HESSLING & BALDUIN Marc Hessling · Ø Arbeitsrecht in der Insolvenz, Ø Schulungen zum...

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IA-SP & Interessenausgleich und Sozialplan von Marc Hessling, Rechtsanwalt 3. erheblich erweiterte Auflage, 2005 Einführung Mitunter stehen in Betrieben größere Veränderungen an. So kann es etwa sein, dass ein Betrieb oder Betriebsteile geschlossen werden oder an einen anderen Standort verlegt werden. Hier kommen auf die Be- triebsparteien große und wichtige aufgaben zu, um für die betroffene Arbeitnehmerschaft einerseits und den Betrieb und das Unternehmen andererseits ein möglichst optimales Ergebnis zu erzielen. In solchen Fällen stellt sich also für die betroffenen Arbeitnehmer und den Be- triebsrat die Frage, wie die daraus resultierenden Nachteile für die Beleg- schaft ausgeglichen oder gemindert werden. Hier- für bietet das Betriebs- verfassungsrecht dem Betriebsrat eine Lösung: Betriebsrat und Arbeit- geber können einen Inte- ressenausgleich und So- zialplan wegen dieser Betriebsänderungen ver- einbaren 1 . Dies ist grund- sätzlich in den §§ 111 ff. BetrVG geregelt. Für Betriebsänderung wäh- rend eines Insolvenzver- fahrens bestehen Sonder- regelungen in den §§ 121 ff. InsO. 1 Literatur hierzu: ETZEL, Betriebsverfassungsrecht, 8. Auflage, Rn. 969 ff.; FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER (FESTL), BetrVG, 22. Aufl., München 2004; §§ 111 ff. BetrVG; HASE/VON NEUMANN-COSEL/RUPP, Handbuch Interessenausgleich und Sozialplan, 4. Auflage, Köln 2004; H ESSLING & B ALDUIN A NWALTSBÜRO Marc Hessling 1) 2) Rechtsanwalt Arbeitsrecht, insbes. Betriebsverfas- sungsrecht *) Verkehrsrecht **) Mietrecht **) Versicherungsrecht **) Patrick Balduin Rechtsanwalt Korrespondenzsprachen: Deutsch, Polnisch Verkehrsrecht *) Strafrecht **) Familienrecht **) Arbeitsrecht, insbes. Individualarbeits- recht **) 1) = Mitglied der Gewerkschaften ver.di, NGG 2) = Mitglied im Dt. Arbeitsgerichtsverband *) = Tätigkeitsschwerpunkt **) = Interessenschwerpunkt Anschrift: Friedrichstr. 24 45468 Mülheim an der Ruhr Tel.: +49 (0)208 – 437 2358 Fax: +49 (0)208 – 437 8204 E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.hessling-balduin.de Bürozeiten: Mo. – Di. 08:30 – 13:00 Uhr 15:00 – 18:00 Uhr Mi. 08:30 – 15:00 Uhr Do. – Fr. 08:30 – 13:00 Uhr 15:00 – 18:00 Uhr Termine nur nach Vereinbarung, auch außerhalb der Bürozeiten. Bankverbindung: Sparkasse Mülheim an der Ruhr BLZ: 362 500 00 Kto-Nr.: 300 168 000 Nationalbank Mülheim BLZ: 360 200 30 Kto-Nr.: 904 641 0 Anfahrt ÖPNV: Straßenbahn Linie 110: Haltestelle Wertgasse; alle Linien: Haltestelle Stadtmitte (5 Minuten Fußweg) Parkmöglichkeiten: Tiefgarage ev. Krankenhaus (Zufahrt über Wertgasse); Parkplatz Friedrichstr. / Ecke Ruhrstr. (Zufahrt über Friedrichstr.)

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IA-SP

&Interessenausgleich und Sozialplan

von Marc Hessling, Rechtsanwalt

3. erheblich erweiterte Auflage, 2005

Einführung

Mitunter stehen in Betrieben größere Veränderungen an. So kann esetwa sein, dass ein Betrieb oder Betriebsteile geschlossen werden oderan einen anderen Standort verlegt werden. Hier kommen auf die Be-triebsparteien große und wichtige aufgaben zu, um für die betroffeneArbeitnehmerschaft einerseits und den Betrieb und das Unternehmenandererseits ein möglichst optimales Ergebnis zu erzielen. In solchenFällen stellt sich also für die betroffenen Arbeitnehmer und den Be-triebsrat die Frage, wiedie daraus resultierendenNachteile für die Beleg-schaft ausgeglichen odergemindert werden. Hier-für bietet das Betriebs-verfassungsrecht demBetriebsrat eine Lösung:Betriebsrat und Arbeit-geber können einen Inte-ressenausgleich und So-zialplan wegen dieserBetriebsänderungen ver-einbaren1. Dies ist grund-sätzlich in den §§ 111 ff.BetrVG geregelt. FürBetriebsänderung wäh-rend eines Insolvenzver-fahrens bestehen Sonder-regelungen in den§§ 121 ff. InsO.

1 Literatur hierzu: ETZEL, Betriebsverfassungsrecht, 8. Auflage, Rn. 969 ff.;FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER (FESTL), BetrVG, 22. Aufl., München2004; §§ 111 ff. BetrVG; HASE/VON NEUMANN-COSEL/RUPP, Handbuch Interessenausgleichund Sozialplan, 4. Auflage, Köln 2004;

HESSLING & BALDUINA N W A L T S B Ü R O

Marc Hessling 1) 2)

RechtsanwaltArbeitsrecht, insbes. Betriebsverfas-sungsrecht *)

Verkehrsrecht **)

Mietrecht **)

Versicherungsrecht **)

Patrick BalduinRechtsanwaltKorrespondenzsprachen:Deutsch, PolnischVerkehrsrecht *)

Strafrecht **)

Familienrecht **)

Arbeitsrecht, insbes. Individualarbeits-recht **)

1) = Mitglied der Gewerkschaften ver.di, NGG2) = Mitglied im Dt. Arbeitsgerichtsverband*) = Tätigkeitsschwerpunkt**) = Interessenschwerpunkt

Anschrift:Friedrichstr. 2445468 Mülheim an der Ruhr

Tel.: +49 (0)208 – 437 2358Fax: +49 (0)208 – 437 8204E-Mail: [email protected]

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Termine nur nach Vereinbarung,auch außerhalb der Bürozeiten.

Bankverbindung:Sparkasse Mülheim an der RuhrBLZ: 362 500 00Kto-Nr.: 300 168 000

Nationalbank MülheimBLZ: 360 200 30Kto-Nr.: 904 641 0

Anfahrt ÖPNV:Straßenbahn Linie 110: HaltestelleWertgasse; alle Linien: HaltestelleStadtmitte (5 Minuten Fußweg)

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Welche große Rolle der Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan in der be-trieblichen Praxis spielt, verdeutlicht die Statistik auf Seite 1.

Das Thema „Betriebsänderung“ ist im Rahmen der Betriebsratstätigkeit also eine häu-fige – aber erfahrungsgemäß auch eine fehlerträchtige – Aufgabenstellung für den Be-triebsrat. Häufige Fehlerquellen sind erfahrungsgemäß2:

Ø Betriebsänderungen werden zu spät erkannt.Ø Betriebsräte sehen ihre Aufgabe lediglich in der Aushandlung eines möglichst

gut dotierten Sozialplanes.Ø Ernsthafte Versuche, Arbeitsplätze durch alternative Vorschläge zu erhalten o-

der durch Qualifizierungsmaßnahmen die Arbeitsmarktchancen der von Entlas-sung betroffenen Arbeitnehmer zu verbessern werden nur selten unternommen.

Ø Betriebsräte lassen sich bei den Verhandlungen unnötig unter Zeitdruck setzen.Ø Betriebsräte lassen sich auf Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite ein, ohne

hinreichend unterrichtet worden zu sein.Ø Betriebsräte versäumen es, eigene Zielvorstellungen im Zusammenhang mit der

Betriebsänderung zu formulieren.Ø Betriebsräte versäumen oft, die Belegschaft und ggf. die Öffentlichkeit in die

Auseinandersetzung um die Betriebsänderung mit einzubeziehen.Ø Betriebsräte versäumen es, sich vor Aufnahme der Verhandlungen externe Un-

terstützung zu besorgen, etwa durch Hinzuziehung der im Betrieb vertretenenGewerkschaften oder Sachverständiger.

Ø Betriebsräte gehen in die Verhandlungen ohne ausreichende Verhandlungsent-würfe über einen Interessenausgleich und Sozialplan.

Ø Betriebsräte verzichten leichtfertig, die Einigungsstelle anzurufen.

Die nunmehr dritte Auflage dieses Werkes, welches als Begleitpapier zu unserer Be-triebsratsschulung zum gleichen Thema erschienen ist, ist gegenüber den ersten beidenAuflagen stark erweitert. Zudem wurde durch ein grundlegend überarbeitetes Layoutdie Lesbarkeit verbessert. Handlungsvorschläge für den Betriebsrat sind in den „Praxis-tipps“ erläutert. In sämtliche Kapitel wurde inzwischen ergangene, bzw. erschieneneneuere Rechtsprechung und Literatur eingearbeitet. Insbesondere das Kapitel zur Siche-rung und Durchsetzung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsände-rungen wurde deutlich erweitert, nachdem einer der wichtigsten Kommentare desBetrVG, der „FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER“3 in seiner nunmehrvorliegenden 22. Auflage seine bisherige Meinung zum Bestehen von Unterlassungsan-sprüchen des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber gegenüber seiner noch bis zur 21.Auflage vertretenen Auffassung grundlegend geändert hat. Der Autor hofft, dass diesesWerk seine Leser sicher durch das schwierige Thema „Betriebsänderungen“ führenwird. Er ist für Anregungen und Verbesserungsvorschläge aus dem Kreise der Leser-schaft jederzeit dankbar. Gleichzeitig bieten wir unserer Leserschaft jederzeit gerne an,die hier zitierten Entscheidungen im Volltext via E-Mail oder Telefax zur Verfügungzu stellen. Ein Anruf genügt.

Betriebsräte, die Interesse an einer Schulung zu diesem oder einem anderen Themahaben, setzen sich bitte mit dem Autor in Verbindung. Die Schulung kann jederzeitauch als Inhouse-Schulung kurzfristig als ein- oder mehrtägiges Seminar durchgeführt

2 Nach HASE/V. NEUMANN-COSEL/RUPP, a.a.O., S. 22ff.;3 FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER (FESTL), BetrVG, 22. Aufl., München2004;

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werden. Wir bieten in Zusammenarbeit mit dem Duisburger Verein für innovative Ar-beitnehmerbildung auch Betriebsratsschulungen zu anderen Themen an – sprechen Sieuns an. Auch hier helfen wir gerne jederzeit telefonisch und persönlich weiter. Be-triebsratsschulungen bieten wir u.a. zu folgenden Themen an:

Ø Einführung in die Betriebsratsarbeit; Geschäftsführung des Betriebsrats,Ø Die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, § 87 BetrVG,Ø Die Einigungsstelle und gerichtliche Durchsetzung der Interessen des Betriebsrats,Ø Beteiligung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen, §§ 99 ff. BetrVG,Ø Einführung in die Tätigkeit des Gesamt- und Konzernbetriebsrats,Ø Aktuelle Rechtsprechung für die Betriebsratsarbeit,Ø Arbeitszeit- und Dienstplangestaltung,Ø Arbeitszeit- und Dienstplangestaltung in Kranken- und Pflegeeinrichtungen,Ø Betriebsänderungen, Interessenausgleich und Sozialplan,Ø Arbeitsrecht in der Insolvenz,Ø Schulungen zum Tarifvertragsrecht (auch bezogen auf einzelne Tarifverträge, z.B. die Tarifver-

träge des nordrhein-westfälischen Einzelhandels oder Groß- und Außenhandels etc.,Ø andere Themen auf Anfrage jederzeit möglich.

Mülheim an der Ruhr, im Februar 2005

Marc HesslingRechtsanwalt

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Die Mitwirkung des Betriebsrats bei Betriebsänderungen

Ein Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern,muss der Unternehmer den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentli-che Nachteile für die Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassendunterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat beraten(§ 111 S. 1 BetrVG)4. Bilden mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb, istauf die Gesamtzahl aller im gemeinsamen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abzu-stellen.

Bei der Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl des Betriebes ist auf den Zeit-punkt abzustellen, indem die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff.BetrVG entstanden sind. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Unternehmerische Ent-scheidung zur Vornahme der Betriebsänderung gefällt wurde. Maßgeblich ist jedochnicht die zufällige tatsächliche Beschäftigtenzahl zu diesem Zeitpunkt, sondern die„normale“ Beschäftigtenzahl, d. h. diejenige Personalstärke, die für den Betrieb imAllgemeinen gekennzeichnet ist. Hierzu bedarf es eines Rückblicks auf die bisherigePersonalstärke des Betriebes, wobei im Allgemeinen die letzten 12 Monate zu berück-sichtigen sind5, und einer Einschätzung der künftigen Entwicklung. Liegt die Betriebs-änderung aber gerade im Personalabbau, ist für die normale Beschäftigtenzahl nur derzurückliegende Zeitraum maßgeblich6. Als die zur Zeit einer Betriebsänderung maß-gebliche Zahl der in der Regel Beschäftigten kann auch eine erst zwei Monate vorhererreichte Belegschaftsstärke anzusehen sein, wenn diese das Ergebnis längerfristigerpersonalwirtschaftlicher Entscheidungen des Arbeitgebers ist7. Teilzeitkräfte sind ent-sprechend ihrer Anzahl, also nach Kopfzahl, mitzuzählen8.

Weitere Voraussetzung für das Entstehen des Mitbestimmungsrechts des Betriebsratsbei Betriebsänderungen ist das Bestehen eines Betriebsrats. Wird der Betriebsrat erstgewählt, nachdem der Unternehmer schon mit der Betriebsänderung begonnen hat, sostehen dem neu gewählten Betriebsrat keine Beteiligungsrechte hinsichtlich dieser Be-triebsänderung mehr zu. Dies gilt nach herrschender Meinung und Rechtsprechungselbst dann, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt seines Entschlusses bezüglich derBetriebsänderung bekannt war, dass ein Betriebsrat gewählt werden soll9.

Betriebsänderung in Tendenzbetrieben

Nach § 118 Abs. 1 S. 2 BetrVG sind die §§ 111 bis 113 BetrVG au Tendenzunterneh-men nur insoweit anzuwenden, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftli-cher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge der Betriebsänderung regeln. Daraus folgtnicht, dass der Betriebsrat in Tendenzunternehmen nur den Abschluss eines Sozialpla-nes verlangen kann (zum Sozialplan im Einzelnen siehe unten). Vielmehr muss derArbeitgeber den Betriebsrat auch in Tendenzunternehmen rechtzeitig und umfassend so

4 ETZEL, Betriebsverfassungsrecht, 8. Aufl., Rn. 969;5 LAG Hamm, Beschluss vom 30.11.1981, EzA § 17 KSchG Nr. 2;6 BAG, Beschluss vom 22.02.1983, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 54;7 BAG, Beschluss vom 10.12.1996, EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 33;8 LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.6.1987, LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 69 FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER (FESTL), BetrVG, 22. Aufl., § 111,Rn. 34, m.w.N.;

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über die geplante Betriebsänderung unterrichten, dass dieser eigene Vorstellungen übereinen Sozialplan entwickeln kann10.

Der Begriff der Betriebsänderung

Welche Maßnahmen als Betriebsänderung anzusehen sind, die wesentliche Nachteilefür die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, istin § 111 Satz 3 BetrVG geregelt. Bei den dort aufgeführten Tatbeständen braucht nichtgeprüft zu werden, ob sie wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder Teile von ihrzur Folge haben können, weil das Gesetz dies insoweit unwiderleglich vermutet11. DieBeteiligungsrechte des Betriebsrats bei einer Betriebsänderung entfallen daher nichtdeshalb, weil im Einzelfall wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder Teile von ihrnicht zu befürchten sind. Ob ausgleichs- oder milderungswürdige Nachteile entstehenoder entstanden sind, ist erst bei der Aufstellung des Sozialplans zu prüfen und notfallsvon der Einigungsstelle nach billigem Ermessen zu entscheiden, wobei keine Aus-gleichszahlungen festzusetzen sind, wenn keine wesentlichen Nachteile für die Beleg-schaft oder Teile von ihr entstehen12. Die Mitbestimmungsrechte nach § 111 BetrVGentstehen also immer, wenn der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durchführen will,egal ob Nachteile für die Arbeitnehmer entstehen oder nicht. Das Entstehen vonNachteilen für die Belegschaft ist nur für die Frage, ob ein Sozialplan aufzustellen ist,von Interesse13.

Nach überwiegender Meinung ist die Aufzählung der Betriebsänderungstatbeständenach § 111 S 3 BetrVG nicht abschließend. Vielmehr sind nach § 111 S. 1 BetrVGauch mitbestimmungspflichtige Betriebsänderungen denkbar, die nicht unter die Fall-gruppen nach § 111 S. 3 BetrVG fallen14.

Zur Betriebsänderungen nach § 111 S. 3 BetrVG gehören:

Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichenBetriebsteilen (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG).

Unter der Stilllegung versteht man die Aufgabe des Betriebszwecksunter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation auf Grundeines ernstlichen Willensentschlusses des Unternehmens für unbe-stimmte Zeit, wobei es nicht erforderlich ist, dass die Betriebsorganisa-tion dauerhaft aufgelöst wird; vielmehr genügt auch eine vorübergehen-de Auflösung der Betriebsorganisation, wenn der Zeitpunkt ihrer Fort-führung ungewiss ist15. Keine Betriebsstilllegung ist anzunehmen, wennder Arbeitgeber allen Arbeitnehmern eines Betriebes kündigt und ihnengleichzeitig einen Anspruch auf Wiedereinstellung in absehbarer Zeit,z.B. nach dem Wiederaufbau einer abgebrannten Fabrik, einräumt; denn

10 FESTL, aaO., § 111, Rn. 36;11 ETZEL, aaO., Rn. 973;12 BAG Beschluss vom 17.8.1982, EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 14; ETZEL, aaO., Rn. 973;13 FESTL, aaO., § 111, Rn. 42, m.w.N.; BAG Beschluss vom 25.01.2000, AP Nr. 137 zu § 112BetrVG 1972;14 FESTL, aaO., § 111, Rn. 44, m.w.N.; GK-FABRICIUS/OETKER, 7. Aufl., § 111, Rn. 34-37,m.w.N.;15 ETZEL, Betriebsverfassungsrecht, 8. Auflage, Rn. 976; FESTL, aaO., § 111, Rn. 65; BAG,Beschluss vom 21.06.2001, AP Nr. 50 zu § 15 KSchG 1969, m.w.N.;

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darin liegt nur eine Auflösung der Betriebsorganisation für eine vorü-bergehende Zeit. Keine Betriebsstilllegung liegt daher vor, wenn einSaison- oder Kampagnenbetrieb lediglich planmäßig vorübergehendschließt16.

Die Verlegung des Betriebes ist keine Betriebsstilllegung, wenn die Be-legschaft erhalten bleibt. Wird dagegen – mangels entsprechender Ver-pflichtung, Bereitschaft oder Fähigkeit – ein wesentlicher Teil der bishe-rigen Belegschaft am neuen Standort nicht weiterbeschäftigt, so stelltdies eine Betriebsstilllegung mit einer anschließenden Betriebsneuer-richtung dar17.

Unter einer Betriebseinschränkung im Sinne von § 111 BetrVG ist ei-ne erhebliche, ungewöhnliche und nicht nur vorübergehende Herab-setzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes zu verstehen, gleichgül-tig, ob die Verminderung der Leistungsfähigkeit durch Außerbetriebset-zung oder Veräußerung von Betriebsanlagen erfolgt. Bei der Ausgliede-rung von Betriebsteilen, kommt auch eine Betriebsänderung im Sinnevon § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG in Betracht.

Auch ein bloßer Personalabbau unter Beibehaltung der sächlichenBetriebsmittel kann eine Betriebseinschränkung sein. Insoweit ist abereine erhebliche Personalreduzierung erforderlich, wobei die Zahlen- undProzentangaben in §17 Absatz 1 Kündigungsschutzgesetz über die An-zeigepflicht bei Massenentlassungen, jedoch ohne den dort festgelegtenZeitraum, als Maßstab gelten können, sofern mindestens 5 % der Beleg-schaft des Betriebes betroffen sind18.

Danach liegt eine Betriebseinschränkung vor, wenn

Ø in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,

Ø in Betrieben mit in der Regel mehr als 60 und weniger als500 Arbeitnehmern 10 % der im Betrieb regelmäßig beschäf-tigten Arbeitnehmern oder mehr als 25 Arbeitnehmer,

Ø in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmernmindestens 30 Arbeitnehmer, jedoch stets mindestens 5 %der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer

aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden.

Bei der Ermittlung der relevanten Zahlen- und Prozentsätze sind teilzeit-beschäftigte Arbeitnehmer entsprechend ihrer Anzahl (Kopfzahl) mitzu-zählen. Auch befristet eingestellte Arbeitnehmer, denen vor Ende derBefristung gekündigt wird, zählen mit. Es sind aber nur solche Arbeit-nehmer zu berücksichtigen, die aus betriebsbedingten Gründen aus demBetrieb ausscheiden. Bei der Stilllegung einer Betriebsabteilung sindauch diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, die aus dem stillgelegten

16 FESTL, aaO., § 111, Rn. 66;17 FESTL, aaO., § 111, Rn. 68;18 BAG, Beschluss vom 2.8.1983 EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 16

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Betriebsteil in andere Betriebsteile umgesetzt werden. Auch diejenigenArbeitnehmer, die nur deshalb entlassen werden müssen, weil sie demÜbergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Teilbetriebser-werber (§ 613a BGB) widersprochen haben und für die keine Beschäfti-gungsmöglichkeit im Restbetrieb mehr besteht, sind mitzuzählen. Ar-beitnehmer, die aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen entlas-sen werden oder deren Arbeitsverhältnis lediglich infolge Fristablaufsendet, bleiben außer Betracht. Gewöhnliche Schwankungen der Be-triebstätigkeit, die mit der Eigenart des jeweiligen Betriebes zusammen-hängen (z.B. Saisonbetrieb), sind keine Betriebsänderungen, auch wenneine größere Anzahl von Arbeitnehmern freigesetzt wird.

Um einen wesentlichen Betriebsteil im Sinne von § 111 BetrVG han-delt es sich, wenn in ihm ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer des Ge-samtbetriebs beschäftigt ist, wobei wiederum die Zahlen- und Prozent-angaben in § 17 Absatz 1 KSchG über die Anzeigepflicht bei Massen-entlassung als Maßstab gelten können, sofern in dem Betriebsteil 5 %der Gesamtbelegschaft beschäftigt sind (sog. quantitative Betrach-tung)19.

Ein Betriebsteil ist darüber hinaus auch dann als wesentlich anzusehen,wenn ihm eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zukommt (qualita-tive Betrachtung), wenn sich etwa durch eine Personalreduzierung inihm bedeutsame Auswirkungen auf andere Betriebsteile und andere Ar-beitnehmer ergeben, ohne die Schwellenwerte des § 17 KSchG zu errei-chen. Das Bundesarbeitsgericht hat es bislang immer offen gelassen, obein wesentlicher Betriebsteil auch dann vorliegen kann, wenn dieSchwellenwerte nach § 17 KSchG nicht erreicht sind. In allen bisherentschiedenen Fällen wurde dies jedoch immer für den dort zu entschei-denden Fall verneint20.

Gegenstand der Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist stets nur die je-weilige, auf eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG abzie-lende Entscheidung des Unternehmers. Entschließt sich ein Unterneh-mer, der wegen eines anhaltenden Auftragsrückgangs bereits wiederholtPersonalreduzierungen vorgenommen hat, auf Grund einer durch ein un-vorhergesehenes Ereignis - z.B. Fortfall eines Dauerkunden - eingetrete-nen weiteren Verschlechterung der Auftragslage erneut zu einer Perso-nalreduzierung, so kommt es für die Beteiligungsrechte des Betriebsratesnach dem §§ 111, 112 BetrVG nur darauf an, ob diese letzte Maßnahmefür sich alleine betrachtet eine Betriebseinschränkung im Sinne von§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ist21. Plant der Unternehmer dagegen vonvornherein den stufenweise Abbau der Belegschaft, ist maßgebend, obdas in Erwägung gezogene und dann erreichte Ziel sich als Betriebsän-derung im Sinne von § 111 BetrVG darstellt22. Liegt zwischen mehreren" Wellen " von Personalabbaumaßnahmen nur ein Zeitraum von weni-

19 BAG, Beschluss vom 7.8.1990, EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 2720 BAG, Beschlüsse vom 06.06.1978, 06.12.1988, 07.08.1990, AP Nr. 2, 26, 34 zu § 111BetrVG 1972; FESTL, aaO., § 111, Rn. 70;21 BAG, Beschluss vom 6.6.1978, EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 522 LAG Düsseldorf, Beschluss vom 14.5.1986 LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 4

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gen Monaten, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass diese Ein-zelmaßnahmen auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beru-hen23.

Praxistipp:

Der Betriebsrat tut gut daran, mit dem Arbeitgeber möglichst regelmä-ßig über die Personalplanung zu beraten (§ 92 BetrVG), um über denInhalt seiner diesbezüglichen Entscheidungen Kenntnis zu haben. Sofällt es in der Praxis leichter, nachweisen zu können, dass eine in „Wel-len“ durchgeführte Entlassung, auf einer einheitlichen Unternehmerent-scheidung beruht.

Die Betriebsstilllegung und der Betriebsübergang nach § 613a BGBschließen sich stets gegenseitig aus. Der Betriebsübergang als solcher istdaher regelmäßig keine Betriebsänderung24. Der rechtsgeschäftliche Ü-bergang eines Betriebs auf einen anderen Inhaber (Betriebsübergang,§ 613a BGB) stellt also für sich alleine noch keine Betriebsänderung(z.B. Stilllegung) im Sinne von § 111 BetrVG dar25. Erschöpft sich dierechtsgeschäftliche Übertragung des Betriebs jedoch nicht in dem blo-ßen Inhaberwechsel, sondern ist sie mit Maßnahmen verbunden, die alssolche einen der Tatbestände des § 111 BetrVG erfüllen (z.B. eine Teil-betriebsschließung etc.), sind die Beteiligungsrechte des Betriebsratsnach §§ 111, 112 BetrVG zu wahren26.

Verlegung des gesamten Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen(§ 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG)

Verlegung eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist jede nicht nur ge-ringfügige Veränderung der örtlichen Lage des Betriebs oder eines we-sentlichen Betriebsteils unter Weiterbeschäftigung (von großen Teilen)der Belegschaft27. Wird die Belegschaft größtenteils am neuen Standortnicht weiterbeschäftigt, so handelt es sich um eine Betriebsstilllegungam alten Standort, verbunden mit einer Neuerrichtung eines Betriebesam neuen Standort. Der Betriebsrat ist jedoch wegen dieser Betriebsstill-legung nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG zu beteiligen28.

Zusammenschluss von Betrieben oder Spaltung von Betrieben (§ 111 S. 3Nr. 3 BetrVG)

Ein Zusammenschluss mit anderen Betrieben liegt vor, wenn aus mehre-ren Betrieben ein neuer Betrieb gebildet wird oder wenn ein bestehender

23 ArbG Hamburg, Beschluss vom 17.10.1997, AiB 1998, 526; siehe auch LAG Düsseldorf,vom 14.05.1986, LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 4;24 BAG, Beschluss vom 28.04.1988, AP Nr. 74 zu § 613a BGB; FESTL, aaO., § 111, Rn. 67;25 BAG Beschluss vom 21.10.1980 EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 1226 BAG, Beschluss vom 25.1.2000, EzA §112 BetrVG 1972 Nr. 10627 BAG, Beschluss vom 17.8.1982, EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 14; FESTL, aaO., § 111Rn. 81;28 FESTL, aaO., § 111, Rn. 82, m.w.N.;

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Betrieb einen anderen unter Aufgabe von dessen arbeitstechnischerSelbstständigkeit in sich aufnimmt29.

Praxistipp:

Bei Zusammenschluss und Spaltung von Betrieben innerhalb eines Un-ternehmens ist regelmäßig der Gesamtbetriebsrat zuständig. Innerhalbeines Konzerns ist der Konzernbetriebsrat zuständig30.

Die Frage, ob der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat originär zuständigist, ist manchmal schwierig zu beurteilen. Im Zweifelsfall macht es da-her sinn, wenn die jeweils nachrangigen Betriebsräte den Gesamt- bzw.Konzernbetriebsrat mit der Durchführung von Interessenausgleichs- undSozialplanverhandlungen zu beauftragen, dann ist die Frage der Zustän-digkeit eindeutig geklärt: Hat nämlich der „falsche“ Betriebsrat den Inte-ressenausgleich und Sozialplan verhandelt, so ist dieser unwirksam. DieFrage, wer auf Betriebsratsseite zuständig ist, ist also von ganz erhebli-cher Bedeutung.

Um einen Zusammenschluss mit anderen Betrieben handelt es sich auch,wenn selbstständige Betriebsabteilungen im Sinne von § 4 BetrVG mitdem eigenen Hauptbetrieb zusammengelegt werden.

Bei einer Betriebsspaltung bestehen aus einem ursprünglich einheitli-chen Betrieb mehrere Betriebe. Auch wenn der Arbeitgeber einen Be-triebsteil ausgliedert, um ihn auf ein anderes Unternehmen zu übertra-gen, handelt es sich um eine Betriebsspaltung im Sinne von §111 S. 3Nr. 3 BetrVG31. Hierbei sind grundsätzlich alle Arbeitnehmer des ur-sprünglichen einheitlichen Betriebs von der Betriebsänderung betroffe-nen.

Demgegenüber liegt keine Betriebsänderung vor, wenn der Arbeitge-ber lediglich einen Betriebsübergang nach § 613a BGB durchführt,selbst wenn ein Betriebsübergang im Einzelfall erhebliche Nachteile fürdie betroffenen Arbeitnehmer mit sich bringen kann32. Allerdings ist einBetriebsteilübergang regelmäßig mit einer mitbestimmungspflichti-gen Spaltung des Betriebes nach § 111 S. 3 Nr. 3 BetrVG verbunden33.

Für Änderungen lediglich in der Unternehmensstruktur34 gilt: Vor-gänge, die sich ausschließlich auf der Ebene des Unternehmens abspie-len, lösen regelmäßig keine Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus; dasgilt insbesondere für Umwandlungen nach dem UmwG35. Allerdings

29 FESTL, aaO., § 111, Rn. 84;30 FESTL, aaO., § 111, Rn. 84; BAG, Beschluss vom 24.01.1996, AP Nr. 16 zu § 50 BetrVG1972;31 BAG Beschluss vom 10.12.1996 EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 3532 FESTL, aaO., § 111, Rn. 49 ff.; BAG, Beschluss vom 25.01.2000, AP Nr. 137 zu § 112BetrVG 1972, m.w.N.;33 FESTL, aaO., § 111, Rn. 52 f.; BAG, Beschluss vom 10.12.1996, AP Nr. 110 zu § 112BetrVG 972;34 ausführlich hierzu: FESTL, aaO., § 111, Rn. 56 ff.;35 FESTL, aaO., § 111, Rn. 56 f.;

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treffen Änderungen auf der Unternehmensebene häufig mit Betriebsän-derungen zusammen, etwa, wenn mit der Spaltung eines Unternehmensauch die Spaltung eines Betriebes verbunden ist.

Praxistipp:

Für Betriebsspaltungen und –verschmelzungen gilt hinsichtlich desFortbestandes des Betriebsrates § 21a BetrVG (Übergangsmandat desBetriebsrats). Bei Spaltung eines Betriebes kann für den abgespaltenenTeil ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG entstehen, wenn die ab-gespaltene Einheit nicht in einen neuen Betrieb mit bestehendem Be-triebsrat eingegliedert wird36.

Sonderfall: OutsourcingDie Frage, ob im konkreten Fall ein Betriebsübergang vorliegt odernicht, ist oft schwierig zu beantworten, insbesondere im Hinblick aufsog. Outsourcing Maßnahmen. Der Begriff des Outsourcing meint dabeidie Nutzung externer Kapazitäten aufgrund wirtschaftlicher Vorteile fürein Unternehmen oder einen Betrieb. Outsourcing ist mit der Auslage-rung betrieblicher Funktionen verbunden. Durch die Auslagerung bishe-riger betrieblicher Funktionen sind Beschäftigung und Arbeitsplätze derbetroffenen Arbeitnehmer hochgradig gefährdet.Ausgehend von dem Gedanken, dass die Rechtsprechung zum Betriebs-übergang bisher davon ausging, dass dieser zumindest eine Übernahmeder wesentlichen Betriebsmittel erforderte, waren Maßnahmen des Out-sourcing nicht von dem Schutzbereich des § 613 a BGB erfasst. Insofernkann es für die Schutzbedürftigkeit der betroffenen Mitarbeiter aber kei-nen Unterschied machen, ob die Fremdvergabe von Auftragen mit derÜbernahme von Betriebsmitteln verbunden ist. Auf Grundlage dieserProblematik zeichnet sich ab, dass die Rechtsrechung - nicht zuletztdurch die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – zur Gel-tung und Anwendung des § 613 a BGB zu verändern beginnt, da es nichtsein kann, dass in den Verwaltungs- und Dienstleistungsbereichen auf-grund fehlender Erforderlichkeit der Übertragung von Betriebsmittelnein geringerer arbeitsrechtlicher Schutz besteht als in solchen Bereichendes Betriebes, bei denen die Auslagerung von Funktionen auch die Ü-bertragung von Produktionsmitteln erfordert. Die neue Betrachtungswei-se stellt hier daher auf die Übertragung der wirtschaftlichen Einheit ab,hierunter verstanden die „organisierte Gesamtheit von Personen und Sa-chen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielset-zung. In Brachen, in denen es im Wesentlichen auf

Grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks o-der der Betriebsanlagen (§ 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG)

Die unter § 111 S. 3 Nr. 4 und 5 BetrVG genannten Änderungen sindbislang nur schwer voneinander abgrenzbar, weil sie vielfach ineinan-

36 FESTL, aaO., § 111, Rn. 89;

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der übergehen; dies ist aber in der Praxis unschädlich, weil beide Tatbe-stände alternativ nebeneinander stehen37.

Unter einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation ist ei-ne einschneidende, weitgehende Änderung des Betriebsaufbaus oderder Gliederung des Betriebes oder der Zuständigkeit zu verstehen.Hierunter kann auch die Vergabe von Sekundärfunktion, z.B. Reini-gungsarbeiten an Dritte, Outsorcing von Betriebsabteilungen38 oder eineÄnderung der Betriebshierarchie39 fallen.

Mit dem Betriebszweck ist der arbeitstechnische Zweck des Betriebsund nicht der wirtschaftliche Zweck gemeint40. Eine grundlegende Än-derung des Betriebszwecks sind daher die völlige Umstellung derProduktion oder des Gegenstandes der Betriebstätigkeit, wie zumBeispiel Übergang von Personenwagen- auf Lastwagenproduktion, oderwenn zukünftig andere Dienstleistungen angeboten werden sollen alsbisher41. Eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation und desBetriebszwecks liegt z.B. vor, wenn ein Versicherungsunternehmen be-schließt, den eigenen Vertrieb aufzugeben und ihn künftig nur nochdurch freie Handelsvertreter durchführen zu lassen42. Der Betriebszweckkann sich auch dadurch ändern, dass dem bisherigen Betrieb eine weite-re Abteilung mit einem weiteren arbeitstechnischen Betriebszweck hin-zugefügt wird43. Hierunter fällt jedoch nicht die Umstellung der Produk-tion auf die Herstellung eines verbesserten Typs einer Maschine44.

Eine grundlegende Änderung der Betriebsanlagen kann z.B. sein, beider Einführung völlig neuer Maschinen (hierunter fällt nicht der normaleErsatz abgenutzter Maschinen). Hierbei sind unter Betriebsanlagen nichtnur Anlagen in der Produktion zu verstehen, sondern allgemein solche,die dem arbeitstechnischen Produktions- und Leistungsprozess dienen.Diese können z.B. Einrichtungen des Rechnungswesens (Computeranla-gen etc.) sein45.

Nicht nur die Änderung sämtlicher Betriebsanlagen, sondern auch dieÄnderung einzelner Betriebsanlagen kann unter § 111 S. 3 Nr. 4BetrVG fallen, wenn die betroffenen Betriebsanlagen in der Gesamt-schau von erheblicher Bedeutung für den gesamten Betriebsablauf sind(Beispiele: Einführung eines EDV-Systems46; Installation eines neuen

37 FESTL, aaO., § 111, Rn. 90; GK-FABRICIUS-OETKER, aaO., § 111, Rn. 108; BAG, Be-schluss vom 17.12.1985, AP Nr. 15 zu § 111 BetrVG 1972;38 FESTL, aaO., § 111, Rn. 92; BAG, Beschluss vom 18.11.2003 – 1 AZR 637/02 – n.V.;39 FESTL, aaO., § 111, Rn. 92;40 FESTL, aaO., § 111, Rn. 93; BAG, Beschlüsse vom 17.12.1985, 16.06.1987, AP Nr. 15, 19zu § 111 BetrVG 1972;41 FESTL, aaO., BAG, Beschluss vom 17.12.1985, AP Nr. 15 zu § 111 BetrVG 1972: Einrich-ten von Automatenspielen neben dem klassischen Glücksspiel an Spieltischen;42 BAG, Beschluss vom 08.06.1999, AP Nr. 47 zu § 111 BetrVG 1972; BAG, Beschluss vom23.09.2003 – 1 AZR 576/02 –43 BAG, Beschluss vom 17.12.1985, EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 17; ETZEL, aaO., Rn. 992;44 ETZEL, aaO., Rn. 992;45 BAG, Beschluss vom 26.10.1982 EzA §111 BetrVG 1972 Nr. 15; ETZEL, aaO., Rn. 993;46 LAG Hamburg, Beschluss vom 05.02.1986, LAGE § 23 BetrVG 1972 Nr. 5;

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Computergerätes zur Abwicklung des gesamten Angebots- und Kunden-betreuungswesens47; Zusammenfassung bisher getrennt voneinander ab-laufender Arbeitsprozesse zu einem Vorgang48). Im Zweifel kann hierbeiauf die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer abgestellt werden, wobeian die Zahlen- und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG bei Massen-entlassungen angeknüpft werden kann, sofern mindestens 5 % der Be-legschaft betroffen sind49.

Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren(§ 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG)

Die unter § 111 S. 3 Nr. 4 und 5 BetrVG genannten Änderungen sindbislang nur schwer voneinander abgrenzbar, weil sie vielfach ineinan-der übergehen; dies ist aber in der Praxis unschädlich, weil beide Tatbe-stände alternativ nebeneinander stehen50.

Die Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren müssen für den Be-trieb, nicht für den Gewerbezweig neu sein und einen wesentlichenBetriebszweck betreffen. Unter die "Einführung" neuer Verfahren fälltauch schon die Vorbereitung ihrer Anwendung. Eine Einführung neuerArbeitsmethoden liegt etwa vor, wenn im Betrieb Gruppenarbeit einge-führt werden soll51. Neue Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahrenkommen insbesondere bei Rationalisierungsmaßnahmen in Betracht,z.B. beim Übergang von der Hand- zur Maschinenarbeit, von derSchreibmaschine zum Personalcomputer.

Wie erkennt man eine anstehende Betriebsänderungfrühzeitig?

Betriebsänderungen fallen nicht einfach von Himmel, sondern sie kündigen sich in derRegel an. Die Aufgabe des Betriebsrats ist es, diese Zeichen rechtzeitig zu erkennen.Hierzu sollte sich der Betriebsrat umfassend der Möglichkeiten bedienen, die dasBetrVG ihm bietet: Nämlich insbesondere den Einsatz des Wirtschaftsausschusses alsMittel zur Informationsbeschaffung, des Einsatz der allgemeinen Mitwirkungstatbe-stände des § 80 BetrVG und das Unterrichtungsrecht des Betriebsrats bei der Personal-planung. Zudem sollte der Betriebsrat es nicht scheuen, sich auch der Belegschaft alsInformationsquelle zu bedienen.

So verraten z.B. Umsatzeinbußen, Gewinneinbrüche, steigende Aufwendungen, zu-nehmende Verschuldung, Liquiditätseinbußen, rückläufiges Eigenkapital und ver-schärfte Konkurrenzsituationen frühzeitig, dass die Arbeitgeber bald auf die „Idee“kommen werden, das „Steuer herumzureißen“. Ebenso können dies Investitionsplanun-gen und Beschaffungsplanungen verraten.

47 OLG Stuttgart, vom 22.11.1984, AuR 1985, 293;48 LAG Frankfurt am Main, Beschluss vom 27.10.1987, AiB 1993, 637;49 BAG, Beschluss vom 26.10.1982, EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 15; ETZEL, aaO., Rn. 995;50 FESTL, aaO., § 111, Rn. 90; GK-FABRICIUS-OETKER, aaO., § 111, Rn. 108; BAG, Be-schluss vom 17.12.1985, AP Nr. 15 zu § 111 BetrVG 1972;51 FESTL, aaO., § 111, Rn. 98;

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Raum für Ihre Notizen:

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Der Interessenausgleich und der Nachteilsausgleich

Unterrichtung des Betriebsrats, Beratung und Interessenausgleich

Über geplante Betriebsänderungen hat der Unternehmer den Betriebsrat rechtzeitig52

und umfassend53 zu unterrichten und sie mit dem Betriebsrat zu beraten (§ 111 S. 1BetrVG).

Praxistipp:

Daneben ist ggf. auch der Wirtschaftsausschuss zu unterrichten und die Betriebsände-rung mit ihm zu beraten54. Besteht die Betriebsänderung lediglich in der Durchführungeiner Massenentlassung nach § 17 KSchG, so ist der Betriebsrat zudem nach § 17Abs. 2 S. 1 KSchG zu beteiligen55.

Der Betriebsrat kann in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern zu seiner Unter-stützung ein Berater hinzuziehen (§ 111 S. 2 BetrVG); in kleineren Unternehmen istdie Hinzuziehung eines Sachverständigen nur nach Maßgabe des § 80 Absatz 3BetrVG möglich. In Fällen des § 111 S. 2 BetrVG braucht sich der Betriebsrat in kei-nem Fall auf betriebs- oder unternehmensinterne Berater verweisen lassen56. Er kannauch mehr als einen Berater hinzuziehen, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist57. EinSachverständiger sowohl im Sinne von § 111 S. 2 BetrVG, als auch im Sinne von § 80Abs. 3 BetrVG kann auch etwa ein Rechtsanwalt sein58.

Der Gesamtbetriebsrat ist für die Unterrichtung und Beratung (originär) zuständig,wenn die geplante Betriebsänderung sämtliche Betriebe des Unternehmens betrifft. DerUnterrichtungsanspruch besteht aber nur für Planungen des Arbeitgebers, und nicht fürPlanung des beherrschenden Unternehmens innerhalb eines Konzerns59. Im Falle vonBetriebsänderungen, die unternehmensübergreifend stattfinden (sollen), kann der Kon-zernbetriebsrat entsprechende Unterrichtungsansprüche geltend machen.

Praxistipp:

Bei Zusammenschluss und Spaltung von Betrieben innerhalb eines Unternehmens istregelmäßig der Gesamtbetriebsrat zuständig. Innerhalb eines Konzerns ist der Kon-zernbetriebsrat zuständig60.

Die Frage, ob der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat originär zuständig ist, ist häufigschwierig zu beurteilen. Im Zweifelsfall macht es daher sinn, wenn die jeweils nach-rangigen Betriebsräte den Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat mit der Durchführung von

52 FESTL, aaO., § 111, Rn. 107 ff.;53 FESTL, aaO., § 111, Rn. 111 ff.;54 FESTL, aaO., § 111, Rn. 102;55 FESTL, aaO., § 111, Rn. 102, m.w.N.;56 FESTL, aaO., § 111, Rn. 122;57 FESTL, aaO., § 111, Rn. 121;58 FESTL, aaO., § 111, Rn. 120, m.w.N.;59 LAG Köln, Beschluss vom 19.8.19 98 AP Nr. 10 zu § 98 ArbGG 197960 FESTL, aaO., § 111, Rn. 84; BAG, Beschluss vom 24.01.1996, AP Nr. 16 zu § 50 BetrVG1972;

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Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu beauftragen, dann ist die Frageder Zuständigkeit eindeutig geklärt: Hat nämlich der „falsche“ Betriebsrat den Interes-senausgleich und Sozialplan verhandelt, so ist dieser unwirksam. Die Frage, wer aufBetriebsratsseite zuständig ist, ist also von ganz erheblicher Bedeutung.

"Rechtzeitig" ist die Unterrichtung grundsätzlich nur, wenn noch vor der Durchfüh-rung der Betriebsänderung ein Sozialplan erstellt und alle Möglichkeiten zurHerbeiführung eines Interessenausgleichs zwischen Unternehmer und Betriebsraterschöpft werden können, zudem muss der Betriebsrat noch die tatsächliche Mög-lichkeit haben, auf das „Ob“ und „Wie“ der Betriebsänderung Einfluss zu neh-men61. Die Unterrichtungspflicht des Unternehmers besteht aber erst dann, wenn derArbeitgeber ein bestimmtes Konzept zur Betriebsänderung entwickelt hat, dass er zuverwirklichen beabsichtigt62. Vorüberlegungen der Arbeitgeberseite sind nicht mitbe-stimmungspflichtig63.

Beachte: Die nicht rechtzeitige oder nicht vollständige Unterrichtung des Betriebsratsdurch den Unternehmer stellt eine Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 121 BetrVG dar,die mit einer Geldbuße bis zu 10.000,00 € geahndet werden kann.

Zwingt die wirtschaftliche Lage den Unternehmer zu plötzlichen Maßnahmen, ist derBetriebsrat im frühest möglichen Zeitpunkt zu unterrichten.

Zur "umfassenden" Unterrichtung des Betriebsrats gehört nicht nur die Mitteilungüber den Inhalt der geplanten Änderung, sondern auch die Darlegung, welcheAuswirkungen die geplante Betriebsänderung auf die Arbeitnehmerschaft hat.Der Betriebsrat kann verlangen, dass ihm alle für die geplante Betriebsänderung maß-geblichen Daten mitgeteilt werden, nicht jedoch solche Daten, die für die Planung kei-ne Rolle gespielt haben64. Das Informationsrecht des Betriebsrats wird durch Vorschrif-ten des Datenschutzes nicht eingeschränkt65. Hat der Arbeitgeber zwischen mehrerenAlternativen gewählt, so muss er jedoch dem Betriebsrat über sämtliche Alternativenunterrichten66. Der Arbeitgeber hat im Rahmen der Unterrichtung dem Betriebsrat auchsämtliche relevanten Unterlagen vorzubereiten67.

Praxistipp:

Wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht rechtzeitig und umfassend unterrichtet,kann der Betriebsrat einerseits beim Arbeitsgericht ein Beschlussverfahren (einstweili-ge Verfügung und Hauptsacheverfahren) einleiten, mit dem Ziel, dem Arbeitgeber dieDurchführung der Betriebsänderung bis zum Abschluss des Mitbestimmungsverfahreszum Zustandekommen eines Interessenausgleichs und Sozialplans bei Vermeidung ei-nes empfindlichen Ordnungsgeldes oder Ordnungshaft zu untersagen. Gleichzeitigkann der Betriebsrat ein Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 121 BetrVG einleiten.Also: Hier gilt: Die Zeit arbeitet für den Betriebsrat. Wenn der Arbeitgeber versucht,

61 FESTL, aaO., § 111, Rn. 107; BAG, Beschluss vom 14.09.1976, AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG1972;62 FESTL, aaO., § 111, Rn. 107;63 LAG Düsseldorf, Beschluss vom 27.8.1985 NZA 1986, 37164 LAG Hamm, Beschluss vom 5.3.1986, 198665 ArbG Düsseldorf Beschluss vom 4.2.1992, AiB 1992, 65466 FESTL, aaO., § 111, Rn. 111;67 FESTL, aaO., § 111, Rn. 111;

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die Betriebsänderung „am Betriebsrat vorbei“ durchzuführen, kann der Betriebsratdies unterbinden, bis die Verhandlungen zwischen dem Betriebsparteien abgeschlossensind. Der „auf Zeit spielende“ Betriebsrat befindet sich also in einer relativ guten Ver-handlungsposition.

Unternehmer und Betriebsrat sollen mit dem Ziel beraten, einen Interessenausgleichüber die geplante Betriebsänderung zu erreichen. Der Arbeitgeber trägt die Initiativlastzum Versuch eines Interessenausgleichs. Gegenstand des Interessenausgleichs sindRegelungen darüber, ob, wann und in welcher Form die vom Unternehmer ge-plante Betriebsänderung durchgeführt werden soll68. Gegenstand des Interessen-ausgleichs ist ausschließlich die konkret geplante Betriebsänderung. Ist sie bereitsdurchgeführt, ist für einen Interessenausgleich kein Raum mehr, es kommt das nurnoch ein Nachteilsausgleich gem. § 113 BetrVG in Betracht69. Einigen sich die Be-triebsparteien darüber, in welcher Weise die wirtschaftlichen Nachteile der von dergeplanten Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern ausgeglichen oder gemindertwerden sollen, kann darin auch schon ein Interessenausgleich liegen, nämlich die Eini-gung darüber, dass die Betriebsänderung - so wie geplant - durchgeführt werden soll70.Im Interessenausgleich können auch Maßnahmen - Kündigungsverbote, Versetzungs-,Umschulungspflichten u.ä. - vereinbart werden, durch die wirtschaftliche Nachteile fürdie von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer nach Möglichkeit verhindertwerden. Solche Maßnahmen können jedoch nicht Inhalt eines Spruchs der Einigungs-stelle über den Sozialplan sein71. Soweit im Interessenausgleich eine Regelung zurAbwendung wirtschaftlicher Nachteile (z.B. die Abfindungszahlungen) enthalten sind,handelt es sich in Wirklichkeit um eine Sozialplanreglung, die individuelle Ansprücheder Arbeitnehmer begründet.

Ein Interessenausgleich ist nur für konkret geplante Maßnahmen, nicht aber für nurim groben Umrissen abschätzbare Entwicklungen zulässig. In einem solchen Fall kannsich der Arbeitgeber dann bei der Durchführung dieser Maßnahme nicht auf einen sol-chen unzulässigen Interessenausgleich berufen. Das bedeutet, ein Interessenausgleichkann nicht gewissermaßen auf „Vorrat“ von den Betriebsparteien vereinbart werden72.Demgegenüber kann ein Sozialplan auch für künftige Betriebsänderungen abgeschlos-sen werden.

Kommt zwischen Unternehmer und Betriebsrat ein Interessenausgleich zu Stan-de, ist dieser schriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und Betriebsrat zuunterschreiben (§ 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Schriftform und Unterzeichnung sindWirksamkeitsvoraussetzungen. Ein mündlich vereinbarter Interessenausgleich ist un-wirksam.

Der Interessenausgleich kann in der uneingeschränkten Zustimmung des Betriebsratszur geplanten Betriebsänderung bestehen; der Interessenausgleich kann die vom Ar-beitgeber geplante Betriebsänderung aber auch modifizieren. Je nach Art der Betriebs-änderung kommen im Interessenausgleich unterschiedliche Regelungen in Betracht.Veränderungen der ursprünglichen Planung können in zeitlicher, qualitativer, quantita-

68 BAG, Beschluss vom 27.10.1987, EzA §112 BetrVG 1972 Nr. 41; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 16;69 FESTL, aaO., § 112, 112a, Rn. 12;70 BAG, vom 20.4.1994 EzA § 113 BetrVG 1972 Nr. 2271 BAG, v. 17.09.1991 EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 5872 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 15;

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tiver Hinsicht vereinbart werden, z.B. Betriebseinschränkung statt Stilllegung, Kündi-gungsverbote, Entlassungstermine, Freistellungen, Maßnahmen zur menschengerechtenArbeitsplatzgestaltung, Umschulungs-, Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnah-men73.

Praxistipp:

Der Betriebsrat sollte es sich keinesfalls nehmen lassen, eigene Alternativen zu dervom Arbeitgeber angekündigten Betriebsänderung zu entwickeln. Oft ist der Betriebs-rat und die Belegschaft mit den betrieblichen Problemen und Gegebenheiten viel nähervertraut als die Geschäftsleitung. Sie können aus der betrieblichen Praxis oft Verbesse-rungsvorschläge machen, die ebenfalls etwa Einspareffekte erzielen, aber die Beleg-schaft weit weniger belasten, als etwa die von der Arbeitgeberseite angestrebten Ent-lassungen.

Insbesondere bei Teilstilllegungen oder bei reinem Personalabbau können in einemInteressenausgleich auch Auswahlrichtlinien für die erforderlichen Kündigungen imSinne von § 95 Abs. 1 S. 1 BetrVG vereinbart werden74.

Praxistipp:

Die Vereinbarung von Auswahlrichtlinien macht auch deshalb Sinn, um so die Ver-schlechterung der Rechtsposition der Arbeitnehmer durch die Novellierung des Kündi-gungsschutzgesetzes seit dem 1.1.2004 auszugleichen. Seit dem 1.1.2004, sind in derSozialauswahl nach § 1 KSchG nur noch die dort abschließend genannten KriterienLebensalter, Betriebszugehörigkeitsdauer und Unterhaltsverpflichtungen zu berück-sichtigen, weitere soziale Aspekt finden keine Berücksichtung mehr. Zudem kann derArbeitgeber so genannte „Leistungsträger“ (Wer ist das? Dieser unbestimmte Rechts-begriff lässt dem Arbeitgeber viel „Raum“ für Interpretationen, die letztlich dazu füh-ren, dass die Sozialauswahl „auf den Kopf gestellt“ wird)) von der Sozialauswahl aus-schließen, mit dem Effekt, dass der an sich sozial schutzwürdigere zu kündigen ist, umden „Leistungsträger“ zu schonen. In der Auswahlrichtlinie ist es möglich weitereSozialauswahlkriterien zu vereinbaren (etwa die häusliche Pflege behinderter oderpflegebedürftiger Angehöriger, besondere Schuldenlasten etc.), zudem kann die„Leistungsträgerklausel“ ausgeschlossen werden. Als zusätzliche Kriterien der Sozi-alauswahl kommen z.B. in Betracht: Verstärkte Schutzwürdigkeit von „Alleinverdie-nern“ im Verhältnis zu „Doppelverdienern“, Verstärkte Schutzwürdigkeit von Arbeit-nehmern, die nahe Angehörige in häuslicher Gemeinschaft pflegen. Die Verankerungweiterer Sozialauswahlkriterien darf jedoch nicht zu einer kompletten Umkehrung desErgebnisses einer Sozialauswahl entsprechend der gesetzlichen Regelung des Kündi-gungsschutzgesetzes führen. Rechtlich unproblematisch sind lediglich „Modifikatio-nen“ der gesetzlichen Regelung. Das Hauptgewicht im Verhältnis der Sozialauswahl-kriterien zueinander muss bei einer Auswahlrichtlinie jedenfalls bei den gesetzlichenKriterien des Kündigungsschutzgesetzes liegen (Betriebszugehörigkeitsdauer, Lebens-alter, Unterhaltsverpflichtungen, Schwerbehinderung).

