Holz Dialektik Der Widerspiegelung2

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Hans Heinz Holz Dialektik und Wider- spiegelung Studien Pahl- W ilektik

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Hans Heinz Holz

Dialektik und Wider­spiegelung

Studien Pahl-W

ilektik

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St u d ie n z u r D ia l e k t ikHerausgegeben von

Hans Heinz Holz und Hans Jörg Sandkühler

unter Mitarbeit von Kurt Bayertz Lars Lambrecht Detlev Pätzold

Arnim Regenbogen

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Hans Heinz Holz ^

Dialektik und Widerspiegelung

Pahl-Rugenstein

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© 1983 by PahJ-Rugenstein Verlag, KölnAlle Rechte VorbehaltenSitz: Fotosetzerei Bärbel Hoheisel, DortmundDruck: PJambeck & Co, Verlags- und Druck GmbH, Neuss

CIP-Kurztitelaufhahme der Deutschen Bibliothek Holz, Hans Heinz:Dialektik und Widerspiegelung / Hans Heinz Holz.— Köln : PahJ-Rugenstein, 1983.

(Studien zur Dialektik)ISBN 3-7609-0744-X

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Inhalt

Vorwort 7

Einleitung 9

Kapitel IElemente eines Programms materialistischer Dialektik 171 . Von der idealistischen zur materialistischen Dialektik 192 . Dialektik als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs 253. Praxis und die neue Qualität der menschlichen Natur 334. Doppelte Reflexion und Reflexion der Reflexion 40

Kapitel IILogisch-ontologische Probleme einer materialistischen Dialektik 501 . Das übergreifende Allgemeine 512. Die Struktur der Spiegelung 623. Die materiellen Verhältnisse 70

Kapitel IIIDer fundamentale Charakter der Dialektik der Natur und die Wissenschaften 791 . Das Problem des Wissenschaftsfortschritts; Geymonats

wissenschaftstheoretischer Realismus 802. Gegenstand und Begründung einer Dialektik der Natur 903. Grundkategorien der Naturdialektik: Bewegung, Zeit, Raum 994. Die Natürlichkeit des Menschen und der Übergang zur Gesellschaft 1085. Exkurs zur ontologischen Kritik der philosophischen

Anthropologie 117

Kapitel IVGegenständliche Tätigkeit, A rbeiu Praxis 1271. Aspekte der Gegenständlichkeit 1282. Aktivität als Tätigkeit; Gattungswesen 1313. Kategoriale Unterscheidungen 1344. Tätigkeit als Widerspiegelung 137

Anmerkungen 141Index der Eigennamen 178

hi

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Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert,es kömmt darauf an, sie zu verändern.

Karl Marx: 11. Feuerbach-These (Handschrift auf dem Buchumschlag)

Die STU D IEN ZU R DIALEK TIK stellen sich in der gegenwärtigen wissenschaftlich-technischen Revolution dem Anspruch der Wissenschaf­ten an die Philosophie. Sie sollen dazu beitragen, die Arbeit an der Dialek­tik als Forschungsprogramm bekanntzumachen und weiterzuführen. Die Notwendigkeit, Widersprüche methodisch gesichert zu denken, die m an­nigfaltigen Erscheinungen der Wirklichkeit in allgemeinen Entwicklungs­gesetzen zur Einheit zu vermitteln und die Fülle oft gegensätzlicher ideolo­gischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse in ihrer objektiven Bedingt­heit zu begreifen, macht die Philosophie und die Wissenschaften zu Ver­bündeten.

Die STUD IEN ZU R D IA LEK TIK anerkennen die demokratische Ver­antwortung der Wissenschaft. Wissenschaftsfortschritt und Verwirkli­chung der Demokratie sind heute weniger denn je isoliert voneinander zu denken. Sie stellen in der geschichtlichen Tendenz zwei Seiten einer ein­heitlichen Bewegung dar. Die Dialektik entfaltet die Summe des histori­schen Prozesses zwischen Theorie und Praxis. In dem Maße, wie sie zu­gleich die Form des Inhalts der Philosophie geworden ist, befähigt sie das Denken zu Auseinandersetzung und Kritik. Als materialistische D ialektik erforscht sie die allgemeinen Entwicklungsformen von N atur und Gesell­schaft ebenso wie die der Erkenntnis, die den Verlauf und die Gesetze na­türlicher und geschichtlich-gesellschaftlicher Veränderung widerspiegelt.

Die STUD IEN ZU R D IA LEK TIK umfassen Monographien und Sam ­melbände zu den verschiedenen Bereichen der Philosophie. Sie schließen die systematische Verbindung von dialektischer Philosophie und Einzel­wissenschaften ein. Sie bieten ein Diskussionsforum für W issenschaftler des Inlandes und des Auslandes, in dessen Rahmen aktuelle Ergebnisse der Forschung verarbeitet, Kontroversen dokumentiert und in ihrem Zusam ­menhang mit den politischen Fragen der Gegenwart analysiert werden.

D ie Herausgeber

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Vorwort

Die hier vorliegende Abhandlung ist Teil der Formulierung eines um­fänglicheren Forschungsprogramms, das einige zentrale Fragen der Mög­lichkeit, Begründung und Gestalt einer dialektisch-materialistischen Phi­losophie stellen möchte.

Folgen soll zu einem späteren Zeitpunkt ein zweiter Teil, der das Ver­hältnis von Theorie und Praxis untersucht; und im Konzept des Ganzen ist gedacht, als Prolegomenon eine Reflexion auf das Verhältnis von Ein­zelwissenschaften und Philosophie vorauszuschicken, von der größere Abschnitte bereits in der Form von Einzelstudien veröffentlicht wur­den.1 Manche der hier entwickelten Gedanken sind, noch unfertig, in den Jahren 1974 ff in einer Vorlesung »Grundproblem e der Philosophie« an der Philipps-Universität Marburg vorgetragen worden, und ich möchte den H örern dieser Vorlesung wie überhaupt meinen M arburger Studen­ten und Mitarbeitern für viele Anregungen danken, die mir aus ihrer kri­tischen Teilnahme an meinen Lehrveranstaltungen in den Jahren 1970 — 1978 erwachsen sind. D er Endfassung des Manuskriptes förderlich gewe­sen sind vor allem auch die Diskussionen mit den Kollegen des Herausge­berkreises der »Studien zur Dialektik« und mit meinen Mitarbeitern in der Fachgruppe »Dialektische Philosophie« an der Centralen Interfacul- teit der Rijksuniversiteit Groningen seit 1979. D er theoretische Zusam­menhang, der durch die gemeinsame Arbeit an den »Studien zur Dialek­tik« zwischen Herausgebern und Autoren hergestellt wurde, manifestiert sich auch in der ergiebigen N utzung der in dieser Reihe publizierten For­schungsergebnisse.

Es gibt gute Gründe, das M ittelstück einer umfangreicheren Arbeit ge­sondert zu publizieren. Eine begründende Theorie der Dialektik scheint mir ein Desiderat der marxistischen Philosophie zu sein, wenn die pro­grammatischen Hinweise von Marx, Engels und Lenin eingelöst werden sollen; ohne eine solche begründende Theorie, die den Ursprung der dia­lektischen Form ( = Form-Inhalt-Einheit) aus der materiellen Verfaßtheit der Welt abzuleiten vermag, müßte die Dialektik sozusagen »deskriptiv« verbleiben, nämlich am Denken als Methode ablesbare Prozeßgestalten der W irklichkeit formulieren. Dam it wäre der idealistische Charakter der Dialektik als Begriffsform (im Sinne des späten Platon oder Hegels) nicht überwunden, sondern nur durch eine behauptete Äquivalenz von Begriffs­struktur und W irklichkeitsstruktur ergänzt. Einwände gegen den Gel­tungsanspruch der »Dialektik der N atur« beruhen zumeist auf deren ver­meintlichem Behauptungscharakter und erheben darum den Vorwurf,

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Engels und Lenin seien auf den Status der dogmatischen Metaphysik zu- rückgefallen.*’

Im folgenden wird nun zu begründen versucht, warum ich diesen Vor­wurf für unberechtigt halte und warum er mir auf einem Irrtum über den Status des theoretischen Fundaments der Naturdialektik zu beruhen scheint. Die von mir vertretene These besagt, daß die dialektische Verfas­sung der Welt selbst aus dem Widerspiegelungstheorem abgeleitet werden kann und daß in diesem Theorem das Modell einer materialistischen Erklä­rung der Einheit der Welt in ihrer Mannigfaltigkeit vorliegt, also ein objek­tives Prinzip der »Spezifikation der Natur« angegeben wird, das Kant »nur in subjektiver Rücksicht« anerkennen wollte.3 Die sogenannte »subjekti­ve« Dialektik (als Inbegriff der dialektischen Denkgesetze und Methode) ist nach dieser Auffassung dann apriori erweisbar als Widerspiegelung der »ob­jektiven« Dialektik des Gesamtzusammenhangs der Seienden, also der »materiellen Verhältnisse« — und der Grund dieser Apriorität liegt in der notwendigen Identität von Begriffsform und Wirklichkeitsform bei der Kategorie der Totalität.

Der hier vorgetragene Ansatz zu einer begründenden Theorie der Dia­lektik ist ein Versuch, ein Forschungsbeitrag, der sich seiner Unvollstän­digkeit und Unvollkommenheit bewußt ist und der das Risiko des Irrtums gern auf sich nimmt in der Hoffnung, durch die Bewegung dialektischen Philosophierens in Gang gehalten zu werden und damit zu dessen Fort­schritt beizutragen. Der Charakter eines Forschungsbeitrags drückt sich auch darin aus, daß ich zur Erweiterung und Begründung des Gesagten im­mer wieder auf eigene Vorstudien, Nebenprodukte und ergänzende Publi­kationen verweisen muß, um die Gedankenführung nicht übermäßig mit Exkursen und Stützkonstruktionen zu belasten; viele meiner Studien der vergangenen zwanzig Jahre auf mancherlei Feldern der Philosophie sind unausdrücklich in diese systematische Erwägungen eingegangen und fin­den sich nun in den Anmerkungen ausgewiesen. Während all dieser Jahre des Nachdenkens hat sich in mir die Überzeugung gefestigt, daß das Wider­spiegelungstheorem das Herzstück einer dialektisch-materialistischen On­tologie ist, von dem aus der Aufbau des philosophischen Systems erfolgen muß. Lenin hat das, so meine, erkannt und sowohl im »Materialismus und Empiriokritizismus« als auch in den Hegel-Konspekten ausgesprochen. Welche Konsequenzen daraus für das Verhältnis von Theorie und Praxis und den Status der Philosophie im Marxismus zu ziehen sind, kann aller­dings erst an einem späteren Punkt der Gedankenentwicklung dargestellt werden. Hier geht es zunächst nur darum, den universellen Charakter des Widerspiegelungsverhältnisses zu entwickeln und seine Basisfunktion für die Dialektik aufzuzeigen.

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Einleitung

Friedrich Engels’ Feststellung, die Philosophie habe im Laufe ihrer Ge­schichte die Einzel Wissenschaften aus sich entlassen und immer mehr In­halte an sie abgegeben, welcher Prozeß sich schließlich bis zur völligen Auf­lösung der Philosophie in die Wissenschaften fortsetze, wird oft genug so verstanden, als sei damit das Ende der Philosophie angekündigt; und eine dementsprechend verkürzte Auslegung der elften Feuerbach-These von Marx soll diese Auffassung untermauern, so als seien Engels ein Positivist und Marx ein Praktizist gewesen. Diese offenkundige Mißdeutung des Ver­hältnisses von gesellschaftlicher Praxis und Philosophie wie des Verhältnis­ses von Einzel wissenschaften und Philosophie im Marxismus wird noch ge­stützt durch einen schiefen Ideologie-Begriff, der Ideologie nur als »falsches Bewußtsein«, als entstellende Abbildung der Wirklichkeit und als Instru­ment der Klassenherrschaft faßt und den historisch wie systematisch zu be­stimmenden Charakter der »relativen Wahrheit« von Theorien außer Be­tracht läßt.1

Diese Mißdeutungen hängen aufs engste miteinander zusammen. Wird eine weltanschauliche Zusammenfassung und Integration des Wissens, der Normen und Verhaltensweisen eines Zeitalters, wie sie die Philosophie vornimmt, ausschließlich als Projektion der Interessen der herrschenden Klassen verstanden — was sie in einer Hinsicht doch jedenfalls ist —, dann muß ein aus wissenschaftlicher Rationalität und objektiver Erkenntnis der Wirklichkeit konzipiertes gesellschaftlich-politisches Handeln die Philo­sophie destruieren2 und sich an den Inhalten der Erfahrungswissenschaften orientieren. Allerdings geht mit einem solchen Verzicht auf Philosophie dann auch die Konstruktion des Gesamtzusammenhangs und die kritische Reflexion auf die Methoden dieser Konstruktion verloren, es gibt dann kei­nen wissenschaftlich-rational ausweisbären Entwurf von Zwecken und Perspektiven mehr, Praxis wird zu punktuellem Problemlösungsverhalten (worin ein konservativer Bezug auf den Status quo als System der Problem­parameter und die Irrationalität der Zukunft eingeschlossen ist). Wenn Ideologie nicht als Ausdruck der wirklichen historischen Situation und der in ihr enthaltenen Widersprüche, retardierenderund progressiver Tenden­zen, im Bewußtsein verstanden wird, mithin als Einheit von Momenten hi­storischer Wahrheit und zugleich Unwahrheit, dann ist Philosophie in der Tat nichts als »falsches Bewußtsein« und die Geschichte der Philosophie nur eine vergessenswürdige Sammlung von Manifestationen überwunde­ner Fehler der Menschheit; Philosophie kann dann durch die Wissenschaf­ten ersetzt und durch politische Praxis überflüssig gemacht werden.

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Solche scheinradikale Ideologiekritik übersieht bei ihrer Berufung auf Marx, daß dieser dem Proletariat die Aufgabe zuweist, die Philosophie zu verwirklichen (nicht etwa, sie abzuschaffen); und sie ignoriert bei ihrer Be- rufung auf Engels, daß dieser der »aus Natur und Geschichte vertriebenen Philosophie«, immerhin noch »die Lehre von den Gesetzen des Denkpro­zesses selbst, die Logik und Dialektik« als genuinen Gegenstandsbereich beläßt.’ Der Autor der »Dialektik der Natur« hat mit dieser Gegenstands­bestimmung der Philosophie jedenfalls nicht nur die analytischen Proze­duren der formalen Logik im Sinn gehabt, sondern das Denken des in ein- zelwissenschaftlicher Empirie nie erfaßbaren Gesamtzusammenhangs, das Engels den Naturforschern empfiehlt, wenn er (in der Einleitung zur »Dia­lektik der Natur«) sagt, sie hätten besser daran getan, Newtons Warnung »Physik, hüte dich vor der Metaphysik!« nicht zu beherzigen.4 Denn gera­de jene Probleme, die in der Geschichte der Philosophie als metaphysische gestellt wurden, können nun in einer materialistischen Dialektik, frei von Hypostasierungen und Versteinerungen, als theoretische Widerspiegelung der materiellen Natur der Welt und der Geschichte der Materie selbst (ih­rer Bewegung, Entfaltung, Differenzierung) begriffen werden. Ja, es ist leicht zu sehen, daß die Grundfrage der Philosophie — die nach der Bezie­hung von Sein und Bewußtsein, von Materie und Geist, von materiellen Verhältnissen und ihrer Repräsentation im Denken — eine im traditionel­len Sinne metapysische Frage ist, für die allerdings die Dialektik eine Ant­wort entwickelt, die die Aporien der klassischen Metaphysik zu eliminie­ren vermag.

Die Metaphysik hatte es seit ihrer ersten Ausformulierung als philosophi­sche Grundlagendisziplin bei Aristoteles5 mit den Fragen nach dem Gan­zen, nach dem Grunde, nach dem Wesen zu tun, also mit jenen Fragen, de­ren Beantwortung sich nicht durch Berufung auf das in unmittelbarer Er­fahrung Gegebene legitimieren kann. Diese Fragen entspringen zwar aus der Form unserer Erfahrung, in welcher wir Einzelnes mit anderem Einzel­nen verknüpfen und somit in infinitum fortfahren können, aber sie sind in­nerhalb der Grenzen möglicher Erfahrung nicht zu Ende zu bringen, weil sie Gegenstände betreffen, die durch endliche Bestimmung nicht ausge­schöpft werden können (bzw. gar nicht in unmittelbarer Erfahrung vorlie­gen). Der hier auftretende Gegensatz von endlicher Logizität und unendli­cher Spekulation wurde in der klassischen deutschen Philosophie als der von Verstand und Vernunft gefaßt. Die traditionelle Metaphysik behandel­te jene erfahrungstranszendenten Gegenstände so, als ob sie von der glei­chen Art wie erfahrungsimmanente Gegenstände seien; die Geschichte der Gottesbeweise ist dafür ein deutliches Beispiel. Wo die Philosophen sich der Schwierigkeiten bewußt wurden, in die sie sich bei diesem Vorgehen

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verwickelten, wichen sie in die theologische Position aus, die Gegenstände der Metaphysik als etwas »ganz Anderes« aufzufassen; Fcuerbachs Dictum, das Geheimnis der spekulativen Philosophie sei die Theologie6, macht auf diese Substitution aufmerksam. Wenn die Metaphysik ihre Gegenstände in der gleichen Weise auffaßt, wie die Wissenschaften die Erfahrungsgegen­stände, so verdinglicht sie diese nach der Art der Verstandeserkenntnis von Einzelnem. Die als Grundlage jeder Erfahrung unerläßlichen und unum­stößlichen Gesetze der formalen Logik — das heißt der Satz der Identität, der Satz vom verbotenen Widerspruch und der Satz vom ausgeschlossenen Dritten —, die die Struktur einer fixen Welt vieler, jeweils mit sich identi­scher und von anderen verschiedener Gegenstände beschreiben und deren Geltung die Bedingungen der Möglichkeit von Wiedererkennen und Er­kenntnis überhaupt ist, wurden unbesehen als allgemeinste Denkgesetze auch auf die Metaphysik übertragen. Friedrich Engels hat diese »metaphy­sische Denkweise« (die wir heute als die aller Arten der analytischen Philo­sophie und des Positivismus wiederfinden) im »Anti-Dühring« als durch­aus berechtigt und notwendig, aber eben als begrenzt dargetan, wenn wir auch, weil wir von ihr ausgehen müssen, geneigt sind , ihr über ihre Gel­tungsschranken hinaus anzuhängen. Er schreibt: »Diese Denkweise er­scheint uns auf den ersten Blick deswegen äußerst plausibel, weil sie diejeni­ge des sogenannten gesunden Menschenverstandes ist. Allein der gesunde Menschenverstand, ein so respektabler Geselle er auch in dem hausbacke­nen Gebiet seiner vier Wände ist, erlebt ganz wunderbare Abenteuer, so­bald er sich in die weite Welt der Forschung wagt; und die metaphysische Anschauungsweise, auf so weiten, ja nach der Natur des Gegenstands ausge­dehnten Gebieten sie auch berechtigt und sogar notwendig ist, stößt doch jedesmal früher oder später auf eine Schranke, jenseits welcher sie einseitig, borniert, abstrakt wird und sich in unlösbare Widersprüche verirrt, weil sie über den einzelnen Dingen deren Zusammenhang, über ihrem Sein, ihr Werden und Vergehn, über ihrer Ruhe ihre Bewegung vergißt, weil sie vor lauter Bäumep den Wald nicht sieht«7. Engels erläutert das an derselben Stelle, indem er sagt, es sei »jedes organische Wesen in jedem Augenblick dasselbe und nicht dasselbe; in jedem Augenblick verarbeitet es von außen zugeführte Stoffe und scheidet andere aus, in jedem neuen Augenblick ster­ben Zellen seines Körpers ab und bilden sich neue; je nach einer langem oder kürzern Zeit ist der Stoff dieses Körpers vollständig erneuert, durch andere Stoffatome ersetzt worden, sodaß jedes organisierte Wesen stets das­selbe und doch ein andres ist. Auch finden wir bei genauerer Betrachtung, daß die beiden Pole eines Gegensatzes, wie positiv und negativ, ebenso un­trennbar voneinander wie entgegengesetzt sind, und daß sie trotz aller Ge­gensätzlichkeit sich gegenseitig durchdringen; ebenso, daß Ursache und

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Wirkung Vorstellungen sind, die nur in der Anwendung auf den einzelnen Fall als solche Gültigkeit haben, daß sie aber, sowie wir den einzelnen Fall in seinem allgemeinen Zusammenhang mit dem Weltganzen betrachten, zusammengehn, sich auflösen in der Anschauung der universellen Wech­selwirkung, wo Ursachen und Wirkungen fortwährend ihre Stelle wech­seln, das was jetzt oder hier Wirkung, dort oder dann Ursache wird und umgekehrt«. Immanuel Kants Fragen, »ob auch so etwas, wie Metaphysik, überall nur möglich sei«*, die darauf zielte, Metaphysik auf ihren Wissen- schaftscharakter zu untersuchen, endete mit einer Destruktion aller bishe­rigen Metaphysik, weil sie die Unangemessenheit der Verstandesmittel ge­genüber transzendenten Gegenständen entdeckte.9 Sie mußte allerdings ebenfalls auf eine Rückwendung zur Religion und auf einen philosophi­schen Agnostizismus hinauslaufen, weil sie die Erkenntnisart metaphysi­scher Gegenstände nicht von derjenigen der Erfahrungsgegenstände unter­schied und beide auf dem Regelsystem der formalen Logik beruhen ließ.

