HIV oder HIV-Therapie? Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution von Symptomen und...

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HIV oder HIV-Therapie? Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution von Symptomen und Therapienebenwirkungen Kremer H. 1 , Sonnenberg-Schwan U. 1 , Arendt G. 1 , Brockmeyer N. 2 , Ulmer A. 3 , Gräfe K. 4 , Starke W. 5 , für das Kompetenznetz HIV/AIDS 1 All Around Women Special, Deutsche AIDS Gesellschaft, Bochum, 2 Klinik für Dermatologie und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum, 3 Praxis Ulmer/Frietsch/Müller, Stuttgart, 4 ifi - Institute für Interdisciplinäre Medizin, Hamburg, 5 Praxis Starke, Wiesbaden Einleitung Methode Schlussfolgerungen Frauen und Männer unterschieden sich nicht in ihren Angaben über die durchschnittliche Häufigkeit (26,25 ±14,06 vs. 28,97 ±15,67, n.s.) und den mittleren Schweregrad von körperlichen Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen (1.96 ±1,27 vs. 1.68 ±1,04, n.s.; Skala von 0 = gar nicht bis 3 = stark). Das häufigste Symptom bei Frauen und Männern war Müdigkeit (82% vs. 78%, n.s.). Müdigkeit war bei Frauen und Männern gleich stark ausgeprägt (1.67 ±1,27 vs. 1.68 ±1,04, n.s.). Es gab einen Geschlechtsunterschied in der Kausalattribution von Müdigkeit (Chi 2 = 13,59, df 3, p < 0,01). Männer (44%) führten ihre Müdigkeit eher auf Frauen (30%) sahen die Ursache ihrer Müdigkeit eher in der HIV-Therapie als Männer (15%). Mit Ausnahme der Müdigkeit Frauen ihre Symptome insgesamt nicht häufiger auf die HIV-Therapie zurück als Männer. Allerdings führten Männer ihre Beschwerden eher auf HIV zurück (p=0,01), während Frauen die Ursachen eher auf andere oder unbekannte Faktoren attribuierten (p = 0,02) (Abbildung 1). Abbildung 1: Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution von Symptomen und Therapienebenwirkungen Frauen führten abnorme Laborwerte häufiger auf die HIV-Therapie zurück als Männer (p = 0,04). Allerdings wurden nur 5% bis 30% der im Labor festgestellten Veränderungen von den PatientInnen in den Fragebögen angegeben. Insgesamt gab keine Geschlechtsunterschiede in der Aufklärung über Laborwertveränderungen, außer dass • Frauen besser über erhöhte Kreatininwerte aufgeklärt waren als Männer (p = 0,02) und dementsprechend häufiger ihre Therapie umgestellt hatten um diese unerwünschten Nebenwirkungen zu vermeiden (p = 0,02). • Männer häufiger Kaletra einnahmen als Frauen (p < 0,01) und erhöhte Triglyceride hatten (p = 0,01) , während Frauen Kaletra häufiger wegen der erhöhten Triglyceridspiegel abgesetzt hatten (p = 0,03) . Ob Menschen mit HIV ihre Symptome oder Beschwerden auf HIV oder auf die HIV- Therapie zurückführen, kann einen entscheidenden Einfluss auf die Therapiemotivation haben. 1 Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution von Symptomen und Therapienebenwirkungen wurden bisher nicht systematisch untersucht. Allerdings gibt es Hinweise, dass Frauen ihre HIV-Therapie häufiger wegen unerwünschten Nebenwirkungen abbrechen als Männer. 2 Klagen Frauen mit HIV häufiger und verstärkt über Symptome und Befindlichkeitsstörungen als Männer? Führen Frauen ihre Beschwerden und Laborwertveränderungen eher auf die HIV Therapie zurück als Männer? Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die in der ärztlichen Praxis eine besondere Beachtung finden sollten? Diese multizentrische Studie untersucht Unterschiede zwischen Männern und Frauen in körperlichen Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen, dem Schweregrad der Symptome und der Kausalattribution der Symptome auf die HIV-Infektion, die HIV- Therapie oder andere Ursachen. 163 Menschen mit HIV (55% Männer, 45% Frauen) die in 5 verschieden Zentren (Unikliniken, Arztpraxen) behandelt wurden, nahmen an dieser Studie teil. Die Fragebögen erfassten Angaben zur HIV- Therapie, eine umfassende Checkliste zu körperlichen Beschwerden, dem Schweregrad der Beschwerden und der Ursache, auf welche die Beschwerden am wahrscheinlichsten zurückzuführen sind: HIV, HIV-Therapie, oder andere/unbekannte Ursachen. Ferner wurden die Angaben von PatientInnen über Laborabnormalitäten mit den Laborberichten der BehandlerInnen verglichen. Ergebnisse 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% HIV HIV-Therapie Andere/ Unbekannt Frauen M aenner Erfreulicherweise führten Frauen und Männer mit HIV etwa die Hälfte ihrer Beschwerden weder auf HIV noch auf die HIV-Therapie zurück. Das Ergebnis, dass Männer im Vergleich zu Frauen ihre körperlichen Symptome und Befindlichkeitsstörungen eher als die HIV-Infektion zurückführen, mag sich auf ihre Therapiemotivation auswirken, indem Männer eher eine HIV-Therapie fortsetzen, selbst wenn Nebenwirkungen und Laborwertveränderungen auftreten. Frauen scheinen Nebenwirkungen der HIV-Therapie eher durch Therapieumstellungen vorzubeugen, vorausgesetzt dass sie über Laborwert- Veränderungen aufgeklärt sind. Hervorzuheben ist die große Diskrepanz zwischen ärztlich diagnostizierten Laborwertveränderungen und den Angaben in der Frauen und Männer in den Fragebögen. Diese Ergebnisse sollten in weiteren Studien überprüft werden. Falls wirklich ein großer Teil der relevanten Laborwertveränderungen den PatientInnen unbekannt sein sollte, gibt es Verbesserungsbedarf in der Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen. Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution von Symptomen und Therapienebenwirkungen haben klinische Relevanz. Dank Literatur Diese Studie wurde im Rahmen des Kompetenznetzwerks HIV/AIDS vom BMBF gefördert. 1. Johnson MO, Stallworth T, Neilands TB. The drugs or the disease? Causal attributions of symptoms held by HIV-positive adults on HAART. AIDS.Behav. 2003 Jun;7(2):109-117. 2. Currier JS, Spino C, Grimes J, et al. Differences between women and men in adverse events and CD4+ responses to nucleoside analogue therapy for HIV infection. J.Acquir.Immune Defic.Syndr.