Kommt zwischen Unternehmer und Betriebsrat kein wirksamer Interessenausgleich zuStande, sei es, dass der Unternehmer und der Betriebsrat sich nicht einigen oder eineEinigung nicht schriftlich niederlegen und unterzeichnen, sei es dass der Betriebsrat

73 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 20;74 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 21;

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untätig bleibt oder auf das Verhandlungsangebot des Unternehmers nicht eingeht, kön-nen der Unternehmer oder der Betriebsrat (im Insolvenzfall nur gemeinsam, § 121 In-sO) den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen (§ 112Abs. 2 S. 1 BetrVG)75.

Es kann auch die Einigungsstelle angerufen werden (§ 112 Abs. 2 S. 2 BetrVG). Dadas Gesetz die Anrufung der Einigungsstelle durch Arbeitgeber oder Betriebsrat aus-drücklich vorsieht, handelt es sich nicht um ein freiwilliges Einigungsstellenverfahren,auf das sich der Betriebspartner nicht einzulassen braucht. Deshalb kommt – wenn et-wa Streit über die Zuständigkeit oder Besetzung der Einigungsstelle zwischen den Be-triebsparteien besteht – auch ein gerichtliches Bestellungsverfahren nach § 76 BetrVG,§ 98 ArbGG in Betracht. Die Einigungsstelle kann vom Unternehmer oder Betriebsratauch angerufen werden, ohne das vorher der Vorstand der Bundesagentur für Arbeitum Vermittlung ersucht wurde. Im Verfahren vor der Einigungsstelle kann deren Vor-sitzender den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit ersuchen, an der Verhandlungteilzunehmen (§ 112 Abs. 2 S. 3 BetrVG). Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeitmuss diesem Ersuchen nachkommen; er ist in der Verhandlung nicht stimmberechtigt,sondern er hat die Funktion eines Beraters und Sachverständigen. Kommen die Be-triebsbetriebsparteien in der Einigungsstelle zu einem Interessenausgleich, so ist erschriftlich nieder zu legen und von Unternehmern, dem Betriebsrat und dem Vorsitzen-den der Einigungsstelle zu unterschreiben (§ 112 Abs. 3 S. 3 BetrVG). Kommt vor derEinigungsstelle keine Einigung zu Stande, ist die Einigungsstelle nicht befugt, ei-nen Spruch über den Interessenausgleich zu fällen, sie kann nur durch BeschlussVorschläge hinsichtlich der von dem Arbeitgeber geplanten Betriebsänderungmachen. Daran ist der Arbeitgeber jedoch nicht gebunden. Vielmehr kann er nunmehreinseitig die geplanten Maßnahmen durchführen, ohne dass er nach § 113 BetrVG zurZahlung von Abfindungen oder Ausgleichsbeträgen an von den Maßnahmen betroffeneArbeitnehmer verpflichtet wäre. Unabhängig vom Zustandekommen oder Nichtzustan-dekommen eines Interessenausgleichs bestehen aber Verpflichtungen des Unterneh-mens auf Grund eines Sozialplans.

Praxistipp:

1. Die Anrufung des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit führt in den meistenFällen lediglich zu einer Verzögerung der Verhandlungen (was ggf. von der einenoder anderen Betriebspartei durchaus erwünscht sein kann), er kann nur versuchenzwischen den Betriebsparteien zu vermitteln und seinen Sachverstand als Sachver-ständiger einzubringen (betreffend Fragen, welche Förderungsmöglichkeiten fürbetroffne Arbeitnehmer die Bundesagentur für Arbeit den betroffenen Arbeitneh-mern zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit anbieten kann). Der Interessenausgleichist zwar auch in der Einigungsstelle nicht erzwingbar, aber in der Praxis werdenInteressenausgleich und Sozialplan in der Regel zusammen in einer Einigungsstelleverhandelt, der Sozialplan ist jedoch auch in der Einigungsstelle erzwingbar, sodass der Betriebsrat Zugeständnisse des Arbeitgebers beim Interessenausgleichdurch eigene Zugeständnisse beim Sozialplan „erkaufen“ kann. Damit wird er-sichtlich, dass das Verhandeln des Interessenausgleichs in der Einigungsstelle ge-genüber der Verhandlung des Interessenausgleichs unter Hinzuziehung des Vor-standes der Bundesagentur für Arbeit außerhalb der Einigungsstelle vorzugswürdigist. Demgegenüber kann es allerdings sehr sinnvoll sein, wenn die Einigungsstelle

75 Hierzu im Einzelnen: FESTL, aaO., § 112, 112a, Rn. 29 ff.;

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den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit hinzuzieht76. Der entsprechende Vertre-ter der Bundesagentur nimmt dann als Sachverständiger an den Beratungen derEinigungsstelle teil. Er kann der Einigungsstelle verbindliche Auskunft darüber ge-ben, welche Unterstützungsmöglichkeiten für die betroffenen Arbeitnehmer nachdem SGB III seitens der Bundesagentur für Arbeit in Betracht kommen (Förde-rungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit, etwa Gründung einer Be-schäftigungsgesellschaft, Umschulungen, Qualifizierungsmaßnahmen etc.).

2. Das „Problem“ für den Betriebsrat bei der Verhandlung des Interessenausgleichist, dass der Betriebsrat zwar die Einigungsstelle anrufen kann, wenn er sich mitdem Arbeitgeber nicht auf einen Interessenausgleich verständigen kann, aber auchdie Einigungsstelle den Interessenausgleich nicht durch Spruch der Einigungsstellegegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen kann. Der Arbeitgeber hat also eineverhältnismäßig starke Verhandlungsposition. Deshalb muss der Betriebsrat stetsdarauf achten, den Interessenausgleich und Sozialplan nicht getrennt voneinander,sondern immer im „Paket“ zusammen zu verhandeln. Im Gegensatz zum Interes-senausgleich ist der Sozialplan nämlich auch gegen den Willen des Arbeitgeberserzwingbar (durch Spruch der Einigungsstelle), das bedeutet, dass der Betriebsratversuchen kann, Zugeständnisse des Arbeitgebers bei den Verhandlungen des Inte-ressenausgleichs durch Zugeständnisse des Betriebsrats bei den Sozialplanver-handlungen zu „erkaufen“. Darüber hinaus ist die Verhandlung von Interessenaus-gleich und Sozialplan im „Paket“ auch deshalb sinnvoll, weil beide Regelungsge-genstände voneinander abhängig sind: Erst wenn das „Ob, Wann und Wie“ derBetriebsänderung feststeht (Interessenausgleich), steht auch fest welche Nachteilefür die Arbeitnehmer im Rahmen des Sozialplans ausgeglichen werden müssen77.

3. Bei der Anrufung der Einigungsstelle muss der Betriebsrat also darauf achten,dass die Einigungsstelle immer wegen des Interessenausgleichs und des Sozialplansgleichzeitig angerufen wird. Die Einigungsstelle kann beide Gegenstände gleichzei-tig verhandeln78, was die Verhandlungsposition des Betriebsrats bei der Verhand-lung des Interessenausgleichs wesentlich verbessert.

Rechtsnatur und Wirkungen des Interessenausgleichs

Über die Rechtsnatur des Interessenausgleichs schweigt das Gesetz. Weitgehend Einig-keit besteht darüber, der Interessenausgleich keine Betriebsvereinbarung ist (dies ergibtsich aus dem Umkehrschluss aus § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Die Rechtsprechung gehtdavon, aus, dass der Interessenausgleich eine kollektive Vereinbarung besonderer Artist79.

Umstritten in Rechtsprechung und Schrifttum ist die Frage, ob der Betriebsrat einengerichtlich durchsetzbaren Anspruch gegen den Arbeitgeber hat, die Betriebsänderungso, wie im Interessenausgleich vorgesehen, durchzuführen und davon abweichendeMaßnahmen zu unterlassen. Überwiegend wird ein derartiger Anspruch grundsätzlich

76 ROLFS, NZA 1998, 20;77 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 108;78 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 45;79 BAG, Beschluss vom 20.04.1994, AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG 197; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 50;

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verneint80. Entscheidend dürfte aber die Auslegung der im jeweiligen Einzelfall zwi-schen den Betriebsparteien getroffenen Vereinbarungen sein81.

Praxistipp:

Der Betriebsrat sollte bei den Interessenausgleichverhandlungen darauf hinwirken, inden Interessenausgleich eine Klausel aufzunehmen, die es dem Betriebsrat erlaubt, dieDurchführung der Betriebsänderung nach dem Interessenausgleich zu erzwingen.

Grundsätzlich entfaltet ein Interessenausgleich keine normative Wirkung, d.h. einzel-nen Arbeitnehmern gewährt er keinen einklagbaren Rechtsanspruch82. Häufig enthaltenjedoch Vereinbarungen über einen Interessenausgleich nicht nur Regelungen über dieDurchführung der Betriebsänderung selbst, sondern auch Folgeregelungen, die ihrerArt nach Geltung auch für die Arbeitsverhältnisse beanspruchen und den Arbeitneh-mern Rechte oder Ansprüche einräumen (z.B. Kündigungsverbote, Anspruch auf Um-schulungsmaßnahmen etc.). Ein derartiger „qualifizierter“ Interessenausgleich isteine gemischte Vereinbarung, die auch die Rechtsnatur einer freiwilligen Betriebsver-einbarung aufweist83.

Interessenausgleich im Insolvenzverfahren84

Im Insolvenzfall obliegt dem Insolvenzverwalter die Unterrichtungs- und Beratungs-pflicht85. Kommt hierbei trotz rechtzeitiger und umfassender Unterrichtung durch denInsolvenzverwalter nicht innerhalb von 3-Wochen nach Verhandlungsbeginn ohneschriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleichzu Stande, kann der Verwalter die Zustimmung des Arbeitsgerichts zur Betriebsände-rung beantragen, ohne das Einigungsverfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchführenzu müssen. Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung zu erteilen, wenn es die wirtschaft-liche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange derArbeitnehmer erfordert, die Betriebsänderung ohne vorheriges Einigungsverfahrennach § 111 Abs. 2 BetrVG durchzuführen (§ 122 Abs. 1 und 2 InsO). Einen Abfin-dungsanspruch der Arbeitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG kommt dann nicht in Be-tracht (§ 122 Abs. 1 S. 2 InsO).

Praxistipp:

Die o.g. 3-Wochenfrist ist unbedingt zu beachten, wenn der Betriebsrat nicht Gefahrlaufen will, dass die Betriebsänderung auch ohne Interessenausgleich zustande kom-men kann. Die 3-Wochenfrist bedeutet eine ganz erhebliche Verschlechterung der Ver-handlungsposition des Betriebsrats, weil hier die Zeit nicht für, sondern gegen den Be-triebsrat arbeitet.

80 BAG, Beschluss vom 28.08.1991, AP Nr. 2 zu § 85 ArbGG 1979; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 51;81 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 51;82 BAG, vom 20.04.1994, AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG 1972; BAG, vom 23.09.2003 – 1 AZR576/02 –; FESTL, aaO., § 112, 112a, Rn. 52;83 BGH NJW 2001, 439; FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 52;84 Ausführlich hierzu: FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 54 ff.;85 FESTL, aaO., § 111, Rn. 106;

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Nach § 125 Abs. 1 InsO können die Betriebsparteien im Interessenausgleich eine Na-mensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer vereinbaren. Die Arbeitnehmer, die aufdieser Namensliste bezeichnet sind, können in Kündigungsschutzverfahren nur nochdie grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl einwenden. Ansonsten wird die sozialeRechtfertigung der betriebsbedingten Kündigung vermutet. Dies bedeutet eine erhebli-che Schlechterstellung der betroffenen Arbeitnehmer. Dies gilt nicht, soweit sichdie Sachlage nach dem zu Stande kommen des Interessenausgleichs wesentlich geän-dert hat (§ 1 Abs. 5 KSchG). Die Sozialauswahl ist nur dann grob fehlerhaft, wenn dieGewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhalspflichten jedeAusgewogenheit vermissen lässt86. Das bedeutet, dass „leichtere Fehler“ für die Wirk-samkeit der Kündigung gänzlich unbeachtlich sind. Somit hat der Arbeitnehmer, der inder Namensliste benannt ist, nur noch geringe Aussichten, sich mit Erfolg mit einerKündigungsschutzklage gegen die nach dem Interessenausgleich ausgesprochene Kün-digung zu wehren87. Die betroffenen Arbeitnehmer sind also weitgehend schutzlos ge-stellt, selbst wenn die Betriebsparteien bei der Aufstellung der Namensliste „leichte“Fehler gemacht haben. Allerdings entbindet die Namenliste den Arbeitgeber nicht vonder Pflicht, dem Arbeitnehmer die Gründe der Sozialauswahl im Einzelnen offen zulegen (§ 1 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 KSchG). Unterlässt der Arbeitgeber dies, ist die Kündi-gung ohne weiteres unwirksam88.

Die Sicherung und Durchsetzung der Interessen des Betriebsrats undder Arbeitnehmerschaft

Die kollektivrechtliche Sicherung und Durchsetzung

Setzt der Arbeitgeber die Betriebsänderung einfach um, ohne den Be-triebsrat nach §§ 111 ff. BetrVG zu beteiligen, so kann der Betriebsratzur Sicherung seiner Beteiligungsrechte den Arbeitgeber nach umstrit-tener Auffassung auf Unterlassung der Umsetzung der Betriebsände-rung bis zum Abschluss des Verfahrens über den Abschluss von Inte-ressenausgleich und Sozialplan durch Einleitung eines entsprechendenBeschlussverfahrens vor dem Arbeitsgericht in Anspruch nehmen. DerBetriebsrat kann beantragen, dass der Arbeitgeber die Umsetzung der Be-triebsänderung solange zu unterlassen hat, bis das Mitbestimmungsverfah-ren zum Zustandekommen von Interessenausgleich und Sozialplan abge-schlossen ist.

Ø Der so genannte allgemeine Unterlassungsanspruch wird u.a. be-jaht von: LAG Berlin, Beschluss vom 07.09.1995, AP Nr. 36 zu§ 111 BetrVG 1972; LAG Hamburg, Beschluss vom 26.06.1997,NZA-RR 1997, 196; LAG Thüringen, Beschluss vom 26.09.2000,LAGE BetrVG 1972 § 111 Nr. 17; ZWANZIGER, BB 1998, 480;FISCHER, AuR 1995, 17; jeweils m.w.N.

Ø Der allgemeine Unterlassungsanspruch wird u.a. verneint von:LAG Düsseldorf, Beschluss vom 19.11.1996, LAGE § 111 BetrVG1972 Nr. 14; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.01.1992,

86 BAG, vom 21.01.1999, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969; FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 21h;87 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 21i;88 BAG, Beschluss vom 10.02.1999, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste;

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LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 11; HOHENSTATT, NZA 1998, 846,850 f.; FESTL, aaO., § 111 Rn. 133 ff.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich zu dieser Frage bislang noch nicht geäu-ßert. Zu den Mitbestimmungsrechten nach § 87 BetrVG (Mitbestimmung insozialen Angelegenheiten) hat das BAG allerdings das bestehen eines all-gemeinen Unterlassungsanspruchs bejaht89. Für das Bestehen eines solchenallgemeinen Unterlassungsanspruchs kommt es nach Auffassung des BAGauf die Bedeutung und die Struktur des jeweiligen betroffenen Mitbestim-mungsrechtes in jedem Einzelfall an.

Die Frage nach dem Bestehen eines solchen „allgemeinen Unterlassungsan-spruchs“ des Betriebsrats bei mitbestimmungswidrigem Verhalten des Ar-beitgebers, ist deshalb von erheblicher praktischer Bedeutung, weil der imBetrVG geregelte Unterlassungsanspruch (§ 23 BetrVG) als besondere Tat-bestandsvoraussetzung eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers vor-sieht. Ohne eine solche kommt ein Unterlassungsanspruch des Betriebsratsnach § 23 BetrVG regelmäßig nicht in Betracht. Also scheitert in diesen Fäl-len der Unterlassungsanspruch nach § 23 BetrVG, wenn der Arbeitgerberzwar Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verletzt hat, aber diese Verlet-zung nicht „grob“ war. Demgegenüber sieht der allgemeine Unterlassungs-anspruch eine solche Beschränkung auf nur grobe Pflichtverletzung nichtvor; hier würde bereits eine „leichte“ Verletzung der Mitbestimmungsrechtedes Betriebsrats genügen, um einen „allgemeinen“ Unterlassungsanspruchgegen den Arbeitgeber zu begründen. Nur mit dem besonderen Unterlas-sungsanspruch nach § 23 BetrVG sind also die Interessen des Betriebsratsnur völlig unzureichend gesichert.

Nunmehr haben sich in ihrer nunmehr (Frühjahr 2004) erschienen 22. Auf-lage auch FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER der Gruppederer angeschlossen, die davon ausgehen, dass dem Betriebsrat ein allge-meiner Unterlassungsanspruch gegenüber Arbeitgebern die Beteiligungs-rechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG missachten, nicht zusteht90.Sie begründen ihre Auffassung – etwas vereinfacht formuliert – damit, dassdas BAG zum allgemeinen Unterlassungsanspruch entschieden habe, dassdieser nur dann entsteht, wenn es die besondere Struktur des betroffenenMitbestimmungsrechts gebietet. Positiv entschieden habe das BAG dies bis-lang nur für die Fälle des § 87 BetrVG, einem „echten“, d.h. erzwingbarenMitbestimmungsrecht. Ein erzwingbarer Anspruch des Betriebsrats auf Ab-schluss eines Interessenausgleichs bestehe nach allgemeiner Auffassung a-ber gerade nicht (siehe oben). Also sei das Beteiligungsrecht des Betriebs-rats nach § 111 BetrVG eben gerade kein „echtes“, also erzwingbares Mit-bestimmungsrecht, was es rechtfertige, den allgemeinen Unterlassungsan-spruch des Betriebsrats in diesem Fall zu verneinen. Darüber hinaus habeder Gesetzgeber entsprechende Gesetzgebungsinitiativen der PDS und ent-sprechende Vorschläge des DGB im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrenszur Novellierung des BetrVG im Jahre 2001 gerade ausdrücklich abge-

89 Grundlegend zum allgemeinen Unterlassungsanspruch in den Fällen des § 87 BetrVG: BAG,Beschluss vom 03.05.1994, AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG;90 Vgl. FESTL, aaO., § 111, Rn. 135, die in der Vorauflage noch die gegenteilige Auffassungvertreten haben (vgl. 21. Aufl.; § 111, Rn. 132 ff.);

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lehnt91. FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER erkennen dabeiselbst, dass dies zu einer erheblichen Einschränkung der Sicherungsinteres-sen des Betriebsrats führt92. Sie greifen daher zu einem „Trick“, um dadurchzu versuchen, die Lücke im Rechtsschutz für den Betriebsrat wieder zuschließen: Nach § 111 BetrVG hat der Betriebsrat – wie oben bereits erläu-tert – einen Anspruch auf rechtzeitige und umfassende Unterrichtung überdie Betriebsänderung. FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIERgehen nunmehr davon aus, dass dieser Informationsanspruch auch im Wegeder einstweiligen Verfügung durchsetzbar ist. Zur Sicherung des Informati-onsanspruches könne das Arbeitsgericht nach freiem Ermessen diejenigenMaßnahmen anordnen, die zum Schutz und zur Durchsetzung es Unterrich-tungsanspruchs erforderlich seien; hierzu könne im Einzelfall auch gehören,dass das Gericht nach seinem freien Ermessen die Unterlassung der Be-triebsänderung bis zur Erfüllung des Unterrichtungs- und Beratungsan-spruchs anordnet93.

Die nunmehr auch von FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIERvertretene Meinung, dass in Fällen arbeitgeberischer Verstöße ein allgemei-ner Unterlassungsanspruch nicht bestehe, ist abzulehnen. Dies ergibt sicheinerseits aus der Erwägung, dass andernfalls ein effektiver Rechtsschutz fürden Betriebsrat nicht mehr gewahrt wäre. Darüber hinaus, verkennen dieje-nigen, die den allgemeinen Unterlassungsanspruch ablehnen, dass zwar derAbschluss eines Interessenausgleiches tatsächlich nicht erzwingbar ist, aberdie Betriebsparteien dennoch in den Fällen in denen sie sich über einen Inte-ressenausgleich nicht einigen können, die Einigungsstelle anrufen können,was das Beteiligungsrecht seiner Wertigkeit nach jedenfalls in die „Nähe“der Beteiligungsrechte nach § 87 BetrVG rückt, für den das Bestehen allge-meiner Unterlassungsansprüche von der Rechtsprechung des BAG94 aner-kannt ist. Wenn FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER argu-mentieren, der Gesetzgeber habe bei der Novellierung entsprechende Ge-setzgebungsvorschläge, die eine ausdrückliche Normierung des allgemeinenUnterlassungsanspruchs vorsahen, nicht in die Novelle 2001 übernommen95,so spricht dies nicht dafür, dass der Gesetzgeber den allgemeinen Unterlas-sungsanspruch als solchen ablehnte, sondern nur dafür, dass er die Ausges-taltung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs nicht im Gesetzgebungs-verfahren regeln wollte, sondern dies der Rechtsprechung überlassen wollte.Folgte man der Auffassung von FITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LIN-SENMAIER, so würde dies bezüglich einem einstweiligen Verfügungsantragwegen der Verletzung des bloßen Unterrichtungsanspruchs des Betriebs-rats96 möglicherweise folgende Konsequenzen haben: Die Durchsetzung desUnterrichtungsanspruchs im einstweiligen Verfügungsverfahren kann imEinzelfall schwierig sein, da die Vorwegnahme der sog. Hauptsache imeinstweiligen Verfügungsverfahren problematisch ist Zudem steht die Aus-wahl der Maßnahmen, die zur Erreichung des Sicherungszwecks erforder-lich sind, im freien Ermessen des erkennenden Gerichts. Die Durchsetzung

91 FESTL, aaO., § 111, Rn. 135;92 FESTL, aaO., § 111, Rn. 137;93 FESTL, aaO., § 111, Rn. 138;94 BAG, Beschluss vom 03.05.1994, AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG;95 FESTL, aaO., § 111, Rn. 135;96 FESTL, aaO., § 111, 138;

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der Unterlassung der Durchführung der Betriebsänderung bis zum Ab-schluss des Beteiligungsverfahrens des Betriebsrats ist also nach der vonFITTING/ENGELS/SCHMIDT/TREBINGER/LINSENMAIER vertretenen Auffas-sung mehr als fraglich. Daher ist die den allgemeinen Unterlassungsan-spruch bejahende Auffassung vorzugswürdig.

Praxistipp:

Der Betriebsrat sollte sich von dem o.g. Streit über das (Nicht-)Bestehen desallgemeinen Unterlassungsanspruchs nicht „beeindrucken“ lassen. Durchdie (erfolgreiche) Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs bringt sichder Betriebsrat in eine starke Verhandlungsposition, weil der Arbeitgeberdie Durchführung der Betriebsänderung erst fortsetzen kann, wenn das Mit-bestimmungsverfahren zum Zustandekommen des Interessenausgleichs undSozialplans abgeschlossen ist. Über die Erfolgsaussichten sollte sich derBetriebsrat dabei nicht allzu viele „Sorgen“ machen, denn er hat nichts zuverlieren, nur (im Hinblick auf die Stärkung seiner Verhandlungsposition)etwas zu gewinnen.

Zur Einleitung dieser Beschlussverfahren vor dem zuständigen Arbeitsge-richt sollte sich der Betriebsrat auf jeden Fall anwaltlicher Hilfe bedienen,da die Antragstellung in diesen Verfahren mitunter kompliziert ist und hier-von die Erfolgsaussichten des Betriebsrats in diesem Verfahren entschei-dend abhängen können.

Soweit sich der Arbeitgeber nicht mit der Einrichtung einer Einigungsstelleeinverstanden erklärt oder der Arbeitgeber oder der Betriebsrat sich nichtauf die Person des Einigungsstellenvorsitzenden oder die Anzahl der Eini-gungsstellenbeisitzer einigen können, kann gem. § 98 ArbGG ein Eini-gungsstelleneinsetzungsverfahren eingeleitet werden97.

Die individualrechtliche Sicherung

Unterlässt der Arbeitgeber bei einer Betriebsänderung den Versuch eines In-teressenausgleichs, führt dies gem. § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG dazu, dassdie betroffenen Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nachteilsausgleich haben(siehe im Einzelnen dazu unten).

Dem Betriebsrat gibt § 113 BetrVG keinerlei gerichtlich durchsetzbarenAnspruch, § 113 BetrVG ist eine rein individualarbeitsrechtliche An-spruchsnorm98.

Der Nachteilsausgleich –Abfindungen und Ausgleichszahlungen (§ 113 BetrVG)

Wenn ein Unternehmer mit der Durchführung einer mitbestimmungspflichtigenBetriebsänderung beginnt, ohne einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat zuerzielen und ohne das Verfahren zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs

97 FESTL, aaO., § 112, 122a, Rn. 5;98 FESTL, aaO., § 111, Rn. 129;

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einschließlich der Verhandlung vor der Einigungsstelle voll ausgeschöpft zu ha-ben, ist er grundsätzlich verpflichtet, wirtschaftliche Nachteile der von der Be-triebsänderung betroffenen Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 113 BetrVG aus-zugleichen. Das Gleiche gilt, wenn der Unternehmer ohne zwingenden Grund voneinem abgeschlossenen Interessenausgleich abweicht. Der Unternehmer, der diesvermeiden will, muss den Betriebsrat einschalten und, falls kein Interessenausgleich zuStande kommt, die Einigungsstelle anrufen und den Abschluss des Einigungsstellenver-fahrens zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs abwarten, ehe er entscheidet, obund inwieweit die Betriebsänderung durchgeführt werden soll99.

Praxistipp:

Ist ein formgültiger Interessenausgleich zu Stande gekommen, kann der unterbliebeneVersuch zur Aufstellung eines Sozialplans keine Nachteilausgleichsansprüche der Ar-beitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG begründen. Insoweit bleibt es vielmehr dem Be-triebsrat überlassen, noch nachträglich - gegebenenfalls unter Einschaltung der Eini-gungsstelle - die Aufstellung eines Sozialplans zu erzwingen. Dies sollte der Betriebsratauch unbedingt tun, um nicht letztlich erhebliche Schäden für die Arbeitnehmer im Be-trieb zu riskieren.Der Betriebsrat darf also niemals „auf halbem Wege“ stehen bleiben; hat er angefan-gen mit dem Arbeitgeber über einen Interesseausgleich zu verhandeln, so muss er dieVerhandlungen fortsetzen und auch einen Sozialplan verhandeln und ggf. in der Eini-gungsstelle erzwingen, da der Nachteilsausgleichsanspruch bereits mit dem Versucheinen Interessenausgleich zustande zu bringen, untergeht. Die betroffenen Arbeitneh-mer gingen andernfalls also leer aus: Sie hätten keinen Nachteilsausgleichanspruchmehr, aber auch in Ermangelung eines solchen, keinen Anspruch aus einem Sozialplan.

Ganz ausnahmsweise entfällt trotz unterbliebenem Versuch eines Interessenausgleichsein Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3BetrVG. Dies ist dann der Fall, wenn Ereignisse eintreten, die eine sofortige Betriebs-änderung unausweichlich gemacht haben, und ein Hinausschieben der Betriebsände-rung zum Zwecke des Versuchs eines Interessenausgleichs den betroffenen Arbeitneh-mern nur weitere Nachteile hätte bringen können.

Praxistipp:

Hier kann die Einleitung eines Beschlussverfahrens (einstweilige Verfügung) vor demzuständigen Arbeitsgericht zur Untersagung der Durchführung der Betriebsänderungbis zum Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens für Betriebsrat und BelegschaftKlarheit bringen. Wenn ein solcher (sehr seltener) Fall vorliegen sollte, im dem derVersuch des Zustandebringens eines Interessenausgleichs unterbleiben darf, ohne dassein Nachteilsausgleichsanspruch entsteht, weil ein Hinausschieben der Betriebsände-rung zum Zwecke des Versuchs eines Interessenausgleichs den betroffenen Arbeitneh-mern nur weitere Nachteile bringen würde, so würde dies das Arbeitsgericht in diesemVerfahren feststellen.

Der Anspruch auf Nachteilsausgleich bei unterbliebenem Versuch eines Interessenaus-gleichs setzt voraus, dass der betreffende Arbeitnehmer in Folge der Betriebsänderungentlassen wird oder andere wirtschaftliche Nachteile erleidet (§ 113 Abs. 3 BetrVG).Wenn Arbeitnehmer zwar nicht entlassen werden, aber infolge der Betriebsänderung

99 FESTL, aaO., § 113, Rn. 18; BAG, vom 18.12.1984, AP Nr. 11 zu § 113 BetrVG 1972;

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andere wirtschaftliche Nachteile (z.B. geringere Arbeitsverdienst, erhöhte Fahrtkosten,größerer Verschleiß an Arbeitskleidung etc.) erleiden, muss der Unternehmer dieseNachteile bis zu einer Dauer von 12 Monaten durch eine entsprechende Zahlung an denbetroffenen Arbeitnehmer ausgleichen.

Ist zwischen Unternehmer und Betriebsrat einen Interessenausgleich zu Stande ge-kommen, kann der Betriebsrat nicht durch gerichtliche Entscheidung die Einhaltungdes Interessenausgleichs erzwingen. Weicht aber der Unternehmer ohne zwingendenGrund von dem Interessenausgleich ab, können Arbeitnehmer, die in Folge dieser Ab-weichung entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden, von demUnternehmer Abfindungen oder Ausgleichszahlungen verlangen (§ 113 Abs. 1 und 2BetrVG).

Die Vorschriften über den Nachteilsausgleich gelten auch im Insolvenzverfahren100, soweit nicht das Arbeitsgericht gemäß § 122 InsO die Zustimmung zur Betriebsänderungerteilt hat.

Abfindungsansprüche nach § 113 BetrVG und Abfindungsansprüche aus einem Sozial-plan stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Die Zahlung beider Abfindungen fürden Verlust des Arbeitsplatzes kann nicht nebeneinander verlangt werden. Die Sankti-onsweise nach § 113 BetrVG zu gewährende Abfindung tritt in Höhe des Nachteilsaus-gleichs an die Stelle der Sozialplanabfindung. Wird nachträglich noch ein Sozialplanaufgestellt, der die Zahlung von Abfindungen vorsieht, sind nach § 113 BetrVG zuer-kannte Abfindungen anzurechnen.

Praxistipp:

Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG gehören zu den Ansprüchen ausdem Arbeitsverhältnis und unterfallen deshalb entsprechenden tariflichen Aus-schlussklauseln! Beginnt die Ausschlussfrist mit der Fälligkeit des Anspruchs, werdendie Abfindungsansprüche auch dann mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fäl-lig, wenn über die Kündigung, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat,noch ein Kündigungsrechtsstreit anhängig ist. Also: An die rechtzeitige Geltendma-chung von Ansprüchen auf jeden Fall denken!

Interessenausgleich und Kündigungsschutz

Seit dem 1. 1.2004 gilt:

Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG dieArbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischenArbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündi-gung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG be-dingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur noch auf grobe Fehlerhaftig-keit überprüft werden. Dies gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach dem zu Standekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 KSchG). DieseRegelung führt zu einer Beweislastumkehr. Meint der Arbeitnehmer, es lägen keinedringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung vor, so hat er dies im ar-beitsgerichtlichen Verfahren darzulegen und zu beweisen. Gleichzeitig ist die Sozial-auswahl bei Nennung des Arbeitnehmers in der Namensliste im Kündigungsschutzpro-

100 FESTL, aaO., § 113, Rn. 5;

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zess nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit hin zu überprüfen. Die Sozialauswahl ist nurdann grob fehlerhaft, wenn die Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeitund Unterhalspflichten jede Ausgewogenheit vermissen lässt101. Das bedeutet, dass„leichtere Fehler“ für die Wirksamkeit der Kündigung gänzlich unbeachtlich sind. So-mit hat der Arbeitnehmer, der in der Namensliste benannt ist, nur noch geringe Aus-sichten, sich mit Erfolg mit einer Kündigungsschutzklage gegen die nach dem Interes-senausgleich ausgesprochene Kündigung zu wehren102. Die betroffenen Arbeitnehmersind also weitgehend schutzlos gestellt, selbst wenn die Betriebsparteien bei der Auf-stellung der Namensliste „leichte“ Fehler gemacht haben. Allerdings entbindet die Na-menliste den Arbeitgeber nicht von der Pflicht, dem Arbeitnehmer die Gründe der So-zialauswahl im Einzelnen offen zu legen (§ 1 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 KSchG). Unterlässtder Arbeitgeber dies, ist die Kündigung ohne weiteres unwirksam103.

Die Vereinbarung der Namensliste ersetzt nicht zugleich die Betriebsratsanhörung beiKündigungen nach § 102 BetrVG104. Gleiches gilt für den Fall, dass im Betrieb Kündi-gungen Kraft tarifvertraglicher Regelung oder Kraft einer bestehenden entsprechendenRegelung in einer Betriebsvereinbarung der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen.

Praxistipp:

1. Insgesamt trägt also der Betriebsrat, der mit dem Arbeitgeber eine solche Namens-liste vereinbart, eine ganz erhebliche Verantwortung für die sozialen Belange derbetroffenen Arbeitnehmer105.Der Betriebsrat muss an dieser Stelle sehr genau er-wägen, ob er diese hohe Verantwortung für das weitere Schicksal der betroffenenArbeitnehmer übernehmen kann und will. Das wird sicher nicht immer der Fallsein. Ein Betriebsrat sollte daher nach Möglichkeit von der Vereinbarung einersolchen Namensliste im Interessenausgleich Abstand nehmen; wenn er sich aberdarauf einlässt, muss er extrem sorgfältig arbeiten, um Fehler bei der Sozialaus-wahl zu vermeiden106. Von der Vereinbarung der Namensliste hat in der Regel nurder Arbeitgeber einen Vorteil, nicht jedoch die Arbeitnehmerseite. Der Betriebsratmuss also sehr genau überlegen, ob er sich auf das Ansinnen des Arbeitgebers ein-lassen soll, eine solche Namensliste im Rahmen des Interessenausgleichs zu verein-baren. Meines Erachtens macht es für einen Betriebsrat nur dann – wenn über-haupt – Sinn, sich darauf einzulassen, wenn der Arbeitgeber an anderer Stelle beiden Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen zu ganz erheblichen Zu-geständnissen bereit ist.

2. Wenn der Betriebsrat überhaupt bereit ist, eine solche Namensliste zu vereinbaren,sollte er auf jeden Fall einen arbeitsrechtlichen Sachverständigen, etwa einenRechtsanwalt oder gewerkschaftlichen Fachsekretär hinzuziehen, um versehentli-che Fehler bei der Vornahme der Sozialauswahl wenigstens weitgehend auszu-schließen.

101 BT-Drucks. 15/1204, S. 12; BAG, vom 21.01.1999, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969; FESTL,aaO., §§ 112, 112a, Rn. 21h;102 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 21i;103 BAG, Beschluss vom 10.02.1999, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste;104 BAG, Beschluss vom 20.05.1999, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste;105 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 21 ff.;106 Keinesfalls sollte ein Betriebsrat in einem solchen Fall auf die Hinzuziehung eines Sachver-ständigen, etwa eines Rechtsanwaltes verzichten.

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3. Gleiches gilt für die Vereinbarung einer solchen Namensliste in einem Interessen-ausgleich im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers nach § 125 InsO.

4. Die Vereinbarung der Namensliste im Interessenausgleich ersetzt nicht zugleich dieBeteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen nach § 102 BetrVG. Die Betriebs-ratsanhörung nach § 102 BetrVG muss also auf jeden Fall erfolgen107. Allerdingskann im Sozialplan vereinbart sein, dass sich die Betriebsparteien darüber einigsind, dass der Interessenausgleich zugleich die Anhörung nach § 102 BetrVG dar-stellt.

5. Mit der Vereinbarung von Auswahlrichtlinien im Interessenausgleich können Ver-schlechterung der Rechtsposition der Arbeitnehmer, die durch die Novellierung desKündigungsschutzgesetzes seit dem 01.01.2004 eingetreten sind wieder auszuglei-chen werden. Seit dem 01.01.2004, sind in der Sozialauswahl nach § 1 KSchG nurnoch die dort abschließend genannten Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörig-keitsdauer und Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen, weitere soziale As-pekt finden keine Berücksichtung mehr. Zudem kann der Arbeitgeber so genannte„Leistungsträger“ (Wer ist das? Dieser unbestimmte Rechtsbegriff lässt dem Ar-beitgeber viel „Raum“ für Interpretationen, die letztlich dazu führen, dass die So-zialauswahl „auf den Kopf gestellt“ wird)) von der Sozialauswahl ausschließen,mit dem Effekt, dass der an sich sozial schutzwürdigere zu kündigen ist, um den„Leistungsträger“ zu schonen. In der Auswahlrichtlinie ist es möglich weitere So-zialauswahlkriterien zu vereinbaren (etwa die häusliche Pflege behinderter oderpflegebedürftiger Angehöriger, besondere Schuldenlasten etc.), zudem kann die„Leistungsträgerklausel“ ausgeschlossen werden.

Raum für Ihre Notizen:

107 BAG, Beschluss vom 20.05.1999, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste;

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Der Sozialplan

Der Begriff des Sozialplans

Der Sozialplan regelt die Frage, wie die aus der Betriebsänderung resultierendenNachteile für die Arbeitnehmer ausgeglichen oder zumindest gemindert wer-den108. Er ist im Gegensatz zum Interessenausgleich vom Betriebsrat auch gegenden Willen des Arbeitgebers erzwingbar (beachte aber die Ausnahmen von derErzwingbarkeit gem. § 112a BetrVG; siehe unten).

Praxistipp:

Der Betriebsrat sollte darauf achten, dass er die Verhandlungen über Interessenaus-gleich und Sozialplan immer parallel führt. Nur so kann der Betriebsrat mit seiner ausder Erzwingbarkeit des Sozialplans resultierende Verhandlungsstärke mit seiner relativschwachen Verhandlungsposition beim Abschluss eines Interessenausgleichs kompen-sieren. Im Übrigen sind der Interessenausgleich und der Sozialplan eng miteinanderverbunden, da mit dem Sozialplan die Nachteile ausgeglichen werden, die aus demInteressenausgleich resultieren. Schon deshalb macht es Sinn, beides parallel zu ver-handeln.

Voraussetzungen für das Mitwirkungsrecht des Betriebsrats

Unabhängig davon, ob ein Interessenausgleich zwischen Unternehmer und Betriebsratzu Stande kommt oder nicht, oder ob der Unternehmer die Herbeiführung eines Interes-senausgleichs versucht oder nicht, oder ob der Unternehmer von einem vereinbartenInteressenausgleich abweicht oder nicht, oder ob Arbeitnehmern Ansprüche aufNachteilsausgleich nach § 113 BetrVG zustehen, besteht bei Betriebsänderungen imSinne des § 111 BetrVG grundsätzlich ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht desBetriebsrats zur Aufstellung eines Sozialplans. Die Aufstellung eines Sozialplanskann der Betriebsrat im Gegensatz zur Aufstellung eines Interessenausgleichessogar noch verlangen, wenn die Betriebsänderung bereits durchgeführt ist, zumBeispiel der Betrieb vollständig stillgelegt ist109. Die Betriebsparteien können darüberhinaus auch für künftige Betriebsänderungen (freiwillig) einen „Rahmensozialplan“schließen110. Außerdem können die Betriebsparteien bei Zweifeln, ob überhaupt eineBetriebsänderung vorliegt, „vorsorglich“ einen Sozialplan abschließen111.

Bei Betriebsstilllegungen behält der Betriebsrat bis zur rechtskräftigen Aufstel-lung des Sozialplans ein Restmandat (§ 21 BetrVG).

Praxistipp:

Auch wenn ein Sozialplan noch in einer späten Phase der Umsetzung einer Betriebsän-derung verhandelt und abgeschlossen werden kann (oder sogar noch nach Durchfüh-

108 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 99;109 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 77; BAG, Beschluss vom 15.10.1979, AP Nr. 5 zu § 111BetrVG 1972;110 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 78ff.;111 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 80;

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rung der Betriebsänderung), sollte der Betriebsrat dennoch immer darauf achten, dasser mit den Verhandlungen möglichst frühzeitig beginnt. Sofern der Arbeitgeber ver-sucht, die Betriebsänderung an der Mitbestimmung des Betriebsrats vorbei durchzu-führen, kann der Betriebsrat – wie dargestellt – dem Arbeitgeber die Umsetzung derBetriebsänderung untersagen lassen. Die Verhandlungsposition des Betriebsrats istalso umso besser, je früher die Betriebsparteien in die Verhandlungen eintreten.

Verfahren über die Aufstellung des Sozialplans

Für die Aufstellung eines Sozialplans gilt grundsätzlich dasselbe Verfahren, wiebei der Herbeiführung eines Interessenausgleichs (§§ 111, 112 BetrVG)112, dasheißt, zunächst sollen Unternehmer und Betriebsrat versuchen, sich über den In-halt eines Sozialplans einig zu werden – insoweit kann auf die Darstellung zumVerfahren beim Interessenausgleich oben verwiesen werden. Hierbei geht es umden Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile (z. B. Entlassungen,Versetzungen etc.), die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen. Beiihren Regelungen haben sich Unternehmer und Betriebsrat - wie bei jeder Be-triebsvereinbarung - im Rahmen des „billigen Ermessens“ zu halten (§ 75BetrVG).

Gelingt eine Einigung nicht, können Unternehmer oder Betriebsrat den Vorstand derBundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen oder sofort die Einigungsstelleanrufen.

Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und eine Zuständigkeit der Einigungs-stelle, kommen in Betrieben mit in der Regel nicht mehr als 20 wahlberechtigtenArbeitnehmern nicht in Betracht. Dies hindert aber Arbeitgeber und Betriebsratnicht, einvernehmlich einen Sozialplan zu vereinbaren, der als freiwillige Betriebsver-einbarung wirksam ist, sofern die im Sozialplan geregelten Fragen nicht gemäß § 77Abs. 3 BetrVG tariflich geregelt sind oder üblicherweise tariflich geregelt werden.

Die Einigungsstelle hat eine Einigung der Parteien zu versuchen. Gelingt eine Einigungjedoch nicht, so ist bei der Aufstellung des Sozialplans - anders als im Verfahren zurHerbeiführung eines Interessenausgleichs- die Tätigkeit der Einigungsstelle damit nochnicht beendet. Vielmehr hat die Einigungsstelle nun über die Aufstellung eines Sozial-plans durch Einigungsstellenspruch zu entscheiden (siehe aber die Ausnahmen gem.§ 112a BetrVG).

§ 112a BetrVG enthält eine Regelung zur Einschränkung der Erzwingbarkeit desSozialplans: Nach § 112a BetrVG ist in bestimmten Fällen trotz Vorliegens einer Be-triebsänderung ein Sozialplan nicht erzwingbar. Die Regelung soll dazu dienen, dassein Unternehmer wegen der Erzwingbarkeit von Sozialplänen nicht von der Schaffungneuer Arbeitsplätze absieht113.

Gemäß § 112a Abs. 1 BetrVG ist die Erzwingbarkeit eines Sozialplans nach§ 112 Abs. 4 BetrVG eingeschränkt, wenn eine geplante Betriebsänderung aus-schließlich in der Entlassung von Arbeitnehmern besteht und bestimmteSchwellenwerte nicht überschritten werden. Besteht eine Betriebsänderungnicht nur aus einem reinen Personalabbau, so findet § 112a BetrVG keine An-

112 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 107;113 Ausführlich hierzu ETZEL, aaO., Rn. 1064 ff., m.w.N.;

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wendung114. So findet § 112a BetrVG etwa bei einer Betriebsstilllegung keineAnwendung, mit der Folge, dass in diesem Fall der Sozialplan erzwingbar ist115.Werden weniger Arbeitnehmer entlassen, als in § 112a BetrVG bezeichnet undist die Betriebsänderung mit einer Betriebseinschränkung oder Teilbetriebs-schließung verbunden, so hängt die Erzwingbarkeit davon ab, ob der betroffeneBetriebsteil wesentlich im Sinne von § 111 BetrVG ist116. Bei einem reinen Per-sonalabbau sind für die Sozialplanpflichtigkeit nicht die Zahlen und Prozentan-gaben des § 17 Abs. 1 KSchG maßgeblich, sondern die Staffel des § 112aAbs. 1 Satz 1 BetrVG. Danach ist der Sozialplan bei reinem Personalabbau nurerzwingbar, wenn in Betrieben mit in der Regel

Ø bis zu 59 Arbeitnehmer 20 % der Arbeitnehmer, aber mind. 6 Ar-beitnehmer

Ø 60 – 249 Arbeitnehmer 20 % der Arbeitnehmer, oder mind. 37 Ar-beitnehmer

Ø 250 – 499 Arbeitnehmer 15 % der Arbeitnehmer, oder mind. 60 Ar-beitnehmer

Ø 500 – 599 Arbeitnehmer 60 ArbeitnehmerØ ab 600 Arbeitnehmer 10 % der Arbeitnehmer

aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden. Als „Entlassungen im Sinnevon § 112a BetrVG gelten auch die Abschlüsse von Aufhebungsverträgen, diebetriebsänderungsbedingt vom Arbeitgeber veranlasst worden sind, sowie durchdie Betriebsänderung veranlasste Eigenkündigungen117.

Bei einer in mehreren Wellen durchgeführten Entlassung, sind die jeweils be-troffenen Arbeitnehmer zusammenzuzählen, wenn die Entlassungen auf einemeinheitlichen Unternehmerentschluss beruhen118.

Zudem schließt § 112a Abs. 2 BetrVG die Anwendung des § 112 Abs. 4 und 5BetrVG auf Betriebe neu gegründeter Unternehmen für 4 Jahre aus119. Eskommt dabei nur auf das Alter des Unternehmens an, nicht auf das Alter desBetriebes. § 112a findet daher keine Anwendung, wenn ein 5 Jahre altes Unter-nehmen einen neuen Betrieb gründet. Demgegenüber findet § 112a BetrVGkonsequenter Weise Anwendung, wenn ein neu gegründetes Unternehmen ei-nen Betrieb übernimmt, der älter als 4 Jahre ist120.

Aufgrund dieser Regelung besteht allerdings eine gewisse Gefahr, dass Arbeit-geber die Sozialplanpflicht von Betriebsänderungen dadurch zu unterlaufen ver-suchen, dass sie Betriebsteile zunächst auf neu gegründete Unternehmen über-

114 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 82;115 BAG, Beschluss vom 06.12.1988, AP Nr. 26 zu § 111 BetrVG; FESTL, aaO., §§ 112, 112a,Rn. 82;116 BAG, Beschluss vom 06.12.1988, AP Nr. 26 zu § 111 BetrVG; FESTL, aaO., §§ 112, 112a,Rn. 83;117 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 85; BAG, vom 23.08.1988, AP Nr. 17 zu § 113 BetrVG1972;118 LAG Düsseldorf, vom 14.05.1986; LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 4; ETZEL, aaO.,Rn. 1065;119 Im Einzelnen hierzu ETZEL, aaO., Rn. 1067 ff., m.w.N.;120 herrschende Meinung, zum Meinungsstand: FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 90;

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tragen121. Allerdings hat der Gesetzgeber hier einen gewissen „Riegel“ vorge-schoben. § 112a Abs.2 S. 1 BetrVG ist gem. § 112a Abs. 2 S. 2 BetrVG nichtauf Neugründungen anwendbar, die im Rahmen von Unternehmens- und Kon-zernumstrukturierungen stattfinden (z.B. Fälle der Gesamtrechtsnachfolge oderdes Rechtsformwechsels)122.

Die Fluchtmöglichkeiten aus der Sozialplanpflicht sind für den Arbeitgeberauch aus dem Gesichtspunkt der Grundsätze des institutionellen Rechtsmiss-brauchs begrenzt. Ein solcher Rechtsmissbrauch kommt in Betracht, wenn dieÜbertragung eines Betriebes auf ein neu gegründetes Unternehmen ausschließ-lich deshalb erfolgt, um den Betrieb anschließend sozialplanfrei stilllegen zukönnen123. Ein Indiz für das Vorliegen eines solchen Rechtsmissbrauchs ist einenger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Neugründung des Unternehmens,der Übertragung des Betriebs und der anschließenden Betriebsstilllegung.

Praxistipp:

1. Geht der Betrieb durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung unter, so be-hält der Betriebsrat für den Abschluss des Sozialplans ein Restmandat (§ 21bBetrVG)124. Das Restmandat ist von dem Betriebsrat auszuüben, der bei Beendi-gung des Vollmandats im Amt war. Das Fortbestehen einem Arbeitsverhältnissesmit den Betriebsratsmitgliedern ist nicht erforderlich, sie üben also ihr Amt auchdann noch aus, wenn sie zwischenzeitlich ein neues Arbeitsverhältnis mit einem an-deren Arbeitgeber eingegangen sind. Somit kann im Einzelfall das Restmandatnoch sehr lange Zeit fortbestehen. Das Restmandat besteht auch für die bereitsausgeschiedenen Arbeitnehmer:

2. Sozialplanregelungen dürfen grundsätzlich auch (nachträglich) für bereits aus-geschiedene Arbeitnehmer getroffen werden125.

Der Inhalt des Sozialplans

Kommt zwischen den Betriebsparteien ein Interessenausgleich über die Betriebsände-rung zustande, so bildet dieser die Grundlage für die Sozialplanverhandlungen. Schei-tern die Verhandlungen über den Interessenausgleich, so wird die Betriebsänderung inder vom Arbeitgeber geplanten Form Grundlage für den Sozialplan126.

Kommt der Sozialplan durch freiwillige Einigung zwischen den Betriebsparteien zu-stande, so haben die Betriebsparteien, wie bereits dargestellt, lediglich die Grenzen des

121 BAG, Beschluss vom 10.12.1996, AP Nr. 110 zu § 112 BetrVG 1972;122 zu den Einzelheiten siehe FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 94ff., m.w.N.;123 BAG, Beschluss vom 13.06.1989, AP Nr. 3 zu § 112a BetrVG 1972; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 97;124 BAG, Beschlüsse vom 01.04.1998, 05.10.2000, AP Nr. 123, 141 zu § 112 BetrVG 1972;FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 116;125 BAG, Beschluss vom 05.10.2000, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 116;126 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 109;

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billigen Ermessens bei ihren Regelungen zu beachten (§ 75 BetrVG)127. Den Betriebs-parteien steht im Rahmen einer freiwilligen Einigung also eine sehr weite Palette vonGestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, deren Vielgestaltigkeit von der Eigenheit derjeweiligen Betriebsänderung anhängt. Die Betriebsparteien haben die Grenzen zu be-achten die die Funktion des Sozialplans, zwingendes Gesetzesrecht, die Grundsätzevon Recht und Billigkeit und der Gleichbehandlungsgrundsatz gebieten128. Somit istes nahezu unmöglich, alle theoretisch möglichen Gestaltungsmöglichkeiten hier zuerfassen und zu erläutern. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich daher auf all-gemein übliche und typische Regelungsinhalte.

Die Einigungsstelle hat bei der Aufstellung des Sozialplans durch Einigungsstellen-spruch auch nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die Betriebsparteien haben dieGrenzen zu beachten die die Funktion des Sozialplans, zwingendes Gesetzesrecht,die Grundsätze von Recht und Billigkeit und der Gleichbehandlungsgrundsatz ge-bieten129. Jedoch ist ihr Ermessen - anders als für die Betriebspartner bei einer freiwil-ligen Einigung - durch besondere gesetzliche Vorgaben gem. § 112 Abs. 5 BetrVGeingeschränkt (siehe unten)130. Die Regelungsmacht der Betriebsparteien bei einerfreiwilligen Einigung über einen Sozialplan ist also wesentlich weiter.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet nicht, die auszugleichenden Nachteile durcheine pauschalierende Betrachtung zu bestimmen, Einzelfalllösungen für jeden ein-zelnen individuell betroffenen Arbeitnehmer sind nicht erforderlich, aber auch nichtausgeschlossen131. So ist es z.B. möglich, eine zu zahlende Abfindung entweder derHöhe nach durch eine abstrakte Berechnungsformel zu bestimmen, oder für jeden ein-zelnen Arbeitnehmer individuell festzulegen132.

Die Einbeziehung leitender Angestellter in den Sozialplan kommt nicht in Betracht,da der Betriebsrat gegenüber dieser Arbeitnehmergruppe nicht zuständig ist. Sozialplä-ne für leitende Angestellte können nur vom Sprecherausschuss vereinbart werden133.

Der Inhalt des Sozialplans wird also wesentlich von der Art und Weise der Betriebsän-derung bestimmt. Sein genauer Inhalt hängt auch grundsätzlich von der Frage ab, obder Sozialplan primär das Ziel verfolgt, den betroffenen Arbeitnehmern eine (auf dieVergangenheit bezogene) Entschädigung für den Verlust eines sozialen Besitzstan-des zu bieten, oder eine (auf die Zukunft bezogene) Überbrückungs- und Ausgleichs-funktion. Diese Frage kann sich praktisch etwa auf die Frage der Höhe einer Abfin-dung auswirken, die für den Verlust des Arbeitsplatzes nach dem Sozialplan gewährtwird. Stellt man auf die vergangenheitsbezogene Entschädigung ab, so sollte Berech-nungsgrundlage vor allem die Betriebszugehörigkeitsdauer sein; stell man dagegen aufdie zukunftsbezogene Überbrückungsfunktion ab, so muss für die Höhe der Abfindung

127 BAG, Beschlüsse vom 05.10.2000, 14.08.2001, 12.11.2002, AP Nr. 141, 142, 155 zu § 112BetrVG 1972; FESTL, aaO., § 112, 112a, Rn. 117;128 BAG, Beschluss vom 12.11.2002, AP Nr. 155 zu § 112 BetrVG 1972; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 118;129 BAG, Beschluss vom 12.11.2002, AP Nr. 155 zu § 112 BetrVG 1972; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 118;130 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 78;131 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 121 f., m.w.N.; BAG, Beschlüsse vom 05.10.2000,14.08.2001, AP Nr. 141, 142 zu § 112 BetrVG 1972;132 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 122; BAG, Beschluss vom 12.12.1985, AP Nr. 25 zu § 112BetrVG 1972;133 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 130;

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eher die Frage maßgeblich sein, wie lange der Zeitraum ist, den der betroffene Arbeit-nehmer statistisch benötigt, um einen adäquaten neuen Arbeitsplatz zu erlangen. DieseErwägungen können eine Rolle spielen, wenn überprüft wird (etwa in einem Be-schlussverfahren) ob die Betriebsparteien oder die Einigungsstelle die Grenzen ihresErmessens überschritten haben. In älteren Entscheidungen hat das BAG die vergangen-heitsbezogene Entschädigungsfunktion und die Überbrückungsfunktion betont134, inneueren Entscheidungen hat das BAG nur noch die zukunftsbezogene Ausgleichs- undÜberbrückungsfunktion betont135.

