HERBERT BRÖDL FILMEmer kleinere Formate. Je älter man wird, umso kommunikationsfreudiger wird man...

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HERBERT BRÖDL

FILME

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Ich begleite, beobachte und inszeniere Menschen auf Reisen; Wanderer zwischen den Welten, für die das Eigene sich im Anderen offenbart.

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MALER RAINER

SCHWARZER FLUSS

FLIEGER

ECLIPSE

BAD BOY

FRÜCHTCHEN

GOLDLAND

ARNULF RAINER - STERNSUCHER

JAGUAR UND REGEN

DJADJE

TRANCE-ATLANTIK

INSELN DER ILLUSION

FEUERBERG

DAS SCHLANGENFISCHKANU

ARNULF RAINER - KÖRPERKUNST

FEUERZEICHEN

ZIVILISIERTE TROPEN

FEHLSCHUSS

NACHRICHTEN RICHTEN NACH

PRESSE

FILMOGRAFIE

GESPRÄCHE

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MALER RAINER Ein Altersporträt

Dass ich sehe, was ich mit geschlossenen Augen sehe. Der 85-jährige Arnulf Rainer lässt sich in seinem Spätwerk von Frau-engesichtern auf Abbildungen ansprechen und antwortet ihnen mit Malerei auf ihr Antlitz in der Hoffnung auf den geglückten Pinselstrich und Maltag und leugnet nicht das Scheitern im nie Vollendeten, das zum Immer-Weiter drängt, zur möglichen Himmelfahrt der Malerei in den Kosmos der Schönheit. Er arbeitet an Porträts und lässt sich porträtieren, beklagt die Beschwernis des Alters, das Alleinsein und Auflösung bringt, und fährt in einem Heißluftballon über den Mühen durch den Himmel; auch der will ihm was sagen und erwartet eine Antwort aus dem Atelier da unten. Der dokumentarische Essay zeigt den Maler Rainer bei der Arbeit heute und vor 35 Jahren im Zeitsprung, der auch das Werk der Zeit zeigt.

Ich halte ihn für einen der wirklich großen europäischen Maler. Markus Lüpertz

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Ich hab Schwierigkeiten vor allem mit den größeren Formaten. Ich kann das Bild, ein größeres Bild, nicht mehr übersehen. Ich nehme an, das ist nicht eine Sache des Auges, sondern des Gehirns. Ein Künstler, wenn er an einem Bild malt, selbst wenn er etwas nur im Detail malt, muss das ganze Bild präsent haben. Auch der kleinste Schritt soll ja in einem Organismus des Großen sein, und da hab ich immer mehr Schwierigkeiten. Es gibt dann eine Flucht bei mir in im-mer kleinere Formate. Je älter man wird, umso kommunikationsfreudiger wird man mit Ge-sichtern. Das hab ich gemerkt und deswegen komm ich immer mehr dazu, mich nur mit Gesicht zu beschäftigen und da Malerei hinein oder darüber zu geben. Die Gesichter sprechen zu mir, sie sagen mir etwas; das verfolgt mich, ich seh das vor mir, dass eine gewisse Schönheit und eine Sympathie mir entgegenstrahlt. Durch Malen, wie ich sie ändere, sie vielleicht verhülle oder akzentuiere, hab ich dann einen wunderbaren Tag erlebt. Schlüsselfiguren? Wie ich noch ein Kind mit achtzehn Jahren war, bin ich auf die Maria Lassnig gestoßen. Irgendwie hab ich den Hang zur Einsamkeit und zum Autismus ge-habt. Ich wollte nicht kommunizieren, ich hab schon eine Sehnsucht nach den inneren Monologen gehabt. Die Künstler haben mir impo-niert, weil sie einen so monomanischen Eigenweg gehen haben kön-nen. Ich hab damals schon ein Buch von Van Gogh in die Hand be-kommen. Dann hab ich bei Bekannten gewohnt, die haben Freud, die Traumdeutung, ein verfemtes Buch, ist ja verbrannt worden von

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den Nazis, in der Bibliothek gehabt. Das hat mich sehr fasziniert. Dann wollte ich eigentlich immer zur Eigenkunst finden. In der Malerei kann es um Schönheit gehen. Alles, was gute Malerei ist, hat eine Himmelfahrt in den Kosmos der Schönheit. Ein Künstler lebt davon, dass etwas gelingt, dass er einen Pinsel-strich so hineinsetzt ins Bild, wie er ihn sich gewünscht hat und dass da keinerlei Abweichung und keinerlei Zuviel und Zuwenig und so weiter ist. In dem Moment ist er froh und glücklich. Ein Künstler scheitert immer, weil er aufhören muss, wenn er nicht mehr weiterkommt, und das Bild nicht mehr verbessern kann, das Gebilde, das Werk. Gilt immer, dass er eine viel stärkere Wunsch-vorstellung hat, als wie das dann kommt. Es gibt ja Sachen, die man im Alter herausdestillieren kann, die man vorher gar nicht gekannt hat, oder von denen man nichts gewusst hat. Dass unter Umständen viel mehr danebengeht als früher, das kann auch sein. Aber dann haben Sie einen ungeheuren Erfahrungs-schatz des Unbewussten, den müssen Sie zum Blühen und Wach-sen bringen. Alter ist eine große Beschwernis, hauptsächlich eine Beschwernis. Meine riesigen Probleme sind, mir die Zehennägel zu schneiden. Das klingt banal, aber in Wirklichkeit sind da so viele Aspekte des Philosophischen und auch des Psychischen drin. Es wird alles be-schwerlicher, man muss sich immer mehr anstrengen, man wird mehr allein. Das ist das Gesetz des Lebens, dass alles sich langsam auflöst.

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MALER RAINER Dokumentarischer Essay Österreich 2014 35 Minuten Konzept, Regie, Kamera Montage, Postproduktion

Mitarbeit Produktion

Herbert Brödl Thomas Hötzeneder Naia Arruda Office Oberau Brödl

Mit Unterstützung von Galerie Breckner

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SCHWARZER FLUSS Leben am Rio Negro

Das ist das Reisen: die traurigste der Freuden, schreibt Madame de Staël. Laurie ist am Schwarzen Fluss geboren und unterwegs, um unter-wegs zu sein. Ihre Reise führt sie von der legendären Stadt der Gummibarone und heutigen Millionenmetropole Manaus, wo der Rio Negro mit der vierfachen Wassermenge des Mississippi in den Ama-zonas mündet, über Barcelos und die Äquatorstadt São Gabriel an den Oberlauf des Schwarzen Flusses in der Tiefe Amazoniens, wo sich Brasilien, Venezuela und Kolumbien treffen und Alexander von Humboldt 1799 notierte: Ich fühle mich hier, im Innersten dieser un-geheuren Wildnis, sehr glücklich, und all diese Eindrücke werden mich auch künftig noch oft erfreuen. Die Tropenwelt ist mein Ele-ment. 'Schwarzer Fluss' ist ein Essay über das Leben am Rio Negro, dem größten Schwarzwasserfluss der Erde, und ein Rivermovie zwischen dokumentarischem und magischem Realismus.

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Der Mönch Gaspar de Carvajal schreibt am Dreifaltigkeitssonntag 1542: Wir sahen zu unserer Linken die Mündung eines gewaltigen Flusses, dessen Wasser schwarz wie Tinte ist, weshalb wir ihm den Namen Rio Negro gaben. Er fließt in solcher Fülle und Macht, dass er über etliche Meilen einen ausgreifenden dunklen Streif in den an-deren Fluss zieht und sich beider Wasser nicht mischen. Ein günstiger Wind trieb uns längs der Küste der Stadt Manaus zu, die etwa acht Meilen oberhalb der Mündung des Flusses liegt. Wir hielten in einer kleinen Bucht, um zu baden, ehe wir uns wieder unter zivilisierten Leuten sehen ließen; schreibt Henry Walter Bates 1850. Manaus ist eine abstoßende, unerträgliche, erbarmungslose Stadt. Und ein unwiderstehlich anziehender Ort, der wie zauberisch die Flussbewohner aus dem Wald hierher lockt, wo sie Teil der Anteils-losen werden, Ausgeschlossene, Überlebenskämpfer, die Armen der Slums. Die Forschungsreisenden zieht es nicht mehr in den Wald, sondern ins klimatisierte Shopping Center, das ein unerschöpfliches Füllhorn der Bilder über die Abenteurer ausschüttet. Die Natur ist ein Schlachtfeld, die Kultur ein Blumenbeet. Wer kein Geld hat, bleibt draußen und holt sich den Tod auf der Straße. Theodor Koch-Grünberg schreibt 1903: Nachdem wir ein letztes Glas geleert hatten, brachte mich Hübner im Ruderboot nach São Raimundo, wo das Schiff lag. Das Oberdeck ist überdacht, aber nach den Seiten offen, und dient als Raum für alles. Man bindet seine Hängematte an, wo man gerade Platz findet. Ohne bemerkenswerte Strömung, wie ein riesiger See, breitet sich die dunkle Flut aus. Schweigend gleiten wir über den Fluss, durch eine stille, sternglit-zernde Nacht.

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Die unermessliche Waldgegend, welche in der heißen Zone von Südamerika die miteinander verbundenen Stromgebiete des Orinoco und des Amazonenflusses füllt, verdient im strengsten Sinne des Wortes den Namen Urwald. In diesem unvergänglichen Grün stau-nen wir über die gewaltige Einsamkeit, durch die wir ziehen, versetzt in eine Welt ganz anders als die unserer Geburt; schreibt Alexander von Humboldt 1799. Beeindruckend ist die Breite des Rio Negro. Über hunderte Kilometer seines Laufs ist das gegenüberliegende Ufer nicht zu sehen. Eine Nacht und einen Tag fährt das Schiff flussaufwärts bis Barcelos, dessen Gemeindegebiet anderthalbmal so groß wie Österreich ist. Hier besucht Laurie ihren Vater. In Armut leben ist wie in einem lecken Boot auf einem stürmischen Meer fahren, was alle Kraft erfordert, sich nur über Wasser zu halten; davon, auf ein Ziel hin zu steuern, kann keine Rede sein. Armut ist ein fortgesetzter Ausnahmezustand; eine einzige Welle, ein wenig größer oder aus unerwarteter Richtung, bedeutet den Untergang. Für die Indios ist die Natur voller Geister. Der Zauberarzt Renato stellt die Verbindung zu ihnen her, hört im Traumganzen die Stimmen der Vorfahren, spricht mit ihnen in den Tabaksrauch und Blättersud, die die kranke Materie aus dem Körper holen, damit er sie abstrei-chen und in alle Winde verpusten kann, was Heilung bringt. Wir wollten Tatsachen sammeln, wie Alfred Russel Wallace sich in einem Brief ausdrückte, 'für die Lösung des Problems vom Ursprung der Arten'. Mein Reisegefährte kehrte nach vier Jahren zurück und veröffentlichte seinen Bericht 'Reisen auf dem Amazonas und dem Rio Negro'. Ich blieb noch sieben Jahre länger, schrieb über das Le-ben der Tiere, die Sitten und Gebräuche der Bewohner, die Beschaf-fenheit der Natur unter dem Äquator und meine Abenteuer. Ich sam-melte 14712 Spezies der Klassen Säugetiere, Vögel, Reptile, Fische, Insekten und Mollusken. Gegen Ende meines Aufenthalts waren meine Kleider bis zum Faden abgetragen, ich war geistig niederge-drückt, gesundheitlich zerrüttet und barfuß, in den tropischen Wäl-dern ein großer Übelstand, und doch ist mir diese Welt sehr lieb ge-worden, sie wird immer mein Fernweh sein; schreibt Henry Walter Bates 1860. Der amerikanische Traum vom Luxusresort für Sportfischer im Nir-gendwo am Schwarzen Fluss ist Asche geworden. Manchmal, viel zu selten, verschlingt Amazonien seine Eroberer. Drauzio Varella schreibt 2005: Hätte ich den Wunsch einer letzten Reise frei, würde ich an den Rio Negro zurückkehren; von Manaus flussaufwärts fahren bis São Gabriel und weiter in Richtung Vene-zuela. Ich könnte Tage lang die Welt und den Himmel im schwarzen

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Wasser gespiegelt sehen und in São Gabriel am Ufer vor den Strom-schnellen sitzen und auf die blauen Berge unter den weißen Wolken schauen. 90 Prozent der Bevölkerung von São Gabriel sind indianischer Her-kunft. 1980 war Papst Johannes Paul II in Manaus. Die Indios schick-ten ihm ein Päckchen und einen Brief: Wir geben Ihnen die Bibel zu-rück; in fünf Jahrhunderten hat sie uns weder Liebe, noch Frieden, noch Gerechtigkeit gebracht. Die Frau ohne Schatten; ihr dunkler Begleiter ist unter der Äquator-Sonne auf der Null-Linie verschwunden. Mark Twain schreibt: Es gibt keinen Breitengrad, der nicht glaubt, er wäre der Äquator, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wär. Aber der hier ist es tatsächlich, so wahr Laurie auf ihm steht. Die Militärs sagen: Wir beschützen Amazonien vor denen, die es uns wegnehmen und als Menschheitserbe internationalisieren wollen; ausländische Umweltschützer, Sektierer, Menschenrechtler und von ihnen aufwiegelte Indios. Amazonien gehört uns. Dass es auch um Uran, Niobium, Kassiterit und Gold geht, das hier in rauen Mengen unter der indianischen Erde liegt, muss nicht an die große Glocke gehängt werden. Der General fragt: Wer, wenn nicht wir, sollte besser in der Lage sein, dieses Stück Brasilien in den Griff zu kriegen? Ein Sprecher der Indios fragt: Was bedeutet die 'gehobene Stufe der kulturellen Anpassung', die sie von uns erwarten? Der Gouverneur sagt: Ich habe Darwin gelesen - 'Die natürliche Aus-lese'. Ich bin für die freie Ausbeutung der Bodenschätze. Der Stärke-re macht das Rennen. Tom Sawyer und Huck Finn, die Brüder vom Mississippi. Das Buch hat Laurie seit Jahren dabei und liest immer wieder mal darin; nur das mit dem Pfeifchen-Rauchen hat nicht geklappt, davon wird ihr schlecht. Koch-Grünberg schreibt 1905: Am Grenzposten Cucuí erhebt sich ein riesiger Fels, der wie ein natürlicher Grenzstein Brasilien von Ve-nezuela trennt, und von dem auch Alexander von Humboldt einiges zu erzählen weiß. Dona Anita ist 102 Jahre alt, die sie auf ihrem Land und im Wald am Fuß dieses Felsens gelebt hat als Kautschuksammlerin, Fischerin, Pflanzerin und Mutter von 11 Kindern. Von der Veranda ihres Hau-ses schaut sie auf den Fluss ihres Lebens, das an ihr vorbeizieht, die Vergangenheit gegenwärtig, Zeit im Fluss.

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SCHWARZER FLUSS

Essayfilm Österreich 2012 64 Minuten mit

Buch, Regie, Kamera Mitarbeit

Musik Schnitt

Dramaturgie Sprecher

Produktion Dank an

Lauriane Gomes Herbert Brödl Naia Arruda Carsten von Stanislawski Markus Frohnhöfer Reinhard Wulf Werner Wölbern Breisach Medienwerkstatt Wolfgang Lorenz

Mit Unterstützung von ORF ÖFI

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FLIEGER

Über Amazonien Es ist die Zeit der Niedrigwasser und Wolken wie Baumwollflocken treiben unter einem tiefblauen Himmel. Fliegen als Traum und Passion, Job und Schicksal. Das ist die Ge-schichte der Piloten Nilton und Fernando, Streuner der Lüfte. Sie le-ben und fliegen in Amazonien: die gewaltigste Flusslandschaft die-ses Planeten und sein größter Wald zwischen Schöpfungswunder und Abholzung. Amazonien aus der Vogelperspektive in großen Bildern, authentische Figuren und Schauspieler, die Stimmen der Piloten, ihre Gedanken zum Fliegen, Fakt und Erfindung. Ein Film, der Alltag und Traum in der Schwebe hält; eine Einladung zum Mitfliegen. 'Flieger' ist der sechste Film des Äquator-Zyklus und sein Abschluss nach 'Eclipse' 2002, 'Bad Boy' 2000, 'Früchtchen' 1998, 'Goldland' 1996 und 'Jaguar und Regen' 1994. Filme, deren Schauplätze in der Mitte der Welt liegen, Geschichten und Ansichten aus den Tropen.

