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Nr. 193/märz 2009 1,70 Euro (davon 90 Cent für den/die verkäufer/in) Ole und Uwe: Ein Student hilft einem Obdachlosen Altona Beach: Bilder vom Ende der Welt Hamburgs Sinfonie: Die Stadt als Konzertsaal Der letzte Mann an Bord reeder lassen Schiffe und Seeleute im Stich. ivan Gorelik kämpft um seine Heuer 1 1

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Hamburgs Sinfonie: Die Stadt als Konzertsaal Ole und Uwe: Ein Student hilft einem Obdachlosen Altona Beach: Bilder vom Ende der Welt Nr. 193/märz 2009 reeder lassen Schiffe und Seeleute im Stich. ivan Gorelik kämpft um seine Heuer (davon 90 Cent für den/die verkäufer/in) 4 45 ivan Gorelik ist Opfer der Finanzkrise. Der weißrussische Seemann und sein Schiff wurden von seinem Reeder im Stich gelassen – ohne Lebensmittel und ohne Geld 5

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Nr. 193/märz 2009

1,70 Euro(davon 90 Cent für den/die verkäufer/in)

Ole und Uwe: Ein Student hilft einem Obdachlosen

Altona Beach: Bilder vom Ende der Welt

Hamburgs Sinfonie: Die Stadt als Konzertsaal

Der letzte Mann an Bord reeder lassen Schiffe und Seeleute im Stich. ivan Gorelik kämpft um seine Heuer

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Seemann allein zu Hausivan Gorelik ist Opfer der Finanzkrise. Der weißrussische Seemann und sein Schiff wurden von seinem Reeder im Stich gelassen – ohne Lebensmittel und ohne Geld

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Die Finanzkrise ist in den Häfen angekommen. Fünf Schiffe wurden allein in Norddeutschland von ihren Reedern aufgegeben, so viele wie noch nie. Birgit Müller (Text) und Mauricio Bustamante (Fotos) begleiteten Ulf Christiansen, den Hamburger Inspektor der Internatio-nalen Transportarbeiter-Gewerkschaft (ITF), bei seinem Besuch auf dem Frachter „Rosethorn“.

Wir werden schon erwartet am Südkai von Brunsbüttel. ivan Gorelik ist eigentlich nur Erster Offizier auf der „Ro­sethorn“, aber er hat in der Kapitänskajüte für uns gedeckt. zu anderen zeiten wäre das undenkbar gewesen. Jetzt ist das kein Problem mehr. Denn seit Weihnachten ist der 47­jährige Weißrusse Kapitän und Schiffsjunge in einem – und mutterseelenallein.

Am 24. Dezember vergangenen Jahres wurde der vier­köpfigen Restbesatzung in einem telex lapidar mitgeteilt, dass die Reederei pleite sei und dass man ihnen „aus mo­ralischen Gründen“ den Heimflug bezahle. Auf die Heuer von november und Dezember und weitere Lebensmittel müssten die Männer allerdings verzichten. Die Kollegen reisten ab. ivan Gorelik blieb, zumal sein Vertrag bis En­de Januar lief. „ich gehe nicht von Bord, bis ich das Geld kriege“, sagt der erfahrene Seemann.

Genau richtig, sagt Ulf Christiansen. „Wir raten al­len Seeleuten, bei solchen Konflikten das Schiff nicht zu verlassen“, so der itF­inspektor, der für die Häfen Ham­burg, Brunsbüttel und Stade zuständig ist. „Später wird es schwierig zu beweisen, dass man ein Recht auf das Geld hat,

und womöglich behauptet der Reeder noch, der Seemann habe seine Arbeitskraft ja gar nicht angeboten.“

Einsame zeiten für Gorelik, auf den zu Hause seine Frau, sein Sohn und seine tochter warten. Früher hat er als Fischer und Seemann gearbeitet, als er heiratete, suchte er einen Job an Land. „ich hatte mir immer gewünscht, dass ich nicht mehr zur See fahren muss, wenn ich Kinder habe“, sagt er. Aber das Geld reichte hinten und vorne nicht, und er musste wieder anheuern. Und jetzt das!

Seit August 2008 ist er an Bord des Stückgutfrachters, die ganze zeit am Südkai in Brunsbüttel. Denn kurz bevor er kam, war das Schiff im nord­Ostsee­Kanal havariert – Motorschaden.

Jetzt kommt die internationale Finanzkrise ins Spiel. „noch vor einem Jahr wäre das nicht so ein Problem gewe­sen“, sagt ein Branchenkenner. „Damals lagen die Frachtra­ten zwei­ bis dreimal so hoch wie heute.“ Die Banken hätten schneller den fehlenden Kredit für die Reparatur gewährt. Denn das Geld wäre schnell wieder eingefahren gewesen.

Auch die anderen vier Schiffe, die derzeit aufgegeben in norddeutschen Häfen liegen, gehören kleinen Reedern, so Christiansen, viele aus dem osteuropäischen Raum, „die wohl nicht das nötige Polster haben, um eine Krise zu überstehen“.

Offensichtlich konnte auch der Reeder der „Rose­thorn“ sein Pech nicht glauben. Bis September bekamen die Seeleute ihre Heuer noch normal ausbezahlt. „im Ok­tober kam die Heuer verspätet“, sagt Gorelik. „Kann ja mal

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Vom Reeder einfach aufgegeben: Die „Rosethorn“ am Südkai von Brunsbüttel. Ivan Gorelik ist an Bord geblieben und kämpft um seine Heuer

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vorkommen“, habe er damals gedacht. Doch dann blieb die Heuer für november und Dezember aus. Jetzt ist der See­mann pleite. Wenn der Seemannsdiakon Leon Meier nicht wäre, der ihn mit Lebensmitteln versorgt, wüsste er nicht, wovon er leben sollte.

Schlimm ist für Gorelik, überhaupt auf Hilfe angewie­sen zu sein. noch schlimmer: „Man kann leben, ohne zu essen, ohne zu trinken, selbst ein Unwetter kann man über­leben, aber ohne andere Menschen kann man nicht leben“, sagt er, und man spürt, dass er am liebsten zu Hause wäre, in dem kleinen Ort, 120 Kilometer entfernt von Minsk.

Gorelik kann von Glück reden, dass er hier am Südkai Willi Derewonko kennengelernt hat. Der 42­jährige Pole ist Decksmann auf der benachbarten „Hammelwarden“. Und hilft dem Seemann aus Weißrussland, wo er kann. Unter anderem übersetzt er für ihn und kocht heute für den Be­such. Abends gehen die beiden manchmal zusammen in die Seemannsmission, um mal unter Leute zu kommen.

Thema Nummer eins am Tisch: Weiß jemand etwas über den Reeder? Der Mann aus Kroatien, dessen Reederei in Lettland registriert ist und der sein Schiff unter der Billig­flagge von St. Vincent and the Grenadines fahren lässt, ist nicht mehr zu erreichen. nicht für den Seemann und auch nicht für Ulf Christiansen. Gorelik seufzt schwer, als Chris­tiansen und der Diakon der Seemannsmission konstatieren: Der Reeder ist offensichtlich abgetaucht.

Aber Christiansen hat auch gute nachrichten mitge­bracht. Er hat Kontakt aufgenommen mit der europäischen

Vertretung des karibischen Flaggenstaates. Und obwohl St. Vincent eine Billigflagge ist, fanden die Vertreter der dor­tigen Schifffahrtsbehörde es nicht lustig, dass der Reeder sein Schiff aufgegeben hat. „Wir hoffen, dass die jetzt den Owner an die Hammelbeine kriegen“, sagt Christiansen in seinem Misch­Slang. Will heißen: Sie wollen ihn ausfindig machen und zur Verantwortung ziehen. Aber es kommt noch besser: Die 5867 Euro, die ivan Gorelik noch zu bekommen hat, werden jetzt als Schulden auf das Schiff eingetragen.

„Wer das Schiff ersteigert, kauft oder verschrottet, muss die Heuer bezahlen“, so Ulf Christiansen. Außerdem will die Vertretung von St. Vincent womöglich auch die Heuerschulden der anderen Seeleute eintragen, wenn sich diese nachweisen lassen. zum ersten Mal, seit wir an Bord sind, strahlt ivan Gorelik.