Daß indessen die formale Logik nicht ausreicht, um die Prinzipien der Erfahrung selbst und die Bewegtheit und Zeitlichkeit, das heißt Verände­rung der Erfahrungsgegenstände abzuleiten, ist seit den Anfängen der Phi­losophie immer weder bemerkt worden und hat zur Ausbildung dialekti­scher Denkfiguren geführt. Schon Zenons Paradoxien machen auf den Wi­derspruch zwischen den logischen Bedingungen der Möglichkeit der Erfah­rung raumzeitJicher Gegenstände und den wirklichen Erfahrungsinhalten aufmerksam. Platons »Parmenides« zieht daraus die Konsequenzen hin­sichtlich der dialektischen Struktur metaphysischer Begriffe, und von da an gibt es eine Geschichte der Dialektik, die sich in der Ausarbeitung meta­physischer Probleme unter Überwindung der »metaphysischen Denkwei­se« entfaltet.10 Hatte Kants Kritik der traditionellen Metaphysik dazu ge­führt, deren Gegenstände aus dem Bereich einer ihre eigenen Zuständigkei­ten überprüfenden erkenntnistheoretisch orientierten Philosophie zu ver­weisen und sie also wieder der Theologie zu überlassen, so zeigte Hegel in der »Wissenschaft der Logik«, daß die konsistente Darstellung der Gegen­stände und Probleme der Metaphysik in ihrem Zusammenhang und in ih­rer Genesis möglich ist, wenn die »metaphysische Denkweise« und mit ihr der absolute Anspruch der formalen Logik kritisch aufgelöst wird.11 Hegel zeigt, daß nur auf dialektische Weise so über metaphysische Probleme ge­sprochen werden kann, daß diese nicht antinomisch zerfällt werden, und daß diese dialektische Denkweise darin besteht, ihren Gegenstand im me­thodischen Vorgehen zu »verflüssigen« bzw. ihn nur als Integral einer me­thodischen Bewegung zu konstituieren. Hegel zeigt zugleich, daß anders als auf dialektische Weise über Gegenstände und Probleme der Metaphysik überhaupt nicht gesprochen werden kann, weil diese Gegenstände auf an­

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dere Weise sich gar nicht philosophisch (sondern höchstens religiös) dar­stellen. Engels macht sich diese Einsicht Hegels zu eigen: »Eine exakte Dar­stellung des Weltganzen, seiner Entwicklung und der der Menschheit, so­wie des Spiegelbildes dieser Entwicklung in den Köpfen der Menschen, kann also nur auf dialektischem Wege, mit steter Beachtung der allgemei­nen Wechselwirkungen des Werdens und Vergehens, der fort- und riick- schreitenden Veränderungen zustande kommen«. Es sei, so sagt Engels et­was später, Hegels System gewesen, »worin zum erstenmal — und das ist sein großes Verdienst — die ganze natürliche, geschichtliche und geistige Welt als ein Prozeß, d.h. als in steter Bewegung, Veränderung, Umbildung und Entwicklung begriffen dargestellt und der Versuch gemacht wurde, den inneren Zusammenhang in dieser Bewegung und Entwicklung nachzu­weisen«12. Und Marx sagt übereinstimmend von Hegels Ausarbeitung der Dialektik, »daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassen­der und bewußter Weise dargestellt hat.«11.

Nun hat Hegel die Dialektik in der Form der Selbstbewegung des Begriffs entwickelt. Er hat sie nicht aus den materiellen Bedingungen selbst, nicht aus der Verfassung der Gegenstände abgeleitet. Darin liegt die »Mystifika­tion«, von der Marx, Engels und Lenin sprechen.14 Es wäre indessen nicht minder mystifizierend und ein Rückfall in die metaphysische Denkweise mit ihren dogmatischen Setzungen, würde man nun einfach die dialekti­schen Strukturen der Materie oder dem Naturseienden zuschreiben. Viel­mehr müssen wir den Ursprung dialektischer Verhältnisse — sowohl als Gesetze des Denkens wie als Verfassung des Seienden — sichtbar machen, wenn wir eine begründende Theorie der Dialektik liefern wollen. Eine sol­che Theorie ist, wie Engels gesagt hat, die »Theorie des Gesamtzusammen­hangs«. Dieser ist uns, weil endliche Erfahrung grundsätzlich übersteigend, nie empirisch gegeben. Eben darum hat Hegel Dialektik nicht von den Ge­genständen der Erfahrung her entwickelt, sondern sie als die Form des Den­kens der Gegenstände dargestellt. Eine begründende Theorie der Dialektik wird mithin das Verhältnis des Denkens zu seinen Gegenständen außer ihm, also zum Sein zu bestimmen haben; die Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein ist darum die »Grundfrage der Philosophie« — und das heißt auch: Die Frage nach der Begründung der Philosophie. —

Die Antwort auf die »Grundfrage der Philosophie« ist in dem Widerspie­gelungstheorem formuliert.15 Der Kern der Widerspiegelungstheorie liegt darin, den erkenntnistheoretischen Realismus dadurch zu begründen, daß er aus einem Seinsverhältnis folgt, das entsprechend der Struktur des Spie­gels beschrieben werden kann: so nämlich, daß das eine materielle Seiende (der Spiegel) die Eigenschaft habe und durch sie definiert sei, andere mate­rielle Seiende und ihre Relationen (das Bespiegelte) abzubilden.16 Die Ver­

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mittlung zwischen Denken und Sein gründet dann in der Verfassung des Seins selbst, das reflektiert. Erst die (in herkömmlichen Termini) onto/ogi. >v'\ Fundierung der erkenntnistheoretischen Abbildbeziehung erlaubt es hinter die transzendentale Subjektivität, die durch Descartes’ Reduktion der Erkenntnisgewißheit auf das »cogito«(ich denke) und durch Kants Ver­nunftkritik konstitutiv für die gegenständliche Welt gesetzt worden war, auf die materielle Verfassung des Seienden zurückzugehen.

Die bloße Substituierung des Erkenntnissubjekts durch den arbeitenden Menschen leistet diesen Übergang zur materialistischen Dialektik noch nicht; denn sie läßt die Vermittlung von Subjekt und Objekt immer noch als bloß durch den Akt des Subjekts vollzogen erscheinen.17 Dieser Über­gang gelingt erst, wenn im Begriff der »gegenständlichen Tätigkeit« die ma­teriellen Verhältnisse als das tätige Subjekt übergreifend gedacht werden, die Subjektivität mithin als Resultat eines Reflexionsprozesses der materiel­len Natur selbst erkannt wird, die auch den Spiegel hervorgebracht hat, in dem sie sich (perspektivisch) darzustellen vermag. Hier liegen die Aufgaben einer weiteren Aufarbeitung und Spezifizierung der von Marx, Engels und Lenin im Grundriß entworfenen Widerspiegelungstheorie als des zentra­len Lehrstücks einer dialektisch-materialistischen Philosophie.

Ist dies, so könnte man einwenden, nicht eine scholastische Frage im Sin­ne der zweiten Feuerbachthese von Marx? Ganz im Gegenteil: Unsere ge­sellschaftliche (wie unsere individuelle) Praxis wird ja immer durch Zwecke geleitet, die miteinander Zusammenhängen; und dieser Zusammenhang ist eine notwendige Bedingung für ein unerläßliches Minimum an Konsistenz unserer Praxis. Der Zusammenhang der Zwecke wird im Rahmen eines weltanschaulichen Entwurfs gestiftet, der den Horizont abgibt, innerhalb dessen die einzelne Handlung vorgenommen wird. Dieser weltanschauli­che Horizont wird nicht beliebig »entworfen«, wie es jene Theoretiker ei­nes »Idealismus der Freiheit« behaupten, die mit Jean Paul Sartre die Exi­stenz des Menschen seiner Essenz vorhergehen lassen18, sondern er reflek­tiert die besonderen geschichtlichen materiellen Bedingungen und Formen der gegenständlichen Tätigkeit, also die jeweiligen Produktionsweisen und Produktionsverhältnisse; allerdings gehört es zum ideologischen Status der traditionellen Metaphysik, daß sie diese ihre eigene Genesis nicht als ein re­lativierendes Moment ihres Geltungscharakters zu denken vermochte und sich jeweils absolut setzte, was heißt, daß sie auch den Fortgang der Denk­bewegung über sich selbst und ihren jeweiligen Abschluß hinaus abschnitt; Engels hat dies ausdrücklich als Mangel einer nicht-dialektischen Philoso­phie gerügt: »Ein allumfassendes, ein für allemal abschließendes System der Erkenntnis von Natur und Geschichte steht im Widerspruch mit den Grundgesetzen des dialektischen Denkens«1’

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Doch gab es und gibt es jedenfalls — auch wenn man sich der Kritik an der dogmatischen Metaphysik, wie sie in drei Etappen von Kant, Hegel und Marx vorgetragen wurde, voll anschließt — keine menschliche Tätigkeit ohne diese theoretische weltanschauliche Orientierung, die das System der Zwecke fundiert und in ihm handlungsleitend wirkt; das bedeutet, daß die Fragestellungen der klassischen Metaphysik nicht obsolet geworden sind, auch wenn die Weise, in der sie von der Metaphysik beantwortet wurden, als unangemessen sich erwiesen hat. Je komplexer und arbeitsteiliger je­doch eine Gesellschaft organisiert ist, umso mehr Vermittlungsschritte und -glieder wird es zwischen den unmittelbaren Bedürfnissen, Zwecken und Interessen einerseits und ihren im Gesellschaftsprozeß entsprungenen ab­geleiteten sekundären, tertiären usw. Bedürfnissen, Zwecken und Interes­sen andererseits geben, desto indirekter und relativ selbständig wird der Überbau weltanschaulicher Orientierungen funktionieren und desto schwieriger wird es auch sein, das System der Bedürfnisse und das System der metaphysischen und moralischenHandlungsanweisungenund-begrün- düngen auf einen integralen Ausdruck zu bringen. Die dialektische Theorie der Gesellschaft nimmt im Fortgang der Geschichte an Komplexität und Schwierigkeit zu.

Die Zunahme an Komplexität der materiellen gesellschaftlichen Verhält­nisse hat Konsequenzen für die Funktion und Wichtigkeit der weltan­schaulichen integrativen Perspektive. Der zunehmenden Rolle der Wissen­schaft als Produktivkraft entspricht es, daß die weltanschaulichen Orien­tierungen nicht mehr intuitiv, spontan erfolgen können — daß es vielmehr einer »wissenschaftlichen Weltanschauung« bedarf, um die Mannigfaltig­keit des Wissens (das ja nicht mehr vorwiegend aus einfachen »Daten«, son­dern aus elaborierten Theorien und Modellvorstellungen besteht) zu einem Ganzen zu organisieren, das Erklärungsmuster für Vergangenheit und Ge­genwan, Prognosen für die Zukunft und Sach- wie Rechtfertigungsgründe für Zielprogramme liefert. Dialektik als die »Wissenschaft des Gesamtzu­sammenhangs« geht damit auf direktem Wege in die Praxis ein, die Philoso­phie wird zum unverzichtbaren Bestandteil der Gestaltung des gesellschaft­lichen Lebens; und wo sie über den Status und die Aussagekraft ihrer Ent­würfe, über deren Vermitteltheit mit den Wissensgehalten der Einzelwis- senschaftcn und mit den gesellschaftlichen Prozessen der Reproduktion der Gattung nicht wissenschaftlich und rational Auskunft geben will oder zu geben vermag, zerfällt auch das einzelwissenschaftliche Wissen in parti­kuläre Erkenntnisse, deren Parzellierung es nicht mehr gestattet, das Ver­hältnis des Menschen zur Natur und die gesellschaftliche Ordnung ver­nünftig einzurichten. Die Herstellung gesellschaftlicher Verhältnisse, die dem Entwicklungsstand der modernen Technik und Wissenschaft entspre­

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chen, setzt ein konsistentes weltanschauliches Konzept voraus, durch wel­ches der Zusammenhang der Zwecke und Bedingungen des Lebens der Gat­tung ausgedrückt wird; ein solches Konzept — als Integral differenzierter philosophischer Forschung — ist unerläßlicher Bestandteil des Bewußt- seins. das den »subjektiven Faktor« in der Geschichte bestimmt; marxi­stisch gesprochen heißt das: Philosophische Systematik ist ein konstituti­ves Moment des proletarischen Klassenbewußtseins.20

Die richtige weltanschauliche Perspektive zu gewinnen, schließt die kor­rekte historische Bestimmung der Lage, der eigenen Interessen und des eige­nen Erkenntnisstandes der Arbeiterklasse (im Unterschied zu den Interes­sen und dem Erkenntnisstand der Bourgeoisie) ein. Dazu bedarf es der Er­kenntnis der Vermitteltheit jedes Einzelnen mit dem Ganzen und also des Entwurfs einer Methode, die dieses Ganze als Inbegriff aller Vermittlungs­prozesse konstruiert, ohne daß es je als solches, das heißt vollständig, gege­ben sein könnte. Im Entwurf einer solchen Methode und des ihr entspre­chenden Weltmodells realisiert sich der Begriff der Allgemeinheit des Klas­senstandpunkts des Proletariats gegenüber der Besonderheit des Stand­punkts der Bourgeoisie. Die wissenschaftliche Weltanschauung ist nicht nur ein beliebiges Moment des Klassenbewußtseins der Arbeiterklasse, son­dern eine seiner notwendigen und unverzichtbaren Bestimmungen. Im Klassenkampf bedarf das Proletariat nicht nur einer wissenschaftlichen Weltanschauung als Instrument, sondern diese ist selber ein Merkmal des Klassenkampfs, der darum auch auf dem ideologischen Felde mit äußerster Schärfe geführt wird.

So hängt die Ausbildung von Klassenbewußtsein aufs engste mit der Ver­wissenschaftlichung der Weltanschauung und der Ausarbeitung dialekti­scher Philosophiekonzepte zusammen. Hierfür das Konstruktionsprinzip zu liefern und diesen Prozeß zu reflektieren, also den Objektivitätsan­spruch der wissenschaftlichen Weltanschauung als Parteilichkeit und ihre Parteilichkeit als Objektivität zu erkennen und einsehbar zu machen, ist das unentbehrliche Geschäft der Philosophie in der Praxis und für die Pra­xis; um dafür einen sicheren Boden zu finden, muß die Dialektik das mate­rialistische Prinzip ihrer Begründung entwickeln.

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Kapitel IElemente eines Programms materialistischer Dialektik

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Seit der Einführung des methodischen Gebrauchs des Terminus Dialektik in die neuere Philosophie durch Immanuel Kant1 gilt es als per definit ionem ausgemacht, daß die Dialektik es mit der Form von Reflexionsverhältnis­sen zu tun habe, deren Typus uns rein sei es im Selbstbewußtsein, sei es in der transzendentalen Konstitution der Gegenstände vorliegt: Ich erfahre mich im Denken (in der cogitatio), indem und weil ich von mir unterschie­dene Denkinhalte (cogitata) habe; und in umgekehrter Blickrichtung er­scheinen die Gegenstände so, wie sie erscheinen, weil sie im Medium mei­ner Apperzeption und gemäß deren Formbestimmtheiten gegeben sind. So entdecke ich in mir immer die Gegenstände und an den Gegenständen im­mer mich selbst. Kant glaubte zeigen zu können, daß die Vernunft auf­grund ihrer eigenen Verfassung bei der Konstitution der Gegenstände über die durch die Erfahrung gesteckten Grenzen hinausgehen und sich in un­auflösliche Widersprüche verwickeln müsse, die durch die Einsicht in ihren illusionären Charakter nicht beseitigt würden, weil sie im Verfahren ver­nünftigen Erkennens angelegt seien. Mit den Worten Kants: In unserer Vernunft liegen Grenzregeln und Maximen ihres Gebrauchs, die uns zu­muten, alle Grenzpfähle niederzureißen und sich einen ganz neuen Boden anzumaßen, der überall keine Demarkation erkennt—eine Illusion, die gar nicht zu vermeiden ist. Dies eben nennt Kant »eine natürliche und unver­meidliche Dialektik der reinen Vernunft« und deshalb »die Dialektik über­haupt eine Logik des Scheins«2.

Nun bezieht sich Kants transzendentale Dialektik allein auf die Gegen­stände der Metaphysik; dialektisch sind alle möglichen Aussagen über die Welt im ganzen (gedacht als eine an sich seiende Entität), sie führen nach Kant auf einen logischen Widerspruch. Diesem Dilemma entzieht Kant sich durch Eliminierung des Begriffs einer an sich seiend gedachten Welt im ganzen; von den Dingen an sich ist in dem Reflexionsverhältnis, als welches die transzendentale Konstitution der Gegenstände zu begreifen ist, über­haupt nichts enthalten.3 Kant läßt dabei allerdings außer acht, daß die Phä­nomene doch eben nur aus Anlaß der Existenz der Dinge an sich »in Er­scheinung treten« und ohne die Reflexionsebene der Dinge an sich das Re­flexionsverhältnis der Gegenstandskonstitution nicht konstruierbar wäre; die vorhandene Varietät der an sich seienden Dinge ist die Voraussetzung für die materiale Verschiedenheit unserer Apperzeptionen.4

Jedenfalls reproduziert sich die Dialektik der reinen Vernunft, die darin liegt, daß »wenn das Bedingte gegeben ist, so auch die ganze Reihe aller Be­dingungen desselben gegeben ist«5, also das Totum (die Welt im ganzen) ge­dacht werden muß, auch auf der Ebene der Erscheinungen. Denn der Be­

1. Von der idealistischen zur materialistischen Dialektik

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griff von einem Gegenstände ist erst dann vollständig bestimmt oder eine (wie Leibniz sagt) notio compleu\ wenn alle ihm zukomnienden Prädikate angegeben sind; alle Bedingungen eines Gegenstandes aber können von ihm prädiziert werden, also gehört zur notio completay«/es Gegenstandes dieg.inze Reihe der Erscheinungen odersmes rerum , das heißt die Welt im ganzen. Diesen Gedanken hat Hegel—auf der Ebene der Erscheinungen in der »Phänomenologie des Geistes«, auf der Ebene der Begriffe in der »Wis­senschaft der Logik« — durchgeführt.

Das Leibnizsche Problem der notio completa und seine Hegelsche Auflö­sung durch die Konzeption der unendlichen Vermitteltheit des Singulären, die in der Logik die methodische Rückführung des Resultats des Explika­tionsprozesses (Prädikationsprozesses) in den Anfang und also eine Kreis­form der Denkbewegung bedeuten muß, in der gegenständlichen Praxis hin­gegen in einen unendlichen Progress fortläuft, hat Berrrand Russell (wenn ich recht sehe) durch ein Dekret aus der Welt zu schaffen versucht: Er setzt, daß dem, was er »einfache Symbole« (Bedeutungen) nennt, auch einfache Entitäten (Dinge) entsprechen, in welche die durch Symbolkombinatio­nen (komplexe Symbole) repräsentierten Objekte oder Tatsachen durch Analyse zerlegt werden können.7 Der Setzungscharakter,geht aus Russells Antwort auf einen Einwurf klar hervor: »Ich glaube, man kann durchaus annehmen, daß komplexe Dinge ad infinitum analysierbar sind und daß man nie zu einfachen Bestandteilen kommt. Ich glaube zwar nicht, daß das der Fall ist, aber es ist sicher ein Problem, das man aufwerfen kann... Ich ge­stehe z u ,... daß es nicht ausgeschlossen ist, daß die Analyse ad infinitum weitergehen könnte«*. Hier schlägt das analytische Verfahren in sein Ge­genteil um: Ein unendlicher Fortgang der Analyse eines Komplexen müßte schließlich idealiter irgendwann einmal zu diesem selben Komplex zurück­führen, denn er müßte dahin führen, in jedem Term die Prädikate aller übrigen Terme impliziert zu finden, also jedes Individuum als die ganze Welt einschließend zu beschreiben. Dies aber ist gerade das Leibnizsche Modell der Monade, die repraesentatio totius m undi, ein Spiegel der ganzen Welt ist; hier ist jedes durch alles andere in sich reflektiert. Die Methode der Konstruktion dieser Vermittlungen entwickelt dann Hegel. Daß die Ana­lyse ein Moment im Verfahren der dialektischen Reflexion ist, hat Lenin hervorgehoben: »Spaltung des Einheitlichen und Erkenntnis seiner wider­sprechenden Bestandteile ist das Wesen (eine der ’Wesenheiten*, eine der grundlegenden, wenn nicht die grundlegende Besonderheit oder Seite) der Dialektik«9.

Warum heißt hier nun Analyse Zerfällung in widersprechende Bestandtei­le? Dafür hat Hegel das Schema geliefert. Der bestimmte Begriff, dessen Be­stimmungen sukzessiv expliziert werden, entfaltete sich derart, daß die zu-

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nächst in ihm nur verborgenen Implikate, sobald sie expliziert werden, ihn in ein Anderes übergehen lassen; und das muß so sein, wenn im Singulären alle anderen Singulären »enthalten« sind, das heißt, wenn von einem Term alle übrigen Terme als Bedingungen seines So-seins prädiziert werden kön­nen. Marx hat schon früh, in den Pariser Manuskripten, den Kern der He- gelschen »Dialektik als Selbstbewegung des Begriffs« dahingehend be­stimmt , daß darin das Anderssein des Selbstseins (die Nicht-Identität oder Entfremdung) als Negation und das Werden des Selbstseins im historischen Prozeß als Negation der Negation dargestellt wird.10 Bei Hegel bleibt diese Darstellung zirkulär in der Rückkehr des Resultats des Begriffs in sich — und dies ist die Systemgestalt, die die idealistische Dialektik auch nur errei­chen kann: Sie faßt die Einheit des Logischen und Historischen als Explika­tion des Substanz-Subjekts, als Entfaltung des Ganzen zu sich selbst, mit­hin als Stillstellung der »in sich selbst zurückgegangenen Bewegung«11 im Resultat; Reflexion ist dann Wiederherstellung der Ruhe.

Die Welt im ganzen, rekonstruiert in der Reflexion des Begriffs in sich, wird zur absoluten Idee. Die in der Selbstbewegung des Begriffs durch die Stationen der Negation und der Negation der Negation auf ein der Logik des Schließens entsprechendes Schema12 gebrachte Geschichte fällt damit wieder in Geschichtslosigkeit. Das hat Feuerbach in seiner »Kritik der He- gelschen Philosophie« angemerkt: »Geschichte läßt sich nicht mehr den­ken: Sie ist zweck- und sinnlos; Inkarnation und Historie sindabsolut unver­träglich miteinander«13. Die Philosophie, die sich aus sich selbst, das heißt aus dem Denken begründen will, kann konsequent nur Selbstdarstellung in der Systemfigur des Kreises sein, welcher Kreis das zu sich selbst gelangende Wesen des Anfangs ist.

Will das Denken indessen der unendlichen Varietät gerecht werden, die es in sich als den Strom der Vorstellungen oder als die Menge der Vorstel- lungsinhalte14 vorfindet, so muß es über sich hinausgehen. Wenn am Ende der Hegelschen Logik die absolute Idee sich selbst als real und somit als das Sein ihres Äquivalents, der Natur, setzt15, so überschreitet sie damit die Grenze, die der Begriff aus sich selbst nicht überschreiten kann. Insofern liefert Feuerbachs Hegel-Kritik den Schlüssel zu den Problemen einer nicht-idealistischen Dialektik; dort heißt es: »Sein ist die Grenze des Den­kens ... Der Beweis, daß etwas ist, hat keinen anderen Sinn, als daß etwas nicht nur Gedachtes ist. Dieser Beweis kann aber nicht aus dem Denken selbst geschöpft werden. Wenn zu einem Objekt des Denkens das Sein hinzu­kommen soll, so muß zum Denken selbst etwas vom Denken Unterschiede­nes hinzukommen«16. Daraus ergibt sich Feuerbachs Programm: »Die Phi­losophie hat daher nicht m it sich, sondern mit ihrer Antithese, mit der Nichtphilosophie zu beginnen«17.

