzungsliefe-rung (12/2005) vor. Zehn Jahre besteht nunder mittlerweile auf neun Bände und über10.000 Seiten gewachsene Kommentar aufdem Rechtsmarkt. Er ist von dort nichtmehr wegzudenken, ohne dass eine erheb-liche Lücke entstünde.

Was zeichnet das Werk von insgesamtüber 30 namhaften Autoren aus Wissen-schaft und Praxis aus? Hier ist zuallerersthervorzuheben, dass es einerseits als Kom-mentar, andererseits zumindest als Vor-schriftensammlung dem Praktiker diewesentlichen Bereiche des entsorgungs-und bodenschutzspezifischen Umwelt-rechts im Zusammenhang erschließt underläutert. Im Mittelpunkt steht dabei dasKreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, des-sen Kommentierung allein bereits knappzwei Bände füllt. Dabei spiegelt der Inhaltauch die Zeitläufe wider, in denen sich dasWerk in den vergangenen zehn Jahren ent-wickelt hat: So stammen die Kommentie-rungen der §§ 1 bis 7, 9, 14 bis 21, 35, 41 bis48 KrW-/AbfG sowie – zumindest teilweise– einiger anderer Vorschriften noch ausden Jahren 1995/1996, also aus derAnfangszeit des KrW-/AbfG. Andere Vor-

mit der Auslegung von Rechtsvorschriftenbefasst ist, weiß zur Genüge, wie hilfreicheine ausführliche Gesetzes- oder Verord-nungsbegründung sein kann.

Einen weiteren wesentlichen Schwer-punkt der Kommentierung bildet dasBodenschutzrecht: Allein die Bearbeitungvon Bundes-Bodenschutzgesetz und Bun-des-Bodenschutz- und Altlastenverord-nung füllt einen ganzen Ordner (Band 4).Besonders lesenswert ist hier die 133 Seitenstarke, quellengesättigte »Einleitung« zuGrundfragen des BBodSchG von Peine. Diezentrale Vorschrift zur Gefahrenabwehr-pflicht, § 4 BBodSchG, ist von Giesbertsebenfalls sehr ausführlich bearbeitet undzudem noch ganz aktuell (Juni/2005).Andere Vorschriften wiederum sind auchknapp acht Jahre nach ihrer Verabschie-dung noch nicht kommentiert (§ 25BBodSchG) oder nicht ganz aktuell (§ 24Abs. 2 BBodSchG). Letzteres wiegt freilichschwer, wenn auch der abgedruckte Geset-zestext (noch) nicht an die geltendeRechtslage angepasst ist.

Band 5 umfasst ohne Kommentierungvornehmlich sonstiges einschlägiges Bun-desrecht, so etwa das alte Abfallgesetz ausdem Jahr 1986, das noch recht junge Elek-tro- und Elektronikgerätegesetz, das Bun-des-Immissionsschutzgesetz sowie Verwal-tungsvorschriften wie die TA Abfall und dieTA Siedlungsabfall. Der Abdruck einergroßzügigen Auswahl von abfall- undbodenschutzspezifischen Rechtsvorschrif-ten der Länder (Bände 6/I und zur Hälfte6/II) veranschaulicht, wie zersplittert dasAbfall- und Bodenschutzrecht gegenwärtigist. Wer in der Abfallwirtschaft überregio-nal tätig ist, muss sich im unterschiedli-

schriften sind dagegen aktuell bearbeitet,so etwa aus dem Jahr 2005 der § 8 KrW-/AbfG (Kreislaufwirtschaft und landwirt-schaftliche Düngung) von Fluck/Scheier, die§§ 30, 33 KrW-/AbfG von Guckelberger ausdem Abschnitt über die Zulassung vonAbfallentsorgungsanlagen, §§ 50, 51 KrW-/AbfG (Vermittlung, Transportgenehmi-gung) von Franßen und § 54 KrW-/AbfG(Betriebsbeauftragter) von Hermanns.

Die EG-Abfallverbringungsverordnungund das deutsche Abfallverbringungsgesetzwerden ebenfalls ausführlich kommen-tiert. Dies gilt auch für Teile des unterge-setzlichen Regelwerks zum KrW-/AbfG, soetwa die Nachweisverordnung, die Abfall-verzeichnisverordnung, die Deponiever-ordnung, die Verpackungsverordnung, dieKlärschlammverordnung, die Bioabfallver-ordnung, die Gewerbeabfallverordnung,die Altholzverordnung, die Batterieverord-nung und die Entsorgungsfachbetriebever-ordnung. Die Kommentierung der Abfall-ablagerungsverordnung von Koepferstammt von September 2005 und berück-sichtigt daher die maßgebende EuGH-Ent-scheidung vom 14.4.2005 (Rs. C-6/03), ausder die Europarechtskonformität derAbfAblV hervorgeht.

Bei anderen Verordnungen, wie etwa derAltölverordnung ist zumindest die Verord-nungsbegründung aus der entsprechendenBundesrats-Drucksache abgedruckt. DieseTechnik der Wiedergabe von Begründun-gen aus Drucksachen von Bundestag undBundesrat ist an einigen Stellen des Kom-mentars anzutreffen: Es handelt sich danninsofern nicht um eine »echte« Kommen-tierung, da hier »nur« der Gesetzes- undVerordnungsgeber zitiert wird. Doch wer

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die Rechtstreue seiner Mitglieder gewähr-leisten?

