Hindenburg: Bochums Ehrenbürger Neben Dortmund und...

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38 Hindenburg: Bochums Ehrenbürger Neben Dortmund und Duisburg übertrug 1917 auch die Bochumer Stadtverordneten-Versammlung Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerschaft, die bis heute nicht aberkannt wurde. 64 War die Protestbewegung bis 1917 Ausdruck der sozialen Unzufriedenheit und vielfach „in ihrer politischen Zielset- zung noch begrenzt”, entwickelte sich im Januar 1918 ei- ne Streikbewegung, an der sich über eine Million Arbeite- rinnen und Arbeiter in ganz Deutschland beteiligten, die zum Ausdruck der Opposition gegen den Krieg und die bestehenden Verhältnisse wurde. 65 In großem Umfang for- derten die Januarstreiks jetzt auch ganz offen ein Ende des Krieges. Die „Kriegshetzer” und „Kriegsverlängerer wur- den gebrandmarkt”, wie der Historiker der Schwerindust- rie, Hans Spethmann, schrieb. 66 Der Widerspruch zwi- schen Kriegspropaganda und den Berichten von Frontsol- daten oder den Verletzten oder Verstümmelten aus den Lazaretten, die in Schulen und Saalbauten eingerichtet wa- ren, wurde immer offensichtlicher. Aus den Kriegsgebieten, vor allem im Osten, waren viele Flüchtlinge in den Städten nur notdürftig untergebracht. Auch die städtischen und betrieblichen Schutzmaßnamen gegen Fliegerangriffe trugen zur Verunsicherung bei. Die Zusammenarbeit mit Kriegsgefangenen aus Frankreich, Belgien, Russland und anderen Ländern zerstörte zudem 64 Gleising, Günter, Paul von Hindenburg ist bis heute Bochums Ehren- bürger, in: ABB Nr. 2/2013, S. 6 65 Klönne, S. 146 66 Spethmann; S. 52

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Hindenburg: Bochums Ehrenbürger Neben Dortmund und Duisburg übertrug 1917 auch die Bochumer Stadtverordneten-Versammlung Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerschaft, die bis heute nicht aberkannt wurde.64

War die Protestbewegung bis 1917 Ausdruck der sozialen Unzufriedenheit und vielfach „in ihrer politischen Zielset-zung noch begrenzt”, entwickelte sich im Januar 1918 ei-ne Streikbewegung, an der sich über eine Million Arbeite-rinnen und Arbeiter in ganz Deutschland beteiligten, die zum Ausdruck der Opposition gegen den Krieg und die bestehenden Verhältnisse wurde.65 In großem Umfang for-derten die Januarstreiks jetzt auch ganz offen ein Ende des Krieges. Die „Kriegshetzer” und „Kriegsverlängerer wur-den gebrandmarkt”, wie der Historiker der Schwerindust-rie, Hans Spethmann, schrieb.66 Der Widerspruch zwi-schen Kriegspropaganda und den Berichten von Frontsol-daten oder den Verletzten oder Verstümmelten aus den Lazaretten, die in Schulen und Saalbauten eingerichtet wa-ren, wurde immer offensichtlicher. Aus den Kriegsgebieten, vor allem im Osten, waren viele Flüchtlinge in den Städten nur notdürftig untergebracht. Auch die städtischen und betrieblichen Schutzmaßnamen gegen Fliegerangriffe trugen zur Verunsicherung bei. Die Zusammenarbeit mit Kriegsgefangenen aus Frankreich, Belgien, Russland und anderen Ländern zerstörte zudem

64 Gleising, Günter, Paul von Hindenburg ist bis heute Bochums Ehren-

bürger, in: ABB Nr. 2/2013, S. 6 65 Klönne, S. 146 66 Spethmann; S. 52

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in weiteren Teilen der Belegschaften der Betriebe und Schachtanlagen das Feindbild.67 An den Januarstreiks 1918 beteiligten sich aus dem Bo-chumer Raum vor allem Bergarbeiter der Zechen Lothrin-gen 1/2 und 4, Bruchstraße, Constantin 8/9 und Präsident, aus Wattenscheid die Schachtanlage Centrum 4/6. Die Streiks trugen „in aller Offenheit ein ausgesprochen politi-sches Gesicht” und waren durch eine „Flugblattoffensive” meist in den Waschkauen eingeleitet worden. In den Flug-blättern wurden jetzt auch Verbindungen zu den Kamera-den gezogen, die zum Kriegsdienst eingezogen waren. So heißt es in einem der Flugblätter, das zum „Generalstreik für Frieden, Freiheit und Brot” aufrief: „Auch unsere Brü-der im Schützengraben draußen wollen nicht mehr länger Blut und Leben lassen für wahnsinnige Eroberungsziele. Sie rufen uns zu, erlöst uns aus diesen Martergruben, die man Schützengräben nennt.”68

