„Hindenburg war eine Katastrophe“€¦ · Hindenburg (1847 bis 1934) nicht rück gängig machen...

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KOMMENTAR Gedenkstele für Matthias Erzberger vor Amts- und Landgericht in der Hindenburgstraße 5. Die Einweihung stieß auf starkes Publikumsinteresse. „Hindenburg war eine KatastropheEinweihung der Gedenktafel für Matthias Erzberger als Opfer der von Paul von Hindenburg feige verbreiteten Dolchstoßlegende Von Ralf Burgmaier OFFENBURG. Mit eitler hervorragend informativen und die Zuhörer auch be- troffen machenden Veranstaltung ist Matthias Erzberger in Offenburg end- lich etwas Gerechtigkeit widerfahren. Für den 1921 bei Bad Griesbach von rechtsextremen Terroristen ermorde- ten Reichsfinanzminister jetzt eine Ge- denkstele vor dem Landgericht in der Hindenburgstraße enthüllt. Zugleich wird jetzt auf Hindenburgs geistiges Brandstiftertum für diesen politischen Mord hingewiesen. Warum gab es das nicht früher? Die Veranstaltung vor und im Landgericht war von so hohem Informationsgehalt, dass man sich als Beobachter des Willens- bildungsprozesses um die Frage, ob man die Straßenbenennung nach Paul von Hindenburg (1847 bis 1934) nicht rück- gängig machen müsste, fragte, warum es eine Veranstaltung von gleicher Güte nicht vor der Entscheidung des Offenbur- ger Gemeinderats gegeben hat. Gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom April 2019 sollte die Hindenburg- straße nicht umbenannt, sondern Hin- denburgs Rolle als einer der Totengräber der Weimarer Demokratie vor Ort doku- mentiert werden. Reichsfinanzminister Matthias Erzberger (1875 bis 1921), für dessen Ermordung Hindenburg ein hohes Maß an Mitverantwortung trägt, sollte auf Vorschlag des Grünen-Fraktionsvorsit- zenden Ingo Eisenbeiß laut Gemeinde- ratsbeschluss durch eine Tafel vor dem Landgericht in der Hindenburgstraße quasi als ein Märtyrer der ersten deut- schen Demokratie gewürdigt werden. OB Steffens würdigt Erzberger Am Donnerstagabend war es nun so weit. Oberbürgermeister Marco Steffens erläu- terte auf den Stufen des Landgerichts im Angesicht der neuen Erzberger-Stehle vor rund 200 Gästen den städtischen Ent- scheidungsprozess, der 2015 begonnen hatte. Bei der Überprüfung Offenburger Straßennamen nach NS-belasteten Per- sönlichkeiten durch Wolfgang Gail, Chef von Stadtarchiv und Stadtmuseum im Rit- terhaus, sei Hindenburg als „schwer be- lastetins Visier geraten. Die neuere Ge- schichtsforschung habe zu Tage geför- dert, dass er ultrakonservativ, monarchis- üsch und sicher kein Demokrat gewesen sei. Ausgerechnet so einer saß seit 1925 als Reichspräsident an den wichtigsten Schalthebeln der Weimarer Demokratie. Seine Macht habe er dazu benutzt, um am Parlament vorbei zu regieren. Am Ende habe er Hitler zur Macht verhelfen, mit dem ihn die gemeinsame Idee einer auto- ritär geführten Volksgemeinschaft ver- bunden habe. Ebenfalls auf Hindenburgs Kerbholz gehe 1933 die Amnestie für die Mörder Erzbergers. Steffens dankte dem Hausherrn, Land- gerichtspräsident Christoph Reichert, für die sehr gute Zusammenarbeit in dieser Sache und betonte, wie wichtig für eine Demokratie die Unabhängigkeit der Justiz sei. In autoritären Staaten werde sie ger- ne politischen Interessen untergeordnet. Das zeigten Beispiele aus der europäi- schen Nachbarschaft, so Steffens. Der OB beglückwünschte Gail, dessen Straßennamencheck von anderen Städ- ten übernommen worden sei, und er dankte der aus Offenburg stammende Ho- locaust-Überlebenden Eva Mendelsson, dass sie hoch betagt erneut den Kraftakt auf sich genommen habe, in ihrer alten Heimatstadt Zeugnis abzulegen. Hindenburg unter Anklage Anschließend ging es in Saal 2 des Land- gerichts, wo sonst gegen Kapitalverbre- cher verhandelt wird. Kein falscher Ort, um über Hindenburg zu sprechen. Unter der Leitung der städtischen Kulturfachbe- reichsleiterin Carmen Lötsch diskutierte eine berufene Runde den Fall Hinden- Burg. Der Freiburger Historiker Heinrich Schwendemann erklärte noch einmal die Anklagepunkte: Hindenburgs Popularität habe auf zwei 1914 und 1915 gewonnen Schlachten im Ersten Weltkrieg gegen das russische Heer („Held von Tannenberg) beruht. Allerdings sei General Ludendorff