Das könnte auch eine gute nachricht sein für Ralf Stüben, den Geschäftsführer der Reparaturwerft Cornels. Seine Firma hat die „Rosethorn“ nach der Havarie im nord­Ostsee­Kanal im August 2008 nach Brunsbüttel ge­schleppt und wollte einen neuen Motor einbauen. 150.000 Euro sollte das kosten. Sicher ein Riesenbatzen für die klei­ne Reederei. Und wahrscheinlich einer der Gründe, warum der Reeder abgetaucht ist. immerhin 100.000 Euro wurden von der Versicherung bezahlt und kamen auch bei Cornels an. Auf den Rest wartet Stüben vergebens. „Wir hatten gleich ein komisches Gefühl und haben die Reparatur dann nicht zu Ende gemacht.“ Das bedeutet: Die „Rosethorn“ ist derzeit auch nicht fahrtüchtig.

Besuch vom Gewerkschafter: ITF-Inspektor Ulf Christiansen hilft Seemann Ivan Gorelik, seine Heuer einzutreiben

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Auch Stüben versuchte, den Reeder zu erreichen. Auch unter der Adresse einer kleinen Werft in Lettland, die ihm gehören soll. „Diese Werft scheint insolvenz angemeldet zu haben“, sagt er. „Unsere Rechnung wurde zurückgeschickt mit dem Vermerk: ‚Damit haben wir nichts zu tun.‘“

Wer der Reeder ist, ob er wirklich Insolvenz angemeldet hat, weiß momentan keiner so genau. ivan Gorelik kennt seinen Arbeitgeber nicht einmal. Was in Schifffahrtskreisen nicht mehr so ungewöhnlich ist. Gorelik hat den Job über eine internetagentur bekommen, wie viele Male vorher auch. Er hat ein Formular ausgefüllt und das Flugticket zugeschickt bekommen. „Alles ganz normal.“

Als er Ende August an Bord kam, lag das Schiff schon mit Motorschaden am Südkai in Brunsbüttel. Er weiß nur, dass es die erste Fahrt der „Rosethorn“ unter dem neuen Eigner war, dass das Schiff in Spanien Ladung auf­genommen hatte, Schrott und Stahl, beides war für Polen bestimmt. Als Gorelik ankam, hatten die Auftraggeber die Ladung schon abgeholt.

ivan Gorelik interessiert jetzt vor allem eins: Wenn die Heuerschuld geklärt ist, kann er nach Hause fahren. „Wenn es gut läuft auf einem Schiff“, so sagt Gorelik, „dann ist es wie eine Familie.“ Aber eben nur wie eine Familie auf zeit. „Die wirkliche Familie wartet zu Hause.“ Bleibt nur die Frage, was aus der „Rosethorn“ wird. Bisher hat sich immer noch ivan Gorelik um den kaputten Frachter gekümmert. zum Beispiel hat er Alarm geschlagen, als der Heizkessel kaputt ging, echt gefährlich, weil dadurch die

temperatur im Maschinenraum so absinken kann, dass die Rohre platzen.

„Wer will den Schlüssel?“, ruft der Erste Mann an Bord jetzt übermütig in die Runde und schwenkt tatsächlich ei­nen großen Schlüssel. Seine Gäste, Ulf Christiansen, Willi Derewonko und Leon Meier, winken lachend ab. Keiner will die Schlüsselgewalt über den maroden Frachter – und damit die Verantwortung. War ja auch nur ein Scherz.

Und so wird die „Rosethorn“, wenn Gorelik von Bord geht, wohl am Südkai oder im Betriebshafen von Brunsbüt­tel warten, bis sich eines tages ein neuer Käufer findet, der all die offenen Rechnungen bezahlt und das Schiff wieder über die Meere schickt.

Aufgegebene und Arrestierte schiffe

Die „Rosethorn“ ist eines von fünf Schiffen, die derzeit in nord-deutschen Häfen aufgegeben wurden. Juristisch besteht die Mög-lichkeit, dass die Gläubiger das Schiff arrestieren lassen. Das wird allerdings selten gemacht, denn wer arrestiert, trägt die Verantwor-tung fürs Schiff und sämtliche Kosten, die nach der Arrestierung anfallen. Bei der „Rosethorn“ hätte sich das für Gorelik nicht gelohnt. Ein anderer Frachter liegt aufgegeben in Wilhelmshaven. Einen aufgegebenen Frachter in Rostock hat die ITF im Namen der Crew arrestiert, einer wurde in Bremerhaven von der Reparatur-werft arrestiert, die Seeleute haben die Heuer über die ITF erstrit-ten. Bei einem anderen Frachter, der in Bremerhaven liegt, sind holländische Kollegen von Christiansen im Einsatz. Mehr Infos zur ITF unter www.itfglobal.org

Bild oben: Blick übers Deck. Rechts: Ivan Gorelik ist glücklich, Schlüssel und Verantwortung abgeben zu können

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Plätze gibt’s nur noch im Pik As die obdachlosen-unterkünfte sind rappelvoll. die Sozialbehörde weiß von nichts

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Die Helfer schlagen Alarm: In Hamburgs Unterkünften für Obdach-lose wird es immer voller. Nur in der Übernachtungsstätte Pik As sind noch Betten frei. Wohin die 200 Obdachlosen aus dem Winternotpro-gramm ziehen sollen, weiß derzeit niemand.

Glaubt man den offiziellen Statistiken, gibt es das Problem nicht: 680 Betten in Hamburgs notunterkünften seien Anfang Januar frei gewesen, so die Sozialbehörde. Da erstaunt, was der Mitarbeiter einer Fachstelle für Wohnungsnotfälle berichtet: „Wir haben ständig Probleme, Leute unterzubringen. Manchmal gibt es schon mittags keine Plätze mehr. Dann können wir nur noch ans Pik As verweisen.“ Von den angeblich freien Betten hat der Behördenmann, der ungenannt bleiben will, ge­hört. „nur weiß keiner, wo die sind!“ Die Sozialbehörde wiegelt ab: Fünf Prozent aller Unterkunftsplätze blieben immer frei, zur „Abfederung etwaiger Engpässe“. Voll belegt seien „einzelne Einrichtungen“.

Knapp 2700 Wohnungslose leben laut Sozialbehörde in städtischen Unterkünften. Wenn Mitte April das Winternotprogramm ausläuft, müssen 200 Obdachlose ihre Schlafplätze räumen. Wo sie bleiben sollen, weiß niemand. Angeblich, so Mitarbeiter des städtischen Unterkunfts­betreibers Fördern&Wohnen (f&w) konnten bis Mitte Februar gerade mal vier Betroffene in eine reguläre notunterkunft vermittelt werden. „Diese zahl kenne ich nicht. ich weiß, dass es im Moment schwierig ist. Aber es gibt ja eine hohe Fluktuation. Und wir gehen davon aus, dass die Fachstellen möglichst viele in Wohnungen vermitteln“, sagt Martin Leo, zuständiger Betriebsleiter bei f&w. „Wir bringen schon Menschen in Wohnungen“, sagt dazu der Fachstellen­Mitarbeiter. „nur kommen offensichtlich mehr neue nach, die untergebracht werden müssen.“ Ein f&w­Mitarbeiter aus einer Unterkunft bestätigt: „Wir können uns nicht drehen vor Platzmangel. Wir sprechen inzwischen über eine Dreier­Belegung von zimmern.“

Es hakt vorne und hinten im Hilfesystem. So wird es offenbar im­mer schwieriger, Wohnungen für Menschen zu finden, die mal auf der

Straße gelebt haben. Beispiel Bodelschwingh­Haus: Die diakonische Einrichtung betreut 70 ehemals Wohnungslose, 30 davon in eigenen vier Wänden. Das Konzept ist gut: Schritt für Schritt werden die Menschen in die Selbstständigkeit geführt, nach einem Jahr werden sie gewöhn­liche Mieter. Doch dafür braucht es Wohnraum – und an dem mangelt es: 20 Wohnungen konnten die Helfer vom Bodelschwingh­Haus ver­gangenes Jahr akquirieren. „Es werden immer weniger“, so Leiterin inka Damerau. „Allein im Januar mussten wir 44 Obdachlose abweisen.“

Angeblich gibt es derzeit nur eine notunterkunft in Hamburg, in der noch Betten frei sind: das Pik As. Doch selbst hier hat die Stadt die Hürden neuerdings hochgehängt: Jeder, der nicht im Schlafsaal, sondern im Vier­Bett­zimmer schlafen will, muss seit Kurzem einen sogenannten Unterbringungsbescheid von einer Fachstelle holen. Kann er diesen vorweisen, stellt ihm das Pik As einen „Kostenfestsetzungs­bescheid“ aus. Mit diesem muss der Obdachlose dann noch zur Arge gehen, um die Kostenübernahme zu beantragen. ulrich JoNaS

Betreuen statt verwaltenSozialbehörde startet modellprojekt für junge Wohnungslose

Nach langem Zögern will die Stadt in diesem Monat ein Wohnprojekt für junge Obdachlose eröffnen. Doch das neue Angebot reicht bei Weitem nicht aus – und hat Schwächen.

