Historische Tradition und gegenwärtiges Dasein der/des Deutschen in Ungarn Dr. Zsuzsa Gerner...
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Historische Tradition und gegenwärtiges Dasein der/des
Deutschen in UngarnDr. Zsuzsa Gerner
Universität Pécs
Zur Ansiedlung der Deutschen in Ungarn 9. Jh. - Karl der Große: Ostexpansion
> ostfränkische Markgrafschaften in Pannonien (Baiern und „Sueven”)
10. Jh. – zerstört > keine Deutschen im Karpatenbecken
1000 nach Chr. - Gründung des ung. Staates: Stephan der Heilige > dt. Ritter, Missionäre, Handwerker und Bauern
Mittelalter – zusammenhängende dt. Siedlungsräume (Siebenbürgen, Zips)
14. Jh. – wirtschaftlicher Aufstieg der Städte
15. Jh. – Standesrecht der Städte
1438 – Albrecht von Österreich
1526 – Schlacht bei Mohatsch > türkische Besatzung
1686 – Ende der Türkenherrschaft
17. Jh. – Ansiedlung dt. Bauern/Handwerker >sechs geschlossene Siedlungsräume
1. Ungarisches Mittelgebirge
2. „Schwäbische Türkei”
3. Batschka
4. Banat
5. Slawonien und Syrmien
6. Sathmar
Initiatoren der Ansiedlung:- weltliche Feudalherren - die katholische Kirche- das Haus Habsburg
18. Jh. – „große Schwabenzüge” > Einwanderung von ca. 115 000 Deutschen nach Ungarn
1850 – 70% Deutsche in der ung. Haupstadt
19. Jh. – 67% Dt. in der „schwäbischen Türkei”
1918 – 296 dt. Siedlungen, 64 dt. Mehrheitsorte
HEUTE: ca. 220-240 000 Deutsche in ca. 400 Ortschaften
Jahr der Volkszählung
deutsche Muttersprache
deutsche Ethnizität
1880 607 585 -
1930 477 153 -
1941 475 491 302 198
1949 22 455 2 617
1960 50 765 8 640
1980 31 231 11 310
1990 37 511 30 824
2001 33 774 62 105
Zum Selbstbild der UngarndeutschenEthnische Identität = Ergebnis der Sozialisation
eines Menschen in einer ethnischen Gruppe, aus der das Individuum stammt
individuelle Komponente: enthält einerseits die soziale Identität als überindividuelle Prägung durch die Gesellschaft (z. B. durch Rollen- und Statuszuweisung) und andererseits die personale Identität, die die Einzigartigkeit des Menschen ausmacht > das sog. Selbstkonzept eines Individuums.
kollektive Komponente: auch im einzelnen Menschen verankert, ihr Bezugspunkt ist jedoch die Ethnie > Wir-Gefühl, Abgrenzungsmöglichkeit nach außen (Symbole, Rituale etc.)
Externe Aspekte der ethnischen Identität sind objektiv „messbar“
• man spricht die Sprache des Ethnikums und pflegt die Traditionen,
• man ist in ethnisch homogene personale Netzwerke in der Familie, im Freundeskreis etc. eingebunden,
• man ist Mitglied von institutionalisierten ethnischen Organisationen, z. B. von Kirchengemeinden, Schulen, Medien, Firmen etc.,
• man ist Mitglied von zivilen Organisationen des Ethnikums, z. B. von Klubs, Vereinen, Jugendverbänden etc.,
• man nimmt an sonstigen Aktivitäten der ethnischen Gruppe teil, z. B. an Ausflügen, Tanzabenden, Konzerten, Theateraufführungen etc.
Interne Aspekte der ethnischen Identität haben …– eine moralische Dimension, die als eine Verpflichtung
der ethnischen Gruppe gegenüber interpretiert wird und z. B. die Weitergabe der Sprache, Endogamie, ethnischen Nepotismus etc. bewirken kann, und
– eine affektive Dimension, worunter Gefühle der Bindung, Anhänglichkeit und Neigung zur eigenen ethnischen Gruppe zu verstehen sind.