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Die Untersuchung der klassischen philosophischen Systeme kann zeigen, daß überall da, wo sie sich selbstgenügsam abschließen wollen, die Logik des Systems durch den Einbruch der nichtphilosophischen Wirklichkeit zerbrochen wird.n Beginnt die Philosophie aber bei der Nicht-Philoso. phie, so beginnt sie irgendwo in der Welt bei einer Tatsache, zum Beispiel bei jener, die Marx an den Anfang des '»Kapital« stellte: daß der Reichtum der Gesellschaft als eine ungeheure Ansammlung von Waren erscheine.19 Feuerbach bezieht diese Einsatzstellen der Philosophien auf ihren histori­schen Ort: sie sind bestimmte Zeiterscheinungen.10

Soll Philosophie etwas anderes als eine private Weltanschauung sein, so ist die Einsatzstelle, an der sie beginnt, prinzipiell nicht beliebig. Marx hat, ohne den Boden neuzeitlicher Denkerfahrung zu verlassen, durch eine strukturell unscheinbare, jedoch sehr wesentliche Verschiebung in der Be­stimmung des Verhältnisses des Menschen zur Welt die Neuorientierung auf die geschichtliche Begründung der außerphilosophischen Vorausset­zung des Philosophieren vorgenommen. Im Gegensatz zu Feuerbach, der die Sinnlichkeit als seinsgebend dem Denken vorschaltete21, setzt Marx an die Stelle der Apperzeption die »gegenständliche Tätigkeit«.

Was Gegenstand meiner Anschauung wird, das heißt worauf ich meine Anschauung richte, ist prinzipiell kontingent; so auch der Übergang von ei­nem Anschauungsgehalt zum anderen. Es gibt in der Anschauung selbst kei­nen Grund für die Notwendigkeit, daß ihr dieser oder jener bestimmte Ge­genstand gegeben sei, und folglich auch keinen Grund für die Notwendig­keit des Zusammenhangs dieser Gegenstände. Mithin kann von sensualisti- sehen Voraussetzungen her die Einheit der Welt nur transzendental in der kategorialen Ausstattung unserer Apperzeption gestiftet werden. Feuer­bachs Materialismus, der Hegels absoluten Idealismus bei seinem Selbstwi- derspruch faßt und den Einbruch der Wirklichkeit in das geschlossene Sy­stem des Begriffs kenntlich macht, bleibt gegenüber Kants Erkenntniskritk wehrlos: Er erweist sich als unableitbar und daher dogmatisch. Marx hat dies erkannt und zugleich die Richtung angegeben, in der die Begründungs- aporie aufzulösen ist: »Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirk­lichkeit, die Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der Anschau­ung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv«22.

Der Ausgang von der sinnlich menschlichen Tätigkeit erlaubt es, die car- tesische Gewißheit des »Ich bin«23 weiterhin als erkenntnistheoretisch Er­stes, Unbezweifeibares beizubehalten — denn immer bin ich es, der tätig wird. Aber in der Praxis fällt die Distanz des erkannten Objekts zum erken­nenden Subjekt weg, Subjekt und Objekt sind in ihr zu einer Einheit zu­

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sammengeschlossen.24 ln der Praxis siehe ich immer in einer Situation zu­sammen mit den Gegenständen, auf die sich mein Tun richtet und die den Rahmen meines Tuns bilden (und natürlich zusammen mit den anderen Menschen, die in der gleichen Situation stehen). Diese Situation bildet sich in meinem Denken ab.25 Kriterium der Richtigkeit dieser Abbildung ist die Angemessenheit meines praktischen Verhaltens, der Handlungserfolg. Das besagt die 2. Feuerbachthese von Marx: »Die Frage, ob dem menschli­chen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme — ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens be­weisen«26.

Die menschliche Praxis ist indessen nicht die eines Einzelwesens, viel­mehr sind in der praktischen Situation mit dem Individuum noch andere Individuen verknüpft, und diese Verknüpfung der Individuen miteinander ist nicht nachträglich, gleichsam summativ, so als ob zuerst die Einzelwesen in der Natur da wären und sich dann zu einer Familie, Horde, Gruppe zu­sammenfänden und durch eine Art »Gesellschaftsvertrag« eine Schutz-, Jagd- und Produktionsgemeinschaft bildeten.27 Vielmehr finden wir, wo immer die Vorgeschichtsforschung auf Zeugnisse menschlicher Tätigkeit stößt, schon die Gruppe; und die biologische Verfassung des homo sapiens (und seiner Vorstufen) mit dem auf Jahre verlängerten Kindheitsstadium erzwingt ja zum mindesten das Zusammenbleiben der Familie. Welches Bild wir uns auch von den prähistorischen Vergesellschaftungsformen ma­chen mögen — auf keinen Fall begegnet uns das fiktive Einzelwesen der bürgerlichen Staats-, Rechts- und Sozialphilosophie, jenes Subjekt des Ver­tragsrechts, welches selbst erst ein spätes Produkt in der frühen Geschichte der Menschheit ist. Der Stoffwechsel mit der Natur war schon auf der Stufe des Übergangs vom Primaten zum Menschen ein gemeinschaftlicher; die Verbundenheit der Individuen im täglichen Überlebenskampf ermöglichte erst die Weiterbildung des biologisch determinierten Verhaltens zur Ar­beit. Diese aber ist es dann, die die Besonderheit des Naturwesens Mensch gegenüber allen anderen Naturwesen ausmacht. Diese Besonderheit darf je­doch nicht so verstanden werden, als trete der Mensch, indem er sich arbei­tend zur Natur verhält und sie sich als Objekt entgegensetzt, aus der Natur heraus. Dieser Schein von Autonomie, der aufs engste mit der Ablösung der Theorie von der Praxis verknüpft ist, hat eine lange Geschichte (auf die hier nicht eingegangen werden kann und die auch noch keineswegs ausrei­chend erhellt ist); mit der cartesischen Wende, die das cogito zum transzen­dentalen Boden der Weltgewissheit machte28, wurde zugleich der prinzi­pielle Dualismus von Subjekt und Objekt, Ich und Welt erkenntnistheore­tisch festgeschrieben und zur epistemologischen Begründung der Verfah­

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rensweisen der neuzeitlichen Wissenschaften und Technik ausgebaut. Die monistischen Metaphysiken von Spinoza bis Hegel versuchten je auf ihre W eise die Aporien der Weltlosigkeit des reinen Ich zu überwinden; Hegel ist mit der Ausarbeitung der Logik zu einem System der Vermittlungen auf diesem Wege am weitesten gediehen.

Marx hat schon in den »Pariser Manuskripten« das »Große an der Hegel- sehen Phänomenologie und ihrem Endresultate« hervorgehoben, daß sie den Menschen »als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift«. Hegel fasse — wenn auch in der Abstraktion als Geist — »die Arbeit als den Selbsterzeu- gungsakt des Menschen«30. Das in der Arbeit realisierte Verhältnis von Mensch und Natur, von Subjekt und Objekt, ist ein wechselseitiges Refle­xionsverhältnis. Der Mensch wirkt auf den Naturgegenstand ein, verän­dert ihn (und im Laufe der Geschichte seine Umwelt insgesamt) gemäß sei­nen menschlichen Zwecken, welche ihm nun gleichsam äußerlich als Ar­beitsprodukte, als fremde Gegenstände in verdinglichter Form entgegen­treten; das Subjekt reflektiert sich (seine Tätigkeit) an den Dingen und m it­tels der Dinge; und die Gestalt dieses Reflexionsverhältnisses ist es, daß das Produkt der Tätigkeit des Subjekts ihm als ein Anderes, als ein selbständi­ges Ding entfremdet gegenübersteht. Die Voraussetzung dieses Scheins von Selbständigkeit hegt darin, daß das Arbeitsprodukt eine selbständige mate­rielle Grundlage im Rohstoff hat, der bearbeitet wurde. Ich möchte diesen im Arbeicsverhältnis entstehenden Schein—die Verdinglichung — den »ge­genständlichen Schein« nennen, der, erkenntnistheoretisch mißverstan­den, als »transzendentaler Schein« gedeutet wird, so als ob die Objekte nur in der Form der kategorialen Ausstattung des Erkenntnisvermögens gege­ben seien.

Das Verhältnis läßt sich jedoch auch in umgekehrter Richtung lesen. Der Mensch bearbeitet die Naturgegenstände gemäß deren Materialeigenschaf­ten und gemäß den Naturgesetzen. Den Naturgesetzen gegenüber ist seine Freiheit »Einsicht in die Notwendigkeit«. Man kann mithin sagen, daß der Naturgegenstand sich (seine Materialität) am Menschen und m ittels des ar­beitenden Menschen reflektiert; und die Gestalt dieses Reflexionsverhält­nisses ist es, daß die Naturkräfte sich selbst in Form menschlicher Fähigkei­ten, als Technik entfremdet gegenüberstehen.31 Wenn im System Natur- Mensch das Ansichsein des Naturgegenstandes durch den Menschen zu ei­nem Fürsichsein vermittelt wird (und das heißt selbstverständlich nicht, daß dieses Fürsichsein als bewußt gedacht werden muß — wir sprechen nicht von Allbeseelung, sondern von einem Formverhältnis), wenn also die Natur durch den Menschen zu sich selbst in ein Verhältnis tritt, so bedeutet dies, daß der Naturgegenstand im Arbeitsvorgang in sich reflektiert wird — und das gleiche ist der Fall, wenn in einem Rückkopplungssystem materiel -

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ler Elemente diese zueinander in selbstregulative Wechselwirkung treten. Damit wird die Natur als ein Subjekt, will sagen »rein als produktive und sich selbst produzierende Struktur« dargestellt32 — und Schelling hat, aller­dings in idealistischer Verkehrung, dieses Modell eines Natursubjekts als reflexives System ausgearbeitet.33

Im Sinne eines universellen Zusammenhangs von jedem mit allem ande­ren kann die Natur insgesamt aber auch materialistisch als ein, obschon nicht zu Bewußtsein seiner selbst gekommenes, Reflexionssystem aufge­faßt werden.

Für das richtige Verständnis der Dialektik kommt es nun m.E. darauf an, das Verhältnis Mensch-Natur, Subjekt-Objekt als ein zweifaches Refle­xionsverhältnis im eben erläuterten Sinne zu begreifen, derart daß der Mensch sich an der Natur, die Natur sich am Menschen reflektiert. Wird diese Beziehung in dem Mißverständnis, die Arbeit sei nichts als die Tätig­keit des Menschen und manifestiere dessen Autonomie gegen die Natur, ausschließlich von der Aktivität des Subjekts her gesehen (also Tätigkeit rein als solche und nicht als gegenständliche Tätigkeit gefaßt), dann restitu­iert sich die subjektivistische Fehldeutung der Subjekt-Objekt-Relation, wie sie in der Transzendentalphilosophie herrscht, in der nur scheinbar materialistischen Form einer historisch-gesellschaftlichen Konstitutions­theorie.34

2. D ialek tik a ls W issenschaft des G esam tzusam m enhangs

Es gehört zu den Gemeinsamkeiten aller Vertreter einer materialistischen Dialektik, die den Anspruch erheben dürfen, in der Nachfolge von Marx und Engels zu stehen, daß sie den Rückfall in eine subjektiv-idealistische Konstruktion des Praxis-Verhältnisses abzuwehren versuchen, aber nicht einfach durch eine Kritik der quasi kantianischen oder gar fichteanischen Konsequenzen, die sich aus der Ausklammenmg des Natursubjekts (das heißt der Natur als der übergreifenden Gattung) ergeben; sondern durch Ausarbeitung systematischer Positionen, die dem doppelten Reflexions­charakter Rechnung tragen, also die Natur und deren Dialektik konstitutiv in die Grundlegung einer Theorie der Gesellschaft mit einbeziehen.

Nun ist zwar die Arbeit das Fundamentalverhältnis der Subjekt-Objekt- Beziehung; dies darf aber nicht so verstanden werden, als sei die Arbeit ein Moment oder Merkmal der Subjektivität, ein »Vermögen« des Subjekts, das dann die Einheit von Subjekt und Objekt in der gegenständlichen Tä­tigkeit erzeuge. Die Arbeit ist nicht die Ursache der doppelten Reflexion des Subjekts im Objekt und des Objekts im Subjekt, sondern ihr Ausdruck, ih-

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f f re Manifestation auf der Ebene des bewußten, zweckmäßigen Verhaltens.f | Insofern die Struktur der »doppelten Reflexion« die naturgeschichtliche. I Besonderheit der Menschheit (Gattung Mensch) ausmacht, und mithin für' * jede Stufe der Entwicklung des produktiven Verhältnisses des Menschen

zur Natur — wenn auch in je verschiedener historischer Konkretion—cha­rakteristisch ist, halte ich es für durchaus sinnvoll, von der »menschlichen Arbeit im allgemeinen« zu sprechen, ohne dabei in die Gefahr eines »ideali­stischen Paralogismus« zu verfallen.” Selbstverständlich muß eine solche Bestimmung auf dem Niveau der Gattungsallgemeinheit festhalten, daß sie ihre inhaltliche Erfüllung stets nur in der konkreten Gestalt der Produk­tionsweise einer bestimmten ökonomischen Gesellschaftsformation fin­det; es gehört ja gerade zu den, nun allerdings nicht mehr abstrakt­allgemein einlösbaren (wohl aber abstrakt-allgemein benennbaren) Gat­tungsbesonderheiten des Menschen, daß seine Gattungseigenschaften sich immer nur in historischen Besonderungen realisieren.56 In diese Besonde- rungen gehen aber Konstante ein (die auch von Marx als solche benannt werden). Zu diesen Konstanten gehören alle jene Determinanten der drei einfachen Momente des Arbeitsprozesses (menschliche Tätigkeit, Arbeits­gegenstand, Arbeitsmittel)37, die als unveränderbare Naturgesetze festlie­gen und die nur dadurch zu historischen Variablen werden, daß sie durch verwissenschaftliche Einübung oder wissenschaftliche Erkenntnis hand­habbar und rekombinierbar gemacht werden. So bildet sich die »wirkliche historische Arbeit« in der Form einer Produktionsweise aus, in der sich die drei einfachen Momente des Arbeitsprozesses auf eine typische Weise ver­flechten und aus der die jeweiligen Produktionsverhältnisse hervorgehen.

Die Entwicklung der Produktionsverhältnisse kann mithin auch nur als Erklärung für die Geschichte des Menschengeschlechts dienen, nicht indes-. sen für dessen gatrungsgeschichtlichen Ursprung. Engels.hat mitnichten die Arbeit als die Ursache für die Menschwerdung des Affen ausgegeben, sondern er hat den »Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen« bestimmt38, also die Arbeit im Zusammenhang des Prozesses gesehen, in dem das besondere Reflexionsverhältnis von Subjekt und Objekt sich her­stellte, welches nicht nur praktisches Verhalten, sondern theoretische Be­stimmung des Verhältnisseseinschließt.39In diesem Übergang vom bloßen praktischen Verhalten zum Einschluß von Theorie in die Praxis liegt zu­gleich das »Sich-Abheben« des Menschen von seiner Natur-Basis, so daß er zwar durchaus auf ihr noch gründet, sich zugleich ihr aber entgegenzuset­zen vermag und also vom Naturwesen zum geschichtlichen Wesen wird.40

Der Übergang von der geschlossenen Umweltsituation zur offenen Welt, von Helmuth Plessner als die »exzentrische Position des Menschen« be­schrieben und in einen auf qualitativ verschiedenen Stufen sich realisieren­

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den natürlichen Evolutionsprozeß eingeordnet41, läßt die theoretische Ein­stellung in der Praxis selbst als deren Aspekt entstehen. Dies drückt sich in einem Vorgang aus, auf dessen logischen Charakter Josef König aufmerksam gemacht hat.42 ln einer Situation stehend, bin ich ganz und gar in deren Sin­gularität einbezogen und jedes Moment dieser Situation hat eine je singulä­re Bedeutungyiir mich; und das trifft für jeden anderen in dieser selben Si­tuation sich befindenden Menschen genau so einzeln und völlig unabhän­gig von mir zu. Die Situation ist, mit wem ich sie auch immer teilen mag, in logischer Reinheit je meine. Es ist gesamthaft diese bestimmte Situation in der ich auch das eine oder andere Moment als ein einzelnes bestimmtes Dieses-da herausheben und auffassen kann. Ein so Aufgefaßtes kann ich ei­nem anderen, der sich mit mir in derselben Situation befindet, demonstra­tiv mitteilen. (Zum Beispiel beim Pilzesuchen im Walde sage ich ihm, wenn er einen bestimmten Pilz gepflückt hat: dieser Pilz ist giftig). Diese Mittei­lung bezieht sich ausschließlich auf das praktische Verhalten in diesem ei­nen Augenblick. Indem ich jedoch den praktischen, auf ein augenblickli­ches Verhalten abzielenden Satz ausspreche, gewinnt der Satz zugleich ei­nen theoretischen Sinn. (In unserem Beispiel: dieser Pilz — ein Pilz dieser A n ist giftig). Diesen Umschlag benennend, unterscheidet König termino­logisch ein praktisches und ein theoretisches Dieses. Der springende Punkt ist jedoch, daß es sich dabei faktisch nicht um zwei verschiedene Pronomi­na handelt, sondern daß im Aussprechen des Singulären dieses sich als ein Allgemeines darstellt. »Die Sinne zeigen die Realität. Denken und Wort das Allgemeine», bemerkt Lenin.43 Die Generalisierung aber enthält eine von der praktischen Situation hic et nunc abgehobene theoretische Geltung, und diese wird nicht durch eine Einstellungsänderung des Sprechenden ge­

w onnen , sondern ist in einem mit der praktischen Intention da.44Die Situation, in der ich mich praktisch verhalte, ist zunächst als gestalt­

qualitative Ganzheit gegeben; sie ist ein geschlossenes Bedeutungsfeld, für das die Frage nach seiner Plazierung in einer umfassenderen Region, letzt­lich in der Welt im ganzen, unmittelbar nicht auftaucht. Das ändert sich mit der theoretischen Artikulation; der Übergang vom Singulären zu ei­nem Allgemeinen, das auch außerhalb einer bestehenden Situation Bedeu­tung hat oder gilt, läßt die Frage nach dem Umfang der Bedeutung, der Reichweite der Geltung, dem Grad der Allgemeinheit aufkommen. Das praktische Dieses ist ausgewiesen durch die Unmittelbarkeit der sinnlichen Gewißheit. Das theoretische Dieses formuliert eine Tatsachenwahrheit, die dem Leibnizpostulat unterliegt, es müsse immer ein zureichender Grund angegeben werden, warum etwas ist und warum es so und nicht an­ders ist.45 Kant folgt diesem Postulat, wenn er feststellt: »Wenn eine Er­kenntnis als bedingt angesehen wird, so ist die Vernunft genötigt, die Reihe

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der Bedingungen in aufsteigender Linie als vollendet und ihrer Totalität nach gegeben anzusehen.*6

Oie theoretische Bestimmung des Verhältnisses, in dem der Mensch, der sich praktisch zur Umwelt verhält, zu allen in dieser Umwelt verkommen­den und sie bedingenden Seienden und Relationen steht, führt also auf die von Kant als (vermeintlich) »transzendentaler Schein« abgewertete Denk- norwendigkeit der Idee einer prinzipiell unendlich series rerum, welche als das transempirische Ganze, als Welt begriffen wird.47 Hier stellt sich — ebenso so »unabweisbar« wie für die traditionelle Metaphysik aporetisch und nur idealistisch forniulierbar — das Problem des Gesamtzusammen­hangs. Als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs« bezeichnete Fried­rich Engels die materialistische Dialektik.48 Diese Formulierung hat zu mannigfachen Mißverständnissen Anlaß gegeben, weil Engels ihr an ande­rer Stelle zu widersprechen scheint; hat er doch den Fortschritt in den Ein- zelwissenschaften so aufgefaßt, daß diese die Leistung der Philosophie . selbst übernehmen können und sollen: »Sobald an jede einzelne Wissen­schaft die Forderung herantritt, über ihre Stellung im Gesamtzusammen- hang der Dinge und der Kenntnis von den Dingen sich klarzuwerden, ist je­de besondere Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang überflüssig«49. Da­mit ist gesagt, daß es in jeder Einzelwissenschaft Grundlagenprobleme gibt, in denen der Zusammenhang dieser Wissenschaft mit ihren Nachbardiszi­plinen und prinzipiell mit allen übrigen Wissenschaften und mit der wirkli­chen Welt thematisch wird. In der Ausarbeitung von theoretischen Model­len zur Lösung dieser Probleme liefern die Einzelwissenschaften die Be­gründung ihres Gegenstandsbereichs und erläutern dessen Verfassung50, das heißt, sie entwickeln aus ihrer spezifischen Perspektive, indem sie ihre eigene Stellung in der Welt und zur Welt reßektieren, die philosophische Bestimmung ihrer selbst. Und insofern der Gesamtzusammenhang das In­tegral der in den Einzelwissenschaften ausgearbeiteten Bereichsstrukturen und ihrer »allgemeinsten Bewegungs- und Entwicklungsgesetze«51 ist, gibt es über die philosophische Selbstreflexion der Wissenschaften hinaus keine aparte Wissenschaft von dem Gesamtzusammenhang als einem separat ge­gebenen Gegenstand.

Der Gesamtzusammenhang kann schon deshalb kein von den Inhalten der Wissenschaften abgetrennter Gegenstand einer eigenen Wissenschaft sein, weil er empirisch überhaupt nicht gegeben ist, vielmehr jede mögliche Erfahrung eines endlichen Bewußtseins übersteigt. Wohl aber ist der Ge­samtzusammenhang (die Synthesis aller Erscheinungen) in der Erfahrung, die das Denken an sich selbst macht, enthalten. (In der traditionellen Ter­minologie sprechen wir von einem Apriori). Es wird später zu zeigen sein, daß es möglich und sinnvoll ist, von Erfahrungen zu sprechen, die das Den­

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ken an sich selbst (in der Reflexion der Reflexion) macht, wenn und weil wir das Verhältnis von Denken und Sein materialistisch als Widerspiege­lung auffassen. Das Widerspiegelungstheorem ist in der Bestimmung der dialektischen Philosophie als »Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs« vorausgesetzt. Unter dieser Bedingung kann der apriori gedachte (und im­mer nur gedachte) Gesamtzusammenhang als das Produkt der metatheore­tischen Konstruktion der das wissenschaftliche Verfahren der Begründung reflektierenden Philosophie — und das heißt als Widerspiegelung des real unendlichen, mithin transempirischen Gegenstands des Erkenntnisprozes­ses im Denken — aufgefaßt werden.