Einen Aufschlag à la Mayntz hat es in die-ser Frage freilich nicht gegeben. Vielmehrhat sich unter dem Stichwort des »Compli-ance« aus der internationalen Praxis herausganz allmählich eine politik- und rechts-wissenschaftliche Forschung formiert, die –insb. im angelsächsischen Raum – inzwi-schen erhebliche Aufmerksamkeit auf sichzieht und bereits einen beachtlichenKanon theoretischer und empirischer Stu-dien vorweisen kann.

Das von Praktikern und Wissenschaft-lern gleichermaßen getragene »Internatio-nal Network for Environmental Compli-ance and Enforcement« (INECE) hat nunkürzlich unter Regie seines Direktors, desWashingtoner Umweltvölkerrechtlers Dur-wood Zaelke, des ehemaligen UNEP-Direk-tors Donald Kaniaru und der tschechischenUmweltjuristin Eva Kruzikova eine umfang-reiche Auswahl der prominentesten Publi-kationen dieser Forschungsbewegungunter dem prägnanten Titel »Making LawWork« kompiliert. Deutlich über den bis-her führenden und ebenfalls sehr empfeh-lenswerten Band von Edith Brown Weissand Harold K. Jacobson (Hrsg.), »EngagingCountries«2, hinausgehend verfolgt»Making Law Work« den Anspruch einerumfassenden Dokumentation des heuti-gen Forschungsstandes; man darf wohldaher sagen, dass in diesem zweibändigenReader die Compliance-Literatur erstmalszu einem vollständigen Bild der jungenForschungsdisziplin zusammengeführtwird.

Die Sammlung beginnt beim allgemei-nen theoretischen Unterbau, der vornehm-lich um die Ausschließlichkeit und dasNebeneinander utilitaristischer und beha-vioristischer Erklärungsansätze kreist. Ver-einfacht ausgedrückt geht es um die Frage,ob der Grund für »Non-Compliance« eherin bewusster Verweigerung und den Egois-men der säumigen Staaten zu suchen seioder aber durch Unfähigkeit zur Rechtsbe-folgung bzw. mangelnde Umsetzungskapa-zitäten bedingt werde. Am überzeugends-ten erscheinen insoweit diejenigen Auto-ren, die – wie beispielsweise Oran R. Young(S. 105 ff.) – einen vermittelnden, undnach Struktur der Sachmaterie differenzie-renden Ansatz entwickeln. Vier Beiträge zunationalen Vollzugsfragen zeigen im Voll-zugsverhältnis des Staates zu seinen Bür-gern verblüffende Parallelitäten zum Ver-hältnis der völkerrechtlichen Gemein-schaft zu ihren Mitgliedstaaten. Einenwahren Wissensschatz entfaltet der Bandsodann durch die Fülle von Erfahrungsbe-richten und Analysen zu allen erdenkli-chen Compliance-Strategien und -Instru-

menten. Dies beginnt beim Monitoring,den Informationspflichten und -rechtensowie der Beteiligung von NGOs undÖffentlichkeit, setzt sich fort mit Fragender Rechtskontrolle und Rechtsprechung,insb. Verbands- und Bürgerklagen, der Haf-tung und Sanktionsmöglichkeiten undreicht schließlich bis hin zu den verschie-densten »pro-aktiven« und finanziellenInstrumenten der Umsetzungs- und Voll-zugsförderung. Durch diese sehr praxisori-entierten Beiträge erhält der Band gleich-sam den Charakter eines Handbuchs fürdas effektive Design umweltrechtlicherAbkommen und Gesetzgebungen.

Beherzten Kürzungen ist es dabei zu ver-danken, dass der Leser in jedem Beitragrasch auf das Wesentliche stößt. Natürlichlassen sich Überschneidungen und Wie-derholungen in einem solchen Band nichtvermeiden. In dieser Hinsicht hätte manevtl. auch auf den einen oder anderen Auf-satz verzichten können. Die instruktivenEinführungen ermöglichen es allerdingsdem Leser jederzeit, selbst eine souveräneAuswahl zu treffen.

Dem Werk ist insgesamt zu wünschen,dass es breite Beachtung findet, vor allemauch in der europäischen Wissenschaftund Praxis: Eine erstaunliche Erkenntnisaus dem großen Überblick, den es gewährt,ist nämlich, dass die Compliance-For-schung sich noch sehr wenig der Umset-zung des Europäischen Rechts zugewandthat. Möglicherweise wird die Gemein-schaft von den überwiegend völkerrecht-lich orientierten Adepten der Compliance-Forschung eher der nationalen Kategoriezugerechnet. Zwar besteht bei der EU man-ches völkerrechtstypische Vollzugspro-blem insoweit nicht, als die Gemeinschaftüber supranationale Kontroll- und Sankti-onsbefugnisse verfügt. Die zentrale Proble-matik der vermittlungsbedürftigen Mehr-ebenensteuerung und die besondereHerausforderung der »Staatensteuerung«stellen sich jedoch wesentlich auch in derUnion. Wie die Praxis des EG-Umwelt-rechts zeigt, ist die Umsetzungssituationtrotz der Kontrollen durch die Kommissionund den EuGH vielfach desolat. Jüngst hatdie Kommission deshalb eine Compliance-Offensive angekündigt. Das Compliance-Handbuch der INECE könnte dabei Patestehen.