der eigentliche Stratege gewesen. Als Chef der Obersten Heeresleitung (OHL) ab 1916, habe Hindenburg der deutschen Bevölkerung die totale Mobilisierung zu- gemutet. Für die Entbehrungen würde sie durch einen Siegfrieden entschädigt wer- den. „1918 war die Bevölkerung dann ausgepowert, so Schwendemann. Durch den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der auch Angriffe auf zivile Schiffe einbezog, habe der OHL-Chef die USA zum Kriegs- eintritt gebracht, was letztlich die Kriegs- niederlage des Kaiserreichs mitverur- sachte. Und dann sei das laut Schwende- mann „Ungeheuerlichegeschehen: „Die obersten Militärs fliehen aus der Verantwortung für die Kriegsniederlage und schieben sie Politkern wie Matthias Erzberger zu: die berüchtigte Dolchstoß- legende, deren prominentester Verbrei- ter Hindenburg war, und die Erzberger so- wie auch Außenminister Walther Rathe- nau letztlich das Leben kostete. Ein Held des Parlamentarismus Christopher Dowe, Erzberger-Spezialist vom Haus der Geschichte in Stuttgart, er- klärte wie der katholische Zentrumspoli- tiker Erzberger schon 1917 sich in Kon- flikt mit dem OHL-Chef brachte. Mitten im Krieg habe der die Machtfrage gestellt, indem er das Parlament über die Kriegs- ziele mitentscheiden lassen wollte. Außenpolitik war bis dahin kein Thema des Parlaments. Nach der Kriegsniederla- ge habe er als Reichsfinanzminister die zerrütteten Staatsfinanzen dadurch sanie- ren wollen, dass er Großgrundbesitzer und Großindustrielle, die sich am Krieg bereichert hatten, stärker besteuern woll- te. Das habe ihn bei den Rechten zur Hassfigur der Demokratie gemacht, deren Hetze ihm schließlich die beiden Mörder Tillessen und Schulz von der Terrorver- einigung Organisation Consul schickte. Ein Offenburger Justizskandal Landgerichtspräsident Christoph Rei- chert schilderte die unrühmliche Rolle, die das Landgericht Offenburg in der Strafverfolgung der Täter spielte, in des- sen Zuständigkeit die Tat vom 25. August 1921 Bad Griesbach fiel. Die nach Bayern geflohenen Täter seien schnell ermittelt gewesen. Doch die bayerschen Ermitt- lungsbehörden hätten die badischen zu- nächst ausgebremst und so die Flucht der Täter nach Ungarn ermöglicht. 1933 ha- be Hindenburg nach der Machtübernah- me der Nazis unter anderem diese Mör- der von Strafverfolgung frei gestellt, de- ren Tat „zur Erhebung des Nationalengedient habe, zitierte Reichert die unge- heuerliche Begründung. Nach 1 $45 habe das Landgericht Offenburg unter Hinweis auf diese Straffreiheitsverordnung das Verfahren eingestellt. Erst als die Besat- zungsbehörden intervenierten, wurden die Täter verurteilt. Hindenburgs Griff in die Staatskasse Als Hindenburg 1925 zum Reichspräsi- denten gewählt wurde, führte Schwende- mann aus, habe er das mächtige Staatsamt zum Angriff auf die parlamentarische De- mokratie genutzt, indem er mit dem Not- standsparagrafen am Parlament vorbeire- giert und die Gewaltenteilung damit auf- gehoben habe. „Er hat seine Macht ge- nutzt, um die Uhren auf die Zeit vor 1914 zurückzustellen.Unter Reichskanzler von Papen habe es eine Regierung aus- schließlich aus Aristokraten gegeben, die, um sich eine Machtbasis zu schaffen, mit der NSDAP paktiert habe. Als diese Regie- rung scheiterte, stand dem Griff der Nazis zur Macht nur noch der letzte Reichs- kanzler der Weimarer Republik Kurt von Schleicher im Weg. Und Hindenburg ha- be, so Schwendemann, Schleicher nach nur wenigen Wochen im Amt fallen gelas- sen. Denn dieser habe sich gegen die so- genannte Osthilfe gesperrt. Mitten in der Weltwirtschaftskrise mit Massenarbeits- losigkeit, Hunger und Verzweiflung, soll- ten die ostelbischen Großgrundbesitzer, zu denen auch Hindenburg zählte, mit einem Griff in die Staatskasse unterstützt werden. Schleicher habe sich dagegen ge- sperrt und sei deshalb von Hindenburg abserviert worden. Der Weg für Hitler war frei. Schwendemanns Fazit: „Hitler war eine Katastrophe für die Geschichte des 20. Jahrhunderts, um dann überra- schend das leicht absurde Argument hin- zuzufügen: „Aber um in Offenburg den Straßennamen zu ändern, dafür ist er zu bekannt.Berlin ist nicht Weimar? Wolfgang Gail erklärte, wie er sich vom Befürworter einer Umbenennen zum