Hildebrandt 1937 - Friedrich Nietzsche Gedichte

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Kurt Hildebrandt (1861-1966): Nachwort zu "Friedrich Nietzsche. Gedichte" (Reclam, Leipzig, 1937).

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Friedrich Nietzsche

G E D I C H T E

Reclam, Leipzig, 1937

[Kurt Hildebrandt (1881-1966) hat die Auswahl der Gedichte vorgenommenund das Nachwort verfasst, ein Philosoph aus dem Kreise um Stefan George(1868-1933).Hildebrandt hatte schon 1933 in seiner Einleitung zu KrönersTaschenausgabe von Platons Politaia dem Nationalsozialismus einen Hauchantiker Größe anzuwehen versucht, indem er die Leser mit Ähnlichkeitender Biographien Platons und Adolf Hitlers zu überraschen vermochte.Das hier gebotene Nietzsche-Bild darf also als Zeugnis einer fraglosprofaschistischen Interpretation verstanden werden. Dennoch gerätElisabeth Förster-Nietzsches Weimarer Archiv in die Kritik. Auffällig ist diekonsequente Mythisierung: Nietzsche wird zum mythischen Heros stilisiert,der einsam mit seinem Schicksal ringt. So erscheint Nietzsches späte geistigeUmnachtung nicht als profaner Ausbruch der von ihm gefürchtetenErbkrankheit, sondern als Folge von Selbst-Vergottung, Hybris eben.][Seite 3:]

Lieder und Sinnsprüche

Takt als Anfang, Reim als EndungUnd als Seele stets Musik:Solch ein göttliches GequiekNennt man Lied. Mit kürzrer Wendung,Lied heißt: „Worte als Musik“.

Sinnspruch hat ein neu Gebiet:Er kann spotten, schwärmen, springen,niemals kann der Sinnspruch singen;Sinnspruch heißt: „Sinn ohne Lied“. –

Darf ich euch von beidem bringen?

[Seite 74:]

NachwortVon Dr. Kurt Hildebrandt

Nietzsches Seele ist, wie an anderer Stelle ausgeführt, das europäischeSchlachtfeld von Musik und Dichtung. Musik hieß den Griechen, was unsheute Dichtung heißt: das rhythmische Wort, welchem die Verlockungen

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des Tones und die Leidenschaft des Melos aufs strengste untergeordnetwaren. Gerade in der Zeit der Tragödie drückt sich das aus im Mythos vonder Unterwerfung der Flöte, die den Mund am Gesang verhindert. Die Leier,die mit ihrem dünnen Klang das Wort nicht übertönt, ist das Symbol derMusenkunst.

Nietzsche war von früher Jugend an der neuen „Musik“, der Symphonie,auf tiefste verbunden. Aber schon in der Zeit der Wagner-Freundschaftbegann er als höchste und leitende Norm des Lebens die Musik derGriechen, die Tragödie, zu erkennen, das heißt die Musik mußtezurücktreten hinter die Dichtung. Beethovens Musik hat er immer viel höhergeschätzt als die Wagners. Dennoch nennt er in der „FröhlichenWissenschaft“ seinen früheren Abgott Beethoven: „den Halbbarbarischen,Ungebändigten, Übertreibenden“, verglichen mit Goethe, „dem Adligen,Getrösteten, Billigen“. Die Musik nach Beethoven gilt ihm gesetzlos undrevolutionär.

Wenn Nietzsche in gehobener Sprache vom „Singen“ spricht, so ist damitnicht Musik im modernen Sinne[Seite 75:] gemeint, sondern die Dichtung im ewigen Sinne, das Lied, das,trotz der Herrschaft des Wortes, doch durch seinen Rhythmus den Leib zumTanzen verlockt, oder der Hymnus und Heldengesang, der die höchste Feierund Erhebung des ganzen Menschen bedeutet. Der Dichter, der wie Phidiasdas Bild des künftigen Menschen aufrichtet, ist seine höchste Idee und seineZarathustra-Dichtung, diesen „Dithyrambus“ rühmt er im „Ecce homo“nicht nur als seine höchste Tat, sondern als größte Dichtung derMenschheit. Dieser höchsten Form der Kunst hat sich aber Nietzsche dochnur in den Augenblicken seiner höchsten Steigerung genähert.