Frank (name geändert, Red.) ist in einer Obdachlosen­Unterkunft der Stadtmission untergekommen. zuvor hat er mehrere Monate Platte gemacht. Das zimmer, in dem der 23­Jährige zuletzt zur Untermiete wohnte, verlor er, als ihm sein Job bei einer zeitarbeitsfirma gekündigt wurde. zu seiner Mutter konnte er nicht zurück, bei der Arge bekam er

normalerweise haben wir ein gutes Verhältnis zur Polizei. Jetzt aber hat das innenstadtrevier eine „polizeiliche Handlungsanweisung“ erstellt, die Obdachlose, Punks und andere Gruppen aus der City verbannen will, selbst wenn diese nichts getan haben. Eine völlig überzogene und vermutlich so­gar rechtswidrige Maßnahme. Und verstehen tun wir sie sowieso nicht.

Aber der Reihe nach. Seit Jahren sitzen Geschäftsleute, soziale initiativen und die Polizei zusammen am Runden tisch bei St. Jacobi. Wie der name „Runder tisch“ schon sagt, sollen dort Probleme in der City besprochen und gelöst wer­den. in den vergangenen Monaten herrschte dort eitel Sonnenschein. Keine Beschwerdelage, auf die man irgendwie reagieren musste.

Jetzt wird in der Handlungsanweisung ein Horror­Szenario aufgebaut: „Randgruppen (Alko­holiker, Obdachlose und Punker)“ besetzen Bänke und Plätze, verschmutzen übermäßig öffentliche Flächen „bis hin zum Urinieren“. Von ruhestö­rendem Lärm ist die Rede und von Pöbeleien. So etwas kommt sicher manchmal vor – manchmal wohlgemerkt! Für derartiges Verhalten hat die Polizei bereits Handhaben: von Platzverweis bis ingewahrsamnahme.

Was aber nicht geht: Die Polizei will diesem eventuellen Extrem­Szenario dadurch vorbeugen, dass sie schon im Vorfeld Menschen aus der City verbannt, nur weil sie einer der genannten „Rand­gruppe“ angehören. nicht weil sie etwas getan ha­ben. Es genügt jetzt schon, wenn zwei Obdachlose – sie bilden laut Polizei­Papier schon eine Gruppe! – auf einer Bank sitzen und Bier trinken. Auch wenn sie sich ruhig verhalten, kann gehandelt wer­den, „denn erfahrungsgemäß kann angenommen werden, dass durch diese Personengruppen folgend Aggressionen ausgehen und eine Fremdgefährdung nicht auszuschließen ist.“

Laut Papier stehen selbst Personen unter Ge­neralverdacht, die „bis dato polizeilich nicht in Erscheinung getreten sind“.

Wir erwarten, dass die Polizeileitung das Pa­pier schon zurückgezogen hat, bis Sie diese zeilen lesen. Und dass sich der schwarz­grüne Senat hinter alle Bürger der Stadt stellt, egal wie sie aussehen.

Ein übles Polizei­Papier obdachlose und Punks sollen aus der City verbannt werden, auch wenn sie nichts getan haben.

EiN KommENtar voN

chEfrEdaKtEuriN birgit müllEr

keine Hilfe, weil angeblich immer wieder Unterlagen fehlten. Mehrere Hundert junge Menschen in Hamburg leben in notunterkünften oder auf der Straße – tendenz steigend (siehe H&K nr. 180). Wie viele Ju­gendliche in Erwachsenen­notunterkünften schlafen müssen, wird laut Sozialbehörde „nicht regelhaft statistisch erfasst“. Anfang 2008 hatte eine „Sonderauswertung“ ergeben, dass 342 unter 25­Jährige in den notunterkünften der Stadt untergebracht waren. zum Vergleich: zwei Jahre zuvor lag die zahl der Betroffenen laut Senat bei 203.

„Diese jungen Menschen haben eine Menge Probleme: Von zu Hau­se sind sie rausgeflogen, oder sie haben länger in Jugendwohnungen ge­lebt, aus denen sie mit 18 raus mussten. Oft haben sie keine Ausbildung. Und es gibt niemanden, der sie an die Hand nimmt“, sagt der Mitarbei­ter einer Fachstelle für Wohnungsnotfälle, der ungenannt bleiben will. Da es an Alternativen mangele, müsse er die Jugendlichen „erst mal in die Unterkünfte vermitteln“. Dort aber gebe es „Drogen­ und Alkohol­probleme en masse“. Manche der jungen Wohnungslosen lebten ein Jahr und länger in den notunterkünften: „Wir kümmern uns erst mal um die, die von selbst kommen. Wir haben eh nicht für alle Wohnungen.“

Seit Langem klagen Sozialarbeiter, junge Menschen seien in Ob­dachlosen­notunterkünften schlecht aufgehoben. nun soll ein Modell­projekt von Fördern&Wohnen (f&w) Abhilfe schaffen: 19 Plätze bietet das Haus auf der Veddel, in dem unter 25­Jährige, betreut von einer Sozialarbeiterin, in drei Monaten neue Perspektiven entwickeln sollen. „Viel zu kurz“ sei dieser zeitraum, kritisiert Olaf Sobczak von der Bera­tungsstelle Hude. immerhin, so f&w: „in begründeten Einzelfällen“ sei eine Verlängerung um weitere drei Monate möglich. Doch wohin sollen die Betroffenen ziehen, wenn es keine Wohnungen für sie gibt (siehe Bericht auf Seite 16)?

noch im März soll die Einrichtung ihre türen öffnen. Der Bedarf ist da, wie eine Statistik der Obdachlosen­tagesaufenthaltsstätte Herz As belegt: Allein dorthin lassen sich derzeit 58 junge Menschen unter 25 ihre Post schicken. ulrich JoNaS

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Himmel über Altona Beacham anderen ende der Welt, in australien, liegt altona Beach. mauricio Bustamante wollte dort fotografieren – und traf zwei menschen, die er nie vergessen wird

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Da drüben stehen zwei Engel. Das habe ich gleich gedacht. Sie stehen dort, ein Pärchen, etwa 70, 75 Jahre alt. Er hat den Arm um sie gelegt, sie hält eine rote nelke in der Hand.

ich bin auf dem Weg nach Altona Beach. Altona Beach in Austra­lien. Auf der Karte habe ich das nest, etwa 17 Kilometer entfernt von Melbourne gelegen, zufällig entdeckt. Hamburg­Altona – Altona Beach, ich war einfach neugierig, wie dieser kleine Verwandte am anderen Ende der Welt aussieht und was die Menschen dort treiben.

Es war schon abends, halb sieben, als ich mit dem Vorortzug die Stadt verließ. Hilfsbereite Australier hatten mir genau beschrieben, an welcher Station ich aussteigen sollte. ich machte es so, wie sie mir gera­ten hatten. Seitdem stehe ich hier, ratlos, laufe ein paar Meter neben dem Gleis entlang, frage Passanten nach Altona Beach. Doch alle sagen nur: Oh no, you’re totally wrong here! Sie sind hier völlig falsch. Beschrei­ben mir den Weg, woraus ich nicht schlau werde. Recht weit scheint es

noch zu sein. Die Gegend hier ist öde, ein industrie­Vorort. Eine große Straße zerschneidet das Gelände. in etwa einer Stunde wird es dunkel sein. Und nun?

Da drüben steht dieses wundersame Paar. Sie stehen an einer tank­stelle, kein Auto weit und breit, und gucken zu mir her. ich laufe los, rü­ber über die breite Fahrbahn, direkt auf die beiden zu. ich suche Altona Beach! Aber was willst du da? Das lohnt sich nicht. Woher kommst du überhaupt?

ich erzähle meine Geschichte. Dass ich aus Deutschland komme. na ja, eigentlich aus Argentinien. Aber nein, da bin ich aufgewachsen. ich bin italiener. Und lebe in Hamburg­Altona. Deswegen suche ich Altona Beach. ich bin Fotograf und will dort fotografieren.

Der Mann versteht sofort: Wir kommen aus ägypten. na ja, eigent­lich aus Syrien. Wir sind wegen der Arbeit nach Australien gekommen, leben hier in newport. ich habe lange in italien gearbeitet. Als Klavier­

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stimmer. Einmal war ich auch in Deutschland. zwei Wochen lang habe ich in Hamburg für Steinway am Schulterblatt gearbeitet. Damals habe ich mir Altona angeschaut! Ein Blick zu seiner Frau. Ein leises Kopfni­cken, ein stilles Lächeln. Die beiden sind sich einig: Komm mit uns!