Moritz Reese, Berlin

chen Landesrecht und (was beinahe nochgravierender wirkt) Landesvollzug ausken-nen. Hierfür sind die abgedruckten Vor-schriften eine große Hilfestellung.

Der letzte Band des Loseblattwerkes(Band 7) gibt schließlich die wesentlicheneuroparechtlichen Vorschriften des Abfall-rechts wieder, so etwa die EG-Abfallrah-men-Richtlinie (mit einer 30 Seiten umfas-senden Kommentierung von Epiney), dasEG-Abfallverzeichnis, die EG-Elektro-Alt-geräte-Richtlinie und die EG-Umwelthaf-tungs-Richtlinie. Außerdem werden einigeinternationale Abkommen wiedergegeben.Positiv hervorzuheben ist im Übrigen dasbreit angelegte und zugleich nach Schwer-punkten (Abfallrecht, Bodenschutzrecht,Landesrecht) strukturierte Stichwortver-zeichnis, das einen schnellen Zugriffermöglicht.

Rechtsanwalt Stefan Kopp-Assenmacher, Berlin

Durwood Zaelke/Donald Kaniaru/Eva Kruzíková (Hrsg.):Making Law WorkCameron May, London 2005, ISBN 1 905017 09 X.

Vor fast dreißig Jahren war es RenateMayntz, die mit Ihrer Studie »Vollzugspro-bleme der Umweltpolitik«1 in Aufsehenerregender Weise darlegte, welche beträcht-lichen Lücken zwischen rechtlich gebote-nem und praktisch vollzogenem Umwelt-schutz bisweilen klafften, und wesentlicheGründe für diese vornehmlich nationalenVollzugsdefizite benannte. Seitdem hat sichdie Situation nicht verbessert. Im Gegenteil,die Vollzugsprobleme haben erheblich anBedeutung gewonnen, vor allem im Zusam-menhang mit der Europäisierung und Glo-balisierung des Umweltrechts. Mit der sach-lich gebotenen Internationalisierung hatsich die Distanz zwischen Quelle undAdressaten des Umweltrechts wesentlichvergrößert. Zwischen einer völker- odereuroparechtlichen Norm und der durch siegeforderten zivilen Praxis stehen nicht nurdie regionalen Verwaltungen mit ihrenadministrativen Ermessensspielräumen,Kapazitätsmängeln und Nachlässigkeiten.Vielmehr treten nun die Vertrags- und Mit-gliedstaaten selbst als weitere Adressatendazwischen, die sich aus nationalem Inte-resse einer wirksamen Umsetzung verwei-gern können. Erschwerend kommt hinzu,dass im internationalen Zusammenhangwenig effektive Sanktionen verfügbar undwirksame Abschreckungseffekte kaum zubewirken sind. Mit der zunehmenden Glo-balisierung der Problemzusammenhängestellt sich folglich immer dringlicher dieFrage: Wie kann der internationale Verband

1 Vollzugsprobleme der Umweltpolitik. EmpirischeUntersuchung der Implementation von Gesetzenim Bereich der Luftreinhaltung und des Gewässer-schutzes (mit Derlien, Bohne, Hesse, Hucke, Mül-ler) Stuttgart: Kohlhammer 1978.

2 MIT Press, 1998.

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Helmut Köhler/Cedric C. Meyer:AbwasserabgabengesetzKommentar, 2. vollständig überarbeitete Auflage,C.H. Beck, München, 2006, 623 S., 98,– €,ISBN 3-406-53641-7.

Dem nunmehr in der zweiten Auflageerschienenen Kommentar des Abwasserab-gabengesetzes liegt die Neubekanntma-chung des Gesetzes vom 18.1.2005 (BGBl. IS. 114) zu Grunde. Berücksichtigt werdendabei auch die aktuellen Gesetzesänderun-gen zu § 3 AbwAG (Bewertungsgrundlage)mit der Anlage zu § 3 sowie zu § 4 AbwAG(Ermittlung der Schädlichkeit auf Grunddes Bescheids). Rechtsprechung und Litera-tur sind mindestens bis Februar 2005 ein-gearbeitet.

Zutreffend wird in der Einleitung zurKommentierung des AbwAG darauf hinge-wiesen, dass es sich um ein Gewässer-schutzgesetz handelt, das andere auf die-sem Gebiet anzuwendende Normen, vorallem des Wasserrechts, unter Festsetzungund Erhebung einer Emissionsabgabe fürdas Einleiten in ein Gewässer in dem Zielder Gewässerreinhaltung unterstützt.

Auffallend ist, dass in letzter Zeit dieRechtsprechung zum AbwAG insbesonderebei den OVG und dem BVerwG zunimmt,wobei die Urteile nicht immer im Ergebnisüberzeugen. Als Beispiel sei hier auch auf dasim Kommentar unter § 10 Rn. 137 angespro-chene Urteil des BVerwG vom 20.1.2004 Az.9 C 13.13 zu § 10 Abs. 4 AbwAG hingewie-sen, wonach die Kosten für die Errichtungeines neuen Kanals nicht nur mit der Abwas-serabgabe aus den aufzulassenden Kläranla-gen verrechnet werden können, sondernauch mit der Abwasserabgabe der Kläran-lage, an die angeschlossen wird.