Unter den Gedichten im weiteren Sinn sind nun aber auch die„Sinnsprüche“ verstanden, die Nietzsche selbst scharf von den Liedernabgesondert als „Sinn ohne Lied“ (S. 3). Diese Sprüche, mehr ein Spiel desVerstandes als des Gefühls, hat Nietzsche gerade als Vorbereitung sowohlfür seinen dichterischen wie für seinen Prosastil geübt, sie stammendementsprechend zum größten Teil aus der Zeit der „FröhlichenWissenschaft“.

Schon daraus ist zu entnehmen, daß die dichterische Glut entfacht ist erstdurch das Zarathustra-Erlebnis: dies erst hat die „Fröhliche Wissenschaft“durchsetzt mit der Bemühung um den großen Stil, in dem Leib und Seeleeins wird, wie der Glücksrausch im Motto „Sanctus Januarius“ verheißt.

Zwar hat er schon als Knabe und als Student eine große Zahl von„Gedichten“ verfaßt, aber einen erheblichen Wert als wirkliche Dichtungenhaben sie nicht. Von ihnen ist nur „Dem unbekannten Gott“aufgenommen, das Nietzsches Sendung, der er bis zuletzt treu blieb, schonin aller Bewußtheit bezeichnet: das Suchen nach dem Gott, der demZeitalter nicht mehr bekannt ist. Erst die[Seite 76:] Jahre des Bruches mit Wagner bringen die tiefe Erschütterung,aus der Gedichte von dauerndem Werte quellen. Das eine ist „DerWanderer“. Er dichtet es an Rohde, als ihm dieser seine Verlobung meldete,und es entstammte der sicheren Ahnung, daß dieser nächste und

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wertvollste Jugendfreund schon im Begriffe stand, sich allmählich von ihmabzulösen. Das andere ist „Der Herbst“ (1877, aber 1884 in die letzte Formgebracht), ein lyrischer Ausdruck der Vereinsamung, verwandt im Tone demebenfalls aus dem Herbst 1884 stammenden „Vereinsamt“. Diese Gedichte(das letzte nach dem Zarathustra) mögen zu den schönsten ihrer Zeit, in derdas Epigonentum herrschte, gehören – den entscheidenden neuen Impuls inder lyrischen Dichtung bedeuten sie nicht: der ging eher vom „Zarathustra“aus.

Nach dem Zarathustra-Erlebnis, August 1881, wird Nietzsche triebhaftvon dem Verlangen beherrscht, sich nicht gelehrtenhaft, logisch-dozierend,gleichsam auf dem Katheder sitzend auszusprechen, sondern schreitend,tanzend, Gedanken und Leib gänzlich vereinend und zugleich ganz in dieheroische Landschaft verwoben; er verachtet jetzt alle Gedanken, die nichtwährend des Marsches gefunden werden. Er strebt zur Zarathustra-Dichtung, aber als Vorübung bringt er auch die Gedanken in metrischeForm, eine Variante der Aphorismen. So entstehen die beiden Sammlungen„Scherz, List und Rache, Vorspiel in deutschen Reimen“, das als Einleitungzur „Fröhlichen Wissenschaft“ dient und deren Spruch: „Mit den Füßenschreiben“ diese Tendenz zum Leibhaften am deutlichsten bezeichnet. Diebeiden letzten Sprüche, „Ecce homo“ und „Sternenmoral“, heben sich aberin die hohe Sphäre der Dichtung, weil Nietzsche durch die stolze Hoffnungder Zarathustra-Prophetie sein eigenes Werk verklärt sehen kann.