Die Idee des Gesamtzusammenhangs, das antizipierte Resultat der un­endlichen Synthesis aller Erscheinungen oder des »Werdens des Wissen« (Hegel), ist immer nur in einem Modell abbildbar, dessen Konstruktions­prinzipien durch die Kategorien der Dialektik angegeben werden. »Die dia­lektische Konstruktion des metatheoretischen Zusammenhangs der Wis­senschaften ist auf den Entwurf eines transempirischen Musters angewie­sen, in das die Erscheinungen eingeordnet werden. Die Dialektik muß den Wissenschaften ein System der Kategorien und ein Modell der Relationen vorgeben — und beides gemäß dem Fortschritt der Wissenschaften modifi­zierbar halten: Das System muß ein offenes, das Modell ein hypothetisches sein«.52 Darum ist die dialektische Philosophie die »Wissenschaft des Ge­samtzusammenhangs«. Ihr universeller Gegenstand ist darum die Natur, die materielle Welt als Welt, die Einheit des Mannigfaltigen; und der Mensch mit seiner Geschichte ist ein (obschon wenigstens für ihn selbst ausnehmend besonderes) Moment ihrer. Der Gesamtzusammenhang der Welt ist aber ein solcher nicht nur im Raume, sondern ebenso in der Zeit. Hans-Jörg Rheinberger hat die daraus resultierende Aufgabe formuliert: »Die Rekonstruktion der materialistischen Dialektik als ’Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs’ steht, will sie diesen nicht aus Prinzipien deduzie­ren, vor dem doppelten Problem, den Ort der Vermittlung dieses Zusam­menhangs selbst als historisches Entwicklungsresultat und die wissen­schaftliche Erfassung dieser Vermittlung selbst als historisch gewordenes Moment desselben darzustellen«53.

Der Ort der Vermittlung des Gesamtzusammenhangs kann — sofern er nicht metaphysisch-global als die Welt im ganzen intuitiv geschaut und da­mit seiner wissenschaftlichen Darstellung enthoben wird — nur in der uni­versellen Vermitteltheit des Singulären bestimmt werden; das macht gerade die dialektische Verfassung der Vermittlung aus, daß sie selbst stets und in jedem Augenblick das Ganze ist, aber immer nur als die Vermitteltheit des Einzelnen erscheint — ein Sachverhalt, den Leibniz unter dem Titel der re- praesentatio mundi in der Monade, Hegel als die vermittelte Unmittelbar­

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keit des Antangs oder des An-und-iür-sich-sein des Begriffs gedacht habet); beide fassen das Verhältnis des Einzelnen zur Totalität als ein spekulativ^ dergestalt, daß die Monade ein “ Spiegel der ganzen Welt” und der Begriff -die Reflexion in seinen Grund* ist. Nichts anderes besagt der Satz, daß der Vermitteltheit des Einzelnen die Vermittlung als der Prozeß der Welt im ganzen erscheint und daß darin »der Ort der Vermittlung dieses Zusam- menhangs selbst als ein historisches Entwicklungsresultat« (s.o) erkennbar wird. So wird die Natur als Totalität der Relationen, in die ihre Elemente eingehen, zum Prozeß, den Hegel »die dialektische Bewegung der Sub­stanz* nennt.w

Hegel faßt diese »dialektische Bewegung der Substanz« als den Übergang des Begriffs eines Bestimmten in sein Anderes; aber eben dieser Übergang als einer, der im Begriffe selbst seinen Ursprung hat, wird nicht von der Versrandesform des Begriffs in Gang gesetzt, sondern von seinem Inhalt, der seine Eigenheit erst durch seine Abgrenzung von anderem — indem er sich am Anderen reflektiert — setzt und damit zugleich in eine Bewegung versetzt, die als unendliche Fortbestimmung eines Begriffs von Prädikation zu Prädikation, mithin in logischer Form, ausgedrückt werden kann.55 Die Identifikation von Begriff und Ansichseiendem, dergemäß »das an und für sich Seiende gewußter Begriff, der Begriff als solcher aber das an und für sich Seiende ist«56, erlaubt Hegel, die in der Reflexion sich erzeugende Bewe­gung des Begriffs, die Geschichte seiner Entfaltung (oder das »Werden des Wissens«) zugleich als Darstellung der Entwicklung der Natur vom Einfa­chen zum Komplexen, also als Naturgeschichte zu verstehen. Und »es er­gibt sich daraus eine Sphäre der Vermittlung, der Begriff als System der Re- flexionsbestimmungen, d.i. des zum Insichsein des Begriffs übergehenden Seins«’7. Die Natur wird so als geschichtliche zum Substanz-Subjekt, dank einer formalen (wenn auch nicht bewußten) Selbstbezüglichkeit, die jedes einzelne mit allen vermittelt sein läßt, sodaß an jedem Ort das Ganze reflek­tiert wird. Die konstruktive Idee der Leibnizschen Monadenmetaphysik, die Welt als ein allseitiges Reflexionssystem zu denken, wird hier zu einem Prinzip der Naturgeschichte erweitert.

Dabei darf es uns an der Richtigkeit der Hegelschen Einsicht nicht irre­machen, daß die Naturgeschichte bei ihm in der Gestalt einer Geschichte des Begriffs auftritt. Hegels idealistisches System bedarf stets der Dechiffrie­rung.58 Daß der Begriff die Natur und den Ursprung des Menschen aus ihr meint, läßt sich ebenso an der Wesenslogik wie an der Begriffslogik dartun.59 In materialistischer Lesart verstehe ich die von Hegel (und auch schon von Leibniz) gemeinten Sachverhalte so: Die materielle Form der Natur ist Auseinandersein der Vielen (ihre Äußerlichkeit gegeneinander) in der Einheit des Gesamtzusammenhangs, ihre ideelle Form ist ihre Dar-

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Stellung ah Einheit im Begriff der Totalität. Auseinandersein heißt, daß je­des, am Anderen des realen Gesamtzusammenhangs sich reflektierend, sei­ne eigene Identität gewinnt und am je einzelnen Anderen sich reflektierend sich verändert. Ich kann diese Reflexion real als Wechselwirkung oder ideell als Sich-setzen verstehen und das Verhältnis beider zueinander als ein Spiegelverhältnis auffassen. Indem die Veränderung als eine Funktion der Reflexion in einem multiplen extensionalen System begriffen wird, läßt sich ein Konzept von Naturgeschichte formulieren, für das die Kategorie der Bewegungsform der Materie konstitutiv ist.60 Eine durchgängige Histo­rizität der Natur auf verschiedenen Komplexitätsstufen mit verschiedenen Graden von »Subjekthaftigkeit« (Reflexivität) kann dann konstruiert wer­den — man muß sich nur darüber im klaren sein, daß mit der Naturge­schichte auch ein irgendwie gearteter Gebrauch des Subjektbegriffs auf die Natur angewendet werden muß.

Von Naturgeschichte sprechen heißt nämlich mehr, als nur eine Sukzes­sion verschiedener Zustände der materiellen Welt behaupten. Das bloße Nacheinander der einzelnen Augenblicke oder Zeiterstreckungen bliebe dem positivistisch-empiristischen Schema der Verknüpfung von Einzel­nen verhaftet, selbst dann, wenn diese Verknüpfung nicht nur temporal, sondern auch kausal gedacht würde; darum hat Hegel für den infiniten Re­gress der Kausalität den Ausdruck »schlechte Unendlichkeit« geprägt. Ge­schichte meint hingegen eine besondere Verfassung der Zeit, Geschicht­lichkeit einen besonderen Modus der Zeitlichkeit. Geschichte (und mithin auch Naturgeschichte) läßt sich nicht als einfache lineare Abfolge von Er­eignissen beschreiben, deren jedes mit dem vorhergehenden und dem fol­genden wie eine Kette von Bedingung und Bedingtem, gar von Ursache und Wirkung verknüpft ist. Vielmehr ist eine geschichtliche Situation dadurch definiert, daß in ihr jedes Moment als eine Funktion des ganzen Systems auftritt; das System ist indessen nicht eine abstrakte Einheit, sondern gera­de die funktionale Verknüpfung seiner Momente, die Hegel unter der Kate­gorie Vermittlung faßt: »Die Vermittlung ist nichts anderes als die sich be­wegende Sichselbstgleichheit, oder sie ist die Reflexion in sich selbst«61.

Indem jedes Element dieser Welt seine bestimmte Existenz dadurch ge­winnt, daß es sich an den anderen reflektiert, setzt es sich selbst, aber eben nur durch die Abhängigkeit von den anderen — und das gilt für alle in Wechselwirkung.62 Genau dies ist ein übergreifender Gattungsbegriff von Subjekthaftigkeit, von dem die bewußte Subjektivität des Menschen nur ei­ne Art bildet. In diesem Sinne erläutert Hegel sein Postulat, »das Wahre nicht als Substanz, sondern ebenso so sehr als Subjekt aufzufassen«, näm­lich: »Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit Sub­jekt, oder was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist, nur insofern

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sic die Bewegung des Sichselbstsetzens, oder die Vermittlung des Sichary. derswerdens mit sich selbst ist... Nur diese sich wiederherstellende Gleich, heit oder die Reflexion im Anderssein in sich selbst — nicht eine ursprüngli che Einheit als solche, oder unmittelbare als solche — ist das Wahre«63.

Hegel hat auch schon gesehen, daß eine solche Auffassung von Subjekt, haftigkeit der Substanz eine bestimmte modale Interpretation der Zeh nach sich zieht, die wiederum auf das Verhältnis von Intensionalität und ExtensionaJitlt bezogen ist. Den Systemcharakter der Wahrheit — »Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das_ wissen, schaftliche System derselben sein«64 — erläutert er durch die Analogie zur Struktur der Zeitlichkeit: »Dieäußere Notwendigkeit aber, insofern sie, ab- gesehen von der Zufälligkeit der Person und der individuellen Veranlassun­gen, auf eine allgemeine Weise gefaßt wird, ist dasselbe, was die innere, in der Gestalt nämlich, wie die Zeit das Dasein ihrer Momente vorstellt«65. Die äußere Notwendigkeit (determinatio extrinseca) liegt in der sukzessi. ven Abfolge von Ereignissen und Zuständen, die aus Gründen (gemäß dem principium rationis sufficientis) konstruiert werden kann; sie ist dieselbe wie die innere Notwendigkeit (determinatio intrinseca), die alle möglichen Prädikate eines Subjekts als in seinem vollständigen Begriff (notio comple- ta) inhärierend denkt (praedicatum inest subiecto). Die extensionale Fas­sung der äußeren Notwendigkeit entspricht der »Gestalt, wie die Zeit das Dasein ihrer Momente vorstellt*, nämlich als eine Aufeinanderfolge (tem­poral); diese Serie ist aber als Einheit ihrer Momente äquivalent der Koexi- stenz der Möglichkeiten in jedem Augenblick (modal).66 Es läßt sich dieses Verhältnis auch so formulieren: Der vollständige erfüllte Begriff einer Sa­che ist die Reflexion der unendlichen Reihe ihrer Zustände (Entwicklung) in ihren logischen Grund, und dieser stellt den ontologischen Grund der Geschichte dieser Reihe iur(sodaß, hegelisch gesprochen, in der Selbstent­faltung des spekulativen Begriffs die Einheit eines Entwicklungsprozesses eingesehen werden kann).67 In eben diesem Sinne sprechen wir von Natur­geschichte und von einer Subjekthaftigkeit der Natur als Entsprechung der universellen Reflexivität alles Seienden in der Welt.6®

Nach dem Gesagten (hoffe ich) ist ein mögliches Mißverständnis abge- wehrt, das mit der Rede von einem »Natursubjekt« verbunden sein könnte: Denn wir sehen nun, was die »Selbstbezüglichkeit« oder Reflexionsstruk­tur der materiellen Natur bedeutet; nicht etwa, daß wir, wie die romanti­schen Philosophen, eine Weltseele annehmen müssen, eine teleologisch ak­tive natura naturans, sondern daß die Bewegung als die Seinsweise der Ma­terie die Genesis der Natur als des Gesamtzusammenhangs bewirkt. Die Natur als »Gegenstand ihrer selbst«, mithin als Integral ihrer Genesis, ihres Werdens, ist als 1wirkliche Totalität immer genau das, was sie als historisches

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Entwicklungsresultat geworden ist; in dieser ihrer wirklichen Totalität ent­hält sie zugleich alle ihre Möglichkeiten und geht mit ihrer Zukunft schwanger als infinitesimale Ganzheit der Welt.

Es leuchtet ein, daß die dialektische Auffassung von der Natur als Natur­geschichte, als Herausbildung von immer komplexeren Bewegungsformen der Materie mit qualitativ neuen Eigenschaften des sich organisierenden Stoffes, nicht von dem jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Er­kenntnisse abhängig ist, sondern eben jene »allgemeinsten Bewegungs-und Entwicklungsgesetze« untersucht, aufgrund deren die materielle qualitati­ve Mannigfaltigkeit der Welt als Einheit erfaßt wird; diese Gesetze haben den Charakter von konstitutiven Prinzipien, die nicht aus den Ergebnissen der Einzelwissenschaften abstrahiert werden können (wenn man sie auch in ihnen aufzuzeigen vermag) und die ebensowenig den einzelwissenschaft­lichen Beschreibungen und Theorieentwürfen vorgeschrieben werden dür­fen; wohl aber erlauben die Grundgesetze der Dialektik die Interpretation einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse im Hinblick auf ihre Stellung im Ganzen der Welt und die Formulierung von Fragen an die Wissenschaften über die Konsistenz und Kohärenz ihrer Forschungsergebnisse und Deu­tungshypothesen. Da diese konstitutiven Prinzipien im dialektischen Ma­terialismus jedoch nicht einer angenommenen transzendentalen Verfas­sung der Vernunft entspringen, sondern als Denkgesetze Widerspiegelun­gen der Verfassung der Wirklichkeit sind — hier erweist sich wieder die Geltung des Widerspiegelungstheorems als Voraussetzung für die Grundle­gung der Realdialektik — , kann auch der Ort der wirklichen Vermittlung des Gesamtzusammenhangs, also der materiellen Welt, weder in den Wis­senschaften im besonderen oder in der menschlichen Praxis im allgemeinen gesucht werden, sondern nur im tatsächlichen Naturgeschehen selbst.

3. Praxis und die neue Q u alität der menschlichen N atur

Nun ist der Gesamtzusammenhang des tatsächlichen Naturgeschehens dem Menschen ja empirisch nicht gegeben; allerdings wird im einzelnen Auffassungsakt auch nicht bloß das singuläre Objekt erfahren — das ist ein künstliches Abstraktionsprodukt diairetischer Verfahren der erkenntnis­theoretischen Reflexion. Faktisch steht der Mensch immer in einer Situa­tion, die eine endliche Menge von Gegenständen umfaßt und sich als eine Bedeutung oder als ein endlicher Bedeutungszusammenhang artikuliert.69 Doch vermögen Wahrnehmung und Denken, von einem Inhalt zum ande­ren fortschreitend70, die Situation zu erweitern oder von einer Situation zu einer anderen überzugehen, ohne je auf ein Ende der series rerum zu stoßen.

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So wird die Frage nach dem Ganzen zum Problem.7' Die klassische Met* phvsik vermochte die Totalität der Natur nur spekulativ als monas monj, dum oder als absolute Idee zu denken. Solange Philosophie (im Sinn der 1 j Feuerbachthese von Marx) die Welt nur interpretierte, blieb ihre Bezjg, hung zur Natur distanziert, anschauend. Subjekt und Objekt sind dax voneinander getrennt, die Einheit der Natur im anschauenden Subjekt kann nur als Idee gefaßt werden. Erst die Erkenntnis, daß das Grundvcf hältnis des Menschen zur Natur ein praktisches ist, worin das arbeiten^ Subjekt und die bearbeiteten Objekte zu einer Einheit zusammengeschloj. sen sind (welche Einheit wiederum die Natur selber ist, der ja auch die Sub. jekte als natürliche Wesen angehören), gestattet die Umkehrung der Ideajj. sierungen der Anschauung in die Materialität der gegenständlichen Tätig keit.7*'

Die Frage nach dem Ort der Vermittlung des Gesamtzusammenhangj und der Bestimmung der jeweiligen Besonderheit des Vermittlungsprozej. ses und der Vermitteltheit als historisches Entwicklungsresultat stellt sich in neuer Weise auf dem Niveau der menschlichen Natur73, die durch gegen, ständliche Tätigkeit, Gesellschaftlichkeit und Selbstbewußtheit charakt«. risiert ist. Die Sonderstellung des Menschen in der Natur ist unbestritten. Worauf es ankommt, ist die exakte Bestimmung dieser Sonderstellung i^ Verhältnis zu der Natürlichkeit des Menschen, welche ihm ja nicht nur zu. kommt, insofern er ein biologisches Wesen ist, sondern überhaupt und un- geteilt. Tomberg stellt mit Recht fest: »Als Naturmacht gehört der Mensch mit seinem ganzen Sein der Natur an«74. Es ist nicht so, als ob man am Men- sehen Schichten, die außernatürlich sind, abheben könnte von solchen, die natürlich sind. Er ist ganz und gar Naturwesen und zugleich und in eins da­mit der Natur entgegengesetzt, aus ihr herausgetreten. Tombergs Formu­lierung macht die dialektische Struktur dieses Verhältnisses deutlich; er be­tont, »daß er (der Mensch) seinen Ursprung in der N atur hat und ihr auch weiterhin voll und ganz angehört, jedoch in der Art, daß er ihr gegenüber zugleich auch als eine eigene Macht sich verhält. Der Mensch ist die Natur in einer spezifischen, im Begriff der Arbeit ausgedrückten Entgegensetzung zu sich selbst«75: Den Unterschied des Menschen zur N atur (der ein Selbst- unterschied der Natur ist) hat Engels mit dem Selbstbewußtsein verknüpft: »Die Geschichte (ist) nur als Entwicklungsprozeß selbstbewußter Organis­men von der Geschichte der Natur verschieden«.76

Mit dem Selbstbewußtsein stellt sich allerdings eine wesentlich neue on­tologische Ebene der Relation innerweltlicher Seiender ein (die ihrerseits sich in einer anderen logischen Struktur manifestiert). Ein Reflexionsver­hältnis hat zwei Glieder, das Reflektierende und das Reflektierte; wenn ei­nes dieser Glieder seiner selbst und damit zugleich des ganzen Reflexions-

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Verhältnisses bewußt wird, so bildet sich damit eine qualitativ neue Stufe des Reflexionsverhältnisses, die Reflexion der Reflexion, heraus. Das selbstbe­wußte Seiende ist nicht mehr ein Seiendes wie das ihm entgegentretende Objekt auch, das Objekt reflektierend und am Objekt reflektiert (wie um­gekehrt das Objekt vom anderen Seienden reflektiert wird und dieses ande­re Seiende selbst reflektiert — ein symmetrisches Wechselverhältnis); viel­mehr wird das selbstbewußte Seiende nunmehr übergreifend, indem es so­wohl Glied der symmetrischen Reflexionsbeziehung ist als auch einseitig diese Beziehung (samt seiner selbst als ein Element ihrer) noch einmal re­flektiert. In der Reflexion der Reflexion entsteht ein asymmetrisches Ver­hältnis des Reflektierenden zu dem Reflektierten, das selbst ein Verhältnis ist, in dem das Reflektierende steht. Und genau dieses asymmetrische Ver­hältnis ist es, welches die Subjektivität definiert und in welchem sich das Subjekt konstituiert. Erst von dieser spezifischen Form der Reflexion an können wir sinnvollerweise von Subjektivität und Subjekten sprechen (weshalb ich zuvor auch von der Subjekthaftigkeit der Natur sprach und da­mit den analogischen Charakter dieser Redeweise anzudeuten versuchte).

Wie wird sich nun das Ich seiner selbst bewußt, das heißt wie wird es des Verhältnisses bewußt, dessen Glied es ist? Offenbar kann dies geschehen, indem das Ich sich in einem Medium erkennt, das die Tätigkeit des Ich ver­gegenständlicht, sodaß das Ich sich selbst in einem anderen zu entdecken vermag. Dieses Medium ist das Arbeitsmittel, in dem der Mensch seine eige­nen Zwecke mit der Beschaffenheit und dem Widerstand des Gegenstandes zusammengeschlossen findet. Im Arbeitsmittel (Werkzeug) verselbstän­digt sich die reflexive Beziehung zweier Naturseiender (des Lebewesens Mensch und des Gegenstands seiner Tätigkeit), es entsteht der neue Seins­bereich der Künstlichkeit, einer »zweiten Natur«77.

(Daß das gleiche Verhältnis einer vergegenständlichten Präsenz meiner selbst für mich selbst vorliegt, wenn ich in den Spiegel schaue, soll hier zu­nächst außer Betracht bleiben; zumal die Frage, ob die Tatsache, daß ich mich selbst im Spiegel wiedererkenne, bereits das Selbstbewußtsein voraus­setzt, für unser Problem von untergeordneter Bedeutung ist. Die paradig­matische Bedeutung des Spiegel-Verhältnisses wird weiter unten zur Spra­che kommen).78

Einwirkung auf die Natur gibt es auch bei vormenschlichen Lebewesen, ja sogar in der Beziehung anorganischer Stoffe aufeinander. Die Erosion des Gebirgsgesteins durch Temperaturwechsel, Wind und Wasser, überhaupt geologische Prozesse liefern dafür Beispiele, die pflanzliche Synthese von Nahrungsstoffen, der Nestbau der Vögel usw. sind »gegenständliche Tätig­keiten« im weitesten Sinne, weil hier Kräfte aufeinandertreffen, durch die der Zustand des Systems, in dem sie miteinander verbunden sind, verändert

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wird. Immer aber beeinflussen die Glieder eines Wirkungsverbundes e in ^ der unmittelbar oder in Rückkoppelungsbeziehungen fallweise singuj^ vermittelt. Durch das Arbeitsmittel hingegen wird eine neue Beziehunggc< stiftet. Es ist als ein selbständiger Gegenstand aus dem unmittelbaren Wirkungsverhältnis herausgenommen und kann als solcher nicht nur v0ji einem Bewirkenden, sondern prinzipiell von jedem potentiellen Prody. zenten benutzt werden. Im Arbeitsmittel wird die individuelle Zielgeix^, tetheit des Verhaltens allgemein, in ihm realisiert der Mensch sein Gat. tungswesen als Produzent. Diese Realisierung ist aber eine Verdinglichung Vergegenständlichung, er kann nun dieses Gattungswesen, das heißt sich selbst, in einem Objekt wahmehmen. Das Allgemeine ist indessen nicht das dingliche Dieses-da (die haecceitas des Werkzeugs), sondern der in die* sem inkorporierte Zweck, das Subjekt erfährt seine Subjektivität als zweck- setzend (und das ist mehr als bloß zweckgerichtet), wenn es den zweckmäßj. gen Gegenstand schafft. Zugleich wird ihm aber auch die Selbständigkeit der Natur bewußt, denn das Werkzeug muß dem Stoff, auf den es einwir. ken soll, angemessen sein. So sind im Arbeitsmittel Subjekt und Objekt als Beziehungsglieder ideell anwesend. Ihre Beziehung ist verm ittelt, ihre wechselseitige Reflexion erscheint in einem Gegenstand, der nun selbst re- flektiert werden kann.