Mary und Joseph (sie heißen wirklich so) kommen gerade aus der Kirche. Jetzt wollen sie ihr Auto holen, um mich nach Altona Beach zu bringen. Für die letzten 100 Meter bis zu ihrem Haus brauchen wir ewig. immer wieder begegnen uns Bekannte. Mary, die bis dahin eher zurückhaltend war, erzählt allen, wer ich bin und woher ich komme. ich erzähle von meiner Familie, meiner tochter Valentina. Als Reisender ist man nackt. Sie dürfen alles wissen.

newport ist schön. Alte Häuser im viktorianischen Stil säumen die Straße. Die zeit hat schon arg an ihren Fassaden genagt. Aber bald ist Weihnachten, und die Australier beginnen, ihre Häuser über und über mit Lichtern zu dekorieren. Der Schmuck wirkt wie das schöne Kleid an

einer reifen Frau. Mary schwärmt für den strahlenden Glanz, will mir alles zeigen. Sie erinnert mich an meine Mutter. Und ich komme mir vor wie der verlorene Sohn, der nach langer Reise heimgekehrt ist.

zu Hause führt mich Joseph sofort in den Keller. Er sammelt ins­trumente und will mir ein Klavier zeigen, das er selbst zusammengebaut hat. zwei Jahre lang hat er daran gearbeitet. Er steckt einen Stecker in die Steckdose, und das Klavier fängt wie irre an zu leuchten und zu spielen. Er will mir auch noch die anderen 1000 Dinge in seinem Keller vorführen – aber ich muss doch noch nach Altona Beach!

Gemeinsam fahren wir los. Hafenanlagen, industrie, Silos, große Schornsteine liegen parallel zur Schnellstraße. Die Landschaft zieht im zeitraffer an mir vorbei. Und endlich: Altona Beach.

Gerade noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang erreichen wir mein ziel. Ein langer Holzsteg führt wie eine Mole hinaus aufs Meer. Da will ich hin. Mary und Joseph bleiben im Wagen. ich sehe drei Pärchen, die

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Arm in Arm spazieren gehen, ihren Hund ausführen. Junge Leute, die sich unterhalten, Gitarre spielen, einfach nur aufs Wasser blicken. Da sind Vater und Sohn beim Angeln. Ein paar touristen aus neuseeland und aus Australiens größter Stadt Sydney. Erstaunlich viele Menschen sind unterwegs. Alle die, die aus Altona Beach kommen, wissen um das andere Altona in Deutschland.

niemand ist im Wasser. Altona Beach liegt zu nah am Hafen. Alto­na Beach ist überhaupt nichts Besonderes. Es ist sehr normal. Einfach. Aber schön.

Plötzlich werde ich unruhig. Was, wenn Mary und Joseph nicht auf mich gewartet haben? Wie lange habe ich fotografiert? inzwischen ist es nacht! ich haste zurück zum Parkplatz – und bin erleichtert. Die beiden Engel sind noch da. natürlich.

Auf dem Rückweg fahren wir durch die innenstadt von Altona Beach. Von dem Ort sehe ich nicht mehr viel. Mich hätte das Rathaus

interessiert oder die Kirche, eine Schule vielleicht. Aber Mary will mir die Lichter zeigen, die an den Häuserfassaden.

ich muss zurück nach Melbourne. Mary und Joseph wollen, dass ich zum Essen bleibe. Aber morgen früh geht der Homeless World Cup weiter, ich muss dort fotografieren! So fahren mich die beiden den ge­samten Weg zurück in die Stadt.

Es waren nur drei Stunden, die vergingen wie im Rausch. zum Ab­schied schenkt mir Mary ein kleines Licht. Für Valentina. Wir nehmen uns in den Arm. Mary weint.

Wahrscheinlich werde ich die beiden Engel nie wiedersehen. ihr Licht aber wird mich mein Leben lang begleiten. protoKoll: aNNEttE WoyWodE

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ich bin keine regelmäßige Leserin ihres Ma­gazins, vielleicht kaufte ich drei Ausgaben im Jahr. Umso mehr bin ich im Moment durch­einander, denn im Februar­Heft entdeckte ich die Sterbeanzeige von Anja Bernardini. ich kenne eine Frau dieses namens, der ja si­cherlich ungewöhnlich ist. Mit dieser Anja bin ich zur Grundschule gegangen in Keitum auf Sylt. Sie hat neben mir gesessen, sie hat eine schwarze muffige Gymnastikhose mit Steg im Sportunterricht getragen, die auch mal auf dem tisch neben ihr lag. So eine turnhose hat­ten wir Mädchen alle damals, und wir haben alle bestimmt um die Wette gemüffelt.

Warum fällt mir nun ausgerechnet das ein? Hätten wir uns später mal getroffen, dann hätte ich ihr das erzählt: „Weißt du noch …?“, und wir hätten darüber gekichert.

Wir haben oft zusammen gespielt, ich war häufig bei ihr zu Besuch, wir haben uns ver­kleidet und auf dem großen Bett gespielt, als ihre Mutter den Fußboden gestrichen hatte, daran erinnert sich noch meine Mutter.

ich sehe das Haus in tinnum, in dem sie eine zeit lang mit ihrer kleinen Schwester und Mutter gewohnt hat. Der alte Vivo­Markt mit der Bushaltestelle, wo der Schulbus hielt.

Und dann sind sie nach Westerland um­gezogen. Unsere Wege trennten sich nach der Grundschule, wir haben uns aus den Augen verloren.

nun frage ich mich: ist das die Anja, die ich kenne? ist das die Anja, die so alt ist wie ich, 1965 geboren? Hatte sie nicht auch im August Geburtstag oder glaube ich das nur, weil ich das in der Anzeige gelesen habe?

Das ist vielleicht der erste Mensch, den ich mal so gut gekannt habe, der gestorben ist.

So jung? Warum ist sie nicht älter geworden? ist ihr Leben in die Schieflage geraten? War sie krank? Sie stand oft vorm Michel, lese ich. Hätten wir uns nicht begegnen können, jeden tag? ich arbeite tag für tag genau gegenüber, sehe jeden tag auf diese Kirche. Hätte ich sie wiedererkannt?

Und meine Erinnerungen sind so leben­dig, obwohl das, was uns vielleicht gemein­sam verbindet, alles ungefähr 1973/74 spielte. Und dann fühle ich mich so entsetzlich alt, eigentlich das erste Mal überhaupt in meinem Leben.

Anja. ich denke an dich. Gibt es jemandem, mit dem ich über dich

sprechen kann? Kann ich dir eine Blume auf den Friedhof bringen? Und bist du überhaupt die Anja, die ich kenne? aNdrEa KaacK

Leserbriefe geben die Meinung des Verfassers wieder, nicht die der Redaktion. Wir behalten uns vor, Leser-briefe zu kürzen.

Tschüss,

ElfriedeAugust 1933 – 28. Januar 2009

Wir werden dich vermissen.

Annika Holmer, Christina v. Kollrepp, Daniela Krause, Nicole Wiencke, Sina Piel,Sybille Malinowsky, Sabine Kordt

Leserbrief

„Bist du die Anja, die ich kenne?“leserbrief von andrea kaack zum tod von unserer verkäuferin

anja Bernardini (H&k 192)

Impressumredaktion und verlagHinz&Kunzt gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbHAltstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg Tel. 321 08-311, Fax 30 39 96 38Anzeigenleitung: Tel. 321 08-401E-Mail: info@hinzundkunzt.dewww.hinzundkunzt.deherausgeberinLandespastorin Annegrethe Stoltenberg, Diakonisches Werk HamburgExterner beiratMathias Bach (Kaufmann) Olaf Köhnke Rüdiger Knott (ehemals NDR 90,3-Programmchef)Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.)Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung)Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds)Horst Stendel (Polizeikommissariatsleiter i.R.)Alexander Unverzagt (Medienanwalt)Oliver Wurm (Medienberater)geschäftsführung Dr. Jens Aderedaktion Birgit Müller (v.i.S.d.P.), mitarbeit Annette Woywode (C.v.D.), Beatrice Blank (Volontärin), Ulrich Jonas, Kerstin Weber-Rajabfotoredaktion Mauricio Bustamanteredaktionsassistenz Christiane Heinemann, Jan Kösterartdirektion Martin Kathgrafik Martin Kath, Markus Wustmann, Lena Leimbachöffentlichkeitsarbeit Isabel Schwartau, Friederike Steiffert anzeigenleitung Isabel Schwartauanzeigenvertretung Christoph Wahring, Wahring & Company, Tel. 284 09 40, [email protected] gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 13 vom 1. Januar 2008vertrieb Frank Belchhaus (Leitung), Sigi Pachan, Jörg Wettstädt, Jürgen Jobsen, Frank Nawatzki, Silvia Zahnzivildienstleistende Jonas Göbel, Nicolas SchollmeyerSpendenmarketing Gabriele KochSpendenverwaltung Ute SchwarzSozialarbeit Stephan Karrenbauerproduktion Martin Kathdruck A. Beig Druckerei und Verlag, Damm 9-15, 25421 Pinnebergverarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH

Spendenkonto hinz&KunztKonto 1280 167 873, BLZ 200 505 50 bei der Hamburger Sparkasse

Die Hinz&Kunzt gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer 17/414/00797, vom 15.08.2008 für das Jahr 2006, nach §5 Abs.1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer befreit. Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Wir bestätigen, dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&Kunzt einsetzen. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.