[Seite 77:] Die zweite Sammlung, „Die Lieder des Prinzen Vogelfrei“,entstammen erst 1882 und in noch späteren Jahren: sie wurden erst 1887der zweiten Ausgabe der „Fröhlichen Wissenschaft“ beigegeben. Siebeweisen, daß Nietzsches Gedankenreichtum weit größer ist als seinedichterische Gestaltungskraft, so beispielsweise, wenn in dem schönenGedicht „Mein Glück!“ der fast „witzige“ Einfall, den Markusturm al accentaigu zu sehen, der in ein Epigramm gepaßt hätte, die in vollen Akkordentönende Stimmung zerbricht. Das Tanzlied „An den Mistral“, 1884, ist derstärkste Ausdruck der Zarathustra-Begeisterung in Form eines metrischenGedichtes …

Nietzsche fand keinen Freund, der mit ihm zu steigen fähig war. Wie er indem Gedicht „Der Wanderer“ schon Rohdes Abfall ahnte, so ist dieEinsamkeit, in der er sich fühlt, als niemand auf den Zarathustra antwortet,ein furchtbares Erlebnis. Noch einmal sucht er die alten Freunde, vor allemalso Rohde, zu locken mit einem der schönsten Gedichte: „Nachgesang aufhohen Bergen“, ursprünglich „Einsiedlers Sehnsucht“ (1884). Aber seineEinsamkeit schien schicksal-bestimmt – und als auch die Hoffnung aufHeinrich von Stein zu trügen schien, da fügte er diesem Ruf nach Freundendie beiden entsagenden und doch wieder gewaltsam jubelnden letztenStrophen an: den tiefsten Ausdruck von Nietzsches martervoller Einsamkeit,von seiner gequälten Gewaltsamkeit, den erdachten Zarathustra zumwirklichen Freunde und Tröster zu machen.

Die Dionysos-Dithyramben sind nun der volle Ausklang dieser Einsamkeit,der bis zur Selbstzerfleischung geht. – „Dies sind die Lieder Zarathustras,

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welche er sich selber zusang, daß er seine letzte Einsamkeit ertrüge.“ Inihrer[Seite 78:] Verbindung von freiem Rhythmus und von Strophenform sind sieder individuellste Ausdruck von Nietzsches dichterischem Schaffen. Diemeisten stammen aus der Zeit um 1884, doch sind sie 1888, also in derletzten Zeit seines Schaffens überarbeitet.

Es hat nicht ausbleiben können, daß man die „Klage der Ariadne“psychoanalytisch als Bekenntnis eines erotischen Leidenschaft zu CosimaWagner, die Nietzsches Leben heimlich gelenkt habe, hat deuten wollen.Die Gleichung: Theseus=v. Bülow, Ariadne=Cosima, Dionysos=Wagner warvon Bülow selbst ausgesprochen und wurde von Nietzsche gelegentlichangewandt. Wenn Nietzsche nun selbst Dionysos wurde, so lag es nahe,seinen über Wagner errungenen Sieg in Gedanken so zu symbolisieren, daßWagner nun zu Theseus wird, Nietzsche aber Cosima=Ariadne alsSiegespreis erhält. Tatsächlich hat Nietzsche diese Symbolisierung vollzogen– nachdem die Geisteskrankheit ausgebrochen war (Vgl. [Alfred] Bäumler,Die Liebe im Leben Nietzsches. Deutscher Almanach 1931, Reclam). Darausaber auf eine wirkliche erotische Leidenschaft zu Cosima zu schließen, istverfehlt: Nietzsche, der sein Leben nach seinem eigenen Ausdruck mit einem„unerhörten Zynismus“ offengelegt hat, würde das irgendeinmal habenspüren lassen. Wenn er im „Ecce homo“ fragt: „Wer weiß außer mir, wasAriadne ist? … Von allen solchen Rätseln hatte niemand bisher die Lösung,ich zweifle, daß je jemand hier auch nur Rätsel sah“, so schließt der einfacheWortsinn doch aus, daß Nietzsche hier von einem privaten Geheimnisspricht, sondern er deutet auf eine Aufgabe, an der das Volk mitarbeitensoll! Schon die Frageform was? nicht wer? Schließt jeden Zweifel aus.