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HIV oder HIV-Therapie? Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution

von Symptomen und TherapienebenwirkungenKremer H.1, Sonnenberg-Schwan U.1, Arendt G.1, Brockmeyer N.2, Ulmer A.3, Gräfe K.4, Starke W.5,

für das Kompetenznetz HIV/AIDS

1All Around Women Special, Deutsche AIDS Gesellschaft, Bochum, 2Klinik für Dermatologie und Allergologie, Ruhr-Universität

Bochum, 3Praxis Ulmer/Frietsch/Müller, Stuttgart, 4ifi - Institute für Interdisciplinäre Medizin, Hamburg, 5Praxis Starke, Wiesbaden

Einleitung

Methode

Schlussfolgerungen

Frauen und Männer unterschieden sich nicht in ihren Angaben über die durchschnittliche Häufigkeit (26,25 ±14,06 vs. 28,97 ±15,67, n.s.) und den mittleren Schweregrad von körperlichen Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen (1.96 ±1,27 vs. 1.68 ±1,04, n.s.; Skala von 0 = gar nicht bis 3 = stark).

Das häufigste Symptom bei Frauen und Männern war Müdigkeit (82% vs. 78%, n.s.).Müdigkeit war bei Frauen und Männern gleich stark ausgeprägt (1.67 ±1,27 vs. 1.68 ±1,04, n.s.).

Es gab einen Geschlechtsunterschied in der Kausalattribution von Müdigkeit (Chi2 = 13,59, df 3, p < 0,01).

Männer (44%) führten ihre Müdigkeit

eher auf HIV zurück als Frauen (25%).

Frauen (30%) sahen die Ursache ihrer Müdigkeit eher in der HIV-Therapie als Männer (15%).

Mit Ausnahme der Müdigkeit führten Frauen ihre Symptome

insgesamt nicht häufiger auf die HIV-Therapie zurück als Männer. Allerdings führten Männer ihre Beschwerden eher auf HIV zurück (p=0,01), während Frauen die Ursachen eher auf

andere oder unbekannte Faktoren attribuierten (p = 0,02) (Abbildung 1).