Die weitere Darstellung erfolgt aufgegliedert nach der Frage, ob sich die Betriebspar-teien freiwillig auf einen Sozialplan (außerhalb oder innerhalb einer Einigungsstelle)einigen oder ob der Sozialplan durch einen Spruch der Einigungsstelle zustandekommt:

Sozialplan durch freiwillige Einigung

Der Sozialplan soll die wirtschaftlichen Nachteile, die Arbeitnehmer infolgeeiner mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung erleiden, ausgleichenoder mildern. Wirtschaftliche Nachteile, die einem Arbeitnehmer nicht durchdie geregelte Betriebsänderung, sondern durch eine andere Unternehmerent-scheidung entstehen, können einen Anspruch aus dem Sozialplan nicht begrün-den. Ein Sozialplan kann grundsätzlich auch für noch nicht geplante, aberin groben Umrissen schon abschätzbare Betriebsänderungen durch freiwil-lige Betriebsvereinbarung aufgestellt werden, im Gegensatz zu Interessen-ausgleichen, bei denen dies (einen Interessenausgleich auf „Vorrat“ abzuschlie-ßen) nicht möglich ist. Häufig werden deshalb in Betrieben „Rahmensozialplä-ne“ vereinbart, für den Fall, dass es im Betrieb zukünftig einmal zu einer Be-triebsänderung kommt.

Die Regelungen eines Sozialplans müssen billigem Ermessen entsprechen (§ 75BetrVG). Anders als bei der Einigungsstelle ist für die Betriebspartner das Er-messen nicht durch gesetzliche Vorgaben begrenzt; vielmehr haben die Be-triebspartner einen weiten Spielraum, der sich nur an § 75 BetrVG messen las-sen muss136.

Im Einzelnen kann ein Sozialplan z.B. vorsehen (die nachfolgende Aufzählungist nicht abschließend, sondern nur beispielhaft, der konkrete Inhalt des Sozial-plans hängt von den konkreten Nachteilen ab, die die Betriebsänderung für diebetroffenen Arbeitnehmer nach sich ziehen):

- Abfindungen137, die in der Praxis als wichtigster Inhalt eines Sozial-plans angesehen werden. Es können für die betroffenen ArbeitnehmerPauschalabfindungen festgesetzt werden, wobei hinsichtlich der Höheder Abfindungen die Betriebspartner nicht an die Höchstgrenze des§ 113 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG in Verbindung mit § 10 KSchG gebun-den sind. Andererseits können im Sozialplan selbst für Abfindungen

134 etwa BAG GS, Beschluss vom 13.12.1978, AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972;135 BAG, Beschlüsse vom 28.10.1992, 11.08.1993, 09.11.1994, 31.07.1996, 14.08.2001,30.10.2001, 12.11.2002, AP Nr. 66, 71, 85, 103, 142, 145, 159 zu § 112 BetrVG 1972;136 BAG, Beschluss vom 14.8.2001, DB 2002, 153;137 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 124 f.;

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Höchstbeträge oder Höchstbegrenzungsklauseln festgesetzt werden.Pauschalabfindungen werden oft nach einem Punktesystem oder einerAbstrakten Berechnungsformel festgesetzt, bei dem Lebensalter, Dauerder Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und besondere persönli-che Umstände (z.B. Schwerbehinderteneigenschaft) berücksichtigt wer-den.

Beispiel:

Betriebszugehörigkeit x Lebensalter x BruttomonatseinkommenDivisor

Von der Gestaltung des „Divisors“ hängt in einem solchen Fall ent-scheidend die Höhe der Abfindung ab. Häufig wird in der Praxis bei derFestlegung des Divisors nach verschiedenen Lebensaltersstufen diffe-renziert, da für besonders junge, bzw. rentennahe Arbeitnehmer eine ge-ringere Abfindung als „gerecht“ angesehen wird, als bei Arbeitnehmern„mittleren“ Alters, die auf dem Arbeitsmarkt i.d.R. sozial besonders be-nachteiligt sind. Es empfiehlt sich in der Praxis, die Begriffe der Be-triebszugehörigkeit, des Lebensalters und des Bruttomonatsentgelteseinschließlich der Art und Weise ihrer Berechnung im Sozialplan mög-lichst genau zu definieren, um nachträgliche Streitigkeiten zwischen Ar-beitnehmern und Arbeitgeber wegen Fragen der Abfindungsberechnungzu vermeiden (etwa die Fragen, ob nur volle oder auch angefangene Jah-re berechnet werden, oder ob bei der Berechnung des Monatseinkom-mens auch jährliche Einmalzahlungen und Schwankungen, die durch va-riable Arbeitszeiten oder variable Zulagen etc. entstehen berücksichtigtwerden). Bei der Berechnung des Bruttomonatseinkommens empfiehltes sich daher meistens, das der letzten 12 Monate, bzw. das Jahresein-kommen als Bezugsgröße heranzuziehen, so werden monatlicheSchwankungen zumeist ausgeglichen.

Es gibt vielzählige Berechnungsklauselmodelle. Außerdem sind Punkte-systeme üblich, bei denen bestimmte Sozialdaten der Arbeitnehmer ei-nem bestimmten Punktwert zugeordnet werden, die Höhe der Abfindungbestimmt sich dann aus der Höhe der Punktwerte. Häufig sind auch bei-de Systeme gemischt anzutreffen.

Auch eine anteilige Berücksichtigung von Zeiten der Teilzeit- und derVollzeitbeschäftigungen und eine entsprechende Differenzierung istnicht zu beanstanden. Ebenso ist es zulässig, wenn für jeden einzelnenArbeitnehmer dessen wirtschaftliche Nachteile ermittelt und danach in-dividuelle Abfindungsbeträge festgesetzt werden, was insbesondere inkleineren Betrieben in Betracht kommt. Stuft der Sozialplan die Abfin-dung auch nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab, sind Zeiten desRuhens des Arbeitsverhältnisses (z.B. Erziehungsurlaub) und auch Zei-ten früherer Betriebszugehörigkeit, die tatsächlich und rechtlich unter-brochen wurde, grundsätzlich hinzuzurechnen. Bestimmt der Sozialplanaber, dass bei einer Unterbrechung der Betriebszugehörigkeit, die längerals 6 Monate gedauert hat, die davor liegenden Betriebszugehörigkeits-jahre nicht angerechnet werden, ist auch eine solche Regelung rechtlich

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nicht zu beanstanden138. Der Sozialplan kann statt der Berücksichtigungim Rahmen eines Punktesystems auch Sonderzuschläge aus sozialenGründen, etwa für Mitarbeiter mit unterhaltsberechtigten Kindern undschwerbehinderte Arbeitnehmer etc. vorsehen.

Neben der Zahlung einer einmaligen Abfindung, kommen auch laufen-de Zahlungen, etwa Überbrückungsgelder zur Aufstockung des Ar-beitslosengeldes oder die Aufrechterhaltung von Versorgungsan-wartschaften in Betracht139.

Ferner kann in einem Sozialplan ein so genannter „Härtefond“ verein-bart werden, über den dem Betriebsrat ein Verfügungsrecht, gegebenen-falls im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber, eingeräumt werdenkann140.

Es kann auch ein so genannter „Transfersozialplan“ vereinbart werden (§ 112Abs. 5 Nr. 2a BetrVG). Diese schaffen unter den in §§ 216a f. SGB III geregel-ten Voraussetzungen Ansprüche auf sog. Transferleistungen der Bundesagenturfür Arbeit. Dies sind Leistungen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit (z.B.Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, Umschulungen, Mobilitätsbei-hilfen, Einstellungszuschüsse, Förderung einer selbständigen Existenz, Trans-ferkurzarbeitergeld etc.)141.

Praxistipp:

Gedenken die Betriebsparteien einen solchen Transfersozialplan abzuschlie-ßen, ist dringend anzuraten, den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit zu denVerhandlungen hinzuzuziehen, eine enge Abstimmung mit der Bundesagenturfür Arbeit ist sehr sinnvoll und sollte bereits bei den Sozialplanverhandlungenerfolgen, um ein reibungsloses Funktionieren des Transfersozialplans sicherzu-stellen.

Weitere mögliche Sozialplanleistungen sind z.B.

Ø Anrechnung verlängerter Wegezeiten,

Ø Fahrtgeldzulagen,

Ø vorzeitige betriebliche Pensionsleistungen,

Ø Umschulungs-/ Qualifizierungsmaßnahmen,

Ø Transfergesellschschaften

Ø Wiedereinstellungsklauseln,

138 BAG, Beschluss vom 11.6.1975, EzA § 77 BetrVG Nr. 1;139 FESTL, aaO. §§ 112, 112a, Rn. 126, m.w.N.;140 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 131;141 siehe im Einzelnen hierzu: FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 132 ff.; ROLFS, NZA 1998, 20;

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Stets sind die Grundsätze von Recht und Billigkeit zu beachten (§ 75 BetrVG).Danach kann ein Sozialplan auch Leistungen für solche Arbeitnehmer aus-schließen oder beschränken, die wirtschaftlich weitgehend gesichert sind.

Beispiele142:

Recht und Billigkeit sind gewahrt,

Ø wenn Ausgleichsleistungen für ältere Arbeitnehmer nach denmit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden tatsächlichenNachteilen bemessen werden und lediglich für jüngere Ar-beitnehmer Pauschalabfindungen vorgesehen sind, deren Hö-he sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet143,

Ø wenn solche Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausge-nommen werden, die zum Zeitpunkt der Auflösung des Ar-beitsverhältnisses die Voraussetzungen für den übergangslo-sen Rentenbezug nach Beendigung des Anspruchs auf Ar-beitslosengeld erfüllen144,

Ø wenn Abfindungsansprüche teilzeitbeschäftigter Arbeitneh-mer entsprechend der persönlichen Arbeitszeit des Arbeit-nehmers zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhält-nisses im Verhältnis zur tariflichen Arbeitszeit berechnetwerden145,

Ø wenn Arbeitnehmer, die nach bekannt werden eines vom Ar-beitgeber zunächst geplanten Personalabbaus einen Aufhe-bungsvertrag vereinbart haben, eine geringere Abfindung er-halten, als diejenigen, die eine solche Beendigungsvereinba-rung erst nach der später erfolgten Mitteilung des Arbeitge-bers, er beabsichtige den Betrieb stillzulegen, geschlossenhaben146.

Ø Wenn der Sozialplan zwischen Arbeitnehmern differenziert,die vor Ablauf der Kündigungsfrist einen neuen Arbeitsplatzfinden, und solchen bei denen dies nicht der Fall ist147,

Ø wenn Arbeitnehmer von Abfindungsleistungen ausgenom-men werden, die das Arbeitsverhältnis vorzeitig durch Auf-hebungsvertrag aufgelöst haben, nachdem sie eine neue Be-schäftigung gefunden hatten148,

142 nach ETZEL, Betriebsverfassungsrecht, 8. Auflage, Rn. 1037f. mit umfangreichen Nachwei-sen aus der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur.143 BAG, Beschluss vom 14.02.1984, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 30;144 BAG, Beschluss vom 31.07.1996, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 86;145 BAG, Beschluss vom 28.10.1992, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 65;146 BAG, Beschlüsse vom 24.11.1993, 11.02.1998, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 71, 97;147 LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.07.1994, BB 1995, 101;148 BAG, vom 25.11.1993, EzA § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 58;

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Ø wenn Arbeitnehmer, die im Zusammenhang mit einer Be-triebsstilllegung vorzeitig durch Eigenkündigung ausschei-den, eine niedrigere Abfindung erhalten149 oder von sämtli-chen Sozialplanansprüchen ausgenommen werden, sofern imletzteren Fall der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse ander geordneten Weiterführung des Betriebes bis zu dessenSchließung hat und dazu auf das Verbleiben seiner Mitarbei-ter angewiesen ist150,

Ø wenn Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausgeschlossenwerden, die durch " Vermittlung " des Arbeitgebers einenneuen Arbeitsplatz erhalten, wobei unter " Vermittlung " je-der Beitrag des Arbeitgebers angesehen werden kann, der dasneue Arbeitsverhältnis erst möglich machte151,

Ø wenn die Abfindung für alle Arbeitnehmer auf die Differenzzwischen Arbeitslosenunterstützung und Durchschnittsein-kommen festgesetzt wird, wobei dadurch anfallendeLohnsteuer im Zweifel vom Arbeitnehmer zu übernehmenist152,

Ø wenn der Sozialplan regelt, wer das Risiko zu tragen hat,wenn die Bundesagentur für Arbeit nach Abschluss einesAufhebungsvertrages eine Sperrfrist verhängt und dem Ar-beitnehmer dadurch Arbeitslosengeld entgeht153.

Recht und Billigkeit sind nicht gewahrt,

Ø wenn ein Sozialplan bei einer Betriebsstilllegung im Sinnedes § 15 Absatz 4 und Absatz 5 Kündigungsschutzgesetz fürjedes Betriebsratsmitglied eine zusätzliche Abfindung in be-trächtlicher Höhe vorsieht, weil darin ein Verstoß gegen dasBegünstigungsverbot von Betriebsräten nach § 78 Satz 2BetrVG liegt154.

Sozialpläne dürfen nicht in entstandene Rechte und einzelvertragliche Ansprü-che von Arbeitnehmern eingreifen. Haben zum Beispiel die Parteien des Einzel-arbeitsvertrags ein Jahresgehalt vereinbart, dass in 12 Monatsraten ausgezahltwird, kann in einem Sozialplan nicht zu Lasten des Arbeitnehmers vereinbartwerden, das Jahresgehalt werde in 14 Teilen ausgezahlt. Fernab können in ei-nem Sozialplan unverfallbare Versorgungsanwartschaften weder aufgehobennoch kapitalisierte werden155.

Ausschlussklauseln, die Ansprüche nach dem Sozialplan für diejenigen Arbeit-nehmer ausschließen, die gegen ihre Kündigung Klage beim Arbeitsgericht er-

149 BAG, vom 11.08.1993, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 70;150 BAG, vom 09.11.1994, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 78;151 BAG, Beschluss vom 19.06.1996, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 85;152 LAG Hamm, Beschluss vom 02.02.1989, LAGE § 112 BetrVG 1972 Nr. 14;153 BAG, Beschluss vom 27.10.1987, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 41;154 ArbG Nürnberg, Urteil vom 27.01.1997 – 12 Ca 7897/96 – BB 1997, 2165;155 BAG, Beschluss vom 30.10.1980 EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 20;

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heben, sind unwirksam, weil es funktionswidrig ist, Sozialplanleistungen miteinem Verzicht des Arbeitnehmers auf Rechtsschutz gegen eine Kündigung sei-nes Arbeitsverhältnisses zu verknüpfen und damit von der Hinnahme auchrechtswidriger Maßnahmen des Arbeitgebers abhängig zu machen156. Hingegenist eine Bestimmung in einem Sozialplan zulässig, nach der die Fälligkeit derSozialplanabfindung auf den Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses einesKündigungsschutzprozesses hinausgeschoben und bestimmt wird, dass eine Ab-findung nach §§ 9, 10 KSchG auf Sozialplanabfindung anzurechnen ist157.

Umschulungs-/ Qualifizierungsmaßnahmen

Gegenstand des Sozialplanes kann auch der Ausgleich von Kosten sein, die ei-nem Arbeitnehmer dadurch entstehen, dass er einen neuen Arbeitsplatz suchenmuss oder nur einen solchen findet, der ungünstige Rahmenbedingungen bietet.Möglich ist einmal, über § 629 BGB und etwaige tarifliche oder betrieblicheRegelungen hinaus im Sozialplan einen Anspruch auf bezahlte Freistellung fürVorstellungsgespräche vorzusehen und auch die Kosten für Bewerbungen aufden Arbeitgeber überzuleiten.

Mehr Relevanz kommt hier Maßnahmen des sog. „Outplacement“ 158 zu, die dievom Arbeitsverlust bedrohten Arbeitnehmer systematisch auf die Bewerbungum neue Arbeitsplätze vorbereiten.

Solche Maßnahmen können demnach auch als bezuschusste Sozialplanmaß-nahmen nach § 48 SGB III vereinbart werden. Dabei ist darauf zu achten, dasskeine Wahlmöglichkeit zwischen Abfindungs- und Qualifizierungsmaßnahmevorgesehen wird, weil dies die Förderung durch die Arbeitsagentur ausschließenwürde. Damit soll verhindert werden, dass wegen einer Abfindung eine Qualifi-zierungsmaßnahme ausgeschlagen wird. Nicht ausgeschlossen ist, wenn ohneWalrecht beides vorgesehen ist oder für eine Personengruppe Abfindungen undfür eine andere Qualifizierungsmaßnahmen vorgesehen sind. Die Durchfüh-rungs-AO der Bundesanstalt zählt als Beispiel förderungsfähiger Trainingmaß-nahmen auf:

Ø Eignungsfeststellungen

Ø Bewerbungstraining

Ø Unterstützung eigeninitiativer Stellensuche sowie Seminarezur Selbsteinschätzung und Motivationsförderung

Ø Vermittelung von Schlüsselqualifikationen und sozialerKompetenz

Ø Vermittelung allgemeinbildender und berufsspezifischerKenntnisse und Formen berufsspezifischer Erprobung

156 BAG, vom 20.12.1983, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 29;157 BAG, Beschluss vom 20.6.1985, EzA § 4 Kündigungsschutzgesetz AusgleichsquittungNr. 1;158 Zum Outplacement siehe Kiber, RdA 1996, 366; Lemke, AiB 1996, 692.

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Allerdings ist der zeitliche Rahmen für die Förderung von Trainingsmaßnah-men begrenzt:

Ø Trainingsmaßnahmen, welche die Selbstsuche des Arbeitslo-sen sowie seine Vermittlung unterstützen, insbesondere durchBewerbungstraining und Beratung über Möglichkeiten derAbreitplatzsuche dürfen maximal zwei Wochen betragen(§ 49 Abs. 3 Nr. 2 SGB III)

Ø Trainingsmaßnahmen, welche dem Arbeitslosen notwendigeKenntnisse vermitteln, um eine Vermittlung in Arbeit odereinen erfolgreichen Abschluss einer beruflichen Aus- oderWeiterbildung erheblich zu erleichtern, dürfen acht Wochennicht überschreiten (§ 49 Abs. 3 Nr. 3 SGB III)

Ø Werden Maßnahmen in mehreren zeitlichen Abschnittendurchgeführt, dürfen zwölf Wochen insgesamt nicht über-schritten werden (§ 49 Abs. 3 S. 3 SGB III)

Ferner sieht das SGB III in § 216a nunmehr eine Förderung von Arbeitnehmern,die auf Grund von Betriebsänderungen von Arbeitslosigkeit bedroht sind, fürdie Teilnahme an Transfermaßnahmen unter der Bedingung vor, dass

Ø die Maßnahme von einem Dritten durchgeführt wird

Ø die vorgesehene Maßnahme der Eingliederung der Arbeit-nehmer in den Arbeitsmarkt dienen soll,

Ø die Durchführung der Maßnahme gesichert ist und

Ø ein System zur Sicherung der Qualität angewendet wird.

Als Transfermaßnahmen in diesem Sinne gelten dabei alle Maßnahmen zur Ein-gliederung von Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt, an deren Finanzierung sichArbeitgeber angemessen beteiligen. Als Betriebsänderungen im Sinne desSatzes 1 gelten Betriebsänderungen im Sinne des § 111 des Betriebsverfas-sungsgesetzes unabhängig von der Unternehmensgröße.

Die Förderung wird als Zuschuss gewährt. Der Zuschuss beträgt 50 Prozent deraufzuwendenden Maßnahmekosten, ist jedoch auf höchstens 2 500 Euro je ge-förderten Arbeitnehmer beschränkt. Ausgeschlossen ist die Förderung, wenn dieMaßnahme dazu dient, den Arbeitnehmer auf eine Anschlussbeschäftigung imgleichen Betrieb oder in einem anderen Betrieb des gleichen Unternehmens o-der, falls das Unternehmen einem Konzern angehört, in einem Betrieb eines an-deren Konzernunternehmens des Konzerns vorzubereiten, so dass der Arbeitge-ber durch die Förderung insgesamt nicht von bestehenden Verpflichtungen ent-lastet werden darf. Während der Teilnahme an Transfermaßnahmen sind andereLeistungen der aktiven Arbeitsförderung mit gleichartiger Zielsetzung jedochausgeschlossen.

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Ist eine Weiter- oder Umschulung sinnvoll, können im Sozialplan ferner Beihil-fen vorgesehen werden159. Diese können das von der Agentur für Arbeit ge-währte Unterhaltsgeld zum Beispiel auf 90 % der bisherigen Nettovergütungaufstocken, soweit dies nicht durch die Gewahrung einer Transfermaßnahmenach § 116a Abs. 5 SGB III ausgeschlossen ist. Übernimmt die Agentur für Ar-beit die Lehrgangskosten nicht (§ 77 SGB III enthält insoweit nur eine „kann“-Regelung), so kann ihre Übernahme gleichwohl durch den Arbeitgeber vorge-sehen werden.

Hat der Arbeitnehmer im direkten Anschluss an sein bisheriges Arbeitsverhält-nis einen neuen Arbeitsplatz erhalten und die eben beschriebenen Leistungen inAnspruch genommen, kann gleichwohl der Fall eintreten, dass er den neuen Ar-beitsplatz innerhalb eines halben Jahren wieder verliert. Hatte der Sozialplan dieAbfindung nur denjenigen zugesprochen, die nicht sofort eine Anschlusstätig-keit gefunden hatten, so würde der Betroffenen schlechter stehen, als wenn ersich nicht um eine neue Arbeitsstelle bemüht hätte. Für solche Fälle muss derSozialplan Vorsorge treffen und die Abfindung zumindest anteilig auch danngewähren, wenn der „Arbeitsversuch“ nach sechs, neun oder zwölf Monatenscheitert. Dies gilt gerade auch dann, wenn es um einen zumutbaren Arbeits-platz im Sinne von § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG ging, so dass grundsätzlichkeine Abfindung gezahlt werden durfte: Der Leistungsausschluss gilt auch dannnicht, wenn sich der „zumutbare Arbeitsplatz“ nachträglich als keine sinnvolleBeschäftigungsalternative herausstellt. Die durch den Antritt der neuen Arbeits-stelle verursachten Kosten werden sowieso nicht durch die Ausschlussklauseldes § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG erfasst160.

Transfergesellschaften

Weitergehend kann der Arbeitgeber innerhalb des Sozialplanes verpflichtetwerden, sich an Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften zu beteili-gen. Dabei wird versucht Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse von einersozialplanpflichtigen Betriebsänderung bedroht sind, zu einer einvernehmlichenAufhebung des bisherigen Arbeitsvertrages unter gleichzeitiger Begründung ei-nes neuen Arbeitsverhältnisses mit der Beschäftigungsgesellschaft zu bringen.Dieses Arbeitsverhältnis ist ein reguläres sozialversicherungspflichtiges Ar-beitsverhältnis, welches in erster Linie durch das sog. „Transferkurzarbeitergeldgem. § 216b SGB III finanziert wird. Ergänzt werden diese Leistungen durchdurch soeben genannte Zuschüsse der Bundesanstalt für Arbeit nach Maßgabedes § 216a SGB III. Die verbleibende Finanzierungslücke hat der Arbeitgerberdurch die ihm zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel zu decken.

Der Einsatz von Transfergesellschaften hat eine Reihe von Vorzügen: Bewer-bungen auf freie Stellen werden erleichtert; der mit der Arbeitslosigkeit meistverbundene Vereinsamungsprozess tritt nicht ein. Auch kann die Qualifizierungmittel- bis langfristig zu einer Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarktführen.

Ein Missstand der Transfergesellschaften besteht aber darin, dass die Beleg-schaft hier insgesamt „geparkt“ werden kann und der Erwerber der Betriebsan-

159 Vgl. FESTL, §§ 112, 112 a Rn.104.160 Vgl. a.a.O., Rn.227.

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lagen sich dann diejenigen Arbeitnehmer heraussuchen kann, die ihm am leis-tungsfähigsten erscheinen.

Von dieser Gefahr abgesehen kommt die Bildung einer Transfergesellschaft fürBetriebsänderungen geringeren Ausmaßes wohl ohnehin nicht in Betracht, dahier die Verwaltungskosten den zu erwartenden Nutzen nicht zu kompensierenvermögen.

Sozialplan durch Spruch der Einigungsstelle

Auch die Einigungsstelle hat bei der Aufstellung eines Sozialplans das billigeErmessen zu wahren, so dass grundsätzlich auf die Ausführungen oben verwie-sen werden kann. Das Ermessen der Einigungsstelle ist jedoch durch weiteregesetzliche Regelungen (§ 112 Abs. 5 BetrVG) begrenzt:

Als Grundsatz gilt, dass die Einigungsstelle über die Aufstellung eines So-zialplans unter Berücksichtigung der sozialen Belange der betroffenen Ar-beitnehmer und der wirtschaftlichen Vertretbarkeit ihrer Entscheidungfür das Unternehmen zu entscheiden hat161. Die Beachtung der wirtschaftli-chen Vertretbarkeit des Sozialplans für das Unternehmen dient dem Zweck, dasUnternehmen als Lebensgrundlage, der in ihm beschäftigten Arbeitnehmer zuerhalten; es soll verhindert werden, dass eine übermäßige finanzielle Belastungdes Unternehmens durch den Abzug der für den Sozialplan zur Verfügung ste-henden Mitteln die Arbeitsplätze der von der Betriebsänderung nicht betroffe-nen Arbeitnehmer gefährdet162.

Bei ihrer Entscheidung hat sich die Einigungsstelle im Rahmen billigen Ermes-sens insbesondere von folgenden Grundsätzen leiten zu lassen:

Ø die Einigungsstelle soll beim Ausgleich oder der Milderungwirtschaftlicher Nachteile der betroffenen ArbeitnehmerLeistungen vorsehen, die in der Regel den Gegebenheitendes Einzelfalles Rechnung tragen. Als wirtschaftlicheNachteile, die ausgeglichen oder gemildert werden sollen,nennt das Gesetz insbesondere: Einkommensminderungen,Wegfall von Sonderleistungen, Verlust von Anwartschaftenauf betriebliche Altersversorgung, Umzugskosten oder erhöh-te Fahrtkosten (§ 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BetrVG)163.

Ø die Einigungsstelle hat die Aussichten der betroffenen Ar-beitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen(§ 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG). Dies bedeutet, dass die Ei-nigungsstelle bei der Festsetzung von Abfindungen danachdifferenzieren muss, ob Arbeitnehmer nach der Arbeitsmarkt-lage alsbald wieder einen neuen Arbeitsplatz finden könnenoder für längere Zeit arbeitslos sein werden. Um hierüber ei-ne zuverlässige Aussage machen zu können, wird es im All-gemeinen erforderlich sein, dass die Einigungsstelle eine

161 ETZEL, aaO., Rn. 1048;162 LAG Frankfurt 15.06.1976, BB 1976, 1463; ETZEL, aaO., Rn. 1048;163 ETZEL, aaO., Rn. 1049, m.w.N.;

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Auskunft bei der zuständigen Agentur für Arbeit („Ar-beitsamt“) einholt164.

Ø ist eine Weiterbeschäftigung im selben Betrieb oder in ei-nem anderen Betrieb des Unternehmens oder eines zum Kon-zern gehörigen Unternehmens zu zumutbaren Arbeitsbedin-gungen möglich und lehnt der Arbeitnehmer ein solchesAngebot ab, soll ihn die Einigungsstelle von Leistungen desSozialplans ausschließen (§ 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG).Der Gesetzgeber geht hierbei ersichtlich davon aus, dass demArbeitnehmer durch die Weiterbeschäftigung im Unterneh-men oder Konzern im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis kei-ne Nachteile entstehen, denn nur unter diesem Gesichtspunktist es sachlich gerechtfertigt Arbeitnehmer von Leistungenaus dem Sozialplan auszuschließen. Zumutbar sind die neuenArbeitsbedingungen nur, wenn sie der Ausbildung und denFähigkeiten des Arbeitnehmers entsprechen, sie dürfen ihnweder überfordern noch erheblich geringere Qualifikationenerfordern, als der Arbeitnehmer sie besitzt und bisher einset-zen konnte. Unzumutbar sind Arbeitsbedingungen insbeson-dere dann, wenn dem Arbeitnehmer eine erheblich geringereVergütung angeboten wird als bisher, weil dies für ihn einenwirtschaftlichen Nachteil bedeutet. Bei einer Weiterbeschäf-tigung im Unternehmen bleibt ihm die Dauer der Betriebszu-gehörigkeit, die unter anderem für Kündigungsschutz undSonderzuwendungen von Bedeutung sein kann, sowie Ver-sorgungsanwartschaften auf betriebliches Ruhegeld erhalten.Bei einer Weiterbeschäftigung in einem anderen Konzernun-ternehmen trifft dies nicht ohne weiteres zu. Deshalb sinddem Arbeitnehmer Arbeitsbedingungen in einem anderenKonzernunternehmen im Allgemeinen nur dann zumutbar,wenn ihm auch die Anrechnung einer bisherigen Betriebszu-gehörigkeit und die Aufrechterhaltung einer Versorgungsan-wartschaft zugesagt werde165.

Ist der Betrieb, in dem der Arbeitnehmer weiterbeschäftigtwerden kann, außerhalb des bisherigen Beschäftigungsortesgelegen, begründete dies allein nicht die Unzumutbarkeit ei-nes neuen Arbeitsplatzes (§ 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG).Deshalb kann die Einigungsstelle von vornherein festlegen,dass diejenigen Arbeitnehmer, gegenüber der bisherigen Tä-tigkeit gleichwertige Arbeitsbedingungen in einem bestimmteBereich außerhalb des bisherigen Beschäftigungsortes ange-boten werden, keine Leistungen aus dem Sozialplan erhalten.Auf besondere persönliche Umstände der betroffenen Arbeit-nehmer braucht die Einigungsstelle hierbei keine Rücksichtzunehmen, denn nach dem Gesetzeswortlaut muss nur dasneue Arbeitsverhältnis zumutbar sein. Andererseits liegt esim Rahmen des billigen Ermessens, wenn die Einigungsstelle

164 ETZEL, aaO., Rn. 1051, m.w.N.;165 ETZEL, aaO., Rn. 1054 f., m.w.N.;

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für bestimmte Arbeitnehmer auf Grund deren persönlicherVerhältnisse, z.B. die Weiterbeschäftigung in einem anderenBetrieb des Unternehmens oder eines zum Konzern gehörigesUnternehmens außerhalb des bisherigen Beschäftigungsortesfür unzumutbar hält und deshalb solche Arbeitnehmer ohneRücksicht darauf, ob der Arbeitgeber ihn ein entsprechendesWeiterbeschäftigungsangebot macht, ausdrücklich in den So-zialplan einschließt166.

Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben kann die Einigungs-stelle Regelungen darüber treffen, unter welchen Voraus-setzungen das Angebot eines anderen Arbeitsplatzes fürden betroffenen Arbeitnehmer zumutbar ist und er des-halb bei Ablehnung eines solchen Angebotes von Leistungendes Sozialplans ausgeschlossen ist. Die Einigungsstelle kannzum Beispiel festlegen, die Unzumutbarkeit eines Arbeits-platzwechsels wegen Krankheit durch amtsärztliches Zeugnisnachzuweisen167.

Das Gesetz regelt nicht, ob Arbeitnehmer, die ein - auch un-zumutbares - Angebot auf Weiterbeschäftigung im selben Be-trieb oder eines zum Konzern gehörigen Unternehmens an-nehmen und demgemäß weiterbeschäftigt werden, von Leis-tungen aus dem Sozialplan ausgeschlossen werden sollen.Nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung ist hierbei nachfolgenden Kriterien zu unterscheiden: Erzielen die Arbeit-nehmer einen geringeren Verdienst als bisher, sollen sie we-gen dieser Einkommensminderung von Leistungen des Sozi-alplans nicht ausgeschlossen werden, jedoch sollten die Ab-findung nach der Höhe der Einkommensminderung begrenztwerden168.

Ø die Einigungsstelle soll insbesondere die im SGB III (Ar-beitsförderung) vorgesehenen Förderungsmöglichkeiten zurVermeidung von Arbeitslosigkeit berücksichtigen. Dies sindunter anderem Maßnahmen der inner - oder außerbetriebli-chen Qualifizierung, die Förderung der Anschlusstätigkeit beieinem anderen Arbeitgeber, sowie Leistungen, die dazu die-nen, eine selbstständige Existenz des Arbeitnehmers vorzube-reiten, sowie sonstige Gliederungsmaßnahmen. Für solcheMaßnahmen kann und sollte der Sozialplan eine angemessenefinanzielle Beteiligung des Unternehmens vorsehen169.

Ø bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleis-tungen hat die Einigungsstelle darauf zu achten, dass derFortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführungder Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht ge-

166 ETZEL, aaO., Rn. 1056, m.w.N.;167 ETZEL, aaO., Rn. 1057, m.w.N.;168 ETZEL, aaO., Rn. 1058, m.w.N.;169 ETZEL, aaO., Rn. 1060, m.w.N.;

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fährdet werden (§ 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG)170. Keines-falls darf daher durch die dem Unternehmen auferlegten So-zialplanleistungen die Insolvenzreife des Unternehmens her-beigeführt werden oder seine Konkurrenzfähigkeit wesentlichbeeinträchtigt werden. Hier ist eine Einzelfallbetrachtungvorzunehmen, um auf die jeweilige Lage des Unternehmensindividuell Rücksicht zu nehmen171. Es ist jeweils auf diewirtschaftliche Situation des Unternehmens, nicht des einzel-nen Betriebes abzustellen, dies gilt grundsätzlich auch imKonzern. Nur ausnahmsweise kommt eine Durchgriffshaf-tung innerhalb des Konzerns in Betracht, nämlich im sog.Vertragskonzern oder faktischen Konzern, wenn das herr-schende Unternehmen seine Leitungsmacht missbrauchthat172. Ist von vornherein absehbar, dass nur ein begrenzterBetrag für Sozialplanleistungen zur Verfügung gestellt wer-den kann, um den Fortbestand des Unternehmens nicht zu ge-fährden, und dieser Betrag nicht ausreicht, um alle wirtschaft-lichen Nachteile der von der Betriebsänderung betroffenenArbeitnehmer auszugleichen, sollte die Einigungsstelle zu-nächst den Gesamtbetrag der Sozialplanleistungen festlegen.Von diesem Gesamtbetrag ausgehend kann die Einigungsstel-le dann die den einzelnen Gruppen der betroffenen Arbeit-nehmer zur Verfügung stehenden Beträge feststellen undhierbei auch für ein angemessenes Verhältnis der auf die ein-zelnen Gruppen entfallenden Sozialplanleistungen sorgen.Eine Höchstgrenze für Sozialplanabfindungen sieht das Ge-setz jedoch nicht vor173.

Um festzustellen, ob die Gesamtbelastung noch für das Un-ternehmen vertretbar ist, sollten die Betriebsparteien bzw. dieEinigungsstelle ggf. einen Sachverständigen hinzuziehen, umdiese mitunter schwierig zu beurteilende Frage, die für dieWirksamkeit des Sozialplanes aber von ganz entscheidenderBedeutung ist, zuverlässig klären zu lassen.

Der Spruch der Einigungsstelle über die Aufstellung des Sozialplans ersetztdie Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 112 Abs. 4 Betriebs-verfassungsgesetz). Anders als der Interessenausgleich ist der Sozialplanalso erzwingbar. Dies ist auch der Grund, weshalb Interessenausgleich undSozialplan immer zusammen verhandelt werden sollten, da der Arbeitge-ber über Zugeständnisse des Betriebsrats beim (erzwingbaren) Sozialplanzu Zugeständnissen gegenüber dem Betriebsrat beim (nicht erzwingbaren)Interessenausgleich angehalten werden kann.

Der Spruch der Einigungsstelle kann durch Arbeitgeber und Betriebsrat wegenÜberschreitung der Grenzen des Ermessens der Einigungsstelle vor dem Ar-

170 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 216;171 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 216; BAG, Beschluss vom 14.09.1994, AP Nr. 87 zu § 112BetrVG 1972; ETZEL, aaO., Rn. 1061, m.w.N.;172 Im Einzelnen siehe FESTL, aaO., § 112, 112a, Rn. 218, m.w.N.;173 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 240 ff.;

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beitsgericht binnen 2 Wochen nach Zuleitung des Spruchs angefochten werden(§ 76 Abs. 5 S. 4 BetrVG).

Der Sozialplan in der Insolvenz174

Auch im Insolvenzverfahren ist bei Betriebsänderungen gem. § 111 BetrVGgrundsätzlich ein Sozialplan aufzustellen175, selbst wenn der Geschäftsbetrieb bereitsvollständig eingestellt ist176. Allerdings können die Betriebsparteien oder die Eini-gungsstelle von der Errichtung eines Sozialplanes absehen, wenn keine Mittel ausder Insolvenzmasse für die Aufstellung eines Sozialplans zur Verfügung stehen177.

Ein Sozialplan, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgestellt wird, kannfür Leistungen an Arbeitnehmer höchstens einen Gesamtbetrag von bis zu 2 ½ Mo-natsverdiensten der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer (ohne leitende An-gestellte) vorsehen (§ 123 Abs. 1 InsO). Durch die Bezugnahme in § 123 Abs. 1 InsOauf § 10 Abs. 3 KSchG gilt als Monatsverdienst, was dem Arbeitnehmer bei der für ihnmaßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem letzten Monat des Arbeitsverhältnissesan Geld- und Sachbezügen zusteht, womit die Bruttobezüge gemeint sind. Für den Mo-nat, in welchem die Arbeitsverhältnisse der meisten von der Betriebsänderung betrof-fenen Arbeitnehmer enden, ist der Arbeitsverdienst aller betroffenen Arbeitnehmer zuberechnen. Als „betroffene Arbeitnehmer“ sind auch solche Arbeitnehmer anzusehen,die betriebsänderungsbedingt eine Eigenkündigung erklären oder durch Aufhebungs-vertrag ausscheiden. Wie der so ermittelte Gesamtbetrag auf die betroffenen Arbeit-nehmer verteilt wird, entscheiden die Betriebsparteien oder die Einigungsstelle nachbilligem Ermessen.

Wird der höchstzulässige Gesamtbetrag überschritten, so führt dies nicht zur Nichtig-keit des gesamten Sozialplans, vielmehr ist eine entsprechende Anwendung von § 123Abs. 2 InsO geboten. Es sind also die Forderungen der einzelnen Arbeitnehmer solangeanteilig zu kürzen, bis der Gesamtbetrag der Abfindungen 2 ½ Monatsverdienste derbetroffenen Arbeitnehmer nicht übersteigt178.

Ein Sozialplan, der in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnungdes Insolvenzverfahrens aufgestellt worden ist, kann im Insolvenzverfahren so-wohl vom Insolvenzverwalter, als auch vom Betriebsrat widerrufen werden (§ 124Abs. 1 InsO). Danach kann ein neuer Sozialplan nach § 123 InsO aufgestellt werden.Sozialplanleistungen die bereits erbracht worden sind, können nach dem Widerruf nichtmehr zurückgefordert werden; bei der Aufstellung eines neuen Sozialplans sind dieseBeträge aber auf die höchstzulässige Summe von Abfindungen anzurechnen (§ 124Abs. 3 InsO).

Die Forderungen aus solchen Sozialplänen sind Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2S. 1 InsO). Sooft hinreichende Barmittel in der Masse vorhanden sind, soll der Insol-venzverwalter mit Zustimmung des Insolvenzgerichts Abschlagszahlungen aus derMasse auf diese Forderungen leisten. Eine Zwangsvollstreckung in die Insolvenzmassewegen einer Sozialplanforderung (z.B. Abfindung) ist unzulässig (§ 123 Abs. 3 InsO).

174 Im Einzelnen hierzu: ETZEL, aaO., Rn. 1070 ff., m.w.N.;175 Zur KO: BAG, vom 13.12.1978, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 15;176 ETZEL, aaO., Rn. 1070;177 LAG Köln, vom 30.01.1986, LAGE § 112 BetrVG 1972 Nr. 9; ETZEL, aaO., Rn. 1070;178 ETZEL, aaO., Rn. 1072;

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Die Wirkung des Sozialplans

Sozialpläne sind Betriebsvereinbarungen besonderer Art179 und begründen für die be-günstigten Arbeitnehmer unmittelbare Rechtsansprüche gegen den Arbeitgeber. Sozial-pläne unterliegen als Betriebsvereinbarungen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle,jedoch kann die Angemessenheit der zwischen Unternehmer und Betriebsrat ausgehan-delten finanziellen Gesamtausstattung eines Sozialplans im Individualprozess des ein-zelnen Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht einer gerichtlichen Billigkeitskon-trolle unterzogen werden. Sozialplanabfindungen, die bei Beendigung des Arbeitsver-hältnisses entstehen, fallen nicht an, wenn ein Arbeitnehmer nach Abschluss einesAufhebungsvertrages, aber vor der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnissesstirbt. Daher sollten die Betriebsparteien die Vererbbarkeit der Sozialplanansprüchevereinbaren.

Sozialplanansprüche sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und unterfallen tarifli-chen Ausschlussklauseln, die an das Arbeitsverhältnis anknüpfen, sofern die Ansprü-che spätestens bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden. Ansprüche, dieerst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden, werden nur dann von ei-ner tariflichen Ausschlussklausel erfasst, wenn dies in dem Tarifvertrag deutlich zumAusdruck kommt.

Der Sozialplan gilt immer nur für die von dem Unternehmer angekündigte Betriebsän-derung. Es besteht kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zum Abschluss eines Sozi-alplans für noch gar nicht geplante, aber denkbare spätere Betriebsänderungen. Dashindert Arbeitgeber und Betriebsrat aber nicht daran, freiwillig einen vorsorglichenSozialplan für noch nicht geplante, aber in groben Umrissen schon abschätzbare Be-triebsänderungen aufzustellen. Dadurch wird das Mitbestimmungsrecht des Betriebs-rats für einen Sozialplan bei einer entsprechenden künftigen Betriebsänderung ver-braucht. Ändert der Unternehmer seine Absicht und führt eine andere Betriebsänderungdurch, ist ggf. ein neuer Sozialplan aufzustellen. Nimmt er von jeder BetriebsänderungAbstand, wird der Sozialplan hinfällig.

Die Regelungen eines Sozialplans können keine unmittelbare Wirkung für leitendeAngestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG entfalten. Jedoch können Arbeitgeber undBetriebsrat durch Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB) die leitenden Angestellten inden Kreis der aus dem Sozialplan Berechtigten einzubeziehen.

Ist ein Sozialplan unwirksam, kann kein Arbeitnehmer eine Abfindung nach dem Sozi-alplan mehr verlangen, selbst wenn der Arbeitgeber zuvor in Unkenntnis der Unwirk-samkeit an andere Arbeitnehmer Abfindungen gezahlt hatte. Zahlt der Arbeitgeber aberin Kenntnis der Unwirksamkeit des Sozialplans Abfindungen nach diesem Sozialplan,muss er den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten und darf die anderen Arbeitnehmernicht aus unsachlichen Gründen ausschließen.

Kündigung und Änderung von Sozialplänen

Ein wirksam vereinbarter Sozialplan gilt grundsätzlich für eine bestimmte Betriebsän-derung. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn er einvernehmlich aufgehoben

179 BAG, Beschluss vom 27.8.1975, EzA § 4 TVG Bergbau Nr. 4;

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oder abgeändert, wirksam gekündigt oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlagedurch einen anderen Sozialplan ersetzt wird.

Die Betriebsparteien können einen Sozialplan jederzeit einvernehmlich für die Zukunftauch zum Nachteil der Arbeitnehmer abändern180. In diesem Fall löst der neuere denvorherigen Sozialplan ab181. Der rückwirkende Eingriff in die durch einen früherenSozialplan bereits entstandenen Ansprüche ist nicht ohne weiteres und nicht uneinge-schränkt zulässig. Es gelten hierfür die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und desVertrauensschutzes. Eine rückwirkende Verschlechterung der bisherigen Regelungenkommt nur in Betracht, wenn die betroffenen Arbeitnehmer mit einer rückwirkendenVerschlechterung rechnen mussten oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage eineAnpassung an veränderte tatsächliche Verhältnisse erfolgen muss182.

Ein für eine bestimmte Betriebsänderung abgeschlossener Sozialplan im Sinne von§ 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG kann – soweit die Betriebsparteien nicht ausdrücklich etwasanderes vereinbart haben – nicht ordentlich gekündigt werden183.

Es kommt jedoch eine – im Gesetz allerdings nicht vorgesehene – außerordentlicheKündigung in Betracht184. Dies gilt allerdings nur für im Sozialplan normierte Dauer-ansprüche, die noch nicht entstanden sind185. Die (teil-) gekündigten Dauerregelungenwirken allerdings bis zum Abschluss eines neuen Sozialplans nach (§ 77 Abs. 6BetrVG)186.Anderes gilt bei Rahmensozialplänen: Da es sich dabei um freiwillige Betriebsverein-barungen handelt, können diese grundsätzlich – sofern von den Betriebsparteien nichtsanderes vereinbart wurde – gem. § 77 Abs. 5 BetrVG ordentlich gekündigt werden187.

Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, näm-lich nur dann, wenn es einer Betriebspartei oder beiden Betriebsparteien oder der Be-legschaft nicht mehr zugemutet werden kann, weiter an dem bisherigen Sozialplan fest-zuhalten. Betriebsrat oder Arbeitgeber können in diesem Fall die Anpassung des Sozi-alplans an die veränderten Gegebenheiten verlangen. Geht die jeweils andere Betriebs-partei darauf nicht ein, so kann die Einigungsstelle angerufen werden. Diese hat dannals Vorfrage zunächst zu klären, ob tatsächlich ein Fall des Wegfalls der Geschäfts-grundlage vorliegt. Zudem hat die Einigungsstelle dann ggf. eine Neuregelung zu be-schließen188. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage kann vorliegen, wenn die Betriebs-parteien bei Abschluss des Sozialplans von tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen

180 BAG, Beschlüsse vom 24.03.1981, 10.08.1994, 05.10.2000, AP Nr. 12, 86, 141 zu § 112BetrVG 1972; FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 204;181 BAG, Beschlüsse vom 10.08.1994, 05.10.2000, AP Nr. 86, 141 zu § 112 BetrVG 1972;FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 204;182 BAG, Beschluss vom 05.10.2000, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972; ausdrücklich offenge-lassen in BAG, Beschluss vom 21.10.2003 – 1 AZR 407/02 – n.V.; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 205;183 BAG, Beschluss vom 10.08.1984, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972; GK-FABRICIUS/OET-KER, § 112, Rn. 165; FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 206;184 BAG, Beschluss vom 10.08.1984, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972; GK-FABRICIUS/OET-KER, § 112, Rn. 170 ff.; FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 207;185 GK-FABRICIUS/OETKER, § 112, Rn. 170; FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 207;186 BAG, Beschluss vom 10.08.1984, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972; FESTL, aaO., §§ 112,112a, Rn. 207;187 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 208;188 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 209 m.w.N.;

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sind, die sich später als unzutreffend erweisen189. Der Wegfall der Geschäftsgrundlageführt nicht zum Wegfall des bisherigen Sozialplans. Vielmehr gilt dieser weiter, bis einneuer Sozialplan ggf. erst in der Einigungsstelle zustande gekommen ist. In diesemneuen Sozialplan kann auch zum Nachteil der Arbeitnehmer in bereits entstandene An-sprüche (aus dem vorherigen Sozialplan) eingreifen190.

189 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 210; BAG Beschluss vom 10.08.1994, AP Nr. 86 zu § 112BetrVG 1972;190 FESTL, aaO., §§ 112, 112a, Rn. 211; BAG Beschluss vom 10.08.1994, AP Nr. 86 zu § 112BetrVG 1972;

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Anhang 1 - Beispiel eines Interessenausgleichs

Interessenausgleich

zwischen

der Firma XY,

im weiteren „Unternehmerin“ genannt,

und

dem Betriebsrat der Firma XY, vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden A, abc,

im weiteren „Betriebsrat“ genannt,

Präambel

Aus wirtschaftlichen Gründen wird der Betrieb XY zum 31.12.2002 geschlossen; derMietvertrag über die Betriebsräumlichkeiten läuft zum 31.12.2002 aus. Die Unterneh-merin und der Betriebsrat stimmen darin überein, dass bei dieser anstehenden Betriebs-änderung betriebsbedingte Kündigungen möglichst vermieden werden sollen. Statt des-sen sollen den von der Betriebsschließung in D. betroffenen Arbeitnehmern anderwei-tige Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens angeboten werden. Hierzu wird folgen-der Interessenausgleich vereinbart.

§ 1Gegenstand / Durchführung

(1) Der Betrieb XY, soll zum 31.12.2002 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossenwerden; der Mietvertrag über das Betriebsgelände läuft zum 31.12.2002 aus.

(2) Die unternehmerischen Aktivitäten des Betriebes werden ab dem 01.01.2003von den Niederlassungen der Unternehmerin in B. und E. wahrgenommen.

(3) Den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird zurVermeidung betriebsbedingter Kündigungen ein Ersatzarbeitsplatz in den Betrieben inB. und E. angeboten. Das Arbeitsplatzangebot muss schriftlich erfolgen und mindes-tens folgende Angaben enthalten:

- vorgesehener Arbeitsplatz/Art der Tätigkeit- vorgesehene tarifliche Eingruppierung- Art, Höhe und Zusammensetzung des Entgeltes- Arbeitszeitvolumen und Lage der Arbeitszeit.

(4) Betroffene Mitarbeiter erhalten zweimal die Möglichkeit, sich über den oder dieArbeitsplätze zu informieren und ihn/sie auf Kosten des Unternehmens zu besichtigen.

(5) Der Mitarbeiter hat nach Zugang des Änderungsangebotes eine Entscheidungs-frist von zwei Wochen. Äußert sich der Mitarbeiter innerhalb dieser Frist nicht, gilt das

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Angebot als abgelehnt. Hierauf ist der Mitarbeiter schriftlich hinzuweisen.

(6) Allen Mitarbeitern, die dennoch betriebsbedingt ausscheiden sollten, ist für dieBewerbung auf einen neuen Arbeitsplatz angemessene Freizeit ohne Verdienstminde-rung zu gewähren. Das Unternehmen stellt für die Erstellung von Bewerbungsunterla-gen PC-Arbeitsplätze zur Verfügung. Diese Arbeitsplätze können auch außerhalb derArbeitszeit genutzt werden.

§ 2

Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen im Übrigen

Betriebsbedingte Kündigungen sollen im Übrigen durch folgende Maßnahmen nachMöglichkeit vermieden werden:1) Ausnutzung der natürlichen Fluktuation.2) Einstellungen werden nur vorgenommen, wenn geeignete interne Bewerber --

trotz Qualifizierungsmaßnahmen -- nicht oder nicht rechtzeitig für die Besetzungder freien Stellen zur Verfügung stehen.

3) Die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern nach dem Arbeitnehmerüberlassungs-gesetz bedarf der vorherigen Zustimmung des Betriebsrates gemäß § 99 BetrVG.Die Rechte des Unternehmens nach § 100 BetrVG bleiben unberührt.

4) Überstunden dürfen nur in dringenden Ausnahmefällen angeordnet werden; siesind grundsätzlich durch Freizeit auszugleichen. Die Anordnung bedarf der vor-herigen Zustimmung des Betriebsrates.

5) Ausnutzung der Möglichkeiten des Altersteilzeitgesetzes.6) Das Unternehmen wird freiwerdende oder neue Arbeitsplätze den von der Be-

triebsänderung betroffenen Mitarbeitern bevorzugt anbieten. Bereits ausgeschie-dene Arbeitnehmer haben jederzeit die Möglichkeit, sich in der Personalabteilungnach freien Arbeitsplätzen zu erkundigen.

§ 3

Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen

(1) Sofern entgegen § 1 Abs. 3 betriebsbedingte Kündigungen nicht gänzlich ver-meidbar sein sollten, wird bei der Sozialauswahl folgende Auswahlrichtlinien zugrundegelegt:

1. Für die ersten zehn Dienstjahre werden je Dienstjahr 1 Punkt, ab dem11. Dienstjahr je Dienstjahr 2 Punkte, ab dem 20. Dienstjahr 3 Punkte ange-setzt; maximal jedoch 70 Punkte.

2. Für jedes volle Lebensjahr wird 1 Punkt zugrunde gelegt; maximal jedoch 60Punkte.

3. Für jede Person, der gegenüber der Arbeitnehmer unterhaltsverpflichtet ist,werden jeweils 6 Punkte hinzuaddiert.

4. Pflegt der Arbeitnehmer in seinem Haushalt pflegebedürftige Angehörige inhäuslicher Pflege, so werden für jeden pflegebedürftigen Angehörigen weitere 4Punkte hinzuaddiert. Pflegebedürftig ist, wer Leistungen der gesetzlichen Pfle-geversicherung bezieht.

5. Im Falle der Schwerbehinderung oder Gleichstellung werden weitere 4 Punktehinzuaddiert.

(2) Die Sozialauswahl zwischen den vergleichbaren Mitarbeitern erfolgt in einemersten Schritt anhand dieser Auswahlrichtlinien. Für jeden Arbeitnehmer werden die

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Sozialpunktzahlen nach Abs. 1 ermittelt. Je höher die Gesamtpunktzahl, desto sozialschutzwürdiger ist der Arbeitnehmer. In einem zweiten Schritt ist jeder Einzelfall dar-aufhin zu überprüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine abweichende Ge-wichtung erfordern.

(3) Die Unternehmerin übergibt dem Betriebsrat eine Liste mit den entsprechendenSozialdaten sämtlicher Arbeitnehmer des Betriebes.

(4) Maßgeblich ist für die Feststellung der Kriterien der Sozialauswahl nach Absatz 1der 31.12.2002 als Stichtag. Bei der Berechnung des Lebensalters und der Betriebszu-gehörigkeit werden nur volle Jahre berücksichtigt.

§ 4Beteiligungsrechte

Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrates blieben von dieser Vereinbarung unbe-rührt.