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Fernando

Mich zieht's zum Wasser, mein Flugzeug muss im Wasser sein. Viel-leicht bin ich ja ein Sohn von Yemanjá, der Mutter der Flüsse. Je-mand hat mal geschrieben, dass das ganze Unglück der Menschen eine einzige Ursache hat: dass sie nicht in Ruhe in einem Zimmer bleiben können. Mag ja sein. Aber ich hab kein Sitzfleisch, keine Ruh und keine Ahnung, was morgen ist. Ich bin ein Nomade, und Fliegen ist das, was ich brauche. Der Him-mel ist blau, der Motor läuft rund, die Schäfchenwolken stellen sich in Reih und Glied auf und der Wind streichelt mich. Ich zieh am Steuer und los geht's. Fliegen heißt in den Himmel schauen, auf die Erde und den Horizontstrich dazwischen, der Hell und Dunkel trennt und dir Anhalt gibt. Der Traum des Ikarus... Alter Schlager, ein Hit aus den 80ern. Der mit seinen Wachs-Flügeln hoch und höher fliegt, bis ihm die Sonne die Flügel schmilzt und der Typ aus dem Himmel fällt. Dabei weiß jeder, dass es immer kälter wird, je höher man kommt. Mein Vorbild ist Mary Poppins: fliegen und zaubern können. Ich würde gern mal mit einem Vogel sprechen; aber da ist die Gren-ze, über die es keiner schafft. Dieser Sprung auf die andere Seite, das wär Glück. Wenn ich bei der Zauberfee einen Wunsch frei hätte, dann würde ich den nennen. Ich fliege im Nebel in der Dämmerung über den Rio Negro, ziehe die Maschine im Tiefflug in eine Kurve, der Flieger kippt und stürzt ins Wasser. Diesmal werde ich sterben, aber der Flieger sinkt nicht, sondern steuert Richtung Ufer, und ich will mit aller Anstrengung wach werden, wissen, ob ich lebe oder tot bin. Ich will fliegen, aber nicht beim Fliegen sterben, Jesus steh mir bei.

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Manchmal denk ich an die Nächte bei den Holzfällern im hintersten Wald. An den Nachthimmel. Die Welt um dich herum hört auf zu exis-tieren, und der Sternenhimmel da oben ist ein unfassbarer Anblick, der dich auf Reisen schickt. Eigentlich halte ich mich für einen Glückspilz; aber wenn es mich erwischt, dann ist es immer gleich ein super Multischlamassel. Und das hab ich mit Nilton durchgemacht. Die Entführung. Ich sollte mich verändern, das Abenteuer rufen. Agrar-Pilot wär ein Ding, das ist Gefahr, Haudrauf mit Spitzengehalt. Du ballerst Stunde um Stunde im Tiefflug Gift auf Soja bis zum Horizont und musst Mr. Cool sein, sonst überlebst du das nicht.

Nilton Ich bin bei den deutschen Padres zur Schule gegangen und in ihr Priesterseminar eingetreten. Am Tag der Republik trabten wir im Festzug mit. Über dem Aufmarsch hat ein Pilot seine Runden ge-dreht. Der dort oben und ich hier unten. Mir reicht's am Boden. Ich will in die Luft. Armut ist keine Schande, war der Spruch meiner Mutter. Sie hatte keine Zweifel, dass Piloten Esel sind, die sich für Hungerlohn garan-tiert das Genick brechen. Als ich den Schein hatte, bin im Tiefflug über die Stadt und unser Haus. Ma war stolz, obwohl sie das nicht laut sagen würde. Fliegen ist für mich Vergnügen um des Vergnügens willen, Glücksge-fühl in einem freien Raum, der nicht zu beherrschen und zu besitzen ist, in dem es keine Hingabe und keine Zurückweisung gibt. Du bist da oben, Stunde um Stunde, allein, im Wechselbad deiner Gefühle, zwischen heller Geborgenheit und rabenschwarzen Lö-chern; und dann siehst du, wie die Sonne über den Horizont kommt oder verschwindet. Absolute Ruhe gibt's nicht. Alles ist in Bewegung. Ich sitz im Flieger, scheinbar in Ruhe, aber der Flieger segelt über die Erde, und die Er-de zieht um die Sonne, und die Sonne wandert durch die Milchstra-ße, und die Milchstraße ist unter anderen Galaxien unterwegs. Es gibt keinen festen Bezugspunkt. Ich bin immer Taxi geflogen. Es gibt nichts, was ich in diesem Ge-schäft nicht transportiert hab, tot oder lebendig, und bis in den gott-verlassensten Winkel. Den Absturz hab ich überlebt, weil Gott wollte, dass ich meine Kinder großziehe, die Zwillinge waren noch im Bauch meiner Frau. Also hat Gott gesagt: Nein, der noch nicht. Die Kinder sind mein Gleichmut und mein Gleichgewicht; sie haben mich zu dem gemacht, der ich bin. Ihretwegen würde ich die Fliegerei

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in den Wind schießen und eine Imbissbude aufmachen, wenn das mehr Geld für ihre Ausbildung bringt. Das Flugbusiness hier ist zum Abwinken. Du wirst mies bezahlt, er-bärmlich behandelt, hast null Anerkennung. Aber wenn ich im Cock-pit sitze und die Turbine faucht, bin ich wieder der Junge im Priester-seminar, und der Rest ist vergessen. Ohne Fernando hätte ich die Entführung nicht überlebt. Er kommt von ganz unten, mit nichts als einem Löwenherz und eisernem Wil-len, sich durchzubeißen. Unsere Wege sind ähnlich. Wenn er nur nicht so verrückt wär. Was ich in meinem Leben versäumt hab? Bei Sonnenaufgang über das Haus meiner Liebsten fliegen und einen Armvoll Rosen auf ihre Terrasse werfen.

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FLIEGER Dokufiktion Österreich 2008 80 Minuten

Darsteller

Buch und Regie Kamera Schnitt Musik

Ton Flugkoordination

Regieassistenz Dramaturgie

Produktion Festivals

Nilton Bicudo Fernando Alves Pinto Juarez Gomes Valdivino Almeida Rosa Malagueta David Almeida João Reis Denis Mendes Laureane Gomes Ramon Queiroz Herbert Brödl Volker Tittel Katrin Köster Karwan Marouf Eckehard Braun Walter Lincoln Rune Tavares Reinhard Wulf Geyrhalter Film 2008 São Paulo Florenz Hof Sofia 2009 Graz Mexico City 2010 Warschau

Mit Unterstützung von ÖFI ORF WDR/Arte FFW

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ECLIPSE

Die Schriftstellerin Pia und der Maler Gil leben am Rio Negro. In der Nacht einer Mondfinsternis wird Pia ermordet. Ihr Tod stürzt Gil in eine Schattenwelt. Er verlässt die Stadt am Fluss und kehrt erst zwei Jahre später in das Haus der beiden zurück. Dort ist Pia gegenwärtig in seinen Erinnerungen und so sehr in sei-nem Herzen. Der Trost dieser Liebe und das Mädchen Elsa führen ihn aus dem Dunkel seiner Eklipse wieder ins Helle des Lebens. Und er wird Pias Mörder begegnen. 'Eclipse' ist eine Liebesgeschichte, verschattet von einem Verbrechen; poetisch und suggestiv erzählt.

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Aufzeichnungen von Pia

Milchstraße ist die Übersetzung des griechischen Wortes galaxias, das kommt von gala, die Milch. Und damit ist die himmlische Milch gemeint, die in der griechischen Mythologie von der Brust Heras floss, als sie das zappelnde Kind Herakles stillte. Worum es bei der Reise des Sternsuchers ging? Um die Sonne, das Licht und die Sterne, die wir als Lichtpunkte wahrnehmen. Der Mann, der nie Socken trug und sich vorstellte, auf einem Licht-strahl zu reiten: Einstein behauptete, dass die geradlinige Lichtbahn eines Sterns, der sich zur Zeit der Verfinsterung am Rand der Sonne befindet und wegen der Verfinsterung beobachtet werden kann, durch die Sonnenmasse abgelenkt und gekrümmt wird. Die Schwerkraft der Sonne würde das Licht des Sterns so krümmen, dass der Stern für einen Beobachter auf der Erde an einer anderen Position zu stehen scheint als normalerweise. Diese scheinbare Po-sition des Sterns weicht von seiner tatsächlichen Position ab, die sich zeigt, wenn die Sonne nicht in seiner Nähe steht. Am 29. Mai 1919 fotografierte der englische Astronom Arthur Edding-ton hier eine Sonnenfinsternis bewies damit Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Fünf Monate vorher hatte er dieselben Sterne am Nachthimmel zu einem Zeitpunkt fotografiert, als die Sonne nicht in ihrer Nähe stand und ihr Licht nicht ablenkte.

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Mit diesen Bezugsfotografien kann er die auf Príncipe aufgenomme-nen Platten vergleichen und die Abweichung zwischen der tatsächli-chen und scheinbaren Position der Sterne wie von Einstein voraus-gesagt messen. Ein großes Gedankenabenteuer war zu Ende ge-gangen. Der geschmolzene Himmel. Die reisende Nacht. Ein gigantischer Schatten huscht über das Land. Es ist, als ob das Leben aussetzt. Und die Welt ist wie ein Traum. Verfinsterungen sind Schattenspiele. Ein Körper leuchtet einen anderen an und dieser wirft seinen Schat-ten auf einen dritten. Hier schiebt sich der Mond vor die Sonne und verdeckt sie, und der Schattenkegel des Mondes berührt mit seiner Spitze die Erde. Zeit und Raum treffen sich immer wieder auf der Spitze eines Schattens. Und über uns die Gleichgültigkeit der Sterne. Es ist diese Gleichgül-tigkeit, angesichts derer wir die Liebe suchen. Nur damit du Bescheid weißt. Ich hab die Pflaumen gegessen, die im Eisschrank waren. Du wolltest sie sicher fürs Frühstück aufheben. Verzeih mir, sie waren herrlich, so süß und so kalt.

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ECLIPSE Spielfilm Deutschland 2002 80 Minuten

Darsteller

Buch und Regie Kamera Schnitt Musik

Ton Ausstattung

Produktionsleitung Regieassistenz

Dramaturgie Produktion

Festivals

Matheus Nachtergaele Betty Gofman Paulo Vespúcio Cida Moreira Romeu Evaristo Lauriane Gomes Rui Polanah Henrique Pires Caco Monteiro David Almeida Herbert Brödl Volker Tittel Katrin Köster Roman Bunka Manfred Banach Sérgio Silveira René Bittencourt Ana Cecília Reinhard Wulf Baumhaus Film Brödl 2002 Rio de Janeiro São Paulo Fort Lauderdale Hof 2003 Saarbrücken Köln

Mit Unterstützung von WDR BR ORF HR Filmförderung Hamburg

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BAD BOY

Rennen am Äquator In der brasilianischen Megacity São Paulo starten Athleten aus aller Welt zum traditionellen Silvesterlauf, während in einem Nest im Ur-wald Amazoniens der neunzehnjährige Jô mit der üppigen Silvester-kollekte aus der Kirche wie der Weltmeister rennt. Hinter ihm hechelt Dorfsheriff Rui, ein Fan des Silvesterlaufs von São Paulo, und kann sich nur mit viel Glück Jô greifen. Jetzt hat er zwar den Lauf im Fern-sehen verpasst, dafür aber ein Lauftalent in der Zelle und einen Traum. Ein Jahr lang trainiert er Jô, bis der topfit ist. Dann machen sie sich auf den langen Weg nach São Paulo, wo Kommissar Rui seinen Häftling Jô in den Silvesterlauf 1999 schickt, das Rennen ins Jahr 2000. 'Bad Boy' zeigt auch das Klima aus Gewalt, Korruption und Gesetzlosigkeit im immensen brasilianischen Hinterland, wo der She-riff wie der letzte Aufrechte erscheint in diesem mit Witz und Ironie lakonisch erzählten Film.

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Und ich tu's, ich tu's, ich tu's! Gott steh mir bei! Verdacht auf schweren Raub, Chef! Name: Jô Barros. Spitzname: Flitzer. Geburtsdatum unbekannt. Angehörige unbekannt. Wohnsitz unbekannt. Kann nicht schwimmen. Das war's dann. Mein Alter hat immer gesagt: Wer rennt, ist entwe-der ein Dieb, oder hinter einem Dieb her. Also: Von jetzt an rennst du für mich, und ich halt mein Händchen über dich. Jô Barros wird wegen wiederholten Diebstahls und schweren Rau-bes zu zwei Jahren Haft verurteilt. Zur Resozialisierung soll Kommis-sar Rui Ramos den Angeklagten im Langstreckenlauf trainieren. Viel-leicht hilft das ja was. Die Wolke, der Flitzer, unser Marathon-Mann. Ich pisse auf ihn, weil Sport ist Mord, Bruder. Hat nichts zu träumen, ist wie ein streunendes Hündchen, auf der Suche. Du musst ihm das Holz geben, das sein Feuer braucht. Sie meinen, lieber in São Paulo verlieren, als hier langsam vergam-meln. Genau. Fußsohlen aus Wind, damit der Affe fliegt! Niemandsland, Dschungel. Hier trainiert ein Kommissar einen Häft-ling für den Internationalen Silvesterlauf. Die Handschellen, Chico, Close up auf die Handschellen!

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Der Nichtschwimmer als Erster im Jahr 2000, Mann. Das macht uns an, Brother. Was fehlt, ist Money, Bro. Wir brauchen Kohle, weil São Paulo ist teuer wie die Sünde. Gib was, sonst läuft nix! Liebster, wenn du rauskommst, dann mach ich's mit dir. Verspro-chen. Küsschen auf deinen Süßen da unten. Bibi. In der Geschichte des gloriosen Silvesterlaufs waren die durchge-knalltesten Typen am Start. Aber ein Kommissar, der seinen Häftling, einen Strauchdieb, aus dem Urwald nach São Paulo bringt und in den Run ins Jahr 2000 schickt, das ist krass. Hysterische Schnepfe! Trotzdem, macht nichts. Wer heute nicht im Fernsehen ist, den gibt's gar nicht. Zu Befehl, Leutnant... Danke. Er hat mich nach Cobra versetzt. Die-ser Bürgermeister und Koksgrossist hat recht. Ich bin ein Verlierer. Ich lebe in einer Barbarei, in einer Fünf-Sterne-Scheiße. Wenigstens ist der Junge da. Ist ein Witz, dass ich Polizist bin. Wollte nie einer werden. Mein Alter wollte es. Bin einer dieser aussterbenden Knilche, die noch auf ihren Vater gehört haben. Am liebsten wär ich Gärtner. Grün war schon immer meine Lieblingsfarbe. Chef, dein Alter hat also gesagt: Wer rennt, ist entweder ein Dieb, oder hinter einem Dieb her. Stimmt nicht. Ich renne, weil ich nicht frei bin. Weil du es willst. Für deine Fantasie lauf ich hier rum. Näher ran an deinen Vater. Und lächeln! He, der ist nicht mein Vater! Cheese! Rita mochte diese Geschichte von der 300 Jahre alten Schildkröte, auf die während eines Gewitters ein riesiger Baum stürzt und die Jahrzehnte wartet, bis der Stamm vermodert ist, um unter ihm her-vorkriechen zu können. Vater: nein, Chef, ich bin nicht dein Sohn. Bin nur der Nicht-schwimmer, der für dich fliegen soll. Und ich hab Geduld. Wie die Schildkröte. 31. Dezember 1999, was für ein Mega-Datum! Start zum Internatio-nalen Silvesterlauf von São Paulo. Das große Fest beginnt. 13000 glückliche Menschen laufen in einem farbenprächtigen Meer dem Jahr 2000 entgegen... Ciao, Kommissar. Und nix für ungut, Chef. Sie sind in Ordnung. Alles Beste und viel Glück in der Liebe! Ihr Nichtschwimmer J.

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BAD BOY Spielfilm Deutschland 2000 82 Minuten

Darsteller

Buch und Regie Kamera Schnitt

Ton Ausstattung

Produktionsleitung Regieassistenz

Redaktion Produktion

Manoel Compton Francisco Ozié Jr. Roni Souza Pedro Garcia Divina Clemente Dori Carvalho Acácia Pantoja Ernane Miranda Mariana Otero Ana Cecília Herbert Brödl Volker Tittel Katrin Köster Fernanda Ramos Buy Chaves Ivo Rodrigues Ana Cecília Reinhard Wulf Baumhaus Film Brödl

Mit Unterstützung von WDR BR ORF HR

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FRÜCHTCHEN

Am Äquator ist alles möglich Auf der Tropeninsel São Tomé, Stecknadelkopf im Atlantik vor der Westküste Afrikas und genau auf der Äquatorlinie, dem hintersten Zimmer der Welt und ehemals portugiesischen Kolonie, liegt eine alte Frau im Sterben und ruft nach ihrem Sohn. Ihr Ruf wird gegen-ständlich: Eine Brotfrucht von Gigantenmaß stürzt vor die Hütte des Sohnes. Ma ruft mich! Früchtchen nennt er das Mordstrumm, den pflanzlichen Meteoriten, und macht sich mit ihm auf den Weg. Die Nachricht von der Erscheinung verbreitet sich wie Donnerhall; verblüfft, verstört und amüsiert, reizt die Fantasie, weckt allerlei Be-gehrlichkeiten und dunkles Trachten. Derweil ist der Früchtchenzug unterwegs über die Insel bis in die Hauptstadt zu Ma; durch vielerlei Gefahr und Anfechtung, Finten und Gegenzauber: Eine turbulente Reise. 'Früchtchen' ist eine Burleske, ein afrikanisches Märchen und Road Movie, die Beschreibung einer wundersamen Inselwelt, deren Be-wohner die Darsteller im Lied der Ma sind.