Ver- teidiger der Beibehaltung gewandelt ha- be: In Städten die umbenannt hätten, ha- be es keine Diskussion gegeben. Anders in Städten, die beibehalten hätten. In Bad Tölz etwa gebe es heute als Ergebnis die- ser Diskussion ein Hindenburg-Informati- onszentrum. In Offenburg sei durch den QR-Code am Straßenschild auch eine ver- tiefte Hindenburg-Information erhältlich. Zur Frage von Carmen Lötsch, ob es wie- der Weimarer Verhältnisse geben könnte, äußerten die Diskussionsteilnehmer Ver- trauen in die gefestigte Demokratie und ihre Institutionen. Nur Wolfgang Gail er- klärte besorgt, durch seine Forschungen zu den Anfänge des Nationalsozialismus in Offenburg heute ähnliche Strukturen wiederzuerkennen. Kommentar Anschließend ging es im Saal 2 des Landgerichts um Hindenburg, Erzbergerund die Frage, ob Weimarer Verhältnis- se heute wieder möglich wären. Rechts das Hindenburgstraßenschild mit dem neuen Zusatz und dem QR-Code, überden weitere Informationen zu Hindenburg zugänglich sind. fotos: half burgmaier Hindenburgstraße Information kommt zu spät Von Ralf Burgmaier „Hindenburg war eine Katastrophe für die Geschichte des 20. Jahrhunderts.Punkt. Die Veranstal- tung am Donnerstag- abend zeigte das mit erschütternder Wucht. Dass die Rednerinnen und Redner trotzdem irgendwie die Kurve zur Offenburger Gemeinderatsentschei- dung kriegen mussten, Hindenburg die Ehre der Offenburger Straßenbe- nennung zu belassen, konnte nicht überzeugen. Man könne durch das Beibehalten des Straßennamens und die damit verbundenen Diskussionen so viel über die Geschichte lernen? Mit demselben Argument könnte auch jemand beantragen, die Hauptstraße wieder in Adolf Hitler-Straße zurück zu benennen. Was hätten wir für tolle Diskussionen!? Aus gutem Grund hat kein Redner an dem Abend den sonst wie eine Monstranz vor sich herge- tragenen Anspruch Offenburgs er- wähnt, Freiheitsstadt sein zu wollen. Er passt nicht zu dieser Entscheidung. Das einzig Gute an der jetzt gefundenen Lösung ist, dass der Täter-Opfer-Zu- sammenhang zwischen Hindenburg und Erzberger hergestellt ist. Walther Rathenau, ebenfalls ein Opfer von Hin- denburgs Dolchstoßlegende und in Offenburg früher ebenfalls wie Erz- berger mit einem Straßennamen geehrt, der von den Nazis abgeschafft wurde, bleibt die Rehabilitation weiterhin versagt. Das Bedauerliche an der Ver- anstaltung vor und im Landgericht ist, dass sie viel klarer Hindenburgs nie- derträchtiges Intrigieren gegen die erste Demokratie auf deutschem Boden he- rausarbeitete als die öffentliche Infor- mationsveranstaltung im Vorfeld der Gemeinderatsentscheidung. [email protected] Neue Messe zu Nachhaltigkeit „Mach miterstmals im Herbst OFFENBURG (BZ). Im Portfolio der Mes- se Offenburg gibt es eine Neuheit: Zum ersten Mal startet die Messe „Mach mitam 24. und 25. Oktober am Offenburger Messeplatz. Sie basiert auf dem wachsen- den Umweltbewusstsein in der Bevölke- rung und thematisiert die Nachhaltigkeit. Der Grundgedanke der neuen Messe ist es laut Messe-Bereichsleiterin Tanja Hart- mann, seine eigenen verschiedenen Le- bensbereiche zu durchleuchten und selbst zu entscheiden, was machbar ist. Der Besucher könne auf der „Mach mitvon bewusster und ökologischer Ernäh- rung, nachhaltiger Mode und Naturkos- metik bis hin zu Upcycling, ökologischer Bauweise und Wohnformen sowie alter- nativen Energien seine eigene nachhalti- ge Welt gestalten. Neben der Ausstellung biete die neue Messe den Besuchern ein umfangreiches Rahmenprogramm mit verschiedenen Workshops und Vorträgen. Das Mitma- chen werde auf der Messe buchstäblich groß geschrieben, sei es im direkten Aus- tausch mit Ausstellern, Referenten, Vor- reitem oder Anbietern. „Es beginnt bei den kleinen Dingen im Leben. Im Vorder- grund steht dabei der Gedanke, dass jeder seinen Teil beitragen kann, unter- streicht Bereichsleiterin Tanja Hartmann die Bedeutung des Leitmotivs. Der Vorverkauf der Messe ist gestartet. Besucher erhalten das Ticket bis zum 23. Oktober für 6 Euro. An der Tageskasse kostet es 8 Euro. Die Eintrittskarte ist unter www.mach-mit-messe.de,sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen buchbar. Wei- tere Informationen sind unter www.mach- mit-messe.de erhältlich.