§ 5Sozialplan

Zum Ausgleich bzw. zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitneh-mern durch die geplante Betriebsänderung entstehen, haben die Parteien nachfolgendenSozialplan abgeschlossen.

§ 6Inkrafttreten

(1) Die Parteien sind sich einig, dass die Verhandlungen abgeschlossen sind unddas Verfahren zur Herbeiführung eines Interessenausgleiches beendet ist.(2) Der Interessenausgleich tritt mit Unterzeichnung in Kraft.(3) Sollte eine Bestimmung dieses Interessenausgleiches unwirksam sein oder wer-den, so berührt dies nicht die Wirksamkeit des Interessenausgleichs im Übrigen. Viel-mehr tritt an die Stelle der unwirksamen Regelung die entsprechende gesetzliche Rege-lung, in Ermangelung einer solchen, werden die Betriebsparteien hinsichtlich diesesRegelungsgegenstandes erneut verhandeln.

Ort/Datum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .(Unternehmen) (Betriebsrat)

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Anhang 2 – Beispiel eines Sozialplanes

Sozialplan

zwischen

der Firma XY,

im weiteren „Unternehmerin“ genannt,

und

dem Betriebsrat der Firma XY,

im weiteren „Betriebsrat“ genannt,

Präambel

Zum Ausgleich bzw. zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Mitarbei-tern durch die im Interessenausgleich vom . . . . . . . . . . . . . geregelte Betriebsänderungentstehen, wird folgender Sozialplan zwischen den Betriebsparteien vereinbart:

§ 1Geltungsbereich

1. Die Regelungen dieses Sozialplanes gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist,nur für Mitarbeiter i. S. d. § 5 Abs. 1 BetrVG, die zum Zeitpunkt des Abschlussesdes Interessenausgleiches in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen unddie von der im Interessenausgleich vom . . . . . . . geregelten Betriebsänderung be-troffen sind.

2. Dieser Sozialplan findet keine Anwendung aufa) Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen be-

endet wird.c) Mitarbeiter, die vor Ablauf der Kündigungsfrist oder vertraglich vereinbar-

ten Auslauffrist vertragswidrig ausscheiden.

§ 2Begriffsbestimmungen

1. Bei der Berechnung des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit werden nurvolle Monate berücksichtigt. Stichtag für die Berechnung ist der Zeitpunkt derrechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

2. Bruttomonatsgehalt ist das Durchschnittsentgelt der der 12 Monate von September2001 bis August 2002 auf der Basis der vertraglichen regulären Arbeitszeit unterBerücksichtigung etwaiger Sonderzahlungen (Jahressonderzahlung, Urlaubsgeld,Tantiemen, Nachtarbeitszuschläge, Erschwerniszuschläge u. ä.) und Leistungen mitAufwendungsersatzcharakter.

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§ 3Angebot eines anderen Arbeitsplatzes

1. Das Angebot eines anderen Arbeitsplatzes hat schriftlich zu erfolgen. Es muss dieBezeichnung des angebotenen Arbeitsplatzes mit einer möglichst exakten Be-schreibung der Tätigkeiten, der tariflichen Eingruppierung, Art, Höhe und Zu-sammensetzung des Entgeltes und das Arbeitszeitvolumen enthalten.

2. Der Mitarbeiter hat eine mindestens zweiwöchige Bedenkzeit.3. Jeder Mitarbeiter, der ein Angebot erhalten hat, kann den Arbeitsplatz und die

Betriebsstätte besichtigen. Die Kosten von zwei Informationsreisen mit Partner(Fahrt, eine Übernachtung und Spesen) werden bis zu einer Höhe von 150,--EUR pro Person und Tag für maximal zwei Tage erstattet.

§ 4Versetzungen

1. Kann ein Mitarbeiter die Qualifikation für einen angebotenen Arbeitsplatz nurdurch eine zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme erreichen, soträgt das Unternehmen die anfallenden Kosten der Umschulungsmaßnahme. Fürdie Dauer der Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme wird das bisherigeBruttomonatsgehalt für die Dauer von sechs Monaten fortgezahlt. Etwaige Leis-tungen dritter Stellen (z. B. Bundesanstalt für Arbeit) werden angerechnet.

2. Mitarbeiter, die auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden, erhalten das bis-herige Bruttomonatsgehalt fortgezahlt.

§ 5

Leistungen bei Annahme des Angebots eines anderen Arbeitsplatzes

1. Mitarbeiter, bei denen sich die Fahrtstrecke Wohnung - Arbeitsstätte verlängert,erhalten für die Dauer von drei Jahren einen Fahrgeldzuschuss in Höhe vonEUR 0,30 je zusätzlich gefahrenem Kilometer. Im vierten Jahr beträgt der Fahr-geldzuschuss EUR 0,20. Anschließend wird kein Fahrgeldzuschuss mehr ge-währt.Der Fahrgeldzuschuss wird bis zu einem Höchstaufwand von maximal 100 km jeArbeitstag erstattet. Der Fahrgeldzuschuss wird nur für tatsächliche Arbeitstage --also nicht für Urlaubs- und Krankheitstage etc. -- gewährt.

2. Mitarbeiter, bei denen sich die einfache Fahrtstrecke Wohnung - Arbeitsstätte ummehr als zehn Kilometer verlängert und die bis zum 31. 12. 2002 das45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erhalten für die Dauer von vier Jahrenpro Jahr einen Zeitausgleich von einem Arbeitstag.Mitarbeiter, die zum 31. 12. 2002 das 45. Lebensjahr vollendet haben und bei de-nen sich die Fahrtstrecke Wohnung - Arbeitsstätte aufgrund der Betriebsverle-gung verlängert, erhalten einen Zeitausgleich gemäß Anlage 1.Der Freizeitausgleich wird auf Antrag des Mitarbeiters durch das Unternehmengewährt.

3. Bei der Fahrtstrecke Wohnung - Arbeitsstätte wird die kürzeste Fahrtstreckezugrunde gelegt. Zur Ermittlung der Fahrtstrecke wird das EDV-Programm „Map& Guide“ herangezogen. Basis für die Ermittlung der Entfernung ist das jeweili-ge Postleitzahlengebiet.

4. Sofern der Mitarbeiter wegen der Annahme eines neuen Arbeitsplatzes umziehenmuss, wird ihm eine einmalige Umzugsbeihilfe in Höhe von EUR 6.000,00 ge-währt.

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§ 6Abfindung

Jeder Mitarbeiter, dessen Arbeitsverhältnis aufgrund der Betriebsänderung endet, erhälteine Abfindung, die sich nach den folgenden Ziffern errechnet. Nicht anspruchsberech-tigt sind Mitarbeiter, die Altersruhegeld erhalten können oder eine Rente wegen unbe-fristeter Erwerbs-/Berufsunfähigkeit erhalten.Jeder anspruchsberechtigte Mitarbeiter erhält einen Grundbetrag in Höhe vonEUR 4.000,00.Zusätzlich erhält jeder anspruchsberechtigter Mitarbeiter einen Steigerungsbetrag, dersich wie folgt errechnet:

Betriebszugehörigkeit × Bruttomonatsgehalt × 0,8

Die Abfindung erhöht sich für jedes im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Sozialplanesauf der Steuerkarte eingetragene unterhaltspflichtige Kind um EUR 3.000,00.Für Schwerbehinderte oder Schwerbehinderten Gleichgestellte i. S. d. SGB IX erhöhtsich die Abfindung um EUR 4.000,00.Die Abrechnung und Auszahlung der Abfindungen erfolgen unter Beachtung der steu-errechtlichen Regelungen (insbesondere nach §§ 3 Nr. 9, 24, 34 EStG).

§ 7 Härtefonds

Für besondere soziale Härtefälle steht ein Fonds von EUR 50.000,00 zur Verfügung.Über die Verteilung entscheidet auf schriftlichen Antrag der Mitarbeiter eine vierköpfi-ge Kommission. Je zwei der Mitglieder werden von der Geschäftsleitung und dem Be-triebsrat benannt.

§ 8Sonstige Leistungen

1. Für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz erhält der Mitarbeiter eine ange-messene bezahlte Freistellung.

2. Arbeitgeberdarlehen, die mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Rück-zahlung fällig werden, können auf Antrag zu den bisherigen Bedingungen fortge-führt werden.

§ 9Auszahlung

1. Die Abfindungsansprüche entstehen zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigungdes Arbeitsverhältnisses.

2. Erhebt ein Mitarbeiter Kündigungsschutzklage oder wehrt er sich in anderer Wei-se gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, werden die Ansprüche ausdiesem Sozialplan erst fällig, wenn das Verfahren abgeschlossen ist und rechts-kräftig feststeht, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist. Wird eine solche Klageeingereicht, nachdem die Abfindung bereits ausbezahlt wurde, so ist diese mitErhebung der Klage unter Ausschluss von Zurückbehaltungsrechten zur Rück-zahlung fällig.

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§ 10Schlussbestimmungen

1. Mitarbeiter, die Ansprüche aus diesem Sozialplan besitzen, sind verpflichtet, jedetatsächliche Änderung in ihren persönlichen Verhältnissen, die Bedeutung für dieLeistungen nach dieser Betriebsvereinbarung hat, unverzüglich schriftlich demUnternehmen mitzuteilen.

2. Sollten einzelne Bestimmungen dieses Sozialplanes unwirksam sein oder werdenoder im Widerspruch zu tariflichen oder gesetzlichen Regelungen stehen, so blei-ben die übrigen Regelungen bestehen. Die unwirksame oder in Widerspruch ste-hende Regelung ist durch eine Regelung zu ersetzen, die dem von den Parteienmit der ersetzten Regelung gewollten möglichst nahe kommt. Gleiches gilt füreine evtl. Regelungslücke.

3. Der Sozialplan tritt mit Unterzeichnung durch die Betriebsparteien in Kraft.

Ort/Datum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Geschäftsleitung Betriebsrat

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Anhang 3

Rechtsprechung zum Interessenausgleich – Eine Übersicht

Interessenausgleich mit Namensliste: Beschränkte Überprüfbarkeit der sozialen Auswahl bei Vorliegen einerNamensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer (ArbG Bocholt, Urt. v. 30.01.1997 – 3 Ca 1599/96)

1. Anders als in § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG, wo die soziale Auswahl bei einem Interessenausgleich nur nochauf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann, womit dem Arbeitgeber eine größere Freiheit bei dersozialen Auswahl eingeräumt worden ist, sieht § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG lediglich eine Beweislastumkehrfür die gleichen materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorliegens eines betrieblichen Erfordernissesvor.

2. Erfüllt ein vor dem 01.10.1996 zustande gekommener Sozialplan die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5KSchG, in dem er die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich in einer Liste aufführt, dann haben dieArbeitsgerichte die zwischen Ausspruch der Kündigung und letzter mündlicher Verhandlung eingetreteneRechtsänderung zu berücksichtigen. Es ist somit in einem solchen Falle Aufgabe des Arbeitnehmers, diegesetzliche Vermutung, daß die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, zu wi-derlegen.

ArbG Bocholt, Urt. v. 30.01.1997 – 3 Ca 1599/96, ZAP ERW 1997, 109 [Berscheid]

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungs- und Beweislast bei Vorliegen einer Namensliste der zukündigenden Arbeitnehmer (ArbG Bonn, Urt. v. 05.02.1997 – 2 Ca 3268/96)

1. Die gesetzlich vorgenommene Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Falle namentlicher Be-nennung des gekündigten Arbeitnehmers in einem zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossenenInteressenausgleich hat nicht den Zweck, den Arbeitnehmer im Rechtsstreit chancenlos zu stellen. Ausdiesem Grunde ist dem Arbeitgeber abzuverlangen, daß er sich hinreichend substantiiert zur Betriebsbe-dingtheit der Kündigung einläßt und so dem gekündigten Arbeitnehmer die Möglichkeit bietet, hieraufsachgerecht Stellung zu nehmen und womöglich der Neuverteilung der Beweislast zu entsprechen.

2. Die bloße Bejahung eines Betriebsteilübergangs allein reicht nicht aus, die Unwirksamkeit einer be-triebsbedingten Kündigung zu begründen, da ein solcher nur einer Kündigung „wegen" des Betriebsüber-gangs, nicht jedoch einer Kündigung aus anderen betriebsbedingten Kündigungen entgegensteht. ZurVortragslast des Arbeitnehmers gehört es, daß gerade sein Arbeitsplatz von dem in Frage kommendenBetriebsteilübergang erfaßt worden ist.

ArbG Bonn, Urt. v. 05.02.1997 – 2 Ca 3268/96, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 1 = AuA 1997, 323 = BB1997, 1418 = DB 1997, 1517 [Schiefer]

Interessenausgleich mit Namensliste: Nachträgliche Erstellung der Namensliste der zu kündigenden Arbeit-nehmer (ArbG Stralsund, Urt. v. 13.02.1997 – 1 Ca 647/96)

1. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG setzt zwingend voraus, daß die zu kündigenden Arbeitnehmer in dem Interes-senausgleich namentlich genannt sind. Es muß damit unmittelbar dem Interessenausgleich selbst zu ent-nehmen sein, welche Arbeitnehmer der Arbeitgeber und der Betriebsrat zur Kündigung vorgesehen ha-ben.

2. Dies setzt jedenfalls voraus, daß im Interessenausgleich die Einbeziehung einer konkret bestimmbarenAnlage, welche die Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer enthält, vereinbart ist.

3. Eine nachträglich erstellte Liste über die zu kündigenden Arbeitnehmer erfüllt nur dann die Vorausset-zungen des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG, wenn dem Interessenausgleich eine Einigung zwischen Arbeitgeberund Betriebsrat über die Erstellung einer Liste über die zu kündigenden Arbeitnehmer dem Grunde nachzu entnehmen ist.

4. Auch nach § 1 Abs. 3 KSchG n.F. bleibt der Arbeitgeber verpflichtet, auf die Rüge des Arbeitnehmersdie Gründe für die Sozialauswahl und die Gesichtspunkte für die Herausnahme einzelner Arbeitnehmermitzuteilen. Bei Nichterfüllung dieser Mitteilungspflicht ist die Kündigung als sozialwidrig und damitrechtsunwirksam anzusehen.

ArbG Stralsund, Urt. v. 13.02.1997 – 1 Ca 647/96, AuA 1998, 27 = ZAP ERW 1998, 67 [Berscheid]

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Interessenausgleich mit Namensliste: Notwendigkeit der Unterzeichnung der Namensliste der zu kündigen-den Arbeitnehmer (ArbG Ludwigshafen, Urt. v. 11.03.1997 – 1 Ca 3094/96)

1. Die Gespräche zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlun-gen und im Zusammenhang mit der Erstellung einer namentlichen Liste entsprechend § 1 Abs. 5 KSchGersetzen nicht die Anhörung nach § 102 BetrVG.

2. Die Liste der namentlich aufgeführten und zu kündigenden Arbeitnehmer entsprechend der neuen Re-gelung des § 1 Abs. 5 KSchG ist Teil des Interessenausgleichs und als solche von den Betriebspartnern zuunterzeichnen. Eine bloße Bezugnahme auf eine Liste reicht nicht aus.

3. Die Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer offensichtlich nicht aufgrundder Betriebsänderung, sondern aufgrund anderer betrieblicher Gründe gekündigt werden soll. Es ist Sachedes Arbeitgebers, den Zusammenhang zwischen der Betriebsänderung und den Entlassungen darzulegen.

4. Auch nach der neuen Gesetzeslage muß der Arbeitgeber auf Rüge des Arbeitnehmers die Gründe derSozialauswahl und die Gesichtspunkten für die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer mitteilen. BeiNichterfüllung dieser Mitteilungspflicht ist die Kündigung als wegen nicht zutreffend vorgenommenerSozialauswahl unwirksam anzusehen.

ArbG Ludwigshafen, Urt. v. 11.03.1997 – 1 Ca 3094/96, AuR 1997, 416 = BB 1997, 1901 = DB 1997, 1339

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungs- und Beweislast bei Vorliegen einer Namensliste der zukündigenden Arbeitnehmer (ArbG Berlin, Urt. v. 16.04.1997 – 69 Ca 49520/96)

1. Kommt ein Interessenausgleich zustande, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich be-zeichnet sind, dann muß ein in der Namensliste als zu Kündigender aufgeführter Arbeitnehmer die Ver-mutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG n.F. entkräften und den Beweis des Gegenteils führen. Die-ser ist Hauptbeweis und erst dann geführt, wenn Tatsachen voll bewiesen sind, aus denen sich ergibt, daßdie Kündigung nicht betriebsbedingt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG, d.h. der Arbeitsplatz trotz der Betriebsän-derung nicht weggefallen ist.

2. War die Kündigung im Zeitpunkt ihres Zugangs durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt,so ist sie wirksam, selbst wenn sich die Verhältnisse nachträglich objektiv ändern (vgl. BAG, Urt. v.28.04.1988 – 2 AZR 623/87, EzA § 613a BGB Nr. 80). Ausgehend von diesen Grundsätzen erscheint esfolgerichtig, den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 S. 3 KSchG n.F. auf die Fälle zu beschränken, indenen sich zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Sachlage wesentlich geändert hat. DieBetriebsbedingtheit einer Kündigung ist mithin stets, aber auch nur dann zu vermuten, wenn sich zumZeitpunkt ihres Zugangs die Sachlage nicht oder nicht wesentlich geändert hat.

3. Die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung gem. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG n.F. führt dazu,daß die soziale Auswahl der Arbeitnehmer/-innen nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werdenkann (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG n.F.). Die grobe Fehlerhaftigkeit ist in der Weise zu verstehen, daß die letzt-lich getroffene soziale Auswahl mit einem schweren und ins Auge springenden Fehler belastet sein muß,dessen Nichtberücksichtigung angesichts der Funktion der Sozialauswahl nicht hingenommen werdenkann.

ArbG Berlin, Urt. v. 16.04.1997 – 69 Ca 49520/96, ZAP ERW 1998, 45 [Berscheid]

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutungswirkung auch bei einer sog. Negativliste (ArbG Essen, Urt.v. 06.05.1997 – 2 Ca 32/97)

1. Die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG hat gem. § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 292 ZPO eineUmkehr der im Kündigungsrecht üblicherweise vorgegebenen Darlegungs- und Beweislast zur Folge, diedazu führt, daß Zweifel an der Betriebsbedingtheit der Kündigung zu Lasten des Arbeitnehmers gehen,die dieser ggf. ausräumen muß. Er muß die gesetzliche Vermutung durch Darlegung geeigneter Tatsa-chen und durch den Beweis des Gegenteils widerlegen.

2. Die Vermutung wird auch ausgelöst, wenn im Interessenausgleich nicht die Arbeitnehmer benanntsind, denen gekündigt werden soll (sog. „Positivliste"), sondern die, denen nicht gekündigt werden soll(sog. „Negativliste"), sofern für Betriebsrat und Arbeitgeber bei Abschluß des Interessenausgleichs klarist, welchen (namentlich feststehenden) Arbeitnehmern aufgrund der Betriebsänderung gekündigt werdensoll.

3. Die in § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG nF normierte Vermutung bezieht sich auch darauf, daß die Kündigungdurch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

4. Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG n.F. [1996] hat der Arbeitgeberunter den vergleichbaren Arbeitnehmern eine – nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG n.F. [1996] allerdings nur auf

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grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbare – Sozialauswahl zu treffen. Vergleichbar sind alle Arbeitnehmer, dieaustauschbar sind. Entscheidend sind hierbei vor allem die Aufgabenbereiche der Arbeitnehmer, ihreStellung in der Betriebshierarchie und die arbeitsvertraglichen Grenzen für eine anderweitige Beschäfti-gung des zu kündigenden Arbeitnehmers.

ArbG Essen, Urt. v. 06.05.1997 – 2 Ca 32/97, DB 1998, 925

Interessenausgleich mit Namensliste: Keine nachträgliche Erstellung der Namensliste der zu kündigendenArbeitnehmer (ArbG Offenbach/Main, Urt. v. 18.06.1997 – 3 Ca 694/96)

Vereinbaren Betriebsrat und Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungen erst nach Umsetzung der Betriebsän-derung durch Ausspruch der Kündigungen eine Namensliste i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG, so ist die gesetzlicheVermutung nicht erfüllt. Die Kündigung kann nicht als durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt angese-hen werden.

ArbG Offenbach/Main, Urt. v. 18.06.1997 – 3 Ca 694/96, AiB 1997, 728 [Isensee] = DB 1998, 926

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutung des Vorliegens eines dringenden betrieblichen Bedürfnis-ses und beschränkte Überprüfbarkeit der sozialen Auswahl (ArbG Oberhausen, Urt. v. 07.07.1997 – 2 Ca753/97)

1. Die Vermutung des Vorliegens eines dringenden betrieblichen Erfordernisses (§ 1 Abs. 5 S. 1 KSchG)ist nur dann widerlegt, wenn offenkundig keine betrieblichen Gründe die Kündigung bedingt haben. Diediesbezügliche Darlegungslast trägt der Arbeitnehmer.

2. Auch nach der Neuregelung (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG) ist eine Sozialauswahl vorzunehmen. Die Darle-gungslast trägt der Arbeitgeber.

3. Die Sozialauswahl ist nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG). Die diesbe-zügliche Darlegungs- und Beweislast trägt der Arbeitnehmer.

4. Grobe Fehlerhaftigkeit i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG ist nur gegeben, wenn ein offenkundiger Verstoßgegen die Rechtsordnung vorliegt (§ 44 VwVfG).

ArbG Oberhausen, Urt. v. 07.07.1997 – 2 Ca 753/97, DB 1998, 926

Interessenausgleich mit Namensliste: Beschränkte Überprüfbarkeit der sozialen Auswahl bei Vorliegen einerNamensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer (ArbG Oberhausen, Urt. v. 08.07.1997 – 3 Ca 576/97)

1. Durch die Neuregelungen des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG hat sich an den bisherigen Überprüfungsverfah-ren, d.h. an der abgestuften Darlegungs- und Beweislast bei der sozialen Auswahl nichts geändert. Geän-dert hat sich lediglich etwas im Hinblick auf das danach festzustellende Prüfungsergebnis: Nur noch gro-be Auswahlfehler können dem Arbeitnehmer zum Erfolg verhelfen.

2. Die Beschränkung des Prüfungsmaßstabes auf grobe Fehlerhaftigkeit setzt denknotwendig eine Über-prüfungsmöglichkeit voraus, die dem Arbeitnehmer und dem Gericht in aller Regel dann genommen wä-re, wenn der Arbeitgeber seine sozialen Auswahlüberlegungen und -kriterien nicht mehr angeben müßte.Erfüllt der Arbeitgeber die ihm gem. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG obliegende Auskunftspflicht nicht, so ist vonder Sozialwidrigkeit der Kündigung auszugehen.

ArbG Oberhausen, Urt. v. 08.07.1997 – 3 Ca 576/97, ZAP ERW 1998, 46 [Berscheid]

Interessenausgleich mit Namensliste: Grobe fehlerhafte Sozialauswahl (ArbG Stuttgart, Urt. v. 08.07.1997 – 9Ca 13/97)

1. Kommt außerhalb des Konkurses ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande, so beschränkt sichdie Nichteinbeziehung vergleichbarer Arbeitnehmer aus den Gründen des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG nichtbloß auf grobe Fehlerhaftigkeit. Diese zusätzliche Kündigungserleichterung enthält nur § 125 Abs. 1 S. 1Nr. 2 InsO für den Konkursfall.

2. Eine grob fehlerhafte Sozialauswahl liegt dann vor, wenn die Gewichtung der Kriterien jede Ausgewo-genheit vermissen lassen und vergleichbare Arbeitnehmer in die Auswahl nicht einbezogen werden.

ArbG Stuttgart, Urt. v. 08.07.1997 – 9 Ca 13/97, NZA-RR 1998, 162

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Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungs- und Beweislast bei Vorliegen einer Namensliste der zukündigenden Arbeitnehmer (ArbG Siegburg, Urt. v. 17.07.1997 – 1 Ca 3510/96)

1. Die Betriebsbedingtheit einer Kündigung wird gem. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG vermutet, sofern die Kün-digung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 erfolgt und der gekündigteArbeitnehmer in einem Interessenausgleich zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat namentlichbezeichnet ist.

2. Die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG bewirkt, daß der Arbeitgeber die Betriebsbe-dingtheit der Kündigung nicht darlegen muß, sondern der Arbeitnehmer, der die Unrichtigkeit der Ver-mutung geltend macht, nach § 292 S. 1 ZPO den Beweis des Gegenteils zu erbringen hat. Dabei reicht diebloße Erschütterung der gesetzlichen Vermutung durch den Beweis ihrer möglichen Unrichtigkeit nicht.

3. Rechtswirkung des Interessenausgleichs mit Namensliste im Falle einer Betriebsänderung ist weiter-hin, daß die soziale Auswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen ist (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG).

ArbG Siegburg, Urt. v. 17.07.1997 – 1 Ca 3510/96, MDR 1997, 1038 [Moll] = ZAP ERW 1998, 67 [Berscheid]

Interessenausgleich mit Namensliste: Beschränkte Überprüfbarkeit der sozialen Auswahl bei Vorliegen einerNamensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer (ArbG Darmstadt, Urt. v. 20.07.1997 – 2 Ca 462/96)

1. Anders als etwa nach § 1 Abs. 4 KSchG, welche Vorschrift die auf grobe Fehlerhaftigkeit begrenzteÜberprüfung nur auf die Bewertung der Sozialdaten in einer Betriebsvereinbarung bezieht, erstreckt§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO den eingeschränkten Prüfungsmaßstab auf „die Sozialauswahl"; also auf diegesamte Sozialauswahl einschließlich Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer, der Bewertung der Grunddatenund die Nichteinbeziehung in die Sozialauswahl zumindest insoweit, als es um eine angemessene Perso-nalstruktur geht.

2. Die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl hat nach § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG der Arbeitnehmer darzu-legen und zu beweisen. An dieser Darlegungs- und Beweislast hat § 125 InsO nichts geändert.

3. Der Arbeitnehmer hat nach § 1 Abs. 3 S. 1 HS. 2 KSchG einen Auskunftsanspruch. Danach hat derArbeitgeber dem Arbeitnehmer auf Verlangen die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen Sozialaus-wahl geführt haben. Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungs- und Beweislast zunächst, wenn erAuskunft über die getroffene Sozialauswahl verlangt. Solange der Arbeitgeber seiner Auskunftspflichtnicht nachkommt, genügt er auch seiner prozessualen Darlegungslast nicht (BAG, Urt. v. 24.03.1983 – 2AZR 21/82, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21). Dies gilt auch i.R.v. § 1 Abs. 3KSchG i.V.m. § 125 InsO. Die in der Zustimmung des Betriebsrates zu sehende „Richtigkeitsgewähr"beschränkt den Prüfungsmaßstab, ändert aber an der sich aus § 1 Abs. 3 ergebenden Darlegungs- undBeweislast nichts.

4. Der Arbeitgeber erfüllt seine Auskunftspflicht nur dann, wenn er die Sozialdaten aller Arbeitnehmer,unter denen er eine Auswahl getroffen hat, angibt und mitteilt, wie er die Sozialdaten bei der Auswahldieser Arbeiten immer gewichtet hat. Beruft sich der Arbeitgeber auf den Ausnahmetatbestand der Her-stellung oder Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur, hat er auch die dafür erheblichen Tatsa-chen anzugeben und seine Auskunft insgesamt so zu gestalten, daß die Arbeitnehmer in die Lage versetztwerden, die getroffene Auswahl und/oder Ausnahmeentscheidung nachzuvollziehen.

ArbG Darmstadt, Urt. v. 20.07.1997 – 2 Ca 462/96, ZAP ERW 1998, 68 [Berscheid]

Interessenausgleich mit Namensliste: Notwendigkeit der Unterzeichnung der Namensliste der zu kündigen-den Arbeitnehmer (ArbG Hannover, Urt. v. 23.07.1997 – 9 Ca 28/97)

Über die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG werden die Verteidigungsmöglichkeiten des Arbeit-nehmers gegen eine Kündigung des Arbeitgebers im Rahmen eines Interessenausgleichs im Vergleich zu Kündi-gungen, die außerhalb eines solchen ausgesprochen werden, erheblich eingeschränkt. Deshalb muß unzweifelhaftund eindeutig sein, welche Kündigungen von der gesetzlichen Vermutung erfaßt werden. Diese erforderliche Klar-heit soll nach der gesetzlichen Regelung in § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG i.V.m. § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG und § 126 BGBgerade dadurch erzielt werden, daß der betreffende Arbeitnehmer in dem schriftlich und von beiden Betriebspart-nern zu unterzeichnenden Interessenausgleich namentlich benannt wird; eine Bezeichnung in einer nicht unter-schriebenen Namensliste daher genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.

ArbG Hannover, Urt. v. 23.07.1997 – 9 Ca 28/97, DB 1998, 208

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungs- und Beweislast bei Vorliegen einer Namensliste der zu

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kündigenden Arbeitnehmer (LAG Köln, Urt. v. 01.08.1997 – 11 Sa 355/97)

1. Kommt bei einer Betriebsänderung ein Interessenausgleich mit namentlicher Benennung der zu kündi-genden Arbeitnehmer zustande, dann genügt nicht bloß eine Erschütterung der gesetzlichen Vermutung,der Arbeitnehmer muß vielmehr den vollen Nachweis erbringen, daß aus der Vermutungslage nicht dervom Gesetz gezogene Schluß der Betriebsbedingtheit der Kündigung zu ziehen ist. Die dem Arbeitneh-mer aufgebürdete Beweislast erstreckt sich auch auf Indiztatsachen, aus denen er den Schluß auf ein Feh-len der Betriebsbedingtheit der Kündigung ziehen will (z.B. auf eine bestrittene Neueinstellung).

2. Die Darlegungslast des Arbeitgebers beschränkt sich auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1Abs. 5 S. 1 KSchG. Mangels einer § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG entsprechenden Vorschrift können die von derRechtsprechung (vgl. BAG, Urt. v. 24.03.1983 – 2 AZR 21/82, DB 1983, 1822) entwickelten Grundsätze,daß bei der sozialen Auswahl der Auskunftsanspruch auf die Darlegungslast durchschlägt, nicht auf dieBetriebsbedingtheit der Kündigung übertragen werden.

3. Kommt bei einer Betriebsänderung ein Interessenausgleich mit namentlicher Benennung der zu kündi-genden Arbeitnehmer zustande, dann kann die soziale Auswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit über-prüft werden. Diese Beschränkung der Überprüfungsmöglichkeit bezieht sich nicht nur auf die Sozialin-dikatoren und deren Gewichtung, sondern auf sämtliche Bestandteile der Sozialauswahl, mithin auch aufihren ersten Akt, nämlich die Bildung der auswahlrelevanten Gruppe. Auch dabei schadet nur „grobeFehlerhaftigkeit".

4. Eine „wesentliche Änderung der Sachlage" i.S.v. § 1 Abs. 5 S. 3 KSchG n.F. meint eine Änderung derGeschäftsgrundlage. Sie ist nur wesentlich, wenn die Betriebspartner den Interessenausgleich ohne ernst-haften Zweifel nicht oder in einem entscheidungserheblichen Punkt nicht so abgeschlossen hätten. Davonkann keine Rede sein, wenn die Streichung eines Arbeitsplatzes von insgesamt 36 Betroffenen nicht wieursprünglich geplant durch Auslagerung seiner Funktion auf ein Fremdunternehmen, sondern durch Ver-teilung von dessen Restfunktionen auf verbliebene Arbeitnehmer bewerkstelligt wird.

5. Die zu einer betriebsbedingten Kündigung führende aber gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbareUnternehmerentscheidung kann auch in dem Entschluß liegen, künftig auf Dauer mit weniger Personal zuarbeiten. Eine hierdurch verursachte Leistungsverdichtung bei den verbleibenden Arbeitnehmern ist ingewissem Rahmen hinzunehmen (wie BAG, Urt. v 24.04.1997 – 2 AZR 352/96, AP Nr. 42 zu § 2 KSchG1969); dem Anlaß zu dieser Entscheidung kommt prozessual nur Bedeutung im Rahmen der Plausibili-tätskontrolle zu.

LAG Köln, Urt. v. 01.08.1997 – 11 Sa 355/97, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 94 = EzA § 1KSchG Interessenausgleich Nr. 2 = LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 1 = NZA-RR 1998, 160

Interessenausgleich mit Namensliste: Kein Bestreiten des Arbeitnehmers mit Nichtwissen (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 06.08.1997 – 2 Sa 479/97)

1. Trägt der Arbeitgeber vor, er habe dem Betriebsrat zu einem bestimmten Zeitpunkt unter Angabe derKündigungsgründe von einer beabsichtigten Kündigung unterrichtet, dann kann der gegen die Kündigungklagende Arbeitnehmer diesen Vorgang nicht allein mit Nichtwissen bestreiten. Dabei kommt es auchnicht darauf an, ob dem entsprechenden Vortrag des Arbeitgebers eine Kopie des Anhörungsschreibensbeigefügt war. Es ist vielmehr Aufgabe des Arbeitnehmers, dieses Vorbringen auf seine Richtigkeit zuüberprüfen, z.B. durch Rücksprache mit dem Betriebsratsvorsitzenden.

2. Der gesetzlichen Vermutung des dringenden betrieblichen Erfordernisses i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG führtzu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitnehmer muß das Nichtvorliegen der drin-genden betrieblichen Erfordernisse darlegen und beweisen. Zweifel an der Betriebsbedingtheit gehen zuLasten des Arbeitnehmers. Die Umkehr der Beweislast erfaßt auch die Frage, welcher Arbeitsplatz durchdie betriebliche Maßnahme betroffen wird und ob die Sozialauswahl zutreffend vorgenommen wurde.Der klagende Arbeitnehmer kann sich deshalb nicht auf ein bloßes Bestreiten beschränken.

3. Auch der Vortrag des Arbeitgebers, er habe mit dem Betriebsrat zu einem bestimmten Zeitpunkt einenInteressenausgleich vereinbart und in der Anlage hierzu in einer Liste die zu entlassenden Arbeitnehmernamentlich aufgeführt, kann der gekündigte Arbeitnehmer nicht mit bloßem Nichtwissen bestreiten. Erhat sich vielmehr sachkundig zu machen, um alsdann substantiierten Vortrag halten zu können.

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 06.08.1997 – 2 Sa 479/97, AE Heft 1/98, S. 12

Interessenausgleich mit Namensliste: Notwendigkeit der Unterzeichnung der Namensliste der zu kündigen-den Arbeitnehmer (ArbG Hannover, Urt. v. 22.08.1997 – 1 Ca 775/96)

Der Interessenausgleich bedarf gem. § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG der Schriftform; dies gilt auch für die Namensliste,da diese gem. § 1 Abs. 5 KSchG „in" einem Interessenausgleich niedergelegt sein muß. Eine bloße Bezugnahmeauf eine lediglich als Anlage zum Interessenausgleich beigefügte Namensliste reicht nicht aus; vielmehr muß eine

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solche nicht mit der Haupturkunde festverbundene Anlage von den Betriebspartnern erneut unterschrieben sein.

ArbG Hannover, Urt. v. 22.08.1997 – 1 Ca 775/96, BB 1997, 2167 = DB 1998, 207 = NZA-RR 1998, 16

Interessenausgleich mit Namensliste: Keine Notwendigkeit der Unterzeichnung der Namensliste der zu kün-digenden Arbeitnehmer (ArbG Kiel, Urt. v. 05.09.1997 – 4 Ca 3376c/96)

1. Die dringenden betrieblichen Erfordernisse werden nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG vermutet, wenn imRahmen einer Betriebsänderung ein Interessenausgleich vereinbart wird, der eine Namensliste derjenigenMitarbeiter enthält, deren Arbeitsverhältnis beendet werden soll.

2. Die Auffassung des ArbG Ludwigshafen (Urt. v. 11.03.1997 – 1 Ca 3094/96, AuA 1997, 323), wonachdie Namensliste von den Betriebspartnern unterzeichnet werden müsse, ist weder mit der Rechtsprechungdes BAG (Bes. v. 11.11.1986 – 3 ABR 74/85, AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972) noch mit der des BGH(Urt. v. 13.11.1963 – V ZR 8/62, AP Nr. 1 zu § 126 BGB) vereinbar.

3. Ein in einem Interessenausgleich vereinbarter Personalabbau kann auch in Wellen erfolgen.

4. Der Arbeitgeber muß seine für die Sozialauswahl herangezogenen Kriterien nicht darlegen. Es ist da-von auszugehen, daß eine Richtigkeitsgewähr für die Sozialauswahl besteht, soweit im Interessenaus-gleich gekündigte Arbeitnehmer namentlich erwähnt werden. Der Auffassung des ArbG Bonn (Urt. v.05.02.1997 – 2 Ca 3268/96, AuA 1997, 323), die Überprüfung auf grobe Fehler beziehe sich nur auf dieAuswahlkriterien zur Sozialauswahl, kann nicht gefolgt werden.

5. Die Unsicherheit im Betrieb bezieht sich weniger auf die Wertung der drei Auswahlkriterien, sondernwelche Tätigkeiten miteinander vergleichbar sind. Wäre die Vergleichbarkeit nicht Gegenstand der Rege-lung zu Sozialauswahl in § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG, hätte die gesetzliche Neuregelung in der Praxis kaumnennenswerte Auswirkungen.

ArbG Kiel, Urt. v. 05.09.1997 – 4 Ca 3376c/96, DB 1998, 926 = NZA-RR 1998, 67

Interessenausgleich mit Namensliste: Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabes hinsichtlich derSozialauswahl (LAG Düsseldorf, Urt. v. 11.09.1997 – 5 Sa 961/97)

1. Wie ein Vergleich der Absätze 4 und 5 des § 1 KSchG ergibt, erstreckt sich die Prüfung der „grobenFehlerhaftigkeit" bei einem Interessenausgleich mit Namensliste auch auf die Frage, ob der im Rahmender Sozialauswahl gebildete „Topf" den Anforderungen der Rechtsprechung entspricht, ob also der Kreisder in die Sozialauswahl einzubeziehenden Mitarbeiter mit Blick auf ihre Vergleich- und Austauschbar-keit richtig bestimmt ist.

2. Macht der Arbeitgeber geltend, bestimmte Mitarbeiter seien wegen ihrer besonderen Kenntnisse ausdem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer wegen berechtigter betrieblicher Interessen auszunehmen, sogenügt der gekündigte Arbeitnehmer seiner Vortragspflicht nicht, wenn er dies durch einen undifferen-zierten Sachvortrag bestreitet und pauschal behauptet, er könne derartige Fähigkeiten in kurzer Zeit selbsterwerben.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 11.09.1997 – 5 Sa 961/97, n.v.

Interessenausgleich mit Namensliste: Überprüfung der unternehmerischen Entscheidung und der vorge-nommenen Sozialauswahl (ArbG Gelsenkirchen, Urt. v. 01.10.1997 – 4 Ca 32/97)

1. Dient ein Personalabbau nicht nur dem Wiederherstellen eines positiven Betriebsergebnisses (nach vo-rangegangenen Verlustjahren), sondern einer nicht unerheblichen Ergebnisverbesserung, so kann einesolche Gewinnmaximierung nicht als dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG aner-kannt werden, mag damit auch eine innerbetriebliche Umorganisation zur Verteilung der – gleich geblie-benen – Arbeit auf die noch verbliebenen Arbeitnehmer parallel einhergehen. Denn im Ergebnis würdeallein der bloße Kündigungsentschluß des Arbeitgebers bei gleich gebliebenen Auftrags- und Umsatzzah-len, zukünftig den Betrieb ohne den/die gekündigten Arbeitnehmer fortzuführen, als nicht nachprüfbareunternehmerische Ermessensentscheidung anerkannt.

2. Sprechen alle drei Sozialauswahlkriterien des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG für den Geschädigten und liegenauch die im Interessenausgleich genannten Voraussetzungen für den Vorrang eines lebensjüngeren ge-genüber dem lebensälteren Arbeitnehmer nicht vor, muß die vom Arbeitgeber vorgenommene Sozialaus-wahl insgesamt als grob fehlerhaft angesehen werden.

ArbG Gelsenkirchen, Urt. v. 01.10.1997 – 4 Ca 32/97, AiB 1998, 48 [Schuster] = BetrR 1998, 37 [Schuster]

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Interessenausgleich mit Namensliste: Volle Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers (LAG Düsseldorf,Urt. v. 09.10.1997 – 13 Sa 996/97)

1. Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG kann in die Verhandlung über den Interessenausgleichaufgenommen werden.

2. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG trifft den Arbeitnehmer die volle Darle-gungs- und Beweislast für das Fehlen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 09.10.1997 – 13 Sa 996/97, DB 1998, 926

Interessenausgleich mit Namensliste: Notwendigkeit der Unterzeichnung der Namensliste der zu kündigen-den Arbeitnehmer (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.10.1997 – 9 Sa 401/97)

1. Angesichts der weitreichenden Auswirkungen, die die namentliche Benennung der zu kündigendenMitarbeiter gem. § 1 Abs. 5 KSchG hat, ist es aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich ist, daß ent-weder beide Seiten die namentliche Liste unterzeichnen und hiermit die Verantwortung für deren Inhaltübernehmen oder aber zumindest durch eine geeignete Überschrift sowie die Mitteilung von Ort und Da-tum eindeutig zum Ausdruck bringen, daß es sich um die Anlage zum Interessenausgleich handeln soll.

2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß Betriebsrat und Arbeitgeber nach Verkündung dererstinstanzlichen Entscheidung nachträglich die Namensliste zum Interessenausgleich unterzeichnet ha-ben. Denn entscheidend für die Frage der Rechtswirksamkeit der Kündigung ist der Zeitpunkt ihres Zu-gangs; nachträgliche Änderungen vermögen an der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Kündi-gung nichts zu ändern.

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 17.10.1997 – 9 Sa 401/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 2

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegung betrieblicher Interessen gegen Sozialauswahl (ArbG Bo-chum, Urt. v. 31.10.1997 – 1 Ca 1485/97)

1. Auch wenn die Betriebspartner generell einen Interessenausgleich mit einer Namensliste vereinbarthaben, ist vor jeder einzelnen Kündigung die Anhörung nach § 102 BetrVG durchzuführen. Auch in ei-nem solchen Fall hat der Arbeitgeber im Prozeß vorzutragen, wann und mit welcher Begründung der Be-triebsrat von der beabsichtigten individuellen Kündigung informiert worden ist.

2. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG setzt voraus, daß die einzelnen Arbeitnehmer in dem zwischen Arbeitgeber undBetriebsrat vereinbarten Interessenausgleich namentlich genannt werden. Der Interessenausgleich bedarfnach § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG ausdrücklich der Schriftform. Dem gesetzlichen Schriftformerfordernisaber ist nur genügt, wenn das Dokument als Urkunde das gesamte formbedürftige Rechtsgeschäft enthält.

3. Eine Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer, die weder von Arbeitgeber noch Betriebsrat unterschrie-ben noch mit dem Interessenausgleich fest verbunden ist, wird diesen Erfordernissen nicht gerecht.

4. Werden Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG nicht in die soziale Auswahl einbezogen, so hat derArbeitgeber nachvollziehbar darzulegen, Werden nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG Arbeitnehmer nicht in diesoziale Auswahl einbezogen, so hat der Arbeitgeber darzulegen, inwiefern gerade diese Arbeitnehmer„zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur unverzichtbar sind", deren Weiterbeschäftigung al-so im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.

ArbG Bochum, Urt. v. 31.10.1997 – 1 Ca 1485/97, AuA 1998, 178 = AuR 1998, 123, 126

Interessenausgleich mit Namensliste: Schriftformerfordernis für Namensliste im Interessenausgleich (LAGBaden-Württemberg, Urt. v. 05.11.1997 – 21 Sa 28/97)

1. Wird der Inhalt eines Interessenausgleiches zwischen dem Konkursverwalter und dem Betriebsrat inmehreren Schriftstücken niedergelegt, so liegt ein wirksamer Interessenausgleich nur dann vor, wenn dieeinzelnen Blätter zusammengehören und eine äußerlich erkennbare Einheit (i.S.e. Gesamturkunde) bil-den. Die Einheitlichkeit der Urkunde ist zu verneinen, wenn ihre Bestandteile zwar einen Sinnzusam-menhang erkennen lassen, aber nicht körperlich miteinander verbunden sind.

2. Sind die zu kündigenden Arbeitnehmer im Rahmen eines Interessenausgleiches zwischen dem Kon-kursverwalter und dem Betriebsrat in einer separaten Namensliste festgehalten, so findet § 125 Abs. 1NRn. 1 und 2 InsO nur dann Anwendung, wenn die Namensliste als integraler Bestandteil einer demSchriftformerfordernis genügenden (Gesamt-)Urkunde, in welcher der Interessenausgleich festgehaltenist, körperlich verbunden ist.

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 05.11.1997 – 21 Sa 28/97, AE Heft 2/98, S. 12

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Interessenausgleich mit Namensliste: Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabes hinsichtlich derSozialauswahl (ArbG Nürnberg, Urt. v. 17.11.1997 – 2 Ca 5956/97)

1. Kommt ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande, bezieht sich die Beschränkung des gerichtli-chen Prüfungsmaßstabes nicht nur auf die soziale Auswahl im engeren Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG,sondern auch auf die berechtigten betrieblichen Interessen i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG. Der Vergleichmit § 1 Abs. 4 KSchG ergibt, daß der Gesetzgeber mit § 1 Abs. 5 KSchG eine umfassendere Regelunggewollt hat. Es ist auch nicht einleuchtend, warum die soziale Reihung und die Bewertung der Sozialge-sichtspunkte untereinander durch die Betriebspartner eine höhere Akzeptanz durch das Gesetz finden sollals die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl wiederum durch die Betriebspartnerin einem Interessenausgleich.

2. Die Beschränkung der Sozialauswahl auf bestimmte Betriebsabteilungen – hier: Filialen – anstatt einervollständigen betriebsbezogenen Sozialauswahl, kann jedenfalls dort nicht beanstandet werden, wo derKontrollmaßstab die „grobe Fehlerhaftigkeit" ist. Das BAG (Urt. v. 07.12.1995 – 2 AZR 1008/94, NZA1996, 473) hat bereits erwogen, daß bei Massenentlassungen eine Beschränkung der Sozialauswahl aufeine Betriebsabteilung durchaus unter dem Aspekt der von der alten Rechtslage nur geforderten „ausrei-chenden" Berücksichtigung sozialer Belange in Betracht kommt. In diese Richtung zielt gerade auch dieNovellierung des KSchG mit Erleichterungen für den Arbeitgeber.

ArbG Nürnberg, Urt. v. 17.11.1997 – 2 Ca 5956/97, AE Heft 1/98, S. 13

Interessenausgleich mit Namensliste: Grob fehlerhafte Sozialauswahl (ArbG Stuttgart, Urt. v. 12.12.1997 – 21Ca 4736/97)

1. Die reduzierte Prüfung der sozialen Auswahl gem. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG i.d.F. v. 01.10.1996 auf gro-be Fehlerhaftigkeit erstreckt sich nicht nur auf die Bewertung der Sozialindikatoren, sondern auch auf dieBildung der Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer, sowie die Herausnahme von Arbeitnehmern ausder Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG n.F.

2. Eine grobe Fehlerhaftigkeit liegt zumindest dann vor, wenn die Sozialauswahl mit einem schweren, insAuge springenden Fehler behaftet ist, dessen Nichtberücksichtigung angesichts der Funktion der Sozial-auswahl nicht hingenommen werden kann. Die Kündigung eines fast dreimal so alten Arbeitnehmers (59Jahre zu 20 Jahre) mit einer über fünfmal höheren Betriebszugehörigkeit (12½ Jahre zu 2½ Jahre) läßtjegliches Maß an sozialer Auswahl unberücksichtigt. Eine solche Sozialauswahl ist grob fehlerhaft.

3. Der Arbeitgeber hat auch im Rahmen des § 1 Abs. 5 S. 2 i.V.m. Abs. 3 KSchG die Tatsachen substan-tiiert vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, die ein berechtigtes betriebliches Interesse an derWeiterbeschäftigung im Sinne § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG n.F. begründen. Die Reduzierung der Prüfung aufgrobe Fehlerhaftigkeit entbindet den Arbeitgeber nicht davon, die zugrunde liegenden Tatsachen konkretund nachvollziehbar vorzutragen.

ArbG Stuttgart, Urt. v. 12.12.1997 – 21 Ca 4736/97, AuR 1998, 203

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutungswirkung, Sozialauswahl, Darlegungs- und Beweislast(LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.01.1998 – 5/4/3 Sa 1913/97)

1. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG enthält eine gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 ZPO. Dies bedeutet, daß derArbeitnehmer den vollen Nachweis führen muß, wonach dringende betriebliche Erfordernisse die Kündi-gung nicht bedingen.

2. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG beinhaltet keine Änderung der Darlegungs- und Beweislast i.S.d. § 1 Abs. 3KSchG. Nennt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozeß die Namen von anderen Arbeitnehmern,die er für vergleichbar und sozial weniger schutzwürdig hält, ist der Arbeitgeber verpflichtet, substantiiertvorzutragen, welche Gründe ihn zu der getroffenen Sozialauswahl veranlaßt haben. Erst danach kann dieSozialauswahl auf „grobe Fehlerhaftigkeit" geprüft werden.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.01.1998 – 5/4/3 Sa 1913/97, AuA 1998, 328 = DB 1998, 1235

Interessenausgleich mit Namensliste: Umfang und Reichweite der gesetzlichen Vermutungswirkungen (LAGDüsseldorf, Urt. v. 29.01.1998 – 5/4 Sa 1914/97)

1. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG enthält eine gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 ZPO. Dies bedeutet, daß derArbeitnehmer den vollen Nachweis führen muß, wonach dringende betriebliche Erfordernisse die Kündi-gung nicht bedingen.

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2. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG beinhaltet keine Änderung der Darlegungs- und Beweislast i.S.d. § 1 Abs. 3KSchG. Nennt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozeß die Namen von anderen Arbeitnehmern,die er für vergleichbar und sozial weniger schutzwürdig hält, ist der Arbeitgeber verpflichtet, substantiiertvorzutragen, welche Gründe ihn zu der getroffenen Sozialauswahl veranlaßt haben. Erst danach kann dieSozialauswahl auf „grobe Fehlerhaftigkeit" geprüft werden.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.01.1998 – 5/4 Sa 1914/97, InVo 1999, 12

Interessenausgleich mit Namensliste: Umfang und Reichweite der gesetzlichen Vermutungswirkungen (LAGDüsseldorf, Urt. v. 29.01.1998 – 5 Sa 1915/97)

1. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG enthält eine gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 ZPO. Dies bedeutet, daß derArbeitnehmer den vollen Nachweis führen muß, wonach dringende betriebliche Erfordernisse die Kündi-gung nicht bedingen.

2. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG beinhaltet keine Änderung der Darlegungs- und Beweislast i.S.d. § 1 Abs. 3KSchG. Nennt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozeß die Namen von anderen Arbeitnehmern,die er für vergleichbar und sozial weniger schutzwürdig hält, ist der Arbeitgeber verpflichtet, substantiiertvorzutragen, welche Gründe ihn zu der getroffenen Sozialauswahl veranlaßt haben. Erst danach kann dieSozialauswahl auf „grobe Fehlerhaftigkeit" geprüft werden.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.01.1998 – 5 Sa 1915/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 4

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutungswirkung, Sozialauswahl, Darlegungs- und Beweislast(LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.01.1998 – 5/6 Sa 1916/97)

1. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG enthält eine gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 ZPO. Dies bedeutet, daß derArbeitnehmer den vollen Nachweis führen muß, wonach dringende betriebliche Erfordernisse die Kündi-gung nicht bedingen.

2. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG beinhaltet keine Änderung der Darlegungs- und Beweislast i.S.d. § 1 Abs. 3KSchG. Nennt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozeß die Namen von anderen Arbeitnehmern,die er für vergleichbar und sozial weniger schutzwürdig hält, ist der Arbeitgeber verpflichtet, substantiiertvorzutragen, welche Gründe ihn zu der getroffenen Sozialauswahl veranlaßt haben. Erst danach kann dieSozialauswahl auf „grobe Fehlerhaftigkeit" geprüft werden.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.01.1998 – 5/6 Sa 1916/97, n.v.

Interessenausgleich mit Namensliste: Sekundäre Behauptungslast des Arbeitgebers (ArbG Senftenberg, Urt.v. 05.02.1998 – 3 Ca 2923/97)

1. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Auskunft über die dringenden betrieblichen Erfordernisse und dieErwägungen der Betriebsparteien, die dem Interessenausgleich zugrunde lagen. Der Auskunftsanspruchkonkretisiert sich im Kündigungsrechtsstreit als prozessuale Mitwirkungspflicht nach § 138 Abs. 2 ZPO.Es ist dem nicht beweisbelasteten Arbeitgeber danach zuzumuten, dem ansonsten chancenlosen Arbeit-nehmer eine ordnungsgemäße Darlegung durch nähere Angaben der maßgeblichen zu seinem Wahrneh-mungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen. Im Ergebnis besteht eine abgestufte Darlegungs-last: Kommt der Arbeitgeber seiner Darlegungspflicht im Rechtsstreit nicht nach, so genügt der Arbeit-nehmer seiner Darlegungslast zunächst, wenn er die dringenden betrieblichen Erfordernisse bestreitet.

2. Grobe Fehlerhaftigkeit bei der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG liegt vor, wenn die Gewich-tung der drei sozialen Kriterien durch die Betriebsparteien jede Ausgewogenheit vermissen läßt. Dies istinsbesondere dann der Fall, wenn ein Kriterium völlig unzureichend oder gar nicht berücksichtigt wurde.

3. Die Frage, ob berechtigte betriebliche Interessen die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer bedingen,ist in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Die Möglichkeit der Herausnahme aus der Sozialauswahlist keine Generalklausel, die beliebig zum Abweichen von der Sozialauswahl ermächtigt. DieSchutzfunktion der Sozialauswahl kann nur ausnahmsweise im Einzelfall dann zurücktreten, wenn einüberprüfbares erhebliches Interesse vorliegt.

4. Im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG bleibt es hinsichtlich der Sozialauswahl bei der ab-gestuften Darlegungs- und Beweislast des § 1 Abs. 3 KSchG, da § 1 Abs. 5 KSchG in dieser Hinsichtkeine Regelung zur Darlegungs- und Beweislast trifft. Hinsichtlich der Sozialauswahl enthält § 1 Abs. 5S. 2 KSchG auch keine „Richtigkeitsvermutung" i.S.e. Beweislastregel, sondern lediglich eine einge-schränkte, am Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit zu messende Überprüfbarkeit. Für das Vorliegen be-rechtigter betrieblicher Interessen ist der Arbeitgeber in vollem Umfang darlegungs- und beweispflichtig.