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Ich spreche von Ma, der Mutter von Senhor But; das ist ihr Lied, das Lied der Ma, der Mutter von But. Sie kann den Donner lesen, und sie spricht mit ihm, und er spricht zu ihr wie ein König. He, But, mein Sohn, da unten, am Meeresrand und grad auf diesem unsichtbaren Strich, der die Mitte der Welt ist: Äquator, ausgedachte Linie, Vorstellung, was für ein Ort! But, hör mir zu! Die Welt ist Sand, und das Leben ist Sand, und ich will nicht mehr; ich bereite mich aufs Fliegen vor. But, mein Sohn, komm her, der Donner wird dich rufen, ich rufe dich, mein Würmchen! Mein Traum ist runtergefallen. Ma hat‘s mit dem Donner geschickt. Wir müssen zu ihr.

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Auf der Äquatorinsel mit dem Namen eines Heiligen, wo die Tropen blühen im Duft von Zimt und dem Murmeln des Meeres, ist ein Träumer geboren. Da hat Gott sich vertan. Haben die Amis geschickt, bei denen ist alles groß. Das kommt von der Genmanipulation. Lügenkram. Am Äquator lügen alle. Der Himmel hat uns erhört. Reproduzieren! Auf den Weltmarkt damit! Da sind Söldner drin versteckt. Teufelszeug und Hirnwut! Das ist das Ende der Krise. Hier ist alles möglich. Scheiße! Habt ihr noch nie eine Brotfrucht gesehen? Das ist eine. Spricht nicht und vögelt nicht. Hat nur nicht aufgehört zu wachsen. Ist unschuldig. Ist nur Gemüse. Ist von meiner Ma. Und alle Kinder singen: Bom dia, frutinha, bom dia! Stern und Mond und Sonne, unser Früchtchenglück! But, deine Ma, mein But, nie war sie ohne ihr schwarzes Pfeifchen, und sie lachte für ihr Leben gern über alles und alle und natürlich über sich selbst; Glücksgelächter aus bangem Herzen. But, mein Freund, deine Ma ist nicht mehr, hat sich verdrückt, ist rüber. Die Welt war ihr zu schwer, aber jetzt kann sie fliegen, federleicht, deine Ma, mein But. Da bin ich, Ma. Sag mal, hat‘s dort wirklich mehr Pfiff als hier, wie alle behaupten? Ist auch egal, erst mal muss ich dir alles erzählen...

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FRÜCHTCHEN Spielfilm Deutschland 1998 78 Minuten

Darsteller

Buch und Regie Kamera Schnitt

Ton Produktionsleitung

Beratung Redaktion

Produktion Festivals

João Quaresma José Noronha Jacinto Afonso Simão de Sousa Pascoa Soares Maria Neto Atalmira Agostinho Patriky Herbert Brödl Volker Tittel Katrin Köster Dieter Meyer Ivo Rodrigues Frederico dos Anjos Reinhard Wulf Baumhaus Film Brödl 1998 Hof Lübeck 1999 Rotterdam São Paulo Sal

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GOLDLAND

Abenteuer mit brasilianischen Goldsuchern El Dorado, der Mythos und das Trugbild vom Goldenen Mann, lockt bis heute Desperados und Hungerleider in die Urwälder Amazoniens, wo sie in elender Schufterei nach dem gelben Schatz suchen, ge-winnen und verlieren. In der Härte dieser Verhältnisse werden ein Indio, der Campari heißt, und India, die beim Zirkus war, Freunde und schlagen sich in Freud und Leid vereint durch von den Goldlöchern im tiefen Urwald bis in die Megalopolis São Paulo, dem anderen Dschungel. Das ist auch der Weg des Goldes: Es wird aus den Tiefen der Erde am Amazonas gekratzt, um am Ende in den unterirdischen Tresoren der Metropolen wieder zu verschwinden; von einem Verborgensein ins andere. 'Goldland' verwebt Authentizität und Erzählung im Bän-kelsang von India und Campari.

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Wir werden euch eine Geschichte erzählen, eine Geschichte von unserem brasilianischen Volk, das nach Amazonien zieht, auf der Suche nach goldenen Schätzen. Wir werden euch eine Geschichte erzählen von den Garimpeiros, den Goldsuchern, die ihre Liebsten verlassen für die Garimpos, die Goldlöcher, im tiefsten, finsteren Urwald. Hast du auch einen Namen, Indio? Campari, wenn du willst. Campari! Und deiner? India. Ist mein Zirkusname. Und wo ist der Zirkus? Der hat mich verlassen. Warum? Weil Gott in krummen Linien schreibt, Campari. Seht, was für ein Mordsloch der in seiner Hütte gräbt, und gülden glitzert's bald in der roten Flasche vom Indio Campari. Im Eigenbau-Garimpo hat die Morgenstund eben Gold im Mund.

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Nix wie raus aus dem Garimpo, Schluss mit diesem Höllenloch. Zirkus-India, die Starke, und Indio, der Campari-Mann, empfehlen sich und ziehen weiter mit der Flasche, wo im Rot mit Glöckchenklang es golden schimmert. Die Schönste bin ich im ganzen Land, die Allerschönste. Und du bist mein Liebster, nur du. Nur für dich lass ich mein Höschen runter, nur für dich. Den Indio hat's bös erwischt, es ist schlicht zum Heulen. Gezogen sind ihm die schönen Zähne und futsch sein übrig Gold. Ja, so geht die Welt, grad der nackte Arsch ist ihm geblieben. Hast du nicht gesagt, dass Gott in krummen Linien schreibt? Stimmt, aber das hier hat er noch dazu mit seiner ganz und gar hässlichsten Kralle geschrieben. Kommst du mit nach São Paulo? Heiliger Paul, Campari. Kein Scheißgarimpo, kein Scheißwald und kein Scheißgold. Und der Gott dort schreibt in Schönschrift.

Bye Bye, Amazonien, ich wein dir keine Träne nach und werde trotzdem dich vermissen. Deinem Campari ist wohl bang ums Herz, so fern vom heimatlichen Wald der Wälder. Aber ein Indio kennt keinen Schmerz, und gleich sollen ihm die Augen übergehen im Wunderglanz der großen Stadt São Paulo. Von Amazonien bis hierher, das war ein langer Weg durch Abenteuer und Gefahr. Nun wollen sie euch was zeigen auf diesem Pflaster. Campari ruft: Passt auf! Glanz für die Augen und Honig fürs Gemüt! Hier kommt India, die Goldene Frau, die Feuer speit: Die Königin des Mondscheins!

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GOLDLAND Dokufiktion Deutschland 1996 79 Minuten

Darsteller

Buch und Regie Kamera Schnitt

Ton Produktionsleitung

Redaktion Produktion

Festivals

Divina Clemente Pedro Garcia Rocilda Silva José Alves Marcos Jeremias Tácito Rocha João Costa Ademir Garcia Alexandre dos Santos Herbert Brödl Volker Tittel Margot Neubert Bernd Upnmoor Ivo Rodrigues Reinhard Wulf Baumhaus Film Brödl 1996 Hamburg Lübeck

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ARNULF RAINER - STERNSUCHER Seine Bilder sind immer persönlich, aus der Seele gerückte Stücke. Eine Malerei, die nach innen gerichtet ist, nach innen zieht. Die sich von außen abgrenzt und nach innen immer freier wird. Diese Bilder haben eine malerische Qualität, die klassisch ist und klassisch bleibt. Seine Nervosität und seelische Verfassung, die Beweglichkeit, die Emotionen, all das kommt in einen großen Topf, und das ist Arnulf Rainer, Maler. Rudi Fuchs Das Wertvollste an den Bildern ist da, wo es ein Rätsel gibt; wo es so komplex wird, dass man es als Rätsel erlebt, aber nicht lösen kann. Der Bildner kann das in die Realität holen, die Realität des Visuellen. Das sagt Arnulf Rainer über seine Kunst in 'Sternsucher', dem essay-istischen Porträt dieses Malers von Weltrang.

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Ich hab gesagt: Ich will Künstler werden. 1944 war das, es war ein harter Kampf. Ein Hang zum Autismus, zum Selbstgespräch. Das hat mich vor vielem gerettet. Ich wollte immer gern allein bleiben. Ich füh-le mich eigentlich nur allein wohl. Deswegen bin ich auch Künstler geworden. Alles entsteht aus einer Leere, Leere, Leere. Der Bildner weiß es nicht, die große Übersicht hat er nicht. Kann er nicht haben, weil er zu sehr mit dem Bilden beschäftigt ist. Ich wollte einen Purismus, eine Armut der Farbe und der Mittel. Es war schon begründet, dass das nur schwarz sein kann. Frühe Impul-se gab es 1951 durch Philosophie und Religionsphilosophie, Johan-nes vom Kreuz zum Beispiel. Mystiker, die sich in einer Welt der abs-trakten, reduzierten und negativen Bilder bewegt haben. Die Askese der künstlerischen Mittel hab ich sehr weit getrieben. Dunkel, dunkel, versinken in Dunkelheit. Die dunklen, die schwarzen Bilder, die halten sich am besten. Die kann man wahrscheinlich nicht mehr verbessern. Die sind formal am weitesten, vollkommensten. Nicht bis zum äußersten Ende, sondern bis zum äußersten mir mög-lichen Ende.

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Ich bin immer konzentriert auf das Bild, das vor mir steht. Und dieses Bild spricht zu mir, sagt aber nicht irgend etwas über das Wetter oder über die Zukunft, sondern welche Farbe es verlangt und wo und wie. Das ist alles. Die große Bedeutung, die die Malerei einmal hatte, wird sie nie mehr erlangen; allgemeine Bedeutung, kulturelle Bedeutung. Mir macht es überhaupt nichts aus, der letzte Maler zu sein. Das wär eine interes-sante Stellung. Es hat mich gedrängt, mit Gesichtern zu arbeiten, die das Leben hin-ter sich haben, die friedlich und ruhig sind, einen ganz anderen Aus-druck haben. Das gibt es nur bei Toten. Die sind fast schon im Him-mel, oft seligen Angesichts. Ja, das ist eine Art Blick, obwohl die Au-gen geschlossen sind. Man hat den Eindruck, sie sehen den Himmel. Im Anblick des Himmels. Ein Bild soll man nur kurz und konzentriert anschauen und dann gleich das nächste. Aber man sollte das öfter mit denselben Bildern machen. Wenn man in ein Bild länger hineinschaut, sieht man weni-ger. Man muss immer wechseln. Es gibt wahrscheinlich gar nicht ein Bild allein, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Bildern. Ich kann nicht anders leben als mit den Bildern. Ich fühl mich nirgends zu Hause, außer in den Bildern. Schwere Zeiten kommen auf mich zu. Hoffentlich, hoffentlich, hof-fentlich. Ich geb mich nicht auf. Die Ader ist geplatzt. Der Gehirn-schlag ist rechts, da ist man links halb gelähmt. Hallo, Barbe? Hier ist Rainer. Nein, ich bin nicht in New York und komme auch nicht nach New York. Ich liege hier in einem Spital, ich hab einen Gehirnschlag erlitten. Ich bitte dich, dass du für mich die Sterne kaufst. Metallsterne, die so zwischen drei und sechs Zentime-ter Durchmesser haben. Aber keine Sheriffsterne! Die Dunkelheit gibt dem Raum das Geheimnis. Da ist ein fast uner-klärliches Licht. Dieses unerklärliche Licht ist das überirdische Licht. Anders kann man ja gar nicht malen. Es sei denn, bezogen auf et-was, an das man glaubt. Sonst hat man doch gar nicht die Kraft da-für. In alten Büchern wurde der Himmel wie eine Taschenuhr darge-stellt. Oder ist die Taschenuhr von der damaligen Himmelsvorstel-lung abgeleitet? Das ist ja der Traum als solcher: Alles in allem in einem Bild darzustellen, auf einer Fläche, einer viereckigen Fläche.

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ARNULF RAINER - STERNSUCHER Dokumentarfilm Österreich 1994 40 Minuten

mit

Buch und Regie Kamera Schnitt

Ton Redaktion

Produktion

Arnulf Rainer Maria Lassnig Rudi Fuchs Maurus Behrens Friedhelm Mennekes Reinhard Rainer Günter Brus Herbert Brödl Matthias Kälin Maike Samuels Herbert Brödl Andreas Mücke Wolfgang Lorenz Baumhaus Film Brödl

Mit Unterstützung von ORF

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JAGUAR UND REGEN Amazonien, Sommer 1903: Der deutsche Ethnologe Theodor Koch-Grünberg fährt von Manaus auf dem Rio Negro - dem größten Zu-strom des Amazonas - bis an seinen Oberlauf am Äquator, in ein Indianerland so groß wie Deutschland, eine Welt aus Wasser und Wald, Hundekopf genannt. Drei Jahre lebt er dort unter den Eingebo-renen, zeichnet leidenschaftlich ihren Alltag, ihre Mythen und Legen-den auf und fotografiert. 1993 kehren auf dem selben Weg fünf Indios aus Manaus in ihre Dörfer zurück, unterwegs mit Schiff, Boot und schließlich im Ein-baum; Tage unter Regengüssen und der Äquatorsonne und Nächte unter dem Kreuz des Südens. 'Jaguar und Regen' führt auf eine Rei-se ins Innerste Amazoniens im Blickwechsel zwischen Vergangen-heit und Gegenwart.

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Vor dem Beginn der Zeit war keine Welt und kein Wort, nur Leere, keine Ideen und keine Traurigkeit, nur Stille. Dann gab es ein Ge-räusch und in dem Geräusch war ein weibliches Wesen in Form ei-nes Tons, dessen Echo im leeren Raum klang. Eine Ewigkeit später ein Knall, violett, rosenförmig mit Rauch wie ein Blitz und wieder der musikalische Ton, das weibliche Wesen. Sie wird sichtbar, wie sie die Welt aus den Halluzinogenen Coca und Kaapi, den Farben Urucu und Jenipapo, Tabak, Milch und Tönen macht. Eine kleine feste Welt noch ohne Licht, entsprungen aus ihrer linken Brust. So hat es be-gonnen. Im Traum verlässt die Seele den Körper und geht spazieren. Steht eine Zeitlang am Kopf des Schlafenden, schlendert zu seinen Füßen, verharrt dort eine Weile, kehrt zum Kopf zurück und schlüpft schließ-lich durch den Mund in seinen Körper, und der Mensch erwacht. Jaguar und Regen trafen sich. Der Regen fragte den Jaguar: 'Was machst du da?' Der Jaguar sagte: 'Ich mache den Leuten, die im Freien sind, Angst.' 'Keiner fürchtet sich vor dir', antwortete der Re-gen, 'morgen werden sie dich schießen und dein Fell abziehen, weil es ihnen für eine Jagdtasche gerade recht kommt.' Der Regen war bereit und Wolken machten dunkel. Dichter Regen fiel. Er schüttete sich aus und schreckte die Leute, die im Freien waren. Sie liefen nach Hause. Der Regen fiel stark. Er machte den Jaguar kalt. Brrr, der Jaguar ging weg.

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Den Schlaf hatte in der Urzeit nur die Eidechse. Ein Schamane stahl ihr nach mehreren Versuchen - denn wenn man sich ihr näherte, schlief man ein - drei Eier, durch deren Genuss auch die Menschen den Schlaf erhielten. Für die Indios ist alles in der Natur beseelt, und der Unterschied zwi-schen Tier und Mensch schwindet. Der Tapir belehrt seine Gattin, die vor einer Giftschlange davonläuft: 'Das ist keine Schlange, das ist mein Ofen!' Für den Tapir ist der Hund eine Schlange. Der Alligator nennt die Menschen, die er frisst, seine Tapire. Die Blitze geben den Gürteltieren Regenwürmer zu essen und bezeichnen sie als ihre Hir-sche. Der Regenbogen ist ein Mann und wenn er sich bekleidet, ist er eine Wasserschlange. Wenn die Königsgeier, die im Himmel woh-nen, dort ankommen, ziehen sie ihre Federkleider aus und sind dann Leute. Die Wildschweine frühstücken Mangos. Die Fische trinken Kaschiri und schleppen dann Häuser weg und werfen sie in einen Wasserfall. Die Schildkröte tötet den Tapir mit einem Messer, das ihr der Jaguar gibt. Das Fischgift ist aus dem Leichnam eines Knaben, dessen Mutter ein Tapir war. Der Tapir, dieses große Tier, hat ein Piepsstimmchen wie eine Flöte, weil ihm der Brüllaffe die Stimme gestohlen hat. Konewo hielt eine Tucumá-Nuss zwischen den Beinen, als ihm der Jaguar begegnete und fragte: 'Was machst du da, Schwager?' Kone-wo antwortete: 'Ich mache nichts. Ich zerschlage meine Hoden und esse sie.' 'Schmeckt das, Schwager?', wollte der Jaguar wissen. 'Sehr gut', sagte Konewo. Er zerschlug die Nuss zwischen seinen Beinen und gab sie dem Jaguar. 'Koste, Schwager!' Der Jaguar nahm einen Bissen. 'Mmhh', sagte er. Darauf Konewo: 'Siehst du! Zerschlage sofort deine Hoden und iss sie.' Der Jaguar nahm einen Stein. Er zog seine Hoden nach vorn. Er schlug darauf und fiel um. Der Jaguar starb. Der Jaguar zerschlug seine Hoden und starb. Und damit ist die Geschichte zu Ende. Ihr Schicksal, das Zusammentreffen mit den Weißen seit 150 Jahren, mit Händlern, Missionaren, Schatzsuchern und Politikern, hat sie zu Bettlern gemacht, ohne Platz zwischen den Begierden, Interessen und der Macht der anderen. Sie leben noch nicht einmal am Rande einer Gesellschaft; ausgeschlossen und vergessen sind sie und ver-loren. Mit viel Gelächter und Gerufe blättern sie durch das Buch von Koch-Grünberg. Die Bilder, die sie betrachten, sind noch in ihrem Gedächtnis und fern ihrer Gegenwart. Sie werden das bestaunte Buch weglegen und sich wieder dem zuwenden, was für sie wirklich ist.