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KOMMENTAR

Gedenkstele für Matthias Erzberger vor Amts- und Landgericht in der Hindenburgstraße 5. Die Einweihung stieß auf starkes Publikumsinteresse.

„Hindenburg war eine Katastrophe“Einweihung der Gedenktafel für Matthias Erzberger als Opfer der von Paul von Hindenburg feige verbreiteten Dolchstoßlegende

Von Ralf Burgmaier

OFFENBURG. Mit eitler hervorragend informativen und die Zuhörer auch be­troffen machenden Veranstaltung ist Matthias Erzberger in Offenburg end­lich etwas Gerechtigkeit widerfahren. Für den 1921 bei Bad Griesbach von rechtsextremen Terroristen ermorde­ten Reichsfinanzminister jetzt eine Ge­denkstele vor dem Landgericht in der Hindenburgstraße enthüllt. Zugleich wird jetzt auf Hindenburgs geistiges Brandstiftertum für diesen politischen Mord hingewiesen.

Warum gab es das nicht früher?Die Veranstaltung vor und im Landgericht war von so hohem Informationsgehalt, dass man sich als Beobachter des Willens­bildungsprozesses um die Frage, ob man die Straßenbenennung nach Paul von Hindenburg (1847 bis 1934) nicht rück­gängig machen müsste, fragte, warum es eine Veranstaltung von gleicher Güte nicht vor der Entscheidung des Offenbur­ger Gemeinderats gegeben hat.

Gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom April 2019 sollte die Hindenburg- straße nicht umbenannt, sondern Hin­denburgs Rolle als einer der Totengräber der Weimarer Demokratie vor Ort doku­mentiert werden. Reichsfinanzminister Matthias Erzberger (1875 bis 1921), für dessen Ermordung Hindenburg ein hohes Maß an Mitverantwortung trägt, sollte auf Vorschlag des Grünen-Fraktionsvorsit- zenden Ingo Eisenbeiß laut Gemeinde­ratsbeschluss durch eine Tafel vor dem Landgericht in der Hindenburgstraße quasi als ein Märtyrer der ersten deut­schen Demokratie gewürdigt werden.