ArbG Senftenberg, Urt. v. 05.02.1998 – 3 Ca 2923/97, AuA 1998, 328 = NZA-RR 1998, 299

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Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutungswirkung, Sozialauswahl, Darlegungs- und Beweislast(LAG Düsseldorf, Urt. v. 16.02.1998 – 5 Sa 2029/97)

1. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG enthält eine gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 ZPO. Dies bedeutet, daß derArbeitnehmer den vollen Nachweis führen muß, wonach dringende betriebliche Erfordernisse die Kündi-gung nicht bedingen.

2. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG beinhaltet keine Änderung der Darlegungs- und Beweislast i.S.d. § 1 Abs. 3KSchG. Nennt der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozeß die Namen von anderen Arbeitnehmern,die er für vergleichbar und sozial weniger schutzwürdig hält, ist der Arbeitgeber verpflichtet, substantiiertvorzutragen, welche Gründe ihn zu der getroffenen Sozialauswahl veranlaßt haben. Erst danach kann dieSozialauswahl auf „grobe Fehlerhaftigkeit" geprüft werden.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 16.02.1998 – 5 Sa 2029/97, BB 1998, 1268

Interessenausgleich mit Namensliste: Anforderungen an den Mindestinhalt eines Interessenausgleichs (LAGBrandenburg, Urt. v. 19.02.1998 – 8 Sa 847/97)

Die nach § 1 Abs. 5 KSchG geregelte Rechtslage (Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung, Überprüfungder Sozialauswahl nur auf grobe Fehler) setzt die namentliche Bezeichnung des zu kündigenden Arbeitnehmers ineinem Interessenausgleich vorauS. Die Auflistung der Arbeitnehmer mit Namen, Bruttoeinkommen, Lebensjahrenund (volle) Jahre der Betriebszugehörigkeit in einem Interessenausgleich und Sozialplan unter der Überschrift„Berechnung der Abfindungen" ist – auch in Anbetracht dessen, daß das Kriterium der Unterhaltspflichten fehlt –hierzu nicht ausreichend.

LAG Brandenburg, Urt. v. 19.02.1998 – 8 Sa 847/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 8 = AuR 1998,332

Interessenausgleich mit Namensliste: Zeitpunkt des Vorliegens der Namensliste und gesonderte Anhörungdes Betriebsrats (LAG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.1998 – 17/4 Sa 1788/97)

1. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG n.F. schränkt die Mitteilungsrechte des Be-triebsrats nach § 102 BetrVG nicht ein. Der Arbeitgeber ist ungeachtet der Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1KSchG gehalten, dem Betriebsrat die tatsächlichen betrieblichen Gründe für seinen Kündigungsentschlußmitzuteilen und insbesondere, wer den Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmergebildet hat.

2. Auf die Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG kann der Arbeitgeber sich nicht berufen, wenn die Na-mensliste erst später erstellt worden ist – er muß zugleich mit Abschluß des Interessenausgleichs Klarheithinsichtlich der zu kündigenden Arbeitnehmer geben.

3. Nach Maßgabe von § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG ist es „grob fehlerhaft", wenn den Gekündigten bei gleichzu gewichtenden Unterhaltspflichten gegenüber ungekündigten Arbeitnehmern sowohl die erheblich län-gere Dauer der Betriebszugehörigkeit als auch das erheblich höhere Lebensalter als schutzwürdiger aus-weisen.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.1998 – 17/4 Sa 1788/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 9 = BB 1998,2268

Interessenausgleich mit Namensliste: Sozialauswahl – betriebliche Interessen – Leistung/Qualifikation (LAGDüsseldorf, Urt. v. 25.02.1998 – 12/13 Sa 2121/97)

1. Der Arbeitgeber hat unter den vergleichbaren Arbeitnehmern zunächst eine Sozialauswahl gem. § 1Abs. 3 S. 1 KSchG zu treffen. Nur soweit durch die danach schutzwürdigen Arbeitnehmer die „berechtig-ten betrieblichen Interessen" nicht abgedeckt werden, kommt nach S. 2 die Weiterbeschäftigung von so-zial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmern in Betracht.

2. Ist der Arbeitgeber bei den Auswahlüberlegungen falsch verfahren, spricht eine tatsächliche Vermu-tung dafür, daß die Auswahlentscheidung i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG fehlerhaft bzw. i.S.v. § 1 Abs. 5S. 2 KSchG grob fehlerhaft ist. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung entkräften, indem er die ausrei-chende Berücksichtigung der sozialen Grunddaten des Satzes 1 oder die tatbestandlichen Voraussetzun-gen der Option des Satzes 2 näher darlegt.

3. § 1 Abs. 3 S. 2 meint mit berechtigten betrieblichen Interessen betriebliche Notwendigkeiten. Die Dar-legungs- und Beweislast für die Gründe des Satzes 2 trägt der Arbeitgeber. Die Kammer neigt zu der

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Auffassung, daß weder § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG die sich aus § 1 Abs. 3 KSchG ergebende Verteilung derDarlegungslast verändert noch sich die auf grobe Fehlerhaftigkeit reduzierte Prüfung auf die Nichteinbe-ziehung von Arbeitnehmern gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erstreckt.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 25.02.1998 – 12/13 Sa 2121/97, InVo 1999, 15

Interessenausgleich mit Namensliste: Fehlerhaftigkeit einer Vorauswahl nach betrieblichen Interessen (LAGDüsseldorf, Urt. v. 04.03.1998 – 12/16 Sa 2124/97)

1. Die Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG entbindet den Arbeitgeber nicht von der Obliegenheit, dieBetriebsbedingtheit der Kündigung – falls bestritten – im Prozeß darzulegen.

2. Der Arbeitgeber hat unter den vergleichbaren Arbeitnehmern zunächst eine Sozialauswahl gem. § 1Abs. 3 S. 1 KSchG zu treffen. Nur soweit durch die danach schutzwürdigen Arbeitnehmer die „berechtig-ten betrieblichen Interessen" nicht abgedeckt werden, kommt nach S. 2 die Weiterbeschäftigung von so-zial weniger schutzwürdigeren Arbeitnehmern in Betracht.

3. Ist der Arbeitgeber bei den Auswahlüberlegungen falsch verfahren, spricht eine tatsächliche Vermu-tung dafür, daß die Auswahlentscheidung i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG fehlerhaft bzw. i.S.v. § 1 Abs. 5S. 2 KSchG grob fehlerhaft ist. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung entkräften, indem er die ausrei-chende Berücksichtigung der sozialen Grunddaten des Satzes 1 oder die tatbestandlichen Voraussetzun-gen der Option des Satzes 2 näher darlegt.

4. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG meint mit „berechtigten betrieblichen Interessen" betriebliche Notwendigkeiten.Die Darlegungs- und Beweislast für die Gründe des Satzes 2 trägt der Arbeitgeber.

5. Die Kammer neigt zu der Auffassung, daß weder § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG die sich aus § 1 Abs. 3KSchG ergebende Verteilung der Darlegungslast verändert noch sich die auf grobe Fehlerhaftigkeit redu-zierte Prüfung auf die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erstreckt.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 04.03.1998 – 12/16 Sa 2124/97, n.v.

Interessenausgleich mit Namensliste: Fehlerhaftigkeit einer Vorauswahl nach betrieblichen Interessen (LAGDüsseldorf, Urt. v. 04.03.1998 – 12/17 Sa 2125/97)

1. Die Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG entbindet den Arbeitgeber nicht von der Obliegenheit, dieBetriebsbedingtheit der Kündigung – falls bestritten – im Prozeß darzulegen.

2. Der Arbeitgeber hat unter den vergleichbaren Arbeitnehmern zunächst eine Sozialauswahl gem. § 1Abs. 3 S. 1 KSchG zu treffen. Nur soweit durch die danach schutzwürdigen Arbeitnehmer die „berechtig-ten betrieblichen Interessen" nicht abgedeckt werden, kommt nach S. 2 die Weiterbeschäftigung von so-zial weniger schutzwürdigeren Arbeitnehmern in Betracht.

3. Ist der Arbeitgeber bei den Auswahlüberlegungen falsch verfahren, spricht eine tatsächliche Vermu-tung dafür, daß die Auswahlentscheidung i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG fehlerhaft bzw. i.S.v. § 1 Abs. 5S. 2 KSchG grob fehlerhaft ist. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung entkräften, indem er die ausrei-chende Berücksichtigung der sozialen Grunddaten des Satzes 1 oder die tatbestandlichen Voraussetzun-gen der Option des Satzes 2 näher darlegt.

4. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG meint mit „berechtigten betrieblichen Interessen" betriebliche Notwendigkeiten.Die Darlegungs- und Beweislast für die Gründe des Satzes 2 trägt der Arbeitgeber.

5. Die Kammer neigt zu der Auffassung, daß weder § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG die sich aus § 1 Abs. 3KSchG ergebende Verteilung der Darlegungslast verändert noch sich die auf grobe Fehlerhaftigkeit redu-zierte Prüfung auf die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erstreckt.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 04.03.1998 – 12/17 Sa 2125/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 3 = EzA § 1KSchG Interessenausgleich Nr. 4

Interessenausgleich mit Namensliste: Umfang und Reichweite der gesetzlichen Vermutungswirkungen (ArbGKiel, Urt. v. 06.03.1998 – 4 Ca 2458a/97)

1. Die dringenden betrieblichen Erfordernisse werden gem. § 1 Abs. 5 KSchG vermutet. Es handelt sichum eine Änderung der Beweislastverteilung gegenüber der üblichen Situation bei betriebsbedingten Kün-digungen.

2. Der Arbeitgeber muß zur Begründung der dringenden betrieblichen Erfordernisse lediglich die Be-triebsänderung gem. §§ 111, 112a BetrVG sowie das Vorhandensein einer Namenliste im Interessenaus-

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gleich vortragen, während der Arbeitnehmer darzulegen und zu beweisen hat, daß dringende betrieblicheErfordernisse nicht vorliegen. Auf das abgestufte System der Darlegungs- und Beweislast in § 1 Abs. 3KSchG kann nicht zurückgegriffen werden. Die gesetzliche Vermutung der dringenden betrieblichen Er-fordernisse ist seitens des Arbeitnehmers zu widerlegen.

3. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG umfaßt auch die Frage der Weiterbeschäftigung.

4. Die Anforderungen an den Umfang der Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG sind gering,weil die Person des zu kündigenden Mitarbeiters bereits im Interessenausgleich festgelegt ist.

ArbG Kiel, Urt. v. 06.03.1998 – 4 Ca 2458a/97, ZInsO 1998, 237

Interessenausgleich mit Namensliste: Betriebsratsanhörung, Sozialauswahl und Mitteilungspflicht des Ar-beitgebers (LAG Düsseldorf, Urt. v. 24.03.1998 – 3 Sa 1926/97)

1. Die Erstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 KSchG entbindet den Ar-beitgeber weder von der Anhörung des Betriebsrats zu Betriebsbedingtheit und Sozialauswahl gem. § 102Abs. 1 BetrVG vor Kündigungsausspruch noch werden die Anforderungen an die Informationspflichtherabgesetzt.

2. Die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG sowie die Beschränkung der Prüfungsmaßstabesgem. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG lassen die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers hinsichtlich der Gründe dersozialen Auswahl unberührt.

3. Die auf grobe Fehlerhaftigkeit reduzierte Prüfung der Sozialauswahl bezieht sich allein auf die Ge-wichtung der Sozialindikatoren, nicht hingegen auf die Bildung des auswahlrelevanten Personenkreisessowie die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern im betrieblichen Interesse gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 24.03.1998 – 3 Sa 1926/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 6 = AuR 1998, 495= MDR 1998, 1357

Interessenausgleich mit Namensliste: Betriebsratsanhörung und Sozialauswahl bei Interessenausgleich mitNamensliste (LAG Düsseldorf, Urt. v. 24.03.1998 – 3/8/11 Sa 2088/97)

1. Die Erstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 KSchG entbindet den Ar-beitgeber weder von der Anhörung des Betriebsrats zu Betriebsbedingtheit und Sozialauswahl gem. § 102Abs. 1 BetrVG vor Kündigungsausspruch noch werden die Anforderungen an die Informationspflichtherabgesetzt.

2. Die auf grobe Fehlerhaftigkeit reduzierte Prüfung der Sozialauswahl bezieht sich allein auf die Ge-wichtung der Sozialindikatoren, nicht hingegen auf die Bildung des auswahlrelevanten Personenkreisessowie die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern im betrieblichen Interesse gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 24.03.1998 – 3/8/11 Sa 2088/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 7 = AuR1998, 495

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungs- und Beweislast sowie Auskunftspflicht hinsichtlich Sozial-auswahl (ArbG Offenbach, Urt. v. 14.04.1998 – 4 Ca 264/97)

1. Eine Kündigung ist trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse sozial ungerechtfertigt,wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Le-bensalter und die Unterhaltspflichten nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen hatder Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe zu nennen, die zu der getroffenen sozialen Auswahl ge-führt haben. An das Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers sind keine übertriebenen formalen Anforde-rungen zu stellen.

2. Der Arbeitgeber hat bei seiner Auskunft die Auswahlkriterien als solche sowie deren Gewichtung unddie Namen der Arbeitnehmer mitzuteilen, die nach seiner Ansicht in die Sozialauswahl einzubeziehensind. Die abstrakte Mitteilung der Auswahlkriterien sowie deren Gewichtung allein reicht nicht auS. DieMitteilungspflicht erstreckt sich darüber hinaus auch auf die Darlegung der betriebstechnischen, wirt-schaftlichen oder sonstigen berechtigten betrieblichen Bedürfnisse, die einer Auswahl nach sozialen Ge-sichtspunkten entgegenstehen.

3. An dieser Rechtslage hat sich auch im Hinblick auf das am 01.10.1996 in Kraft getretene Arbeitsrecht-liche Beschäftigungsförderungsgesetz nichts geändert. Die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchGn.F. bezieht sich lediglich auf das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse, nicht jedoch auf diegetroffene Sozialauswahl. Geändert hat sich hier lediglich der Prüfungsmaßstab. So kann die soziale

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Auswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Teilt der Arbeitgeber im Rahmen seinerAuskunftspflicht lediglich pauschal vor, bei den Verhandlungen mit dem Betriebsrat seien die notwendi-gen Sozialdaten berücksichtigt worden, teilt er jedoch weder die Namen der Mitarbeiter mit, die seinerAnsicht nach mit dem Kläger vergleichbar sind, warum und welche Arbeitnehmer aus der Sozialauswahlwegen der betrieblichen Interessen herausgenommen worden sind, dann gilt die grobe Fehlerhaftigkeitder sozialen Auswahl als zugestanden.

ArbG Offenbach/Main, Urt. v. 14.04.1998 – 4 Ca 264/97, AE Heft 2/98, S. 13

Interessenausgleich mit Namensliste: Vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung vereinbarter Interes-senausgleich (LAG Köln, Urt. v. 16.04.1998 – 10 Sa 1352/97)

1. Eine auf der Grundlage des Interessenausgleichs vor dem Inkrafttreten des BeschFG 1996 erstellte unddem Betriebsrat mitgeteilte Liste von Arbeitnehmern, die im berechtigten betrieblichen Interesse nicht indie soziale Auswahl einzubeziehen wären (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG n.F.), kann weder eine Vermutung derBetriebsbedingtheit noch eine auf grobe Fehlerhaftigkeit verkürzte Kontrolle der Sozialauswahl begrün-den.

2. Auch bei einer massenhaften Personalreduzierung, die im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat durchlistenweise Gruppenbildung und eine „Punktetabelle" unterstützt wird, bleibt es bei der dem Gesetzes-wortlaut entsprechenden „vollen" Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers für das berechtigte be-triebliche Interesse an der Weiterbeschäftigung: Unzureichend ist der Vortrag von Pauschalurteilen undbloßen Wertungen (auch bei einem Leistungsbewertungssystem) auch dann, wenn diese auf der gefestig-ten Überzeugung von Vorgesetzten oder Kollegen des Arbeitnehmers beruhen.

3. Hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag als Grundlage der gerichtlichen Bewertung muß vom Ar-beitgeber beigebracht werden für

a) das berechtigte Interesse an bestimmten weiterzubeschäftigenden Arbeitnehmern,

b) für den (negativen) Vergleich mit entsprechenden Kenntnissen, Fähigkeiten und Leistungendes Arbeitnehmers,

c) für den (voraussichtlichen) betrieblichen Bedarf, bei dem diese Kenntnisse etc. am Arbeits-platz des Arbeitnehmers einzusetzen wären.

LAG Köln, Urt. v. 16.04.1998 – 10 Sa 1352/97, AE Heft 3/98, S. 103

Interessenausgleich mit Namensliste: Anforderungen an die Namensliste – Änderung der Sachlage (LAGSchleswig-Holstein, Urt. v. 22.04.1998 – 2 Sa 556/97)

1. Die Niederschrift des Interessenausgleichs ist Teil einer Gesamturkunde, denn eine solche liegt vor,wenn mehrere Blätter einer Urkunde so zusammengefaßt sind, daß sich ihre Zusammengehörigkeit ergibt.Die Einheitlichkeit der Urkunde kann durch Zusammenheften, Numerieren der Blätter, Bezugnahme oderden eindeutigen Sinnzusammenhang des fortlaufenden Textes hergestellt werden (im Anschluß an BAG,Urt. v. 30.10.1984 – 3 AZR 213/82, NZA 1985, 429). Durch eine Inbezugnahme wird der deutliche Sinn-zusammenhang des fortlaufenden Textes hergestellt. Einer mechanischen Verbindung der beiden Blätterbedarf es daher nicht, da diese mit einer „gedanklichen Schnur" miteinander verbunden sind. Da es sichum eine Gesamturkunde handelt, muß gerade nicht jedes Blatt unterschrieben werden.

2. Die notwendige Rechtssicherheit für die betroffenen Arbeitnehmer ist dann gewahrt, wenn Arbeitgeberund Betriebsrat den Interessenausgleich unterschrieben und in einer Anlage die Liste der zu entlassendenMitarbeiter aufführen. Dieses Ergebnis steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Ein-klang (vgl. BGH, Urt. v. 24.09.1997 – XII ZR 234/95, NJW 1998, 58).

3. Die Grundlage eines Interessenausgleichs kann nach § 1 Abs. 5 S. 3 KSchG in erster Linie dann entfal-len, wenn die Betriebsänderung, aufgrund deren die Kündigungen erfolgen sollen, nicht wie geplant undim Interessenausgleich zugrunde gelegt, durchgeführt wird oder wesentlich weniger Mitarbeiter entlassenwerden, als im Interessenausgleich vorgesehen (im Anschluß an LAG Köln, Urt. v. 01.08.1997 – 11 Sa355/97, DB 1997, 2181). Ob eine Änderung der Sachlage dann und insoweit nicht eintritt, wenn im Inte-ressenausgleich eine Rangfolge der für die Kündigung genannten Mitarbeiter nach sozialen Gesichts-punkten geregelt ist und die Kündigungen nach dieser Rangfolge ausgesprochen werden, kann dahinge-stellt bleiben.

LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 22.04.1998 – 2 Sa 556/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 5 = AuA1998, 320

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutungswirkung für das Nichtvorliegen einer anderweitigen Be-

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schäftigungsmöglichkeit (BAG, Urt. v. 07.05.1998 – 2 AZR 536/97)

1. Liegen die vom Arbeitgeber darzulegenden und ggf. zu beweisenden Voraussetzungen des § 1 Abs. 5KSchG vor, d.h. eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG sowie ein Interessenausgleich nebst Namens-liste der zu kündigenden Arbeitnehmer, so ist es nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG Sache des gekündigten Ar-beitnehmers, darzulegen und ggf. zu beweisen, daß keine dringenden betrieblichen Erfordernisse für dieKündigung vorliegen.

2. Die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG erstreckt sich auch auf das Nichtvorliegen eineranderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer im Betrieb.

3. Kommt bei einer Betriebsänderung ein Interessenausgleich mit namentlicher Benennung der zu kündi-genden Arbeitnehmer zustande, dann kann die soziale Auswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit über-prüft werden. Diese Beschränkung der Überprüfungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG beziehtsich nicht nur auf die Kriterien der sozialen Auswahl und deren Gewichtung (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG),sondern auch auf die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer. Ob sie auch für die sog. Leistungsträgerrege-lung (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG) gilt, bleibt offen.

BAG, Urt. v. 07.05.1998 – 2 AZR 536/97, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [Schiefer] =EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 5 [v. Hoyningen-Huene] = AuR 1998, 418 = NJW 1998, 3586 = NZA1998, 933

Interessenausgleich mit Namensliste: Keine Notwendigkeit der Unterzeichnung der Namensliste der zu kün-digenden Arbeitnehmer (BAG, Urt. v. 07.05.1998 – 2 AZR 55/98)

1. Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG alle Arbeitnehmer,denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsratnamentlich bezeichnet, so wird nach § 1 Abs. 5 KSchG vermutet, daß die Kündigung durch dringende be-triebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Die Vermutungsbasis, daß eine Betriebsän-derung nach § 111 BetrVG vorlag und für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war und der Arbeit-nehmer ordnungsgemäß im Interessenausgleich benannt ist, hat dabei der Arbeitgeber substantiiert darzu-legen und ggf. zu beweisen.

2. Die Rechtswirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG treten auch dann ein, wenn der zu kündigende Arbeit-nehmer in einer nicht unterschriebenen Namensliste benannt ist, die mit dem Interessenausgleich, der aufdie Namensliste als Anlage ausdrücklich Bezug nimmt, mittels Heftmaschine fest verbunden ist (imAnschluß an BGH, Urt. v. 24.09.1997 – XII ZR 234/95, NJW 1998, 58 = MDR 1998, 31 [Sternel]). Es istnicht erforderlich, daß die nicht unterschriebene Namensliste ausdrücklich als Anlage zum Interessenaus-gleich bezeichnet und mit Ort und Datum versehen wird.

3. Es liegt im unternehmerischen Ermessen des Arbeitgebers, ob er bei einem Wegfall von Beschäfti-gungsmöglichkeiten in seinem Betrieb im Verhältnis zu dem Fehlenden Arbeitskräftebedarf Personal ab-baut oder nur einen Teil der überzähligen Arbeitnehmer entläßt und die übrigen z.B. als Personalreservebehält (Bestätigung von BAG, Urt. v. 18.09.1997 – 2 AZR 657/96, EzA § 1 KSchG BetriebsbedingteKündigung Nr. 97).

BAG, Urt. v. 07.05.1998 – 2 AZR 55/98, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste [Schiefer] = EzA § 1 KSchGInteressenausgleich Nr. 6 [Kraft] = AuR 1998, 418 = BB 1998, 1951 = MDR 1998, 1485 = NZA 1998, 1110

Interessenausgleich mit Namensliste: Betriebsratsanhörung bei Kündigung trotz Interessenausgleichs mitNamensliste (ArbG Hamburg, Urt. v. 11.05.1998 – 21 Ca 106/97)

1. Die Vereinbarung eines Interessenausgleichs mit Namensliste macht die Anhörung des Betriebsratsnach § 102 BetrVG nicht automatisch überflüssig.

2. Der Arbeitgeber braucht dem Betriebsrat i.R.v. § 102 BetrVG nur die ihm bekannten sozialen Datenmitzuteilen. Er hört den Betriebsrat aber nicht ordnungsgemäß an, wenn die von ihm mitgeteilten Datenrechtswidrig gewonnen und unzutreffend sind.

ArbG Hamburg, Urt. v. 11.05.1998 – 21 Ca 106/97, AuR 1998, 334 = ZInsO 1998, 237

Interessenausgleich mit Namensliste: Umfang und Reichweite der gesetzlichen Vermutungswirkungen (LAGHamm, Urt. v. 28.05.1998 – 8 Sa 76/98)

1. Soweit im Rahmen der Anwendung des § 125 InsO aus Gründen des materiellen Rechts an die sozialeRechtfertigung der Kündigung geringere Anforderungen gestellt werden, indem von dem Erfordernis ab-gesehen wird, die Auswirkungen der im Zuge der Betriebsänderung beabsichtigten Umorganisation aufden Arbeitsplatz des zu entlassenden Arbeitnehmers konkret zu begründen, wirkt sich dies zugleich mit-

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telbar auch auf den Umfang der Anhörungspflicht gem. § 102 Abs. 1 BetrVG aus.

2. Der dem Betriebsrat mitzuteilende Kündigungssachverhalt ist „subjektiv determiniert", so daß zur ord-nungsgemäßen Betriebsratsanhörung allein diejenigen Tatsachen mitzuteilen sind, welche aus der Sichtdes Arbeitgebers den Kündigungsentschluß tragen. Nicht anders als beim Ausspruch einer Kündigungaußerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ist auch bei einer Kündigung gem. § 125 InsO zu beachten,daß die Anforderungen an den Inhalt der Betriebsratsanhörung nicht weiter reichen, als es dem am mate-riellen Recht ausgerichteten Erfordernis zur Kündigungsbegründung entspricht.

3. Die Altersgruppen sind nicht für den gesamten Betrieb, sondern innerhalb des Kreises vergleichbarerArbeitnehmer zu bilden. Die zulässige Berücksichtigung der ausgewogenen Personalstruktur – hier in derForm der ausgewogenen Verteilung von Altersklassen – bedeutet danach allein, daß die Sozialauswahli.e.S. nicht von vornherein betriebsweit, sondern nur innerhalb der zulässig gebildeten Altersabschnittedurchgeführt wird. Die Auswahlgesichtspunkte innerhalb der Altersgruppe orientieren sich sodann wie-derum an den Regeln des § 1 Abs. 3 S. 1 und S. 2 KSchG.

4. Die Vorschrift des § 125 Abs. 1 Ziff. 2 HS. 2 InsO, nach welcher „nicht als grob fehlerhaft anzusehen(ist), wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen" wird, enthält keine Fiktion oderunwiderlegliche Vermutung, sondern erweitert allein den Kreis der berechtigten betrieblichen Belangei.S.d. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG. Dementsprechend genügt der Arbeitgeber der – auch im Insolvenzfall gel-tenden – Verpflichtung gem. § 1 Abs. 3 S. 1 HS. 2 KSchG, dem Arbeitnehmer auf Verlangen die von ihmgetroffene Sozialauswahl mitzuteilen, nicht schon dadurch, daß er im Kündigungsschutzprozeß die Bil-dung von Altersgruppen und die Anzahl der in den einzelnen Altersgruppen – vor und nach der Betriebs-änderung – erfaßten Arbeitnehmer gegenüberstellt. Allein die objektive Ausgewogenheit der vorgetrage-nen Altersstruktur macht den Vortrag nicht entbehrlich, nach welchen Gesichtspunkten die Auswahl in-nerhalb der gebildeten Altersgruppen erfolgt ist. Ohne entsprechende Angaben ist eine Überprüfung auf„grobe Fehlerhaftigkeit" nicht möglich.

LAG Hamm, Urt. v. 28.05.1998 – 8 Sa 76/98, LAGE § 125 InsO Nr. 1 = LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 70 =NZA-RR 1998, 536

Interessenausgleich mit Namensliste: Auskunftspflicht zur Sozialauswahl auch bei Vorliegen einer Namens-liste (ArbG Hamburg, Urt. v. 06.07.1998 – 21 Ca 65/98)

Auch bei einem Interessenausgleich mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 KSchG hat der Arbeitgeber auf Verlangendes Arbeitnehmers die sozialen Daten vergleichbarer Arbeitnehmer mitzuteilen.

ArbG Hamburg, Urt. v. 06.07.1998 – 21 Ca 65/98, AuR 1998, 490 = NZA-RR 1999, 29

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegung der unternehmerischen Entscheidung auch bei Vorliegeneiner Namensliste (ArbG Krefeld, Urt. v. 21.12.1998 – 4 Ca 2666/98)

1. Eine Namensliste i.S.d. § 1 Abs. 5 KSchG muß mindestens zeitgleich mit dem Interessenausgleichselbst erstellt werden, da sie sonst gedanklich nicht Teil des Interessenausgleichs sein kann.

2. Liegt die unternehmerische Entscheidung darin, 50 Arbeitsplätze einzusparen, bedarf es eines nach-vollziehbare konkretisierten Tatsachenvortrags des Arbeitgebers dazu, welche mittelbaren oder unmittel-baren Auswirkungen diese unternehmerische Entscheidung gerade auf die Arbeitsplätze der entlassenenArbeitnehmer hat. Erforderlich ist ein hinreichend konkretisierter Vortrag darüber, daß und wie der bishe-rige Arbeitsbereich des gekündigten Arbeitnehmers entweder vollständig entfallen oder von einem ande-ren Mitarbeiter übernommen werden wird.

ArbG Krefeld, Urt. v. 21.12.1998 – 4 Ca 2666/98, AE 1999, 29

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungslast für Sozialauswahl bei Interessenausgleich mit Namens-liste (BAG, Urt. v. 21.01.1999 – 2 AZR 624/98)

1. Die Beurteilung von Kündigungen aus dem Zeitraum v. 01.10.1996 bis zum 31.12.1998 richtet sichauch bei Entscheidungen der Arbeitsgerichte nach dem 01.01.1999 nach dem KSchG i.d.F. des Arbeits-rechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes.

2. Die soziale Auswahl i.S.d. § 1 Abs. 3 und Abs. 5 KSchG i.d.F. des Gesetzes zur Förderung vonWachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) ist hinsichtlich dersozialen Kriterien nur dann grob fehlerhaft, wenn die Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörig-keit und Unterhaltspflichten jede Ausgewogenheit vermissen läßt.

3. Angesichts des in einem Arbeitsverhältnis normalerweise zu erzielenden Lebensalters von 60 bis 65Jahren, wovon nach Schul- und Berufsausbildung ca. 40 bis 50 Jahre im Arbeitsverhältnis verbracht wer-

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den können, fällt ein Lebensaltersunterschied von zehn Jahren – jedenfalls in der Altersgruppe der 25- bis35-jährigen – nicht ins Gewicht. Bei Kündigungsmaßnahmen zur Sicherung einer ausgewogenen Perso-nalstruktur werden die 25- bis 35-jährigen oftmals in derselben Gruppe erfaßt, was dafür spricht, daß inder betrieblichen Praxis diese Altersgruppe als homogen angesehen wird.

4. Die Beschränkung des gesetzlichen Prüfungsrahmens auf grobe Fehlerhaftigkeit bezieht sich bei Zu-standekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. nicht nur aufdie sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst, sondern auch auf die Bildung der auswahlrelevan-ten Gruppen (Bestätigung von BAG, Urt. v. 05.07.1998 – 2 AZR 536/97, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969Betriebsbedingte Kündigung).

BAG, Urt. v. 21.01.1999 – 2 AZR 624/98, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste = EzA § 1 KSchG SozialeAuswahl Nr. 39 = AuR 1999, 317 = BB 1999, 1556 = DB 1999, 1862 = NZA 1999, 866

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungslast für Sozialauswahl bei Interessenausgleich mit Namens-liste (BAG, Urt. v. 10.02.1999 – 2 AZR 715/98)

Gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG i.d.F. des Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtli-ches Beschäftigungsförderungsgesetz) sind in die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG Arbeitnehmer nichteinzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oderzur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.Insoweit obliegt dem Arbeitgeber von vornherein die Darlegungs- und Beweislast, und zwar auch im Anwen-dungsbereich von § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG.

BAG, Urt. v. 10.02.1999 – 2 AZR 715/98, RzK I 10h Nr. 49 = RzK I 5d Nr. 78 = ZInsO 1999, 543

Interessenausgleich mit Namensliste: Auskunftsanspruch hinsichtlich der getroffenen Sozialauswahl (BAG,Urt. v. 10.02.1999 – 2 AZR 716/98)

1. Auf in der Zeit vom 01.10.1996 bis zum 31.12.1998 zugegangene Kündigungen ist das KSchG in derin diesem Zeitraum geltenden Fassung anzuwenden.

2. Auch wenn ein Arbeitnehmer in eine Namensliste gem. § 1 Abs. 5 KSchG aufgenommen worden ist,kann er im Kündigungsschutzprozeß gem. § 1 Abs. 3 S. 1 HS. 2 KSchG verlangen, daß der Arbeitgeberdie Gründe angibt, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben; dazu gehören ggf. auch be-triebliche Interessen, die den Arbeitgeber zur Ausklammerung an sich vergleichbarer Arbeitnehmer ausder sozialen Auswahl gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG a.F. veranlaßten.

3. Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht nach, ist die streitige Kündigung oh-ne weiteres als sozialwidrig anzusehen; auf den Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit der sozialenAuswahl kommt es dann nicht an.

BAG, Urt. v. 10.02.1999 – 2 AZR 716/98, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 = EzA § 1 KSchG Soziale AuswahlNr. 38 = AuR 1999, 195 = NZA 1999, 702

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungslast für Sozialauswahl bei Interessenausgleich mit Namens-liste (BAG, Urt. v. 20.05.1999 – 2 AZR 278/98)

1. Wird ein Interessenausgleich mit Namensliste eingereicht, so muß letztere ein äußeres Merkmal auf-weisen, das sie als Bestandteil des Interessenausgleichs ausweist. Dafür genügt nicht der einseitige Hin-weis im Interessenausgleich auf eine „Anlage 1", ebenso wenig die Verwahrung in einer Plastikhülle in-nerhalb eines Ordners, weil die Namensliste unter solchen Umständen problemlos ausgetauscht werdenkönnte. Vielmehr ist eine feste Verbindung der Namensliste mit dem Interessenausgleich (z.B. mittelsHeftmaschine) erforderlich (BAG, Urt. v. 07.05.1998 – 2 AZR 55/98, EzA § 1 KSchG Interessenaus-gleich Nr. 6).

2. Ob es für eine einheitliche, formwirksame Urkunde unter Umständen ausreichen könnte, wenn mehrereExemplare mit Originalunterschriften und der gleichlautenden Namensliste als nicht fest verbundenenAnlage erstellt und von den Betriebspartnern oder gar auch von weiteren Beteiligten – hier: Gewerkschaftund Konkursgericht – separat verwahrt werden, erscheint zweifelhaft; auch dann sind nämlich die Na-mensliste als Anlage und der Interessenausgleich im übrigen nicht jeweils zu einer Urkunde verbunden.

3. Ist der Interessenausgleich mit Namensliste nicht formgültig zustande gekommen, dann greift wederdie Vermutungswirkung noch der schärfere Prüfungsmaßstab für die Sozialauswahl gem. § 125 Abs. 1InsO (vgl. dazu BAG, Urt. v. 07.05.1998 – 2 AZR 536/97, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 5)und es verbleibt bei der „normalen", abgestuften Darlegungs- und Beweislast.

BAG, Urt. v. 20.05.1999 – 2 AZR 278/98, ZInsO 2000, 351

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Interessenausgleich mit Namensliste: Grobe Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl (LAG Hessen, Urt. v.24.06.1999 – 3 Sa 1278/98)

1. Durch § 1 Abs. 5 KSchG ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht geändert worden, wiesie in Anknüpfung an § 1 Abs. 3 S. 1 HS. 2 KSchG von der Rechtsprechung entwickelt worden ist.

2. Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl dann, wenn eines der sozialen Grunddaten überhaupt nichtbeachtet oder in seiner Gewichtung grob vernachlässigt worden ist oder die Anwendung einesPunkteschemas im Einzelfall zu einer groben Ungerechtigkeit führt.

3. Mit der Sozialauswahl i.S.d. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG dürfen betriebliche Interessen nicht verfolgt wer-den; dies ist nur nach Maßgabe des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG zulässig.

4. § 1 Abs. 3, 5 KSchG steht selbständig neben § 125 InsO; außerhalb des Konkurses darf das mit be-triebsbedingten Kündigungen verfolgte betriebliche Interesse daher nicht in der Schaffung einer neuenAltersstruktur bestehen.

5. Zur Feststellung der Vergleichbarkeit der von der Sozialauswahl betroffenen und von ihr aus betriebli-chen Gründen auszunehmenden Arbeitnehmer darf nicht deren Lebensalter herangezogen werden.

6. Das betriebliche Ziel der Sicherung der Altersstruktur darf der Arbeitgeber aber dadurch verfolgen, daßer die Arbeitnehmer des Betriebes in Altersgruppen einteilt, die alsdann anteilmäßig mit dem Abbau je-weils „gleich vieler" Arbeitskräfte belastet.

7. Die Gewichtung der Unterhaltspflichten ist völlig unausgewogen, wenn allein kindergeldberechtigteKinder Berücksichtigung finden.

8. Bei der Gewichtung des Lebensalters darf § 41 Abs. 4 S. 2 SGB VI nicht bewußt mißachtet werden;dies begründet einen groben Fehler der Sozialauswahl.

9. Die Gewichtung der Dauer des Arbeitsverhältnisses darf sie die in den einschlägigen gesetzlichen Be-stimmungen enthaltene Wertung nicht völlig unbeachtet lassen; anderenfalls ist sie grob fehlerhaft.

LAG Hessen, Urt. v. 24.06.1999 – 3 Sa 1278/98, AuR 2000, 35 = BB 2000, 155 = DB 1999, 2575 = NZA-RR2000, 74

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungs- und Beweislast und Sozialauswahl (LAG Hamm, Urt. v.02.09.1999 – 4 Sa 962/99)

1. Ist im Zeitraum vom 01.10.1996 bis 31.12.1998 eine Kündigung aufgrund eines Interessenausgleichsmit Namensliste ausgesprochen worden, dann beschränkt sich die Darlegungs- und Beweislast des Ar-beitgebers auf die „Vermutungsbasis" (im Anschluß an LAG Köln, Urt. v. 01.08.1997 – 11 Sa 355/97,LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 1), nämlich auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vor-schriften des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. [1996]. Der Arbeitgeber muß mithin darlegen:

– daß der Interessenausgleich wegen einer bestimmten Betriebsänderung rechtswirksam zu-stande gekommen ist,

– daß der Arbeitnehmer wegen der diesem Interessenausgleich zugrunde liegenden Betriebsän-derung entlassen worden ist,

– ggf., daß der Arbeitnehmer einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet wordenist;

– daß der gekündigte Arbeitnehmer in diesem Interessenausgleich namentlich bezeichnet ist.

2. Die Vermutungswirkungen eines Interessenausgleichs mit namentlicher Benennung der zu kündigen-den Arbeitnehmer gelten nicht, wenn die Arbeitnehmer nicht aufgrund der dem Interessenausgleichzugrunde liegenden Betriebsänderung, sondern aufgrund anderer betrieblicher Gründe entlassen werdensollen. Deshalb ist es Sache des Arbeitgebers, den Zusammenhang zwischen der Betriebsänderung undden Entlassungen darzulegen. Dies kann bereits im Interessenausgleich selbst geschehen, wenn dort dasSanierungskonzept und seine Folgewirkungen auf die Arbeitsplätze kurz dargestellt werden. Das ist ins-besondere bei einer Teileinschränkung eines Betriebes notwendig, die sich in Form eines bloßen Perso-nalabbaus ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel in der Größenordnung der Zahlen- und Pro-zentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG, aber mindestens 5% der Belegschaft des Betriebes, vollzieht.

3. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste kehrt sich im Kündigungsschutzpro-zeß, in dem der Arbeitgeber im allgemeinen gem. § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG für das Vorliegen von dringen-den betrieblichen Erfordernissen darlegungs- und beweispflichtig ist, die Darlegungs- und Beweislast um.Der Arbeitnehmer muß den bei widerleglichen Vermutungen i.S.v. § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 292 S. 1

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ZPO offenen Beweis des Gegenteils als Hauptbeweis führen und im Falle der Beendigungskündigungnachweisen,

– daß sein Arbeitsplatz trotz der durchgeführten Betriebsänderung noch vorhanden ist

– oder eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im selben Betrieb oder in einem anderenBetrieb desselben Unternehmens besteht.

4. In beiden Fällen kann der Arbeitnehmer bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namens-liste der Kündigung auch mit dem Vortrag begegnen, daß

– die Betriebsänderung nicht wie geplant und im Interessenausgleich zugrunde gelegt durchge-führt wird oder

– sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat(§ 1 Abs. 5 S. 3 KSchG a.F. [1996]).

Verbleibende Zweifel in einem der vorgenannten Punkte gehen zu Lasten des ArbeitnehmerS. An seinenVortrag sind die gleichen Maßstäbe anzulegen, die die Rechtsprechung für die Substantiierung des Ar-beitgebervorbringens zum Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses i.R.v. § 1 Abs. 2 S. 1und S. 4 KSchG aufgestellt hat.

5. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste kann die soziale Auswahl nur aufgrobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. [1996]). Die Beschränkung der Ü-berprüfung der getroffenen Sozialauswahl bezieht sich nicht allein auf die Sozialindikatoren, nämlich diesog. sozialen „Grund- oder Kerndaten" Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten, son-dern bezieht sich auf sämtliche Bestandteile der Sozialauswahl, nämlich auf den auswahlrelevanten Per-sonenkreis, die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern, die Bildung von Altersgruppen und die Gewich-tung der sozialen Grund- oder Kerndaten.

6. Grobe Fehlerhaftigkeit i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. [1996] ist bei einem Interessenausgleich mitNamensliste anzunehmen, wenn die Betriebspartner

– den auswahlrelevanten Personenkreis der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeit-nehmer willkürlich bestimmt oder nach unsachlichen Gesichtspunkten eingegrenzt haben,

– die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der herauszunehmenden Arbeit-nehmer nicht nach sachlichen Gesichtspunkten konkretisiert haben,

– Altersgruppen, innerhalb derer die Sozialauswahl durchgeführt werden soll, in völlig wahllosaufeinander folgenden Zeitsprüngen (bspw. wechselnd in 12er, 8er und 10er Jahresschritten)gebildet haben,

– eines der drei Sozialdaten überhaupt nicht berücksichtigt oder ihm ein völlig ungenügendesGewicht oder zusätzlichen Auswahlkriterien eine überhöhte Bewertung beigemessen haben.

7. Die Darlegungs- und Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl liegt auch bei Massenent-lassungen gem. § 1 Abs. 3 S. 3 HS. 1 KSchG beim Arbeitnehmer, und zwar selbst dann, wenn diese dieFolge einer Betriebsänderung nach §§ 111, 112a BetrVG sind. Bei Zustandekommen eines Interessen-ausgleichs mit Namensliste ist es nicht als grob fehlerhaft i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. [1996] anzu-sehen, wenn der Arbeitgeber den vorhandenen aktuellen und über eine längere Zeit im Betrieb erfolgreichangewandten Kenntnissen eines später eingestellten Elektrikers den Vorrang vor den durch Umschulungerst noch zu erwerbenden künftigen Kenntnissen des gekündigten und nur 1½ länger beschäftigten Ar-beitnehmers gegeben hat.

LAG Hamm, Urt. v. 02.09.1999 – 4 Sa 962/99, ZInsO 2000, 352

Interessenausgleich mit Namensliste: Eintritt der Vermutungswirkung bei Interessenausgleich mit Namens-liste (LAG Hessen, Urt. v. 01.11.1999 – 11 Sa 2736/98)

Die in §§ 125 Abs. 1, 128 Abs. 2 InsO normierte Vermutungswirkung kommt nicht schon dann zur Anwendung,wenn ein mit einer Namensliste verbundener Interessenausgleich abgeschlossen wurde. Vielmehr muß sich dergekündigte Arbeitnehmer die gesetzliche Vermutung nur dann entgegenhalten lassen, wenn auch sein Name auf derNamensliste steht.

LAG Hessen, Urt. v. 01.11.1999 – 11 Sa 2736/98, n.v.

Interessenausgleich mit Namensliste: Anforderungen an einen Interessenausgleich mit Namensliste (LAGHamm, Urt. v. 10.03.2000 – 10 Sa 1843/99)

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Die erst nach Unterzeichnung eines Interessenausgleichs erfolgende feste Verbindung einer mehrseitigen, nichtunterschriebenen Namensliste mit dem Interessenausgleich mittels Heftmaschine führt jedenfalls dann nicht zurUnwirksamkeit einer Kündigung nach § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996], wenn die einzelnen Seiten der Namenslistevon den den Interessenausgleich unterzeichnenden Personen jeweils paraphiert worden sind.

LAG Hamm, Urt. v. 10.03.2000 – 10 Sa 1843/99, AE 2000, 196 = BuW 2001, 176 = InVo 2000, 349 = ZInsO2000, 467

Interessenausgleich mit Namensliste: Kündigung über Interessenausgleich mit Namensliste bei Widerspruchgegen den Betriebsteilübergang (BAG, Urt. v. 24.02.2000 – 8 AZR 180/99)

1. Eine Einigungsstellensitzung muß vor Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung nicht in jedem Falleunterbrochen werden, um eine Beschlußfassung des Betriebsrats mit den in der Sitzung derEinigungsstelle nicht anwesenden Betriebsratsmitgliedern herbeizuführen. Auch ohne Unterbrechung istein Handeln des Betriebsratsvorsitzenden im Rahmen der vom Betriebsrat gefaßten Beschlüsse (§ 26Abs. 3 S. 1 BetrVG) möglich. Es spricht eine gesetzliche Vermutung dafür, der Betriebsratsvorsitzendehabe aufgrund und im Rahmen eines ordnungsgemäßen Beschlusses gehandelt. Die Darlegungs- undBeweislast liegt also bei demjenigen, der ein unbefugtes Handeln des Betriebsratsvorsitzenden geltendmacht (§ 292 ZPO).

2. Der Interessenausgleich muß nicht den Wortlaut des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. übernehmen. Es ge-nügt, wenn die Kündigung des Arbeitnehmers bei einem bestimmten von den Betriebspartnern ange-nommenen Geschehensablauf vorgesehen ist. Sie kann auch von Bedingungen abhängig sein. Der Ar-beitgeber ist nicht verpflichtet, allen namentlich bezeichneten Arbeitnehmern zu kündigen. Allerdingsdarf ihm nicht nach eigenem Belieben eine Auswahl überlassen bleiben; denn die Namensliste ist auf einebestimmte Betriebsänderung bezogen. Die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. kann nuran die von Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam zugrunde gelegte Betriebsänderung anknüpfen.

3. Gegenstand und Folgen der Betriebsänderung sind klar abgegrenzt, wenn die Betriebspartner von einerBeendigung der Arbeitsverhältnisse der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer zum bisherigen Ar-beitgeber ausgehen, sei es aufgrund eines Eintritts des Übernehmers, sei es durch Kündigung. Einem Ar-beitnehmer wird auch dann i.S.v. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG i.d.F. des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsför-derungsgesetzes v. 25.09.1996 (BGBl. I S. 1476) gekündigt werden, wenn die Kündigung im Interessen-ausgleich von dem Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnissesgem. § 613a BGB abhängig gemacht wird.

4. Nach § 1 Abs. 3 KSchG ist in jedem Falle eine soziale Auswahl erforderlich, wenn vergleichbare Ar-beitnehmer vorhanden sind. Das gilt auch bei dem Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergangseines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Teilbetriebs (Bestätigung von BAG, Urt. v.18.03.1999 – 8 AZR 190/98, AP § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 41). § 1 Abs. 3 KSchG fordertfreilich nicht ein irgendwie geartetes Tätigwerden des Arbeitgebers, sondern nur ein „richtiges" Ergeb-niS. Die Kündigung ist nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG sozialwidrig, wenn der Arbeitnehmer im Kündi-gungsschutzprozeß die soziale Auswahl nicht oder nicht ordnungsgemäß rügt, indem er etwa nur das Un-terbleiben eines Tätigwerdens beanstandet, oder wenn schon nach seinem eigenen Sachvortrag im Ergeb-nis keine Verletzung sozialer Gesichtspunkte vorliegt.

BAG, Urt. v. 24.02.2000 – 8 AZR 180/99, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste = EzA § 1 KSchG Interessen-ausgleich Nr. 7 = AiB 2000, 700 [Schmitz] = AuR 2000, 277 = NZA 2000, 785

Interessenausgleich mit Namensliste: Sozialauswahl über einen Interessenausgleich mit Namensliste (LAGHamm, Urt. v. 16.03.2000 – 4 Sa 747/99)

Nach § 1 Abs. 3 S. 1 HS. 2 KSchG a.F. [1996] ist die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl nur dann sozialungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit,das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers „nicht" oder „nicht ausreichend" berücksichtigt hat.Trennen bei einer Auswahl anhand einer Punktetabelle den entlassenen Arbeitnehmer und den weiterbeschäftigtenArbeitnehmer nur fünf Sozialpunkte, so kann nicht einmal von einer Fehlerhaftigkeit, geschweige denn grobenFehlerhaftigkeit der getroffenen Sozialauswahl i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. [1996] die Rede sein. Selbst ohneInteressenausgleich mit Namensliste wäre die Sozialauswahl „ausreichend".

LAG Hamm, Urt. v. 16.03.2000 – 4 Sa 747/99, ZInsO 2000, 571

Interessenausgleich mit Namensliste: Sozialauswahl über einen Interessenausgleich mit Namensliste (LAGHamm, Urt. v. 16.03.2000 – 4 Sa 905/99)

Nach § 1 Abs. 3 S. 1 HS. 2 KSchG a.F. [1996] ist die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl nur dann sozialungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit,

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das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers „nicht" oder „nicht ausreichend" berücksichtigt hat.„Nicht ausreichend" berücksichtigt hat der Arbeitgeber die Sozialdaten dann, wenn er bei vergleichbaren Arbeit-nehmern einen Arbeitnehmer vorzieht, der nach der Punktetabelle mehr als zehn Sozialpunkte schwächer ist als dergekündigte Arbeitnehmer. In einem solchen Falle ist auch bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs diegetroffene Sozialauswahl als „grob fehlerhaft" i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. [1996] anzusehen.

LAG Hamm, Urt. v. 16.03.2000 – 4 Sa 905/99, AE 2000, 192 = RzK I 5d Nr. 98 = ZInsO 2000, 572

Interessenausgleich mit Namensliste: Keine Einbeziehung von Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutzin die Sozialauswahl (LAG Hamm, Urt. v. 23.03.2000 – 4 Sa 910/99)

1. Besteht der Text des Interessenausgleichs selbst aus mehreren Blättern, so liegt eine einheitliche Ur-kunde i.S.d. § 126 Abs. 2 S. 1 BGB allerdings schon dann vor, wenn sich aus dem Inhalt der Blätter derenEinheit – etwa aus fortlaufender Paginierung, fortlaufender Nummerierung der einzelnen Bestimmungen,einheitlicher graphischer Gestaltung, inhaltlichem Zusammenhang des Textes oder vergleichbarer Merk-male – deren Zusammenhang zu einem einheitlichen Ganzen ergibt. Ist dies der Fall, so bedarf es zurWahrung der Schriftform des § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG nicht zusätzlich der körperlichen Verbindung dereinzelnen Blätter der Vereinbarung; die Unterschrift auf dem letzten Blatt der Vertragsurkunde genügt(so zur Schriftform des § 566 BGB beim Mietvertrag BGH, Urt. v. 24.09.1997 – XII ZR 234/95, NJW1998, 58 = MDR 1998, 31).

2. Der Arbeitgeber muß Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis er aufgrund gesetzlicher Bestimmungen –hier wegen Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber bzw. Erziehungsurlauber – nicht ordentlich kün-digen kann, bei seiner Auswahlentscheidung nicht berücksichtigen, sondern er kann die Sozialauswahlauf die Arbeitnehmer beschränken, gegenüber denen der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung mög-lich ist. Ein aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigter Arbeitnehmer ohne besonderenKündigungsschutz kann daher nicht mit Erfolg geltend machen, ein Arbeitnehmer mit besonderem Kün-digungsschutz sei bei Anwendung der in § 1 Abs. 3 KSchG genannten Auswahlkriterien sozial wenigerschutzwürdig.

LAG Hamm, Urt. v. 23.03.2000 – 4 Sa 910/99, AE 2000, 193 = EWiR 2001, 439 [Diller/Haußmann] = ZInsO2000, 570

Interessenausgleich mit Namensliste: Darlegungs- und Beweislast und Sozialauswahl (LAG Hamm, Urt. v.23.03.2000 – 4 Sa 1554/99)

1. Wird ein Interessenausgleich mit Namensliste eingereicht, so muß letztere ein äußeres Merkmal auf-weisen, das sie als Bestandteil des Interessenausgleichs ausweist. Eine fehlende feste Verbindung einermehrseitigen Namensliste mit dem Interessenausgleich mittels Heftmaschine führt dann nicht zur Un-wirksamkeit einer Kündigung nach § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996], wenn die einzelnen Seiten der Na-mensliste von den den Interessenausgleich unterzeichnenden Personen jeweils paraphiert worden sindund auch die Namensliste selbst von den Betriebspartnern unterzeichnet worden ist.

2. Auf die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. [1996] kann sich der Arbeitgeber zwarnicht berufen, „soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich ge-ändert hat" (§ 1 Abs. 5 S. 3 KSchG a.F. [1996]), jedoch müssen die wesentlichen Änderungen der Sach-lage in der Zeit zwischen Abschluß des Interessenausgleich und Zugang der Kündigung eintreten, denndanach gelten die Grundsätze des WiedereinstellungsanspruchS. Außerdem müssen verfahrene Überstun-den oder erfolgte Neu- oder Wiedereinstellungen den Tätigkeitsbereich des entlassenen Arbeitnehmersbetreffen.

3. Der Arbeitgeber kann die Herausnahme von Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl mit deren besonde-ren, im Betrieb benötigten „Kenntnissen, Fähigkeiten und Leistungen" begründen. Wie bei der Betriebs-ratsanhörung reichen für den Vortrag des Arbeitgebers aber pauschale, floskel-, schlag-, stichwort- oderüberschriftsartige Bezeichnungen nicht zum Nachweis der besonderen Kenntnisse und FähigkeitenauS. Die Unterschiede zwischen mehreren Arbeitnehmern sind im Rahmen der sozialen Auswahl dem-nach nur beachtlich, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

– es werden überdurchschnittliche oder wesentliche spezielle Fähigkeiten oder Kenntnissenachgewiesen und

– diese werden im Kündigungszeitpunkt im Betrieb aktuell benötigt.

4. Ziel der Regelung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG a.F. [1996] ist es, die Anforderungsprofile der verbliebe-nen Arbeitsplätze und die Qualifikationsprofile der einzelnen Arbeitnehmer in Übereinstimmung zu brin-gen. Dabei werden die arbeitsplatzorientierten Anforderungen betrieblich als Anforderungsprofile vorge-geben und sind als unternehmerische Entscheidung insoweit gerichtlich nicht nachprüfbar. Die Feststel-lungen des Arbeitgebers bezüglich des Vorhandenseins personenorientierter Qualifikationen der einzel-nen Arbeitnehmer, die die verbliebenen Arbeitsplätze ausfüllen sollen, sind jedoch voll nachprüfbar.