Da sich das Abwasserabgabenrecht –unabhängig von der Forderung nach Ein-beziehung der umwelt- und ressourcenbe-zogenen Kosten der Wasserdienstleistun-gen entsprechend Art. 9 Abs. 1 WRRL – wei-ter fortentwickeln wird, hat auch dasDWA-Expertengespräch »25 Jahre Abwas-serabgabe in der Praxis« am 8.12.2005 inHennef bestätigt. Insoweit kommt, woraufim Vorwort des Kommentars hingewiesenwird, der Einleitung zum Kommentar mitseinen grundsätzlichen Ausführungenbesondere Bedeutung zu.

Verdienstvoll sind die Erläuterungen dertechnischen Rahmenbedingungen zu denjeweiligen Vorschriften des AbwAG, die dieBenutzung des Kommentars nicht nur fürJuristen, sondern auch für Ingenieure undNaturwissenschaftler als wertvolle Hilfeempfehlen.

Günther-Michael Knopp, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit

und Verbraucherschutz

Die nachfolgende Übersicht erfasst, soweit verfüg-bar, die umweltrechtliche Literatur des Erschei-nungszeitraums vom 16.12.2005 bis zum15.02.2006.

EG- und Internationales Umweltrecht

Prall, Ursula:Die genetische Vielfalt der KulturpflanzenDas völkerrechtliche Gebot nachhaltiger Nut-zung und seine Umsetzung im europäischenund nationalen Recht2006, 389 S., 69,– €, Nomos Verlagsgesell-schaft, ISBN 3-8329-1797-7

Mit der Konvention über die BiologischeVielfalt und dem International Treaty onPlant Genetic Resources hat die Staatenge-meinschaft sich die Aufgabe gestellt, demdramatischen Rückgang der genetischenVielfalt auch der Kulturpflanzen Einhalt zugebieten. In dieser ersten und umfassendenjuristischen Abhandlung zum Problem derErhaltung und der nachhaltigen Nutzungder genetischen Vielfalt der Kulturpflanzenbeschreibt die Verfasserin zunächst denUntersuchungsgegenstand und seineBedeutung für die Sicherung der Ernäh-rung. Nach einer Konkretisierung des völ-kerrechtlichen Gebots »nachhaltiger Nut-zung« und Darlegung der völkerrechtli-chen Pflichtenlage untersucht sie sodann,wie und in welchem Maße im Gemein-schaftsrecht und im nationalen Recht demSchutzgebot Rechnung getragen wird.Dem Querschnittscharakter der Aufgabeentsprechend steht hier ein breites Spek-trum an Regelungen aus den verschiedens-ten Rechtsgebieten – Agrarumweltmaß-nahmen, Sortenschutz und andere geistigeEigentumsrechte, Saatgutverkehrsrecht,Naturschutzrecht, Gentechnikrecht – aufdem Prüfstand. Anknüpfend an die sichergebenden grundlegenden Defizite entwi-ckelt die Verfasserin abschließend Vor-schläge für die Fortentwicklung des maß-geblichen Rechts.

Storm, Peter-Christoph/ Lohse, Siegbert:EG-Umweltrecht (EGUR)Systematische und ergänzbare Sammlung derVerordnungen, Richtlinien und sonstigenRechtsakte der Europäischen Union zumSchutz der UmweltLoseblattwerk in 7 Ordnern, Stand: 2005, Ergän-zungslieferungen 2/05, 3/05, 4/05, 5/05, 6/05,7/05, 8/05, 9/05 und 1/06 (Anschluss zur Liefe-rung 9/05), 11.480 S., 198,– €. Erich SchmidtVerlag, ISBN 3-503-03497-8

Die Ergänzungslieferungen in 2005 enthal-ten zahlreiche Einfügungen gemeinschaft-licher Rechtsakte.

Allgemeines Umweltrecht

Schmidt-Preuß, Matthias: Kollidierende Privatinteressen im Verwal-tungsrecht2005, 825 S., 98,– €, Duncker & Humblot,ISBN 3-428-11906-1

In der Ende 1992 erschienenen Habilitati-onsschrift hat Matthias Schmidt-Preuß füreine Neukonzeption des subjektivenöffentlichen Rechts in multipolaren Kon-fliktlagen plädiert und die Konfliktschlich-tungsformel vorgeschlagen. Sie fragt nachder tatbestandlichen Balance der kollidie-renden Privatinteressen im Gesetz. Ent-scheidend ist, ob sie im Sinne einer Aus-gleichsordnung einem normativen Kon-fliktschlichtungsprogramm unterstelltsind. Damit soll der Bürger-Bürger-Relationim Verwaltungsgericht – vom Bau- undUmweltrecht bis hin zum öffentlichenWirtschaftsrecht – Rechnung getragen wer-den. In diesen von Hause aus für das Zivil-recht typischen Konstellationen bemisstsich Drittschutz – so die zentrale These derArbeit – nach dem normativen Horizontal-verhältnis.

Dieser Neuansatz hat ein vielfältigesEcho gefunden. Die Neuauflage setzt sichmit der Rezeption in Rechtsprechung undLiteratur eingehend auseinander. Zugleichanalysiert sie die multipolaren Gesetze aufneuestem Stand und »testet« diese anhandder Konfliktschlichtungsformel. Das giltz. B. auch für moderne Materien wie dasRegulierungsrecht – das Telekommunikati-onsgesetz 2004 und das Energiewirtschafts-gesetz 2005 sind eingearbeitet – oder dasGesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-gen 2005. Zusätzliche Aktualität gewinntdie Thematik durch die modernen Ent-wicklungen des subjektiven öffentlichenRechts auf europäischer und internationa-ler Ebene. Hierzu wird zum einen die neu-este EuGH-Rechtsprechung zu nicht umge-setzten Richtlinien erörtert, zum anderenauf die Problematik der Verbandsklage imKontext von Aarhus-Konvention und EG-Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie ein-gegangen. In der bewährten Systematik desWerkes folgen der konzeptionellen Grund-legung der Besondere Teil mit dem dritt-schutzrelevanten Referenzfeldern sowieStrukturfragen des Verwaltungsverfahrens-und prozessrechts.