Hinz&Kunzt ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdach-losen und ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet. Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter unterstützen die Verkäufer. Das Projekt versteht sich als Lobby für Sozialschwache. gesellschafter

durchschnittliche monatliche Druckauflage

im 1. Quartal 2009: 68.300 Exemplare

Bunt: Riesenprogramm beim Black History Month S. 38

Sinfonie der StadtCellist Sebastian Gaede spielt mit beim größten open-air-konzert der Welt

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neu: Gipsy Festival auf der Elbinsel S. 43

Originell: Stadtteil­Kunst in der Rathausdiele S. 40

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100 Philharmoniker an 50 Orten zwischen Reeperbahn und Rathaus: Dirigentin Simone Young und ihre Musiker wollen die Hamburger mit der 2. Sinfonie von Brahms für die Klassik begeistern.

Eine taube fliegt unter der Kennedybrücke hindurch, über die Straße rauschen Autos. Hans Rastetter geht zu einem Brückenpfeiler und setzt sein Waldhorn an die Lippen. Ein dunkles tuten wie von einem Schiffshorn schallt über die Alster. Ein Blesshuhn schwimmt herbei. Der Musiker lauscht dem Klang und nickt zufrieden. Soundcheck gelungen. „Einige im Orchester haben sich zuerst gefragt: Wenn wir im Frack auf der Bühne stehen, sind wir doch gut! Haben wir das nötig, da rauszu­gehen?“, sagt der 60­Jährige. Von Kindesbeinen an spielt er Horn und weiß: „Mit dem instrument schützen wir uns oft.“

Damit ist es am 2. März vorbei. Die Philharmoniker haben be­schlossen, ihren geschützten Raum in der Laeiszhalle zu verlassen und aus Hamburg den größten Konzertsaal der Welt zu machen. 100 Musiker strömen aus und gehen auf die Reeperbahn, auf das Spiegel­Hochhaus, in die Europa Passage, auf den Rathausplatz und an fast 50 weitere Orte und spielen die 2. Sinfonie von Johannes Brahms, während Generalmusikdirektorin Simone Young auf dem turm des Michel steht und sie dirigiert. „Wir bringen die Musik an all die Orte, die den typischen Charakter Hamburgs ausmachen“, sagt Simone Young. „Wir wollen Begeisterung in der Stadt wecken, und alle Hamburger sollen erleben, dass wir ein teil von ihnen sind.“

Die idee entwickelt hat die Werbeagentur Jung von Matt. Für die Umsetzung ist eine logistische Meisterleistung notwendig. Der Fern­sehsender Hamburg 1 filmt Simone Young und überträgt das Bild live.

Jeder Musiker hat einen Laptop oder Fernseher vor Ort, um sie zu sehen, und wird gleichzeitig selbst aufgenommen. Später werden die Bilder zu­sammengefügt, damit jeder im internet das Konzert mit dem gesamten Orchester anschauen kann. Um 18.30 Uhr soll der erste takt erklingen. Dann kann jeder zu einem der Musiker gehen, die alle in der gleichen Aufstellung verteilt sind wie sonst auch – nur eben Hunderte Meter voneinander entfernt –, und kann die ganz persönliche Klangfarbe des Orchestermitglieds vor Ort erleben.

Es ist ein Marketing­Streich, ein Open­Air­Ereignis, bei dem Frack­träger zu Straßenmusikern werden und unentgeltlich spielen. Es ist eine Chance, alte Konventionen über Bord zu schmeißen und der Klassik neu zu begegnen – und ihren Musikern.

„im Grunde arbeiten wir die ganze zeit dafür, dass die Chefs be­rühmt werden“, sagt Hornist Hans Rastetter und lacht. Die Chefs – das sind Dirigenten wie Wolfgang Sawallisch, Horst Stein und ingo Metz­macher, die sich einen namen machten, als sie die Philharmoniker leiteten. Das Orchester dagegen wird, wie jedes, als Klangkörper wahr­genommen, als Gesamtkunstwerk, in dem der einzelne Musiker aufgeht und verschwindet. Für Rastetter ist das in Ordnung. Seit er als kleiner Junge in das Blasorchester seines Dorfes bei Karlsruhe kam, spielte er in Orchestern, erst in Stuttgart, dann in Mainz. noch heute kann er trä­nen über ein Konzert vor seiner zeit bei den Philharmonikern lachen, als zwei Bläser falsch spielten – genau wie bei der Wiederholung, weil sie dachten, der andere hätte richtig gespielt.

Sein stärkstes musikalisches Erlebnis verdankt er dem Leben im Orchester. „Für eine Mahler­Sinfonie waren wir nach Paris gefahren – und wurden ausgebuht.“ in Amsterdam wechselte der Dirigent. Unter

Sinfonie der Stadt Welturaufführung: Simone Young und die Philharmoniker machen Hamburg zum größten konzertsaal der Welt – zu sehen im internet

Das größte klassische Open-Air-Konzert der Welt: Hans Rastetter bläst unter der Kennedybrücke in sein Waldhorn. Olivia Jeremias am Cello und … … Dylan Naylor an der Violine musizieren vor der Fischauktionshalle. Cellist Sebastian Gaede spielt im Millerntorstadion

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Kirill Kondraschin spielten sie das Stück noch einmal – und wurden frenetisch gefeiert. „Da sieht man, was ein Dirigent mit einem Orchester machen kann.“ An jenem Abend schwebte er.

nach 40 Jahren kennt der gelernte Schlosser die Höhen und tiefen im Orchesterleben. Bis drei Stunden vor Dienstbeginn muss jeder Phil­harmoniker bereit sein, für einen erkrankten Kollegen einzuspringen. „Darunter leidet das Sozialleben“, sagt Rastetter. Es kann gut sein, dass er feste Verabredungen kurzfristig absagen muss. „Bis Freunde das akzeptieren, das dauert.“ Doch die Plätze sind begehrt. Wer bei den Philharmonikern aufgenommen wird, hat es geschafft.

Dylan Naylor kann sich noch gut daran erinnern, wie er sich vor sechs Jahren um einen Platz als Violinist bewarb. „Es hat ewig gedauert, von zehn bis 14 Uhr. Am Schluss waren immer noch drei Kandidaten übrig.“ Der 32­Jährige sitzt im Café des Stilwerks am Fischmarkt neben Cello­spielerin Olivia Jeremias. Am 2. März werden die Musiker gemeinsam vor der Fischauktionshalle schräg gegenüber spielen.

naylor schaffte die Prüfung auf Anhieb. Die Aufnahme in den erlauchten Kreis verläuft basisdemokratisch: Die Philharmoniker stim­men ab. Die Dirigenten können ein Veto einlegen, aber den Sieger nicht bestimmen. Das ist die Macht eines Gesamtkunstwerks. Für naylor begann die einjährige Probezeit, wie für jeden neuzugang. Danach stimmten die Kollegen erneut ab. naylor bekam noch mehr Stimmen als zuvor. inzwischen ist er im Orchestervorstand. „im Grunde sind wir ein erzkonservativer Haufen“, sagt er und lacht. „Schließlich üben wir Berufe aus, die 300 Jahre alt sind.“ Wenn der Violinist sich entspannen will, hört er House­Musik. „im Urlaub fahre ich am liebsten nach ibiza und tanze“, sagt er. „Mein aktueller Lieblings­DJ heißt Dead Mouse.“