OB Steffens würdigt ErzbergerAm Donnerstagabend war es nun so weit. Oberbürgermeister Marco Steffens erläu­terte auf den Stufen des Landgerichts im Angesicht der neuen Erzberger-Stehle vor rund 200 Gästen den städtischen Ent­scheidungsprozess, der 2015 begonnen hatte. Bei der Überprüfung Offenburger Straßennamen nach NS-belasteten Per­sönlichkeiten durch Wolfgang Gail, Chef von Stadtarchiv und Stadtmuseum im Rit­terhaus, sei Hindenburg als „schwer be­lastet“ ins Visier geraten. Die neuere Ge­schichtsforschung habe zu Tage geför­dert, dass er ultrakonservativ, monarchis- üsch und sicher kein Demokrat gewesen sei. Ausgerechnet so einer saß seit 1925 als Reichspräsident an den wichtigsten Schalthebeln der Weimarer Demokratie. Seine Macht habe er dazu benutzt, um am Parlament vorbei zu regieren. Am Ende habe er Hitler zur Macht verhelfen, mit dem ihn die gemeinsame Idee einer auto­ritär geführten Volksgemeinschaft ver­bunden habe. Ebenfalls auf Hindenburgs Kerbholz gehe 1933 die Amnestie für die Mörder Erzbergers.

Steffens dankte dem Hausherrn, Land­gerichtspräsident Christoph Reichert, für die sehr gute Zusammenarbeit in dieser

Sache und betonte, wie wichtig für eine Demokratie die Unabhängigkeit der Justiz sei. In autoritären Staaten werde sie ger­ne politischen Interessen untergeordnet. Das zeigten Beispiele aus der europäi­schen Nachbarschaft, so Steffens.

Der OB beglückwünschte Gail, dessen Straßennamencheck von anderen Städ­ten übernommen worden sei, und er dankte der aus Offenburg stammende Ho­locaust-Überlebenden Eva Mendelsson, dass sie hoch betagt erneut den Kraftakt auf sich genommen habe, in ihrer alten Heimatstadt Zeugnis abzulegen.

Hindenburg unter AnklageAnschließend ging es in Saal 2 des Land­gerichts, wo sonst gegen Kapitalverbre­cher verhandelt wird. Kein falscher Ort, um über Hindenburg zu sprechen. Unter der Leitung der städtischen Kulturfachbe­reichsleiterin Carmen Lötsch diskutierte eine berufene Runde den Fall Hinden- Burg. Der Freiburger Historiker Heinrich Schwendemann erklärte noch einmal die Anklagepunkte: Hindenburgs Popularität habe auf zwei 1914 und 1915 gewonnen Schlachten im Ersten Weltkrieg gegen das russische Heer („Held von Tannenberg“) beruht. Allerdings sei General Ludendorff der eigentliche Stratege gewesen. Als Chef der Obersten Heeresleitung (OHL) ab 1916, habe Hindenburg der deutschen Bevölkerung die totale Mobilisierung zu­gemutet. Für die Entbehrungen würde sie durch einen Siegfrieden entschädigt wer­den. „1918 war die Bevölkerung dann ausgepowert“, so Schwendemann. Durch den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der auch Angriffe auf zivile Schiffe einbezog, habe der OHL-Chef die USA zum Kriegs­eintritt gebracht, was letztlich die Kriegs­niederlage des Kaiserreichs mitverur­sachte. Und dann sei das laut Schwende­mann „Ungeheuerliche“ geschehen: „Die obersten Militärs fliehen aus der Verantwortung für die Kriegsniederlage und schieben sie Politkern wie Matthias Erzberger zu“: die berüchtigte Dolchstoß­legende, deren prominentester Verbrei­ter Hindenburg war, und die Erzberger so­wie auch Außenminister Walther Rathe­nau letztlich das Leben kostete.