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JAGUAR UND REGEN Dokumentarfilm Deutschland 1994 72 Minuten

mit

Buch und Regie Kamera Schnitt

Ton Produktionsleitung

Produktion Festivals

Marlene Mendes Pedro Garcia Francisco Fontes Sabino Dias Firmino Gonçalves Humberto Gonçalves Dalva Leão Edoardo Lagorio Geraldo Pinheiro Herbert Brödl Volker Tittel Margot Neubert Andreas Mücke Ivo Rodrigues Baumhaus Film Brödl 1994 Lübeck Wels 1995 Hessi-scher Filmpreis Freiburg

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DJADJE Last night I fell off a horse

Die Südafrikanerin Djadje will nach zwölf Jahren Exil in Europa und dem Ende der Apartheid zum Begräbnis ihres Vaters nach Kapstadt zurückkehren. In Simbabwe unterbricht sie die Reise. Die Nähe der Heimat und die eigene Geschichte verbinden sich mit den vertrauten Gerüchen Afrikas, die sie in ihren Bann ziehen und aus dem Gleich-gewicht bringen. Es ergeht ihr wie Lucy, der afrikanischen Verwandten, die vor fast vier Millionen Jahren auf einer Wanderung innehielt und daraufhin ihren Weg in eine andere Richtung fortsetzte. 'Djadje' ist eine Kon-templation über die Heimkehr einer Exilantin, ihren Zwiespalt und Zweifel.

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Die Wanderin bleibt stehen, einer Eingebung oder Ahnung wegen, wendet sich nach Norden und setzt ihren Weg dann in diese Rich-tung fort. Diese Bewegung, so ausgesprochen menschlich, übertrifft alle Zeit. Vor fast vier Millionen Jahren hatte eine entfernte Verwand-te hier für einen Augenblick einen Zweifel. Das sagt Mary Leaky über einen versteinerten Fußabdruck, den sie 1978 in Afrika entdeckte. Die gewölbte Fußsohle und die Größe der Zehen entsprechen dem Fuß eines Menschen; schreibt Mary Leaky über einen fossilen Fuß-abdruck, den sie 1978 in Afrika entdeckte.

Ich bin zurück, und das ist schön. Als ich das letzte Mal hier war, war ich sehr unruhig. Ich hatte Angst, dass sie mich in Südafrika verhaf-ten würden. Es ist dumm, aber jetzt kommt diese Furcht wieder wie ein Schatten von vor zwölf Jahren. Nein, ich verliere mich. Ich will meinen Bruder anrufen. Überall sind Gerüche, Tausende, Millionen Gerüche, viele nehmen wir gar nicht wahr. Es gibt auch subversive Gerüche. Sie verbergen sich unter anderen Gerüchen, verbinden sich mit ihnen, heften sich unbemerkt an unsere Gedanken und Erinnerungen. Hast du nicht schon die Erfahrung gemacht, dass du etwas riechst, und plötzlich ist ein Gedanke oder eine Erinnerung da? Das funktioniert auch anders-rum. Die Geschichte unseres Lebens ist wie die unserer persönli-chen Gerüche. Er sagt: Willst du immer noch Geschichten hören? Frag mich nichts. Das Herz eines alten Mannes ist ein Misthaufen. Was denkst du, wa-

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rum ich diese Steine bearbeite? Weil ich die Tiere und Pflanzen be-neide und die Steine auch. Als der Mensch auf die Welt kam, waren die Tiere schon lange hier. Wir machen sie nach. Wir wollen auf-recht, stolz und schön wie Flamingos gehen, aber wir kriegen es nie ganz hin. Deshalb arbeiten wir. Tiere müssen nichts erschaffen, sie sind in sich perfekt. Wir brauchen Kunst, weil es uns an Instinkt mangelt. Wenn ich hier rumkratze, bin ich eins mit den Stimmen in meinem Kopf und denen um mich herum. Ich denke, ich könnte wirklich hierher gehören. Hier sind meine Freunde, die einzigen. Vorrei spiegarvi, oh Dio! Oh Gott, ich möchte Dir etwas erklären, etwas, das sehr wichtig ist, und das Du nicht weißt. Mein Bruder John hat es für mich getan, weil er mich gern hat. Ich hätte ihn nicht um Hilfe bitten dürfen. Politische Arbeit ist ein Ge-schäft, nichts anderes. Und darin darfst du nicht jemanden verwi-ckeln, der dich liebt. Wollen sie, dass ich komme? Ich muss das selbst entscheiden. Aber ich kann es nicht entscheiden, nicht so schnell. Father, I want to tell you something. Father! Last night I fell off a hor-se. That's all. Noch nie hab ich mich dem Augenblick so nah und gleichzeitig so fern gefühlt. Meine Füße haben mich aus dem Zug getragen, nur die Füße. Ich gehe zurück. Ich gehe durch meinen Kopf.

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DJADJE Spielfilm Deutschland 1991 77 Minuten

Darsteller

Regie Buch

Kamera Schnitt

Ton Ausstattung

Produktionsleitung Regieassistenz

Produktion Festivals

Bella Enahoro Ian Roberts Sello Maake Aletta Bezuidenhout Wilma Stockenström Allen Mhlanga Sophie Mgcina Ramolao Makhene Herbert Brödl Jobst Grapow Axel Block Margot Neubert Esko Metsola David Guwaza Tiyane Chitepo Cliff Bestall Baumhaus Film Brödl 1992 Cape Town Hof Leeu-warden 1993 Wels

Mit Unterstützung von HR BR Hamburger Filmbüro

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TRANCE-ATLANTIK Eine afrobrasilianische Reise

Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert wurden Millionen Afrikaner nach Brasilien in die Sklaverei verkauft. Ihre Gottheiten nahmen sie mit über den atlantischen Ozean: Die Orishás lenken die vier Elemente und die Kräfte, die das Leben bewegen. Im Zustand der Trance ver-körpern sie sich in den Menschen. Jeder hat seinen Orishá und kann ihm begegnen und zu einem tieferen Erkennen seiner selbst gelan-gen. Die schwarzen Brasilianerinnen Geralda, Tanja und Roseli, initiiert im Candomblé, dem Kult der Orishás, reisen von Brasilien nach Benin zu einer Begegnung mit ihren fernen Verwandten und der gemein-samen Trance-Spiritualität: back to the roots. 'Trance-Atlantik' spannt einen Bogen zwischen den beiden Kontinenten und verbindet die Enden der Nabelschnur im Reigen der Orishás und zum Klang ihrer Trommeln.

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Geralda In Trance trage ich meinen Orishá wie ein Pferd seinen Reiter, und ich weiß, wann ich Yemanjá trage und wann Ogun. Ogun lenkt mei-nen Körper, Yemanjá meinen Kopf. Mein rechter Arm ist der eines Mannes, mein linker der einer Frau. Ich fühle beide Kräfte. Wenn ich kämpfen muss, ist Ogun an meiner Seite. Mit bloßen Händen wehre ich mich gegen Messer. Ogun ist Krieger. Er bringt das Eisen zum Klingen und öffnet die Wege für den Frieden der Lebenden mit ihrer Welt. Yemanjá ist eine Schwarze, voller Zärtlichkeit. Sie lässt mich nie allein. Ich fühle ihren Schatten, ihren Schutz. Wenn ich verzwei-felt bin, beruhigt sie mich und lenkt meinen Kopf, aber noch nie hat sie mich zu etwas gezwungen. Trance ist ein schöner Zustand. Wenn es beginnt, fühle ich, wie ich mich auflöse und das hat mich nie beunruhigt. Nur das Erwachen ist schlimm. Eine große Niedergeschlagenheit überkommt mich. Wenn ich den Boden mit den Füßen berühren will, finde ich ihn nicht. Ich habe Durst und sehne mich nach meinem Sohn. Und manchmal bin ich auch ein wenig beschämt, weil ich nicht weiß, was ich gemacht habe. Jetzt hat meine Mutter Zefinha die Kaurimuscheln geworfen, um die Orishás über meine Reise zu befragen. Ich wollte wissen, wer von den beiden mich nach Afrika bringt. Yemanjá wird hierbleiben, Ogun mich begleiten. Afrika kenne ich nur von Fotos und aus dem Fernse-hen. Es ist nicht mehr als eine Ahnung.

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Tanja Die Lieder erzählen das Leben der Orishás. Sie handeln vom Was-ser, von der Erde, vom Feuer und von der Luft. Mein Orishá Oxalá ordnet meine Gedanken und ihren Fluss, ohne ihn ist mein Leben ziellos. Sein Wesen entspricht meinem Wesen, und als man mich einweihte, haben wir sie vereint. Wie Oxalá aussieht, weiß ich nicht. Seine Musik bereitet mir Freude; sie gibt mir die Sicherheit, nicht al-lein zu sein. In Trance zu fallen ist ganz einfach. Plötzlich bin ich anwesend und abwesend zur gleichen Zeit. Ich höre und sehe immer weniger. Alles entfernt sich. Ich vergesse mein eigenes Leben und werde jemand anders. Ich bin nicht mehr Tanja, ich bin Oxalá. Er ist hitzig und lei-denschaftlich, genau wie ich. Manchmal genügt schon eine Kleinig-keit, und ich fahre aus der Haut. Wir sind in Pobé, nahe der Grenze zu Nigeria, und all diese Men-schen begleiten uns zum Palast des Königs. Von Brasilien wissen sie nichts. Sie sagen, für sie sind wir drei Frauen, die in den Krieg gezogen sind und nach langer Zeit wieder nach Hause zurückkehren. Ich wünschte, meine Mutter könnte hier sein, denn ihr ganzes Leben hat sie sich nach dem gesehnt, was ich jetzt erlebe.

Roseli Orishás sind gestaltlos und überall. Sie können sich aber in den Menschen verkörpern, und der Besessene fällt in Trance. Es heißt: dein Orishá bist du selbst, und wenn du ihn entdeckst, entdeckst du dich. In Trance zu fallen ist ein Austreiben der Wirklichkeit, wobei ich die Kontrolle über meinen Körper verlieren muss, um ein größeres Bewusstsein zu erlangen, das so überwältigend ist, dass ich es nicht aushalten könnte, wenn ich bei normalem Verstand wäre. Mein Orishá Yansã ist stürmisch und kämpferisch. Sie stellt die Ver-bindung der Welt mit den Toten her, ist eine leidenschaftliche Streite-rin und unterwirft sich nie, denn sie hat die Armee der Toten hinter sich. Ich bin noch auf der Suche, wer sie in mir ist. Die Riten hier sind spielerisch und trotzdem ernst. Die Orishás sin-gen, lachen und unterhalten sich. Bei uns sind sie stumm. Aber egal was sie machen, das Wesen meines Ogun ist dasselbe. Was in Afri-ka offen und gelassen geschieht, ist in Brasilien versteckt und blutig; das hat mit dem Leidensweg unserer Vorfahren und der Verfolgung ihres Kults zu tun. Ich wünschte, ich könnte Yoruba verstehen, um dem, was passiert, näher zu sein; es ist auch die Sprache unserer Orishá-Lieder in Brasilien, aber wir haben die Bedeutung der Worte verloren.

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TRANCE-ATLANTIK Dokumentarfilm Deutschland 1990 65 Minuten

mit

Buch und Regie Kamera Schnitt Musik

Ton Regieassistenz

Produktion Festivals

Geralda do Carmo Silva Tania de Souza Roseli de Oliveira Ya Fesso Kabiesi de Pobé Kabiesi de Ketu Herbert Brödl Joaquim Pinto Margot Neubert Toki Adeyefa Maureen Herzfeld Roger Nahum Baumhaus Film Brödl 1990 Wels 1991 São Paulo Freiburg

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INSELN DER ILLUSION Briefe aus der Südsee

Seines Lebens im viktorianischen England überdrüssig reist der Leh-rer Robert James Fletcher 1912 auf der Suche nach Schönheit in die Südsee. Bis 1920 schreibt er von den Neuen Hebriden, die seit ihrer Unabhängigkeit 1980 Vanuatu heißen, an einen Freund in Oxford, der später diese Briefe veröffentlicht; sie sind innig, schonungslos, poetisch, spöttisch, ethnografisch und Literatur von Rang. Ihr Autor galt nach 1921 als verschollen. In 'Inseln der Illusion' landet der Schauspieler Ulrich Wildgruber, der eine Auszeit am Theater genommen hat, 75 Jahre später auf Vanu-atu. Die Briefe aus der Südsee haben ihn in ihren Bann geschlagen und sind ihm Wegweiser auf den Inseln. Über ihre Lektüre, seine Er-lebnisse und Begegnungen kommt er in 'Inseln der Illusion' Fletcher und seiner Welt nahe und macht eine erstaunliche Entdeckung über das Schicksal des Schreibers der Briefe.

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We've arrived Mr. Wildgruber. Südpazifik, September 1912. Weißt du noch, welche Vorstellungen wir von der Südsee hatten? Wir sahen uns in einem ungeheuren Ha-rem, jeder mit einer Schreibmaschine. Und wir wünschten uns, ein sattes Leben und ein tiefes Denken miteinander zu verbinden. Wenn du eine gerade Linie ziehst von Neuseeland bis Honolulu zwi-schen den Fidschi- und Tonga-Inseln hindurch, findest du östlich von ihr die Südseeinseln à la Robert Louis Stevenson mit schönen Men-schen von malaiischer Abstammung, und westlich davon leben die Wilden der Papua-Rasse, die Kanaken von Melanesien. Dorthin möchte ich. Ich bin sehr enttäuscht. So vieles habe ich erwartet. Ich kann dir nicht genau erklären, was ich in der Südsee alles zu finden hoffte, Du weißt, wie unbestimmt solche Empfindungen sind, aber wenn ich die Inseln endgültig verlassen habe, werde ich sie sicher im richtigen Licht sehen. Sie werden mich wieder zu sich rufen. Ich glaube, nir-gendwo auf der Welt könnte ich Einsamkeit so gut ertragen wie hier. Ich fürchte, ich habe wirklich schon zu viel Lotus gegessen. Die Neuen Hebriden sind schön. Ich habe alle Inseln betreten. Sie haben nicht den Reiz müßiger Sorglosigkeit, den ich erwartete, aber sie besitzen eine Entrücktheit, die mir das Herz zu verzehren beginnt

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Ich habe zwei Veranden angebaut. Eine, die ich am Morgen benut-zen kann, und eine für den Nachmittag. Die Wände bestehen aus geflochtenen Palmblättern. Ein großes Blatt ist ungefähr drei Meter lang. Man schlitzt die Mittelrippe der Länge nach auf und flicht die Digsbums zusammen. Das Ergebnis ist wunderbar. Schatten, Kühle und eine schöne Streuung des Lichts. Die Kolonie ist ein Dschungel aus Gier, Ausbeutung und Aggression, ganz dem echten pflanzlichen, tierischen Dschungel nachgebildet, der die Hand des Arbeitenden so lähmt wie die des Schreibenden, Empfindungen zerfasert und entkräftet und alle Träume durchkreuzt. Meine schwarze Frau nenne ich Topsy. Ich will nicht behaupten, dass ich sie im üblichen Sinn des Wortes liebe. Wenn wir ausei-nander gehen, so wird ein kleines Bedauern zurückbleiben, das man sich aufhebt für sentimentale Stunden. Aber wenn ich meinen Jun-gen nicht liebe, dann weiß ich nicht, was Liebe ist. Dieses Wunderkind wog eine Stunde nach der Geburt etwas über sechs Kilo. Die arme Topsy sah völlig verstört aus, als sie zu sich kam und es erblickte. Ihre ersten Worte zu mir waren: 'Es sein Kahl-kopf wie du', und dann zum Baby: 'Wirklich, du zu dick viel. Ich den-ken, du zuviel lieben Platz, wo du warst. Du zu faul zum Rauszu-kommen.' Es ist Weihnachten, die roten Flamboyants blühen und die Luft riecht nach Fieber. Oh Gott, es ist eine absolute Qual für mich, ein lebendi-ges Wesen nur zu sehen oder zu hören. Hätte ich noch ein zweites Leben, so würde ich sogar etwas nachhelfen, um das erste zu been-den. Ich wüsste auch, wie ich das machen würde. Eine gute Dosis Malariapillen und eine halbe Flasche Whisky. Dann setze ich mich ans Wasser und lasse mich langsam von den Wellen ins Meer zie-hen. Am Eingang der Bucht tost und tobt die Brandung gegen das Riff, und in einer höheren Tonlage erklingt das geschäftige Flüstern des Passatwindes in den Palmen. Die Bäume senken sich bis ins Was-ser wie erschöpfte Tiere, die nach dem glühenden Tag ausruhen und trinken. Gestern Abend sah ich, wie sich das Kreuz des Südens auf dem Meer spiegelte. Das Wasser war so klar, dass das Bild der Sterne mit dem Schimmer der Muscheln auf dem Meeresgrund eins wurde. Ich werde ihn körperlich und geistig trainieren, dass er, wenn er ein-mal groß ist, ein besserer Mensch wird als sein Vater. Aber ich fürch-te, wenn ich meinen Sohn mitnehme und in eine weiße Umgebung bringe, werde ich sofort anfangen, ihn zu hassen.