Warum hat die Klassik nicht so einen Erfolg? Cellistin Olivia Jere­mias schnallt sich den instrumentenkoffer auf den Rücken. „Viele sind daran nicht gewöhnt“, sagt sie. „Es muss mehr Jugendarbeit geben – und Aktionen wie diese.“ Gemeinsam schlendern die beiden zur Fischauk­tionshalle und erzählen, mit welchen Musikern sie schon gearbeitet haben. „ich habe mit Marius Müller­Westernhagen gespielt“, sagt Dylan naylor. „ich mit Elton John“, sagt Olivia Jeremias. „ich habe im Halb­finale von ‚Deutschland sucht den Superstar‘ im Orchester gespielt.“ – „nein!“ – „Doch!“, sagt Dylan naylor. „ich habe alle Folgen gesehen,

noch bevor ich ins Orchester eingeladen wurde. ich war voll informiert, welche Kandidaten gut sind.“

Nach der Uraufführung der Sinfonie Nr. 2 in D-Dur schrieb theodor Billroth seinem Freund Brahms 1887: „Das ist ja lauter blauer Him­mel, Quellenrieseln, Sonnenschein und kühler, grüner Schatten!“ Am 2. März 2009 kommen vielleicht noch Graupelschauer hinzu. Vor der Fischauktionshalle liegt matschiger Schnee. „Die instrumente müssen wir eingepackt lassen, es ist zu kalt“, sagt Olivia Jeremias. Kälte könnte aus dem Konzert eine Unvollendete machen. Damit das nicht passiert, suchen die Organisatoren zurzeit für jeden Außenstandort nach alter­nativen innenplätzen.

Sebastian Gaede kann sein Cello auspacken. Sein Platz ist überdacht. Der 41­Jährige nimmt auf den Plastikschalen im Millerntorstadion auf der Südtribüne Platz. Warme Celloklänge erfüllen das Stadion. Auf dem Orchesterplan für das große Konzert steht: Frack. Sebastian Gaede schüttelt den Kopf: „Das kann ich mir draußen nicht vorstellen.“ Auf dem Kapuzenpulli des gebürtigen Hamburgers prangt der totenkopf vom FC St. Pauli: „ich habe eine Lebensdauerkarte für die Spiele.“

Seit er ein kleiner Junge war, ist er Mitglied des Fußballklubs. Früher trat er mit seinen beiden Brüdern als trio auf, doch er studierte auch Wirtschaftsmathematik. „Mathe hat viel mit Musik zu tun“, sagt er. Vierviertelrhythmus, halbe noten, terzen – eine Partitur kann auch eine Rechenaufgabe sein. Mit seinem Fachwissen konnte Gaede schon seinem Lieblingsverein helfen, als er dort ein Praktikum machte und bei der Finanzbuchhaltung half. So ist es für ihn selbstverständlich, dass er im größten Konzertsaal der Welt an seinem Lieblingsort Platz nimmt. Sonst wird im Stadion gegrölt und gerufen. in klassischen Konzerten ist es schon verpönt, wenn jemand zwischen den Sinfonie sätzen klatscht.

Beim Brahms­Konzert werden Möwen schreien und Autos quiet­schend bremsen. Die Regeln, die seit Hunderten von Jahren in den Konzertsälen Europas entstanden sind, werden an diesem Abend außer Kraft gesetzt, die Grenzen verschwimmen, und so soll es sein, wenn die Philharmoniker hinausgehen und zusammen mit dem Sound von Hamburg eine Sinfonie der Stadt erklingen lassen. Joachim WEhNElt

dAs gesAmtkunstwerk im Internet: www.philharmoniker-event.de

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10 tipps vom 1. bis 15. März

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Weiblichin die vollen zum Weltfrauentag

zum vierten Mal findet in Hamburg das inter­nationale Frauenfesti­val statt. Rund um den Weltfrauentag am 8. März beschäftigen sich Filme, Vorträge, Lesungen und Ausstellungen mit dem politischen und künstle­rischen Alltag von Frauen auf der ganzen Welt.

Psychologin irmgard Eckermann spricht über „gewaltfreie Kommuni­kation“, Hatice Akyün, die mit „Einmal Hans mit scharfer Soße“ einen Bestseller landete, liest aus ihrem neuen Buch „Ali zum Dessert“, und zum Abschluss wird gefeiert: mit persischen Liedern, afrikanischen tänzen und Chansons im Delphi Showpalast. Männer sind herzlich eingeladen!

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diverse Veranstaltungen rund um den 8. März, Programm unter www.frauenfestival.de

bühne

Verbindendliebeserklärung an istanbul

Mario Rispo ist ein Mann mit vielen talenten. Er war an der Gründung des Schmidt theaters betei­ligt, hatte in Hamburg ein angesagtes Restaurant und eine Event­Agentur. Dann studierte er tür­kischen Gesang in Berlin, lernte die Sprache und ist heute der erste deutsche

Künstler, der mit tür­kischen Liederabenden in Deutschland und der türkei Erfolg hat. Beglei­tet von fünf türkischen Musikern baut er in seinem Programm eine Brücke zwischen Orient und Okzident. Er singt klassische Lieder, mo­derne Balladen, rezitiert türkische Künstler und erzählt auf Deutsch von seiner Liebe zu istanbul und den Gemeinsam­keiten beider Kulturen.

schmidt theAter

Spielbudenplatz 27, Mo, 9.3., 20 Uhr, 21,80/14,10 Euro

Kinder

Findigfigurentheater mit Pettersson und findus

Ein Kinderzimmer ohne Pettersson und Findus gibt es wohl in ganz Deutschland nicht. Der alte Mann und der Kater sind die Helden mehrerer Bücher, Filme und thea­terstücke. Die Bielefelder Kammerpuppenspiele setzen nun mit liebevoll gefertigten Figuren bei

ihrem Gastspiel den etwas schrulligen Alten und sein abenteuerlustiges Haus­tier in Szene. Pettersson bastelt sogar eine Mond­rakete und die passende Mondlandschaft für Fin­dus. Der Kater begegnet Mondhühnern und muss mit dem eitlen Hahn Caruso fertig werden, der ihm die Show zu stehlen droht. Aber Findus findet ja immer eine Lösung.

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sprechwerk

Klaus-Groth-Straße 23, So, 8.3., 15 Uhr, 9.–13.3., 16 Uhr, 14.3., 14 und 16 Uhr, 8/7 Euro

Kinder

Bewegtferienprogramm in der kunsthalle

Für alle, die in den Frühjahrsferien nicht Ski fahren, gibt es eine prima Alternative. Die Kunsthal­le bietet mit „tolle tänzer – tiere und Figuren in Bewegung“ ein sportliches Programm für Kinder zwischen fünf und 15 Jah­ren an. Gemeinsam mit den Museumspädagogen

beobachten die Kinder leichtfüßige tänzerinnen von Edgar Degas, schnelle Pferde und springende Affen – nicht nur im Museum, sondern auch „in Echt“ in Hagenbecks tierpark. Aber auch Sel­bermachen ist gefragt: Mit Hilfe von ton, Wachs und Farben entstehen nach Skizzen­Vorlagen tänzer und tiere.

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Glockengießerwall, Infos unter www.hamburger-kunst-halle.de/museumspädagogik oder Telefon 428 13 12 13/-14, 30/25 Euro pro Woche

Kino

DünnHungern als Schrei um Hilfe

Der Dokumentarfilm „Die dünnen Mädchen“ begleitet den Alltag von acht jungen Frauen, die in einer therapieeinrich­tung für Magersüchtige in der Lüneburger Heide leben. Regisseurin Maria teresa Camoglio kon­zentriert sich voll auf die jungen Genesenden und

gibt ihnen viel Raum. Die Mädchen bringen große Bereitschaft mit, von sich zu erzählen. Wie alles begann, warum die Kon­trolle über den eigenen Körper so faszinierend ist. Jede Geschichte, jeder Auslöser ist ganz anders, aber keine der acht Frauen wollte abnehmen, um einem Schönheitsideal zu genügen. Der Film geht ganz nah ran und lässt uns die komplexe Krank­heit besser verstehen.