[Seite 79:] Ariadne wäre, nach dem „Ecce homo“, die „Antwort“ auf denZarathustra-Dithyrambus. – Nun ist es seltsam, daß der Ariadne-Dithyrambus in Zarathustra IV als Lied des Zauberers, also Wagners, steht,und zwar als Lied, das Zarathustra selbst erschüttert, das aber in WagnersMunde eine Unwahrheit ist. Nimmt man dazu Wagners Selbstdeutung alsLohengrin, Elsa als Seele des Volkes, so ist die befriedigendste Deutung die:das Lied der Ariadne drückt aus, was Nietzsche selbst in seiner Seele fühlt –es ist die Seele des Volkes, das Dionysos entgegenreift und ganz für ihnempfänglich wird, die Seele der Gemeinde, nach der Nietzsche sich dehnt. –

Der Gipfel dieser Dithyramben, zugleich von Nietzsches Lyrik überhaupt,sein wunderbarer Abschied ist die Dichtung: „Die Sonne sinkt“. – AlsNietzsche, in der Nacht des Geistes, aus Turin in die Heimat geleitet wurde,sang er sich selbst das vielleicht erst kürzlich entstandene Lied: „Venedig“.

Wenn uns Nietzsches lyrische Dichtung weniger als selbständiges Werkvon entscheidender Bedeutung als ein Glanzlicht der tiefsten geistigenErlebnisse des kämpfenden Philosophen scheint, so mag eine Erinnerung zuwünschen sein an das Bild, das andere Dichter von ihm selbst aufgerichtethaben. Die wissenschaftliche Forschung muß streiten über den Sinn seiner

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Lehre, über den Wert seiner Erkenntnisse: das Bild aber, das bleibt und imVolke wirkt, stiftet – mit Hölderlin zu reden – der Dichter.

Anfangs hat man in Nietzsche einen Verkünder der Zügellosigkeit undniederer Ichsucht hassen oder gar lieben zu dürfen geglaubt; dann, als dieSchönheit und Wucht seines Stiles tiefer in die Herzen drang, fand man[Seite 80:] in ihm vor allem die Reizungen der Romantik; erst allmählicherwuchs das Verständnis und die Liebe für den Denker und Kämpfer, der dieVerachtung bequemen Genießens, die Ausstoßung alles Morschen undSchwachen, die Verehrung eines heroischen Lebensgefühles fordert.