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INSELN DER ILLUSION Spielfilm Deutschland 1987 76 Minuten

Darsteller

Regie Buch

Kamera Schnitt

Ton Produktionsleitung

Regieassistenz Produktion

Festivals

Ulrich Wildgruber Helen Mafua Mikael Kirk Huffman Norman Shackley Joan Omawa John Drake Salome Zeitler Willie Roy Herbert Brödl Jobst Grapow Herbert Brödl Jörg Jeshel Margot Neubert Steve Mac Millan Chris Strewe Angelika Krantz Baumhaus Film Brödl 1988 Berlin Saarbrücken Angra do Heroísmo

Mit Unterstützung von HR BR ORF

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FEUERBERG

Unter dem Vulkan

Lia, die Kinder in Ballett unterrichtet, hat als Mädchen ihre Sommer-ferien auf der Insel Stromboli bei der Lehrerin Maria Guiseppa ver-bracht. Fünfzehn Jahre später kehrt sie dorthin zurück, um auf dem Friedhof unter dem Vulkan Abschied von ihr zu nehmen. Sie kommt in ein Dorf der Gegenwart, in dem die Einheimischen das Geschäft mit Touristen und Hauskäufern entdeckt haben, das Zwie-tracht sät, und liest vom Dorf der Vergangenheit in den Aufzeichnun-gen, die ihr die Lehrerin hinterlassen hat. Einer ihrer Schüler war Ne-do, dem Lia mit bangem Herzen wiederbegegnet. 'Feuerberg' erzählt vom mediterranen Sommer, dem Wiedersehen mit einem Liebsten, dem Missverstehen zwischen Einheimischen und Fremden und von der Wehmut über Verlorenes.

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Dieses Heft ist für dich. Denk dran, dir dein Gesicht mit Zitrone einzu-reiben, das bekommt der Haut. Tu nie das, was die anderen tun. Die Insel hat ihre Geheimnisse, und die sollen gewahrt bleiben, sonst wird sie wesenlos zum Schemen. 30. September 1930. Ich stand in meiner Küche, als der Ausbruch begann mit einem Geräusch, das sich wie ein laut berstender Scheit im Ofen anhörte. Eine Säule von Asche stieg aus dem Berg in den Himmel, entfaltete sich zu einem Pilz und regnete auf das Dorf. Dann zerbrach gewaltiger Donner meine Fensterscheiben, das Haus beb-te, die Luft war voll Pfeifen und Sirren. Der Vulkan spuckte riesige Felsblöcke in einer glühenden Wolke, flüssiges Feuer, dünner als Wasser. Jäh war es tiefe Nacht, in der brennende Olivenbäume lo-derten. Die flüssige Wolke verbrannte Haine und Felder und begrub das halbe Dorf unter ihrer Glut, bevor sie zehn Meter hoch ins Meer floss und es zum Kochen brachte. Die Boote, in die sich viele ge-flüchtet hatten, wurden von einer mächtigen Flutwelle erfasst und an Land geschleudert. Gellend hallte die Totenklage über den Berg. 15. November 1935. Es leben keine zwanzig Menschen mehr im Dorf, die andern sind nach Australien und Argentinien gegangen. Ich habe noch vier Schüler, die ich in der Küche unterrichte. 10. Januar 1949. Hier ist die Heimat der Winde wie es in der Odys-see steht. Ich beobachte den Flug des Falken. Meine Gedanken zie-hen Kreise und landen wie der Vogel.

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18. August 1956. Jetzt ist der Geruch des ganzen Sommers in mei-nem Haus. Ich warte auf den Oktober, dann kommen die Tintenfi-sche. Sie dürfen nicht gewaschen werden, sondern gehören wie sie sind in die Pfanne. Nur so schmecken sie richtig. 2. Oktober 1964. Olivenblätter sind gut gegen Schlangengift. Anna war gestern vor dem Unterricht auf eine Viper getreten. Ich habe ihr einen heißen Wickel von den Blättern gemacht und das hilft. Ich ver-stehe mich nicht mehr darauf, aber früher konnten sie aus dem Wuchs der Bäume und dem Stand der Blätter die Zeichen für die Zu-kunft lesen. 15. August 1970. Ich erzähle meinen Schülern vom Schnee. Im 11. Jahrhundert gab es Schneesammler und Schneehüter auf dem Berg. Im Winter legten sie große, mit Asche bedeckte Schneelager an und versorgten im Sommer die Menschen mit Schnee. Auf dieses erfri-schende Labsal zu verzichten wäre ebenso misslich gewesen, wie ohne Wein oder Kapern zu leben. Im Dorf war ein Schneeladen, und bei der Verteilung kam es oft zu bösem Streit, wenn sich einer über-vorteilt fühlte. 2. September 1979. Von denen, die nach dem großen Ausbruch nach Übersee gegangen waren, ist keiner zurückgekehrt. Jetzt kau-fen Fremde, die hier Ferien machen wollen, ihre Häuser. Gregorio, der mit ihnen Geschäfte macht, sagt: Die Deutschen lieben uns, aber sie achten uns nicht. Wir achten die Deutschen, aber wir lieben sie nicht. Er war mein Schüler und schon immer ein Schlaumeier. 30. Juli 1983. Es heißt, dass auf den verzauberten Inseln dreihundert Jahre wie ein Tag verstreichen. Inseln, die von den Musen bewohnt sind. Dem jungen Helden, der von einem Besuch nach Hause reitet, reißt der Sattelgurt. Sein Fuß berührt den Boden, und der Zauber ist dahin. Eine Ahnung von Alter und Gebrechen überkommt ihn. Nein, mich kümmert nicht so sehr die Zukunft. Meine Hinwendung und Er-kundung ist ganz auf die Vergangenheit gerichtet, auf die Geschich-te, in der ich bin, die ich bin. Um zu wissen, ob ein Wunsch sich erfüllt, nimmt am Tag von San Giovanni eine Artischocke, schneidet sie an und legt sie über Nacht ins Freie. Wenn die Artischocke am nächsten Tag blüht... Ich wünsche dir Glück, mein liebes Kind. Maria Giuseppa, Ginostra - Stromboli

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FEUERBERG Spielfilm Deutschland 1985 72 Minuten

Darsteller

Buch und Regie Kamera Schnitt Musik

Ausstattung Produktionsleitung

Redaktion Produktion

Delia Boccardo Carlo Cecchi Leopoldo Trieste Anita Zagaria Anita Laurenzi José Quaglio Ulrich Wildgruber Mechthild Großmann Ignaz Kirchner Lutz Förster Herbert Brödl Emilio Bestetti Carlo Carlotto Francesco Verdinelli Luciano Calosso Cesare Landricina Gunther Witte Tangram Film, Rom

Mit Unterstützung von WDR

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DAS SCHLANGENFISCHKANU Der italienische Padre Edoardo und die Indios Paulette und Manoel machen eine Reise auf dem Rio Negro. Ihr Boot holt Zierfische, die von Manaus in die Aquarien Europas geflogen werden; eine zweite Reise. Edoardo hat sich im Alter von der Kirche losgesagt und der Kultur der Tukano verschrieben, ihrer Musik und ihren Legenden, die er mit Manoel aufzeichnet. Paulette ist in Manaus auf den Strich ge-gangen und nach Jahren der Trennung wieder mit Manoel zusam-men. Die Flussfahrt offenbart ihr verwickeltes Miteinander und ver-söhnt sie. 'Das Schlangenfischkanu' schlägt eine Vielstimmigkeit an aus Natur und Mythos, Trachten und Begehren, Unbeschwertheit und Vergeb-lichkeit im Kosmos Amazonien.

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Die Tukano sagen, vor der Erde war nichts. Dann war hier das Milch-meer, später gab es ein Erdbeben, und übrig geblieben sind die Flüsse. Das Wasser im Himmel oder der Himmel und die Wolken im Wasser; unwichtig, das zu unterscheiden, nur diese Leere ist wirk-lich. Für die Tukano kommt die Menschheit aus einem Fisch. Das rote Wasser des Rio Negro ist das blutige Fruchtwasser ihrer Geburt. Mit neunzehn Jahren kam er als Seminarist aus Italien in dieses Land. Es hat ihn geplagt, den Indios Portugiesisch beibringen zu müssen. Sie sagten: Unsere Väter sind an der Traurigkeit gestorben, weil die Missionare auf unsere Sprache geschissen haben. Fünfzig Jahre lebt Padre Edoardo jetzt hier und kann nirgendwo anders mehr sein. So vieles wurde ihm eingeredet über seine Mission und alles war verkehrt. Er hat die Sprache der Tukano gelernt, zeichnet ihre Mythen auf und ist darüber alt geworden. Nachdem die erste Frau sich verheiratet hatte ging sie baden. Sie hatte keine Öffnung, keine Vagina. Also sind die Piaba, diese winzi-gen Fische, gekommen, ihr eine zu machen. Es gelang ihnen aber nur, ein Stückchen unter die Haut vorzudringen. Erst der Araripirá kam weiter rein und hüpfend und selig wieder raus mit blutrotem Kopf; bis heute ist er der fröhlichste aller Fische. Schließlich versuch-te es ein besonders schöner Fisch, der Discus, und er war es, der die erste Frau eroberte. Er kam bloß nicht wieder raus, weil er zu breit war. Der Discus also ist der Schöpfer der Vagina.

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Jetzt bin ich krank. Immer muss man da sein; wenn man die Welt einen Augenblick nicht in der Hand hat, fällt sie einem auf den Kopf. Kalt ist mir. Nenn mich nicht Edoardo, sag Yupuri zu mir, Yupuri. Paulette und Manoel kommen aus demselben Dorf und kennen sich schon lange. Dann ist Paulette nach Manaus gegangen und auf dem Strich gelandet. Jetzt hat Manoel sie wiedergefunden. Sie war so froh und gelassen, hat von Gott und der Welt, den Wundern der Medizin und von dieser neuen Pille erzählt: Wenn man die nimmt, kommt das Baby schon nach vier Monaten; und sie hat sie genommen. Alles Leben entsteht im Wasser. Ein Kanu verwandelt sich in eine Schlange, die wiederum ein Fisch wird. In diesem Schlangenfischka-nu schwamm die zukünftige Menschheit aus dem Milchsee in den Milchfluss und weiter in den Rio Negro. Der Lenker des Schlangen-fischkanus war der Schöpfer des Lichts. Unterwegs hielten sie immer wieder an, um sich langsam zu entwickeln. Sie kamen vom Rio Neg-ro in den Uaupés, fuhren den Tiquié hoch, kehrten zurück in den Uaupés und erreichten schließlich den Wasserfall Ipanoré, den Mit-telpunkt der Welt. Dort war die Menschheit fertig. Die Tukano sind aus dem Bauch des Schlangenfischkanus gestiegen und haben die Erde betreten. Als Willkommensgeschenk sollten sie die Speise der Unsterblichkeit erhalten, aber eine flinke Spinne riss sie an sich und kriecht seitdem einfach aus ihrer welken Haut, wenn sie alt ist. Paulette ist Edoardo fremd. Wie er sie schließlich wiedererkannte? An der Art, wie sie dich anschaut, durch dich durch und über dich hinweg und noch viel weiter, aber trotzdem in die Augen. Hier blüht und verblüht alles, noch bevor es gealtert ist. Die Welt zieht durch dich wie Nebel; du gehörst dazu, eins verwandelt sich ins andere, die Dinglichkeit aber bleibt dieselbe. Die Männer fangen die-se winzigen Fische, und Paulette ist schwanger. Aus dem Körper des Gottes der Musik kommen die Töne. Gesang und Tanz gehören für die Tukano zusammen, dafür haben sie nur ein Wort: barsá. So wie es auch für Körper und Seele nur ein Wort gibt: marsá. Jeder macht seine eigene Musik, nicht einer für alle, für die Zukunft oder die Glorie. Hört! Ich sammle diese Spinnenhäute. Wenn die Spinne alt wird, kriecht sie einfach aus ihrer faltigen, welken Haut. An diese Unsterblichkeit denken die Tukano ihr ganzes Leben, aber ohne dabei in Grübelei zu verfallen. Alt werden heißt für sie, dass lediglich die Haut alt wird, diese dünne Hülle, und nichts mehr.

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DAS SCHLANGENFISCHKANU Spielfilm Deutschland 1984 80 Minuten

Darsteller

Regie Buch

Kamera Schnitt

Ton Produktionsleitung

Produktion Festivals

Edoardo Lagorio Paulette Pinheiro Manoel Moura Bibiano Vaz Américo Maranhão Francisco Fontes Herbert Brödl Herbert Brödl Jobst Grapow Ali Reza Movahed Cliff Bestall Carlo Carlotto Michele Younglesen David Pennington Baumhaus Film Brödl 1984 Mannheim 1985 Berlin München

Mit Unterstützung von HR ORF Kuratorium junger deutscher Film

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ARNULF RAINER – KÖRPERKUNST Rainer erkundet seine Körpersprache - Gestik und Mimik, eine un-verstelltere Sprache als die der Wörter - und dokumentiert sie mit Fotos, auf denen er malend agiert, sie mit Energie und Imagination lädt im Verlauf von Reaktion, Rollenspiel und Metamorphose. Des-mond Morris, der englische Zoologe, Ethologe, Autor des Bestsellers Der nackte Affe und Kunstkenner kommentiert diesen Prozess. 'Körperkunst' zeigt Arnulf Rainer bei der Arbeit am eigenen Körper, einer wesentlichen Schaffensphase seines Werks, in der er mit Dra-matik und Witz darstellende und bildende Kunst verbindet als Homo ludens und Homo sapiens.

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In den Jahren 1968 und 1969 begann ich, nachts auf den Wiener Westbahnhof zu gehen. Dort stand ein Fotoautomat, der auch Post-kartenporträts auswarf. Wenn die letzten Züge abgefahren waren und die Bahnhofsperre nahte, machte ich mich an die Arbeit. So hat es angefangen. Was bin ich?, fragt Arnulf Rainer. Malschwein, Affe oder Wiesel? Der Film antwortet in Kapiteln. Kuss, Biss, Tritt, Duell und Duett. Rainer schmust, rauft und malt mit Schimpansen aus der Show Holiday on Ice. Ihre Bildnerei spornt ihn an, er will sie an Spontanität und Lässigkeit toppen in Interaktion zwi-schen Mensch und Primaten. Krank, grau und grantig. Rainer spielt den Kranken, den die Schim-pansen mit Grippe infiziert haben, und sinniert über die Ingredienzien seine Kunst. Dialektisches hin und her, drunter und drüber. In einer turbulenten Performance vor Publikum in München messen Rainer und sein Künstlerfreund Dieter Roth ihre Kräfte und Imagination. Verdrehtes und Verstricktes. Die Jackies aus Bayern sind Kontorsio-nistinnen, Verschlingungskünstlerinnen. Ihre Seance in Rainers Ate-lier treibt ihn mit rotem Kopf an die Grenze seiner Gelenkigkeit und lässt ihn bei der Bearbeitung ihrer Fotos zum Stahlgriffel greifen.