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Gaußstraße 25, Do, 12.3., 20 Uhr, 4 Euro

Location-tipp

SteinigJüdische Begräbnis-kultur in altona

Blumen und Kränze sucht man hier vergeblich: Der jüdische Friedhof in Alto­na ist ein Meer aus Stei­nen. Jeden Sonntag kann man bei einer Führung erfahren, wie die beson­deren Begräbnisrituale der Juden entstanden sind. Das Kulturdenk­mal wurde im frühen 17. Jahrhundert angelegt und ist weltweit eines der bedeutendsten jüdischen Gräberfelder. Der knapp 20.000 Quadratmeter große Friedhof besteht aus einem sephardischen teil (für die spanisch und portugiesisch sprechenden Juden) und einem asch­kenasischen teil (für die deutsch bzw. jiddisch sprechenden Juden aus Mittel­ und Osteuro­pa). Lange zeit war die Stätte in Vergessenheit geraten, wurde aber im november 2007 nach intensiver Restaurierung der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. neu entstanden ist dabei auch ein Besucherzentrum. Das Eduard­Duckesz­Haus wurde nach dem Altona­er Rabbiner, Historiker, Krankenhausseelsorger und Genealogen Eduard Jecheskel Duckesz be­nannt, der am 6. März 1944 in Auschwitz ermor­det wurde.

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Königstraße 8a, Führungen sonntags (außer an gesetz-lichen und jüdischen Feier-tagen), 5 Euro, Kinder frei Besucherzentrum und Biblio-thek: Eduard-Duckesz-Haus, Di/Do, 14–17 Uhr (April–September 15–18 Uhr)

aussteLLung

OriginellStadtteilkunst zu Gast in der City

Was 1974 mit einer Handvoll Hobbykünst­lern und ihren Bildern als übersichtliche Ver­anstaltung begann, ist heute eine kulturelle institution in Mümmel­mannsberg. Bei den 30. Kunst­ und Kulturtagen zeigten vergangenen november 160 teilnehmer ihre Aquarelle, Ölbilder oder Glasarbeiten. Jedes Jahr laden die Künstler in die Gesamtschule Mümmelmannsberg ein. Sie organisieren von den Ausstellungstafeln bis zum Kaffeeausschank alles selbst. Der Künst­lernachwuchs kommt aus den zahlreichen Hob­bygruppen im Stadtteil. Die Standgebühr kann sich jeder leisten: Sie kostet einen Beitrag zum Kuchen­ oder Salatbüfett.Die Kunst­ und Kulturta­ge sind ausdrücklich nicht nur für Mümmelmanns­berger gedacht, sondern für alle Hamburger, die an Kunst interessiert sind. Für die, die es bis jetzt nicht in die Billstedter Siedlung geschafft haben, kommen die Kunst­ und Kulturtage im März in die City. im Eingangsbereich des Hamburger Rathauses stellen 45 Künstler ihre Bilder und sich selbst vor. Und nutzen die Gele­genheit zu zeigen, dass Mümmelmannsberg keine kulturlose Betonwüste ist, sondern dass es dort rich­tig was zu sehen gibt.

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Rathausmarkt 1, 2.–19.3.,Mo–Fr 7–19 Uhr, Sa 10–18 Uhr, So 10–17 Uhr,Eintritt frei

aussteLLung

Authentischoriginelle Porträts von obdachlosen

Viele Menschen gehen achtlos an Obdachlosen vorüber. nicht so tho­mas Koch und Michael Fritz. Die beiden Künst­ler haben sich zum Duo „Strassenkoeter“ zusam­mengetan und intensiv mit Wohnungslosen auf dem Kiez beschäftigt. Sie setzten sich mit den Bio­

grafien auseinander und fotografierten. Die Bilder wurden anschließend digital bearbeitet und auf Leinwand gedruckt. Ent­standen sind 14 Porträts von Menschen, die viel erlebt haben. Die Aus­stellung ist der Auftakt zur Reihe „Street Life“, in der im Laufe des Jahres weitere Menschen gezeigt werden, die ihr halbes Leben auf dem Kiez ver­bracht haben. gAlerie hAlb Acht

Hein-Hoyer-Str. 16, 1.–12.3., Do–So, 16.30–19.30 Uhr, Eintritt frei

aussteLLung

EigenwilligSurreale Bilderwelten in Schwarz-Weiß

Einen Bilderkosmos in Schwarz­Weiß, in dem entrückte und in Haute Couture gekleidete Frauen in eigenwilligen Hal­tungen posieren, zeigt die Ausstellung „Rolmodel­len“. 1975 haben sich die Malerin Jacqueline Portielje und der Archi­tekt Huub Schilte kennen­

gelernt, sich zunächst in Einzelarbeiten ergänzt. 1997 haben sie sich zu­sammengetan und erfor­schen seitdem den Com­puter als künstlerisches Medium für fotografische und malerische Experi­mente. Die so in langen und komplexen Arbeits­gängen entstehenden Collagen erinnern an alte surrealistische Schwarz­Weiß­Fotografien.

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Stresemannstraße 384 a (im Hof), 5.3.–7. 5, Di–Fr 14–19 Uhr, Eintritt frei

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HeldenhaftHörspielabend unter den Sternen

Donald Delpe ist 14 Jahre alt, bleich, klapperdürr, haar­ und augenbrauen­los. Er hat Krebs. Kann sein, dass er seinen 16. Geburtstag nicht mehr erlebt. Aber eins weiß er sicher: Er will nicht als männliche Jungfrau sterben. Bei den Mädchen hat er aber keinen Erfolg.

Doch zum Glück gibt es „Miracleman“, seinen selbst erfundenen Helden, der ihm hilft herauszufin­den, was wirklich wichtig ist. Anthony McCarten, der auch die Romanvor­lage für den Erfolgsfilm „Ganz oder gar nicht“ verfasst hat, ist ein mitrei­ßendes Drama gelungen, das durch seine lakonisch­rotzige Jugendsprache unterhält und rührt. Der nDR hat daraus ein pa­ckendes Hörspiel gemacht.

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Hindenburgstraße 1b, Di, 3.3., 19.30 Uhr, 7,50/4,50 Euro

lOcAtiOn-tipp: Liegende Grabplatten der Aschkenasim auf dem jüdischen Friedhof Altona Aufrecht stehende Grabsteine sephardischer Juden. Wertvoll für Ahnenforscher: Die Grabmäler sind mit den Namen der Toten und ihrer Väter beschriftet

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10 tipps vom 16. bis 31. März

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Komischvirtuose Parodien auf die Popkultur

Ein Duo, das sich auf der Bühne anzickt, ist nicht unbedingt origi­nell. Die Hamburger Musikcomedy­truppe „Poppschutz“ zielt zwar mit einigen nummern auch in diese Richtung, hat aber weitaus mehr drauf. Hans Peter Reutter, der „tastenkasper“, und

„Sängerknabe“ thorsten Saleina tauschen auch gern mal die Rollen, und der Pianist teilt kräftig aus. Beide streiten darum, was sie auf die Bühne treibt: Geldgier, Geltungs­sucht oder die Liebe zur Kunst? Reutter spielt gekonnt Klavier, Saleina kiekst und schmachtet wie ein Popstar und rollt auch mal über den Bühnen­boden. Eine musikalisch anspruchsvolle Parodie auf die Popkultur.

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Steindamm 45, 28./29.3., 20 Uhr, 15/10 Euro

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Charismatischlyle lovett zu Gast in Hamburg

Countrymusik gleichzei­tig cool und gefühlvoll spielen, das können nur wenige so gut wie Lyle Lovett. Der mehrfach prämierte amerikanische Sänger kommt mit Band nach Hamburg, um seine unvergleichliche Mischung aus Country, Swing, Blues und Jazz vor­

zustellen. Der Mann ist außerdem auch noch ein guter Schauspieler. Unver­gessen etwa sein Auftritt als fieser Bäcker in Robert Altmans Film „Short Cuts“. Wer Lyle Lovett und seine markante Haar­tolle live erleben möchte, hat jetzt Gelegenheit. Viel­leicht spricht er ja Deutsch mit seinem Publikum? Studiert hat er die Sprache jedenfalls, und bei so vielen talenten wäre ihm das zuzutrauen.

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Jarrestraße 20, Do, 26.3., 20 Uhr, 56,50/37,50 Euro

musiK

MitreißendWüste melodien und treibende Beats

Balkan­Beats sind seit Jahren ein Phänomen in den Clubs der inter­nationalen Metropolen. Arabische Grooves, explo­sive Balkan­Rhythmen, Klezmer, zigeuner­Me­lodien, Jazz, Ska, bulga­rische Frauenstimmen, Sahara­Dialekte, Reggae und Polka: alles geht.