Abbildung 1: Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution von Symptomen und Therapienebenwirkungen

Frauen führten abnorme Laborwerte häufiger auf die HIV-Therapie zurück als Männer (p = 0,04). Allerdings wurden nur 5% bis 30% der im Labor festgestellten Veränderungen von den PatientInnen in den Fragebögen angegeben. Insgesamt gab keine Geschlechtsunterschiede in der Aufklärung über Laborwertveränderungen, außer dass

• Frauen besser über erhöhte Kreatininwerte aufgeklärt waren als Männer (p = 0,02) und dementsprechend häufiger ihre Therapie umgestellt hatten um diese unerwünschten Nebenwirkungen zu vermeiden (p = 0,02). • Männer häufiger Kaletra einnahmen als Frauen (p < 0,01) und erhöhte Triglyceride hatten (p = 0,01) , während Frauen Kaletra häufiger wegen der erhöhten Triglyceridspiegel abgesetzt hatten (p = 0,03) .

Ob Menschen mit HIV ihre Symptome oder Beschwerden auf HIV oder auf die HIV-Therapie zurückführen, kann einen entscheidenden Einfluss auf die Therapiemotivation haben.1

Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution von Symptomen und Therapienebenwirkungen wurden bisher nicht systematisch untersucht. Allerdings gibt es Hinweise, dass Frauen ihre HIV-Therapie häufiger wegen unerwünschten Nebenwirkungen abbrechen als Männer.2

Klagen Frauen mit HIV häufiger und verstärkt über Symptome und Befindlichkeitsstörungen als Männer?

Führen Frauen ihre Beschwerden und Laborwertveränderungen eher auf die HIV Therapie zurück als Männer?

Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die in der ärztlichen Praxis eine besondere Beachtung finden sollten?

Diese multizentrische Studie untersucht Unterschiede zwischen Männern und Frauen in körperlichen Beschwerden und Befindlichkeitsstörungen, dem Schweregrad der Symptome und der Kausalattribution der Symptome auf die HIV-Infektion, die HIV-Therapie oder andere Ursachen.

163 Menschen mit HIV (55% Männer, 45% Frauen) die in 5 verschieden Zentren (Unikliniken, Arztpraxen) behandelt wurden, nahmen an dieser Studie teil. Die Fragebögen erfassten Angaben zur HIV-Therapie, eine umfassende Checkliste zu körperlichen Beschwerden, dem Schweregrad der Beschwerden und der Ursache, auf welche die Beschwerden am wahrscheinlichsten zurückzuführen sind: HIV, HIV-Therapie, oder andere/unbekannte Ursachen. Ferner wurden die Angaben von PatientInnen über Laborabnormalitäten mit den Laborberichten der BehandlerInnen verglichen.

Ergebnisse

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

HIV HIV-Therapie Andere/ Unbekannt

Frauen

Maenner

• Erfreulicherweise führten Frauen und Männer mit HIV etwa die Hälfte ihrer Beschwerden weder auf HIV noch auf die HIV-Therapie zurück. • Das Ergebnis, dass Männer im Vergleich zu Frauen ihre körperlichen Symptome und Befindlichkeitsstörungen eher als die HIV-Infektion zurückführen, mag sich auf ihre Therapiemotivation auswirken, indem Männer eher eine HIV-Therapie fortsetzen, selbst wenn Nebenwirkungen und Laborwertveränderungen auftreten. • Frauen scheinen Nebenwirkungen der HIV-Therapie eher durch Therapieumstellungen vorzubeugen, vorausgesetzt dass sie über Laborwert- Veränderungen aufgeklärt sind. • Hervorzuheben ist die große Diskrepanz zwischen ärztlich diagnostizierten Laborwertveränderungen und den Angaben in der Frauen und Männer in den Fragebögen. Diese Ergebnisse sollten in weiteren Studien überprüft werden. Falls wirklich ein großer Teil der relevanten Laborwertveränderungen den PatientInnen unbekannt sein sollte, gibt es Verbesserungsbedarf in der Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen. • Geschlechtsunterschiede in der Kausalattribution von Symptomen und Therapienebenwirkungen haben klinische Relevanz.

Dank Literatur

Diese Studie wurde im Rahmen des KompetenznetzwerksHIV/AIDS vom BMBF gefördert.

1. Johnson MO, Stallworth T, Neilands TB. The drugs or the disease? Causal attributions of symptoms held by HIV-positive adults on HAART. AIDS.Behav. 2003 Jun;7(2):109-117.2. Currier JS, Spino C, Grimes J, et al. Differences between women and men in adverse events and CD4+ responses to nucleoside analogue therapy for HIV infection. J.Acquir.Immune Defic.Syndr. 2000 Aug 1;24(4):316-324.