Ein Held des ParlamentarismusChristopher Dowe, Erzberger-Spezialist vom Haus der Geschichte in Stuttgart, er­klärte wie der katholische Zentrumspoli­tiker Erzberger schon 1917 sich in Kon­flikt mit dem OHL-Chef brachte. Mitten im Krieg habe der die Machtfrage gestellt, indem er das Parlament über die Kriegs­ziele mitentscheiden lassen wollte. Außenpolitik war bis dahin kein Thema des Parlaments. Nach der Kriegsniederla­ge habe er als Reichsfinanzminister die zerrütteten Staatsfinanzen dadurch sanie­ren wollen, dass er Großgrundbesitzer und Großindustrielle, die sich am Krieg bereichert hatten, stärker besteuern woll­te. Das habe ihn bei den Rechten zur Hassfigur der Demokratie gemacht, deren Hetze ihm schließlich die beiden Mörder Tillessen und Schulz von der Terrorver­einigung Organisation Consul schickte.

Ein Offenburger JustizskandalLandgerichtspräsident Christoph Rei­chert schilderte die unrühmliche Rolle, die das Landgericht Offenburg in der Strafverfolgung der Täter spielte, in des­sen Zuständigkeit die Tat vom 25. August 1921 Bad Griesbach fiel. Die nach Bayern geflohenen Täter seien schnell ermittelt gewesen. Doch die bayerschen Ermitt­lungsbehörden hätten die badischen zu­nächst ausgebremst und so die Flucht der Täter nach Ungarn ermöglicht. 1933 ha­be Hindenburg nach der Machtübernah­me der Nazis unter anderem diese Mör­der von Strafverfolgung frei gestellt, de­ren Tat „zur Erhebung des Nationalen“ gedient habe, zitierte Reichert die unge­heuerliche Begründung. Nach 1 $45 habe das Landgericht Offenburg unter Hinweis auf diese Straffreiheitsverordnung das Verfahren eingestellt. Erst als die Besat­zungsbehörden intervenierten, wurden die Täter verurteilt.

Hindenburgs Griff in die StaatskasseAls Hindenburg 1925 zum Reichspräsi­denten gewählt wurde, führte Schwende­mann aus, habe er das mächtige Staatsamt zum Angriff auf die parlamentarische De­mokratie genutzt, indem er mit dem Not­standsparagrafen am Parlament vorbeire­

giert und die Gewaltenteilung damit auf­gehoben habe. „Er hat seine Macht ge­nutzt, um die Uhren auf die Zeit vor 1914 zurückzustellen.“ Unter Reichskanzler von Papen habe es eine Regierung aus­schließlich aus Aristokraten gegeben, die, um sich eine Machtbasis zu schaffen, mit der NSDAP paktiert habe. Als diese Regie­rung scheiterte, stand dem Griff der Nazis zur Macht nur noch der letzte Reichs­kanzler der Weimarer Republik Kurt von Schleicher im Weg. Und Hindenburg ha­be, so Schwendemann, Schleicher nach nur wenigen Wochen im Amt fallen gelas­sen. Denn dieser habe sich gegen die so­genannte Osthilfe gesperrt. Mitten in der Weltwirtschaftskrise mit Massenarbeits­losigkeit, Hunger und Verzweiflung, soll­ten die ostelbischen Großgrundbesitzer, zu denen auch Hindenburg zählte, mit einem Griff in die Staatskasse unterstützt werden. Schleicher habe sich dagegen ge­sperrt und sei deshalb von Hindenburg abserviert worden. Der Weg für Hitler war frei. Schwendemanns Fazit: „Hitler war eine Katastrophe für die Geschichte des 20. Jahrhunderts“, um dann überra­schend das leicht absurde Argument hin­zuzufügen: „Aber um in Offenburg den Straßennamen zu ändern, dafür ist er zu bekannt.“

Berlin ist nicht Weimar?Wolfgang Gail erklärte, wie er sich vom Befürworter einer Umbenennen zum Ver­teidiger der Beibehaltung gewandelt ha­be: In Städten die umbenannt hätten, ha­be es keine Diskussion gegeben. Anders in Städten, die beibehalten hätten. In Bad Tölz etwa gebe es heute als Ergebnis die­ser Diskussion ein Hindenburg-Informati- onszentrum. In Offenburg sei durch den QR-Code am Straßenschild auch eine ver­tiefte Hindenburg-Information erhältlich. Zur Frage von Carmen Lötsch, ob es wie­der Weimarer Verhältnisse geben könnte, äußerten die Diskussionsteilnehmer Ver­trauen in die gefestigte Demokratie und ihre Institutionen. Nur Wolfgang Gail er­klärte besorgt, durch seine Forschungen zu den Anfänge des Nationalsozialismus in Offenburg heute ähnliche Strukturen wiederzuerkennen. Kommentar