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Face Farces. Bodyposes von Rainer, der sich am eigenen Körper abarbeitet. Ein Solo zwischen Agonie, Ekstase und Faxen. Blitz- und Blindzeichnen. Rainer steht Kopf, zeichnet mit den Füßen, geschlossenen Augen und hinter seinem Rücken. Schafloses Gesuche. Die Schlaflosigkeit des Künstlers, der sich nach Ruhe sehnt und keine findet. Zum Finale schließlich kritzelt er eine Hirngespinst in die Luft. Lieber Brödl, Dieter Roth war hier, und wir haben unsere gemeinsame Seance für Dezember besprochen. Roth möchte gern ein Pferd werden, das di-verse Volten, Sprünge et cetera macht. Es ergeben sich die Fragen: Wäre eine Drehmöglichkeit in der Spanischen Hofreitschule denk-bar? Könnten Sie Zaumzeug und lange Zügel besorgen? Auch eine spezielle Knallpeitsche wäre angebracht. Ich erwarte Sie Samstag Vormittag. Herzliche Grüße Rainer

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ARNULF RAINER - KÖRPERKUNST Dokumentarfilm Österreich 1979 45 Minuten

mit

Buch und Regie Kamera Schnitt

Ton Redaktion

Produktion

Arnulf Rainer Desmond Morris Dieter Roth Herbert Brödl Christian Berger Tina Frese Volkmar Voitl Wolfgang Lorenz Interspot Film Wien

Mit Unterstützung von ORF

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FEUERZEICHEN Der Internatszögling Adrian steigt an seinem 13. Geburtstag auf das Dach des Schulgebäudes. Der Direktor befürchtet einen Sturz in die Tiefe und ruft die Freiwillige Feuerwehr, in deren Sprungtuch der Junge landet, sich verletzt und vom Feuerwehrmann Dave, einem amerikanischer Maler, ins Krankenhaus gebracht wird. Nach seiner Rückkehr ins Internat besucht Adrian Dave an Ausgangswochenen-den. Er findet in ihm einen Freund, dem er vertrauen und sich anver-trauen kann, was ihn aus seinem Schneckenhaus befreit und er-weckt. Die Anstaltsleitung verfolgt diese Freundschaft mit bösem Dünkel; verärgert über die keimende Unabhängigkeit und Widerspenstigkeit Adrians verhängt sie Ausgangssperre für den Zögling und untersagt ihm, Dave zu treffen. Adrians Versuche, diese Willkür zu unterlaufen, sind vergebens. Er zündet das Internat an, um seinen Freund und Feuerwehrmann zu rufen. 'Feuerzeichen' erzählt von der Härte der Verhältnisse in einem Internat und von einem Jungen, der nicht hart werden will auf der Suche nach sich selbst und allem zum Trotz: zart und rabiat.

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Es fällt dem Zögling Herbert Brödl nicht leicht, sich unterzuordnen und zu gehorchen. Freiheitsbedürfnis und Eigenwilligkeit machen ihn reserviert, unabhängig. Daraus resultiert sein Benehmen in der Ge-meinschaft. Er schließt sich ab, ist ohne Kontakt. Seine Kritiklust lässt ihn als Konfliktnatur erscheinen. Er ist ein Augenmensch mit einer guten Beobachtungsgabe. 'Feuerzeichen' hab ich geschrieben, weil ich von 1961 bis 1968 in einem Internat war und heute weiß, dass die Internatszeit kein Ende nimmt. Es wirkt nach, was ich mir dort zugezogen habe an Eigenhei-ten, Schrullen und Beschädigungen. Die im Film erzählte Geschichte ist fiktiv und im Grunde meine Ge-schichte. Der Adrian auf dem Dach mag verzweifelt sein, sicher aber gehen lang gehegte Fantasien mit ihm durch, die ihn überlisten und nicht mehr einzubremsen sind. Eine Internatsgemeinschaft ist fruchtbarer Boden für Fantasiedruck. Ich hatte mit 13 keinen Freund. Also habe ich meinem Erzieher er-zählt, ich hätte einen Bruder, der Lokführer ist. In diese Story fühlte ich mich ein, bis sie rund war. Der Erzieher glaubte schließlich, dass ich am Wochenende meinen Bruder besu-chen will, der die Strecke Wien-Bregenz fährt und zum Schichtwech-sel in einer Kleinstadt in der Nähe des Internats übernachtet. So er-hielt ich Wochenendausgang.

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Mit dem Postbus bin ich in diesen Ort gefahren. Hatte immer dassel-be Buch mit Texten der Wiener Gruppe mit, die ich nicht verstand und die mich faszinierten. Und ich spulte mit 30 Schilling mein Programm ab. Im Wirtshaus ein kleines Gulasch und Bier und lesen. Dann Spaziergang zur Kondi-torei auf eine Cremeschnitte mit Cola und weiterlesen. Zurück im In-ternat hab ich dem Erzieher schöne Grüße von meinem Bruder aus-gerichtet. Der Dave im Film hat mit einer Freundschaft zu tun, die ich später geschlossen habe. Chris Baker ist eines Tages mit seiner Mutter in einem schrottigen Amischlitten aufgetaucht und in ein kleines Häus-chen im Wald hinter dem Internat eingezogen. Mein Freund Chris. In den Ferien sind wir in die Hochalpen, bergstei-gen und Smaragde suchen, mit Sieben in eisigen Gebirgsbächen buddeln und in Kuhställen schlafen, wir glücklich glücklosen Schatz-sucher. Chris aber war ein Glück für mich und ein Entkommen aus dem In-ternatskäfig. Seine Art zu reden und die Dinge zu sehen war für mich eine Entdeckung und Einsicht, dass es auch jenseits des Internats eine Welt und Möglichkeiten gibt. Ich wollte keine Anklage gegen Internate verfassen. Das sind Orte, an denen scharfe Verhältnisse herrschen, die bisweilen den schär-fen, der da hineingepackt wird. Der Zögling ist ein Individualist und geht seine eigenen Wege, die grundverschieden von denen seiner Kameraden sind. Seine Interes-sen haben mit denen der Mitschüler nichts gemein; für Herdentrieb hat er nichts übrig. Er umgibt sich mit einer gewissen Undurchdring-lichkeit und hütet seine Eigenwelt.

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FEUERZEICHEN Spielfilm Deutschland 1979 90 Minuten

Darsteller

Buch Regie

Kamera Schnitt Musik

Ausstattung Produktionsleitung

Festivals

Adrian Mendoza Vincent Thomas Günther Einbrodt Rolf Defrank Hans-Peter Korff Karl Schwetter Ingeburg Kantstein Monika Hansen Herbert Brödl Herbert Brödl Rainer Boldt Xaver Schwarzenberger Ingeburg Forth Graziano Mandozzi Gerd Heiligenstühler Hans-Calixt Krug 1979 Hamburg

Mit Unterstützung von Radio Bremen

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ZIVILISIERTE TROPEN 1857 wandern Kleinbauern aus Tirol und dem Rheinland, angewor-ben von einem adeligen Abenteurer im Auftrag der peruanischen Regierung, nach Peru aus in der Hoffnung, Not und Elend hinter sich zu lassen. Zwei Jahre nach ihrer Ankunft und der Überquerung der Anden erreichen von den dreihundert Auswanderern einhundert-siebzig ihr Ziel, das Tal des Rio Pozuzo, das hin zum Amazonasbe-cken führt. Weglos sind die letzten 90 Kilometer trotz Versprechun-gen der Regierung, das Siedlungsgebiet zu erschließen. Es folgen hundert Jahre Einsamkeit, bis 1975 eine Straße das Dorf Pozuzo erreicht und die aus der Welt gefallenen Siedler mit der Welt verbin-det, übergangslos. Der Bauer Agustin Egg erkennt die Auswirkungen der Straßenanbin-dung - Rinderhaltung als Monokultur, Versorgungsmängel infolge dieser Monokultur, rapide Erosion der in Viehweiden verwandelten Talhänge, Abhängigkeit von Zwischenhändlern auf dem Vermark-tungsweg bis Lima - und will die Bauern genossenschaftlich organi-sieren, um etwas dagegen zu tun und der neuen Heimat, die ihre Vorfahren unter Opfern und Mühen geschaffen haben, eine Zukunft zu geben. 'Zivilisierte Tropen' erzählt von jemandem, der Hoffnung macht durch sein Denken und Tun.

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Die Vorfahren meiner Familie waren Anna Katharina und Kaspar Egg, die mit ihren sieben Kindern im Jahr 1857 von Silz im Tiroler Oberinntal nach Peru auswanderten. Mein Urgroßvater starb unter-wegs in den Anden bei Santa Cruz, die Urgroßmutter setzte allein mit den Kindern den Fußmarsch bis Pozuzo fort. Bei ihrer Ankunft erhielt sie wie die andern auch ein Stück Land von der Regierung und be-gann zu arbeiten. Das hat mir mein Vater erzählt. Pozuzo hat über 100 Jahre auf eine Straße gewartet. Wir waren hier 90 Jahre von allem abgeschnitten, ohne Zukunftsaussichten und Hoffnung auf Veränderungen, weil die Welt da draußen so weit weg war. Nun ist die Straße da, und viele Dinge würde es heute ohne sie nicht geben. So ist zum Beispiel nicht denkbar, dass ohne die Straße bestimmte Geschäftsleute sich hier herumtreiben würden. Diese Straße hat uns Annehmlichkeiten gebracht, Spielzeuge. Ich brauche kein Haus aus Ziegeln und keinen Luxus. Ich denke, ein Bauer soll sein Leben im Gleichgewicht mit der Natur und seiner Familie führen. Die Straße hatte auch zur Folge, dass in Pozuzo ohne Rücksicht der Wald heruntergeschlagen wurde, um das Holz herauszuschaffen, zu verkaufen und so zu Geld zu kommen. Die Bauern dachten, dass sie mit diesem Geld bestimmte Investitionen machen könnten. Die Frage aber ist, wie es nach diesen Investitionen mit der ökologi-schen Bilanz aussieht. Die Pozuzinos haben geglaubt, dass sie mit der Straße ihr Glück in der Viehzucht finden und alles auf diese Karte gesetzt. Die Straße hat ihnen zwar den Warenverkehr eröffnet, aber

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auch die Zwischenhändler gebracht und die große Gefahr, dass die Viehhaltung die Böden auf den abgeholzten Talhängen kaputt macht. Es heißt, in Gefahr wächst der Mensch. Die Bauern von Pozuzo werden sich zusammenschließen gegen die negativen Auswirkungen der Straße, was den Viehverkauf betrifft und die Umweltfolgen dieser Fleischproduktion in Monokultur. Wir wollen eine Genossenschaft gründen, uns gemeinsam den Problemen stellen, unsere Sache selbst in die Hand nehmen und uns von Abhängigkeiten befreien. Wie ein Töpfer ein Stück Lehm in die Hände nimmt und etwas ganz Eigenes daraus formt, so hat bis jetzt jeder Pozuzino seinen Hof und seine eigene Welt darum herum gebaut. Diese vielen kleinen Welten wurden zu Zeiten geschaffen, in denen es die Probleme von heute nicht gab. Die Arbeit geht leicht und schön von der Hand, solange einem keine Laus über die Leber kriecht. Was anderes aber ist, wenn einen Sorgen plagen um die Umwelt, die unser aller Lebens-grundlage ist. Dann muss man auf neue Gedanken kommen und handeln.

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ZIVILISIERTE TROPEN Dokumentarfilm Deutschland 1977 65 Minuten

mit Buch und Regie

Kamera Schnitt

Ton Produktion

Agustin Egg u.v.a. Herbert Brödl Dieter Wittich Irmtraud Wehmeyer Johannes Zell Baumhaus Film Brödl

Mit Unterstützung von ZDF ORF

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FEHLSCHUSS 1955 kommt die deutschstämmige Familie Ceron aus dem rumäni-schen Reschitza nach Österreich und zieht südlich von Wien in die Arbeitersiedlung einer Maschinenfabrik, wo Vater Baruch und Sohn Jacob eine Anstellung als Dreher gefunden haben. Zwischen Schichtarbeit, Siedlungsenge, Schrebergartenfreuden und Rock 'n' Roll im Arbeiterheim trainiert Jacob in den Weinbergen, um sich als Fußballer mit Toren zum Sieg zu schießen. Bald macht er im Verein des Fabriksherrn die Goals, erobert Marina, die Tanzkönigin, und lernt den Jahrmarktboxer und Schrotthändler Arthur kennen, dem er nach Wien folgt. Dort will der Ex-Champion Arthur seine längst verblasste Glorie mit einem Fußballstar wieder auferstehen lassen. Es gelingt ihm, einen Club der Bundesliga zu be-stechen, der Jacob als Stürmer in einem Auswärtsspiel aufstellt. 'Fehlschuss' ist ein ruhiger, langer Fluss der Episoden, die bildstarke Geschichte von einem Traum in den Niederungen der Wirklichkeit und vom Trost der Freundschaft.

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Modelltischlerei Brödl Leobersdorf-Erzeugung von Gießereimodellen Von den 50er Jahren und dem Ort meiner Kindheit wollte ich er-zählen, die Vergangenheit zurückholen. Manches ist erfunden, aber nichts aus der Welt. War schön, sich zu erinnern, diese versunkene Zeit und Welt zu beschreiben. Herkunft, Heimatgefühl, Zuneigung und Wehmut verbinden mich mit ihr. Mein Heimatort Leobersdorf, die 'Kolonie' genannte Arbeitersied-lung, die Weingärten, die Maschinenfabrik, das Arbeiterheim mit dem einzigen Fernseher im Ort, Elvis Presley aus der Jukebox, mein klei-nes Zuhause mit Plumpsklo im Garten, diesem Garten mit seinen Obstbäumen, Beerensträuchern, Gemüsebeeten, Hühnern und Ha-sen. Meine unermüdliche Mutter, nie ohne Arbeitsschürze, an der Näh-maschine und auf ihrem Fahrrad. Der ungarisch-deutsche Groß-vater, der eine Modelltischlerei betrieb und wie Freud aussah. Die vage Erinnerung an den Vater, der 38-jährig tot umfiel, während mei-ne Mutter beim Bauern die Milch holte. Weinlese und Kastanien sammeln im Herbst, ein Pferd haben wol-len, der Fußballplatz, mein väterlicher Freund Otto, der Nachbar, Le-benskünstler und ewige Schrottsammler. Die Triesting, der Hochwasser-Kanal und der Wiener Neustädter-Kanal der Wasserfreuden. Das verwunschene Gut Dornau, seine Karpfenteiche, die Kapelle, wo die ungarischen Verwandten nach der Flucht 1956 ihre Namen einritzten, bevor sie nach Australien weiter-zogen. Mein unerziehbarer Hund Teddy und die Dollars von der Tan-te in Amerika.

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Zwei Jahre Kindergarten für Sehbehinderte in Wien, Ferien in der Keusche der Tante aus der Buckligen Welt, Aufnahmeprüfung für einen Freiplatz in einer Internatsschule. Heiße Sommertage im Ther-malbad Vöslau und eisige Winde aus der Puszta im Winter. Inter Wacker gegen Stari Maribor in Maribor, meine Damen und Her-ren, beim Spielstand 0:0. Es hat kaum ein Durchkommen bei diesem jugoslawischen Bollwerk gegeben. Ich erwarte jeden Moment den Schlusspfiff. Petrovic spielt steil auf Civic, Kowanda geht dazwi-schen. Jetzt ist Platz, da ist eine Chance. Die Jugoslawen haben al-les nach vorn geworfen, die Abwehr ist offen. Wo ist ein freier Mann? Kowanda marschiert, spielt zu Horvath. Ceron, ja, Ceron ist frei. Pass von Horvath, gut gemacht. Ceron umspielt Civic, vorbei an Uglesic. Hervorragend! Ceron allein... Ohne Gegner... Ceron ganz allein... Ceron frei... Ceron... Und...

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FEHLSCHUSS

Spielfilm Deutschland 1976 110 Minuten Darsteller

Buch Regie

Kamera Schnitt Musik

Ausstattung Kostüm

Ton Produktionsleitung

Regieassistenz Produktion

Festivals

Wolfgang Ambros F. Buchrieser Pola Kinski Hanno Pöschel Vera Borek Emauel Schmied Renate Olarowa Jan Kickert Rudi Schippel Franz Morak Ulrich Baumgartner Herbert Brödl Rainer Boldt Xaver Schwarzenberger Marie Homolkova Alexander Steffen Roger von Möllendorf Barbara Bilabel Johannes Paiha Karl Schwetter Heide Kouba Schönbrunn Film 1977 Berlin Duisburg 1977 Fernsehpreis Deutsche Akademie d. darstellenden Künste

Mit Unterstützung von SFB ORF

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NACHRICHTEN RICHTEN NACH Dokumentarisches aus der Ära Nixon, dem Vietnamkrieg, der Stu-dentenbewegung und der High Society der 60er wechselt mit Insze-niertem aus dem Leben eines Arbeiters, einer Hausfrau und eines Schülers, mit Tricksequenzen und fingierten Nachrichten. Das News-Medium Fernsehen wird hinterfragt und aufbereitet; Sportberichte sind mit Kriegsgeräuschen unterlegt, Aufnahmen einer Hinrichtung mit der Intimität privater Räume unterschnitten: Kollisionsmontagen im Illusionsapparat. Die Aussagen richten sich im Sinne einer entschieden linken Ideolo-gie gegen Ausbeutung und Manipulation im herrschenden System. Der Ziellauf wird zum Zielkauf, Spiel zum Drill, Erziehung zur Indoktri-nation, Arbeit zur Selbstentfremdung, Geschäft zum Krieg, Krieg zur Show. Der polemische Essayfilm 'Nachrichten richten nach' ist die Analyse eines Massenmediums und eine singuläre TV-Reflexion, die auch deutlich macht, was zu Beginn der 70er Jahre inhaltlich und gestalterisch im Fernsehen möglich war.