So kommt am Arbeitsmittel die neue besondere Struktur der Reflexion in der Subjekt-Objekt-Relation gegenüber dem allgemeinen Reflexions. Verhältnis von Objekt und Objekt in den Blick. Das Arbeitsmittel ist fiif das Subjekt ein äußerer Gegenstand und zur Umwelt gehörig — vom Na­turgegenstand her gesehen ist es jedoch der verlängerte Arm des Subjekts. Das Arbeitsmittel reproduziert die gegenständliche Beschaffenheit des zu bearbeitenden Gegenstands in seiner zweckmäßigen Verfaßtheit, es repro­duziert aber eben auch zugleich die Intention(die Zwecksetzung) des Sub­jekts; es spiegelt sich also in der vom Arbeitsmittel repräsentierten Subjekt- Objekt-Relation nicht mehr nur jeweils das eine Glied der Beziehung im anderen, sondern die Beziehung als Ganzes in dem Vehikel der Beziehung.

So scheint das Arbeitsmittel ein Modell zu sein, in dem die dialektische Beziehung von Subjekt und Objekt gegenständlich wird, der Spiegel in dem das Subjekt-Objekt oder das gegenständliche Wesen des Menschen79 er­scheint. Diese Einschätzung des Produktionsmittels hat jedoch selbst scheinhaften Charakter: Das Instrument wird zum Fetisch. Denn es gibt ei­nen wesentlichen Unterschied zwischen dem gegenständlichen Wesen des Menschen und dem Wesen des Produktionsmittels: Der Mensch setzt seine Zwecke selbst, er produziert die Produktionsmittel und er setzt sie in Bewegung80, das heißt der Mensch ist aktiv, das Arbeitsmittel hingegen ist ohne den Menschen, der es handhabt, ein toter Gegenstand, ein bloßes

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Ding. In der Deutung der Arbeit vom Arbeitsmittel her geht die Natur- macht der lebendigen Arbeit verloren. Der Teil von ihr, der im Arbeitsmit­tel als Potenz aufgespeichcrt ist, wird dann in seiner verdinglichten und ge­horteten Form als repräsentativ für Arbeit überhaupt genommen. Es hat ei­nen guten Sinn, daß Engels nicht die Herstellung von Werkzeugen, son­dern die Freisetzung der Hand als den entscheidenden Schritt bei der Menschwerdung des Affen herausstellt.81 Die freie Hand ist das natürliche Werkzeug des Menschen, an dem die Arbeit noch ganz und gar als lebendi­ge auftritt — und jede Tätigkeit, die sich eines Werkzeugs bedient, braucht noch die Hand (oder überhaupt ein Körperorgan) dazu.

In der Arbeit wird ein Reflexionsverhältnis von Mensch und Natur ver­wirklicht; das ist richtig, aber die Formulierung des Gesamtzusammen­hangs als Reflexionssystem — erstmals voll entwickelt in Leibniz’ Mona- denlehre, dann materialistisch von Engels und Lenin pointiert — ist allge­meiner und umfassender als eine Konzeptualisierung der Dialektik durch das Arbeitsverhältnis. Das besondere Wesen der Arbeit ist von der Natur­geschichte her zu entwickeln und nicht umgekehrt die Naturgeschichte durch den Begriff der Arbeit zu erschließen, wie es in verschiedenen Ansät­zen geschieht, die sich zwar als materialistisch verstehen, aber den histori­schen Materialismus entweder nur allein oder dem dialektischen konstitu­tiv vorgeordnet gelten lassen wollen. Der methodologische und sozusagen »konstitutive« Vorrang des Arbeits- vor dem Naturverhältnis würde be­deuten, daß die Naturgeschichte erst durch die Arbeit (das heißt durch den Menschen) explizit wird, Dialektik der Natur sich mithin erst durch das Auftreten des Menschen aktualisiert. »Reflexion ist Form der Bewegung der Natur, wie sie als durch Arbeit und Erkenntnis angeeignete dem Men­schen erscheint, also auch zugleich Bewegungsform der Entwicklung von Arbeit und Erkenntnis«82.

Nach dieser Auffassung soll zwar nicht die Natur durch Arbeit konstitu­iert werden, wohl aber die Dialektik der Natur, die damit ganz auf die pro­duktive Leistung des Subjekts gegründet wird. Damit jedoch wird der über­greifende Gattungscharakter der Natur preisgegeben, Subjekt und Objekt stehen einander nun wieder als wesentlich verschieden gegenüber. Zwar wird der Sachverhalt der doppelten Reflexion erkannt, aber undialektisch als Hin und Her von Wirkungen gesehen: »Reflexion materialistisch: N a­tur wirkt auf den Menschen nur im Zusammenhang seiner Einwirkung auf sie ein«83. Die einfache Tatsache, daß auch schlafende, ohnmächtige, be­wußtlose, ja im Koma liegende Menschen Einwirkungen der Natur erfah­ren, ohne doch selbst auf diese einzuwirken (außer im rein biologischen Sinne, zum Beispiel durch Atmung), widerlegt dieses equilibristische Mo­dell, die N atur ist übergreifend.

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Zu eineni solchen Modell muß kommen, wer den Kern des dialektisch Materialismus in erkenntnistheorerischen Aussagen sucht. »Ob der diaje? tische Materialismus eine Epochenwende für die Philosophie auch in j Philosophie darstellt, hängt von seiner erkenntnistheoretischen Leistui ab-"4. Das ist, so scheint mir, eine fundamentale Fehleinschätzung, jy »Grundfrage der Philosophie« zielt primär und wesentlich auf ein Seinsy^ häJrnis, das erst als solc/vs auch in die Form eines Erkenntnisverhältnis^ übergeht. Die den dialektischen Materialismus begründenden und struktg, rierenden Theoreme sind ontologische, allerdings in jener entwickelten Q stalt der Ontologie, die diese durch die Dialektik bekommen hat. DieCf kennrnistheoretischen Aussagen des dialektischen Materialismus sind allgemeinen Seinsaussagen abgeleitet. In diesem theoretischen Rahme{ wird Subjektivität als ein besonderes Seinsverhältnis begriffen, das sich und mit der Arbeit ausbildet und manifestiert. Werden jedoch die philoso. phischen Fragen primär aus erkenntnistheoretischer Einstellung anvisie^ so ist das Subjekt bereits aus dem Naturzusammenhang herausgetreten unj hat sich dem Objekt entgegengesetzt. Arbeit und Erkenntnis erschein^ dann als gattungsgleiche Verhältnisse von Subjekt und Objekt, die in äi» Zierlicher Verschiedenheit gegeneinander verharren.85 Damit wird aber dj< spezifisch materialistische Form einer dialektischen Subjekt-Objekt-Eiij heit, die in der »Natürlichkeit« des Subjekts und also im Ubergreifen dt, Naturverhältnisses über den gesellschaftlichen Produktionsprozeß — dit Menschheitsgeschichte ist eine unterschiedene Art Naturgeschichte — be. gründet ist, weder zugunsten einer Dualität zerstört, die immer nur ideajj. stische Konsequenzen haben kann. Sobald das Arbeitsmittel in dem sich das Subjekt-Objekt-Verhältnis doch nur vergegenständlicht, in seiner Ar- tifizialität oder Nicht-Natürlichkeit derart verselbständigt wird, daß der Schein entsteht, durch es werde der Zusammenschluß von Subjekt und Ob- jekt erst erzeugt, verschwandet der dialektische Charakter der Einheit der Gegensätze und diese zerfallen wieder in die gattungsverschiedenen Disp* riräten Mensch und Natur, die erst nachträglich, eben durch die Tätigkeit des Menschen, verknüpft werden. Entweder bleibt dann bestenfalls eine materialistische Auslegung dieser Verknüpfung bei der Dualität stehen (und kann dann nicht konsequent materialistisch sein), oder eine dialekti­sche Auslegung muß — auf dem Kopf stehend — das Subjekt als übergrei­fend über das Objekt auffassen.

Es geht also nicht an, das eine der drei einfachen Elemente des Arbeitsvor­gangs (Arbeitskraft, Arbeitsmittel, Arbeitsgegenstand) zum herausgehobe­nen Moment und Schlüssel für das Verständnis des in der Arbeit sich her­stellenden und manifestierenden neuen dialektischen Naturverhältnisses, des iWj^-Objekt-Verhältnisses, zu machen. Das hieße, einen dialekti-

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sehen Prozeß in seinem Mittelglied und nicht als Einheit aller seiner Glie­der zu fassen.*6 Und die in die Arbeit eingehenden drei einfachen Elemente sind jedes für sich substantiell-statisch und Bedingungen der Möglichkeit von Arbeit. Erst die Verausgabung von Arbeitskraft, die Anwendung des Arbeitsmittels, die Veränderung des Arbeitsgegenstands sind wirkliche konkrete Arbeit, und in dieser Betonung des Tuns zeigt sich, daß jeder der drei Aspekte die beiden anderen einschließt. Betrachtet man nur die drei substantiellen Bedingungen der Arbeit, so beschränkt man sich darauf, Ar­beit »nur unter der Form des Objekts der Anschauung, nicht aber als sinnlich-menschliche Tätigkeit, als Praxis« zu fassen und verfällt so in den Fehler des alten Materialismus.87 In der Auffassung des Arbeitsmittels als Modell der Arbeit gerät die »tätige Seite, die wirkliche sinnliche Tätigkeit« gerade aus dem Blick. Und sogar unter Absehen vom Arbeitsmittel hat Marx die Arbeit definiert als einen Prozeß »zwischen Mensch und Natur..., worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als ei­ne Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräf­te, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Na­turstoff in einer für sein Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur«88 — die Hervorhebung der »eige­nen Tat« und deren leiblicher Realisierung durch »Arme und Beine, Kopf und Hand« (die der Betonung der Hand durch Engels entspricht), zeigt, was Marx für grundlegend hielt: Nicht irgendeine Dingform, zu der menschliche Tätigkeit in ihrem Resultat geronnen ist, sondern die Tätig­keit selber in actu.

Nun unterscheidet sich die menschliche Arbeit von jeder vormenschli­chen Aktivität zweifellos auch dadurch, daß sie instrumentell vermittelt ist; und die Entwicklung der Produktionsmittel zu immer komplexeren, leistungsfähigeren, umfangreicheren Systemen macht den materiellen Fortschritt in der Geschichte aus. Und wenn der Mensch seine eigenen We­senskräfte in der Arbeit erweitert und verändert und sich durch seine Ar­beit selbst erzeugt, so tut er das auf jeden Fall, indem er eine von ihm selbst geschaffene »zweite Natur« aufbaut. Seine Natürlichkeit ist die der Kultur, diese ist die Form, in der sich sein Naturwesen verwirklicht89, darum gibt es auch kein »Zurück zur Natur«, wenn damit an eine Aufhebung oder auch nur wesentliche Reduktion der Zivilisationswelt gedacht ist.90

Bleibt also die Bedeutung des Mittels unbezweifelbar, so ist doch anderer­seits der Gebrauch von Mitteln ohne vorausgehende Setzung eines Zwecks, zu dessen Verwirklichung die Mittel dienen sollen, ein logischer Wider­spruch; es gehört zur Definition des Mittels, auf einen Zweck gerichtet, ein

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•Mittel nw u« zu sein. Ein Zweck ist aber noch etwas anderes als nur das / tentionalobjekt einer Begierde. Im Begriff des Zwecks ist eingeschlosJ daß er bewußt als Glied eines zeitlichen und modalen Verhältnisses erjfa- w ird; die V'envirk/ic/iuiig des Zwecks /legt in der Zukunft, sie ist mögta Die Setzung eines Zwecks geschieht aus jenem Abstand, den wir als die» flexion, gekennzeichnet haben. In der Zweckhaftigkeit des Tuns envei sich das Subjekt als solches, nämlich selbstbewußt. Keinesfalls kann sichd Subjekt über das Arbeitsmittel konstituieren, dessen Herstellung ja # jj ein zwecksetzendes Subjekt voraussetzt. Georg Lukacs sieht das im PtiiJi richtig, wenn er feststellt, *dali in jedem konkreten einzelnen Arbeitsrj zeß das Ziel die Mittel beherrscht und reguliert. Wenn jedoch von den beitsprozessen in ihrer historischen Kontinuität und Entwicklung inn(l halb der realen Komplexe des gesellschaftlichen Seins die Rede ist, entsteL eine gewisse, sicher nicht absolute und totale, für die Entwicklung der C sellschaft und der Menschheit jedoch höchst bedeutsame Umkehrung d ses hierarchischen Verhältnisses. Da die für die Arbeit unentbehrliche R forschung der Natur vor allem auf die Ausarbeitung der Mittel kon»*, triert ist, sind diese das hauptsächliche Vehikel der gesellschaftlichen C rantie einer Fixierung der Ergebnisse der Arbeitsprozesse«91. Für die I sehe und historische Genesis des Subjekts kann das Arbeitsmittel nicht Anspruch genommen werden, wohl aber für die weitere Entwicklungd! Gattungswesens. Der Entstehung des Selbstbewußtseins, das heißt des wußtseins von dem Naturverhältnis, in dem der Mensch steht, von der (¡f. stimmten Lage, in der er sich befindet, ist gewiß die Freisetzung der Ha* als subjektives Mittel seiner gegenständlichen Tätigkeit und damit die Eu;. deckung der »vermittelten Unmittelbarkeit«92 näher als die Zubereitm, von Werkzeugen. Denn in der Betätigung der Hand erfährt der Mensch^ seinem eigenen Körper die Möglichkeit, den Gegenstand zu verändern unj nicht nur zu verzehren. Soll die Dialektik der Geschichte, wie sie der histo rische Materialismus analysiert, nicht gleichsam vom Himmel fallen $ muß die Anthropogenese tief genug in der Naturgeschichte verankert wer. den.93 Engels har das deutlich gesehen.

4. Doppelte Reflexion und Reflexion der Reflexion

Die neue Qualität der menschlichen Natur läßt sich materialistisch, da heißt aus der Natur selbst, nur ableiten, wenn wir die Eigenschaft, daß da Mensch mit sich selbst durch die Gegenstände vermittelt ist, nicht als ei« Besonderheit der menschlichen Gattung auffassen, sondern dieses Reflj. xionsverhältnis bis in den Zusammenhang der Naturseienden zurückver

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folgen. Oben haben wir bereits von der »symmetrischen Struktur der dop­pelten Reflexion« gesprochen und diese am Verhältnis des Menschen zu den Naturobjekten verdeutlicht: Indem der Mensch die Gegenstände bear­beitet, findet er sich in ihnen wieder als das Wesen, dessen Zwecke in der neuen Form der Gegenstände realisiert sind, er reflektiert sich an ihnen; aber umgekehrt reflektieren sich die Gegenstände auch am Menschen, da dieser sich in seiner Tätigkeit der Materialbeschaffenheit der Dinge und der sich in dieser manifestierenden Naturgesetzlichkeit anzupassen hat. Im be­arbeiteten Gegenstand erkennt der Mensch sich selbst, doch zuvor hat sich schon der Gegenstand in der zweckmäßigen Tätigkeit des Menschen, im Arbeitsmittel und in der Bearbeitungsweise gespiegelt. Die Möglichkeit der Selbsterkenntnis des Menschen gründet in seinem Natursein.94 Ist der Ge­genstand die Reflexionsebene, an der ich mich spiegele, so bin ich die Refle­xionsebene, an der sich der Gegenstand spiegelt. »Sobald ich einen Gegen­stand habe, hat dieser Gegenstand mich zum Gegenstand«95. Mein Verhält­nis zum Gegenstand ist nicht gleichgültig, sondern das eines wechselseiti­gen Bestimmens.

In diesem Sinne kann Marx dann sagen: »Aber auch die Natur, abstrakt genommen für sich, in der Trennung vom Menschen fixiert, ist für den Menschen nichts«96. Das heißt nicht, daß die Natur nur in bezug auf den Menschen sei, sondern daß sie fü r den Menschen nichts bedeute, wenn sie ihm nicht gegenständlich entgegentritt. Diese Rückbeugung des Seins in den Sinn ist jedoch keine transzendentalphilosophische Entrückung des Dings an sich, sondern der Widerspruch gegen die abstrakte Auffassung, als ob die Natur dem Menschen getrennt von der Situation, in welcher er sich als einer natürlichen befindet, als ein bloßer Anschauungsgegenstand oder als ein »Gedankending« gegeben sei. »Daß der abstrakte Denker, der sich zum Anschauen entschlossen hat, sie abstrakt anschaut, versteht sich von selbst«. In diesem zweigliedrigen Gegenüber bleibt die Natur eben die Idee der Natur und sonst nichts. Marx kritisiert hier den Hegelschen Übergang von der Idee zur Natur als einen, der letztlich wieder nur in die Idee zurück­fällt: »Das Wahre ist immer noch die Idee. Die Natur ist nur die Form ihres Andersseins«. Es geht darum, die Natur nicht vom Menschen als bloßen Ge­genstand seiner konstitutiven Aktivität abhängig zu machen, sondern sie in ihrer materiellen Wirklichkeit gerade als die übergreifende Gattung zu be­greifen, innerhalb deren sich der Mensch auch dann noch befindet, wenn er sie vergegenständlicht. Eben weil die Natur ihn übergreift, kann er sie nicht in der Trennung von sich fixieren, ohne sie für sich zu nichts und damit aber auch sich selbst zu nichts zu machen. Marx zeigt das in drei Schritten:

1 — Die Natur ist von mir getrennt, also sie hat mich nicht und ich habe sie nicht zum Gegenstand: »Setzt ein Wesen, welches weder selbst Gegen-

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stand ist, noch einen Gegenstand hat. Ein solches Wesen wäre erstens d*$ einzige Wesen, es existierte kein Wesen außer ihm, es existierte einsam un<J allein«.

2 — Also gäbe es keine Gegenstände: »Ein Wesen, welches nicht Gegen, stand eines anderen Wesens ist, unterstellt also, daß kein gegenständliches Wesen existiert«.

3 — Und das bedeutet, daß auch ich selbst nur unwirklich, in meiner Isq. lation nur abstrakt wäre, also nicht wäre: »Aber ein ungegenständliches We- sen ist ein unwirkliches, unsinnliches, nur gedachtes, d.h. nur eingebildetes Wesen, ein Wesen der Abstraktion«.97

Die doppelte Reflexion, die im Terminus »gegenständliches Wesen« i^. pliziert ist, beschränkt sich jedoch nicht auf die Beziehung Mensch- Naturgegenstand; diese ist vielmehr schon ein ausnehmend besonderer Fall der universellen Reflexion, nämlich jener Fall, bei dem eines der Glieder mit Selbstbewußtsein ausgestattet ist. Marx hat jedoch keinen Zweifel dar­an gelassen, daß jedes Seiende in dieser Welt durch sein »gegenständliches Wesen« das ist, was es ist: »Die Sonne ist der Gegenstand der Pflanze, ein ihr unentbehrlicher, ihr Leben bestätigender Gegenstand, wie die Pflanze Ge- genstand der Sonne ist, als Äußerung von der lebenserweckenden Kraft der Sonne, von der gegenständlichen Wesenskraft der Sonne«98. Das Beispiel ist beliebig zu ergänzen: Geologische Verwerfungen, die Erosion des Gesteins, der Temperaturaustausch von Wasser und Luft sind offenkundige Exempe] aus der anorganischen Natur, und wo das Leben beginnt, gehen die Deter­minanten des kontingenten So-seins in notwendige gegenständliche Ge- richtetheit über. Nichts wäre so, wie es ist, würde es nicht vermittelt durch anderes, außer ihm Seiendes, zu sich selbst gebracht werden. Die Welt ist ein universelles Wechselwirkungsverhältnis, kein bloßes Sein, sondern ei­ne Relation (wie schon Aristoteles erkannte), eine, wie Leibniz sagte, »sub­stantielle Form«. Diese Redeweise ist nicht anthropomorphistisch, son­dern meint eine allgemeinste ontologische Verfassung des Seienden, stets »in Beziehung zu sein« und das heißt, erst durch gegenständliche Bestimmt­heit überhaupt zu sein.99 Der Zusammenhang der Argumention erweist eindeutig, daß Marx die folgenden Sätze in einem ontologisch generalisie­renden Sinne verstanden hat: »Ein Wesen, welches seine Natur nicht außer sich hat, ist kein natürliches Wesen, nimmt nicht Teil am Wesen der Natur. Ein Wesen, welches keinen Gegenstand außer sich hat, ¡st kein gegenständ­liches Wesen. Ein Wesen, welches nicht selbst Gegenstand für ein drittes Wesen ist, hat kein Wesen zu seinem Gegenstand, d.h. verhält sich nicht ge­genständlich, sein Sein ist kein gegenständliches. Ein ungegenständliches Wesen ist ein Unwesen«100.