Anschließend ging es im Saal 2 des Landgerichts um Hindenburg, Erzbergerund die Frage, ob Weimarer Verhältnis­se heute wieder möglich wären. Rechts das Hindenburgstraßenschild mit dem neuen Zusatz und dem QR-Code, überden weitere Informationen zu Hindenburg zugänglich sind. fotos: half burgmaier

Hindenburgstraße

Information kommt zu spätVon Ralf Burgmaier„Hindenburg war eine Katastrophe für die Geschichte des 20. Jahrhunderts.“Punkt. Die Veranstal­tung am Donnerstag­abend zeigte das mit erschütternder ’Wucht. Dass die Rednerinnen und Redner trotzdem irgendwie die Kurve zur Offenburger Gemeinderatsentschei­dung kriegen mussten, Hindenburg die Ehre der Offenburger Straßenbe­nennung zu belassen, konnte nicht überzeugen. Man könne durch das Beibehalten des Straßennamens und die damit verbundenen Diskussionen so viel über die Geschichte lernen? Mit demselben Argument könnte auch jemand beantragen, die Hauptstraße wieder in Adolf Hitler-Straße zurück zu benennen. Was hätten wir für tolle Diskussionen!? Aus gutem Grund hat kein Redner an dem Abend den sonst wie eine Monstranz vor sich herge­tragenen Anspruch Offenburgs er­wähnt, Freiheitsstadt sein zu wollen.Er passt nicht zu dieser Entscheidung. Das einzig Gute an der jetzt gefundenen Lösung ist, dass der Täter-Opfer-Zu- sammenhang zwischen Hindenburg und Erzberger hergestellt ist. Walther Rathenau, ebenfalls ein Opfer von Hin­denburgs Dolchstoßlegende und in Offenburg früher ebenfalls wie Erz­berger mit einem Straßennamen geehrt, der von den Nazis abgeschafft wurde, bleibt die Rehabilitation weiterhin versagt. Das Bedauerliche an der Ver­anstaltung vor und im Landgericht ist, dass sie viel klarer Hindenburgs nie­derträchtiges Intrigieren gegen die erste Demokratie auf deutschem Boden he­rausarbeitete als die öffentliche Infor­mationsveranstaltung im Vorfeld der Gemeinderatsentscheidung.► [email protected]

Neue Messe zu Nachhaltigkeit„Mach mit“ erstmals im Herbst

OFFENBURG (BZ). Im Portfolio der Mes­se Offenburg gibt es eine Neuheit: Zum ersten Mal startet die Messe „Mach mit“ am 24. und 25. Oktober am Offenburger Messeplatz. Sie basiert auf dem wachsen­den Umweltbewusstsein in der Bevölke­rung und thematisiert die Nachhaltigkeit. Der Grundgedanke der neuen Messe ist es laut Messe-Bereichsleiterin Tanja Hart­mann, seine eigenen verschiedenen Le­bensbereiche zu durchleuchten und selbst zu entscheiden, was machbar ist. Der Besucher könne auf der „Mach mit“ von bewusster und ökologischer Ernäh­rung, nachhaltiger Mode und Naturkos­metik bis hin zu Upcycling, ökologischer Bauweise und Wohnformen sowie alter­nativen Energien seine eigene nachhalti­ge Welt gestalten.

Neben der Ausstellung biete die neue Messe den Besuchern ein umfangreiches Rahmenprogramm mit verschiedenen Workshops und Vorträgen. Das Mitma­chen werde auf der Messe buchstäblich groß geschrieben, sei es im direkten Aus­tausch mit Ausstellern, Referenten, Vor- reitem oder Anbietern. „Es beginnt bei den kleinen Dingen im Leben. Im Vorder­grund steht dabei der Gedanke, dass jeder seinen Teil beitragen kann“, unter­streicht Bereichsleiterin Tanja Hartmann die Bedeutung des Leitmotivs.

Der Vorverkauf der Messe ist gestartet. Besucher erhalten das Ticket bis zum 23. Oktober für 6 Euro. An der Tageskasse kostet es 8 Euro. Die Eintrittskarte ist unter www.mach-mit-messe.de,sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen buchbar. Wei­tere Informationen sind unter www.mach- mit-messe.de erhältlich.