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Hände hoch und keine Bewegung! Wenn ihr euch brav an die Wand stellt, wird euch nichts passieren. Manipulation - zu Deutsch Hand- oder Kunstgriff - heißt soviel wie zielbewusstes technisches Eingreifen in ein vorhandenes Material. Wenn es sich um ein gesellschaftlich unmittelbar relevantes Eingrei-fen handelt, ist die Manipulation ein politischer Akt. Das ist in der Bewusstseinsindustrie prinzipiell der Fall. Der Gebrauch der Medien setzt also Manipulation voraus. Die grund-legenden Verfahren medialen Produzierens von der Wahl des Me-diums selbst über Aufnahme, Schnitt, Synchronisation, Mischung bis hin zur Distribution sind allesamt Eingriffe in das Material. Ein unma-nipuliertes Schreiben, Filmen und Senden gibt es nicht. Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden oder nicht, sondern wer sie manipuliert. Ein revolutionärer Entwurf muss nicht die Manipulatoren zum Verschwinden bringen. Er hat im Ge-genteil einen jeden zum Manipulator zu machen.

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NACHRICHTEN RICHTEN NACH Essayfilm Österreich 1971 55 Minuten

Darsteller

Buch Regie

Kamera Schnitt

Ton Produktionsleitung

Produktion Festivals

Bruno Dallansky Franz Zemsky Wolfgang Sellner Monika Geiger Marlies Brudermanns Wilhelm Pevny Herbert Brödl Herbert Brödl Xaver Schwarzenberger Ulli Schwarzenberger Karl Höfler Hermann Wolf Scheiderbauer Film 1999 Graz

Mit Unterstützung von ORF

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Brödls Menschen sind immer in Bewegung. Mit ihnen taucht man ein in fremde Kulturen. Er erzählt in einer schönen, einfachen Sprache, in Bildern, die einen unverwechselbaren Sog ausüben. Die Zeit Eindrucksvolle Filme der anderen Art, wie sie im deutschen Fernse-hen selten sind. Frankfurter Allgemeine Zeitung Eine Gratwanderung zwischen Mythos und Realität, zwischen insze-nierter und dokumentarischer Wirklichkeit. Ohne den Anspruch, die Rätsel ferner Welten lösen zu wollen, aber mit Lust am Fabulieren und Filmemachen. Süddeutsche Zeitung Suggestiv, voll leisen Humors und ganz ohne wehleidige Dritte-Welt-Klage. Der Spiegel Herbert Brödl, einer der bemerkenswertesten Filmemacher, mischt Spiel und Desillusionierung, Gefühle und Fakten, ethnographische Erkundungen und Kino. Zauberische Reisen. Der Reiz des Phantas-tischen geht von diesen Filmen aus, der Wunsch, den Faden des Unbekannten bis zum Ende aufzurollen. Sonntagsblatt Wunderbare Bilder, die im Gedächtnis haften. 'Gott schreibt in krum-men Linien.' Einen besseren Kommentar zu Brödls Seh-Abenteuern gibt es nicht. Badische Zeitung Wache Neugier, kalkulierte Dramaturgie von Prosa und Poesie. Das erzielt Anteilnahme, ist spannend und phantasievoll. Frankfurter Rundschau Geduldig und mit lakonischem Witz entwickelt Herbert Brödl einen Beobachtungs- und Erzählrhythmus, der Zeit und Raum zum Nach-empfinden lässt. epd medien Brödls aufregende Reisen in eine fremde Welt, diese Welt. Ein ganz eigener Stil des vornehmlich inszenierten Dokumentarfilms. Seine Geschichten sind wirklich, bildstark, pointiert und stimmig. Hambur-ger Abendblatt Von einem Punkt erzählt, der genau auf der Linie liegt. die tages-zeitung Brillanter Mix aus Dokumentarfilm und Märchen. Ethno-Kunstwerke in eigenwilliger Regie. TV Movie Dokumentationen jenseits von Exotik und Elend. Sorgfältigstes Handwerk, das endlich wieder die verloren geglaubte Chance des Selbst-Sehens und -Hörens bietet. Frankfurter Neue Presse Brödl mischt ungeniert Fiktion und Fakten. Die Gegensätze heben sich bei ihm zwanglos auf im poetischen Charakter der Filmerzäh-lung. Immer hält er die Balance zwischen Erfundenem und Vorge-fundenem, immer befinden wir uns als Zuschauer mitten in der Ge-schichte und zugleich ein wenig auch neben ihr. epd medien

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Brödls Erzählungen handeln davon, wie Menschen von Menschen bedroht werden, wie die Sehnsucht nach Harmonie und Glück an der Herrschsucht scheitert. Diese Geschichten sind, als Dokument und Fiktion, Klagelieder eher als Anklagen, die mit der poetischen Melan-cholie der alten Märchen auf das verweisen, was unter Menschen eigentlich möglich sein sollte. Thomas Beckermann Welten entfernt vom touristischen Blick der Reisejournale, vom jour-nalistischen Blick der Auslandskorrespondenten. Eigensinnige, über-seeische Mythen, so poetisch wie realistisch. Frankfurter Rund-schau Brödls Filme passen in keine gängige Schublade. Sie sind intensive und faszinierende Werke, die sich zwischen Dokumentarischem und Fiktivem bewegen. Angesichts der zwanglosen Präsenz der Men-schen vor der Kamera schwindet die Frage, wieweit sie agieren. Sie scheinen bei sich und wir - für kurze, bezaubernde Zeit - bei ihnen. Das lässt diese Filme zu einem Genuss für die Sinne werden. Gesa Rautenberg Das Besondere am Blick von Brödl und seinem Kameramann Volker Tittel ist, dass er immer europäisch, beobachtend, interessiert, ver-wundert ist, nie aber exotisch oder verlogen insiderhaft. Es mag auch beruhigen, dass der Macher dieser schönen Filme kein bärtiger Haudraufabenteurer ist, sondern ein spröder, zurückhaltender Mann. die tageszeitung Brödls Filme sind außergewöhnlich sensibel und modern in dem Sinn, dass sich in ihnen dokumentarische Kritik und Kontemplation nicht ausschließen, sondern mit Leichtigkeit verbinden. Jornal do Brasil Die Lakonie ist charakteristisch für Brödls Sichtweise: Mögliche Me-lodramatik der Ereignisse bricht der Autor und Regisseur gerne durch skeptische Seitenblicke und verkappten Humor. Er weckt Auf-merksamkeit durch Understatement. Frankfurter Allgemeine Zeitung Seit vielen Jahren filmt Herbert Brödl in Südamerika, wo die Träume ganz intensiv verwoben sind mit der Wirklichkeit. Brödl weiß, man kann den fremden Welten nicht mit einem einfachen Blick nahe kommen. Man braucht Geduld. Seine Filme haben ihre eigene Span-nung, jene intensiven Momente, die sich dem erzählerischen Bemü-hen, der Integration in die Geschichte widersetzen, die von der Müdigkeit und Entsagung auf den Gesichtern und der Kraft in der Bewegung leben. Süddeutsche Zeitung Faszinierender Duktus und poetische Bildlichkeit, geprägt von brillan-ten Miniaturen und Seelenmonografien aus dem brasilianischen

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Kosmos. Witz, Biss, Sarkasmus, gepaart mit einem Schuss Melan-cholie, spielen hier um die Wette. Das ist alles ganz fein und zu-gleich atemberaubend erzählt. Funkkorrespondenz Brödls Anliegen ist die hintersinnige und unaufgeregte Beobach-tung. So entstehen ironische, heitere, harte und bis zum Schluss of-fene Momentaufnahmen. Wie er hinschaut, um mitzufühlen, und wie er dennoch nie vergisst, dass er kein Kumpel, kein Anwalt, sondern ein eingereister Zaungast ist, das gibt seinen Filmen eine besondere Leichtigkeit, die im Melodram den Überlebenswitz und im bloßen Abenteuer den ethnographischen Blick entdeckt. epd medien Ein begnadeter Autor und Regisseur, der in unverwechselbarer Wei-se Geschichten erzählt. Rheinischer Merkur Herbert Brödl präsentiert mit 'Eclipse' eine moderne Version von Orpheus und Eurydike. Es ist das Tempo, die Mischung aus Traum und Wirklichkeit, die Bilder aus Amazonien, die diesen Film in bester Autorentradition zu einem kontemplativen sinnlichen Genuss ma-chen. Mit 'Eclipse' taucht man in die Sphären des Unterbewusstseins ab. In eine Welt, wo Liebe, Kunst und Leben einen magischen Kreis bilden. KinoKino An Herbert Brödls Filmen fasziniert die Leichtigkeit des Erzählens. Seine poetische Prosa bedient sich mit Finesse der Andeutung, der Verknüpfung, des Unausgesprochenen. Reisen ist für ihn essenziell. Die Reise, in steter Bewegung zu Fuß, mit dem Kanu, Schiff, Flug-zeug, Zug, Auto, Fahrrad, bestimmt wesentlich Herbert Brödls Filme. Von singulärer Kraft und Eindringlichkeit sind seine Bilder aus Ama-zonien, wo uns für gewöhnlich nur Banalitäten, Armut, Gewalt und Exotismus gezeigt werden. Er eröffnet uns jenseits dieser Stereoty-pen das Leben und das Lächeln in Amazonien. Herbert Brödl ist kein Anthropologe und urteilt nicht. Es sind Zunei-gung und Achtung, die ihm eine genuine Beziehung zu den Men-schen, Dingen und Gebräuchen einer Kultur ermöglichen, die nicht seine ist. Ironie ist sicher ein Teil dieser Zuneigung. Die mit feiner Ironie verwobene Sympathie schafft berückende, fast magische Figu-ren wie die Frau in 'Goldland' und macht Filme wie 'Früchtchen' oder 'Bad Boy' zu kleinen Meisterwerken. Jean-Claude Bernardet Großleinwandtaugliche Doku über rastlose Himmelsstürmer, in der sich Wahres, Halb- Dokumentarisches und Fiktion durchwirken. Und genau aus dieser hybriden Mischung bezieht 'Flieger' seine Stärke. Der Standard Fliegen ist eben auch eine Möglichkeit zur Weltbetrachtung, die Flie-ger Wanderer zwischen den Welten - nicht umsonst hat Brödl einst Philosophie studiert. Das Resultat ist eine bildgewaltige Doku, poe-tisch und in jeder Hinsicht traumhaft. Skip

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Egal, welchem Genre man sie zuordnen mag, alle Filme des seit 1994 auf sechs Teile angewachsenen Äquator-Zyklus zeichnen sich durch einen eigenwilligen Sog der Bilder aus, die immer wieder über die Grenze zwischen Authentizität und Drama, Poesie und Profanität, dokumentarischem Stil und magischem Realismus und dem Wech-selspiel von europäischem Blick und äquatorialem Alltag hinweg-schweben und den Zuschauer in ihren Bann ziehen. TIP Berlin Hier ist nichts exotisch, allenfalls für Europäer ungewohnt, sondern das Leben aus beteiligten Augen gesehen; den Augen von Laurie. Sie ist, schreibt Brödl, 'am Schwarzen Fluss geboren und unterwegs, um unterwegs zu sein.' Den Augen der Menschen, für die das alles alltäglich ist. Den Augen des Filmemachers, der sie in langen Kame-raeinstellungen zur Ruhe kommen lässt, bis sich das Gefühl einstellt einzutauchen. Das sind Blicke von Liebenden, aus Liebe; die lako-nisch erzählt wird, weil sie nicht vieler, nur Worte mit Bedeutung be-darf. Noch einmal festhalten wollen, was sich unweigerlich entzieht. Dieser Film ist von so großer Schönheit, weil er keinem ästhetisie-renden Kanon folgt, sondern dem Leben selbst. Elegie ist hier ein Fremdwort: Unwichtiges ist bei dieser Reise über Bord geworfen. Was bleibt, ist ein Hauch von Nostalgie. Die Ausrufer

'Schwarzer Fluss' Brasilien 2012

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'Flieger' Brasilien 2007

'Bad Boy' Brasilien 1999

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Geboren 1949 in St. Pölten, Österreich Studium der Philosophie in Wien Filme 1971 Nachrichten richten nach 1976 Zivilisierte Tropen 1979 Arnulf Rainer - Körperkunst 1980 Signorina Mafalda 1982 Gefängnispostsack X4 1984 Das Schlangenfischkanu 1986 Feuerberg 1987 Inseln der Illusion 1988 Die Farben der Vögel 1990 Trance-Atlantik 1991 Djadje 1994 Jaguar und Regen 1994 Arnulf Rainer - Sternsucher 1996 Goldland 1998 Früchtchen 2000 Bad Boy 2002 Eclipse 2008 Flieger 2012 Schwarzer Fluss 2014 Maler Rainer Videos 2006 Amazon 2011 Miss Zebra Drehbücher 1974 Hauptlehrer Hofer Regie: Peter Lilienthal 1976 Fehlschuss Regie: Rainer Boldt 1977 Die Straße Regie: Volker Vogeler 1979 Feuerzeichen Regie: Rainer Boldt Bücher 1972 Fingerabdrücke Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972 Waffenfabrikant Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980 Silvana S. Fischer, Frankfurt am Main 2000 À sombra das palmeiras Goethe Institut, Rio de Janeiro

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'Jaguar und Regen' Brasilien 1993

'Goldland' Brasilien 1995

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'Feuerberg' Italien 1985

Veröffentlichungen u.a. 1980 1972

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Die sechs Filme Ihres Äquator-Zyklus erzählen Alltagsgeschichten und Erlebnisse von und mit Menschen in der Äquatorregion. Warum zieht es Sie dorthin? Mein erster Kontakt mit der Welt am Äquator war der Rio Negro im brasilianischen Amazonien, ein berückend schöner Fluss, der durch eine ungeheure Wildnis fließt. Diese Tropen wurden mein Fernweh, und das hat mich immer wieder dahin gelockt. Dort wollte ich mich bewegen und Menschen begegnen, den Bewohnern des äquatoria-len Amazoniens; sie sind die Akteure dieser Filme. Der Äquator teilt die Welt in Nord- und Südhalbkugel. Besitzt dieses Gebiet deshalb eine besondere Wirkung? Der Breitengrad Null, diese ausgedachte Linie von 40000 Kilometern, die die Welt in zwei Hälften teilt, ist die Schnittstelle zwischen Norden und Süden, der Meetingpoint an den Rändern der Hemisphären. Ich bin gern am Rand, im Dazwischen von Kulturen und Mentalitäten, an der Peripherie; dieser Ort ist mir lieb, ich ziehe ihn dem Zentrum und der Eindeutigkeit vor. Der Äquator durchläuft elf Staaten. Fünf der Filme sind in Brasilien entstanden. Ihre Dreharbeiten haben Sie aber auch auf die afrika-nische Insel São Tomé geführt. Entdeckt habe ich die Insel mit dem Finger auf dem Globus der Äquatorlinie von Südamerika in den Atlantik folgend, denn auf dieser Linie liegt sie, ein Fastnichts im Ozean vor der Küste Afrikas. Sie erschien mir wie ein verwunschener Ort aus einem Märchen, was meine Neugier geweckt hat, also hab ich mich auf den Weg dorthin gemacht. Die Geschichte, die ich in 'Früchtchen' erzähle, ist denn auch ein Märchen, das sich an einem Ort zuträgt, wo das Zauberi-sche und die Wirklichkeit keine Gegensätze sind und dessen Men-schen nach Jahrhunderten portugiesischer Kolonialherrschaft wieder in ihrem afrikanischen Zuhause und Wesen sein können. Steckt in Ihren Filmen über diese uns fremde Kulturen eine Bot-schaft? Keine Botschaft. Ich komme als Europäer in eine Welt, die eine an-dere ist, in die Fremde, zu Fremden. Eine Welt, die entrückter ist als das, was der Blick über den eigenen Gartenzaun erhascht. Es geht nicht darum, diese andere Welt in Begriffe zu fassen und sie derge-stalt zu vereinnahmen, ohne dabei etwas von ihr zu erkennen. Ich will im Erleben des Anderen mich ihm nähern, es erfahrend sehen und davon erzählen. Charakteristisch für die Filme des Zyklus ist, dass sie sich zwischen Dokumentation und Fiktion bewegen. Wie entscheiden Sie, wann Sie beobachten und wann Sie inszenieren?