Es konnte bei der wachsenden Kenntnis des gewaltigen Werkes nichtausbleiben, daß über die Verwaltung dieses kostbaren Gutes der Nationdurch die Erben des Nachlasses, die ihren persönlichen Geschmack bei derAusübung ihres Amtes nicht ganz auszuschalten vermochten, im Streit derGeister die Gegensätze zum Ausdruck kamen. Dabei ist aber der Blick vonder Hauptsache abgelenkt worden. Denn wenn es auch für den ernstenNietzsche-Forscher schmerzlich sein muß, daß ihm der Nachlaß nichtvollständig vorgelegt wird, so muß man doch gestehen, dieser Nachlaß sei ineiner so weiten Auswahl der Öffentlichkeit unterbreitet, daß die völligeVerarbeitung dieser Gedankenfülle fast Menschenkraft übersteigt. Auch diebesonderen, in letzter Zeit von eifrigen Gegnern der Erben „entdeckten“Tendenzen waren dem Kenner der bisherigen Veröffentlichungen längstbekannt. Aber nicht das ist die Frage, die das Schicksal der Nation betrifft.Wir fragen, ob jene Erben in ihrer Propaganda-Arbeit noch von NietzschesGeist geleitet sind, ob sie imstande sind, zu fassen, was einer stürmischenJugend diese mythische Gestalt bedeutet. Sie suchen nach vielen SeitenAnknüpfungen, auch solche, die Nietzsche mit Verachtung abgelehnt hätte;und wenn man ihren guten Willen nicht bestreiten wird, so wird manvielleicht fragen, ob sie nicht zuviel von dem guten Willen haben, die hartenLinien des einsamsten Kämpfers zu verwischen und ihn dem Geschmackeiner breiten bürgerlichen Menge anzupassen. Wohl erkannten diese Erben,daß Nietzsches Lehre vom „Willen [Seite 81:] zur Macht“ der Gesundung der Nation, selbst im militärischenSinne, dienlich sein kann; aber seine umstürzende Erkenntnis, daß es nichtauf die Summe der Meinungen, die Vielfältigkeit des Wissens, sondern aufdie Leidenschaft des Blutes, den leiblichen Instinkt des Herrschensankomme, hat sie nicht geleitet, und der heroische Ton: „Mit einemHundert solcher unmodern erzogener, das heißt reif gewordener und an dasHeroische gewöhnter Menschen ist jetzt die ganze lärmende Afterbildungdieser Zeit zum ewigen Schweigen zu kriegen“ hat in ihren Ohren nichtnachgeklungen …

Fast unlösbar schien die Aufgabe der Lyrik, den Kern dieses weitenErscheinungsbereichs „Nietzsche“ in ein Gebilde von wenigen Strophen zuhämmern, nicht etwa das Mythisch-Wirkliche, wie es erkannt war,zusammenzufassen, sondern es erstmalig zu sehen, sichtbar zu machen.

Ein Gedicht der frühen Zeit wird gerade dies Ringen um das unerreichteZiel schön verdeutlichen. Dem geistig hellen und empfänglichen Dichter, dertief ergriffen war von den Schönheiten des Werkes, der aber doch nicht

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Kraft hat, sich selbst noch zu wandeln, der die eiserne Notwendigkeit derZeit umgehen zu können vermeinte, mußte Nietzsches Anspruch auf dieEinleitung eines neuen Weltalters wohl erschüttern, aber zugleichbeängstigen und unsicher machen. Ihm fehlte das Vertrauen zu einerwirklich umschmelzenden, neugestaltenden Kraft der Gegenwart, dieNietzsche unter dem Namen Dionysos beschwor. Nietzsches Angriff auf daschristliche Weltalter, sein heroischer Ruf war dem weichenden Dichter, demHolländer Verwey, zu schmerzlich, und er versuchte in seinem Gedicht „AnFriedrich Nietzsche“ eine Vermittlung zwischen der wahllosen All-Liebe desspätesten Christentums und Nietzsches Pathos der Distanz:[Seite 82:]

Du warst das leiden das den lebenshungerDoch nicht verlernt, suchtest ob Frau Freund JungerOb einer dich ansäh als solchen heldenDoch keinen fandst du deine kunft zu melden.

Dann wurdest dus, kreuzmann und freudenreicherO antichrist … bereit zu immer gleicherRückkehr leidvollen lebens … frohe märDie Zarathustra bringt dem irdischen heer.

Dann fand man dich. Da hüllten dich die zwergeAls priester in ein weiß gewand. Zum bergeSahst du hinan aus deinem wahnsinns-talUnd antwort kam und klang dir allzumal:

„Dionysos der du aus dunklen brutenEntstiegst und bleibst in sommerhellen glutenDir selber gleich – du Herrscher trotz ApollMach uns mit deinem blut und wunder voll.

Wille der macht gewann wo er sonst niemandWar als sich selbst: wir setzen auf dein bannerDen Aar, den könig jeden dings das fleucht,Der Schlange, wisserin jeden dings das keucht.