Man könnte denken, es ließe sich das hier beschriebene Verhältnis unter

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.. Vjtcgorie der Wechselwirkung subsumieren. Und in der Tat ist der Ge* „^Zusammenhang auf allgemeinste Weise als Wechselwirkung aufzufas-

scheinen Differenzierungen nötig zu sein. Rückkoppelung ist Beispiel schon eine — im Hinblick auf Zeit- und Wirkungsfolge —spe-

Z'llzieite Wechselwirkung; die wechselseitige Erzeugung der eigenen We- durch die Vermittlung des anderen, also gegenständliches Wir­

ken gegenständliche Äußerung, geht darüber noch hinaus, weil hier Po* «niendes Seienden entbunden werden, die Materie selbst entwickelt wird _ und dies gerade dadurch, daß sie nicht bloß als materielles Substrat da ist, sondern in ein materielles Verhältnis eingeht. Die von Marx beschriebene Beziehung der »Gegenständlichkeit« scheint mir die Definition der Refle­xion oder Widerspiegelung zu erfüllen: Ein Wesen ist erst dann ein »gegen­ständliches Wesen« und das heißt überhaupt inhaltlich bestimmt, wenn es die ihm eigenen Gegenstände »zum Gegenstand seines Wesens, seiner Le- ^nsäußerung hat« (Hervorhebung von mir) — also (nach der aristoteli­s c h e n Definition des Habens als insein101) in sichaufnimmt\ so wie der Spie­gel nur dann ein Spiegel und inhaltlich bestimmt ist, wenn er das Spiegel­b i l d d e r Gegenstände enthält; und in beiden Fällen ist dieses »Haben« oder .Enthalten« die Erscheinungsform der Reflexion. Ich halte es darum nicht n u r für zulässig, sondern für eine Auslegung stricto sensu des Terminus »ge­g e n s tä n d l ic h « in der hier gebrauchten Zusammenstellung, das damit be- zächnete Verhältnis als ein Reflexionsverhältnis zu charakterisieren. Dar­a u s «gibt sich (und das wird später noch einmal aufzunehmen sein), daß materielle Verhältnisse prinzipiell Reflexionsverhältnisse (Widerspiege­lungsverhältnisse) sind.102

Jene Gegenständlichkeitsbeziehung auf der Ebene des Naturseienden, die beispielsweise durch den Temperaturaustausch von Wasser und Luft cha­rakterisiert wurde, möchte ich als ein einfaches Verhältnis der doppelten (wechselseitigen) Reflexion bezeichnen; liegt eine Hinordnung eines Seien­d e n a u f die Wirkungskraft eines anderen Seienden als die notwendige Bedin­gung seines So-seins vor (wie in dem von Marx angeführten Fall der auf die Sonne angewiesenen Pflanze), so spreche ich von einem gegenständlich ge­richteten Reflexionsverhältnis; geht in die Beziehung eine einseitige artifi­zielle Veränderung mit ein (wie zum Beispiel beim Nestbau der Vögel), so kann dies als eine aktiv gerichtete Reflexion gelten. Wird auf beiden Seiten eine artifizielle Veränderung bewirkt (wie zum Beispiel bei menschlicher Interaktion), so will ich dies ein komplexes Reflexionsverhältnis nennen.103 So können wir Reflexionsformen unterscheiden, die sich als Sinngrade ver­stehen lassen, wenn wir bedenken, daß Reflexion ein Akt des Setzens von Sinn ist. (Sinn ist die funktionale Einheit einer geordneten Beziehung, deren Glieder sich »zueinander« verhalten, also »für einander« sind).

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Reflexionsformen von verschiedener Komplexheit (und ihr Ausdruck a{, graduell gestufter Sinn) definieren die qualitative Verschiedenheit materjej 1er Verhältnisse; sie haben also einen ontologischen Charakter. Zur Erlä„ terung dieser materiellen Verhältnisse scheint mir Helmuth Plessners Qe danke beachtlich, diese qualitativen Verschiedenheiten durch das m ater^i le Prinzip de> jeweils besonderen Typus der Körpergrenze zu erklären, a]^ Reflexionstormen aus der spezifischen Materialität der Körper abzulej, ten.,c* Die Universalität der Reflexion läßt sich dann als Korrelat des Kör. perseins verstehen und in der Materialität der Welt fundieren. Das principj. um individuationis, die Grenze des Einzelseienden, ist dann gleichzeitig principium reflexionis, der Grund seiner Bestimmtheit als Dieses-da, als^ selbst durch seine Beziehung auf Anderes. Plessner hat diesen Gedanken für die anorganische Natur nur angetönt: »Die Grenze ist nur das virtuellt Zwischen dem Körper und den anstoßenden Medien... Dann gehört die Grenze weder dem Körper noch den anstoßenden Medien allein an, son, dem beiden, insofern das Zu-Ende-Sein des Einen der Anfang des Ändern ist... Ein physisches Ding hat als Mittel, sich auszusprechen und bemerkbar zu machen, nur das, was man gemeinhin seine Eigenschaften nennt... über ihm Hinaus und das Ihm Entgegen erscheint als Randphänomen des physischen Systems« ,05. Das besagt, daß ein solcher anorganischer Körper nur als Aggregat (im Leibnizschen Sinne) zu verstehen ist; sein wesentliches Sein wird von beliebigen Gestaltveränderungen nicht betroffen. O b dies wie Plessner offenbar meint, prinzipiell für die anorganischen Körper gilt> kann man füglich bezweifeln — die Atomstruktur zeigt eine geregelte Be. ziehung zwischen »Kern« und »Schalen«. Doch ist jedenfalls das kontingen­te Verhältnis der Grenze zum Begrenzten als minimaler Extremwert der Ordnung von Einem und Anderem denkbar. Für unser Argument, Refle- xion als universelles Seinsverhältnis aufzufassen, ist der zweite Fall Pless­ners ausschlaggebend: »Ein Körper ist, da ihn seine Grenzen nicht nur ein­schließen, sondern ebenso sehr dem Medium gegenüber aufschliessen, über ihm hinaus... Verhält sich ein Körper zu seinen Grenzen, so daß ihm die Grenzen eigen sind, so muß er als ein Körper erscheinen, der sowohl über ihm hinaus als ihm entgegen ist«. Hier gilt nun für den organischen Körper mit Sicherheit: Die Grenze ist nicht nur die abstrakte Scheidung des Einen vom Anderen, sondern der Vollzug ihrer Vermittlung. Die Pflanze nimmt an ihrer Oberfläche das Sonnenlicht auf, oder durch die Oberfläche ihrer Wurzeln die Nährstoffe, das Tier erfährt an seiner »Außenseite« durch sei­ne Sinnesorgane den Einfluß der Außenwelt, der nach »innen« weitergelei­tet und verarbeitet wird. Indem der Außeneinfluß an der Grenze absorbiert und in einen Innenaspekt (Stoffwechsel der Pflanze, Instinktreaktion des Tiers, Gegenstandsvorstellung des Menschen) transformiert wird, »setzt

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sich« der organische Körper vermöge seiner Grenze als individuell be­stimmter und aktiver. An der Grenze des lebendigen Körpers wird seine ei­gene Aktivität als eine gegenständliche, nämlich durch den Einfluß des an­deren Körpers bestimmte, in ihn selbst zurückgelenkt. Was Plessner Posi- tionalität nennt, heißt dies, daß der Körper nicht einfach nur ist, sondern sich als dieser bestimmte setzt, was zugleich heißt, daß er durch den ande­ren gesetzt wird; — das sich ist nicht rein eigentlich reflexiv und auch nicht ein bloß uneigentlich reflexiv erscheinender Akkusativ, sondern drückt das aus, was im Griechischen dasgenttf medium bezeichnete. Noch einmal Plessner: »Als physischer Körper ‘ist* das Ding schon von sich aus, das Sein tri« ihm in keinem Sinne gegenüber oder hebt sich von ihm als Seiendem ab. Durch das Ihm zu eigen Sein der Grenze wird das Seiende jedoch zu ei­nem in doppelter Richtung Übergehenden... In seiner Lebendigkeit unter­scheidet sich also der organische Körper vom anorganischen durch seinen positionalen Charakter oder seine Positionalität, Hierunter sei der Grund­zug seines Wesens verstanden, welcher einen Körper in seinem Sein zu ei­nem Gesetzten macht. Wie geschildert, bestimmen die Momente des ‘Über ihm Hinaus’ und des ‘ihm Entgegen, in ihn Hinein’ ein spezifisches Sein des belebten Körpers, das im Grenzdurchgang angehoben und dadurch setzbar wird. In den spezifischen Weisen des ‘über ihm hinaus’ und ‘ihm entgegen’ wird der Körper von ihm abgehoben und zu ihm in Beziehung gebracht, strenger gesagt: ist der Körper außerhalb und innerhalb seiner. Der unbe­lebte Körper ist von dieser Komplikation frei. Er ist, soweit er reicht. Wo und wann er zu Ende ist, hört auch sein Sein auf«. Daraus folgert Plessner: »Ein Lebewesen erscheint gegen seine Umgebung gestellt. Von ihm aus geht die Beziehung a u f das Feld, in dem es ist, und im Gegensinne die Bezie­hung zu ihm zurück... Jedes physische Körperding ist im Raum, ist räum­lich. Seine Lage besteht, was ihre Messung angeht, in Relation zu anderen Lagen und zur Lage des Beobachters. Von dieser Relativordnung sind auch die lebendigen Körper als physische Dinge nicht ausgenommen. Aber er­scheinungsmäßig unterscheiden sich die lebendigen von den unbelebten als raumbehauptende von den nur raumerfüllenden Körpern«. Die Stufen des Organischen — und des Unorganischen, möchte ich hinzufügen—entspre­chen den verschiedenen Sinngraden der Reflexionsformen. Eine ausgear­beitete Theorie der Reflexion müßte diesen Zusammenhängen nachgehen und den ontologischen Charakter der anthropologischen Beschreibungen und Modellvorstellungen Plessners freilegen.

Wir sehen also, daß Reflexion ein Setzen von »Sinn« ist. Der Anklang an den durch Fichte subjektiv-idealistisch zugespitzten Terminus »Setzen« darf nicht verwirren. Mit Setzen von Sinn ist ein materieller gegenständli­cher Akt gemeint, durch den der von einem apperzipierenden Wesen zu

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verstehende Ausdruck einer materiell wirklichen Beziehung erzeugt wir-i Um hei dem Beispiel von Marx zu bleiben: Die Beziehung zwischen <jert) Chlorophyll der Pflanze und dem Licht der Sonne ist eine materielle Akt| vität, in der sich der Stoffwechsel der Pflanze vollzieht. Daß dadurch dij Sinn-Beziehung konstituiert wird, die Marx ausdrückt, wenn er sagt, di Sonne bestätige das Leben der Pflanze, die Pflanze aber mache die Äußerung der Ubcnscruvckenden Kraft der Sonne möglich, ist ein Ausdruck der mate! riellen Gegenständlichkeitsbeziehung (der materiellen doppelten Reflj. xion), eben ein Ausdruck in der ideellen Weise eines die Beziehung als Gau. zes fassenden, ihre funktionale Einheit formulierenden Bewußtseins^, halts, einer Widerspiegelung der Beziehung. Ist der Akt der (materiellen) doppelten Reflexion das Setzen einer geordneten Beziehung zwischen den Gliedern der Reflexion — und gerade das sagt Marx eben mit diesem Terminus'1* —, so erscheint diese Beziehung als Sinn und der Akt als Setzen von Sinn.

Nun ist das Setzen von Sinn selbst auch eine Sinn-Beziehung, und es ist al„ so möglich, das Setzen von Sinn (Reflexion) seinerseits zum Inhalt eines Setzungsaktes zu machen; der Sinn der Reflexion zeigt sich in der Reflexion der Reflexion. Dies bedeutet, daß das reflektierende Wesen in Beziehung zu sich selbst tritt, sich selbst gegenständlich wird, das heißt den Sinn seines Seins sich gegenständlich macht. Der Sinn des »gegenständlichen Wesens«, die doppelte Reflexionsbeziehung mit dem Gegenstand, wird selber gegen- ständlich, indem dafür ein Zeichen vergegenständlicht gesetzt und damit der Sinn des Sinns konstituiert wird. Der Zusammenhang von Sprache und Reflexion der Reflexion wird in dieser Beschreibung des Sachverhalts deut­lich. Es kommt jedoch alles darauf an, den Iterationseffekt (Reflexion der Reflexion, Sinn des Sinns) richtig zu verstehen, denn in ihm bekommen wir den Ursprung ideeller Abbilder des Realen — den Ursprung des Reichs der Begriffe — zu fassen, und diese sind etwas anderes als die sinnlichen BiJ. der, welche uns in der Wahrnehmung gegeben werden.107 Dieser Übergang von materiellen zu ideellen Abbildungsverhältnissen, der wiederum da­durch charakterisiert ist, daß das Materielle das Ideelle übergreift und also das Ideelle eine Art, wenn auch das Gegenteil, des Materiellen ist, kann hier nur angedeutet werden und muß Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.

Im Setzen einer Sinn-Beziehung, also meines sinnvollen Verhältnisses zum Gegenstand, dann weiter im Setzen des Sinns von Sinn entspringt das Zweck Verhältnis. Zweckvolles Handeln ist an die »exzentrische Positiona- lität« und an die Reflexion der Reflexion gebunden, die in der Gattungsge­schichte der Menschheit ihre natürlichen Voraussetzungen haben: Freiset­zung der Hand, aufrechter Gang, Frontalität des Gesichts, Vergrößerung

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des Gehirns usw.'08 Sie haben die Besonderheit einer Weltbeziehung mög­lich gemacht, welche durch Arbeit, planmäßige, zweckvolle gegenständli­che Tätigkeit bestimmt ist. In der Evolution vollzieht sich der Übergang zur »exzentrischen Positionalität« des Menschen, die wiederum die Refle­xion der Reflexion entstehen läßt.

Auf dieser Stufe der Entwicklung, also auf der Stufe der Ausbildung selbstbewußter Wesen, wird es also möglich, nicht nur eine sinnhafte Bezie­hung einzugehen, sondern sie selbst noch einmal zum Gegenstand zu ma­chen, also einen Sinn zweiter Ordnung, die sinnhafte Beziehung des selbst­bewußten Wesens zu sinnhaften Beziehungen in der Natur und in seinem eigenen Naturverhältnis, herzustellen. Das meint die Rede vom »Sinn des Sinns«, der also immer auf der Ebene der Deutung von Sachverhalten liegt.109 Diese Vergegenständlichung erlaubt es, Zwecke zu setzen, und zwar gerade eben darum, weil sie die Vergegenständlichung nicht eines äus- serlichen Dings oder Sachverhalts ist, sondern des Verhältnisses, in dem ich zu dem Ding oder Sachverhalt mich befinde, also des ganzheitlichen Zu­sammenhangs der Wirklichkeit, die mich einschließt. Um mir einen Zweck zu setzen, muß ich mein Verhältnis zum Gegenstand mir schon als ganzes vorgestellt haben (einschließlich seiner Zeitdimensionen), und nicht nur den Gegenstand allein, auf den ich wohl meine »Begierde«110 richten kann, der aber erst dann ein-zu verändernder und mithin zum Inhalt mei­nes Zwecks wird, wenn ich mich selbst zu ihm in Beziehung betrachte. Zwecke gibt es nur in der Arbeit (oder in ihrem entlasteten, der Notdurft enthobenen Analogon, dem Spiel) 111 und den dafür eingesetzten Mitteln bzw. vermittelnden Tätigkeiten. Da kann man auch von einem Erkennt­niszweck sprechen, wenn Erkenntnis im Dienste der Praxis steht; und es gehört wiederum zu den Besonderheiten der ideellen Sphäre, daß die in ihr auftretenden Tätigkeiten — Erkenntnis, Kunstproduktion — zum Selbst­zweck werden können, der sich von den Befriedigungen natürlicher Be­dürfnisse ablöst. Der Zweck realisiert die bestimmende Kraft des Subjekts in der aktiven Reflexion; und weil er in der Reflexion der Reflexion ent­springt (welche die Subjekt-Objekt-Beziehung als doppelte Reflexion zu ihrem Gegenstande’hat), kann er das Mittel fordern, durch das der Wille des Subjekts in die Veränderung des Objekts transformiert wird. Der Zweck ist konstitutiv für die Erfindung oder Wahl des Mittels, und zwar gerade inso­fern der Zweck nur in Rücksicht auf das Material, in dem er ausgeführt wird, ein »distinkt als Begriff existierender Begriff« ist.112 So drückt sich in der Besonderheit des Arbeitsmittels einerseits die besondere Beschaffenheit des Arbeitsgegenstandes aus (Zweckmäßigkeit oder Eignung des Mittels), andererseits die Absicht des Arbeitenden (Zweckhaftigkeit des Mittels). Im Mittel verdinglicht sich die doppelte Reflexion.

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Es ist also durchaus sinnvoll, vom »Widerspiegelungscharakter des Arbeit mittels« zu sprechen, und zwar nicht nur in der einen Richtung, »daß d1 Mittel als besondere Sachverhalte die allgemeinen Gesetze der Wirklichkeit widerspicgeln«"3; sondern ebenso auch in der anderen Richtung, daß im Arbeitsmittel gleichfalls die zwecksetzende Subjektivität spiegelt. Arbeitsmittel wird also die Arbeitsbeziehung insgesamt synthetisiert, Un(j es ist richtig, daß die Unentbehrlichkeit der Mittel dazu führt, daß das Ej. genrum an Produktionsmitteln auch die Herrschaft über den Produktions, prozeß verbürgt"4(wenn auch nicht unbedingt: Streiks und vollends Ge- neralstreiks sind die von den historischen Subjekten gesetzten Grenzen die, ser Herrschaft, Krisen geben ihre objektiven, systemimmanenten Schran. ken an). Die Rede vom Widerspiegelungscharakter des Arbeitsmittels darf jedoch nicht verdecken, daß hier bereits eine entäußerte, verdinglichte Ge- genstandsform dessen vorliegt, was die Reflexion der Reflexion alsfieu^. gungsform eines Verhältnisses auffaßt.

Im Arbeitsmittel stellt sich die gegenständliche Tätigkeit des Menschen dar. Was im Naturprozeß der Anthropogenese die Hand bedeutet, ist nun im Werkzeug als einem Ding fixiert. Die Hand war ein Moment der Sub­jektivität, spontan beweglich, offen sich je dem singulären Zweck des Han- delns anpassend. Im Werkzeug ist der Zweck, dem es dient, ein für allemal spezifiziert, der Anwendungsbereich ist beschränkt, und je weiter die tech­nische Verfeinerung fortschreitet, umso enger wird dieser Bereich. In der Ablösung des Arbeitsmittels vom Subjektleib vollzieht sich aber zugleich der Umschlag von der Singularität des individuellen Zwecks, dem die Hand dient, zur Allgemeinheit, die in der Benutzbarkeit des Werkzeugs durch je­den anderen für Zwecke derselben Art liegt. Im Werkzeug wird der Über­gang vom »praktischen« zum »theoretischen Dieses«1'5 gleichsam materia­lisiert: in praktischer Verwendung dient es immer diesem bestimmten Zweck hier und jetzt, potentiell als Verwendbares ist es indessen auf einen Zweck dieser An bezogen116; und nur die Tatsache, daß es Zwecke dieser An gibt — also ein real Allgemeines in der gegenständlichen Tätigkeit —, macht die Produktion von Werkzeugen sinnvoll. (Dieses Realallgemeine hegt sowohl in der Wiederholung gleichartiger Problemsituationen für das­selbe Individuum als auch im Auftreten gleichartiger Problemsituationen für eine Mehrzahl von Individuen; auf den Charakter des Realallgemeinen ist später zurückzukommen). Es ist festzuhalten, daß das Realallgemeine des Arbeitsmittels durch den gegenständlichen Zweck, auf den es bezogen ist, konstituiert wird, also nicht aus seiner eigenen Materialität, sondern aus ihrer zweckhaften Form entspringt. In den gegenständlichen Zweck gehen allerdings die allgemeinen Merkmale der zu Arbeitsgegenständen gemach­ten Naturseienden ebenso wie die allgemeinen Merkmale des Arbeitenden

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ein. In der K ategorie des Zwecks wird das Wesen der Reflexion der Refle­xion als Besonderheit der Subjektivität explizit.

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Kapitel IILogisch-ontologische Probleme einer materialistischen Dialektik

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/. Das übergreifende Allgemeine

Jede konsequent materialistische wie jede konsequent idealistische Philoso­phie ist monistisch, das heißt erklärt die Mannigfaltigkeit der Welt aus ei­nem einheitlichen Prinzip. Ja, man könnte die Auffassung vertreten, daß es zur Wissenschaftlichkeit einer Philosophie gehört, nicht bei einer Plurali­tät von Wesenheiten stehen zu bleiben, sondern nach einer Fundierung der Vielheit in einem ersten und einen, daher »absoluten« Grunde zu suchen1 —schon deshalb, weil ein Stehenbleiben bei einer Mehrzahl von Seinsgrün­den die Frage entstehen lassen müßte, warum diese Mehrheit existiere, und dies genau die Frage nach dem einen zureichenden Grunde der Vielzahl wä­re.2 Indessen kann eine monistische Philosophie die qualitative Verschie­denheit der Seinsformen in der Natur (tote Materie, lebende Materie, Emp­findung, Bewußtsein, Selbstbewußtsein) so wenig vernachlässigen wie das Anderssein von Natur und Geschichte. Die Einheit der Welt ist nicht als Einheit von nur graduell verschiedenen Selbigen, sondern als Einheit von wesensmäßig Unterschiedenen zu begreifen; nur unter dieser Vorausset­zung ist die »Grundfrage der Philosophie«, die ja von der Gegebenheit zweier entgegengesetzter Seinsweisen — Sein und Bewußtsein, Sein und Denken — ausgeht, überhaupt sinnvoll gestellt, sie akzeptiert die in der Zweisubstanzenlehre des Descartes ausgesprochene formale Nicht- Rückführbarkeit von res extensa und res cogitans aufeinander oder auf ein homogenes Kontinuum des Seins: die cogitatio ist als solche eben räumlich nicht ausgedehnt und also keine materielle Erscheinung, auch wenn sie ma­teriellen Prozessen, zum Beispiel physiologisch bestimmbaren Vorgängen im Gehirn, zugeordnet werden kann; diese Zuordnung hebt das Problem der Verschiedenheit von Vorstellungen und stofflichen Gegenständen nicht auf.5 Der Monismus in der Antwort auf die Grundfrage kann nur durchgehalten werden, wenn es gelingt, die Einheit von Unterschiedenen präzis zu bestimmen, das heißt an die Stelle des logischen Gesetzes vom ver­botenen Widerspruch die dialektische Formel von der Identität des Nicht- Identischen zu setzen und ebenso einsichtig zu machen, wie dies für den Identitätssatz der formalen Logik gilt.4

Nun wäre der formallogische Gebrauch des Identitätssatzes bedeutungs­los, wenn er sich nur auf tautologische Aussagen bezöge und nicht vielmehr gerade die Selbigkeit eines sich Verändernden unter Vernachlässigung der Veränderungen feststellte.5 Natürlich ist Herr Meier am Montag und Herr Meier am darauffolgenden Samstag weder somatisch noch mental in stren­gem Sinne derselbe; es haben Stoffwechselprozesse und Lernvorgänge statt­gefunden. Genau dies hatte Heraklit mit seinem berühmten Satz im Sinn, man könne nicht zweimal in denselben Fluß steigen.6 Dennoch ist es sinn­