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Die Grenzen zwischen Vorgefundenem und Erfundenem sind flie-ßend in diesen Filmen. Ausgangspunkt ist immer die Reise, die Re-cherche, für die ich mir viel Zeit nehme. Sie ist der Boden für die Ge-schichte, die einmal dokumentarisch bodennah bleibt und ein an-dermal in die Fabel mündet. So kommen Fakt und Fiktion unter einen Hut. Die Gewichtung ergibt sich aus dem Verlauf meiner Reise und dem Schreiben des Drehbuchs. Entsprechend wechseln beim Dreh dann Beobachtung und Inszenierung. Wie finden Sie Ihre Darsteller? Die Darsteller in den Filmen des Zyklus - mit Ausnahme von 'Eclipse' und den beiden Piloten in 'Flieger' - sind Laien, nach denen ich oft lange gesucht habe. Die Mühe lohnt, wenn man sich gegenseitig fin-den und nahe kommen kann, um ein Stück miteinander zu gehen. Wenn Sie nicht am anderen Ende der Welt Filme drehen, leben Sie im österreichischen Enzenkirchen. Aber es ist dann doch eher der schwarze Rio Negro, der Sie begeistert, als der grüne Inn? Da sage ich Ja! Das Gespräch führte Anne Schafmeister

'Jaguar und Regen' Brasilien 1993

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Warum drehen Sie immer wieder in Amazonien? Der Rio Negro hat's mir angetan. Ich hab den Fluss gesehen und wusste, das ist mein Ort. Eine solche Begegnung gibt's wahrschein-lich nur einmal im Leben. Was zeichnet die Menschen in Amazonien aus? Unerschöpfliche Geduld, schwierigste Lebensumstände zu ertragen, und ein einmaliges Improvisationstalent im Meistern auswegloser Situationen. Warum gerade ein Film über das Fliegen in Amazonien? Aus Liebe zur Fliegerei, und weil sie in Amazonien eine besondere Rolle spielt. Das brasilianische Amazonien ist immense 5 Millionen Quadratkilometer groß, Flugzeuge sind das Fortbewegungsmittel, wo es keine Straßen gibt und die Alternative tage- und wochenlange Flussfahrten sind. Und weil sich Fliegern die Vogelperspektive eröff-net; damit haben sie einen anderen, umfassenderen Blick auf die Welt. Wie haben Sie die beiden Hauptfiguren gefunden? Ich habe mich mit zwölf Piloten unterhalten und die Gespräche auf-gezeichnet. Die Geschichten von Nilton und Fernando fand ich am spannendsten, auch ihre Gedanken zum Fliegen. Zudem sind sie Antagonisten; der eine ein Familienmensch, besorgt um sein Nest, der andere ein Nomade, den die Gefahr lockt. Und es gibt diese Schnittstelle zwischen den beiden, der gemeinsam erlebte Entfüh-rungsversuch, bei dem es um Leben und Tod ging. Im Film werden die Piloten von Schauspielern dargestellt. Warum? Eigentlich wollte ich mit den beiden Piloten drehen. Das klappte dann nicht, weil die ihre Jobs verloren hätten, wenn sie für Monate zum Film gegangen wären. Also entschloss ich mich für Schauspieler, ohne den dokumentarischen Ansatz und die Improvisation beim Dre-hen aufzugeben. Wie entwickelten Sie die Geschichten, die die beiden Piloten er-zählen? Am Beginn standen wie gesagt viele Stunden Gespräche mit Nilton und Fernando, deren Niederschrift das Material war, mit dem ich zu arbeiten begann. Die Monologe der beiden Piloten im Film sind von mir verfasst, ausgehend von diesem authentischen Hintergrund. Welchen Stellenwert hat für Sie die Arbeit am Drehbuch? Ich hab ja als Autor begonnen und bin erst später zur Regie ge-kommen. Mit dem Schreiben kann ich mich meinem Thema nähern, diese Annäherung ist das Drehbuch, eine Reflexion über das recher-chierte Material und seine Umsetzung in Bilder, auch Sprachbilder.

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Die Trennlinie zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm ziehen Sie nicht so strikt? Da bin ich kein Fundamentalist. 'Flieger' hat Elemente beider Genres, so wie die meisten meiner Filme. Ausgangspunkt ist und bleibt das Authentische, darauf reagiere ich. Es geht also um Gefundenes, das ich durch Erfundenes erweitere. Wie lange haben die Dreharbeiten gedauert ? Zehn Wochen, in denen wir eine große Reise durch Amazonien ge-macht haben. Es ging mir auch darum, nicht nur den Urwald Amazo-niens zu zeigen, der von oben wie Brokkoli in Endlosigkeit aussieht, sondern auch seine Gebirge und Savannen und immensen Flussar-chipele, die Vielfalt der Landschaftsbilder im Kosmos Amazonien. Der Rhythmus des Films ist langsam. Mit Absicht. Ich will, dass meine Filme einen Atem haben, im Gegen-satz zur weit verbreiteten Atemlosigkeit. Das Gespräch führte Ernst Pohn

'Eclipse' Brasilien 2002

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Amazonien ist mehrfach Schauplatz Ihrer Filme. Die Begegnung mit dem Rio Negro war seinerzeit für Sie ein Schlüsselerlebnis. Zum ers-ten Mal haben Sie dort 1983/84 gedreht: 'Das Schlangenfischkanu'. Später folgten 'Jaguar und Regen', 'Goldland' und jetzt 'Bad Boy'. Für 'Bad Boy' hab ich zum ersten Mal am Amazonas gedreht. Dort liegt der Ort, wo der Film beginnt. In der Geschichte heißt er Anta, was auf Deutsch Tapir bedeutet. Sie haben am Rio Negro gedreht und jetzt am Amazonas. Sind das verschiedene Welten? Oh ja, diese Flüsse sind Persönlichkeiten; einzigartig und unver-wechselbar prägen sie die Landschaft, die Atmosphäre, schaffen ihre eigene Welt. Es geht Ihnen in dem Film auch um den Kontrast zwischen Amazo-nien und São Paulo, zwischen der hinterwäldlerischen Provinz und der Megacity? Der Kontrast liegt auf der Hand. Das Nebeneinander von Wald und Beton, Urzeit und Genmanipulation, Mythen und Informatik ist typisch für Brasilien, existiert gleichzeitig und bruchlos. 'Bad Boy' ist Teil eines Zyklus, zu dem auch die Filme 'Jaguar und Regen', 'Goldland' und 'Früchtchen' zählen. In welcher Relation steht er zu den anderen Filmen des Zyklus? Es gibt ein geographisches Verbindungselement: die äquatoriale Re-gion. In ihrer Charakteristik sind die Filme Dokumentation, Dokufikti-on oder fast fiktiv, das Dokumentarische nur ein Spurenelement. In 'Bad Boy' ist das Narrative, Fiktive ausgeprägter als zuvor in 'Frücht-chen'. Auch das Verhältnis der Figuren zueinander ist komplexer, sie durchlaufen eine Entwicklung, die sie verändert. Das darzustellen war natürlich eine große Anforderung an die Mitwirkenden. Was sind das für Leute? Sie kommen aus dem Ort, in dem der Film spielt, Einheimische also aus dem Innersten Amazoniens. Wie haben Sie die gefunden? Haben Sie da ein Casting gemacht? Mussten sie vorsprechen? Die kann man doch nicht vorsprechen lassen! Das war eine biswei-len mühselige Suche, bei der man in Bewegung bleiben und überall seine Nase reinstecken muss. Und dann sehen Sie irgendwo zufällig den Mann, der dann im Film der Sheriff ist. Ich bin zum Beispiel in die Schule gegangen und hab in die Klassen gelinst. So fand ich den Hilfssheriff. Den Sheriff hab ich auf einer Geburtstagsparty entdeckt. Und der Junge, der den Häftling Jô spielt, tauchte eines Tages in dem Haus auf, in dem ich übernachtete. Er

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hatte einen sitzen, schwadronierte rum und stänkerte, um mich her-auszufordern. So sind wir ins Gespräch gekommen. Schließlich habe ich die, die ich ausgesucht hatte, zusammengeholt und mir drei Sze-nen ausgedacht, die sie improvisieren sollten, um zu sehen, wie sie aufeinander reagieren und was von ihnen rüberkommt. Was für eine Position in der Schule hatte der Hilfssheriff? Position? Der saß da in seiner Klasse und sah aus wie der Finster-ling in Person, an Wochenenden ist er als Herz-Schmerz-Sänger in der Dorfdisco aufgetreten. Der Sheriff, der früher sein Lehrer war, handelte mit Zigaretten, Crackers, Softdrinks, Ein- und Verkauf en gros. Was war die Motivation für die Darsteller, bei dem Film mitzuma-chen? Zeitvertreib; in diesen Urwaldnestern am Ende der Welt herrscht gro-ße Langeweile. Und um was zu verdienen. Aber es hat ihnen auch einfach Spaß gemacht, wir haben in einem Freundschaftsverhältnis miteinander gearbeitet. Wie haben Sie mit den Darstellern gearbeitet? Erstmal ging es ums Lesen, das war ein Problem. Dort liest keiner, die schauen nur Fernsehen. Sie mussten lernen, das Drehbuch zu lesen und den Inhalt der Szenen zu erfassen. Manoel, der den She-riff spielt, hatte da keine großen Probleme, er war ja mal Lehrer. Aber die beiden Jungen: Fehlanzeige. Die haben anfangs die Geschichte einfach nicht begriffen. Mir lag aber viel daran, dass sie wissen, was da erzählt wird und worum es geht, was sich zwischen den Figuren auch gefühlsmäßig ereignet, und dass sie die Geschichte schließlich mit ihren eigenen Worten erzählen können. Das musste über Wo-chen erarbeitet werden. Wenn sie Schwierigkeiten mit dem Lesen haben, müssen sie doch auch Schwierigkeiten haben mit dem Lernen. Das ging dann schneller. Es gibt nur wenige Dialoge, und die sind kurz und bündig. Probleme hatte der Hilfssheriff, der auch ein Kinds-kopf ist, unkonzentriert, vor allem bei seinen Rap-Texten. Wenn er sich da immer wieder verhaspelte, brannten ihm die Sicherungen durch. Sie mussten die Takes also häufig wiederholen. Unterschiedlich. Manchmal ging es ruckzuck mit einem Take, ein andermal war es zäh; mehr als zehn Wiederholungen einer Einstel-lung gab es nicht. Aber auch das haben sie durchgehalten und sich einfach bemüht, es zu verbessern; mit Ehrgeiz, es schließlich auf den Punkt zu bringen. Das Gespräch führte Peter Kremski

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'Früchtchen' São Tomé e Príncipe 1997

Welche Art von Filmen machen Sie? Die Elemente meiner Filme sind das Dokumentarische und das Er-zählte, also Fakt und Fiktion. Die Filme haben einen dokumentari-schen Bodensatz, auf dem das Erfundene aufbaut. Das ist ein Ver-weben von Dokumentar- und Spielfilm, bewegt sich offen und grenz-gängerisch zwischen den Genres. Meistens sind Ihre Darsteller keine professionellen Schauspieler. Orte und Menschen gehören in meinen Filmen zusammen, sind nicht zu trennen. Ich drehe mit den Menschen, die an dem Ort leben, von dem der Film erzählt. Wie finden Sie Ihre Darsteller? Ich recherchiere viele Wochen, schaue mich um, lerne Leute kennen, versuche eine Nähe herzustellen und mir ein Bild zu machen. An-fangs habe ich nur eine vage Vorstellung und entwickle dann aus meinen Erlebnissen und Erkundungen eine Geschichte, die zu einem Drehbuch führt. Ich nutze die Möglichkeit, Menschen für den Film zu gewinnen, sie zu handelnden Personen der Geschichte zu machen. Das Recherchieren ist für mich also ganz wichtig. Manchmal ist es auch nur frustrierend mit Phasen, wo sich gar nichts ergibt; dann ist es einfach nur so ein Herumlaufen. Wenn die Rollen so nah sein sollen an den Darstellern, die sie spie-len, können Sie die Rollen doch grundsätzlich immer erst entwickeln, wenn Sie die Darsteller gefunden haben? Ich muss das aus den Charakteren entwickeln, mein Temperament, meine Ideen und meine Fantasie mit den Persönlichkeiten der Mit-

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wirkenden synchronisieren. Weil sie keine Schauspieler sind, müs-sen sie bei sich sein, um so etwas machen zu können. Man kann sie nicht zu etwas hinbiegen, was sie nicht sind und infolge auch nicht darstellen können. Weil sie keine Profis sind, ist es für sie auch keine Arbeit; sie machen das nach dem Lustprinzip. Entscheidend ist, dass ich in ihnen den Spaß am Spiel wecke, sonst funktioniert es nicht. Entwickeln die Darsteller ihre Rollen mit? Nein; ich habe zum Beispiel erst am Ende meiner Recherche auf São Tomé für den Film 'Früchtchen' den Mitwirkenden die Geschichte erzählt, die sich aus der Recherche ergeben hat. Ich war neugierig, was meine Geschichte für sie bedeutet. Ihre Reaktion hat mich be-stärkt, sie so zu erzählen. Wie hat sich die Geschichte zu 'Früchtchen' entwickelt? Ich stand in São Tomé wochenlang auf dem Schlauch und fühlte mich vollkommen fremd. Ich war auch auf der Suche nach alten Menschen; also habe ich jemanden gefragt, ob es in der Stadt ein Altersheim gibt. Es gab eines, und dorthin hat man mich gebracht; in eine Hölle, bewohnt von Engeln, wo ich eine alte Frau kennen lernte. Aus der Begegnung mit ihr entstand die Geschichte der Ma, die im Sterben liegt und sich nach ihrem Sohn sehnt. Sie weiß, der Sohn ist weit weg und ruft ihn. Ihr Ruf materialisiert sich in einer Riesenbrot-frucht. Das kommt aus diesem afrikanischen Altersheim; zwei seiner Bewohner sind übrigens im Film zu sehen: der Blinde und diese alte Frau, die die Ma ist. Was ist der Ausgangspunkt in 'Jaguar und Regen'? Ich hatte auf der Recherche zu einem früheren Film den Rio Negro bereist. Da fährt man Tage und Tage durch eine Landschaft aus Wasser und Wald, die heute unverändert so aussieht wie vor aber-tausenden Jahren, ein Blick in die Tiefe der Zeit, in der zum Beispiel Wallace und Spruce da hochgefahren sind und eben auch Koch-Grünberg. Der hat dasselbe gesehen wie ich, bezogen auf die Land-schaft. Wenn Koch-Grünberg da ein Jahrhundert vorher unterwegs war, was hat er erlebt, wem ist er begegnet, was ist mit ihm passiert? Und ich auf meiner Reise heute, was erlebe ich, wem begegne ich? Das wollte ich hin und her spielen: Koch-Grünberg vor hundert Jah-ren und ich heute. Wobei es mich dann im Film nicht gibt, sondern die Passagiere der 'Ana Paula' auf dem Rio Negro, immer flussauf-wärts. Hier ist der Ausgangspunkt. Wie arbeiten Sie mit den Darstellern? Wie gesagt: in ihnen Lust und Spaß wecken und sie bei Laune hal-ten, das ist mein Handwerk. Davon hängt es ab, ob es was wird oder nicht. Ich gehe aber nicht nach São Tomé und arbeite dort mit Afri-kanern, als wären das meine Kumpel von nebenan. Das sind Frem-

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de, und ich kann diese Fremde nicht vereinnahmen. Die haben ihre Welt, ich hab die meine: dazwischen ist das Fremde. Es kann nur eine Annäherung geben, die Verstehen möglich macht. Was die Vor-bereitungen betrifft so waren zwei Drittel der Darsteller in 'Frücht-chen' Analphabeten. Ich konnte ihnen also nicht das Drehbuch in die Hand drücken und sagen: 'Lies mal, das wird jetzt gemacht!' Also habe ich mich fünf Wochen vor Drehbeginn jeden Tag mit ihnen zu-sammengesetzt und ihnen das Drehbuch vorgelesen; Szene für Szene, und wir haben besprochen, was sich da tut. Sie sollten eine genaue Vorstellung von der Geschichte bekommen. Gibt es auch Darsteller, mit denen Sie mehrmals gearbeitet haben? Mit einigen habe ich wiederholt gearbeitet, aber auch andere sind mir ans Herz gewachsen; die Garimpeiros zum Beispiel, die Goldschür-fer in 'Goldland'. Das waren wilde, großherzige Kerle und Überle-benskämpfer. Ich mochte die gern und sie mich auch, sonst hätte das nicht funktioniert. Eine Woche vor Drehbeginn wurde einer ihrer Bosse erschossen. Der saß vorm Fernseher und jemand hat ihm durchs Fenster drei Kugeln in den Kopf gejagt. Eigentlich hätte er im Film den Chef spielen sollen. Das Gespräch führte Peter Kremski

'Das Schlangenfischkanu' Brasilien 1983