67 Spethmann, S. 52. Evangelische Kirchengemeinde Bochum-Werne: 100

Jahre Evangelische Kirche Bochum-Werne (Festschrift), Bochum Okto-ber 1996, S. 43. Brinkmann, S. 226. Blank, Ralf: Strategischer Luftkrieg gegen Deutschland 1914-1918, in: www.erster-Weltkrieg.clio-on-line.de/Rainbow/.../Luftkrieg1914-1918 (28.8.2014). Essen, Hagen und Dortmund waren Ziel von Bombenangriffen der Alliierten. Bochum und Wattenscheid nicht, obwohl Bochum zu den rüstungswirtschaftlich wichtigen Industriestädten gezählt wurde. Im Luftkrieg des 1. Weltkrie-ges starben insgesamt 700 deutsche und 1.400 englische Zivilisten, so-wie mehrere Hundert in weiteren Ländern.

68 Spethmann, S. 52 -55; Überhorst, S. 65

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Wattenscheider Zeitung vom 05. Februar 1918

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Der vergessene Aufstand: Januarstreik 1918 Der Januarstreik 1918 war ein zentrales Ereignis des Ersten Weltkrieges – und ist doch mittlerweile völlig vergessen. Dabei galt er einst – nach einer Formulie-rung des Historikers Arthur Rosenberg – als „General-probe für die Novemberrevolution”. Allein schon die Dimensionen dieses Aufstands bleiben erstaunlich: Über eine Million Rüstungsarbeiter und -arbeiterinnen legten in den Industriestädten des Kaiserreichs die Ar-beit nieder.69

Die von der Regierung verfügte Herabsetzung der Brotra-tionen am 16. Juni 1918 verstärkte den Hunger, die Not und das Elend ein weiteres Mal. Die Folge waren die Au-guststreiks im ganzen Land. Allein im Ruhrgebiet nahmen insgesamt über 60.000 Bergarbeiter aus 24 Schachtanla-gen daran teil. Unter ihnen waren die Zechen Centrum 3/4 in Wattenscheid und Dahlhauser Tiefbau. Neben der For-derung nach „Brot, Friede und Freiheit” riefen die Strei-kenden auch zur „Solidarität mit den Gemaßregelten” auf.70 In Berlin streikten 55.000 Metallarbeiter. „Nicht die schlechte Ernährungslage, nicht die schlechten Arbeitsbe-dingungen standen im Mittelpunkt des ersten Massen-streiks, sondern die Parole ‘Freiheit für Liebknecht! Nie-der mit dem Krieg!’, schreibt Arno Klönne in seinem Buch zur Geschichte der Arbeiterbewegung.71

69 RuhrEcho Archiv: Deutschlandfunk – Dossier: Der vergessene Auf-

stand: Januarstreik 1918, Beitrag vom 18.01.2008 70 Merker, S. 199. Spethmann, S. 66 -68. Ueberhorst, S. 65 71 Klönne, S. 144

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Ohne die traditionellen Organisationen der Gewerkschaf-ten, der SPD und dem Zentrum wurden mit den revolutio-nären Obleuten und Arbeiterräten in den Betrieben eigene Organisationsstrukturen und -formen geschaffen. Der Ein-

Die Streikzechen Dahlhauser Tiefbau (1916) und Centrum (1920)

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fluss dieser von großen Teilen der Belegschaften getrage-nen Arbeitervertreter auf die Politik wuchs stetig, während die Gewerkschaften und die SPD ihren Einfluss einbüß-ten. Ausdruck dessen war auf der politischen Bühne die Gründung der Spartakusgruppe um Liebknecht, Luxem-burg und Zetkin und der USPD. Der Krieg dauerte bereits dreieinhalb Jahre, ein Ende und ein Friedensschluss waren nicht in Sicht. Die Lebensbe-dingungen verschlechterten sich immer mehr. So förderte die russische Oktoberrevolution, die Massenstreiks in Ös-terreich und anderen Ländern und die sich ausbreitende Unruhe und Rebellion von Soldaten und Matrosen im Mi-litär die Bereitschaft von Arbeiterinnen und Arbeitern und zunehmend auch von Soldaten für einen sofortigen Frie-densschluss und den Umsturz der gesellschaftlichen Ver-hältnisse einzutreten. Mit brutaler Polizeigewalt, der Ver-hängung von Belagerungszuständen und Verhaftungen konnten die monarchistische Obrigkeit und das Militär die Dinge aber nur noch verzögern. Ende 1918 brachten die Massen mit der Novemberrevolution das politische und militärische Gefüge zum Einsturz. Der Kaiser musste ab-danken, das Militär wurde zur Kapitulation gezwungen. Aus der deutschen Monarchie wurde eine Republik.