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5. Beruft sich der Arbeitgeber hinsichtlich der Nichteinbeziehung in die soziale Auswahl darauf, eineweiterbeschäftigte Arbeitnehmerin verfüge über die Fähigkeit zur Führung der Korrespondenz in Franzö-sisch und Englisch, so kann die entlassene Arbeitnehmerin nicht bloß auf schon viele Jahre zurückliegen-den Volkshochschulkurse verweisen. Zwar steht die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit derVergleichbarkeit nicht entgegen, jedoch ist die selbständige Führung der Korrespondenz in Englisch undFranzösisch nicht einmal in einem halben Jahr erlernbar, so daß von einer „alsbaldigen Substituierbar-keit" des Erwerbs aktueller Kenntnisse vorliegend keine Rede sein kann.

LAG Hamm, Urt. v. 23.03.2000 – 4 Sa 1554/99, AE 2000, 193 = ZInsO 2000, 571

Interessenausgleich mit Namensliste: Formale Anforderungen an einen wirksamen Interessenausgleich mitNamensliste (LAG Hamm, Urt. v. 06.07.2000 – 4 Sa 233/00)

1. Grundvoraussetzung für die Anwendung der Regelungen des § 125 Abs. 1 InsO ist, daß der gekündigteArbeitnehmer „im" Interessenausgleich, der schriftlich abgeschlossen sein muß (§ 112 Abs. 1 S. 1BetrVG), namentlich bezeichnet ist. Wegen des Bezugnahmeverbots genügt zur Erfüllung des Schrift-formerfordernisses der einseitige Hinweis im Interessenausgleich auf eine „lose" beigefügte „Anlage 1",die von den Betriebspartnern nicht unterzeichnet ist, nicht (so schon LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v.17.10.1997 – 9 Sa 401/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 2).

2. Zur Erfüllung der Schriftform muß die Namenliste im Interessenausgleich in Bezug genommen undmit diesem zu einer einheitlichen Urkunde zusammengebracht sein. Ist dies nicht der Fall, dann deckt dieUnterschrift unter der Haupturkunde nicht den gesamten Inhalt der damit verbundenen Anlage. Gleichesgilt, wenn die ursprünglich vorhandene Gesamturkunde zerstört worden ist, in dem die Heftklammern ge-löst worden sind. Daß dies lediglich zwecks Kopierens geschehen sein soll und daß die losen Blätter da-nach wieder zusammengeheftet sind, ist unbeachtlich.

3. Der Insolvenzverwalter kann sich bei der Sozialauswahl darauf beschränken, die Unterhaltspflichten„laut Steuerkarte" zu berücksichtigen, da die in den Personalunterlagen erfaßten Daten von ihm so zügigermittelt werden können. Die ihm im Kündigungszeitpunkt nach der Steuerkarte zur Verfügung stehen-den Daten muß der Insolvenzverwalter bei der Sozialauswahl auswerten. Tut er dies nicht, ist die getrof-fene Sozialauswahl nicht absolut unwirksam, wenn diese nach einem Punkteschema vorgenommen wird.Vielmehr sind die nicht vergebenen Punkte nachzutragen (im Anschluß an LAG Hamm, Urt. v.21.08.1997 – 4 Sa 166/97, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 62).

4. In die Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG sind nur solche Arbeitnehmer einzubeziehen, die aus dem-selben dringenden betrieblichen Erfordernis ebenfalls entlassen werden könnten (im Anschluß an LAGKöln, Urt. v. 29.09.1993 – 7 Sa 241/93, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 7). Daher scheiden ausdem auswahlrelevanten Personenkreis – trotz an sich bestehender Vergleichbarkeit – solche Arbeitneh-mer aus, bei denen eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung – wie bei Schwerbehinderten (§ 15SchwbG) – aufgrund Gesetzes ausgeschlossen ist, es sei denn, es liegt die behördliche Zustimmung vor.Ob der Insolvenzverwalter die Zustimmung beantragt, liegt in seinem Ermessen, denn er darf den Son-derkündigungsschutz akzeptieren.

LAG Hamm, Urt. v. 06.07.2000 – 4 Sa 233/00, AE 2000, 193 = EWiR 2001, 125 [Grimm] = ZInsO 2001, 336

Interessenausgleich mit Namensliste: Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Betriebsbedingtheit derKündigung (LAG Hamm, Urt. v. 06.07.2000 – 4 Sa 799/00)

1. Bei der Regelung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO handelt es sich zwar nur um eine widerleglicheVermutung i.S.v. § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 292 S. 1 ZPO, aber widerlegliche Vermutungen haben dieFunktion von Beweislastregeln. Der bei widerleglichen Vermutungen offene Beweis des Gegenteils istHauptbeweiS. Deshalb genügt es nicht, daß der Arbeitnehmer das Vorbringen des Insolvenzverwalterserschüttert, sondern er muß hinsichtlich der gesetzlichen Vermutung den Gegenbeweis erbringen. Dieserist erst dann geführt, wenn das Gericht vom Vorliegen eines Sachverhalts überzeugt ist, der das Gegenteilder Vermutung ergibt.

2. Das Gericht kann nicht die Möglichkeit einer Änderungskündigung ins Auge fassen, die rechtlich nichtdurchführbar ist. So scheidet eine Änderungskündigung zwecks Versetzung des Arbeitnehmers, dessenArbeitsplatz im Betrieb weggefallen ist, zu einem anderen Unternehmen, mit dem die Schuldnerin (Ar-beitgeberin) in keinen arbeitsrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Beziehungen steht, als Alternativezu der tatsächlich ausgesprochenen Beendigungskündigung auS. Ein Vorbringen, welches rechtlich nichtdurchführbar ist, also vom Insolvenzverwalter etwas Unmögliches verlangt (dem steht hier rechtlichesUnvermögen gleich), braucht von ihm nicht einmal ausreichend bestritten werden.

3. Grobe Fehlerhaftigkeit ist bei einem Interessenausgleich mit Namensliste unter anderem dann anzu-nehmen, wenn die Betriebspartner eines der drei Sozialdaten überhaupt nicht berücksichtigt oder ihmdurch vorrangige Berücksichtigung zusätzlicher Auswahlkriterien ein völlig ungenügendes Gewicht bei-

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gemessen haben. Sind die Ehemänner nicht als Unterhaltsberechtigte berücksichtigt worden, ist die ge-troffene Sozialauswahl nicht absolut unwirksam, wenn diese nach einem Punkteschema vorgenommenworden ist. Vielmehr sind die nicht vergebenen Punkte nach Maßgabe der in der Punktetabelle für die üb-rigen Unterhaltsverpflichtungen vorgesehenen Punkte nachzutragen. Es ist dann zu prüfen, ob sich zu-gunsten der gekündigten Arbeitnehmerin überhaupt eine Rangverschiebung ergibt. Ist dies nicht der Fall,ist die getroffene Sozialauswahl nicht zu beanstanden.

4. Die Sozialauswahl ist i.d.R. nur betriebsbezogen durchzuführen. Bei Vorliegen eines gemeinsamen Be-triebes zweier oder mehrerer Unternehmen hat die Sozialauswahl anläßlich einer betriebsbedingten Kün-digung allerdings unternehmensübergreifend zu erfolgen. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn beieiner Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG ein Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 125 Abs. 1InsO zustande gekommen ist, bei einem vom Insolvenzverwalter einheitlich geführten Betrieb mehrererinsolventer Gesellschaften einer Unternehmens-Gruppe.

LAG Hamm, Urt. v. 06.07.2000 – 4 Sa 799/00, EzInsR § 125 InsO Nr. 3 = AE 2000, 193 = DZWIR 2001, 107[Weisemann] = ZInsO 2000, 569

Interessenausgleich mit Namensliste: Grob fehlerhafte Sozialauswahl nach Punktetabelle (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.11.2000 – 6 Sa 700/00)

Bewerten die Parteien eines Interessenausgleiches und Sozialplanes bei Durchführung der Sozialauswahl in einerPunktetabelle das Lebensalter mit 1 Punkt, die Betriebszugehörigkeit mit 0,75 Punkten und die Unterhaltspflichtmit je 20 Punkten, kann, weil damit unausweislich ältere Mitarbeiter extrem benachteiligt werden, die Gewichtungnicht mehr nur als fehlerhaft angesehen werden, sondern muß als grob fehlerhafte Sozialauswahl zur Unwirksam-keit der Kündigung führen.

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.11.2000 – 6 Sa 700/00, n.v.

Interessenausgleich mit Namensliste: Gesetzliche Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung (ArbGBraunschweig, Urt. v. 23.11.2000 – 1 Ca 389/00)

Die Vermutung der dringenden betrieblichen Erfordernisse für eine Kündigung aufgrund eines Interessenausgleichsmit Namensliste im Insolvenzverfahren (§ 125 InsO) greift nicht, wenn der namentlich im Interessenausgleichbezeichnete Arbeitnehmer in einem Bereich beschäftigt ist, der nicht von der im Interessenausgleich geregeltenBetriebsänderung erfaßt wird.

ArbG Braunschweig, Urt. v. 23.11.2000 – 1 Ca 389/00, AuR 2001, 155 = ZInsO 2001, 389

Interessenausgleich mit Namensliste: Wesentliche Änderung der Sachlage nach Zustandekommen des Inte-ressenausgleichs (BAG, Urt. v. 21.02.2001 – 2 AZR 39/00)

1. Die Beurteilung von Kündigungen aus dem Zeitraum v. 01.10.1996 bis zum 31.12.1998 richtet sichauch bei Entscheidungen der Arbeitsgerichte nach dem 01.01.1999 nach dem KSchG i.d.F. des Arbeits-rechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes v. 25.09.1996 (Bestätigung von BAG, Urt. v. 21.01.1999 –2 AZR 624/98, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste = ZInsO 1999, 543; BAG, Urt. v. 10.02.1999 –2 AZR 716/98, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 = ZInsO 1999, 543). Die mit dem Korrekturgesetz v.19.12.1998 erfolgten, inhaltlichen Änderungen des § 1 Abs. 3 und Abs. 5 KSchG erfassen deshalb vordem 01.01.1999 zugegangene Kündigungen nicht.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interes-senausgleichs wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 S. 3 KSchG a.F. [1996]) ist der Zugang der Kündigung.Bei späteren Änderungen kommt nur ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht.

3. Es unterliegt grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers, das Anforde-rungsprofil für einen eingerichteten Arbeitsplatz festzulegen. Soweit die Erfüllung bestimmter Vorausset-zungen für die sachgerechte Erledigung der Arbeitsaufgaben erforderlich sein soll, kann die unternehme-rische Entscheidung nur daraufhin überprüft werden, ob sie offenbar unsachlich ist. So ist die Entschei-dung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit besonderer Qualifikation aus-führen zu lassen, grundsätzlich zu respektieren.

4. Ein und dieselbe Maßnahme eines Unternehmers kann mehrere Tatbestände einer Betriebsänderungi.S.d. § 111 S. 2 BetrVG erfüllen; so kann eine Betriebseinschränkung (§ 111 S. 2 Nr. 1 BetrVG) dazuführen, daß die Organisation der noch zu leistenden Arbeit zu solchen Umschichtungen führt, daß einegrundlegende Änderung der Betriebsorganisation (§ 111 S. 2 Nr. 4 BetrVG) anzunehmen ist.

BAG, Urt. v. 21.02.2001 – 2 AZR 39/00, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 8 = EzBAT § 53 BAT Betriebs-bedingte Kündigung Nr. 40 = BAGReport 2001, 68

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Interessenausgleich mit Namensliste: Gesetzliche Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung (LAGDüsseldorf, Urt. v. 27.09.2001 – 11 Sa 782/01)

1. Für das Vorliegen der Voraussetzungen der Vermutungswirkung in § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. [1996]kommt es, was die Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG betrifft, ausschließlich auf eine nachgewiesenebeabsichtigte Betriebsänderung an.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich die Sachlage nachträglich geändert hat (§ 1 Abs. 5S. 3 KSchG a.F. [1996]), ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Bei späteren Änderungen kommtnur ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 27.09.2001 – 11 Sa 782/01, LAGReport 2002, 125 = ZInsO 2002, 740

Interessenausgleich mit Namensliste: Fehlende feste Verbundenheit von Interessenausgleich mit nicht unter-schriebener Namensliste (BAG, Urt. v. 06.12.2001 – 2 AZR 422/00)

1. Der Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung muß mit namentlicher Bezeichnung der zukündigenden Arbeitnehmer nach § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG schriftlich niedergelegt und vom Unterneh-mer und dem Betriebsrat unterschrieben sein. Die Rechtswirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996]treten auch dann ein, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer in einer nicht unterschriebenen Namenslistebenannt ist, die mit dem Interessenausgleich, der auf die Namensliste als Anlage ausdrücklich Bezugnimmt, mittels Heftmaschine fest verbunden ist.

2. Die Vermutungsbasis, d.h. insbesondere die Voraussetzungen für einen wirksamen Interessenaus-gleich, hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen.

3. Nach § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996] ist eine abschließende Festlegung der zu kündigenden Arbeitneh-mer im Interessenausgleich erforderlich.

BAG, Urt. v. 06.12.2001 – 2 AZR 422/00, EWiR 2002, 705 [Peters-Lange] = NZA 2002, 999

Interessenausgleich mit Namensliste: Reichweite der Vermutungswirkung eines Interessenausgleichs mitNamensliste (ArbG Jena, Urt. v. 15.02.2002 – 4 Ca 24/01)

1. § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfaßt nur Kündigungen in Vollzug der Betriebsänderung, über die der Interes-senausgleich mit Namensliste zustande gekommen ist.

2. Ist nur eine Betriebsänderung Gegenstand des Interessenausgleiches, wird dieser Kausalzusammen-hang zwischen Betriebsänderung und Kündigung i.d.R. vermutet (in Anlehnung an BAG, Urt. v.07.05.1998 – 2 AZR 536/97, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).

3. Regelt der Interessenausgleich mehrere Betriebsänderungen oder eine mehrgliedrige Betriebsänderung,die entweder nicht gleichzeitig oder einheitlich oder von der eine oder ein Teil schließlich gar nichtdurchgeführt wird, ist vom Insolvenzverwalter im Prozeß darzulegen und ggf. zu beweisen, daß die Kün-digung gerade in Vollzug der tatsächlich durchgeführten bzw. des tatsächlich durchgeführten Teils derBetriebsänderung ausgesprochen wurde. Dieser Kausalzusammenhang nimmt in einem solchen Fallenicht an der Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO teil.

ArbG Jena, Urt. v. 15.02.2002 – 4 Ca 24/01, ZInsO 2002, 644

Interessenausgleich mit Namensliste: Betriebsbedingte Kündigung über einen Interessenausgleich mit Na-mensliste (BAG, Urt. v. 21.02.2002 – 2 AZR 581/00)

1. Der Betriebsratsvorsitzende vertritt den Betriebsrat nach § 26 Abs. 3 S. 1 BetrVG nur im Rahmen dervon ihm gefaßten Beschlüsse. Er ist nicht Vertreter im Willen, sondern Vertreter in der Erklärung. Gibtder Betriebsratsvorsitzende für den Betriebsrat aber eine Erklärung ab, spricht eine – allerdings jederzeitwiderlegbare – Vermutung dafür, daß der Betriebsrat einen entsprechenden Beschluß gefaßt hat.

2. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. [1996] verbietet nicht, eine Liste mit den zu kündigenden Arbeitnehmernals Anlage zu einem Interessenausgleich zu nehmen, soweit zweifelsfrei feststeht, daß die Namenslisteund der Interessenausgleich eine Urkunde bilden. Wird die Namensliste getrennt vom Interessenausgleicherstellt, reicht es aus, wenn sie von den Betriebsparteien unterzeichnet ist und in ihr oder im Interessen-ausgleich auf sie Bezug genommen wird.

3. Liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996] vor, so muß der Arbeitnehmer darlegenund beweisen, daß seine Beschäftigungsmöglichkeit nicht weggefallen ist; insoweit liegt eine Umkehr der

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Beweislast vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich die Sachlage nach Zustandekommendes Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 S. 3 KSchG a.F. [1996]) ist der Zugang derKündigung; bei späteren Änderungen kommt nur ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht.

4. Die Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsrahmens in § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. [1996] auf grobeFehlerhaftigkeit bezieht sich nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst, sondernauch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen. Allerdings obliegt auch im Anwendungsbereichdes § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996] dem Arbeitgeber weiterhin die Darlegungs- und Beweislast dafür, wa-rum bestimmte Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht in die Sozialauswahl einbezogen wordensind, ihre Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen, imberechtigten betrieblichen Interesse liegt.

5. Die Betriebsratsanhörung unterliegt beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste keinenerleichterten Anforderungen, sie muß vielmehr wie die Anhörung des Betriebsrats zu jeder anderen Kün-digung den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zu § 102 BetrVG entsprechen. Gleichwohlbleibt zu berücksichtigen, daß es nach § 102 BetrVG keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründedurch den Arbeitgeber mehr bedarf, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des Anhörungsverfahrens bereitsüber den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine sachge-rechte Stellungnahme abgeben zu können.

BAG, Urt. v. 21.02.2002 – 2 AZR 581/00, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10 = BAGReport 2003, 16 =NZA 2002, 1360

Interessenausgleich mit Namensliste: Betriebsbedingte Kündigung wegen Betriebsschließung in der Insol-venz (LAG Hamm, Urt. v. 21.03.2002 – 4 Sa 1746/01)

1. Kommt ein Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO zustande, dann er-setzt dieser zwar die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG (§ 125 Abs. 2 InsO).Dagegen entbindet die Erstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste den Insolvenzverwalternicht von der Betriebsratsanhörung zu den konkret auszusprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG,noch werden die Anforderungen an die Informationspflicht herabgesetzt.

2. Der Insolvenzverwalter kann die Anhörung nach § 102 BetrVG allerdings mit den Verhandlungen überden Interessenausgleich verbinden. Auf die Frage, wann der Insolvenzverwalter die Verhandlungen mitdem Betriebsrat betreffend den Interessenausgleich und die anstehenden Kündigungen aufgenommen hat,kommt es in einem solchen Falle dann nicht an, wenn die Kündigungen erst später als eine Woche nachdem Zustandekommen des Interessenausgleichs und damit nach Ablauf der Stellungnahmefrist des § 102Abs. 2 BetrVG ausgesprochen werden.

LAG Hamm, Urt. v. 21.03.2002 – 4 Sa 1746/01, LAGReport 2002, 214 = ZInsO 2002, 644

Interessenausgleich mit Namensliste: Herausnahme von „Leistungsträgern" aus der Sozialauswahl (BAG,Urt. v. 12.04.2002 – 2 AZR 706/00)

1. Die Auskunftspflicht des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 3 S. 1 HS. 2 KSchG bezieht sich auch auf dieGründe für die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchGa.F. [1996].

2. Bei der Herausnahme von „Leistungsträgern" aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG a.F.[1996] muß der Arbeitgeber das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betrieblicheInteresse an der Herausnahme des Leistungsträgers abwägen: Je schwerer dabei das soziale Interessewiegt, um so gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein.

3. Es bleibt offen, ob der Maßstab der „groben Fehlerhaftigkeit" nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. [1996]auch auf die Auswahl der „Leistungsträger" nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG a.F. [1996] anzuwenden ist.

BAG, Urt. v. 12.04.2002 – 2 AZR 706/00, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = EzA § 1 KSchGSoziale Auswahl Nr. 48 = BAGReport 2003, 12 = BB 2002, 2612 = NZA 2003, 42

Interessenausgleich mit Namensliste: Beschränkung des Prüfungsmaßstabes auf grobe Fehlerhaftigkeit(LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.04.2002 – 3 Sa 1638/01)

1. Die Einschränkung des Prüfmaßstabes in § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO auf eine grobe Fehlerhaftigkeitbezieht sich nicht nur auf den Abwägungsvorgang im Hinblick auf die Kriterien der Sozialauswahl, näm-lich Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten, sondern auf den gesamten So-zialauswahlprozeß. Hierzu gehört auch die Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises.

2. Es ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn Betriebsrat und Insolvenzverwalter bei einem Interes-

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senausgleich, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind, die Sozialauswahlbei einem Einzelhandelsunternehmen für Arbeitnehmer ohne einschlägige kaufmännische Ausbildungaufgrund einer generalisierenden Betrachtungsweise auf die Beschäftigten in der jeweiligen Abteilungbeschränken, während bei Arbeitnehmer mit einschlägiger kaufmännischer Ausbildung alle Arbeitnehmerdes Betriebes mit einer vergleichbaren Tätigkeit einbezogen werden.

LAG Niedersachsen, Urt. v. 12.04.2002 – 3 Sa 1638/01, LAGE § 125 InsO Nr. 2 = DB 2002, 2056 = LAGReport2003, 12 = NZA-RR 2002, 517

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutungswirkung bei Betriebsteilveräußerung in der Insolvenz(LAG Hamm, Urt. v. 04.06.2002 – 4 Sa 57/02)

1. Spricht ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer betrieblichen Umstrukturierung, die er nichtmittragen will, eine mündliche Eigenkündigung aus, um nach Selbstbeurlaubung bis zum Ablauf der or-dentlichen Kündigungsfrist danach bei einem anderen Arbeitgeber der Branche einen neuen Arbeitsplatzanzutreten, dann kann in der Berufung auf die Formnichtigkeit der Kündigung ein widersprüchlichesVerhalten gesehen werden.

2. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste hat der Arbeitnehmer bei einer Be-triebs(teil-)veräußerung im Insolvenzverfahren eine „doppelte" Vermutung zu entkräften, nämlich

– daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist(§ 128 Abs. 2 InsO) und

– daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernissebedingt ist (§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO).

Der Arbeitnehmer muß in einem solchen Fall den Vollbeweis dafür erbringen, daß die Kündigung seinesArbeitsverhältnisses nicht „auf anderen Gründen" (§ 613a Abs. 4 S. 2 BGB) – bspw. auf einem Sanie-rungs- oder Reorganisationskonzept – beruht, sondern einen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 S. 1 BGB dar-stellt.

3. Der Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz ist zeitlich begrenzt: Seine Voraussetzungen müsseninnerhalb der Höchstfrist des § 113 Abs. 1 S. 2 InsO entstanden sein. Ist dies der Fall, dann muß der Ar-beitnehmer innerhalb von drei Wochen (ab 01.04.2002 im Hinblick auf § 613a Abs. 6 S. 1 BGB n.F.: ei-nen Monat) nach Kenntniserlangung von den den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Um-ständen den Wiedereinstellungsanspruch gegenüber dem Erwerber geltend machen.

LAG Hamm, Urt. v. 04.06.2002 – 4 Sa 57/02, AR-Blattei ES 915 Nr. 21 = LAGReport 2003, 31 = ZInsO 2003, 52

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutungswirkung bei Betriebsteilveräußerung in der Insolvenz(LAG Hamm, Urt. v. 04.06.2002 – 4 Sa 81/02)

1. Der „widerspruchslose" Übergang des Arbeitsverhältnisses gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB kann nichtnachträglich zu Lasten des Betriebsveräußerers durch einen rückwirkenden Aufhebungsvertrag mit demBetriebserwerber aufgehoben werden.

2. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste hat der Arbeitnehmer bei einer Be-triebs(teil-)veräußerung im Insolvenzverfahren eine „doppelte" Vermutung zu entkräften, nämlich

– daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist(§ 128 Abs. 2 InsO) und

– daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernissebedingt ist (§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO).

Der Arbeitnehmer muß in einem solchen den Vollbeweis dafür erbringen, daß die Kündigung seines Ar-beitsverhältnisses nicht „auf anderen Gründen" (§ 613a Abs. 4 S. 2 BGB) – bspw. auf einem Sanierungs-oder Reorganisationskonzept – beruht, sondern einen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 S. 1 BGB darstellt.

3. Der Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO entbindet den Insolvenzverwalter nicht von derPflicht, den Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 BetrVG zu den beabsichtigten Kündigungen anzuhören. Indem Interessenausgleich kann aber zum Ausdruck gebracht werden, daß der Insolvenzverwalter gleich-zeitig das Anhörungsverfahren bezüglich der in der Namensliste angegebenen Personen einleitet und derBetriebsrat hinsichtlich aller Kündigungen eine abschließende Stellungnahme abgibt.

4. Die Namensliste i.S.d. § 125 Abs. 1 InsO muß vor Ausspruch der Kündigung und zeitgleich mit demInteressenausgleich vereinbart werden.

LAG Hamm, Urt. v. 04.06.2002 – 4 Sa 81/02, BB 2003, 159 = InVo 2003, 106 = LAGReport 2003, 14 = NZA-RR

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2003, 293 = ZInsO 2003, 47

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutungswirkung bei Betriebsteilveräußerung in der Insolvenz(LAG Düsseldorf, Urt. v. 23.01.2003 – 11/12 Sa 1057/02)

1. Werden vor oder nach Betriebsübergang Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt, kann hierauf einebetriebsbedingte Kündigung des Veräußerers bzw. des Erwerbers gestützt werden (vgl. § 1 Abs. 2 S. 1KSchG i.V.m. § 613a Abs. 4 S. 2 BGB). Die in § 613a Abs. 4 S. 1 BGB getroffene Regelung, wonach dieKündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durchden neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebes oder eines Betriebsteils unwirksam ist, stehtnicht entgegen. Diese Vorschrift schützt nämlich nicht vor Risiken, die sich jeweils unabhängig vom Be-triebsübergang ergeben.

2. Zwar ist ein Betriebsübergang allein keine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG. Erschöpft sich aberder Betriebsübergang nicht in dem bloßen Betriebsinhaberwechsel, sondern ist er mit Maßnahmen ver-bunden, die als solche einen der Tatbestände des § 111 BetrVG erfüllen, stehen dem Betriebsrat die Be-teiligungsrechte nach §§ 111, 112 BetrVG zu (BAG, Urt. v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, EzA § 112 BetrVG1972 Nr. 106 [= ZInsO 2000, 568]).

3. Da § 125 Abs. 1 S. 1 InsO voraussetzt, daß es sich um eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG han-delt, kommt es auch im Rahmen des § 125 InsO zunächst darauf an, inwieweit eine Stillegung des Be-triebs oder eine Betriebsveräußerung geplant waren (wie BAG, Urt. v. 16.05.2002 – 8 AZR 319/01, EzA§ 613a BGB Nr. 210).

4. In der Insolvenz ermöglicht § 128 Abs. 1 S. 1 InsO Rationalisierungsplanungen im Vorgriff auf eineBetriebs(teil-)veräußerung. In diesem Fall kommt bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mitNamensliste eine „doppelte" Vermutung zum Tragen (wie LAG Hamm, Urt. v. 4.6.2002 – 4 Sa 81/02,BB 2003, 159 [= ZInsO 2003, 47]): Zum einen wird nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO vermutet, daß dieKündigung der Arbeitsverhältnisse der in einem zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat zustandegekommenen Interessenausgleich, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlichbezeichnet sind, durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG bedingt sind.Zum anderen wird nach § 128 Abs. 2 InsO vermutet, daß die Kündigung dieser Arbeitsverhältnisse nichtwegen des Betriebsübergangs erfolgt ist.

5. Der Arbeitnehmer muß im Kündigungsschutzprozess gegen eine vom Insolvenzverwalter nach Ab-schluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochene ordentliche Kündigung sowohl die in§ 128 Abs. 2 InsO wie die in § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO enthaltene Vermutung widerlegen. Hierfürmuß er den Vollbeweis erbringen, daß die Kündigung nicht auf § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG i.V.m. § 613aAbs. 4 S. 2 BGB gestützt werden kann, sondern nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB unwirksam ist (wie LAGHamm, Urt. v. 04.06.2002 – 4 Sa 81/02, BB 2003, 159 [= ZInsO 2003, 47]).

6. Eines gesonderten Anhörungsverfahrens nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG bedarf es nicht, wenn in demInteressenausgleich mit Namensliste zum Ausdruck gebracht ist, daß der Insolvenzverwalter gleichzeitigdas Anhörungsverfahren bezüglich der in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer eingeleitet und derBetriebsrat bezüglich dieser Arbeitnehmer eine abschließende Stellungnahme abgegeben hat (wie LAGHamm, Urt. v. 04.06.2002 – 4 Sa 81/02, BB 2003, 159 [= ZInsO 2003, 47]).

LAG Düsseldorf, Urt. v. 23.01.2003 – 11/12 Sa 1057/02, LAGE § 125 InsO Nr. 3 = BB 2004, 336 = DB 2003,2292

Interessenausgleich mit Namensliste: Begrenzte Vermutungswirkung eines Interessenausgleichs bei Be-triebsveräußerung in der Insolvenz (LAG Düsseldorf, Urt. v. 23.01.2003 – 11/13 Sa 1102/02)

1. Da § 125 Abs. 1 S. 1 InsO voraussetzt, daß es sich um eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG han-delt, kommt es auch im Rahmen des § 125 InsO zunächst darauf an, inwieweit eine Stillegung des Be-triebs oder eine Betriebsveräußerung geplant waren.

2. Für den im Rahmen des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO vom Insolvenzverwalter zu erbringenden Nach-weises einer geplanten Stillegung des Betriebs reichen unter Umständen die Kündigung aller Arbeitneh-mer und der Entschluß zu einer sog. Ausproduktion nicht aus, wenn es kurze Zeit (hier: circa einen Mo-nat) nach dem Abbruch von Verhandlungen über eine Betriebsveräußerung mit demselben Interessentendoch noch zu einem Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB kommt.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 23.01.2003 – 11/13 Sa 1102/02, n.v.

Interessenausgleich mit Namensliste: Grobfehlerhafte Sozialauswahl bei Kündigung über einen Interessen-ausgleich mit Namensliste (LAG Hamm, Urt. v. 05.06.2003 – 4/16 Sa 1976/02)

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1. Grobe Fehlerhaftigkeit i.S.d. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO ist bei der Sozialauswahl über einen Interes-senausgleich mit Namensliste anzunehmen, wenn die Betriebsparteien

– den auswahlrelevanten Personenkreis der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeit-nehmer willkürlich bestimmt oder nach unsachlichen Gesichtspunkten eingegrenzt haben,

– unsystematische Altersgruppen mit wechselnden Zeitsprüngen (bspw. in 12er, 8er und 10erJahresschritten) gebildet haben,

– eines der drei sozialen Grundkriterien überhaupt nicht berücksichtigt oder zusätzlichen Aus-wahlkriterien eine überhöhte Bewertung beigemessen haben,

– die der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehenden Gründen nicht nach sach-lichen Gesichtspunkten konkretisiert haben.

2. Das Gesetz bestimmt für die soziale Auswahl in § 125 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 HS. 2 InsO, daß es nicht alsgrob fehlerhaft anzusehen ist, wenn eine ausgewogene Personalstruktur nicht nur „erhalten", sondernauch wenn sie erst „geschaffen" wird. Dabei geht es nicht um den „Ausschluß" oder um die „Herausnah-me" einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl, gemeint ist vielmehr, daß die soziale Auswahl vonvornherein nur innerhalb von abstrakten Altersgruppen vorgenommen wird.

3. Bei der Bildung von Altersgruppen wird eine bestimmte Staffelung durch das Gesetz nicht vorge-schrieben. Die Betriebsparteien sind daher hinsichtlich der Anzahl der zu bildenden Altersgruppen (Drei-er-, Vierer- oder Fünfereinteilung) frei. Für die einzelnen auswahlrelevanten Personenkreise können un-terschiedliche Altersgruppeneinteilungen vorgenommen werden. Es ist mithin nicht zu beanstanden,wenn bei einem Heizungs- und Sanitärunternehmen bei den Sanitärinstallateuren eine Vierereinteilungund bei den Heizungsmonteuren eine Dreiereinteilung für die Altersgruppen vorgenommen worden ist.

LAG Hamm, Urt. v. 05.06.2003 – 4/16 Sa 1976/02, LAGE § 125 InsO Nr. 4 = LAGReport 2004, 132 [Graner] =NZA-RR 2004, 132

Interessenausgleich mit Namensliste: Sozialauswahl bei Kündigung in der Insolvenz über einen Interessen-ausgleich mit Namensliste (BAG, Urt. v. 28.08.2003 – 2 AZR 368/02)

1. Die Regelungen des § 125 InsO wollen eine erfolgreiche Sanierung insolventer Unternehmen fördernund im Insolvenzfall zusätzliche Kündigungserleichterungen schaffen. Der Insolvenzverwalter soll nichteiner Fülle von langwierigen und schwer kalkulierbaren Kündigungsschutzprozessen ausgesetzt werden.Im Insolvenzfall wird daher der individuelle Kündigungsschutz nach § 1 KSchG zugunsten einer kollek-tivrechtlichen Regelungsbefugnis der Betriebsparteien eingeschränkt.

2. Mit der Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle durch § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO auf „grobe Feh-ler" bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste wird zugleich der Prüfungsmaßstabgesenkt. Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers bei der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchGwird zugunsten einer vom Insolvenzverwalter und Betriebsrat vereinbarten betrieblichen Gesamtlösungerweitert.

3. Dabei bezieht sich der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nicht nur auf die sozialen Indika-toren und deren Gewichtung selbst. Vielmehr wird die gesamte Sozialauswahl, also insbesondere auchdie Bildung der auswahlrelevanten Gruppen, nur auf ihre groben Fehler überprüft. Dies gilt auch für dieHerausnahme von Arbeitnehmern aus einer Vergleichsgruppe jedenfalls insoweit, als dies gemäß § 125Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HS. 2 InsO dem Erhalt oder der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur dient.

4. Grob fehlerhaft i.S.v. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter Fehlervorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Aus-gewogenheit vermissen läßt.

BAG, Urt. v. 28.08.2003 – 2 AZR 368/02, AP Nr. 1 zu § 125 InsO = EzA § 125 InsO Nr. 1 = ArbRB 2004, 102[Berscheid] = BAGReport 2004, 105 = DB 2004, 604 = NZA 2004, 432

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutung der Betriebsbedingtheit einer Kündigung aufgrund einesInteressenausgleichs mit Namensliste (LAG Hamm, Urt. v. 03.09.2003 – 2 Sa 331/03)

Wird nicht der gesamte Betrieb übernommen, sondern werden nur einzelne Betriebsteile auf verschiedene Drittun-ternehmen übertragen, kommt es darauf an, ob das Arbeitsverhältnis einem übergehenden Betriebsteil i.S.v. § 613aAbs. 1 S. 1 BGB zugeordnet werden kann. Ist das Arbeitsverhältnis bei einem stillgelegten Betriebsteil angesiedelt,ist die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG wegen Stillegung eines Betriebsteils sozial gerechtfertigt.

LAG Hamm, Urt. v. 03.09.2003 – 2 Sa 331/03, n.v.

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Interessenausgleich mit Namensliste: Beschränkte Nachprüfbarkeit der sozialen Auswahl auf grobe Fehler-haftigkeit (LAG Hamm, Urt. v. 12.11.2003 – 2 Sa 1232/03)

1. Die beschränkte Nachprüfbarkeit der sozialen Auswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit gem. § 125 Abs. 1S. 1 Nr. 2 InsO erstreckt sich auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen.

2. Die Gruppenbildung ist bei Vorliegen sachlicher, nachvollziehbarer Gründe (hier: Qualifikationsunter-schiede aufgrund interner Schulung und vielseitigere Verwendbarkeit) nicht grob fehlerhaft (im An-schluss an BAG, Urt. v. 07.05.1998 – 2 AZR 536/97, NZA 1998, 933; BAG, Urt. v. 28.08.2003 – 2 AZR368/02, DB 2004, 604).

LAG Hamm, Urt. v. 12.11.2003 – 2 Sa 1232/03, n.v.

Interessenausgleich mit Namensliste: Betriebsbedingte Kündigung bei Zustandekommen eines Interessen-ausgleichs mit Namensliste (LAG Hamm, Urt. v. 27.11.2003 – 4 Sa 767/03)

1. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste beschränkt sich die Darlegungs- undBeweislast des Erwerbers auf die „Vermutungsbasis", nämlich auf die tatbestandlichen Voraussetzungender Vorschriften des § 125 Abs. 1 S. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter muß mithin darlegen:

– daß der Interessenausgleich wegen einer bestimmten Betriebsänderung rechtswirksam zu-stande gekommen ist,

– daß der Arbeitnehmer wegen der diesem Interessenausgleich zugrunde liegenden Betriebsän-derung entlassen worden ist,

– ggf., daß der Arbeitnehmer einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet wordenist;

– daß der gekündigte Arbeitnehmer in diesem Interessenausgleich namentlich bezeichnet ist.

2. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste hat der Arbeitnehmer bei einer Be-triebsveräußerung im Insolvenzverfahren eine „doppelte" Vermutung zu entkräften, nämlich

– daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist(§ 128 Abs. 2 InsO) und

– daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernissebedingt ist (§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO).

3. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste kehrt sich im Kündigungsschutzpro-zeß, in dem der Insolvenzverwalter ansonsten gem. § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG für das Vorliegen von drin-genden betrieblichen Erfordernissen darlegungs- und beweispflichtig ist, die Darlegungs- und Beweislastum. Danach genügt es nicht, daß der Arbeitnehmer das Vorbringen des Arbeitgebers bloß erschüttert,sondern er muß hinsichtlich der gesetzlichen Vermutung den Gegenbeweis erbringen, diese also begrün-det widerlegen.

4. Bei einem Betriebsübergang muß der Arbeitnehmer mithin den Vollbeweis dafür erbringen, daß dieKündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht „auf anderen Gründen" (§ 613a Abs. 4 S. 2 BGB) beruht,sondern einen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 S. 1 BGB darstellt. An seinen Vortrag sind die gleichen Maß-stäbe anzulegen, die die Rechtsprechung für die Substantiierung des Arbeitgebervorbringens zum Vorlie-gen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses i.R.v. § 1 Abs. 2 S. 1 und S. 4 KSchG aufgestellt hat.Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Arbeitnehmers.

LAG Hamm, Urt. v. 27.11.2003 – 4 Sa 767/03, ZInsO 2004, 576

Interessenausgleich mit Namensliste: Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung mehreren „Entlas-sungswellen" (BAG, Urt. v. 22.01.2004 – 2 AZR 111/02)

1. Nach § 111 S. 2 Nr. 1 BetrVG a.F. [1972] gelten als Betriebsänderung i.S.d. § 111 S. 1 BetrVG a.F.[1972] die Einschränkung und Stillegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen.Auch ein bloßer Personalabbau ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel kann eine Betriebsein-schränkung sein, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Richtschnur, wann erhebli-che Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG. FürGroßbetriebe ist eine Betriebseinschränkung i.S.d. § 111 S. 2 Nr. 1 BetrVG a.F. [1972] allerdings erst beieinem Personalabbau von 5% der Gesamtbelegschaft gegeben.

2. Maßgeblich ist die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, die voraussichtlich, wenn auch in mehreren „Wel-len", betroffen sein werden, sei es auch erst nach Ablauf mehrerer Monate; der Dreißig-Tage-Zeitraumnach § 17 Abs. 1 KSchG ist nicht übertragbar.

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3. Erreichen die ersten „Entlassungswellen", für die ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlos-sen ist, die erforderliche Gesamtzahl, so wird die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG a.F. KSchG[1996] nicht dadurch beeinträchtigt, daß weitere Entlassungswellen vorgesehen sind, für die noch keineNamensliste vorliegt.

4. Nach § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist ein Interessenausgleich über eine geplante Betriebsänderungschriftlich niederzulegen und vom Unternehmer und vom Betriebsrat zu unterschreiben. Das gesetzlicheSchriftformerfordernis (§§ 125, 126 BGB) ist nicht deshalb verletzt, weil die Namensliste nicht im Inte-ressenausgleich selbst, sondern in einer Anlage enthalten ist. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. [1996] sprichtzwar davon, die namentliche Bezeichnung müsse „in dem Interessenausgleich" erfolgen. Dieses Erfor-dernis ist aber erfüllt, wenn Interessenausgleich und Namensliste eine Urkunde bilden, d.h., wenn die ge-trennt erstellte Namensliste von den Betriebsparteien unterzeichnet und in ihr oder im Interessenausgleichauf sie Bezug genommen ist.

5. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996] muß der Arbeitnehmer darlegen,daß eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn nicht weggefallen ist. Die Vermutung der Betriebsbedingtheitder Kündigung führt gem. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG zur Anwendung des § 292 ZPO. Stellt das Gesetz (§ 1Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. [1996]) für das Vorhandensein einer Tatsache – hier: die Betriebsbedingtheit derKündigung – eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig. Es ist substantiierter Tatsa-chenvortrag erforderlich, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern aus-schließt.

6. Die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung und der geänderte Prüfungsmaßstab für die So-zialauswahl nach § 1 Abs. 5 S. 3 KSchG a.F. [1996] kommen nur dann nicht zur Anwendung, wenn sichdie Sachlage nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs so wesentlich geändert hat, daß voneinem Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung derwesentlichen Änderung ist der Kündigungszeitpunkt. Wesentlich ist die Änderung dann, wenn nichternsthaft bezweifelt werden kann, daß beide Betriebspartner oder einer von ihnen den Interessenausgleichin Kenntnis der späteren Änderung nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten.

7. Auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG a.F. [1996] ist der Arbeit-geber nicht von der Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG entbunden, die Betriebs-ratsanhörung unterliegt insoweit keinen erleichterten Anforderungen. Allerdings muß der Arbeitgeber dieTatsachen bezüglich der Kündigungsgründe und der Sozialauswahl, die dem Betriebsrat bereits aus denVerhandlungen zum Abschluß eines Interessenausgleichs bekannt sind, im Anhörungsverfahren zumin-dest dann nicht erneut vortragen, wenn zwischen den Interessenausgleichsverhandlungen und dem Anhö-rungsverfahren ein überschaubarer Zeitraum liegt.

BAG, Urt. v. 22.01.2004 – 2 AZR 111/02, n.v.

Anhang 4

Rechtsprechung zum Sozialplan – Eine Übersicht

Sozialplan: Keine Sozialplanpflicht bei nachträglich gewähltem Betriebsrat (BAG, Bes. v. 22.10.1991 – 1ABR 17/91)

1. Ein erst während der Durchführung der bereits vorher beschlossenen und eingeleiteten Stilllegung ei-nes bisher betriebsratslosen Betriebes gewählter Betriebsrat kann nicht die Aufstellung eines Sozialplansverlangen.

2. Dient die von § 17 KSchG geforderte Anzeige von Massenentlassungen der Durchführung der schonvor der BR-Wahl beschlossenen Betriebsänderung, dann lässt die Anhörungspflicht nach § 17 Abs. 2KSchG die Beteiligungsrechte des (zu spät gewählten) Betriebsrats nach den §§ 111, 112 BetrVG nichtzu diesem Zeitpunkt (neu) aufleben.

BAG, Bes. v. 22.10.1991 – 1 ABR 17/91, n.v.

Sozialplan: Bemessung der Sozialplanabfindung nach der Betriebszugehörigkeit (BAG, Urt. v. 16.03.1994 –10 AZR 606/93)

Betriebspartner können in einem Sozialplan regeln, dass für die Bemessung der Abfindung nur die Betriebszugehö-rigkeit beim Arbeitgeber und seinem Rechtsvorgänger, nicht aber die in einem Überleitungsvertrag anerkannteBetriebszugehörigkeit bei einem früheren Arbeitgeber zu berücksichtigen ist.

BAG, Urt. v. 16.03.1994 – 10 AZR 606/93, AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 73

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Sozialplan: Bemessung der Sozialplanabfindung nach der Betriebszugehörigkeit (BAG, Urt. v. 30.03.1994 –10 AZR 352/93)

Die Betriebspartner können in einem Sozialplan bestimmen, dass bei der Berechnung der Höhe einer Abfindungnur die tatsächliche Betriebszugehörigkeit des betroffenen Arbeitnehmers zugrunde gelegt wird und Dienstjahre beider NVA der ehemaligen DDR außer Betracht bleiben, obwohl diese nach der Förderungsverordnung auf die Be-triebszugehörigkeit angerechnet worden waren.

BAG, Urt. v. 30.03.1994 – 10 AZR 352/93, AP Nr. 76 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 74 =NZA 1995, 88

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei veranlasstem Aufhebungsvertrag (BAG, Urt. v. 28.04.1993 – 10 AZR222/92)

1. Bei Abschluß eines Sozialplans sind die Betriebspartner und die Einigungsstelle grundsätzlich frei,darüber zu entscheiden, welche Nachteile aus einer Betriebsänderung auf welche Weise ausgeglichenwerden (BAG, Urt. v. 15.01.1991 – 1 AZR 80/90, AP Nr. 57 zu § 112 BetrVG 1972). Sie dürfen dabeinach der Schwere der möglichen Nachteile und deren Vermeidbarkeit differenzieren (BAG, Urt. v.14.02.1984 – 1 AZR 574/82, AP Nr. 21 zu § 112 BetrVG 1972).

2. Scheidet ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung aufgrund eines Aufhe-bungsvertrages, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses „auf Veranlassung des Arbeitgebers" vor-sieht, aus dem Betrieb aus, so ist dies im Hinblick auf die Ansprüche aus dem Sozialplan wie eine Ar-beitgeberkündigung zu behandeln.

BAG, Urt. v. 28.04.1993 – 10 AZR 222/92, AP Nr. 67 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 68 =AiB 1993, 733 [Hamm]

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei betrieblich veranlasstem Aufhebungsvertrag (BAG, Urt. v. 30.04.1994 –10 AZR 323/93)

1. Es verstößt gegen § 75 BetrVG, wenn die Betriebspartner in einem Sozialplan solche Arbeitnehmervon Sozialplanansprüchen ausnehmen, die aufgrund eines Aufhebungsvertrages ausgeschieden sind, dender Arbeitgeber im Hinblick auf eine geplante Betriebsänderung veranlasst hat, wenn den vom Arbeitge-ber gekündigten Arbeitnehmern solche Ansprüche eingeräumt werden (im Anschluss an BAG, Urt. v.28.04.1993 – 10 AZR 222/92, AP Nr. 67 zu § 112 BetrVG 1972).

2. Ein Aufhebungsvertrag ist nicht schon dann im Hinblick auf eine geplante Betriebsänderung vom Ar-beitgeber veranlasst, wenn dieser den Arbeitnehmern lediglich unter Hinweis auf die wirtschaftliche Lagedes Unternehmens rät, sich um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen.

3. Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Sozialplan Arbeitnehmer von Ab-findungsansprüchen ausnimmt, die aufgrund eines Aufhebungsvertrages oder einer Eigenkündigung aus-geschieden sind, nachdem sie eine neue Arbeitsstelle gefunden haben, vom Arbeitgeber gekündigten Ar-beitnehmern aber eine Abfindung auch dann belässt, wenn sie noch innerhalb der Kündigungsfrist einenneuen Arbeitsplatz finden und deswegen vor Ablauf der Kündigungsfrist ausscheiden.

BAG, Urt. v. 30.04.1994 – 10 AZR 323/93, AP Nr. 77 zu § 112 BetrVG 1972 [Falk] = EzA § 112 BetrVG 1972Nr. 75 = AiB 1994, 639 [Hamm] = NZA 1995, 489

Sozialplan: Abänderung von Sozialplänen (BAG, Bes. v. 10.08.1994 – 10 ABR 61/93)

1. Selbst dann, wenn auch die Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder schon beendet sind, behältder Betriebsrat ein Restmandat zum Abschluß eines Sozialplans. Ein solches Restmandat wäre überflüs-sig, wenn der Betriebsrat für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse bereits beendet sind, keine Sozial-planregelungen mehr treffen könnte. In den Fällen, in denen nämlich die Arbeitsverhältnisse der BR-Mitglieder beendet sind, gibt es regelmäßig keine anderen bestehenden Arbeitsverhältnisse im Betriebmehr.

2. Die Betriebspartner können einen Sozialplan jederzeit einvernehmlich mit Wirkung für die Zukunftabändern.

3. Ein für eine bestimmte Betriebsänderung vereinbarter Sozialplan kann, soweit nichts Gegenteiligesvereinbart ist, nicht ordentlich gekündigt werden. Anderes kann für Dauerregelungen in einem Sozialplangelten, wobei Dauerregelungen nur solche Bestimmungen sind, nach denen ein bestimmter wirtschaftli-cher Nachteil durch auf bestimmte oder unbestimmte Zeit laufende Leistungen ausgeglichen oder gemil-

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dert werden soll.

4. Ob ein Sozialplan insgesamt oder hinsichtlich seiner Dauerregelungen außerordentlich gekündigt wer-den kann, bleibt unentschieden.

5. Im Falle einer zulässigen ordentlichen und auch außerordentlichen Kündigung eines Sozialplanes wir-ken seine Regelungen nach, bis sie durch eine neue Regelung ersetzt werden. Die ersetzende Regelungkann Ansprüche der Arbeitnehmer, die vor dem Wirksamwerden der Kündigung entstanden sind, nichtzuungunsten der Arbeitnehmer abändern. Das gilt auch dann, wenn die Arbeitnehmer auf Grund be-stimmter Umstände nicht mehr auf den unveränderten Fortbestand des Sozialplanes vertrauen konnten.

6. Ist die Geschäftsgrundlage eines Sozialplanes weggefallen und ist einem Betriebspartner das Festhaltenam Sozialplan mit dem bisherigen Inhalt nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten, so können dieBetriebspartner die Regelungen des Sozialplanes den veränderten tatsächlichen Umständen anpassen.Verweigert der andere Betriebspartner die Anpassung, entscheidet die Einigungsstelle verbindlich.

7. Die anpassende Regelung kann auf Grund des anzupassenden Sozialplanes schon entstandene Ansprü-che der Arbeitnehmer auch zu deren Ungunsten abändern. Insoweit genießen die Arbeitnehmer keinenVertrauensschutz.

BAG, Bes. v. 10.08.1994 – 10 ABR 61/93, AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972 [v. Hoyningen-Huene] = EzA § 112BetrVG 1972 Nr. 76 = AiB 1995, 471 [Hamm] = NZA 1995, 314

Sozialplan: Anfechtung eines Sozialplanes (BAG, Bes. v. 14.09.1994 – 10 ABR 7/94)

Die Einigungsstelle überschreitet die Grenzen des ihr durch § 112 Abs. 5 BetrVG vorgegebenen Ermessensrah-mens, wenn sie für alle infolge einer Betriebsänderung entlassenen Arbeitnehmer ohne Unterschied Abfindungenfestsetzt, deren Höhe sich allein nach dem Monatseinkommen und der Dauer der Betriebszugehörigkeit bemißt.

BAG, Bes. v. 14.09.1994 – 10 ABR 7/94, AP Nr. 87 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 77 =AiB 1995, 469 [Hamm] = BB 1995, 407 = NZA 1995, 440

Sozialplan: Ausschluss von Sozialplanansprüchen bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers (BAG, Urt. v.09.11.1994 – 10 AZR 281/94)

1. Es verstößt nicht gegen § 75 BetrVG, wenn die Betriebspartner in einem Sozialplan diejenigen Arbeit-nehmer von Sozialplanansprüchen ausnehmen, die ihre Arbeitsverhältnisse vor der geplanten Stillegungdes Betriebes (eines Hotelbetriebes) selbst kündigen, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse ander geordneten Weiterführung des Betriebs bis zu dessen Schließung hat und dazu auf das Verbleibenseiner Mitarbeiter angewiesen ist.

2. Sozialplanansprüche sind ihrem Zweck nach keine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes.

3. Die Betriebspartner dürfen davon ausgehen, daß Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsverhältnisse von sichaus beenden, dies nur dann tun, wenn sie bereits eine neue Arbeitsstelle gefunden haben und damit keinenArbeitsplatz verlieren. Der Umstand, daß diese neuen Arbeitsverhältnisse eine geringere Sicherheit bietenals die bisherigen, kann zwar für die Arbeitnehmer ein wirtschaftlicher Nachteil sein, jedoch sind die Be-triebspartner nicht gehalten, jeden wirtschaftlichen Nachteil auszugleichen oder zu mildeRn. Sie könnendaher auch regeln, daß solche Arbeitnehmer keine Abfindungen erhalten.

BAG, Urt. v. 09.11.1994 – 10 AZR 281/94, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 78 =NZA 1995, 644

Sozialplan: Stichtagsregelung in Sozialplänen (BAG, Urt. v. 30.11.1994 – 10 AZR 578/93)

Es ist sachlich gerechtfertigt und verstößt nicht gegen § 75 BetrVG, wenn ein Sozialplan Arbeitnehmer von seinemGeltungsbereich ausnimmt, die vor dem Scheitern des Interessenausgleichs ihr Arbeitsverhältnis im Hinblick aufeine vom Arbeitgeber angekündigte Betriebsstillegung selbst gekündigt haben.

BAG, Urt. v. 30.11.1994 – 10 AZR 578/93, AP Nr. 89 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 80 =BB 1995, 620 = NZA 1995, 492

Sozialplan: Keine Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Zahlung höhererAbfindungsbeträge (LAG Hamm, Urt. v. 29.06.1995 – 17 Sa 1997/94)

Hat sich ein Arbeitgeber dahingehend entschieden, aus finanziellen Gründen die Produktion seines Betriebes miteiner um ca. 1/3 reduzierten Belegschaft fortzuführen sowie dabei zwecks Erhaltung einer „gesunden Altersstruk-

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tur" der Belegschaft ordentlich betriebsbedingt zu kündigen, und hat dann dieser Arbeitgeber nach Abschluß einesentsprechenden Interessenausgleichs und Sozialplans mit dem zuständigen Betriebsrat allen zur Kündigung anste-henden Mitarbeitern angeboten, zur Vermeidung der Kündigungen gegen Zahlung der sich aus dem Sozialplanindividuell ergebenden Abfindungsbeträge Aufhebungsverträge zu schließen, so kann der Teil der zur Kündigunganstehenden Mitarbeiter, der daraufhin solche Aufhebungsverträge abgeschlossen hat, nachträglich vom Arbeitge-ber aus dem Gesichtspunkt des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes die Zahlung höherer Abfindungs-beträge nicht deswegen erfolgreich verlangen, weil der Arbeitgeber mit dem Teil der Mitarbeiter, der mit ihm keineAufhebungsverträge geschlossen und den er daraufhin gekündigt hat, in den nachfolgenden Kündigungsschutzpro-zessen zwecks Vermeidung des Prozeßrisikos wegen Nichtwahrung des Gebots der zutreffenden sozialen Auswahlnach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG im Wege von Prozeßvergleichen die Zahlung von gegenüber dem Sozialplan höherenAbfindungen vereinbart hat.

LAG Hamm, Urt. v. 29.06.1995 – 17 Sa 1997/94, LAGE § 242 BGB Gleichbehandlung Nr. 17 = AuR 1995, 467

Sozialplan: Ausschluß von Sozialplanansprüchen bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers (BAG, Urt. v.12.07.1995 – 10 AZR 854/94)

Es ist rechtlich zulässig, Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis vorzeitig selbst kündigen, von Leistungen aus demSozialplan auszuschließen (Fortführung von BAG, Urt. v. 20.04.1994 – 10 AZR 323/93, AP Nr. 77 zu § 112BetrVG 1972).