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voll, bei wiederholtem Baden im Fluß Main zu sagen: »Ich schwimme mer w ieder in demselben Fluß*. Das heißt, die Identität des Flusses wirdg rade gegen seine Veränderung iestgehalten, dieser Fluß Main als ein ujjj derselbe Gegenstand ist wiedererkennbar. Es ist die Leistung der »verstäj, digen Abstraktion«, Sich-Veränderndes als identisch zu betrachten — ejn( Leistung, die unabdingbar ist, wenn überhaupt in einer Welt sich ver^ dernder Seiender und Sachverhalte Orientierung möglich sein soll, R ^ maßigkeiten fest gestellt, Gesetze aufgestellt werden sollen; also jedes pra^ tische Sichverhalten und jede Wissenschaft geht von der Verstandes^ straktion aus, die in einer Identitätsaussage formuliert w'ird. Und darin i eingeschlossen, daß das Zugleichsein eines Zustands und eines von ihm ver. schiedenen Zustands (also genau jener Übergang, der im Begriff der Be*«, gung gedacht werden muß) zu denken verboten ist, wenn anders eben über, haupt kein Gegenstand als selbiger und das heißt als dieser (und kein ande. rer) Gegenstand aufgefaßt werden könnte/

Die Hegelsche Kritik des aussagenlogischen Identitätsprinzips besagt da. gegen, daß diese Identität als eine solche des Inhalts gerade nicht an sich selbst, sondern nur in der Negation der Verschiedenheit als das Andere des Andersseins (alteritas alteritatis) eingesehen werden könne; daher kann He­gel die Identität als reine Negativität bezeichnen, als »die Negation, die un. mittelbar sich selbst negiert..., sich auf sich beziehende Negativität,... ein Nichtsein, das das Nichtsein seiner selbst ist«; oder »die Identität ist die Re­flexion in sich selbst«, nämlich »der sich auf sich beziehende, der reflektier, te Unterschied... oder der reine, absolute Unterschied«8. Identität ist also nicht das unbewegte und unvordenkliche Erste, von welchem immer aus- zugehen ist, sondern das Resultat einer Denkbewegung, die von der Ver­schiedenheit der Inhalte des Denkens, der cogitationes, zu dieser Verschie­denheit als Formprinzip (Kategorie) übergeht und sie in ihrer Reinheit, ab­gelöst von der Besonderheit der Inhalte, sich auf sich selbst beziehen läßt.’ Insofern kann Hegel dann statuieren: »Die Identität ist also an ihr selbst ab­solute Nichtidentität«10, nämlich die Nichtidentität der Nichtidentität; das positiv Identische bestimmt sich nur in der doppelten Negation der einfa- chen, scheinbar an sich selbst bestimmten Sich-selbst-Gleichheit.11

Die aussagenlogische Fassung des Identitätsprinzips »wenn p, dann p« ist in der Tat bedeutungslos, wenn mit seiner Hilfe irgendetwas über die Wirk­lichkeit ausgemacht, die Logik mithin als Organon der Erkenntnis ge­braucht werden soll. Darauf bezieht sich Hegels Kritik.12 Die Tautologie von Identitätsaussagen, in denen der Prädikatsausdruck den Subjektsaus­druck wiederholt, verfehlt in zweifacher Hinsicht den Sinn von Sätzen. Deren Aufgabe, die sich in der logischen Form der Prädikation nieder schlägt, ist die inhaltliche Bestimmung des Subjekts; der Subjektsausdruck

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soll naher expliziert werden.13 Genau das leistet eine Tautologie nicht, sie enttäuscht die gegenüber dem Satz gehegte Erwartung. »Wenn einer den Mund auftut und anzugeben verspricht, was Gott sei, nämlich Gott sei — Gott, so findet sich die Erwartung enttäuscht, denn sie sah einer verschiede• nen Bestimmung entgegen... Indem aber nur dasselbe wiederkehrt,... ist nichts herausgekommen«14. (Man achte auf den Hegelschen Wortgebrauch: Er dokumentiert das pragmatische Verständnis der Aussage, und der Dop­pelsinn des »Herauskommens« — Heraustreten eines Sinnmoments (expli- catio) und Erzielen eines Ergebnisses (eventus)—enthält die beiden Aspek­te, den logischen und den pragmatischen, als einheitlichen Charakter der Aussage).

Nun ist aber für Hegel die Bestimmung des Begriffs — genauer: die Fort- bestimmung des Begriffs15—ein Prozeß, der die Bewegung der Sache selbst darstellt. Und diese macht die Wirklichkeit aus, welche durch die Feststel­lung eines abstrakten Sich-selbst-gleich-seins gemäß dem Identitätssatz ge­rade nicht abgebildet wird. »Diese Bewegung des Übergehens einer dieser Bestimmungen in eine andere«16 ist mit den von der formalen Logik be­nutzten Denkmitteln nicht zu fassen, sie wird vielmehr durch diese ver­deckt. Es kommt also darauf an, eine Denkfigur zu entwickeln, die der Ein­sicht gerecht wird, daß »die Betrachtung von allem, was ist, an ihm selbst zeigt, daß es in seiner Gleichheit mit sich sich ungleich und widersprechend und in seiner Verschiedenheit, in seinem Widerspruche mit sich identisch... ist, und dies darum, weil jede (Bestimmung) an ihr selbst das Gegenteil ihrer selbst ist«17. Dieses von Hegel aufgestellte Programm, das eine wesentliche Seite einer dialektischen Logik ausmacht, weist bis in den Wortlaut zurück auf Platons Weiterentwicklung der eleatischen Problematik.

Wie erinnerlich, wird in Platons »Parmenides«-Dialog die Situation fin­giert, daß der greise Parmenides mit dem im besten Mannesalter stehenden Zenon zu den Panathenäen nach Athen kommt und Zenon bei dieser Gele­genheit im Kreise von philosophisch Interessierten, zu denen auch der blut­junge Sokrates gehört, seine Schrift vorliest, in der die berühmten Parado­xien entwickelt werden. Sokrates versteht diese als ein Argument gegen das wahre Sein der Vielheit. In einer kurzen Diskussion zwischen Zenon und Sokrates wird festgestellt, Zenon habe durch Widerlegung des empirischen Anscheins der Vielheit—also durch Negation der Nicht-Einheit—die Ein­heit des Seins beweisen wollen.18 Der vorwitzige Sokrates stellt nun, in An­wendung des klassifikatorischen Verfahrens, das die Argumentationsstruk­tur der sokratischen Dialoge fundiert (und dessen ontologische Interpreta­tion Platon zur Ausarbeitung der Ideenlehre genötigt hatte), die Frage nach Zusammengehörigkeit und Verschiedenheit (Klassenidentität und -nicht- identität), die er mit den Gattungstermini Ähnliches und Unähnliches be­

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zeichnet.19 Daß die Elemente einer Klasse in bezug auf die anderen Elemen te derselben Klasse nun sowohl in einer Hinsicht ähnlich, in anderer ähnlich sind, das sei (so meint Sokrates) nicht weiter verwunderlich; denn gerade in dieser Distinktion besteht ja das Verfahren der Klassenbildung^ und daran wäre auch noch ganz und gar nichts dialektisch. »Freilich« (fähi Sokrates dann listig fort), »wenn jemand nachwiese, daß das Ähnliche an sich unähnlich und das Unähnliche an sich ähnlich werde, das wäre, mejne ich, ein Wunder; wenn aber dem, was an beidem teilhat, auch beides wider. fährt, so scheint mir wenigstens, Zenon, dies keineswegs auffallend zu sein ebensowenig wie wenn jemand zeigt, daß alles Eins durch die Teilnahme an dem Eins an sich und zugleich auch wiederum Vieles durch die Teilnahme an der Vielheit an sich sei; aber wenn jemand jenes wahrhaft so zu nennen, de Eins selber als Vieles und ebenso jene wahrhafte Vielheit als Eins aufwie. se, das würde mich wundernehmen. Und mit allem anderen steht es eben­so: Wenn jemand darzutun vermöchte, daß die Gattungs- und Artbegriffe oder Ideen selbst die ihnen geradewegs entgegengesetzten Beschaffenheiten und Zustände in sich aufnähmen und an sich trügen, so würde das verwun- demswert sein*22. Der weitere Fortgang des Dialogs führt nun (nach der Destruktion der Ideeniehre) an der Dialektik des Eins und Vielen vor, daß genau das zutrifft, was Sokrates als verwunderlich bezeichnet hatte, daß nämlich etwas an sich selbst sein Gegenteil ist.21 Das Ergebnis läßt sich dann wieder mit Hegels Worten so ausdriieken, »daßdie Identität ein Verschiede­nes ist... In diesem richtigen Urteil liegt aber unmittelbar, daß die Wahrheit nur in der Einheit der Identität mit der Verschiedenheit vollständig ist und so­mit nur in dieser Einheit bestehe«22.

Wir können hier die Argumentationsketten Platons, in denen dargetan wird, »daß Eins und die Anderen sowohl an sich selbst wie in bezug aufein­ander sowohl sind als auch nicht sind, erscheinen als auch nicht erscheinen«23 nicht nachvollziehen. Vielmehr kommt es uns darauf an, den oben zitierten Hegel-Satz, daß »alles, was ist, an ihm selbst zeigt, daß es in seiner Gleichheit mit sich ungleich und widersprechend und in seiner Ver­schiedenheit, in seinem Widerspruche mit sich identisch... ist«, als einen Ur-Topos dialektischen Denkens zu erweisen.24 Dieser Topos, der sich von Platon über die Neuplatoniker, Cusanus und Leibniz bis zu Hegel als systemkonstituierend verfolgen läßt (mit latenter Wirkung an vielen Stel­len der abendländischen Philosophiegeschichte)25 hat in der Hegelschen Logik seine explizite begriffliche Entfaltung gefunden. Josef König, der als erster und mit größtem Nachdruck auf diese logische Figur und ihre Eigen­tümlichkeit hingewiesen hat, schreibt dazu: »Ich nenne die spekulativ logi­sche Grundform, um die es hier geht, im Anschluß an Hegel die Form des übergreifenden Allgemeinen... Die Konzeption des übergreifenden Allge­

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meinen ist dadurch bestimmt, daß ein in sich einiges Doppeltes vorliegt...: Nämlich daß das Allgemeine das Allgemeine seiner selbst und seines Ge­genteils ist; daß die Gattung Gattung ihrer selbst und ihres Gegenteils ist«. Und es gilt dann, »daß dieses übergreifende Allgemeine wesentlich nur zwei Arten, nämlich es selbst und sein Gegenteil besitzt«26. Den Terminus entnimmt König einer Stelle in Hegels »Wissenschaft der Logik«, wo es heißt: »Das Allgemeine bestimmt sich, so ist es selbst das Besondere; die Be­stimmtheit ist sein Unterschied; es ist nur von sich selbst unterschieden. Sei­ne Arten sind daher nur a) das Allgemeine selbst und b) das Besondere. Das Allgemeine als der Begriff ist es selbst und sein Gegenteil, was wieder es selbst als seine gesetzte Bestimmtheit ist; es greift über dasselbe über, und ist in ihm bei sich. So ist es die Totalität und Prinzip seiner Verschiedenheit, die ganz nur durch es selber bestimmt ist«27. Im Gegenteil zur Subsumption im Klassifikationsverfahren, das den allgemeinen Gattungsbegriff durch Abstraktion von den Besonderheiten der ihm zugehörigen Arten gewinnt, wird beim Übergreifen also der Gattungsbegriff nicht von den besonderen Bestimmungen seiner Arten entleert, sondern jede Bestimmung als Bestim­mung des Allgemeinen selbst an und in diesem festgehalten; das Besondere ist nichts anderes als das sich bestimmende Allgemeine und mithin zwar das Gegenteil seiner und doch eine Art Allgemeines.28 Die einzelnen Bestim­mungen sind Momente des Allgemeinen und zwar als solche diesem in sei­ner Totalität (= Einheit aller Bestimmungen) entgegengesetzt, sein Gegen­teil (= Nicht-Totalität), aber sie sind vom Allgemeinen und damit von al­len anderen Bestimmungen abgelöst nicht konkret fassbar, verweisen also von sich aus auf das Allgemeine, das ihnen inhärent ist. (Vielleicht sollte man sagen: auf latente Weise, samt der Tendenz, über sich, ihre Besonder­heit, hinaus zum Allgemeinen fortzutreiben).29 So ist das Besondere eben das Allgemeine in einem Aspekt, an einem Zeitpunkt seines Explikations­prozesses. Hegel hat in der »Religionsphilosophie« in Abgrenzung gegen die »abstrakte Verstandesbestimmung« den konkreten Begriff in seiner All­gemeinheit charakterisiert als »eine Einheit, welche nicht unbestimmt, son­dern wesentlich bestimmt und so nur als Einheit von Bestimmungen ist, und diese Einheit selbst so an ihre Bestimmungen gebunden, also eigentlich die Einheit von ihr selbst und den Bestimmungen ist, daß ohne die Bestimmun­gen die Einheit nichts ist, zugrunde geht oder näher: selbst nur zu einer un­wahren Bestimmung herabgesetzt und, um etwas Wahres und Wirkliches zu sein, der Beziehung bedürftig ist«50. Und hinsichtlich der einzelnen Be­stimmungen (Besonderheiten) des allgemeinen Begriffs sagt er: »Ihre Ein­heit ist eine ihnen selbst wesentliche, das heißt nur eine solche, daß sie durch die Bestimmungen selbst konstituiert wird, und umgekehrt, daß die­se unterschiedenen Bestimmungen als solche an ihnen selbst dies sind, un­

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trennbar voneinander 711 sein, sich selbst in die andere zu übersetzen und tur sich genommen ohne die andere keinen Sinn zu haben... Dies inacht die Natur des Konkreten des Begriffs überhaupt aus« ' 1.

Der vollständige Begriff von einer Sache erfordert also, daß alle Vermiß, lungen, durch die diese einzelne Sache bestimmt und bedingt wird, in ihren Begriff aufgenommen werden müssen; und da, gemäß dem Prinzip des uni. verseilen Zusammenhangs von jedem mit allem (vgl. I. Grundzug der Dia. lektik), die gesamte Welt in diesen Vermittlungskomplex eingeht, ist der Begriff erst durch die Totalität der Weltinhalte und deren gesamte Abfolge im Bestimmungsprozeß vollständig gegeben. »Weil der Begriff die Totalität ist..., so hat er in ihm selbst den Maßstab, wodurch diese Form seiner Iden­tität mit sich, indem sie alle Momente durchdringt und in sich faßt, ebenso unmittelbar sich bestimmt, nur das Allgemeine gegen die Unterschieden- heit des Moments zu sein«32. Indem der reine Begriff, “das absolut Unendli. che, Unbedingte und Freie”55, beim Durchlaufen aller seiner Bestimmun­gen im Unterschied zu diesen als das Allgemeine bestimmt ist, tritt die Be­stimmung der Allgemeinheit als eine besondere neben die anderen beson­deren Bestimmungen, die ihm auch zukommen. »Der reine oder allgemei­ne Begriff ist aber auch nur ein bestimmter und besonderer Begriff, der sich auf die Seite neben die anderen stellt*34. Das Allgemeine in seiner Unterschie- denheit vom Besonderen ist selbst ein Besonderes, und nur in der Weise der To­talität, in der alle Besonderheiten aufgehoben sind, ist es wirklich Allgemeines. Das Allgemeine ist der maximale inhaltlich erfüllte Umfang des Begriffs und als solcher der konkrete Begriff— und dies nur als »spekulativer Begriff*35. Von diesem gilt: »Das Allgemeine ist somit die Totalität des Begriffes, es ist Konkre­tes, ist nicht ein Leeres, sondern hat vielmehr durch seinen Begriff Inhalt — ei­nen Inhalt, in dem es sich nicht nur erhält, sondern der ihm eigen und im­manent ist«36.

Hegel entwickelt sein Konzept des Übergreifens des Allgemeinen über sein Gegenteil, das Besondere, explizit nur an den Kategorien Allgemein­heit und Besonderheit, also an der formalen Beschaffenheit von Begriffen, will sagen an dem formalen Begriff des Begriffs. Und die Darstellung dieses Übergreifens könnte zunächst die Vermutung nahelegen, das dargestellte Verhältnis habe statt überhaupt nur bei dem reinen Begriff an sich, abgelöst von seinem Inhalt und allein im Hinblick auf die Quantität seines Umfangs betrachtet. Hegel selbst gibt dieser Vermutung Nahrung, wenn er das in der Natur auftretende extensionslogische Verhältnis der Gattung als Umfang mehrerer, prinzipiell beliebig vieler Arten mit der Bemerkung abtut, es sei dies »die Ohnmacht der Natur, die Strenge des Begriffs nicht festhalten und darstellen zu können und in diese begrifflose blinde Mannigfaltigkeit sich zu verlaufen«57. Was hier von der Natur gesagt wird, gilt von jedem beson­

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deren Gegenstand, der als solcher an sich und nicht in seinem Zusammen­hang mit allem anderen betrachtet wird. Dies aber ist gerade die Betrach­tungsweise des sich an Vorstellungen haltenden »gesunden Menschenver­standes« und auch der Einzelwissenschaften; und sie hat, wie wir gesehen haben, ihre Berechtigung darin, daß sie die unterscheidbare Identität eines begrenzten Dieses-da festhalten muß, damit wir uns in der Welt orientieren können. Daß das vernünftige Denken aufgrund der Erfahrungen, die es an sich selbst macht, die Fixierungen des Verstandes wieder aufheben muß, ist ein zweiter, »metatheoretischer« Schritt38 der den ersten nicht etwa über­flüssig macht, sondern notwendig voraussetzt. Die Dialektik ersetzt nicht die einzelwissenschaftliche Denkarbeit, sondern bestimmt die Grenzen ih­rer Geltung.

Bleibt es also dabei, daß die Dialektik in ihrer metatheoretischen Funk­tion die Figur des übergreifenden Allgemeinen nur in der formalen, von den Inhalten absehenden Beziehung der Quantität der Begriffe aufeinander konstruiert? Sicher ist die Spezifikation der Gattung in ihre Arten sowohl im Reich der Natur (zum Beispiel: Singvögel — Finken, Lerchen, Meisen, Schwalben usw.) wie im Reich der Artefakte (zum Beispiel: Personenkraft­wagen — Kabriolett, Limousine, Caravan u.a.) eine logische Widerspiege­lung der Mannigfaltigkeit der Seienden und realer Dependenzrelationen zwischen ihnen (wobei Dependenz als logisches Aufbauschema genetische Abkunft meinen kann, aber nicht muß). Und für die theoretische Abbil­dung der Vielheit der Weltinhalte ist dieses sektorielle Verfahren — Unter­abteilungen werden aus dem Ganzen herausgeschnitten und zu größeren Einheiten zusammengefaßt — angemessen, wobei dann in der Tat es sich als Konstruktionsprinzip erweist, daß jedes Allgemeine selbst nur ein von den Besonderen unterschiedenes Besonderes ist, also die nicht-dialektische Struktur der Klassifikationslogik oder der logischen Extensionalität sich in einem dialektischen Prozeß konstituiert.39

Diese dialektische Konstitution zeigt sich allerdings nur, wenn in dem Verfahren der Bildung immer allgemeinerer, umfänglicherer Gattungsbe­griffe (für Gegenstandsklassen) schließlich zur obersten Gattung »Seiendes a l s Seiendes« oder »Seiendes überhaupt« und zur umfassenden Klasse »Welt« übergegangen wird. Diese obersten Gattungsbegriffe schließen von sich nichts aus, sie können nicht mehr durch einfache Negation (nach dem Prinzip omnis determinatio est negatio) gewonnen werden.40 Die absolute Positivität der obersten ontologischen Begriffe erlaubt es nur, den Unter­schied, in dem sie sich zu ihrem Anderen verhalten, als einen Selbstunter- schied zu begreifen. Auch dieser Terminus stammt aus der schon zitierten Hegel-Passage über das Übergreifen des Allgemeinen: »Das Allgemeine be­s t i m m t sich, so ist es selbst das Besondere; die Bestimmtheit ist sein Unter-

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schied; es ist nur von sich selbst unterschieden. Seine Atten sind daher nur a) das Allgemeine selbst und b) das Besondere. Das Allgemeine als der grill ist es selbst und sein Gegenteil, was wieder es selbst als seine gesetzt Bestimmtheit ist; es greift über dasselbe über und ist in ihm bei sich. So ist^ die Totalität und Prinzip seiner Verschiedenheit, die ganz nur durch ^ selbst bestimmt ist«41.