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B U C H N E U E R S C H E I N U N G E N

Die Neuauflage zieht Bilanz und blickt

zugleich in die Zukunft. Matthias Schmidt-

Preuß präsentiert das subjektive öffentli-

che Recht für Theorie und Praxis auf dem

neuesten Stand und zeigt, dass die Kon-

fliktschlichtungsformel auch den Heraus-

forderungen moderner Rechtsentwicklun-

gen gewachsen ist.

Immissionsschutzrecht

Diederichsen, Lars:

Feinstaub

Rechtsgrundlagen zum Schutz von Leben und

Gesundheit

2005, 72 S., 18,– €, Beuth Verlag,

ISBN 3-410-16105-8

Während die industriell bedingten Grob-

staubemissionen inzwischen stark redu-

ziert wurden, ist die Belastung durch Fein-

staub in Innenstädten – speziell bedingt

durch Kraftfahrzeugverkehr, Haushalte

und Kleinverbraucher – in den letzten Jah-

ren stetig angestiegen. Seit dem 1. Januar

2005 gilt für Feinstaub der Grenzwert einer

1999 verabschiedeten EU-Richtlinie. Er

liegt bei 50 mg pro Kubikmeter Luft und

darf pro Jahr an maximal 35 Tagen über-

schritten werden. Die Praxis sieht im

Moment allerdings noch anders aus.

Zur Lösung des Problems sind gemein-

same Anstrengungen auf allen Ebenen des

staatlichen Handelns, der Kommunen,

aber auch auf Seiten der Wirtschaft und der

Bevölkerung notwendig.

Ein neues Werk aus der Beuth Reihe

Recht informiert über die gesetzlichen

Grundlagen zur Bekämpfung des Fein-

staubs und zeigt dabei konkrete Hand-

lungsmöglichkeiten, aber auch juristische

Problemfelder auf.

Der Autor kommt, nach einer kurzen

Hinführung zum Thema, sofort zur Sache:

Dargestellt werden die wichtigsten Rege-

lungen des Europäischen Gemeinschafts-

rechts und des nationalen Rechts; entspre-

chend der gegenwärtigen Diskussion ste-

hen straßenverkehrsbezogene Regelungen

zur Bekämpfung des Feinstaubs im Mittel-

punkt.

Der zweite Teil des Buches enthält Aus-

züge aus den gesetzlichen Grundlagen der

Europäischen Union und der Bundesrepu-

blik Deutschland. Dabei wurden gezielt

nur Passagen ausgewählt, die sich speziell

mit der Feinstaub-Problematik befassen.

Spieler, Martin:Beste verfügbare Technik und Immissions-schutzrechtDie BVT-Merkblätter und ihre Bedeutung imimmissionsschutzrechtlichen Genehmigungs-verfahren2006, 259 S., 96,– €, Duncker & Humblot,ISBN 3-428-11923-1

Von der Europäischen Kommission werdenin regelmäßigen Abständen sogenannteBVT-Merkblätter veröffentlicht, die fürbestimmte Industriesektoren Aussagenüber den gegenwärtigen Stand der bestenverfügbaren Technik enthalten. Das Bun-des-Immissionsschutzgesetz enthält seitvier Jahren die bislang kaum beachtetePflicht zur Berücksichtigung der BVT-Merk-blätter bei der Bestimmung des Standes derTechnik, welche damit einen zentralenPunkt der immissionsschutzrechtlichenGenehmigung betrifft. Martin Spieler stelltin seiner Arbeit die BVT-Merkblätter vorund untersucht ihre Bedeutung für dasimmissionsschutzrechtliche Genehmi-gungsverfahren. Aufgrund der verbreitetenuntergesetzlichen Konkretisierung desStandes der Technik ist eine Berücksichti-gung der Merkblätter in diesen Regelwer-ken erforderlich. Hierzu schlägt der Autorein einheitliches Berücksichtigungsverfah-ren vor. Die Berücksichtigung der Merk-blätter muss allerdings auch dann sicherge-stellt sein, wenn sie nicht in die Regelwerkeeingearbeitet wurden. Dies kann nur durchdie jeweilige Genehmigungsbehörde imEinzelfall geschehen, was allerdings wie-derum im Konflikt mit den für die Behördeverbindlichen untergesetzlichen Regelwer-ken steht.

Wasserrecht

Diesel, Ernst-W./ Lühr, Hans-Peter:Lagerung und Transport wassergefährden-der Stoffe (LTwS)Ergänzbares Handbuch der rechtlichen, techni-schen und naturwissenschaftlichen Grundla-gen für Betrieb und VerwaltungLoseblattwerk in 6 Ordnern, Stand: 2006, Ergän-zungslieferungen 4/05, 5/05, 6/05, 7/05, 8/05,9/05, 10/05, 1/06 (Anschluss zur Ergänzungslie-ferung 10/05) und 2/06, 11.638 S., 248,– €, Erich Schmidt Verlag, ISBN 3-503-01990-1

Mit der Mai-Lieferung 4/05 werden dieBetriebssicherheitsverordnung, die Gefahr-stoffverordnung und die Chemikalienver-botsverordnung aktualisiert. Neu aufge-nommen sind die Aufzugsverordnungsowie die Musterbauordnung 2002. ImBereich der Technischen Regeln wird eineweitere TRBS (Technische Regeln zurBetriebssicherheit) neu aufgenommen. Die

aktuelle Liste der geprüften Ölbinder istebenfalls abgedruckt.