BAG, Urt. v. 12.07.1995 – 10 AZR 854/94, AuR 1996, 150

Sozialplan: Ausschluss von Sozialplanansprüchen bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers (BAG, Urt. v.19.07.1995 – 10 AZR 885/94)

1. Es ist mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, wenn die Betriebspartner beider Zuerkennung von Ansprüchen auf eine Abfindung in einem Sozialplan unterscheiden zwischen Ar-beitnehmern, denen infolge der Betriebsänderung gekündigt worden ist und solchen, die ihr Arbeitsver-hältnis durch eine Eigenkündigung oder einen Aufhebungsvertrag beendet haben.

2. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt dann, wenn die Eigenkündigung oder der Aufhebungsver-trag vom Arbeitgeber veranlaßt worden ist. In einem solchen Fall sind gekündigte Arbeitnehmer und Ar-beitnehmer, die aufgrund einer Eigenkündigung oder eines Aufhebungsvertrages ausgeschieden sind,gleich zu behandeln (BAG, Urt. v. 20.04.1994 – 10 AZR 323/93, AP Nr. 77 zu § 112 BetrVG 1972).

3. Eine Veranlassung in diesem Sinne liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer imHinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung bestimmt, selbst zu kündigen oder einen Aufhe-bungsvertrag zu schließen, um so eine sonst notwendig werdende Kündigung zu vermeiden. Ein bloßerHinweis des Arbeitgebers auf eine unsichere Lage des Unternehmens, auf notwendig werdende Betriebs-änderungen oder der Rat, sich eine neue Stelle zu suchen, genügt nicht.

4. Auch die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern, die ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen, und sol-chen, die aufgrund eines von ihnen gewünschten Aufhebungsvertrages ausscheiden, ist i.d.R. sachlich ge-rechtfertigt. Der Arbeitgeber kann so entscheiden, ob er den Arbeitnehmer für die ordnungsgemäßeDurchführung der Betriebsänderung oder noch darüber hinaus benötigt oder ob ihm das freiwillige Aus-scheiden des Arbeitnehmers nur eine ohnehin notwendig werdende Kündigung erspart.

BAG, Urt. v. 19.07.1995 – 10 AZR 885/94, AP Nr. 96 zu § 112 BetrVG 1972 [v. Hoyningen-Huene] = EzA § 112BetrVG 1972 Nr. 82 = AiB 1996, 51 [Thannheiser] = AuR 1996, 32 = MDR 1996, 177 = NZA 1996, 271

Sozialplan: Stichtagsregelung in Sozialplänen (BAG, Urt. v. 24.01.1996 – 10 AZR 155/95)

Es verstößt nicht gegen § 75 BetrVG, wenn ein Sozialplan Arbeitnehmer von seinem Geltungsbereich ausnimmt,die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Sozialplans, der in einem zeitlich nahen Zusammenhang zum Abschluß desInteressenausgleichs steht, ihr Arbeitsverhältnis im Hinblick auf eine vom Arbeitgeber angekündigte Betriebsstille-gung selbst beendet haben.

BAG, Urt. v. 24.01.1996 – 10 AZR 155/95, AP Nr. 98 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 83 =AiB 1996, 618 [Hamm] = DB 1996, 1682 = NZA 1996, 834

Sozialplan: Ausschluß älterer Arbeitnehmer (BAG, Urt. v. 31.07.1996 – 10 AZR 45/96)

Es verstößt nicht gegen § 75 BetrVG, wenn die Betriebspartner solche Arbeitnehmer von Sozialplanleistungenausnehmen, die zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Voraussetzungen für den übergangslo-sen Rentenbezug nach Beendigung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld erfüllen.

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BAG, Urt. v. 31.07.1996 – 10 AZR 45/96, AP Nr. 103 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 86 =BB 1996, 2472 = NZA 1997, 165

Sozialplan: Wegfalls der Geschäftsgrundlage des für die Betriebsstillegung vereinbarten Sozialplans (BAG,Urt. v. 28.08.1996 – 10 AZR 886/95)

1. Hat der Arbeitgeber mit der Durchführung einer geplanten Betriebsstillegung durch Kündigung allerArbeitsverhältnisse begonnen, so entfällt die Geschäftsgrundlage des für die Betriebsstillegung vereinbar-ten Sozialplans, wenn alsbald nach Ausspruch der Kündigungen der Betrieb von einem Dritten über-nommen wird, der sich bereit erklärt, alle Arbeitsverhältnisse zu den bisherigen Bedingungen fortzufüh-ren. In einem solchen Fall ist der Sozialplan, der allein für den Verlust der Arbeitsplätze Abfindungenvorsah, den veränderten Umständen anzupassen.

2. Bis zur erfolgten Anpassung ist ein Rechtsstreit über eine Abfindung aus dem zunächst vereinbartenSozialplan in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auszusetzen.

BAG, Urt. v. 28.08.1996 – 10 AZR 886/95, AP Nr. 104 zu § 112 BetrVG 1972 [Meyer] = EzA § 112 BetrVG 1972Nr. 87 [B. Gaul] = AuR 1997, 32 = BB 1996, 2624 = DB 1997, 100 = MDR 1997, 173 = NZA 1997, 109

Sozialplan: Regelungsermessen der Betriebspartner für Höhe der Sozialplanabfindung (BAG, Urt. v.16.10.1996 – 10 AZR 421/96)

Es obliegt dem Regelungsermessen der Betriebspartner, eine Sozialplanabfindung nach den prognostiziertenNachteilen eines Arbeitsplatzverlustes festzulegen.

BAG, Urt. v. 16.10.1996 – 10 AZR 421/96, BuW 1997, 277

Sozialplan: Ermittlung der regelmäßigen Belegschaftsstärke der die Sozialplanpflichtigkeit auslösendenBetriebsänderung (BAG, Bes. v. 10.12.1996 – 1 ABR 43/96)

1. Die Ermittlung der regelmäßigen Belegschaftsstärke, von der die Sozialplanpflichtigkeit einer Be-triebsänderung nach § 111 BetrVG abhängt, erfordert im allgemeinen eine wertende Gesamtwürdigung,die auch eine Prognose der weiteren Entwicklungen des Betriebes einschließt. Ist die Betriebsänderunghingegen mit einem Personalabbau verbunden, so kann sich die erforderliche Würdigung nur auf die vo-rangehende Entwicklung beziehen.

2. Als die zur Zeit eines Stilllegungsbeschlusses maßgebliche Zahl der i.d.R. Beschäftigten kann auch ei-ne erst zwei Monate vorher erreichte Belegschaftsstärke anzusehen sein, wenn diese das Ergebnis länger-fristiger personalwirtschaftlicher Entscheidungen des Arbeitgebers ist.

BAG, Bes. v. 10.12.1996 – 1 ABR 43/96, AP Nr. 37 zu § 111 BetrVG 1972 = EzA § 111 BetrVG 1972 Nr. 33 =AuR 1997, 212 = BB 1997, 1206 = DB 1997, 1084 = NZA 1997, 733

Sozialplan: Herausnahme aus dem Sozialplan wegen Zumutbarkeit der Weiterarbeit beim Betriebserwerber(BAG, Urt. v. 05.02.1997 – 10 AZR 553/96)

1. Nimmt ein Sozialplan von seinem Geltungsbereich solche Mitarbeiter aus, die einen angebotenen zu-mutbaren Arbeitsplatz ablehnen, so gilt dies auch für den Fall, daß Arbeitnehmer dem Übergang ihresArbeitsverhältnisses im Wege eines Betriebsüberganges nach § 613a BGB widersprechen.

2. Die Weiterarbeit beim Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang i.S.v. § 613a BGB ist dem Ar-beitnehmer i.d.R. zumutbar.

BAG, Urt. v. 05.02.1997 – 10 AZR 553/96, AP Nr. 112 zu § 112 BetrVG 1972 [Salje] = EzA § 112 BetrVG 1972Nr. 92 = AiB 1998, 52 [Hamm] = AuR 1997, 374 = NZA 1998, 158

Sozialplan: Berücksichtigung von unterhaltsberechtigten Kindern „lt. Lohnsteuerkarte" (BAG, Urt. v.12.03.1997 – 10 AZR 648/96)

1. Die Betriebspartner sind aus Gründen der praktikablen Durchführung einer Sozialplanregelung befugt,die Zahlung eines Abfindungszuschlags für unterhaltsberechtigte Kinder davon abhängig zu machen, daßdiese auf der Lohnsteuerkarte eingetragen sind. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen den Gleichbe-handlungsgrundsatz.

2. Gegenüber Arbeitnehmern aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft verstößt eine sol-

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che Regelung auch nicht gegen Art. 48 EWGV, da auch diese Arbeitnehmer die im Heimatstaat lebendenKinder nach § 32 Abs. 1 und Abs. 6 S. 4 EStG i.d.F.d. Gesetzes v. 21.12.1993 (BGBl. I S. 2310) in dieLohnsteuerkarte eintragen lassen können.

BAG, Urt. v. 12.03.1997 – 10 AZR 648/96, AP Nr. 111 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 93

Sozialplan: Anspruch auf Sozialplanleistungen nur bei Erleiden wirtschaftlicher Nachteile (LAG Niedersach-sen, Urt. v. 01.07.1997 – 13 Sa 336/97)

Eine vom Arbeitgeber veranlasste Eigenkündigung mit Anspruch auf Sozialplanabfindung liegt dann vor, wenn diegeplante Betriebsänderung nur rahmenmäßig umschrieben ist und die Eigenkündigung dem angestrebten Personal-abbau dient und durch Abfindungszusage des Arbeitgebers akzeptiert und gefördert wird.

LAG Niedersachsen, Urt. v. 01.07.1997 – 13 Sa 336/97, n.v.

Sozialplan: Anmeldung von Sozialplanansprüchen im Konkurs (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 08.07.1997– 5 Sa 33/96)

1. Bestreitet der Konkursverwalter die Forderung eines Arbeitnehmers oder das beanspruchte Vorrecht,so kann der Arbeitnehmer als Gläubiger die Feststellung seiner Forderung und des beanspruchten Vor-rechts gegen den Bestreitenden betreiben. Es ist eine Klage auf Feststellung zu erheben, für die die Ge-richte für Arbeitssachen bei der Feststellung von Forderungen aus einem Sozialplan sachlich zuständigsind.

2. Eine Forderungsanmeldung zur Konkurstabelle ist dann wirksam, wenn der geltend gemachte An-spruch hinsichtlich der Rechtszuständigkeit, des Grundes, des Betrages und des Vorrechts hinreichendbestimmt ist. Angaben in der Forderungsanmeldung über das gesamte Sozialplanvolumen, die Einhaltungder absoluten Beschränkung, die Einhaltung des Drittels der zur Verteilung zur Verfügung stehendenKonkursmasse durch das Sozialplanvolumen sind zur Wirksamkeit der Forderungsanmeldung entbehr-lich.

3. Ist die Höhe des Sozialplananspruchs für den Arbeitnehmer schwierig zu ermitteln, weil sich die indi-viduelle Abfindung unter anderem nach dem Anteil des einzelnen Arbeitnehmers an einer Gesamtpunkt-zahl orientiert und hat der Konkursverwalter andren Arbeitnehmern, die den 2,5-fachen Betrag ihresDurchschnittsverdienstes als Konkursforderung angemeldet haben, ihre Forderung in dieser Höhe aner-kannt, dann ist die Klageforderung der Höhe nach hinreichend substantiiert und das weitere Bestreitendes Konkursverwalters rechtsmissbräuchlich.

4. Die Bestimmung eines Sozialplans, nach der derjenige Arbeitnehmer, der gegen die Auflösung des Ar-beitsverhältnisses eine Kündigungsschutzklage erhebt, keinen Anspruch aus dem Sozialplan hat, istrechtsunwirksam. Dies führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der sonstigen Sozialplanbestimmungen.

5. Für die Frage, ob eine Betriebsleiter leitender Angestellter ist und deshalb zu Recht aus dem Sozialplanausgenommen worden ist, ist nicht die Bezeichnung des Arbeitnehmers als „Betriebsleiter" maßgeblich,sondern die tatsächlich ausgeübte Funktion, zu der unternehmerische Teilentscheidungen in einer gewis-sen Breite und mit Entscheidungsspielraum ausgestattet gehören.

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 08.07.1997 – 5 Sa 33/96, AE 1997, 79

Sozialplan: Anspruch auf Sozialplanleistungen nur bei Erleiden wirtschaftlicher Nachteile (LAG Hamm, Urt.v. 30.07.1997 – 18 Sa 429/97)

Auch wenn ein Arbeitnehmer unter den persönlichen Geltungsbereich eines Sozialplanes fällt, besteht ein Anspruchauf Sozialplanleistungen nur, wenn er wirtschaftliche Nachteile erleidet, die durch die Betriebsänderung entstandensind, für die der Sozialplan abgeschlossen worden ist.

LAG Hamm, Urt. v. 30.07.1997 – 18 Sa 429/97, LAGE § 112 BetrVG 1972 Nr. 42 = AiB 1998, 529 [Thannheiser]= NZA-RR 1998, 261

Sozialplan: Rechtswirksamkeit eines vorsorglich vereinbarten Sozialplans (BAG, BeS. v. 26.08.1997 – 1 ABR12/97)

1. Betriebsrat und Arbeitgeber können für noch nicht geplante, aber in groben Umrissen schon abschätz-bare Betriebsänderungen einen Sozialplan in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung aufstellen.Darin liegt noch kein (unzulässiger) Verzicht auf künftige Mitbestimmungsrechte.

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2. Soweit ein solcher vorsorglicher Sozialplan wirksame Regelungen enthält, ist das Mitbestimmungs-recht des Betriebsrats nach § 112 BetrVG verbraucht, falls eine entsprechende Betriebsänderung spätertatsächlich vorgenommen wird.

BAG, Bes. v. 26.08.1997 – 1 ABR 12/97, AP Nr. 117 zu § 112 BetrVG 1972 [Meyer] = EzA § 112 BetrVG 1972Nr. 96 = DB 1998, 265 = NZA 1998, 216

Sozialplan: Unzulässigkeit eines bedingten Abfindungsanspruchs (LAG Baden-Württemberg, Urt. v.16.09.1997 – 8 Sa 77/97)

Eine Klausel in einem Sozialplan, welche bei einem vorgesehenen Betriebsübergang den Anspruch des Arbeitneh-mers auf eine Abfindung vom Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem Betriebsübernehmer abhängig macht,ist unwirksam. Der Sozialplan darf aufgrund seiner Schutzfunktion für den Arbeitnehmer nicht als Instrumenteingesetzt werden, um dem Unternehmer die geplante Betriebsänderung zu erleichtern und ihm das Risiko vonRechtsfehlern abzunehmen und auf die Arbeitnehmer zu verlagern.

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.09.1997 – 8 Sa 77/97, NZA-RR 1998, 358

Sozialplan: Gleichbehandlung bei Verbesserung eines Sozialplans und Begrenzung der finanziellen Gesamt-ausstattung (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.09.1997 – 3 Sa 348/97)

1. Wird ein Sozialplan, der im Rahmen eines Personalabbaus Abfindungen für ausscheidende Mitarbeitervorsieht, auf Drängen des Betriebsrats und mit dem Ziel einer Beschleunigung des Personalabbaus durcheinen neuen Sozialplan ersetzt, der für eine in einer bestimmten Zeit ausscheidende Arbeitnehmergruppegünstigere Regelung enthält, können die aufgrund des früheren Sozialplans ausgeschiedenen Mitarbeiternicht aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Anwendung der Bestimmungen des neueren Sozi-alplanes auf ihr Arbeitsverhältnis verlangen.

2. Dass der neuere Sozialplan gegenüber dem früheren in Einzelpunkten günstigere Regelungen enthält,ist zum einen sachlich gerechtfertigt durch eine veränderte Konstellation, die sich schon aus dem Interes-se des Arbeitgebers ergeben kann, einen neuerlichen Initiative des Betriebsrats entgegenzukommen.Auch der durch den neuen Sozialplan angestrebte schnellere Abbau der Belegschaft muss im Gesamtzu-sammenhang der betrieblichen Situation als sachlicher Grund für eine Verbesserung der Sozialplanrege-lungen anerkannt werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet es nicht, die Verbesserungen denvon dem früheren Sozialplan betroffenen Mitarbeitern vorzuenthalten.

3. Die finanzielle Gesamtausstattung eines Sozialplans kann grundsätzlich nicht im Individualprozess umeinen Abänderungsanspruch erhöht werden. Entspricht die Beschränkung des Sozialplans auf eine be-stimmte Arbeitnehmergruppe sachlichen Gesichtspunkten, kann sie vom Gericht nicht dahin korrigiertwerden, dass sie auf andere Mitarbeiter erstreckt wird und dadurch eine Erhöhung der finanziellen Ge-samtausstattung des Sozialplans bewirkt wird.

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.09.1997 – 3 Sa 348/97, AE Heft 2/98, S. 24 = FA 1998, 294 = NZA-RR 1998,546

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei Betriebsverlegung (LAG Hessen, Bes. v. 09.12.1997 – 4 TaBV 56/97)

1. Ein Sozialplan (aus Anlass einer Betriebsverlegung) ist wegen Ermessensüberschreitung insoweit un-wirksam, als er allein wegen Erhöhung der Fahrtzeiten (ab einem bestimmten Ausmaß) zur Erreichungeines Ortes, in den der Betrieb verlegt wird, die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung dort für gege-ben erklärt und hieran Abfindungszahlungen anschließt.

2. Im Hinblick auf den zeitlichen Mehraufwand zur Erreichung des neuen Betriebssitzes kann für be-grenzte Zeit und in beschränktem Umfang ein finanzieller Ausgleich im Sozialplan vorgesehen werden.

LAG Hessen, Bes. v. 09.12.1997 – 4 TaBV 56/97, ZTR 1998, 474

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei Widerspruch gegen den Betriebsübergang (LAG Baden-Württemberg,Urt. v. 12.12.1997 – 19 Sa 43/97)

Nach Auslegung und unter Berücksichtigung des gesetzlich vorgegebenen Zieles eines Sozialplans ergibt sich, auchsolche Mitarbeiter unter den Sozialplan fallen zu lassen, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses im Falleeines Betriebsübergangs widersprechen und wegen einer allgemeinen Betriebseinschränkung dann auf einem ande-ren Arbeitsplatz nicht weiterbeschäftigt werden können. Dies gilt zumindest dann, wenn – wie vorliegend – ein nurkleiner Betriebsteil veräußert wird und angesichts der erheblichen Anzahl von Arbeitsplätzen eine Weiterbeschäfti-gungsmöglichkeit grundsätzlich gegeben ist.

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LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 12.12.1997 – 19 Sa 43/97, n.v.

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers (LAG Berlin, Urt. v. 09.01.1998 – 6Sa 123/97)

Ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die beabsichtigte Schließung seiner Abteilung und dievom Arbeitgeber bereits durchgeführte Betriebsratsanhörung selbst kündigt, obwohl der Arbeitgeber inzwischen zuerkennen gegeben hat, ihn anderweitig weiterbeschäftigen zu können, hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Sozi-alplanabfindung.

LAG Berlin, Urt. v. 09.01.1998 – 6 Sa 123/97, AE Heft 2/98 S. 23

Sozialplan: Berücksichtigung von Ruhenszeiten für die Dauer der Betriebszugehörigkeit (LAG Hessen, Urt.v. 27.01.1998 – 4 Sa 133/97)

Wird im Sozialplan die Höhe der Abfindung bei Entlassungen (nahezu) ausschließlich durch die Dauer der Be-triebszugehörigkeit (in Verbindung mit dem Monatsverdienst) bestimmt, so ist es unbillig, Ruhenszeiten des Ar-beitsverhältnisses von der Berücksichtigung für die Dauer der Betriebszugehörigkeit auszunehmen. Damit wirdentscheidend der zu beachtende Normzweck des § 112 Abs. 1 und Abs. 5 BetrVG verfehlt, wonach Sozialplanab-findungen als Überbrückungshilfe bis zu einem neuen Arbeitsverhältnis (oder bis zum Bezug von Altersruhegeld)dienen soll.

LAG Hessen, Urt. v. 27.01.1998 – 4 Sa 133/97, ZTR 1998, 474

Sozialplan: Sozialplanabfindung aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes (BAG, Urt.v. 11.02.1998 – 10 AZR 22/97)

1. Ist der Arbeitgeber aufgrund eines Sozialplanes verpflichtet, an eine Gruppe von Arbeitnehmern, diedurch Aufhebungsverträge ausscheiden, eine Sozialplanabfindung zu zahlen und vereinbaren die Be-triebspartner anschließend einen weiteren Sozialplan mit dem gleichen persönlichen Geltungsbereich unddem Ziel eines weiteren Personalabbaus mit einer höheren Sozialplanabfindung, so findet der arbeits-rechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung.

2. Die Differenzierung bei der Höhe der Abfindung kann aufgrund der Situation der Arbeitnehmer zumZeitpunkt des Angebots des Aufhebungsvertrages sachlich begründet sein.

BAG, Urt. v. 11.02.1998 – 10 AZR 22/97, AP Nr. 121 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 97 =NZA 1998, 895

Sozialplan: Vorsorglicher Sozialplan bei Ungewissheit über einen Betriebsübergang (BAG, Bes. v. 01.04.1998– 10 ABR 17/97)

1. Ist bei Kündigung eines Auftrages über bestimmte Dienstleistungen und Neuvergabe dieses Auftragesan einen anderen Auftragnehmer ungewiss, ob ein Betriebsübergang vom bisherigen auf den neuen Auf-tragnehmer vorliegt oder ob der bisherige Auftragnehmer seinen Arbeitnehmern – vorsorglich – betriebs-bedingt kündigen muss, so können die Betriebspartner vorsorglich für den Fall, dass kein Betriebsüber-gang gegeben ist, einen Sozialplan vereinbaren.

2. Die zwischen ihnen streitige Frage, ob von einer Betriebsstilllegung oder einem Betriebsübergang aus-zugehen ist, können die Betriebspartner in einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit des Sozialplanes zurEntscheidung stellen. Die Höhe der in einem Spruch der Einigungsstelle über einen Sozialplan festgesetz-ten Abfindungen kann vom Arbeitgeber auch dann nur innerhalb von zwei Wochen nach Zuleitung desSpruches angefochten werden, wenn die Einigungsstelle bei der Festsetzung der einzelnen Faktoren fürdie Berechnung der Abfindungen einem Rechtsirrtum unterlegen ist.

BAG, Bes. v. 01.04.1998 – 10 ABR 17/97, AP Nr. 123 zu § 112 BetrVG 1972 = AP Nr. 25 zu EWG-RichtlinieNr. 77/187 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 99 = AiB 1999, 231 [Hamm] = AuR 1998, 287 = NJW 1999, 382 = NZA1998, 768

Sozialplan: Bemessung einer Sozialplanabfindung nach Betriebszugehörigkeit (LAG Hessen, Urt. v.19.05.1998 – 4 Sa 773/97)

Stellt ein Sozialplan für die Bemessung der Abfindung wegen des Arbeitsplatzverlustes auf die Dauer der Betriebs-zugehörigkeit ab, so zählen als Zeiten der Betriebszugehörigkeit auch solche, in denen der Arbeitnehmer keine

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tatsächliche Arbeitsleistung erbracht hat, weil sein Arbeitsverhältnis ruhte (hier: Erziehungsurlaub).

LAG Hessen, Urt. v. 19.05.1998 – 4 Sa 773/97, LAGE § 112 BetrVG 1972 Nr. 46 = NZA-RR 1999, 366 = ZTR1999, 138

Sozialplan: Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für Sozialplanverhandlungen (LAG Berlin, BeS. v.22.06.1998 – 9 TaBV 3/98)

In die Sachkompetenz des Gesamtbetriebsrates nach § 50 Abs. 1 BetrVG fallen vornehmlich mitbestimmungs-pflichtige Angelegenheiten im wirtschaftlichen Bereich, insbesondere der Abschluss von Sozialplänen für mehrereBetriebe des Unternehmens, die das ganze Unternehmen oder mehrere Betriebes des Unternehmens betreffen.

LAG Berlin, BeS. v. 22.06.1998 – 9 TaBV 3/98, AR-Blattei ES 530.12 Nr. 19 = AuA 1999, 234 [Abeln]

Sozialplan: Berücksichtigung von Kindern bei der Bemessung der Sozialplanabfindung (LAG Hessen, Urt. v.27.10.1998 – 4 Sa 2562/97)

1. Nach dem Schriftformerfordernis des § 77 Abs. 2 BetrVG für Betriebsvereinbarungen ist die Be-schränkung der Berücksichtigung von Kindern bei der Abfindungsberechnung auf solche, die in derLohnsteuerkarte eingetragen sind, nur möglich, wenn dies ausdrücklich in Sozialplan vorgesehen ist (inAnschluss an BAG, Urt. v. 12.03.1997 – 10 AZR 648/96, AP Nr. 111 zu § 112 BetrVG 1972).

2. Eine nachträgliche – schriftliche – Regelung der Betriebsparteien in diesem Sinne ist unbeachtlich,wenn sie nach Zugang der Kündigung erfolgt, denn mit Ausspruch der Kündigung entsteht grundsätzlich– vorbehaltlich abweichender Regelungen im Sozialplan – der Anspruch auf die Sozialplanabfindung.

LAG Hessen, Urt. v. 27.10.1998 – 4 Sa 2562/97, AiB 1999, 526 [Rehwald]

Sozialplan: Rang des Abfindungsanspruchs aus einem vor Konkurseröffnung abgeschlossenen Sozialplans(BAG, Urt. v. 27.10.1998 – 1 AZR 94/98)

1. Abfindungsansprüche aus Sozialplänen sind grundsätzlich nur Konkursforderungen i.S.d. § 61 KO,und zwar unabhängig davon, ob sie vor oder nach Konkurseröffnung vereinbart wurden. Es handelt sichselbst bei nachkonkurslich begründeten Abfindungsansprüchen nicht um Entgelt für die Arbeitsleistung,die erst nach Konkurseröffnung erbracht wird. Dies wäre aber Voraussetzung für eine Privilegierung alsMasseschuld i.S.d. § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO. Das gleiche muß auch für eine Forderung gelten, die auf einenvorkonkurslichen Sozialplan zurückgeht, selbst wenn man sie wegen der Beendigung des Arbeitsverhält-nisses nach der Konkurseröffnung erst zu diesem Zeitpunkt als entstanden ansehen wollte. Auch hier gehtes nicht um ein (auch nur teilweises) Entgelt für nach Konkurseröffnung erbrachte Arbeitsleistungen.

2. Vereinbart der Konkursverwalter mit Arbeitnehmern, denen bereits vor Konkurseröffnung gekündigtworden war, daß sie gegen Zahlung einer Abfindung ihre Einwendungen gegen die Wirksamkeit derKündigung fallen lassen und sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden erklären,um so den Übergang des Restbetriebs auf einen Erwerber sicherzustellen, so verstößt es nicht gegen denarbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn hierbei diejenigen Arbeitnehmer ausgenommenwerden, die sich bereits in Kenntnis des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mit der Beendi-gung des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich einverstanden erklärt hatten.

BAG, Urt. v. 27.10.1998 – 1 AZR 94/98, AP Nr. 29 zu § 61 KO = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 102 = AuR 1999,195 = NZA 1999, 719

Sozialplan: Sozialplanpflicht bei erst später gewähltem Betriebsrat (ArbG Reutlingen, Bes. v. 29.10.1998 – 3/1BV 7/98)

1. Ein erst nach dem Stilllegungsbeschluss gewählter Betriebsrat kann den Abschluss eines Sozialplansverlangen. Das setzt in Analogie zu § 1923 Abs. 2 BGB voraus, dass seine Bildung im Zeitpunkt desStilllegungsbeschlusses bereits „greifbare Formen" angenommen hatte.

2. Auch wenn im Zeitpunkt des Stilllegungsbeschlusses noch kein Betriebsrat besteht, ist, wie bereits § 3SozPlKonkG erkennen lässt, entgegen der Meinung des BAG (BeS. v. 20.04.1982 – 1 ABR 3/80, APNr. 15 zu § 112 BetrVG 1972; BeS. v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, AP Nr. 63 zu § 112 BetrVG 1972)der Umfang eines Sozialplans für den Arbeitgeber kalkulierbar. Das endgültige Volumen kann ohnehinim Streitfall erst der Spruch der Einigungsstelle festlegen.

3. Das „Vertrauen" des Arbeitgebers in den Fortbestand eines vom Gesetzgeber so nicht gewolltenRechtszustandes, daß nämlich in einem betriebsratsfähigen Betrieb kein Betriebsrat besteht und deshalb

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auch kein Sozialplan verlangt werden kann, ist nicht schutzwürdig.

ArbG Reutlingen, BeS. v. 29.10.1998 – 3/1 BV 7/98, EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 100 = LAGE § 112 BetrVG1972 Nr. 44 = AuR 1998, 492 = ZInsO 1999, 303

Sozialplan: Kein Ausgleich der Nachteile aus einem Betriebsübergang (LAG Baden-Württemberg, Bes. v.05.11.1998 – 9 TaBV 4/97)

1. Der aufgrund eines Beschlusses einer Einigungsstelle vereinbarte Sozialplan ist insoweit nichtig, alsmit ihm tatsächliche oder mögliche Nachteile abgegolten werden sollen, die auf einem Betriebsübergangberuhen.

2. Soweit Nachteile abgegolten werden sollen, die durch die Betriebsänderung verursacht wurden, müs-sen diese § 112 Abs. 5 BetrVG entsprechen. Der Wegfall von Bagatellleistungen (Wegfall von Jubi-läumsgaben, Weihnachtspäckchen, Geschenkkorb zu runden Geburtstagen, Zustellhilfen, Kontofüh-rungsgebühren, Telefon- und Fahrtkostenzuschüssen, Wegegeldern usw.) rechtfertigen nicht die Festle-gung einer Sozialabfindung.

3. Ist die im Sozialplan festgelegte Zahlung einer Grundabfindung unwirksam, so erfasst diese Unwirk-samkeit den ganzen Sozialplan, wenn diese Regelung für die Gesamtvereinbarung so wesentlich ist, dassdiese ohne den nichtigen Teil keine sinnvolle Einheit darstellen kann.

LAG Baden-Württemberg, Bes. v. 05.11.1998 – 9 TaBV 4/97, ZInsO 1999, 424

Sozialplan: Auslegung des Begriffs „Kündigungstermin" in einem Sozialplan (BAG, Urt. v. 17.11.1998 – 1AZR 221/98)

1. Gebrauchen die Partner einer Betriebsvereinbarung einen Begriff, der allgemein in bestimmter Bedeu-tung angewandt wird, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie ihn gleichfalls in diesem Sinne ver-standen haben. Knüpft ein Sozialplan für die Berechnung von Abfindungen an das Durchschnittsentgelt„vor dem Kündigungstermin" an, so soll im Zweifel entsprechend dem allgemeinen arbeitsrechtlichenSprachgebrauch der Tag des Ablaufs der Kündigungsfrist maßgebend sein. Für die Annahme, dass mitdem Kündigungstermin der Tag der Kündigungserklärung gemeint ist, bedarf es besonderer Anhaltspunk-te.

2. Eine Berechnung der Sozialplanabfindung nach dem Durchschnittseinkommen während eines Refe-renzzeitraums am Ende des Arbeitsverhältnisses ist weder sachfremd noch unüblich. Mit der Abfindungsollen die Nachteile des Verlustes des Arbeitsplatzes ausgeglichen werden. Die Betriebspartner habendabei grundsätzlich einen breiten Spielraum für die Bemessung des AusgleichS. Sie haben innerhalb derGrenzen von Recht und Billigkeit darüber zu befinden, in welchem Umfang und in welcher Weise sie diewirtschaftlichen Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen wollen.Dies können sie in einer individualisierenden, aber auch in einer pauschalierenden Weise tun (vgl. nurBAG, Urt. v. 12.02.1985 – 1 AZR 40/84, AP Nr. 25 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urt. v. 31.07.1996 –10 AZR 45/96, AP Nr. 103 zu § 112 BetrVG 1972).

BAG, Urt. v. 17.11.1998 – 1 AZR 221/98, AP Nr. 6 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung = AP Nr. 129 zu § 112BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 101 = AiB 1999, 291 [Hamm] = AuR 1999, 145 = NZA 1999, 609

Sozialplan: Ausschluß von Sozialplanleistungen wegen der Möglichkeit des Bezugs einer vorgezogenen Al-tersrente (LAG Köln, Urt. v. 15.11.1998 – 7 Sa 654/98)

1. Es verstößt nicht gegen § 75 BetrVG, wenn die Betriebspartner solche Arbeitnehmer von Sozialplan-leistungen ausnehmen, die zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Voraussetzungenfür den Rentenbezug erfüllen (im Anschluß an BAG, Urt. v. 31.07.1996 – 10 AZR 45/96, NZA 1997,165).

2. Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen für Sozial-planabfindungen nur eine geringe Summe zur Verfügung steht.

LAG Köln, Urt. v. 15.11.1998 – 7 Sa 654/98, ARST 1999, 139 = NZA-RR 1999, 588 = ZInsO 1999, 484

Sozialplan: Kein Zusammenrechnen von Beschäftigungszeiten zur Ermittlung der Sozialplanhöhe (LAGRheinland-Pfalz, Urt. v. 02.12.1998 – 8 Sa 803/98)

1. Die speziell für den Bereich der Zulässigkeit von Befristungen geschaffene Regelung des § 1 Abs. 3S. 2 BeschFG ist auf kollektivrechtliche Vereinbarungen, wie hier die Berechnung von Sozialplanabfin-

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dungen, ohne eine Bezugnahme der Betriebspartner hierauf nicht ohne weiteres anwendbar.

2. Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Wartezeit des § 1 KSchG (BAG, Urt. v. 18.01.1979 – 2AZR 254/77, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit) ist auf die Definition der nach dem Sozialplanmaßgeblichen Beschäftigungszeit nicht übertragbar.

3. Auch die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers über Jahre hinweg zu gleichen Arbeitsbedingungenbegründet keinen engen sachlichen Zusammenhang zwischen den Arbeitsverhältnissen, der eine Additionder Beschäftigungszeiten rechtfertigen könnte.

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 02.12.1998 – 8 Sa 803/98, LAGE § 112 BetrVG 1972 Nr. 47

Sozialplan: Abfindungsanspruch bei Widerspruch gegen Betriebsübergang (BAG, Urt. v. 15.12.1998 – 1AZR 332/98)

1. Sieht ein Sozialplan Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen vor, so haben mangels entge-genstehender Anhaltspunkte auch solche Arbeitnehmer einen Anspruch, die deshalb entlassen werden,weil sie dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils widersprochen ha-ben.

2. Das gilt auch dann, wenn der Sozialplan für diejenigen Arbeitnehmer, die dem Übergang ihrer Ar-beitsverhältnisse nicht widersprechen, besondere Leistungen vorsieht.

BAG, Urt. v. 15.12.1998 – 1 AZR 332/98, AP Nr. 126 zu § 112 BetrVG 1972 = AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972Auslegung = AP Nr. 194 zu § 613a BGB = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 103 = AuR 1999, 197 = NZA 1999, 667

Sozialplan: Abfindungsanspruch bei Widerspruch gegen Betriebsübergang (BAG, Urt. v. 15.12.1998 – 1AZR 333/98)

1. Sieht ein Sozialplan Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen vor, so haben mangels entge-genstehender Anhaltspunkte auch solche Arbeitnehmer einen Anspruch, die deshalb entlassen werden,weil sie dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils widersprochen ha-ben. Das gilt auch dann, wenn der Sozialplan für diejenigen Arbeitnehmer, die dem Übergang ihrer Ar-beitsverhältnisse nicht widersprechen, besondere Leistungen – hier in Form einer 15-monatigen Ein-kommensgarantie und einer Anwendung des Sozialplans für den Fall, daß es innerhalb von 15 Monatennach der Übernahme zu einer betriebsbedingten Auflösung des Arbeitsverhältnisses beim neuen Arbeit-geber kommt – vorsieht.

2. Die Erwähnung der Mitarbeiter, die bereit sind, ein Übernahmeangebot des neuen Arbeitgebers anzu-nehmen und deshalb modifizierte Sozialplanleistungen zugesichert bekommen, setzt ganz selbstverständ-lich voraus, daß es andere Mitarbeiter gibt, die das Übernahmeangebot nicht annehmen werden und des-halb von ihrem bisherigen Arbeitgeber gekündigt werden müssen. Wenn die Betriebspartner solche Ar-beitnehmer von Sozialplanleistungen gänzlich hätten ausschließen wollen, hätte es nicht nur nahegelegen,sondern wäre es unerlässlich gewesen, dies dann im Sozialplan entsprechend zum Ausdruck zu bringen.

3. Etwas anderes folgt nicht aus § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG. Dieser Vorschrift kann zwar der allge-meine Gedanke entnommen werden, dass ein Ausgleich von Nachteilen nicht erforderlich ist, wenn demArbeitnehmer ein zumutbarer anderer Arbeitsplatz angeboten wird. Dies ist nicht nur von der Einigungs-stelle, sondern bei einer freiwilligen Regelung auch von den Betriebspartnern entsprechend zu berück-sichtigen. Aber es steht in ihrem Ermessen, wie sie die Frage der Zumutbarkeit beantworten. Die Be-triebspartner haben dabei einen breiten Spielraum für die Bestimmung eines angemessenen Aus-gleichS. Sie haben innerhalb der Grenzen von Recht und Billigkeit allein darüber zu befinden, in wel-chem Umfang und in welcher Weise sie die wirtschaftlichen Nachteile der von einer Betriebsänderungbetroffenen Arbeitnehmer ausgleichen wollen.

BAG, Urt. v. 15.12.1998 – 1 AZR 333/98, ZInsO 1999, 361

Sozialplan: Privilegierte Rangklasse Sozialplänen in der Gesamtvollstreckung (BGH, Urt. v. 11.01.1999 – IIZR 247/97)

1. Ansprüche aus Sozialplänen und auf außerhalb eines Sozialplanes zu gewährende Leistungen sind nurdann in die privilegierte Rangklasse des § 17 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. c GesO einzustufen, wenn sie durchVereinbarung mit dem Gesamtvollstreckungsverwalter begründet wurden; andernfalls haben sie denRang „aller übrigen Forderungen" gem. § 17 Abs. 3 Nr. 4 GesO.

2. Eine Einbeziehung in die bevorrechtigte Rangklasse des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. 3 GesO kommt auchin Anlehnung an § 3 SozPlKonkG oder unter Einbeziehung der Neuregelung in § 124 InsO nicht in Be-tracht, da die Bevorrechtigung konstitutiv auf dem Abschluss durch den Gesamtvollstreckungsverwalter

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beruht.

BGH, Urt. v. 11.01.1999 – II ZR 247/97, LM Nr. 61 zu § 30 GmbHG § 30 = DB 1999, 630 = DStR 1999, 465[Goette] = EWiR 1999, 317 [Bork] = GmbH-R 1999, 347 = InVo 1999, 136 = KTS 1999, 226 = NZG 1999, 550[Brutschke] = NZI 1999, 147 = WM 1999, 512

Sozialplan: Vereinbarung in einem „Interessenausgleich" als typische Sozialplanregelung (LAG Berlin, Urt.v. 25.03.1999 – 10 Sa 104/98)

Treffen die Betriebsparteien in einem Interessenausgleich eine Regelung, die sich als solche zur Abmilderungwirtschaftlicher Nachteile für ausscheidende Arbeitnehmer darstellt (hier: Abfindungszahlungen), so handelt es sichum eine individualanspruchsbegründende Sozialplanregelung.

LAG Berlin, Urt. v. 25.03.1999 – 10 Sa 104/98, n.v.

Sozialplan: Gleichbehandlungsgrundsatz bei Festlegung von Sozialplanabfindungen (BAG, Urt. v.03.08.1999 – 1 AZR 677/98)

1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmeroder Arbeitnehmergruppen gegenüber anderen in vergleichbarer Lage. Eine Differenzierung ist sach-fremd, wenn es für sie keine sachlichen und billigenswerten Gründe gibt, die unterschiedliche Behand-lung sich vielmehr als sachwidrig und willkürlich erweist. Dies gilt auch für eine unterschiedliche Be-handlung nach Altersstufen (§ 75 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Diese ist nur zulässig, soweit für die Differenzie-rung zwischen den einzelnen Stufen sachliche Gründe vorliegen.

2. Eine sachgerechte Differenzierung kann allerdings dann vorliegen, wenn Arbeitnehmer von Sozial-planleistungen ausgeschlossen werden, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie die Voraussetzungenfür die Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes erfüllen.

BAG, Urt. v. 03.08.1999 – 1 AZR 677/98, n.v.

Sozialplan: Keine Haftung des Betriebserwerbers für vom Konkursverwalter begründete Sozialplanansprü-che (ArbG Minden, Urt. v. 11.08.1999 – 2 Ca 1695/98)

1. Die teleologische Reduktion des § 613a BGB ist auf nachkonkursliche Sozialplanansprüche, die nochin den zeitlichen Geltungsbereich des Sozialplankonkursgesetzes fallen, auszudehnen, um die von derRechtsprechung (BAG, Urt. v. 17.01.1980 – 3 AZR 160/79, AP Nr. 18 zu § 613a BGB = EzA Nr. 24 zu§ 613a BGB) in den Vordergrund gestellte Verteilungsgerechtigkeit zwischen den verschiedenen Gläubi-gern im Konkursverfahren nicht einseitig zu verändern.

2. Etwas anderes würde dann gelten, wenn die Sozialplanabfindungsansprüche nicht Konkursforderun-gen, sondern Masseforderungen i.S.d. § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO wären, wie dies für Konkurs-, Vergleichs-und Gesamtvollstreckungsverfahren der Fall ist, die nach dem 31.12.1998 beantragt worden sind (§ 123Abs. 2 S. 1 InsO i.V.m. Art. 103 EG InsO). Einer derartigen Einordnung steht das für den vorliegendenFall (noch) einschlägige Sozialplankonkursgesetz entgegen.

ArbG Minden, Urt. v. 11.08.1999 – 2 Ca 1695/98, DZWIR 2000, 147 = ZInsO 2000, 175

Sozialplan: Anmeldung eines „Anspruchs aus Sozialplan" im Konkurs (BAG, Urt. v. 21.09.1999 – 9 AZR912/98)

1. Ein Anspruch auf Abfindung im Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO setzt nach den Vorschriften über denSozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren einen Sozialplan i.S.v. § 112 BetrVG voraus. Eine ent-sprechende Anwendung dieser Bestimmungen auf eine als Sozialplan bezeichnete Vereinbarung zwi-schen dem Konkursverwalter und allen Arbeitnehmern eines Betriebs mit i.d.R. mehr als zwanzig wahl-berechtigten Arbeitnehmern kommt nicht in Betracht.

2. Ob ein Arbeitnehmer die im Feststellungsrechtsstreit nach § 146 Abs. 1 KO verfolgte Forderung aufden Grund stützt, den er in der Anmeldung zur Konkurstabelle angegeben hat (§ 146 Abs. 4 KO), be-stimmt sich aus der Sicht der konkurrierenden Konkursgläubiger. Ein angemeldeter „Anspruch nach § 61Abs. 1 Nr. 1 KO: aus Sozialplan" ist nicht deckungsgleich mit einem zwischen dem Konkursverwalterund den Arbeitnehmer vereinbarten Masseanspruch auf Abfindung.

BAG, Urt. v. 21.09.1999 – 9 AZR 912/98, AP Nr. 1 zu § 1 SozPlKonkG = AuR 2000, 235 = BB 2000, 1245 =NZA 2000, 662

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Sozialplan: Auslegung eines Sozialplans (BAG, Urt. v. 19.10.1999 – 1 AZR 816/98)

Sozialpläne, denen nach § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG die Wirkung von Betriebsvereinbarungen zukommt, sind wieTarifverträge und diese wie Gesetze zu interpretieren. Maßgeblich ist auf den im Wortlaut zum Ausdruck gebrach-ten Willen der Betriebspartner abzustellen und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung zu be-rücksichtigen, soweit er sich in den Bestimmungen des Sozialplans niedergeschlagen hat.

BAG, Urt. v. 19.10.1999 – 1 AZR 816/98, n.v.

Sozialplan: Zulässige Begrenzung der Höhe der Abfindungssumme für ältere Arbeitnehmer (BAG, Urt. v.19.10.1999 – 1 AZR 838/98)

Wird in dem anlässlich einer Betriebsstilllegung abgeschlossenen Sozialplan, der für die betroffenen Arbeitnehmerdas Angebot der Weiterbeschäftigung in einem anderen Werk des Arbeitgebers vorschreibt, die für den Fall derEntlassung vorgesehene, mit Alter und Betriebszugehörigkeit steigende Abfindung auf 75.000,-- DM begrenzt, soliegt darin keine nach § 75 Abs. 1 S. 2 BetrVG verbotene Benachteiligung älterer Arbeitnehmer.

BAG, Urt. v. 19.10.1999 – 1 AZR 838/98, AP Nr. 135 zu § 112 BetrVG 1972 = AiB 2000, 507 [Thannheiser] =AuR 2000, 237 = EWiR 2000, 559 [Däubler] = NZA 2000, 732

Sozialplan: Abfindung aus Sozialplan bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers (LAG Köln, Urt. v. 02.11.1999– 13 Sa 477/99)

1. Eine Sozialplanregelung, wonach bestimmte, in einer Anlage zum Sozialplan namentlich aufgeführteArbeitnehmer bei einer vorzeitigen Eigenkündigung Abschläge auf ihre Sozialplanabfindung hinnehmenmüssen (hier 25%), ist rechtlich unbedenklich.

2. In einem solchen Fall besteht bezüglich der Kenntniserlangung der Arbeitnehmer von der Sozialplan-anlage keine gesteigerte Aufklärungspflicht des Arbeitgebers. Bei Kenntnis der Arbeitnehmer vom Sozi-alplan ist es grundsätzlich ihre Aufgabe, sich über die Anlage zu informieren.

LAG Köln, Urt. v. 02.11.1999 – 13 Sa 477/99, AP Nr. 134 zu § 112 BetrVG 1972 = NZA-RR 2000, 193

Sozialplan: Wegfall der Geschäftsgrundlage eines Sozialplanes (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 09.12.1999– 21 Sa 34/98)

1. Nach der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage konnte den Betriebspartnern unter dem Gel-tungsbereich der Konkursordnung das Festhalten an einem Sozialplan nicht zugemutet werden, wenn beidessen weiterer Durchführung der Arbeitgeber Konkursantrag hätte stellen müssen.

2. In solch einem Fall ist die nachträgliche Änderung des Sozialplanes zur Vermeidung des Konkursver-fahrens (und einer damit einhergehenden Quote von 20% für die berechtigten Arbeitnehmer) zulässig,wenn durch Nachverhandlungen für alle Arbeitnehmer mindestens 60% des ursprünglichen Abfindungs-volumens gesichert werden können.

3. Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn bei einer nachträglichen Sozialplanän-derung die noch offenen Abfindungsansprüche der über 54jährigen Arbeitnehmer lediglich um 20%, dieder übrigen Mitarbeiter um 40% gekürzt wurden. Der unterschiedliche Kürzungsmaßstab erscheint imHinblick auf die weitaus schwerwiegenderen Folgen eines Arbeitsplatzverlustes für ältere Arbeitnehmersachlich noch gerechtfertigt.

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 09.12.1999 – 21 Sa 34/98, n.v.

Sozialplan: Wirksamkeit des Verzichts auf Leistung aus Sozialplan (BAG, Urt. v. 14.12.1999 – 1 AZR 81/99)

Der Verzicht eines Arbeitnehmers auf einen Abfindungssockelbetrag aus einem Sozialplan ist nur wirksam, wennder Betriebsrat diesem Verzicht zugestimmt hat.

BAG, Urt. v. 14.12.1999 – 1 AZR 81/99, n.v.

Sozialplan: Ausschluß von Abfindungen aus Sozialplan (BAG, Urt. v. 14.12.1999 – 1 AZR 175/99)

1. Die Betriebspartner haben bei der Aufstellung eines Sozialplans einen weiten Spielraum für die Be-stimmung eines angemessenen Ausgleichs der wirtschaftlichen Nachteile, die die von einer Betriebsände-

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rung betroffenen Arbeitnehmer zu erwarten haben. Die Betriebspartner können innerhalb der Grenzenvon Recht und Billigkeit darüber befinden, ob, in welchem Umfang sowie in welcher Weise sie die wirt-schaftlichen Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen oder mil-dern wollen (BAG, Urt. v. 31.07.1996 – 10 AZR 45/96, AP Nr. 103 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112Nr. 86 BetrVG 1972; BAG, Urt. v. 15.12.1998 – 1 AZR 332/98, AP Nr. 126 zu § 112 BetrVG 1972 =EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 103). Die Betriebspartner können bei ihrer Regelung von einemNachteilsausgleich auch gänzlich absehen oder nach der Vermeidbarkeit der Nachteile unterscheiden.

2. Nach diesen Grundsätzen ist es nicht zu beanstanden, wenn solche Arbeitnehmer von Sozialplanabfin-dungen ausgenommen sind, die einen zumutbaren anderen Arbeitsplatz im Unternehmen ablehnen. Dabeisteht es im Ermessen der Betriebspartner, die Maßstäbe der Zumutbarkeit im Sozialplan festzulegen(BAG, BeS. v. 28.09.1988 – 1 ABR 23/87, AP Nr. 47 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972Nr. 49; BAG, Urt. v. 15.12.1998 – 1 AZR 333/98, ZInsO 1999, 361).

BAG, Urt. v. 14.12.1999 – 1 AZR 175/99, AuR 2000, 316

Sozialplan: Voraussetzungen für einen Anspruch auf Sozialplanabfindung (LAG Berlin, Urt. v. 13.01.2000 –14 Sa 2248/99)

Keinen Anspruch auf Abfindung aus einem Sozialplan hat ein Arbeitnehmer, der bei der Aufspaltung eines Unter-nehmens nicht gekündigt, sondern in einer der Betriebsgesellschaften weiterbeschäftigt wird, wenn diese Gesell-schaft später betriebsbedingt wegen Konkurses kündigt.

LAG Berlin, Urt. v. 13.01.2000 – 14 Sa 2248/99, n.v.

Sozialplan: Keine wirksame Sozialplanvereinbarung bei Nichtigkeit der Betriebsratswahl (LAG Düsseldorf,Urt. v. 21.01.2000 – 9 Sa 1754/99)

1. § 3 BetrVG lässt Abweichungen von den Organisationsregelungen lediglich durch Tarifvertrag, nichtaber durch Betriebsvereinbarung zu. Die Möglichkeit einer abweichenden tarifvertraglichen Zuordnungbesteht nach dem Wortlaut des Gesetzes nur für Betriebsteile und Nebenbetriebe, so dass selbständigeBetriebe nicht durch Tarifvertrag zusammengefasst werden dürfen. Eine Zusammenfassung mehrererselbständiger Betriebe erfolgt nur dann, wenn sie nicht betriebsratsfähig sind, aber demselben arbeits-technischen Zweck zu dienen bestimmt sind.

2. Ungeachtet der vorstehenden Überlegungen kommt eine abweichende Zuordnung von Betriebsteilenund Nebenbetrieben prinzipiell nur innerhalb eines Unternehmens in Frage. Eine unternehmensübergrei-fende Zuordnung ist unzulässig. Dies hat nichts mit der ganz anderen Frage zu tun, ob und inwieweitmehrere selbständige Unternehmensträger ihre Betriebe unter einheitliche Leitung stellen (vgl. § 322Abs. 1 UmwG) und damit betriebsverfassungsrechtlich einen Betrieb bilden, der auch für die Wahl desBetriebsrats maßgebend ist.

3. Die Zustimmung der zuständigen Behörde nach § 3 Abs. 2 TVG ist eine Wirksamkeitsvoraussetzungfür einen Tarifvertrag mit Abweichungen von den Organisationsregelungen des BetrVG. Ohne Erteilungder Zustimmung können die tariflichen Regelungen nicht in Kraft treten, so dass allein die gesetzlichenRegelungen des BetrVG maßgebend bleiben.

4. Die Wirksamkeit der Sozialplanregelung lässt sich nicht damit begründen, dass die auf der Grundlagedes nicht genehmigten Tarifvertrags vorgenommene Betriebsratswahl möglicherweise nicht angefochtenworden ist (§ 19 BetrVG) und damit der jeweilige Betriebsrat nach Ablauf der Anfechtungsfrist als wirk-sam gewählter Repräsentant der Unternehmensbelegschaften angesehen werden musS. Jedoch waren dievorgenommenen Betriebsratswahlen nicht nur anfechtbar, sondern nichtig, weil ein grober und offen-sichtlicher Verstoß gegen das BetrVG vorliegt und damit eine dem Gesetz entsprechende Wahl nichtstattgefunden hat.

5. Ein nichtiger Betriebsrat ist rechtlich nicht vorhanden. Die Nichtigkeit der Wahl kann dann zu jederZeit geltend gemacht werden, sie ist nicht an die Anfechtungsfrist des § 19 BetrVG gebunden. Die Wahleines Betriebsrats auf der Grundlage eines Tarifvertrages nach § 3 BetrVG, dem die Zustimmung der o-bersten Arbeitsbehörde gem. § 3 Abs. 3 BetrVG fehlt, ist als nichtig zu qualifizieren. Dies ist bereitsdeswegen anzunehmen, weil sonst das Zustimmungserfordernis aus § 3 Abs. 2 BetrVG als Wirksam-keitsvoraussetzung des Tarifvertrages über eine abweichende Zuordnung von Betriebsteilen und Neben-betrieben seine Bedeutung verlöre und davon abhinge, ob eine entsprechende Betriebsratswahl innerhalbder Frist des § 19 BetrVG angefochten wird oder nicht.

6. Die mangelnde Anfechtung der Betriebsratswahl vermag jedoch nicht die fehlende behördliche Zu-stimmung zu ersetzen. Denn diese soll sicherstellen, daß nur dann von den an sich zwingenden organisa-torischen Vorschriften des BetrVG abgewichen wird, wenn die in § 3 Abs. 1 BetrVG vorgesehenen Vor-aussetzungen vorliegen und deshalb ein Bedürfnis für eine vom Gesetz abweichende Regelung besteht.