– eine kognitive Dimension, die das Selbstkonzept, das Selbstbild eines Individuums, Kenntnis seiner eigenen Gruppe, Kenntnis der Traditionen und der Vergangenheit dieser Gruppe u. ä. umfasst,
Gesetz Nr. LXXVII (1993): Kriterien für die Anerkennung einer Bevölkerungsgruppe als Minderheit von außen und somit auch für die Selbstbestimmung von innen:
• die historische Kontinuität,
• eine gemeinsame Sprache und Kultur und
• die Selbstbekenntnis der Minderheit, d. h.
das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit.
a) Individuelle Minderheitenrechte
(§7) „Es ist dass es das ausschließliche und unveräußerliche Recht des Individuums, die Zugehörigkeit zu einer nationalen, ethnischen Gruppe, Minderheit auf sich zu nehmen und zu bekunden. In der Frage der Zugehörigkeit zu einer Minderheitengruppe kann niemand zu einer Erklärung verpflichtet werden.“
b) Gemeinschaftsrechte
1. die Wahrung, Pflege, Stärkung und Vererbung der Identität der Minderheit
2. die Pflege und Weiterentwicklung der historischen Traditionen und der Sprache
3. die Bewahrung der gegenständlichen und geistigen Kultur
4. die Gründung von Selbstverwaltungen auf örtlicher, regionaler und Landesebene
Ergebnisse der Kommunalwahlen
1995 164
1998 247
2002 318
2006 378
Erstellung von Wählerlisten
Man prüfe • Kenntnis der Kultur und der Traditionen der
Minderheit, • Mitgliedschaft in Organisationen der Minderheit, • Mitgliedschaft in der Selbstverwaltung der
Minderheit, • Kenntnis der Minderheitensprache, • sonstige Aktivitäten und• allgemeine Bekanntheit in der Ortschaft als
Angehörige(r) einer Minderheit
Volkszählungsdaten (2001) und Wählerlisten (2006)
2001 2006
Ort Einw dt. Nat. dt. Kultur dt. Mspr. Registriert Wähler
Pécs 162 498 3 039 3 842 1 751/*2 013
800 572
Babarc 791 158 299 107/*132 177 165
Bükkösd 1289 5 15 7 / *7 59 38
Ivánbattyán 169 - - 5 / *- 37 37
Hímesháza 1 220 520 660 571 /*604 219 155
Kozármisleny 4 090 118 141 47 /*72 214 148
Mecseknádasd 1 664 658 875 656/*573 429 230
Ófalu 367 304 327 286 /*321 144 102
Pécsudvard 620 8 13 13 /*10 2 -
Szebény 505 9 14 16 /*4 34 30
Identitätsbildende Faktoren
1. Sprache
2. Abstammung
3. gemeinsames kulturelles Erbe
Identitätstypen1. „Hungarus”
2. Völkisch
3. halb Ungar halb Deutscher
4. Ungar deutscher Abstammung
Zum Sprach- und Varietätengefüge
1. md. und obd. Dialekte (Mischmundarten > sog. Siedlungsmundarten, die je nach den dominanten Zügen als Bair., Fränk., Schwäb. Etc. ausgewiesen werden )
2. Regionaldialekte (Ausgleich 2. Stufe > in der „Schwäbischen Türkei” entstand ein hessischer und ein fuldischer Dialektraum)
3. „Hochdeutsch”
Exkurs: Das Deutschtum in 5kirchen
Beginn des 19. Jh. – dt. Verwaltung > „Nur manchmal kam ein Schriftstück in madjarischer, kroatischer oder raizischer Sprache vor den Magistrat.”
- dt. Schulwesen- dt. Theater (1800 – 1876)- dt. Presse (ab 1832)Mitte des 19. Jh. – ung.