Mit der Ergänzungslieferung 5/05 wer-den die Chemikalien Straf- und Bußgeld-verordnung, die Biostoffverordnung unddie Biozidzulassungsverordnung neu auf-genommen bzw. aktualisiert.

Im Bereich der Technischen Regeln wirddie technische Regel für Acethylenleitun-gen sowie die UnfallverhütungsvorschriftGUV 9.29 über biologische Arbeitsstoffeaufgenommen.

Mit der Ergänzungslieferung 6/05 wer-den die Wassergesetze von Baden-Würt-temberg und Bayern sowie die VawS vonBaden-Württemberg, Bayern, Niedersach-sen und Rheinland-Pfalz aktualisiert.

Neu aufgenommen werden Verzeich-nisse der allgemeinen bauaufsichtlichenZulassungen für Fugenbänder, Sicherheits-einrichtungen sowie Medienlisten zurÜberprüfung der Eignung von Abdich-tungsmitteln.

Mit der Ergänzungslieferung 7/05 werdendie Wassergesetze von Niedersachsen, Saar-land, Sachsen und Thüringen aktualisiert.

Mit der Ergänzungslieferung 8/05 wirddie Übersicht über die Sachverständigenor-ganisationen gegeben. Weiter werden dieZulassungsgrundsätze zur gesundheitli-chen Bewertung von Bauprodukten imInnenraum neu aufgenommen. Eine Reihevon Technischen Regeln zu Druckgase(TRG) und Dampfkessel (TRD) wurdenaktualisiert bzw. neu aufgenommen.

Mit der Ergänzungslieferung 9/05 wer-den das Wasserhaushaltsgesetz, das Ham-burgische Wassergesetz sowie die Allge-meine Verwaltungsvorschrift über die Ein-stufung wassergefährdender Stoffe inWassergefährdungsklassen aktualisiert.

Mit der Ergänzungslieferung 10/05 wer-den die Landeswassergesetze von Berlin,Bremen und Schleswig-Holstein aktuali-siert sowie die 4. BImSchV und die VawSRheinland-Pfalz. Weiter ist der Anhang 3der Allgemeinen Verwaltungsvorschriftüber die Einstufung wassergefährdenderStoffe in Wassergefährdungsklassen abge-druckt. Neu aufgenommen wurden dieTRG 100 sowie ein Beispiel für ein Explosi-onsschutzdokument gemäß BetrSichV.

Mit der Ergänzungslieferung 1/06 wer-den die Landeswassergesetze von Mecklen-burg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz undSachsen-Anhalt aktualisiert sowie dasUmweltverträglichkeitsprüfungsgesetz.Aktualisiert werden ebenfalls die Techni-schen Regeln TRG 101 und TRG 253.

Mit der Ergänzungslieferung 2/06 wer-den neu aufgenommen die Trinkwas-serVO, die AltholzVO, die AblagerungsVOsowie die EG-Richtlinie über gefährlicheAbfälle. Aktualisiert werden die

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22. BImSchV und das Umwelthaftungsge-setz. An technischen Regeln werden neuaufgenommen die TRD 001 und ein Musterfür ein Explosionsschutzdokument gemäßBetrSichV.

Sonstiges

Guhse, Birgit:Kommunales Flächenmonitoring undFlächenmanagement2005, 277 S., 42,– €, Hüthig Fachverlage,ISBN 3-87907-428-3

Das Thema Flächenmonitoring und Flä-chenmanagement ist ein unverzichtbarerBestandteil kommunaler Planungen.Zudem wird mit dem EAG Bau, das alsNovellierungsgesetz zum BauGB im Som-mer 2004 in Kraft getreten ist, erstmalsauch ein kommunales Monitoring gefor-dert. Für ein aktives, umsetzungsorientier-tes Flächenmanagement ist der Einsatz vonInformations- und Kommunikationstech-nologie unerlässlich. Hierbei spielen insbe-sondere Geoinformationssysteme (GIS)eine zentrale Rolle. GIS, die heute schon inKommunen in einzelnen Fachbereicheneingesetzt werden, sind aufgrund ihrerräumlichen Komponente sowie des ressort-übergreifenden Ansatzes als Flächenmoni-toring- oder Flächenmanagementinforma-tionssysteme geradezu prädestiniert.

Das Buch zeigt neben den Grundlagen(Daten, Bezugssysteme etc.) für den Einsatzvon GIS in Kommunen auch praktischeEinsatzgebiete in der Verwaltung auf. Fürden Themenkomplex Flächenmonitoringund Flächenmanagement werden Praxis-beispiele für Einzelthemen sowie Rahmen-bedingungen und Methodik für den Ein-satz als kommunales Flächenmonitoring-oder Flächenmanagementinformations-system (KFMIS) aufgezeigt. Daneben wer-den auch die technischen sowie organisa-torischen Randbedingungen und Anforde-rungen für die Einführung und den Einsatzvon GIS in der Kommunalverwaltungbehandelt.