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7. Ebenso wenig kommt eine Umdeutung der unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine sog. Regelungs-abrede in Betracht. Die Wirksamkeit einer derartigen Regelungsabrede scheiterte nämlich aus den vorste-henden Erwägungen ebenfalls, weil ein nichtexistenter Betriebsrat keine wirksamen Regelungsabredenabschließen kann. Abgesehen davon verböte sich eine derartige Umdeutung auch deswegen, weil es sichum unterschiedliche Rechtsinstrumente handelt. Während nämlich die Betriebsvereinbarung den Arbeit-nehmern unmittelbare Ansprüche verschafft (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG), verpflichtet die Regelungsab-sprache den Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat zu einem bestimmten Verhalten.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2000 – 9 Sa 1754/99, ZInsO 2000, 681

Sozialplan: Abgrenzung von Betriebsänderung und Betriebsübergang (BAG, BeS. v. 25.01.2000 – 1 ABR1/99)

1. Ein Betriebsübergang für sich allein stellt keine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG dar (BAG,BeS. v. 16.06.1987 – 1 ABR 41/85, AP Nr. 19 zu § 111 BetrVG 1972). Ist ein Betriebsübergang i.S.d.§ 613a BGB mit Maßnahmen verbunden, die als solche einen der Tatbestände des § 111 S. 2 Nr. 1–5BetrVG (Betriebsänderung) erfüllen, so stehen dem Betriebsrat die Beteiligungsrechte nach §§ 111, 112BetrVG zu.

2. Ist in diesem Sinne eine Betriebsänderung gegeben, wird nach § 111 S. 1 BetrVG der Eintritt von wirt-schaftlichen Nachteilen fingiert. Daß tatsächlich Nachteile für die Mitarbeiter entstanden sind, ist nichterforderlich. Ob ausgleichs- oder milderungswürdige Nachteile entstehen, ist bei der Aufstellung des So-zialplans – ggf. von der Einigungsstelle – zu prüfen und zu entscheiden (BAG, BeS. v. 17.08.1982 – 1ABR 40/80, AP Nr. 11 zu § 111 BetrVG 1972).

3. Es ist dagegen nicht Gegenstand und Ziel des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 112BetrVG, Nachteilen zu begegnen, die mit dem Betriebsinhaberwechsel verbunden sind, also allein aufdem Betriebsübergang beruhen. Fällt ein Betriebsübergang mit einer Betriebsänderung zusammen, kön-nen in einem durch Spruch der Einigungsstelle zustande gekommenen Sozialplan nur diejenigen Nachtei-le ausgeglichen bzw. gemildert werden, die die Betriebsänderung selbst verursacht (BAG, BeS. v.10.12.1996 – 1 ABR 32/96, AP Nr. 110 zu § 112 BetrVG 1972).

4. Zu den berücksichtigungsfähigen Nachteilsfolgen zählt dagegen nicht eine etwaige Verringerung derHaftungsmasse für Ansprüche der Arbeitnehmer beim Betriebserwerber. Sie ergibt sich allein aus demrechtsgeschäftlichen Übergang des Betriebes und ist damit Folge des Betriebsinhaberwechsels.

5. In einem solchen Fall ist ein dennoch von der Einigungsstelle durch Mehrheitsbeschluss aufgestellterSozialplan schon deshalb wegen Kompetenzüberschreitung unwirksam, weil in der Begründung desSpruchs ausschließlich Nachteile der Arbeitnehmer aufgeführt sind, die auf dem Betriebsübergang beru-hen. Ein Rechtsverstoß liegt vielmehr nur vor, wenn bei Aufstellung des Sozialplans keine Nachteile zuerwarten waren, welche die vorgesehenen Ausgleichs- oder Milderungsmaßnahmen (z.B. Abfindungen)rechtfertigen konnten.

6. Die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung oder eines sie ersetzenden Spruches der Einigungs-stelle führt nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung oder des Spruchs, wenn derwirksame Teil auch ohne die unwirksamen Bestimmungen eine sinnvolle und in sich geschlossene Rege-lung enthält (BAG, BeS. v. 18.12.1990 – 1 ABR 11/90, AP Nr. 98 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallin-dustrie). Dagegen erfasst die Unwirksamkeit den gesamten Sozialplan, wenn der unwirksame Teil so we-sentlich für die Gesamtregelung ist, dass sie ohne diesen keine sinnvolle Einheit darstellen kann.

BAG, Bes. v. 25.01.2000 – 1 ABR 1/99, AP Nr. 137 zu § 112 BetrVG 1972 = AP Nr. 208 zu § 613a BGB = EzA§ 112 BetrVG 1972 Nr. 106 = AiB 2001, 363 [Hamm] = AuR 2000, 399 = NZA 2000, 1069

Sozialplan: Keine Abfindung bei Eigenkündigung kein Verstoß gegen Freizügigkeit (EuGH, Urt. v.27.01.2000 – C-190/98)

Art. 48 EWG (nach Änderung jetzt Art. 39 EG) steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der ein Ar-beitnehmer, der das Arbeitsverhältnis selbst kündigt, um in einem anderen Mitgliedstaat eine unselbständige Tätig-keit auszuüben, keinen Anspruch auf eine Abfertigung (Kündigungsabfindung) hat, während einem Arbeitnehmer,dessen Arbeitsverhältnis endet, ohne daß er selbst diese Beendigung herbeigeführt oder zu vertreten hat, eine derar-tige Abfertigung zusteht.

EuGH, Urt. v. 27.01.2000 – C-190/98, ARST 2000, 211 = AuA 2000, 289 = NZA 2000, 413

Sozialplan: Keine Sozialplanabfindung bei Ausscheiden wegen Erwerbsunfähigkeit (LAG Köln, Urt. v.01.03.2000 – 7 Sa 836/99)

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Abfindungen in einem Sozialplan sind im Zweifel nicht für Arbeitnehmer gedacht, die wegen dauerhafter Erwerbs-unfähigkeit ausscheiden.

LAG Köln, Urt. v. 01.03.2000 – 7 Sa 836/99, AE 2000, 202 = AuA 2000, 602 = ZInsO 2000, 684

Sozialplan: Keine Sozialplanpflicht bei erst später gewähltem Betriebsrat (LAG Köln, Urt. v. 16.03.2000 – 5Sa 1591/99)

Der Abschluss eines Sozialplans kann von einem Betriebsrat, der erst gewählt wurde, nachdem der Arbeitgebersich zur Stilllegung des Betriebs entschlossen und mit der Durchführung der Stilllegung begonnen hat, nicht mehrverlangt werden.

LAG Köln, Urt. v. 16.03.2000 – 5 Sa 1591/99, AE 2000, 202 = AuA 2001, 46 = ZInsO 2000, 571

Sozialplan: Sozialplanansprüche bei Eigenkündigungen der Arbeitnehmer (LAG Hessen, Urt. v. 21.03.2000 –4 Sa 730/99)

Der (gänzliche) Ausschluss von Arbeitnehmern, die im Zuge einer Betriebsänderung ihre Arbeitsverhältnisse selbstgekündigt haben, von Leistungen aus einem Sozialplan ist unter dem Gesichtspunkt des arbeitsrechtlichen Gleich-behandlungsgrundsatzes ausnahmsweise dann unbeachtlich, wenn die Eigenkündigungen vom Arbeitgeber veran-lasst worden sind.

LAG Hessen, Urt. v. 21.03.2000 – 4 Sa 730/99, NZA-RR 2001, 252 = ZInsO 2001, 480

Sozialplan: Stichtagsregelung eines Sozialplans (LAG Köln, Urt. v. 22.03.2000 – 7 Sa 946/99)

Die Bestimmung eines Sozialplans, dass der Arbeitnehmer zum Umzugstag des Unternehmens noch in einemArbeitsverhältnis zum Unternehmen stehen muss, ist nicht rechtsunwirksam.

LAG Köln, Urt. v. 22.03.2000 – 7 Sa 946/99, AE 2000, 202 = ARST 2001, 19 = ZInsO 2000, 684

Sozialplan: Haftung des Betriebserwerbers für Sozialplanansprüche – Verjährung von Sozialplanansprü-chen (LAG Hamm, Urt. v. 24.10.2000 – 11 Sa 980/00)

1. Sofern die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt der Betriebsübernahme bestehenden Arbeitsver-hältnisse durch Rechtsnormen in Betriebsvereinbarungen geregelt sind, werden diese gem. § 613a Abs. 1S. 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und den Arbeitnehmern. Danachhaftet der Betriebserwerber auch für Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer des übernommenen Betriebesoder Betriebsteils.

2. Sozialplanansprüche verjähren nicht nach § 196 Abs. 1 Ziff. 9 BGB innerhalb von zwei Jahren, dennsie sind keine sonstigen, nach dem Arbeitsvertrag als Äquivalent für die Arbeit geschuldete, geldwerte,regelmäßig anfallende Leistungen und sind auch kein Ersatz für Arbeitsentgelt, sondern eine Entschädi-gung für die Aufgabe des als sozialen Besitzstand anzusehenden Arbeitsplatzes, und zwar unabhängigdavon, ob der Arbeitnehmer anschließend sofort oder erst nach längerer Zeit einen neuen Arbeitsplatzfindet.

LAG Hamm, Urt. v. 24.10.2000 – 11 Sa 980/00, ZInsO 2001, 432

Sozialplan: Haftung des Betriebserwerbers für Sozialplanansprüche – Verjährung von Sozialplanansprü-chen (LAG Hamm, Urt. v. 24.10.2000 – 11 Sa 1391/00)

1. Der Betriebserwerber haftet im Falle einer Verlagerung eines Betriebes bzw. Betriebsteils für Sozial-planansprüche der Arbeitnehmer des übernommenen Betriebs oder Betriebsteils.

2. Sozialplanansprüche verjähren nicht nach § 196 Abs. 1 Ziff. 9 BGB innerhalb von zwei Jahren.

LAG Hamm, Urt. v. 24.10.2000 – 11 Sa 1391/00, NZA-RR 2001, 290

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei Ablehnung eines Weiterbeschäftigungsangebots (LAG Köln, Urt. v.04.12.2000 – 8 Sa 914/00)

1. Es ist nicht zu beanstanden, im Sozialplan Arbeitnehmer von der Zahlung einer Abfindung auszu-schließen, die in einem zumutbaren Arbeitsverhältnis in einem anderen Betrieb des Unternehmens oder

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eines zum Konzern gehörenden Unternehmens weiterbeschäftigt werden können und die Weiterbeschäf-tigung ablehnen (§ 112 Abs. 5 Ziff. 3 BetrVG).

2. Setzt sich der Sozialplan für den Ausschlusstatbestand die Zahlung einer Abfindung betreffend voraus,dass ein bestimmten Anforderungen entsprechendes (hier: § 2 NachwG) Weiterbeschäftigungsangebotunterbreitet werden muss, so kann die Berufung des Arbeitnehmers darauf, dass ein solches Angebotnicht unterbreitet worden sei, gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Arbeitnehmer von sich aus inallgemeinen Gesprächen über Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten es kategorisch abgelehnt hat, ein Wei-terbeschäftigungsangebot anzunehmen. Voraussetzung, eine Ablehnung des Arbeitnehmers in diesemSinne zu verstehen, ist allerdings, dass dem Arbeitnehmer die Auswirkungen seiner Ablehnung für denAbfindungsanspruch bewusst sind. Dies setzt voraus, dass der die Ausschlussnorm enthaltende Sozial-plan im Zeitpunkt der ablehnenden Erklärung des Arbeitnehmers bereits abgeschlossen ist.

LAG Köln, Urt. v. 04.12.2000 – 8 Sa 914/00, ARST 2001, 113 = EWiR 2001, 685 [Plander/Wißmann] = NZA-RR2001, 305

Sozialplan: Kein Sozialplananspruch bei Eigenkündigung (LAG Köln, Urt. v. 12.01.2001 – 11/10 Sa 866/00)

Ein Sozialplan, der auch für den Fall einer Eigenkündigung Abfindungen für Mitarbeiter vorsieht, die von einembevorstehenden Personalabbau „betroffen" sind, fordert damit, dass der Arbeitsplatzverlust und seine Verursachungdurch den Personalabbau feststehen; eine Wahrscheinlichkeit genügt nicht – auch nicht die subjektive Sicht deskündigenden Arbeitnehmers, der – wenn auch verständlich – seinen Arbeitsplatz durch Berichte über einen bevor-stehenden Personalabbau für bedroht hält. Die Entscheidung des Arbeitgebers, sich gerade von diesem Arbeitneh-mer zu trennen, muss schon gefallen sein, zumindest aber mit Sicherheit bevorstehen.

LAG Köln, Urt. v. 12.01.2001 – 11/10 Sa 866/00, NZA-RR 2001, 372

Sozialplan: Sozialplanauslegung und Gleichbehandlung (BAG, Urt. v. 23.01.2001 – 1 AZR 235/00)

Werden mit der am Gleichbehandlungsgrundsatz zu messenden Regelung Gruppen von begünstigten und benach-teiligten Arbeitnehmern gebildet, muß auch die Gruppenbildung sachliche Kriterien wahren.

BAG, Urt. v. 23.01.2001 – 1 AZR 235/00, EWiR 2001, 1033 [Hey]

Sozialplan: Sozialplanauslegung und Gleichbehandlung (BAG, Urt. v. 23.01.2001 – 1 AZR 278/00)

Abfindungen in einem Sozialplan sind im Zweifel nicht für Arbeitnehmer gedacht, die wegen dauerhafter Erwerbs-unfähigkeit ausscheiden.

BAG, Urt. v. 23.01.2001 – 1 AZR 278/00, n.v.

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei Eigenkündigung (LAG München, Urt. v. 21.03.2001 – 9 Sa 1132/00)

Ist in einem Sozialplan geregelt, dass dieser bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers nicht gilt, wenn dieservon der Betriebsänderung nicht betroffen ist und dies der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer innerhalb von 14 Tagennach Zugang der Kündigung mitteilt und ihm gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbietet, so istbei fehlender Mitteilung des Arbeitgebers davon auszugehen, dass die ausgesprochene Eigenkündigung des Arbeit-nehmers unter den Geltungsbereich des Sozialplans fällt.

LAG München, Urt. v. 21.03.2001 – 9 Sa 1132/00, n.v.

Sozialplan: Lohnsicherungsklausel in Betriebsvereinbarung mit Sozialplancharakter – Nachwirkung (LAGSachsen, Urt. v. 25.04.2001 – 3 Sa 493/00)

1. Setzt der Arbeitgeber eine Person als Betriebsleiter ein, so ist regelmäßig hiermit die Befugnis zumAbschluss von Betriebsvereinbarungen verbunden, es sei denn, der Arbeitgeber regelt die Vertretungsbe-fugnis in anderer Weise.

2. Eine Betriebsvereinbarung mit Lohnsicherungsklausel verstößt dann nicht gegen die Regelungssperredes § 77 Abs. 3 BetrVG, wenn sie der Sache nach eine Sozialplanregelung darstellt. Für Sozialpläne nach§ 112 BetrVG besteht keine Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 BetrVG.

3. Regelungen einer Betriebsvereinbarung, die als Sozialplanregelung als erzwingbare Betriebsvereinba-rung anzusehen ist, wirken gem. § 77 Abs. 6 BetrVG nach, gelten somit auch nach ihrer Beendigung mitunmittelbarer Wirkung fort. Allerdings fehlt nunmehr der zwingende Charakter.

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LAG Sachsen, Urt. v. 25.04.2001 – 3 Sa 493/00, n.v.

Sozialplan: Keine Sozialplanabfindung bei Eigenkündigung (LAG Köln, Urt. v. 27.04.2001 – 11 Sa 1501/00)

1. Schließt ein Sozialplan Arbeitnehmer, die „selbst gekündigt haben", von einer Abfindung aus, erfasstder Ausschluss grundsätzlich auch solche Arbeitnehmer, deren Eigenkündigung eine Arbeitgeberkündi-gung zum gleichen Termin vorausgegangen war.

2. Ein solcher Ausschluss verletzt auch nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Eigenkündi-gung nicht vom Arbeitgeber „veranlasst" worden ist. Die vorausgegangene Arbeitgeberkündigung istkeine Veranlassung in diesem Sinne, wenn durch sie der Arbeitnehmer nicht zum Ausspruch der Eigen-kündigung bestimmt werden sollte.

LAG Köln, Urt. v. 27.04.2001 – 11 Sa 1501/00, ARST 2001, 258

Sozialplan: Keine Sozialplanabfindung bei Eigenkündigung (LAG Düsseldorf, Urt. v. 09.05.2001 – 1 Sa1738/00)

Werden Aufgaben, die bisher in einem der Unternehmen einer Unternehmensgruppe ausgeführt wurden, von einemanderen Unternehmen dieser Unternehmensgruppe übernommen, ist eine Eigenkündigung der Arbeitnehmerin auchdann nicht vom Arbeitgeber aufgrund von beabsichtigten Stilllegungen von Betriebsstätten/-teilen veranlasst, wennkein Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB anzunehmen ist.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 09.05.2001 – 1 Sa 1738/00, n.v.

Sozialplan: Kein Abfindungsanspruch für Auszubildende bei Betriebsaufgabe (ArbG Frankfurt/Main, Urt. v.19.07.2001 – 7 Ca 1004/01)

Befristet beschäftigte Arbeitnehmer oder Auszubildende haben bei Betriebsschließungen keinen Anspruch aufBeteilung an einem Sozialplan und Zahlung einer Abfindung. Insbesondere auch Auszubildende fallen unter dieSozialpläne eines befristeten Arbeitsverhältnisses, da deren Ausbildungszeit zeitlich begrenzt ist.

ArbG Frankfurt/Main, Urt. v. 19.07.2001 – 7 Ca 1004/01, n.v.

Sozialplan: Bemessung der Sozialplanabfindung unter anteiliger Berücksichtigung von Zeiten der Teil- undVollzeitbeschäftigung (BAG, Urt. v. 14.08.2001 – 1 AZR 760/00)

1. Die Betriebspartner haben bei der Aufstellung eines Sozialplans grundsätzlich einen weiten Spielraumfür die Bestimmung des angemessenen Ausgleichs für die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeit-nehmer. Sie haben innerhalb der Grenzen von Recht und Billigkeit darüber zu befinden, ob, in welchemUmfang und in welcher Weise sie die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer ausgleichen oder mil-dern wollen (BAG, Urt. v. 15.12.1998 – 1 AZR 332/98, AP Nr. 126 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112BetrVG 1972 Nr. 103). Sie können von einem Nachteilsausgleich auch gänzlich absehen und bei ihrerRegelung nach der Vermeidbarkeit der Nachteile unterscheiden.

2. Die Betriebspartner sind nicht gehalten, alle erdenkbaren Nachteile zu entschädigen. Der Inhalt desSozialplans muss aber dem Normzweck von § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG entsprechen, die wirtschaftlichenNachteile auszugleichen oder doch zu mildern, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsän-derung entstehen (BAG, Urt. v. 31.07.1996 – 10 AZR 45/96, AP Nr. 103 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA§ 112 Nr. 86 BetrVG 1972). Die Sozialplanabfindung hat danach eine Ausgleichs- und Überbrückungs-funktion hinsichtlich der – künftigen – Nachteile, die durch eine geplante Betriebsänderung entstehenkönnen (BAG, Urt. v. 09.11.1994 – 10 AZR 281/94, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112BetrVG 1972 Nr. 78).

3. Die Sozialplanabfindung hat danach eine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion hinsichtlich der –künftigen – Nachteile, die durch eine geplante Betriebsänderung entstehen können. Angesichts der Unsi-cherheit über den Umfang der im Einzelfall zu erwartenden Nachteile hat der Rückgriff auf das vergan-genheitsbezogene Kriterium der Betriebszugehörigkeit den Vorzug hoher Transparenz und Praktikabili-tät. Hierdurch wird die Sozialplanabfindung noch nicht zu einer Entschädigung für den Verlust eines Be-sitzstandes oder zu einer – nachträglichen – Vergütung in der Vergangenheit für den Betrieb geleisteterDienste (BAG, Urt. v. 16.03.1994 – 10 AZR 606/93, AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112BetrVG 1972 Nr. 73).

4. Insofern ist es auch nicht als Verstoß gegen die Grundsätze des § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG anzusehen,wenn bei der Berechnung der Sozialplanabfindung solche Zeiten nicht angesetzt werden, in denen derArbeitnehmer nicht für den Betrieb tätig war (BAG, Urt. v. 30.03.1994 – 10 AZR 352/93, AP Nr. 76 zu

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§ 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 74), oder wenn die Betriebspartner die Betriebszuge-hörigkeitszeit bei der Bemessung der Abfindung modifiziert berücksichtigen (BAG, Urt. v. 16.03.1994 –10 AZR 606/93, AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 73).

5. Die Grenzen des weiten Spielraums, den die Betriebspartner bei der Beurteilung der wirtschaftlichenNachteile einer Betriebsänderung und der Ausgestaltung der darauf gerichteten Ausgleichsmaßnahmenhaben, sind nicht überschritten, wenn bei der Bemessung einer Sozialplanabfindung Zeiten der Teilzeit-und der Vollzeitbeschäftigung anteilig berücksichtigt werden. Eine solche Regelung verstößt auch nichtgegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 [jetzt § 2Abs. 1 TzBfG].

BAG, Urt. v. 14.08.2001 – 1 AZR 760/00, AP Nr. 142 Zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 1972 Nr. 108= NZA 2002, 451

Sozialplan: Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds kein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbe-handlungsgrundsatz (LAG Düsseldorf, Urt. v. 13.09.2001 – 11/4 Sa 906/01)

Selbst dann, wenn ein Betriebsratsmitglied im Zuge eines Aufhebungsvertrages unter Verstoß gegen das Begünsti-gungsverbot des § 78 S. 2 HS. 1 BetrVG eine höhere Abfindung wegen Verlustes seines Arbeitsplatzes als andereArbeitnehmer aufgrund eines Sozialplans oder eines eigenen Aufhebungsvertrages erhält, können die so benachtei-ligten Arbeitnehmer weder nach § 75 Abs. 1 BetrVG noch gem. dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrund-satz eine entsprechend höhere Abfindung verlangen.

LAG Düsseldorf, Urt. v. 13.09.2001 – 11/4 Sa 906/01, ARST 2002, 30 = AuR 2002, 35 = BB 2002, 306 [Henssler]

Sozialplan: Gleichbehandlung – Anreize zum vorzeitigen Ausscheiden (BAG, Urt. v. 14.09.2001 – 3 AZR656/00)

Will der Arbeitgeber auch die älteren Arbeitnehmer, die sich mit den Leistungen aus dem bestehenden Sozialplannicht begnügen wollen, zu einem einvernehmlichen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bewegen, so verstößt ernicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn er zusätzliche Leistungen nur den Arbeitnehmern verspricht,die sich nicht schon zuvor mit einem Ausscheiden auf der Basis des bestehenden Sozialplans einverstanden erklärthaben.

BAG, Urt. v. 14.09.2001 – 3 AZR 656/00, EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung Nr. 22 = BB 2001, 2646 = DB2002, 225 = ZTR 2002, 45

Sozialplan: Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zum Abschluss eines Sozialplans (BAG, Urt. v. 11.12.2001– 1 AZR 185/01)

Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Vereinbarung eines Interessenausgleichs folgt nicht zwingenddie gesetzliche Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplans. Dafür ist das Vorliegen der Voraussetzungen des§ 50 Abs. 1 BetrVG gesondert zu prüfen. Ob danach ein zwingendes Bedürfnis nach einer zumindest betriebsüber-greifenden Regelung besteht, bestimmt auch der Inhalt des Interessenausgleichs.

BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 185/01, ZInsO 2003, 820

Sozialplan: Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zum Abschluss eines Sozialplans (BAG, Urt. v. 11.12.2001– 1 AZR 193/01)

Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Vereinbarung eines Interessenausgleichs folgt nicht zwingenddie gesetzliche Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplans. Dafür ist das Vorliegen der Voraussetzungen des§ 50 Abs. 1 BetrVG gesondert zu prüfen. Ob danach ein zwingendes Bedürfnis nach einer zumindest betriebsüber-greifenden Regelung besteht, bestimmt auch der Inhalt des Interessenausgleichs.

BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, AP Nr. 22 zu § 50 BetrVG 1972 = AP Nr. 147 zu § 112 BetrVG 1972 =EzA § 50 BetrVG 1972 Nr. 18 = AuR 2002, 238 = BAGReport 2002, 212 = MDR 2002, 954 = NZA 2002, 688

Sozialplan: Ausschluss von Sozialplanleistungen bei Eigenkündigung (LAG Köln, Urt. v. 17.12.2001 – 11 Sa917/01)

Sieht ein Sozialplan, der anlässlich eines bevorstehenden Umzugs abgeschlossen wurde, eine Reduzierung derAbfindung vor für Arbeitnehmer, die eine Versetzung „ablehnen", so erfasst er mit dieser Ausnahmevorschrift imZweifel auch Arbeitnehmer, die der Versetzung durch Eigenkündigung zuvorkommen.

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LAG Köln, Urt. v. 17.12.2001 – 11 Sa 917/01, AE 2002, 72

Sozialplan: Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Ausschluss von Sozialplanleistungen (LAGKöln, Urt. v. 19.12.2001 – 7 Sa 577/01)

Es widerspricht dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz und erscheint willkürlich, wenn ein betriebsbedingtwegen Betriebsstilllegung gekündigter Arbeitnehmer in einem nach Ablauf der Kündigungsfrist und erfolgterStilllegung abgeschlossenen Sozialplan nur deshalb von einer den gekündigten Arbeitnehmern zugesagten Abfin-dung ausgeschlossen wird, weil er lange nach Erhalt der betriebsbedingten Kündigung und zum gleichen Endzeit-punkt, wie in dieser vorgesehen, auch noch eine fristgerechte Eigenkündigung ausgesprochen hatte.

LAG Köln, Urt. v. 19.12.2001 – 7 Sa 577/01, ARST 2002, 163 = AuR 2002, 158 = DB 2002, 538

Sozialplan: Kein Abfindungsanspruch aus nachkonkurslichem Sozialplan gegen Betriebsübernehmer (BAG,Urt. v. 15.01.2002 – 1 AZR 58/01)

1. Die Grundsätze über die Beschränkung der Haftung des Betriebsübernehmers nach § 613a Abs. 1 BGBfür Ansprüche auf Abfindung aus einem vor Konkurseröffnung geschlossenen Sozialplan gelten auch fürAbfindungsansprüche aus einem Sozialplan, den der Konkursverwalter gem. § 2 SozPlKonkG geschlos-sen hat.

2. Hat der Betrieb durch den Betriebsübergang seine Identität nicht verloren und ist deshalb der Betriebs-übernehmer betriebsverfassungsrechtlich in die Rechte und Pflichten aus dem normativ fortwirkendenSozialplan eingetreten, so hindern die Grundsätze der Haftungsbeschränkung im Konkurs auch einEinstehenmüssen für Abfindungsforderungen aus diesem Sozialplan.

BAG, Urt. v. 15.01.2002 – 1 AZR 58/01, AP Nr. 1 zu § 2 SozPlKonkG = AP Nr. 233 zu § 613a BGB = EzA § 613aBGB Nr. 206 = BAGReport 2002, 385 = DB 2002, 1834 = MDR 2002, 1271 = NJW 2002, 3493 = NZA 2002,1030

Sozialplan: Kein Abfindungsanspruch aus nachkonkurslichem Sozialplan gegen Betriebsübernehmer (BAG,Urt. v. 15.01.2002 – 1 AZR 71/01)

1. Die für vorkonkurslich begründete Sozialplanansprüche geltende Beschränkung der Haftung des Be-triebsübernehmers nach § 613a Abs. 1 BGB ist auch auf Ansprüche aus nachkonkurslichen Sozialplänenzu erstrecken. Aus der Sicht der übrigen Konkursgläubiger ist nicht entscheidend, ob die Forderung einesanderen Gläubigers vorkonkurslich oder nachkonkurslich entstanden ist, maßgeblich ist allein, ob siegleichrangig ist oder nicht. Die Überlegungen, die im Interesse der übrigen Konkursgläubiger zur Ein-schränkung der Haftung des Betriebserwerbers bei vorkonkurslichen Sozialplanansprüchen geführt ha-ben, treffen für nachkonkursliche Ansprüche in derselben Weise zu. Auch hier würde eine Inpflichtnah-me des Betriebserwerbers zur Kaufpreisminderung und damit zur Schmälerung der für die Verteilung zurVerfügung stehenden Masse führen.

2. Hat der Betrieb durch den Betriebsübergang seine Identität nicht verloren und ist deshalb der Betriebs-übernehmer betriebsverfassungsrechtlich in die Rechte und Pflichten aus dem normativ fortwirkendenSozialplan eingetreten, so hindern die Grundsätze der Haftungsbeschränkung im Konkurs auch einEinstehenmüssen für Abfindungsforderungen aus diesem Sozialplan. Für die übrigen Konkursgläubigerbedeutet es keinen Unterschied, ob der Betriebsübernehmer auf individualrechtlicher oder kollektivrecht-licher Rechtsgrundlage auf Erfüllung vor- und nachkonkursrechtlicher Sozialplanforderungen in An-spruch genommen werden kann. Nur durch die entsprechende teleologische Reduktion auch der betriebs-verfassungsrechtlichen Folgen eines Betriebsinhaberwechsels lässt sich der gebotene Vorrang des Kon-kursrechts umfassend erreichen.

BAG, Urt. v. 15.01.2002 – 1 AZR 71/01, ZInsO 2002, 1156

Sozialplan: Berücksichtigung von Vordienstzeiten bei der Berechnung von Sozialplanabfindungen (LAGBerlin, Urt. v. 15.01.2002 – 12 Sa 2251/01)

1. Die Sozialbindung des Eigentums hindert den Arbeitgeber nicht, einen Betrieb zu schließen und des-halb die Arbeitsverhältnisse der dort Beschäftigten zu kündigen.

2. Die Betriebspartner verstoßen nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder§ 613a Abs. 1 BGB, wenn sie für die Berechnung von Sozialplanabfindungen nur Vordienstzeiten be-rücksichtigen, welche die Arbeitnehmer in einem Konzernunternehmen verbracht haben.

LAG Berlin, Urt. v. 15.01.2002 – 12 Sa 2251/01, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 61 = MDR

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2002, 890

Sozialplan: Verpflichteter Arbeitgeber aus Sozialplanansprüchen im Gemeinschaftsbetrieb (LAG Berlin,Urt. v. 05.04.2002 – 6 Sa 123/02)

Aus einem Sozialplan, der anlässlich der Stilllegung eines Gemeinschaftsbetriebs geschlossen wird, stehen denArbeitnehmern grundsätzlich nur gegen ihren jeweiligen Vertragsarbeitgeber Ansprüche zu.

LAG Berlin, Urt. v. 05.04.2002 – 6 Sa 123/02, n.v.

Sozialplan: Abfindung nach Sozialplan – Kinderfreibetrag auf der Lohnsteuerkarte (LAG Brandenburg, Urt.v. 08.05.2002 – 5 Sa 703/01)

Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn in einem Sozialplan zur Berechnung des Aufsto-ckungsbetrages für Kinder ausschließlich auf die Eintragung in der Lohnsteuerkarte abgestellt wird.

LAG Brandenburg, Urt. v. 08.05.2002 – 5 Sa 703/01, NZA-RR 2003, 424

Sozialplan: Anrechnung von Erziehungsurlaubszeiten bei Bemessung einer Sozialplanabfindung (LAG Nie-dersachsen, Urt. v. 07.06.2002 – 16 Sa 1542/01)

Stellt ein Sozialplan für die Bemessung der Abfindung wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes fast ausschließlichauf die Dauer der Betriebszugehörigkeit ab, so zählen hierzu auch Zeiten des Erziehungsurlaubs. Der Ausschlussderartiger Zeiten stellt einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 BetrVG dar.

LAG Niedersachsen, Urt. v. 07.06.2002 – 16 Sa 1542/01, LAGReport 2002, 348

Sozialplan: Vorsorglicher Sozialplan unter einer auflösenden Bedingung (LAG Hamm, Urt. v. 15.07.2002 –19/11 Sa 730/01)

Die in einem vorsorglich, unter einer auflösenden Bedingung stehenden Sozialplan den Arbeitnehmern auferlegteVerpflichtung, Feststellungsklage zu erheben, um nicht von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen zuwerden, verstößt nicht gegen den Sinn und Zweck einer Sozialplanvereinbarung und belastet die Arbeitnehmerzudem nicht unzumutbar.

LAG Hamm, Urt. v. 15.07.2002 – 19/11 Sa 730/01, n.v.

Sozialplan: Bemessung einer Sozialplanabfindung – Gleichbehandlungsgrundsatz – Geschlechterdiskrimi-nierung (LAG München, Urt. v. 31.07.2002 – 5 Sa 877/01)

Die Bemessung einer Sozialplanabfindung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit unter Ausschluss der Zeitendes Erziehungsurlaubs ist wirksam.

LAG München, Urt. v. 31.07.2002 – 5 Sa 877/01, n.v.

Sozialplan: Anspruch aus Sozialplanleistungen bei Eigenkündigung (BAG, Urt. v. 06.08.2002 – 1 AZR247/01)

In einem einvernehmlich zustande gekommenen Sozialplan können die Betriebsparteien vorsehen, daß dieser beieiner Eigenkündigung eines Arbeitnehmers dann gilt, wenn der Arbeitgeber der Kündigung nicht binnen einerbestimmten Frist widerspricht und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbietet.

BAG, Urt. v. 06.08.2002 – 1 AZR 247/01, AP Nr. 154 zu § 112 BetrVG 1972 = NZA 2003, 449

Sozialplan: Verzicht auf Widerruf eines sog. „insolvenznahen" Sozialplans (LAG Köln, Bes. v. 17.10.2002 –4/5 TaBV 44/02)

Der Betriebsrat kann auf das nach § 124 InsO bestehende Recht, den vor Insolvenzantritt abgeschlossenen „insol-venznahen" Sozialplan zu widerrufen, jedenfalls nach Insolvenzeintritt wirksam verzichten.

LAG Köln, Bes. v. 17.10.2002 – 4/5 TaBV 44/02, AP Nr. 1 zu § 124 InsO = LAGE § 124 InsO Nr. 2 = NZA-RR2003, 489

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Sozialplan: Abgrenzung der Zuständigkeit von Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat für den Abschluß einesSozialplans – Überprüfung des Spruchs einer Einigungsstelle (BAG, Bes. v. 23.10.2002 – 7 ABR 55/01)

1. Ist der Antrag seinem Wortlaut nach auf die Aufhebung des Spruchs der Einigungsstelle gerichtet, soist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellen-spruchs beantragt wird. Eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Spruchs einer Eini-gungsstelle hat nämlich keine rechtsgestaltende, sondern lediglich feststellende Wirkung. Deshalb kannder Spruch der Einigungsstelle nicht aufgehoben werden, vielmehr ist ggf. seine Unwirksamkeit festzu-stellen.

2. Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Betriebsänderung, die mehrere Betriebe des Unternehmens betrifft,ist zur Vereinbarung des Interessenausgleichs nach § 50 Abs. 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig.Daraus folgt nicht automatisch die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats auch für den Abschluss des So-zialplanS. Vielmehr muss auch insoweit ein zwingendes Bedürfnis nach einer betriebsübergreifenden Re-gelung bestehen. Dies ist der Fall, wenn die in dem Interessenausgleich vereinbarte Betriebsänderungmehrere oder alle Betriebe des Unternehmens betrifft und betriebsübergreifende Kompensationsregelun-gen erfordert.

BAG, Bes. v. 23.10.2002 – 7 ABR 55/01, AP Nr. 26 zu § 50 BetrVG 1972 = EzA § 50 BetrVG 2001 Nr. 1 = NZA2003, 1360

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei Eigenkündigung (BAG, Urt. v. 29.10.2002 – 1 AZR 80/02)

1. Ist die Zwangsvollstreckung in die Insolvenzmasse wegen einer Sozialplanforderung nach § 123 Abs. 3S. 2 InsO unzulässig, dann ist die Feststellungsklage – gerichtet auf das Bestehen der Sozialplanforde-rung – die richtige Klageart.

2. Ein Sozialplan soll die Nachteile, die der Belegschaft infolge der Betriebsänderung entstehen, mildernoder ausgleichen. Dieser Unterstützung bedarf ein Arbeitnehmer, der aus Anlass der Betriebsänderungselbst kündigt, regelmäßig in gleicher Weise wie ein Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber gekündigt wird.Deshalb verstößt eine Sozialplanregelung, die formal zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkündigungunterscheidet und den generellen Ausschluss aller Arbeitnehmer vorsieht, die ihr Arbeitsverhältnis selbstgekündigt haben, gegen § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG.

3. Eine Sozialplanregelung, wonach die Mitarbeiter/innen, die den Betrieb vor einem bestimmten Stich-tag „freiwillig verlassen bzw. selbst gekündigt haben", nicht unter den Sozialplan fallen, ist unter Berück-sichtigung von § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG gesetzeskonform dahin auszulegen, dass eine stilllegungsbeding-te Eigenkündigung zum Ablauf des Stichtags nicht zum Anspruchsverlust führt.

BAG, Urt. v. 29.10.2002 – 1 AZR 80/02, EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 4 = NZA 2003, 879

Sozialplan: Anspruchsgegner bei Sozialplan im Gemeinschaftsbetrieb (BAG, Urt. v. 12.11.2002 – 1 AZR632/01)

Ein Sozialplan, den ein Konkursverwalter über die Vermögen mehrerer einen Gemeinschaftsbetrieb führendenUnternehmen mit dem Betriebsrat abgeschlossen hat, ist nach Möglichkeit geltungserhaltend dahin auszulegen,dass die Arbeitnehmer wegen der Sozialplanabfindungen nur ihren Vertragsarbeitgeber, nicht dagegen alle Unter-nehmen, die den Gemeinschaftsbetrieb geführt haben, gesamtschuldnerisch in Anspruch nehmen können.

BAG, Urt. v. 12.11.2002 – 1 AZR 632/01, BB 2003, 2401 = DB 2003, 1686 = FA 2003, 216 = NZA 2003, 676

Sozialplan: Berücksichtigung von Zeiten des Erziehungsurlaubs bei der Höhe einer Sozialplanabfindung(BAG, Urt. v. 12.11.2002 – 1 AZR 58/02)

Haben die Betriebsparteien in einem Sozialplan für die Höhe der Abfindung auch auf die Dauer der Beschäftigungabgestellt, verstößt es gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit, wenn sie davon Zeiten des Erziehungsur-laubs (Elternzeit) ausnehmen.

BAG, Urt. v. 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 3 =AuR 2003, 279

Sozialplan: Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen mit erst Verfahrenseröffnung gewähltenBetriebsrat (LAG Thüringen, Urt. v. 05.12.2002 – 3 Sa 151/2002)

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Die Vorschriften des BetrVG über Interessenausgleich, Sozialplan und Nachteilsausgleich haben auch in der Insol-venz Geltung ohne Rücksicht darauf, ob schon bei Insolvenzeröffnung ein Betriebsrat bestand oder ob er erst da-nach gewählt wurde.

LAG Thüringen, Urt. v. 05.12.2002 – 3 Sa 151/2002, NZI 2003, 561

Sozialplan: Wirtschaftliche Vertretbarkeit – Berechnungsdurchgriff – Stichtagsregelung – Anrechnung vonLeistungen aus einem kollektivem Weiterbeschäftigungsanspruch (LAG Hamburg, Bes. v. 22.01.2003 – 4TaBV 1/02)

1. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eines Sozialplans i.S.d. § 112 Abs. 5 BetrVGfür ein konzernangehöriges Unternehmen bleibt die eventuell bessere wirtschaftliche Lage der Konzern-mutter grundsätzlich unberücksichtigt.

2. Ein derartiger Berechnungsdurchgriff auf den Konzern ist nur denkbar, wenn die rücksichtslose Aus-übung der Leitungsmacht durch das herrschende Unternehmen zu einer wirtschaftlichen Lage des Toch-terunternehmens geführt hat, die dessen Leistungsfähigkeit ausschließt, mithin die negative Einflussnah-me der Konzernobergesellschaft kausal war für den schlechten wirtschaftlichen Zustand der Tochterge-sellschaft.

3. Ein Sozialplan kann im Rahmen einer Stichtagsregelung Arbeitnehmer von seinem Geltungsbereichausnehmen, die vor dem Scheitern des Interessenausgleichs im Hinblick auf eine vom Arbeitgeber ange-kündigte Betriebsstilllegung selbst gekündigt oder einen Aufhebungsvertrag geschlossen haben, ohnedass hierin ein Verstoß gegen den in § 75 BetrVG enthaltenen Grundsatz von Recht und Billigkeit, insbe-sondere den darin enthaltenen Gleichheitsgrundsatz, zu sehen ist. Eine Ungleichbehandlung liegt erstdann vor, wenn Arbeitnehmer ausgeschlossen werden, deren Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag imZusammenhang mit einer Betriebsänderung vom Arbeitgeber veranlasst worden ist.

4. Eine Klausel in einem Sozialplan, nach der Geldleistungen aus dem Weiterbeschäftigungsanspruchgem. § 102 Abs. 5 BetrVG auf die Sozialplanabfindung anzurechnen sind, ist zulässig.

LAG Hamburg, Bes. v. 22.01.2003 – 4 TaBV 1/02, n.v.

Sozialplan: Auslegung eines Sozialplans – Voraussetzungen für ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis(BAG, Urt. v. 25.03.2003 – 1 AZR 169/02)

1. Eine Eigenkündigung oder ein Aufhebungsvertrag sind vom Arbeitgeber veranlasst, wenn dieser demArbeitnehmer zuvor mitgeteilt hat, es bestehe für ihn nach Durchführung der Betriebsänderung keine Be-schäftigungsmöglichkeit mehr. Der vom Arbeitgeber gesetzte Anlass entfällt weder durch eine längereZeitspanne zwischen Ankündigung und Durchführung der Betriebsänderung, noch durch die bloße Mög-lichkeit, dass bis dahin zumutbare Stellen frei werden, auf die der Arbeitnehmer sich bewerben kann.Sollte bei Vertragsschluss wider Erwarten eine zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestandenhaben, wäre es Sache des Arbeitgebers gewesen, den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen und seinen Been-digungswunsch abzulehnen.

2. Willigt der Arbeitgeber nur deshalb in einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer ein, weil erdessen Beendigungswunsch nicht im Wege stehen will, so kann er zur Vermeidung andernfalls entste-hender Abfindungsansprüche den Vertragsschluss davon abhängig machen, dass der Arbeitnehmer denBetriebsrat nach § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG zur Zustimmung zu einem Anspruchsverzicht bewegt.

BAG, Urt. v. 25.03.2003 – 1 AZR 169/02, FA 2004, 54 = NZA 2004, 64

Sozialplan: Auslegung eines Sozialplans – Voraussetzungen für ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis(BAG, Urt. v. 25.03.2003 – 1 AZR 335/02)

1. Sozialpläne sind als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wie Tarifverträge auszulegen. Abzustellenist deshalb zunächst auf den Wortlaut der Bestimmung. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirklicheWille der Betriebsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag ge-funden hat. Ferner sind der Gesamtzusammenhang und der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten.Im Zweifel ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einer vernünftigen, sachgerechten undpraktisch brauchbaren Regelung führt. Subjektive Vorstellungen der Betriebsparteien, die im Sozialplankeinen Niederschlag gefunden haben, sind schon deshalb für die Auslegung unbeachtlich, weil es denNormunterworfenen möglich sein muss, zu erkennen, welchen Regelungsinhalt die Normen haben.

2. Ein deklaratorisches (bestätigendes) Schuldanerkenntnis setzt einen vorherigen Streit oder zumindesteine (subjektive) Ungewissheit beider Parteien über das Bestehen einer Schuld oder über einzelne rechtli-che Punkte voraus.

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BAG, Urt. v. 25.03.2003 – 1 AZR 335/02, NZA 2004, 64

Sozialplan: Einheit von Grundsozialplan und Ausführungssozialplan – Beachtung des arbeitsrechtlichenGleichbehandlungsgrundsatzes (LAG Hamm, Urt. v. 14.04.2003 – 7 Sa 2017/02)

1. Ein Grundsozialplan, der ausschließlich das Abfindungsvolumen und nicht zugleich die Verteilungs-grundsätze festlegt und der nachfolgende Ausführungssozialplan, der diese Verteilungsgrundsätze nach-holt, bilden eine Einheit; die Grundsätze der ablösenden Betriebsvereinbarung finden hierauf keine An-wendung.

2. Es verstößt nicht gegen § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG, wenn ein Sozialplan Arbeitnehmer von seinem Gel-tungsbereich ausnimmt, die zu einem festgelegten Stichtag vor Abschluss des Grundsozialplans ohnezeitliche Beschränkung Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen und deren Arbeitsverhältnis allein aus diesemGrunde ruht. Die Feststellung der Betriebspartner, daß die Betriebsänderung bei diesen Arbeitnehmerntrotz des verursachten Arbeitsplatzverlustes keinen wirtschaftlichen Nachteil hervorruft, ist nicht zu bean-standen.

LAG Hamm, Urt. v. 14.04.2003 – 7 Sa 2017/02, NZA-RR 2003, 584 = ZInsO 2003, 820

Sozialplan: Überprüfung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eines Sozialplans (BAG, Bes. v. 06.05.2003 – 1ABR 11/02)

1. Für die gerichtliche Überprüfung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit eines durch Spruch der Eini-gungsstelle aufgestellten Sozialplans kommt es auf die objektiven Umstände an, wie sie im Aufstellungs-zeitpunkt tatsächlich vorlagen. Ob diese Umstände der Einigungsstelle bekannt waren oder bekannt seinkonnten, ist für die Beurteilung ohne Bedeutung.

2. Außerhalb der Insolvenz ist die Einigungsstelle nicht an abstrakte Höchstgrenzen für einzelne Abfin-dungen gebunden. Nur für Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 Abs. 3 BetrVG sieht das Gesetz einean § 10 KSchG orientierte Begrenzung der Höhe der Abfindung vor. Eine entsprechende Anwendungdieser Regelung auf Sozialplanregelungen scheidet aus.

3. Der Umfang der nach § 112 Abs. 5 S. 1 BetrVG zulässigen Belastung des Unternehmens richtet sichnach den Gegebenheiten des Einzelfalls. Der in § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG enthaltenen Grenzzie-hung ist zu entnehmen, dass das Gesetz bei einem wirtschaftlich wenig leistungsstarken Unternehmen imFalle der Entlassung eines großen Teils der Belegschaft auch einschneidende Belastungen bis an denRand der Bestandsgefährdung für vertretbar ansieht.

BAG, Bes. v. 06.05.2003 – 1 ABR 11/02, AP Nr. 161 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 8 =DB 2004, 193 = NZA 2004, 108

Sozialplan: Grundsätze der Auslegung eines Sozialplans (BAG, Urt. v. 22.07.2003 – 1 AZR 496/02)

Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge sind wegen ihres aus § 77 Abs. 4 BetrVG bzw. § 4 Abs. 1 TVG folgen-den Normcharakters wie Gesetze auszulegen. Bei der Auslegung gebührt im Zweifel derjenigen Auslegung derVorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.Auch die Feststellung, dass Wort- und Textsinn eindeutig sind und nur ein bestimmtes Verständnis zulassen, ist dasErgebnis einer Auslegung.

BAG, Urt. v. 22.07.2003 – 1 AZR 496/02, BAGReport 2003, 334 = NZA 2004, 568

Sozialplan: Unwirksamkeit einer Ausschlussklausel in einem Sozialplan (BAG, Urt. v. 22.07.2003 – 1 AZR575/02)

1. Das an die Betriebsparteien gerichtete Gebot des § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG, die Grundsätze von Rechtund Billigkeit zu beachten, gilt auch für Sozialpläne. Daraus folgt, dass ein Anspruch auf Sozialplanleis-tungen nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden darf, deren Erfüllung für den Arbeitnehmer un-zumutbar ist. Es ist zwar nicht grundsätzlich unzulässig, in einem Sozialplan Abfindungsansprüche fürdie Fälle ausschließen, in denen ein Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB auf einen Betriebs-oder Betriebsteilerwerber übergeht. Ebenso liegt es grundsätzlich i.d.R. ungsmacht der Betriebsparteien,Mitarbeiter von Sozialplanansprüchen auszunehmen, wenn diese den Übergang ihres Arbeitsverhältnissesauf einen Betriebs- oder Betriebsteilerwerber – ohne anerkennenswerten Grund – durch einen Wider-spruch verhindern.

2. Die Bestimmung in einem Sozialplan, die Ansprüche auf Abfindungen wegen Verlusts des Arbeits-platzes davon abhängig macht, dass der Arbeitnehmer wegen eines möglicherweise vorliegenden Be-

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triebsteilübergangs den vermuteten Betriebsteilerwerber erfolglos auf Feststellung des Übergangs seinesArbeitsverhältnisses verklagt hat, ist regelmäßig unwirksam.

3. § 75 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 112a Abs. 1 S. 2 BetrVG gebietet den Betriebsparteien, gekündigte Arbeit-nehmer und Arbeitnehmer, die auf Grund einer Eigenkündigung ausscheiden, dann gleich zu behandeln,wenn die Eigenkündigung vom Arbeitgeber veranlasst worden ist.

4. Eine Veranlassung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Arbeitgeber bei dem Arbeitnehmer im Hinblickauf eine konkret geplante Betriebsänderung die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, mit der eigenenInitiative komme er einer sonst notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigung seitens des Arbeit-gebers nur zuvor. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die Absicht hatte, den Arbeitneh-mer zu einer Eigenkündigung zu bewegen. Entscheidend ist vielmehr, ob die Erwartung des Arbeitneh-mers, sein Arbeitsplatz werde nach der Betriebsänderung entfallen, auf Grund eines entsprechenden Ver-haltens des Arbeitgebers bei Ausspruch der Eigenkündigung objektiv gerechtfertigt war.

BAG, Urt. v. 22.07.2003 – 1 AZR 575/02, AP Nr. 160 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 7 =AuR 2003, 478 = DB 2003, 2658

Sozialplan: Sozialplanabfindung bei Eigenkündigung – Inhaltsbestimmung entgegenstehender „zwingender"Erfordernisse (LAG Nürnberg, Urt. v. 06.08.2003 – 4 Sa 607/02)

1. Nimmt ein Sozialplan einen selbst kündigenden Arbeitnehmer von der Gewährung von Sozialplanleis-tungen aus, wenn der Eigenkündigung „Gründe zwingender Weiterbeschäftigung entgegenstehen", mußder Arbeitgeber sowohl ein fortbestehendes dringendes Beschäftigungsbedürfnis, wie auch substantiiertGründe in der Person (z.B. Qualifikation) darlegen.

2. Die Sozialplanabfindung kann vor Fälligkeit geltend gemacht werden. Eine Ablehnung vor Geltend-machung setzt die Ausschlussfrist nicht in Lauf. Die nach Geltendmachung erfolgte Nichtabrech-nung/Nichtzahlung bei der letzten Lohnzahlung stellt keine (konkludente) Ablehnung dar.

LAG Nürnberg, Urt. v. 06.08.2003 – 4 Sa 607/02, n.v.

Sozialplan: Nichtberücksichtigung von Erziehungsurlaubszeiten bei der Bemessung von Sozialplanabfin-dungen (BAG, Urt. v. 21.10.2003 – 1 AZR 407/02)

1. Nach dem Normzweck des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG dient der Sozialplan, also auch eine darin vorge-sehene Abfindung, dem Ausgleich und der Überbrückung der – künftigen – Nachteile, die durch eine ge-plante Betriebsänderung entstehen können. Trotz dieser Funktion des Sozialplans dürfen die Betriebspar-teien bei der Bemessung von Abfindungen auch auf die Beschäftigungsdauer abstellen. Der Verlust vonBesitzständen ist ein auch nach dem Ausscheiden noch fortwirkender Nachteil.

2. Wenn die Betriebsparteien bei der Höhe der Abfindung auch oder gar entscheidend auf die Dauer derBetriebszugehörigkeit abstellen, dürfen sie die Erziehungsurlaubszeiten nicht unberücksichtigt lassen. Ei-ne dem widersprechende Regelung im Sozialplan ist unwirksam. Die Herausnahme der Erziehungsur-laubszeiten widerspricht den in Art. 6 GG enthaltenen Wertungen, die nach § 75 Abs. 1 BetrVG auch vonden Betriebsparteien zu beachten sind.

3. Die Teilunwirksamkeit eines Sozialplans führt grundsätzlich nicht zu dessen Gesamtnichtigkeit. Etwasanderes gilt nur, wenn der verbleibende Teil ohne den unwirksamen Teil keine sinnvolle und in sich ge-schlossene Regelung mehr darstellt. Dies folgt aus dem Normencharakter von Betriebsvereinbarungen,der es ebenso wie bei Gesetzen und Tarifverträgen gebietet, im Interesse der Kontinuität und Rechtsbe-ständigkeit einer gesetzten Ordnung diese insoweit aufrecht zu erhalten, als sie auch ohne den unwirksa-men Teil ihre ordnende Funktion noch erfüllen kann.

4. Führt die Korrektur einzelner unwirksamer Sozialplanbestimmungen zu einer Ausdehnung des verein-barten Finanzvolumens eines Sozialplans, ist die Mehrbelastung vom Arbeitgeber hinzunehmen, solangesie im Verhältnis zum Gesamtvolumen nicht ins Gewicht fällt. Dabei kommt es nicht darauf an, wie vieleArbeitnehmer von der Korrektur betroffen sind.

BAG, Urt. v. 21.10.2003 – 1 AZR 407/02, AP Nr. 163 zu § 112 BetrVG 1972 = EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 9 =AuR 2004, 197 = BAGReport 2004, 116 = BB 2004, 722 = DB 2004, 991

Sozialplan: Wirksamer Verzicht auf einen Sozialplananspruch (BAG, Urt. v. 27.01.2004 – 1 AZR 148/03)

1. Die nach § 112 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsratszum Verzicht auf einen Anspruch aus einem Sozialplan muss sich grundsätzlich auf den einzelnen kon-kreten Verzicht beziehen.

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2. Auch bei einem individualvertraglichen Verzicht auf einen Sozialplananspruch findet das Günstig-keitsprinzip Anwendung. Der Arbeitnehmer kann auf einen Sozialplananspruch auch ohne Zustimmungdes Betriebsrats wirksam verzichten, wenn die abweichende Regelung für ihn objektiv günstiger ist. Istnicht zweifelsfrei feststellbar, dass die Abweichung für den Arbeitnehmer günstiger ist, bleibt es bei derzwingenden Geltung des Sozialplans.

3. Bei dem Günstigkeitsvergleich ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem sich der Sozialplan und dieeinzelvertragliche Abrede erstmals konkurrierend gegenüberstehen.

4. Tarifvertragliche Ausschlussfristen finden auf Sozialplanansprüche nicht tarifgebundener Arbeitneh-mer jedenfalls dann Anwendung, wenn ein Tarifvertrag einzelvertraglich insgesamt in Bezug genommenist. Ob dies auch dann gilt, wenn arbeitsvertraglich lediglich die Anwendbarkeit einer tarifvertraglichenAusschlussfrist vereinbart wird, bleibt offen.

BAG, Urt. v. 27.01.2004 – 1 AZR 148/03, EzA § 77 BetrVG 2001 Nr. 7