Patriotismus des dt. Bürgertums > Assimilation > dt.-ung. Bilingualität
Das Sprachbild FünfkirchensDeutsche Muttersprachler: Mitte des 19. Jh.s – etwa 50% 1890 – 19,1%1900 – 17,5 %1910 – 12,8 %
Deutsche Sprachkompetenz (Beispiel 1890):
ung. Monolinguale
ung.-dt. Bilinguale
dt.-ung. Bilinguale
dt. Monolinguale
11 757 11 755 3 679 2 829
Ungarisch sprechen: 27 191
Deutsch sprechen: 18 263
Veränderung des Sprachbildes
Auf dem Lande später als in den Städten
Zäsur: 1945
- ethnische und soziale Umstrukturierung
- Industrialisierung, Urbanisation
- Veränderung der Sprachverwendungsnorm
- Veränderung der polit. Rahmenbedingungen
- Veränderung der familiären Sozialisation
Folge: sprachliche Diskontinuität
dt. Monolingualismus > subtraktiver Bilingualismus
Zur Schulpolitik des Landes
1869: 1232 Schulen mit dt. Unterrichtsspr. und 957 gemischtsprachige Schulen
1907-08: „Lex Apponyi” > perfekte Beherrschung der ung. Sprache in Wort und Schrift, Identitätsgefühl mit der ung. Nation
1923: drei SchultypenTyp A: Unterricht in der MutterspracheTyp B: Unterricht in beiden SprachenTyp C:Unterricht in der Landessprache
z. B. in der Schwäbischen Türkei gab es 1923 nur noch 12 Schulen des Typs A (1920 waren es 151) und 62 des Typs C; Ty B galt als „ideal”
1935: drei Schultypen außer Kraft > Minderheitenunterricht offiziell nur noch in zweisprachiger Form (vgl. Typ B)
1945: Deutschunterricht eingestellt1953: Neubeginn (eine Wochenstunde)1985: erneut zweisprachiger UnterrichtHEUTE: vier Modalitäten für den Minderheitenunterricht
1. einsprachige Schule (- ung. Spr. und Lit.)2. zweisprachige Schule (50%-50%)3. Schule mit erweitertem Sprachunterricht (30%-70%)4. Schule mit Sprachunterricht (5 Wochenstunden Dt. und 1 Wochenstunde Minderheitenkunde)
Deutsprachige Sozialisation in Institutionen der deutschen Minderheit (2005/2006)
Kindergarten: 8 einsprachige – 455 Kinder214 zweisprachige – 14 302 Kinder
Grundschule:4 einsprachige – 234 Kinder33 zweisprachige – 5216 Kinder271 ± Sprachunterricht – 41 953 Kinder
Mittelschule:9 zweisprachige – 1809 Kinder16 ± Sprachunterricht – 947 Kinder
Anzahl der Deutsch als
Minderheitensprache Lernenden Schuljahr Kindergarten Grundschule Mittelschule Studium
1989/90 8 855 31 439 661 -
1995/96 14 589 41 049 825 200
2005/06 14 757 47 403 2 634 353
Anzahl der Deutsch bzw. Englisch als Fremdsprache Lernenden
Schuljahr Grundschule Mittelschule Sprachstudium
1989/90 41 889
33 120
88 475
96 758
-
1995/96 346 460
277 404
207 927
217 698
4 739
5 759
2005/06 218 575
372 670
268 214
356 361
4 514
7 064
Zweisprachiger Unterricht in Ungarn(Schulen / Schüler)
Sprache Grundschule Gymnasium Fahmittelschule
Englisch 39 / 5 629 30 / 3 849 30 / 3 803Deutsch 17 / 3 279 15 / 2 055 28 / 2 960Französisch - 8 / 921 3 / 231Italienisch 1 / 59 3 / 427 1 / 77Spanisch - 5 / 855 -Russisch - 1 / 290 -Chinesisch 1 / 134 - -
Fremdspracherwerb (Deutsch und Englisch) in der Grundschule
1. Fremdsprache Englisch- in weniger als 3 Wochenstunden: 75 274- in 3-4 Wochenstunden: 247 7431. Fremdsprache Deutsch- in weniger als 3 Wochenstunden: 40 097- in 3-4 Wochenstunden: 153 0182. Fremdsprache Englisch- in weniger als 3 Wochenstunden: 9 677- in 3-4 Wochenstunden: 3 6852. Fremdsprache Deutsch- in weniger als 3 Wochenstunden: 4 849- in 3-4 Wochenstunden: 2 353
Fremdspracherwerb (Deutsch und Englisch) im Gymnasium
1. Fremdsprache Englisch- in weniger als 3 Wochenstunden: 18 256- in 3-4 Wochenstunden: 90 2901. Fremdsprache Deutsch- in weniger als 3 Wochenstunden: 7 814- in 3-4 Wochenstunden: 39 1772. Fremdsprache Englisch- in weniger als 3 Wochenstunden: 3 886- in 3-4 Wochenstunden: 41 2592. Fremdsprache Deutsch- in weniger als 3 Wochenstunden: 4 760- in 3-4 Wochenstunden: 55 842