Risch, Jessica: Windenergieanlagen in der AusschließlichenWirtschaftszoneVerfassungsrechtliche Anforderungen an dieZulassung von Windenergieanlagen in der Aus-schließlichen Wirtschaftszone (AWZ)2006, 223 S., 69,80 €, Duncker & Humblot,ISBN 3-428-11891-X

Jessica Risch befasst sich mit den verfas-sungsrechtlichen Rahmenbedingungender Offshore-Windenergieerzeugung in derdeutschen Ausschließlichen Wirtschafts-zone. Mit der geplanten Errichtung groß-

flächiger Windparks außerhalb des deut-schen Hoheitsgebietes sind nicht nur Fra-gen der Anlagengenehmigung, des Meeres-naturschutzes und der Raumordnung zuklären, vielmehr bedurfte es auch einerumfassenden Betrachtung des Verfassungs-rechts, die mit diesem Werk nunmehr vor-liegt.

Zunächst spannt die Autorin den völker-rechtlichen Rahmen auf, in dessen Mittel-punkt die für Windenergieanlagen in derAWZ wesentlichen Normen des Seerechts-übereinkommens stehen, behandeltsodann die Frage des Geltungsgrundes desGrundgesetzes in der AWZ und widmetsich der Verteilung der Gesetzgebungs- undVerwaltungskompetenzen zwischen Bundund Ländern. Im Anschluss analysiert siedie Voraussetzungen für die Geltung derunterverfassungsrechtlichen Normen inder AWZ. Dieser Teil der Untersuchungschließt mit dem Ergebnis, dass Normendes einfachen Rechts nicht ipso iure gelten,sondern vielmehr einer ausdrücklichenErstreckungsanordnung bedürfen. Im letz-ten Abschnitt widmet sich Risch der Bedeu-tung von Art. 14 und 12 GG sowie derFrage, ob der zivilrechtlichen Eigentums-ordnung in der AWZ keine verfassungs-rechtlichen Bedenken entgegenstehen,jedoch noch gesetzgeberischer Handlungs-bedarf besteht.

Schrödter, Hans: BaugesetzbuchDie Neuauflage zum EAG Bau2006, 2.184 S., 230,– €, Verlag C.H.Beck,ISBN 3-8006-3176-8

Das Werk bietet eine anschauliche Kom-mentierung für den Rechtsalltag, die auchwissenschaftlichen Anforderungen genügt.Es liefert eine solide Kommentierung, diefür die praxisbezogene Beratung, Planungund Entscheidung geeignet ist. Maßgebli-che Experten kommentieren die Änderun-gen Punkt für Punkt und sorgen so fürSicherheit im Umgang mit dem neuenRecht. Die 7. Auflage verarbeitet vollstän-dig das am 20.07.2004 in Kraft getreteneEuroparechtsanpassungsgesetz Bau (EAGBau). Davon sind insgesamt 84 Paragra-phen des Baugesetzbuchs betroffen. Neusind insbesondere: Umweltprüfung allerBauleitpläne, Baurecht auf Zeit, Streichungder Teilungsgenehmigung, VereinfachtesUmlegungsverfahren, Änderungen bei derZulassung bestimmter Vorhaben im Innen-und Außenbereich, Stadtumbau undSoziale Stadt.

Wichmann, Manfred:Straßenreinigung und Winterdienst in derkommunalen PraxisRechtsgrundlagen – Organisation – Aufgaben2006, 590 S., 86,– €, Erich Schmidt Verlag,ISBN 3-503-09021-5

Nicht nur für Großstädte wird es heuteimmer schwieriger, wenigstens ein Min-destmaß an Sauberkeit und Verkehrssicher-heit auf Straßen, Wegen und Plätzen zugewährleisten. Zwar ist hier auch derGrundstückseigner gefragt, die Hauptver-antwortung für die Beseitigung von Mülloder Eis und Schnee liegt jedoch bei Städ-ten und Gemeinden. Die komplexe Rechts-lage stellt unsere Kommunen zusätzlichvor große Herausforderungen. Nur umfas-sende Kenntnisse aller Aspekte und Pflich-ten vermeiden Haftungsrisiken und führenletztendlich zum Erfolg.

Dieses seit vielen Jahren eingeführteStandardwerk verwirrt nicht durch theore-tische Ausführungen, sondern erläutertden umfangreichen Stoff auf die praktischeArbeit zugeschnitten und didaktisch sehrgut aufbereitet. Der Autor stellt ausführlichdie aktuelle Rechtslage von Straßenreini-gung und Winterdienst dar und gehtdetailliert auf die typischen Schwierigkei-ten im kommunalen Alltag ein. Die vonihm empfohlenen Lösungen könnensofort umgesetzt werden.

Winkler, Martin:KlimaschutzrechtVölker-, europa- und verfassungsrechtlicheGrundlagen sowie instrumentelle Umsetzungder deutschen Klimaschutzpolitik unter beson-derer Berücksichtigung des Emissionshandels2006, 384 S., 34,90 €, LIT Verlag,ISBN 3-8258-8923-8

Völker-, Europa- und deutsches Verfas-sungsrecht verpflichten den Staat zum Kli-maschutz. Aufgrund konzeptioneller oderrechtlicher Mängel und Vollzugsdefizitekönnen die gebotenen Reduktionen mitden untersuchten Instrumenten nichterreicht werden. Der Emissionshandel istgrundsätzlich dazu in der Lage, verschie-dene Mängel auszugleichen und das Instru-mentenbündel zu bereichern. Untersuchtwerden die Kompatibilität des TEHG/ZuGmit dem vorhandenen Instrumentariumund einzelne grundrechtliche Fragen.Dabei hinterfragt der Autor die gängigenRechtsansichten kritisch und widerlegteinige davon.