Hasser des mitleids, mann und stock der frauenUnd meister deiner selbst, auf den zu bauenEin höher Sein als auf ein fundamentDu jeden hast berufen der dich kennt.

Wesen das nochmals sei, Tänzer mit erden!Wir wollen mit dir ein paar ein ewiges werdenWir wollen dein sein deiner gluten vollWir wollen sein wie du bist trotz Apoll.“

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[Seite 83:]Der sang klang aus da traten durch das düsterDie zwei gestalten hell durch eignen lüster:Der Lichtgott der den dreiklang herrlich strich,Der Christus, rot von speer- und nagelstich.

Der eine sagte: Darstellung des gleichenDas ist mein traum, von mir dem gnadenreichenAllzeit ins endlos ungleiche geschwirrtDas durch den traum allein beseligt wird.

Der andre sprach: Liebhaben trotz der wundenNicht sich, nein jeden – das hab ich erfundenAls so allmenschlich grosse seligkeitDass ichs euch wünsch – ihr der mein bruder seid.

Das dunkel kam, auf dich der einsam sass.Gewann Apollo? Christus? und das maassVon gut und bös regte sich bangensvollIn dir. Du starbst sacht und verlangensvoll.

Das Erstaunliche in Nietzsches Schicksal, die geistige Umnachtung in demAugenblicke, als er am Ufer des Po wandelnd sich selbst vergottete, so daßalle ursächliche Erklärung den Eindruck der Götter-Rache für seine Hybrisnicht verdecken kann, daß er selbst wissentlich dies Schicksal herausforderte– diese tragische Katastrophe der Hybris hat Friedrich Wolters in seineDichtung „Der Wanderer“ (im VIII. Gedicht) in ihrem mythischen Gehaltgeformt.

Alle noch so belehrenden Prosa-Darstellungen sind nicht imstande, dieewige Gestalt des heroischen Mannes plastisch zu formen: das bleibt dasVorrecht des Dichters. Dennoch gibt es nur ein Gedicht, das NietzschesWesen und [Seite 84:] Schicksal, seine furchtbare, durch das notwendige Walten deszerstörerischen Triebes bewirkte Einsamkeit, seine vergebliche Sehnsuchtnach höchster Dichtung ganz durchleuchtet und umgriffen hat: das Gedicht„Nietzsche“ im „Siebenten Ring“ Stefan Georges.

NIETZSCHE

Schwergelbe wolken ziehen übern hügelUnd kühle stürme – halb des herbstes botenHalb frühen frühlings ... Also diese mauerUmschloss den Donnerer – ihn der einzig warVon tausenden aus rauch und staub um ihn?Hier sandte er auf flaches mittellandUnd tote stadt die letzten stumpfen blitzeUnd ging aus langer nacht zur nächsten nacht.

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Blöd trabt die menge drunten ∙ scheucht sie nicht!Was wäre stich der qualle ∙ schnitt dem kraut!Noch eine weile walte fromme stilleUnd das getier das ihn mit lob beflecktUnd sich im moderdunste weiter mästetDer ihn erwürgen half sei erst verendet!Dann aber stehst du strahlend vor den zeitenWie andre führer mit der blutigen krone.

Erlöser du! selbst der unseligste –Beladen mit der wucht von welchen losenHast du der sehnsucht land nie lächeln sehn?Erschufst du götter nur um sie zu stürzenNie einer rast und eines baues froh?Du hast das nächste in dir selbst getötetUm neu begehrend dann ihm nachzuzitternUnd aufzuschrein im schmerz der einsamkeit.

Der kam zu spät der flehend zu dir sagte:Dort ist kein weg mehr über eisige felsenUnd horste grauser vögel – nun ist not:Sich bannen in den kreis den liebe schliesst ..Und wenn die strenge und gequälte stimmeDann wie ein loblied tönt in blaue nachtUnd helle flut – so klagt: sie hätte singenNicht reden sollen diese neue seele!