Die südosteuropäische Mischung aus neu und Alt, Urban und Ländlich, speist sich aus slawischen und orientalischen tra­ditionen. Wüste Klang­farben, Lebensfreude, Leidenschaft und tanz­barkeit: Das bringt auch die kühlen nordeuropäer in Wallung. Und Völker­verständigung auf dem Dancefloor – vielleicht ist das ein guter tipp für eine After­Show­Party im Europaparlament?

hAus 73

Schulterblatt 73, Fr, 27.3., 23 Uhr, Eintritt frei

festivaL

Vielfältigmusik und lesungen mit der familie Weiss

Gemeinsam mit der Familie Weiss lädt das Bürgerhaus Wilhelms­burg zum ersten „Elbinsel Gipsy Festival“ ein. zwei tage lang werden die Sinti mit Musik, Fotos, Litera­tur und Kinderprogramm auf sich aufmerksam machen. Den Auftakt macht das „Café Royal Salonorchester“, das mit der erst 13­jährigen Sängerin Melody Weiss nun vier Generationen der besten Sinti­Musiker in einem Ensemble vereint. Anschließend folgen „Elevator“ – Jazz und Soul mit der Weiss­Familie in anderer Besetzung. Am Sonntag zeigt die Foto­ausstellung von Marily Stroux das Leben der Familie Weiss gestern und heute. nachdem Egon Weiss Sinti­Märchen er­zählt hat, mischen die Sw­ing Kids das Bürgerhaus auf. Die fünf Mädchen und Jungs aus Bremer­haven im Alter zwischen neun und 15 Jahren spie­len ein buntes Programm, Balladen bis Swing. Um 20 Uhr gehört die Bühne dann Dotschy Reinhardt aus Berlin. Sie gehört zur Familie des legendären Swing­Gitarristen Django Reinhardt und hat sich von ihm musikalisch in­spirieren lassen. Aber be­vor sie ihr musikalisches talent unter Beweis stellt, liest Dotschy aus ihrem Buch „Gypsy – die Geschichte einer großen Sinti­Familie“.

bürgerhAus

wilhelmsburg

Mengestraße 20, 21.3., 20 Uhr, 22.3., 16 Uhr, 12/10 Euro

Kino

KnallhartWas Chefcineast andré Schmidt empfiehlt

Würde sich mal jemand trauen, die weltweite Gangster­Hierarchie mit dem Musikbusiness zu vergleichen, die britischen Ganoven wären so etwas wie Motorhead im Din­nerjacket: roh, stets leicht muffelig, klein, gemein oder einfach nur hässlich. Und immer wieder ist die Londoner Unterwelt für eine Geschichte gut. Fasziniert fieberte ich be­reits unzählige Male dem unvermeidbaren Bad End von neil Jordans „Mona Lisa“ entgegen. Das ist nun schon mehr als 20 Jahre her. Brutal und lus­tig dagegen Guy Ritchie: „Snatch“, mit Brad Pitt als boxendem zigeuner, und „Bube, Dame, König, Gras“, mit dem damals noch unbekannten Jason Statham, gehörten in den neunzigern in jede coole studentische VHS­Samm­lung. Videokassetten gibt’s nicht mehr, Guy Ritchie aber schon. nachdem die Sache mit Madonna nicht mehr läuft, konzentriert er sich wieder auf das, was er kann: knallharte und unkonventionelle Gangs­terfilme drehen. „RocknRolla“ ist ein typischer Ritchie­Streifen. Es geht um viel Geld, Gangster alter Schule, Mord und totschlag, Erpressung und Gewalt. Ach ja, schöne Frauen sind auch dabei. Davon soll es in England nicht ganz so viele geben. Aber die, die es gibt, lieben garantiert einen Bad Boy. Außer Madonna. Aber das hatte ich ja bereits erwähnt.

neu im kinO ab Do, 19.3.

Kinder

Kriminelldas Geheimnis der gestohlenen Stimme

in der Winterhuder Villa der Sängerin Malina wur­de eingebrochen. Merk­würdigerweise wurde aber nichts gestohlen. Eines Abends beobachten die Freunde Anna, tom und Sophie, wie Malina vor ih­rem Haus überfallen und in ein Auto gezerrt wird. Die von den dreien alar­

mierte Polizei findet die Sängerin auch – allerdings hat diese ihre Stimme verloren. Die Freunde wollen wissen warum und stürzen sich in ein gefähr­liches Abenteuer. Wie die Geschichte ausgeht, wis­sen nur die Kinder, die bei den Krimi­theaterferien mitmachen, ein echtes Polizeirevier besuchen und am Ende ihr Stück aufführen.

gOldbekhAus

Kinderetage, Moorfuhrt-weg 9, 16.–20.3., 9–15 Uhr, Anmeldung unter 278 70 20, 105/65 Euro

vortrag

BöseWie ein mörder zum Popstar wurde

Charles Manson ist eine Kultfigur des Bösen. Wie kaum ein anderer Verbre­cher hat Manson, der seit seiner Verhaftung 1969 im Gefängnis sitzt, Medien und Künstler bis heute beschäftigt. in der seit Ende Januar laufenden Schau „Man Son 1969. Vom Schrecken der Situ­

ation“ beschäftigen sich 35 Künstler mit dem Reiz des Extremen und seinem Einfluss auf ästhetik und Kultur. Videos, Filme und Lesungen, etwa mit Bom­mi Baumann, ehemals RAF­Mitglied, setzen sich intensiv mit der Person und den Geschehnissen um Charles Manson und der Radikalisierung der 60er­Jahre auseinander. Vielleicht können sie klären, wie ein Verbrecher zum Popstar wurde? kunsthAlle

Glockengießerwall, 21./22.3., 12–18 Uhr, 10/5 Euro

vortrag

intimdie zukunft der Sexualität

Schwangere Männer, Mütter im Rentenalter, Babys auf Bestellung? Wie wird die Sexualität in 25 Jahren aussehen? Seit der Erfindung der Pille und der sexuellen Revolution vor 50 Jahren hat sich viel verändert. Wohin wird die Reise gehen? Wird Gebären zur planbaren

Dienstleistung, wird Cybersex zunehmen? 2034 wird ein Drittel der Bevölkerung mehr als 60 Jahre alt sein. Was passiert mit dem letzten tabu, der Alterssexualität? Hans Michael Kloth von Spiegel online diskutiert mit Aufklärer Oswald Kolle, der Schauspielerin Steffi Kühnert („Wolke 9“) und dem Reproduktionsmedi­ziner Heribert Kentenich. körberfOrum

Kehrwieder 12, Mi, 25.3., 19 Uhr, Eintritt frei, Anmel-dung unter Telefon 808 19 20

oder www.körberforum.de

bühne

Gnadenloskleinkrieg bei einem vorstellungsgespräch

„Die Grönholm­Methode“ von Jordi Galceran ist nach Erfolgen auf mehr als 40 deutschen Bühnen nun auch in Hamburg zu sehen. Eine Frau und drei Männer bewerben sich um einen Managerposten in einem multinationalen Konzern. Beim Vorstel­lungsgespräch werden sie

aufeinander losgelassen. Ein Psychokrieg voller Finten und tücken, zwi­schen Horror und Komik, nimmt seinen Lauf. Ein gut aufgelegtes Ensemble mit Konstantin Graudus, nicki von tempelhoff, nicola Ransom und Kai Maertens zeigt unter der Regie von Folke Bra­band, wie gnadenlos ein Bewerbungsverfahren sein kann.

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Hudtwalckerstraße 13, noch bis 22.3., So um 18 Uhr, sonst 19.30 Uhr, 35/10,50 Euro

bühne

Spontankleinode eines kulturreporters

Alfons, der Mann mit dem Puschel­Mikro und der trainingsjacke, hat im vergangenen Jahr wieder etliche neue Umfragen und Filme gedreht. Einige davon und alte Klassi­ker präsentiert er in der neuen Reihe „Spontan was vorbereitet“. Alfons erklärt einer japanischen

Reisegruppe das neue Pfand­system, zieht als Praktikant Pferden die zähne und beobachtet Deutsche im Kleingarten­verein. Da es beim Beob­achten nie bleibt und der respektlos­naive Franzose sein Gegenüber immer in charmant­absurde Dialoge verwickelt, ist für einen unterhaltsamen Abend gesorgt. Und keine Sorge: niemand aus dem Publikum wird spontan vor Ort interviewt.

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Eulenstraße 43, Mi, 25.3., 20.30 Uhr, 10/8 Euro

lOcAtiOn-tipp: Weil ein Friedhof als unreiner Ort gilt, wäscht man sich vor dem Verlassen der Grabstätte mit Wasser aus einem metallenen Becher die Hände Friedhof heißt auf Hebräisch „Beth Olamin“, übersetzt Haus der Ewigkeit oder guter Ort

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