B U C H N E U E R S C H E I N U N G E N

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ZUR 5/2006 | I I I

Umweltrecht 153,– €, für Nichtmitglieder 218,– €. Studenten-Abo: Für Mit-glieder des Vereins für Umweltrecht 89,– €, für Nicht-Mitglieder 130,– €. (BitteStudienbescheinigung einsenden). Alle Preise verstehen sich incl. MwSt. zzgl.Versand. Preisänderungen bleiben vorbehalten. Bezahlung bitte nach Rech-nungserhalt. Bitte teilen Sie Adressänderungen mit, da die ZUR nicht von einempostalischen Nachsendeauftrag erfaßt wird. Bankverbindung: Sparkasse Baden-Baden, Konto.-Nr. 5002266, BLZ 66250030, Postbank, Konto.-Nr. 73636-751,BLZ 66010075, Volksbank Baden-Baden, Konto.-Nr. 107806, BLZ 66290000Manuskripte: Einsendungen für den Aufsatz- und Berichtsteil werden an die Schriftleitung (Prof. Dr. Wolfgang Köck, Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle, Permoserstr. 15, 04318 Leipzig, Tel.: 0341/235-3140, Email: [email protected]) oder an die angegebene Redaktionsadresse erbeten. Für Manuskripte, die unaufgefordert eingesandt werden, wird keine Haftung über-nommen. Die Annahme zur Veröffentlichung muß schriftlich erfolgen. Copy-right: Die ZUR und die darin enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlichgeschützt. Das gilt auch für die veröffentlichten Gerichtsentscheidungen und Leit-sätze, soweit sie vom Einsender oder von der Redaktion erarbeitet oder redigiertworden sind. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzesist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung inelektronischen Systemen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Impressum

Schriftleitung: Prof. Dr. Wolfgang Köck (Verantwortlich im Sinne des Presserechts) cDr. Moritz Reese c Dr. Sabine Schlacke

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Verlag:Nomos-Verlagsgesellschaft c Waldseestr. 3-5 c 76520 Baden-Baden cTelefon (07221) 2104-0 c Fax: (07221) 2104-27 c [email protected]

Anzeigenverwaltung:sales friendly c Maarweg 48 c 53123 Bonn c [email protected]

Vertrieb und Aboverwaltung: Nomos Verlagsgesellschaft Abo-Service: Tel. 07221/2104-39 Fax: 07221/2104-43. Erscheinungsweise der ZUR: 11 Ausgaben pro Jahr.

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T E R M I N E / I M P R E S S U M

19. MAI 2006

Berlin

2. VUR/ZUR – Fachgespräch: Die Neuordnung der Umweltgesetz-gebungskompetenzen

Ort: Vertretung der Freien Hansestadt Bre-men beim Bund und für Europa, Hiroschi-mastraße 24, 10765 Berlin, www.landesver-tretung.bremen.deDie Teilnahme ist kostenlos, verbindlicheAnmeldung bitte bis zum 10. Mai 2006beim Verein für Umweltrecht e.V., Langen-str. 34, 28195 Bremen, Tel.: 0421/5664744,Fax: 0421/5664745; [email protected] oder [email protected]

22./23. JUNI 2006

Fulda

Tagung: Verbandsrechte: neue Herausfor-derungen für Verwaltung und Justiz?

Die EU-Richtlinie zu Öffentlichkeitsbeteili-

gung und Gerichtszugang

Aktuelles zur Umsetzung der ersten Säule

von Aarhus – Zugang zu Umweltinforma-

tionen

- Warum mehr Bürgerbeteiligung?

- Minderung von Vollzugsdefiziten durch

Umweltverbände

- Geht´s auch anders? Blick ins Ausland

- neuralgische Punkte bei der Umsetzung

der EU-Richtlinie 2003/35

- Podiumsdiskussion

Gebühren: 30,– €, ermäßigt 20,– €

Programm und weitere Informationen:

www.aarhus-konvention.de

Anmeldung: Marion Rosenbaum, Unabhän-

giges Institut für Umweltfragen, Greifs-

walder Str. 4, 10405 Berlin, Tel: +49 (0)30 42

84 99 3-6, Fax: +49 (0)30 428 00 485, E-Mail:

[email protected]

29./30. JUNI 2006

Frankfurt/Main

Immissionsschutz – Seminar der DeutschenGesellschaft für Qualität (DGQ)

Gewässer- und Bodenschutz und Immissi-onsschutz – diese drei wichtigen Umwelt-themen hat die DGQ in ihrem Seminarpro-gramm aktualisiert. Die Themen werden injeweils zweitägigen Seminaren behandelt,in denen sich Umweltbeauftragte, -audito-ren und -berater sowie Führungskräfte undMitarbeiter mit umweltrelevanten Aufga-ben und regelmäßigem Fortbildungsbedarftreffen.Weitere Informationen: www.dgq.de/, Kon-takt: Deutsche Gesellschaft für Qualitäte.V., Dipl.-Ing. Claudia Nauta, Tel.:069/95424-209, E-Mail: [email protected].