Insofern fallt der Linierschied in das, wovon etwas unterschieden wir^ die Differenz ist nicht eine zunschen zweien (und also ein Drittes, wie zu^ Beispiel 5 der Unterschied, die Differenz, zwischen 7 und 2). Die »wörtli. che« extensionale Bedeutung dieses -zwischen« wird sichtbar, wenn man einen Zahlstrahl zeichnet und darauf die Zähleinheiten 2 und 7 aufträgt; 5 ist dann genau die Menge der Zähleinheiten, die zwischen den mit 2 und 7 bezeichnten Punkten liegen. Der Unterschied zwischen Allgemeinem und Besonderem kann hingegen nicht durch ein Drittes angegeben werden, das »zwischen« ihnen läge; vielmehr ist dies der Unterschied, der daraus entsteht, daß das Allgemeine als Einheit aller seiner Bestimmungen sich im Prozeß der Explikation dieser Bestimmungen, des Bestimmens, von jeder dieser ihm zukommenden Bestimmungen unterscheidet, obwohl es ihnen inhärent ist. Der reflexive Gebrauch des Verbums »sich bestimmen«, der natürlich nur uneigentlich so aufgefaßt werden kann, als ob er eine »Tätig, keit« des Allgemeinen ausdriicke, deutet darauf hin, daß der Unterschied logisch im Allgemeinen selbst liegt.43 Der Terminus »Selbstunterschied« be­sagt also, daß etwas an sich seihst sein Gegenteil hat und nur durch dieses das ist, was es ist, so wie das Allgemeine nur als Allgemeines seiner Besonderun- gen (Bestimmungen) ist. Man könnte dies auch so sagen, daß der Selbstun- terschied in jenem Genitivus partitivus erscheint, durch den wir aussagen, daß das Besondere das Besondere eines Allgemeinen, der Teil Teil eines Gan­zen ist.4-'

Der Hinweis auf den im Genitivus partitivus sich manifestierenden Cha­rakter des Selbst unterschieds führt uns darauf, daß dieser Begriff wesentlich seinen Ort in jenem Gegenstandsbereich hat, zu dem (wie oben schon ange­tönt) die obersten Gattungen gehören, als deren Umfangskategorie die To­talität zu gelten hat. Alles, was der Sache nach ein Totum ist, kann das von sich Unterschiedene nicht außer sich haben, jede unterscheidende Bestim­mung kann also nur als eine Unterscheidung des Totum in sich selbst ge­dacht werden; so wenn zum Beispiel die Materialität als universelle Seins­weise und Ideelles als eine Art Materielles, obschon dessen Gegenteil, aufge­faßt wird.44 Begriffe, die sich auf die obersten Gattungen mit dem Umfang Totalität beziehen, erhalten ihre Spezifikation nur gemäß der Figur des übergreifenden Allgemeinen und in der Form des Selbstunterschieds, sie fallen in den Bereich der dialektischen Logik. Das schließt nicht aus, daß

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dieselben Begriffe, innerhalb inncrweltlicher Gebiete von endlichem Um- Üngangewandt und eingegangen in Aussagen (Prädikationen), den formal­logischen Regeln des Verstandesgebrauchs zu gehorchen haben. Allerdings stößt dieser Gebrauch an seine Grenze, sobald er seiner eigenen Denkbewe­gung folgend zum Unendlichen, zur allseitigen Vermitteltheit des Einzel­nen übergehen will. »Auch unter dem Begriffe überhaupt wird meist nur dieser Ivgriffslose Begriff verstanden, und der Verstand bezeichnet das Ver­mögen solcher Begriffe. D ie Dem onstration gehört diesem Verstände an, in­sofern sie an Begriffen fortgehe, d.h. nur an Bestimmungen. Solches Fortge­hen an Begriffen kommt daher nicht über die Endlichkeit und Notwendig­keit hinaus; ihr Höchstes ist das negative Unendliche, die Abstraktion des höchsten Wesens, welches selbst die Bestimmtheit der Unbestimmtheit ist*45. Die Verstandestätigkeit drängt über sich hinaus zur spekulativen Vernunft.46

Die Figur des übergreifenden Allgemeinen und der Selbstunterschied werden — und damit kehren wir zum Anfang dieses Abschnitts zurück — in eminenter Weise fassbar am Begriffspaar Identität und Unterschied (Nicht-Identität). In der »Phänomenologie des Geistes« wird deutlich ge­sagt, daß die abstrakte Identität, die gerade die Veränderung des Gegenstan­des in der Zeit oder die Bewegung des Begriffs in der Fortbestimmung sei­ner selbst nicht auffaßt und aus pragmatischen Gründen auch gar nicht auf­fassen dürfte, nur die Unwahrheit sagt (ebenso wie der abstrakte Unter­schied). »Ihr Unrecht besteht darin, solche abstrakten Formen, wie dasselbe und nicht dasselbe, die Identität und die N ichtidentität, für etwas Wahres, Festes, Wirkliches zu nehmen und auf ihnen zu beruhen. Nicht das eine oder das andere hat Wahrheit, sondern eben ihre Bewegung, daß das einfa­che Dasselbe die Abstraktion und damit der absolute Unterschied, dieser aber, als Unterschied an sich, von sich selbst unterschieden, also in Sich- selbstgleichheit ist«47. Die Einheit von Identität und Unterschied, die lo­gisch in der Extensionalität durch die unendliche Kette der auseinander hervorgehenden, gegeneinander abgesetzten Bestimmungen als verschiede- ne Bestimmungen ein und desselben Substrats (der Substanz als Subjekt) dar­gestellt wird und ontologisch als das Werden seiner selbst oder die Setzung der Identität in der Zeit erscheint, ist an und für sich — intensional — das Absolute; als solches hat Hegel es schon in der Differenzschrift (gegen die Einseitigkeiten Fichtes und Schellings) herausgestellt: »D as Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegen­setzen und Einssein ist zugleich in ihm«48. Während jedoch hier das Abso­lute noch Korrelat des logischen Akts ist — nämlich das Element, in dem das Setzen der Entgegengesetzten geschieht49— wird es schon in der »Phä­nomenologie des Geistes« und dann in der »Wissenschaft der Logik« als der

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Prozeß oder die Geschichte — Urgeschichte in dem Sinne, daß alles Seien de und also auch die Natur Geschichte und Dialektik hat50 — begriffej)* »Die Identität der Idee mit sich ist eins mit dem Prozesse«51.

Im Grunde genommen kann die ganze »Wissenschaft der Logik* ^ formgeschichtliche Konstruktion der absoluten Idee gemäß dem Prinzi der Identität von Identität und Nichtidentität verstanden werden. An die. ser Formel tritt nun etwas Merkwürdiges zutage, das — wie mir scheint ^ definitiv für die Figur des übergreifenden Allgemeinen ist und weitgehende Konsequenzen für das Verhältnis der Theorie (als Abbildung der Wirklich, keit) zur Wirklichkeit selbst hat. Ich meine die Umkehrbarkeit des Verhält, nisses von Ubergreifendem und Übergriffenem. Die Identität von Identität und Nichtidentität im Prozeß ist die einfache Reflexion der Momente der Herstellung der Identität (der Bestimmungsmomente des Identischen) in deren Totalität, die dadurch gesetzt wird. In diesem Prozeß ist Nichtidenti. tät ein Moment der Identität; weil sie als Nichtidentität des Nichtidenti- sehen dieses in die Identität übergehen läßt, ist sie selbst eine Art Identität wenngleich ihr Gegenteil. In reiner Selbstbezüglichkeit formuliert, heißt das: »Die Identität ist die Reflexion in sich selbst... Sie ist somit die Identität als der mit sich identische Unterschied. Der Unterschied ist aber nur iden­tisch mit sich, insofern er nicht die Identität, sondern absolute Nichtidenti­tät ist. Absolut aber ist die Nichtidentität, insofern sie nichts von ihr Ande­res enthält, sondern nur sich selbst, d.h. insofern sie absolute Identität mit sich ist. Die Identität ist also an ihr selbst absolute Nichtidentität«52. Dassel- be ist nun aber auch vom Unterschied, also von der Nichtidentität zu sagen. Der Unterschied, der sich als solcher bestimmt, setzt seine eigene Identität in der Bestimmtheit. Er hat die Nicht-Unterschiedenheit an sich selbst als eine Art der Unterschiedenheit, wenngleich ihr Gegenteil. Auch dies läßt sich in reiner Selbstbezüglichkeit formulieren, woraus sich eine Parallelität der logischen Struktur des Verhältnisses der Identität von Identität und Nichtidentität und des Unterschieds von Unterschied und Nichtunter­schied ergibt: »Der Unterschied an sich ist der sich auf sich beziehende Un­terschied; so ist er die Negativität seiner selbst, der Unterschied nicht von einem Anderen, sondern seiner von sich selbst; er ist nicht er selbst, sondern sein Anderes. Das Unterschiedene aber vom Unterschiede ist die Identität. Er ist also er selbst und die Identität. Beide zusammen machen den Unter­schied aus; er ist das Ganze und sein Moment«53. Hegel hat diese Parallelität bemerkt und ausgesprochen: »Der Unterschied ist das Ganze und sein eige­nes Moment, wie die Identität ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment ist«54. Einmal also übergreift die Identität den Unterschied als ihre Art, weil sie als Moment des Ganzen Gegenteil ihrer selbst als des Ganzen ist; zum anderen übergreift der Unterschied die Identität als seine Art, weil er als

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M o m e n t des Ganzen Gegenteil seiner selbst als des Ganzen ist. An dieser Konstrukt*011 zeigt sich, daß die Beziehung des Ubergreifens in zweifacher Richtung »gelesen« werden kann: Was in dem einen Falle als übergreifende Gattung erscheint, ist in der entgegengesetzten Version übergriffene Art — und umgekehrt. Diese Vertauschbarkeit von Gattung und Art im Verhält­nis des Ubergreifens des Allgemeinen ist formaliter darin begründet, daß hier eine zweistellige symmetrische Beziehung vorliegt, von deren Glie­dern jeweils das eine genau das Gegenteil des anderen ist.55 Eine zweistellige Beziehung, deren Glieder das genaue und als solches bestimmte Gegenteil sind» ist in beiden Richtungen ablesbar. Wird nun aber beim Ablesen der Gegenteils-Beziehung das eine Glied als zugleich das andere enthaltend ge­setzt, also der Unterschied der Gegenteile als ein Selbstunterschied des einen gefaßt, so ergibt sich eine wohldefinierte Umkehrung bei Richtungsände­rung des Ablesens; wie die Umkehrungsmöglichkeit ontologisch zu inter­pretieren sei, kann erst in Konsequenz des folgenden Abschnitts dargelegt werden, in dem von der Hegelschen Ausarbeitung der Grundfigur der dia­lektischen Logik nun zu deren Stellung in einer materialistischen Philoso­phie übergegangen werden soll.

Zuvor aber ist noch ein Vorbehalt anzumelden. Die allgemeinste Form des Übergreifens erwies sich als notwendig zweigliedrig: Die Gattung über­greift sich und ihr Gegenteil als Arten. Doch kann diese Struktur nur für die oberste Allgemeinheit gelten, bei der bestimmte und unbestimmte Ne­gation zusammenfallen: Das Ganze hat außer sich selbst als Gegensatz nur den Teil, die Identität hat ihre Negation in der Nicht-Identität, das Allge­meine die seine im Besonderen. (Der ontologische Status solcher Begriffe, das heißt ihr Widerspiegelungscharakter, müßte in einer ausgearbeiteten Theorie der Dialektik bestimmt werden). Anders sieht das offenbar aus, wenn wir uns auf die Ebene konkreter materieller Verhältnisse begeben. Karl Marx analysiert im »Kapital« (I, cap. 21), anläßlich der Erörterung der einfachen Reproduktion, das logische Verhältnis der Produktion zu den von ihr Unterschiedenen (Konsumtion und Reproduktion) als einen Fall des Übergreifens; jedoch erweist sich hier das Übergreifen als komplizier­ter denn in der Hegelschen Formel von der Identität von Identität und Nicht-Identität. Abgekürzt dargestellt ergibt sich folgendes Bild:

Produktion ist das Allgemeine der Produktion selbst und der produkti­ven Konsumtion, in welcher durch Konsumtion von Produktionsmitteln wiederum produziert wird. Die produktive Konsumtion ist als Konsum­tion von Produktionsmitteln gleichzeitig Konsumtion der Arbeitskraft des Arbeiters; diese wird wiederhergestellt in der individuellen Konsumtion des Arbeiters, die also einerseits von der produktiven Konsumtion »total verschieden« ist, andererseits ihr subsumiert ist als Mittel der Produktion

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des konsumierbaren Produktionsmittel Arbeitskraft. Individuelle Kon sumtion ist eine Art produktiver Konsumtion, denn sie erzeugt das Pr(K dukt Arbeitkraft (so wie in der produktiven Konsumtion aus Produktion mitteln »Produkte von höherem Wert«, erzeugt werden); und sie ist 2u gleich das Gegenteil der produktiven Konsumtion. Beide Arten der Koq sumtion sind indessen auch Arten der Produktion (denn sie sind Methoden der Produktion bestimmter Produkte) und doch zugleich deren Gegenteil— Eine entsprechende Zweigliedrigkeit besteht auf der Seite der Produ^ tion selbst. Sie ist Produktion (Herstellung von neuen Produkten) und Re. Produktion (Rückverwandlung ihrer Produkte in »Produktionsmittel oder Elemente der Neuproduktion«). Die Reproduktion ist mithin eine An der Produktion (Herstellung von Produktionsmitteln zum Ersatz <jer verbrauchten Produktionsmittel) und zugleich deren Gegenteil (nämlich gerade nicht Herstellung von neuen Werten). Die Figur des Übergreifens gewinnt so Stufen:

ProduktionProduktion produktive KonsumtionProduktion Reproduktion produktive Konsumtion individuelle Konsumtion

Zumindest läßt sich hier nicht mehr sagen, daß die Gattung (Produktion) nur zwei Arten habe, nämlich sich selbst und ihr Gegenteil; sondern sie übergreift außer sich selbst die Arten der Reproduktion, der produktiven und der individuellen Konsumtion, die allesamt Arten der Produktion und ihr Gegenteil in bestimmten Verhältnissen sind. Eine materiale Spezifika« tion der Figur des übergreifenden Allgemeinen führt also über deren Zwei- gliedrigkeit hinaus, nicht aber zurück zur ununterschiedenen Verschieden­heit bloß klassifikationslogischer Ordnungen. Hier öffnet sich ein weites Feld weiterer Forschungen, auch was die Verfassung der Umkehrbarkeit angeht.

2. D ie Struktur der Spiegelung

Die Figur des übergreifenden Allgemeinen und den in ihr auftretenden Selbstunterschied an den obersten Gattungsbegriffen haben wir in dem prinzipiell unanschaulichen, weil transempirischen Bereich der auf Totali­tät bezogenen spekulativen Begriffe angesiedelt. Nun gibt es jedoch einen uns aus der alltäglichen Erfahrung vertrauten Fall eines anschaulichen Ver­hältnisses, an dem wir die Struktur des spekulativen Verhältnisses einsehen können, die Spiegelung. Nicht zufällig taucht die Spiegelmetapher in meta­physischen Zusammenhängen immer wieder auf.56 Uns kommt es jedoch

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nicht auf einen unbestimmten metaphorischen Gebrauch des Spiegel- Bildes an, sondern auf eine Prüfung der Möglichkeit, den Terminus exakt „ L e i b n i z würde sagen: h la rigueur metaphysique, mit metaphysischer Strenge — bei der Darstellung dialektischer oder spekulativer Logik ver­wenden zu können.57 Für die hier vorgeschlagene Prüfung kann man von losef Königs Einsicht ausgehen, daß der Spiegel »das Eine und Selbige ist, vorin er ( er Spiegel) selber und das Ding, das er spiegelt — und das, als von ihm gespiegeltes, in gewisser Weise in ihm ist — Unterschiedene sind«5** Denn zunächst ist der Spiegel ein Ding; ohne seine materielle Vor- h a n d e n h e i t und ohne die besondere materielle Beschaffenheit seiner Ober­fläche (als eine dingliche Eigenschaft) gäbe es auch keine Spiegelung. Wohl ¿her k o m m t aufgrund dieser besonderen materiellen Beschaffenheit zur D i n g l i c h k e i t des polierten Gegenstandes noch ein zusätzliches Moment hinzu, nämlich daß dieses sichtbare Ding, indem es so ist, wie es ist, andere sichtbare Dinge so abbildet, daß sie »in« ihm zu sein scheinen. Und wenn Jieses In-sein auch nicht im Sinne eines »Sich-befindens« (einer »Lage«)59 in einem räumlich Ausgedehnten verstanden werden darf, (obwohl es ge­rade so erscheint, und dies keineswegs beliebig oder zufällig, sondern als ein p h a e n o m e n o n bene fundamentum), so ist das Spiegelbild und das heißt das Ding als gespiegeltes doch im Spiegel enthalten (so wie die Bedeutung eines Zeichens in diesem enthalten ist); und das im Spiegel erscheinende Ding ist darin auf sinnlich wahrnehmbare Weise, sichtbar enthalten. Zwar ist dem Spiegel äußerlich, was in ihm gespiegelt wird — das einzelne Bespiegelte ist für Je Spiegelung kontingent; wohl aber ist es notwendig, daß überhaupt ein Bespiegeltes im Spiegel erscheint, denn ohne Inhalt, das Spiegelbild, wäre der Spiegel kein Spiegel, sondern einfach ein Ding wie andere Dinge auch w. Mithin können wir sagen, der Unterschied zwischen dem Spiegel und dem Gespiegelten, das als solches überhaupt notwendiger Inhalt des Spiegels, aber als dieses bestimmte auswechselbar und also von seinem Spiegelsein verschieden ist, sei ein Selbstunterschied des Spiegels in jenem doppelten oben erläuterten Sinn, daß der Unterschied zwischen dem Spie­gel und dem Gespiegelten im Spiegel selbst liegt und das Bestimmungsmo- ment des Spiegelseins, sein “Selbst”, ausmacht. Dazu noch einmal König: "Das Spiegelbild ist das Bild des Spiegels, und dieser Genitiv ist ein possessi­ver... Das Ding, das der Spiegel spiegelt, ist das Ding des Spiegels, also das Andere des Spiegels; und das Andere und das, dessen Anderes es ist, sind zwar Andere (Verschiedene, hetera, diversa), zugleich aber in dem einen von ihnen, nämlich sozusagen dem besitzenden Anderen Unterschiedene (diäphora, diversa)”61.

Indem der Spiegel nicht nur er selbst als das Spiegelnde ist, sondern spie­gelnd das bestimmte Spiegelbild als bestimmendes Moment seines Spiegel­

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seins enthält, ist J a s Gespiegelte eine An der Spiegelung, und der S p i e e ein bestimmtes Bespiegeltem spiegelnd, ist eine Art seiner selbst — als All meines und Gattung ist er Beliebiges überhaupt spiegelnd —, und so ist Spiegel übergreifendes Allgemeines seiner selbst und seines Gegenteils d r Nicht-Spiegelnden, sondern Gespiegelten. Und daß wir hier vom Spieß? bild als dem Gegenteil des Spiegels reden dürfen, (und nicht nur als von e' nem seiner vielen Merkmale), erhellt daraus, daß es sinnvoll möglich u„j berechtigt ist zu sagen, "daß wir im Spiegel des Dinges selber ansichtig wer den können. Denn wir sehen im Spiegel nicht so etwas wie das Bild des ges, sondern in ihm dis Ding selber”*1. Das Ding selber ist nun aber in Tat das Gegenteil des Spiegels, so daß der Spiegel sich und sein Gegentejj übergreift.

Doch auch hier ist die Umkehrung möglich. Das Ding als Ding ist Ga*, tungsbegriff aller möglichen Dinge und also auch des Spiegels als einej Dings. Als “ausnehmend besonderes Ding” ist der Spiegel nun zwar ein, An Ding, jedoch zugleich so sehr sein Gegenteil, daß die materielle sichtba. re Dinglichkeit der Dinge gerade mit seiner Hilfe definiert werden kann- “Ein Spiegel als solcher ist nicht einfach nur ein anderes sichtbares Ding beliebig eines der von ihm gespiegelten sichtbaren Dinge, vielmehr ist er als sichtbares Ding ein anderes als diese... Es ist möglich, sichtbare Dinge zu dt. finieren als Dinge, die man — prinzipiell — auch in einem Spiegel sehen kann. Vermutlich ist diese Definition sogar die beste, die man geben kann. Mit Hilfe des Spiegels ist es also mindestens sinnvoll möglich, sichtbare Din­ge als solche zu definieren”0 . Dies bedeutet nun aber nicht, daß der Spiegel nicht als ein Ding aufgefaßt werden dürfe. Er ist ein solches nicht nur wegen seiner Materialität, die auch dann wahrgenommen werden kann, wenn er nicht spiegelt (zum Beispiel weil er verhängt ist); sondern auch und gerade spiegelnd, wenn er als Spiegel wahrgenommen wird, zeigt er sich uns als ein sichtbares Ding und ist in seiner Dinglichkeit evident. “Der Spiegel selber und als solcher ist ein sichtbares Ding dann und insofern, wenn und insofern wir andere—und zuar im Prinzip alle anderen sichtbaren Dinge—in ihm se­hen. Von daher ist nun aber ein Spiegel in der Tat streng ein ausnehmendbe­sonderes sichtbares Ding. Denn er ist 1. ein sichtbares Ding neben den ande­ren sichtbaren Dingen, die er spiegelt und zu spiegeln vermag; und in dem­selben Sinn wie diese ist er es. Aber 2. ist seine Weise, ein sichtbares Ding zu sein, eine andere als die aller übrigen sichtbaren Dinge. Denn das Dasein die­ser als sichtbare Dinge hängt nicht davon ab, daß sie ein Spiegel spiegelt. Hingegen nur als andere sichtbare Dinge Spiegelndes ist ein Spiegel (als sol­cher) selber ein sichtbares Ding”64. Also läßt sich sowohl das Dingsein als Gattungsbegriff auch für das Spiegelsein statuieren wie umgekehrt das Spie­gelsein Gattung für das in ihm eingeschlossene Dingsein ist.

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D e r Spiegel selbst ist ein reelles Ding (so wie das Bespiegelte), das im Spiegel e r s c h e i n e n d e Gespiegelte ist hingegen ein virtuelles Bild (weder den Raum, indem es erscheint, gibt es im Spiegel wirklich, noch die körperliche Ausge- d e h n th e i t , diees“vorspiegelt”). Gerade weil das Spiegelbild kein reelles ist, *ic ein Gemälde oder eine Fotografie, erblicken wir im Spiegel das Ding se lb e r — wobei dieses “selber” mit dem Index “virtuell” ausgestattet ist. (¿mälde oder Fotografie sind selber dingliche Andere des Dings, sie “be­deuten” das Abgebildete aufgrund einer Ähnlichkeits- oder Ausdrucksbe­z ie h u n g , und es ist ihre eigene Bedeutung, etwas zu bedeuten. Es gibt immer eine Bedeutung der Bedeutung, auf dieser zweiten Ebene erst konstituiert sich zum Beispiel in Bezug auf Gemälde oder Fotografie das ästhetische V e r h ä l tn i s 65. Ihr Anderssein ist dadurch bestimmt, daß sie als Dinge Andere sind und dem Abgebildeten gegenüber selbständig. Um sie als Bilder zu s c h ä tz e n , brauche ich nicht auch das auf ihnen Abgebildete zu schätzen. In­d e sse n ist das Spiegelbild gerade nichts anderes als das Bespiegelte und nicht u n a b h ä n g i g von ihm existent, auch nicht als etwas von ihm Ablösbares zu s c h ä tz e n 66. Die Bedeutung des Spiegelbildes ist es nicht, das Bespiegelte zu fcdeuten, sondern die Erscheinung des Bespiegelten zu sein. Die Virtualität d e s S p i e g e l b i l d e s ist die Voraussetzung dafür, daß wir an dem identisch Ei­nen, dem Spiegelbild, in der Nichtidentität mit dem Bespiegelten zugleich die Identität mit ihm behaupten und mithin die Figur der Identität von Id e n t i t ä t und Nichtidentität gegenständlich erfüllt, sozusagen dinglich r e ­p r ä se n t ie r t sehen dürfen.

Die hier roh skizzierte logische Struktur der Spiegelung, in der die dialek­tische Figur des übergreifenden Allgemeinen sich anschaulich zeigt, macht es möglich, mit metaphysischer Strenge von Widerspiegelung als einem ausnehmend besonderen Seinsverhältnis zu sprechen. Um diesem Charak­ter metaphysischer Strenge zu genügen, scheint es mir jedoch unerläßlich, zunächst einmal den durch allerlei “poetische Lizenzen” aufgelockerten metaphorischen Gebrauch des Wortes beiseite zu setzen und sich auf den Gebrauch als Terminus für ein bestimmtes, allerdings grundlegendes Seins­verhältnis, das von Sein und Denken oder von Sein und Bewußtsein zu be­schränken. Wird erst einmal deutlich, in welcher Weise genau die Wider­spiegelungstheorie die Antwort auf die “Grundfrage” gibt, so kann dann auch geklärt werden, was es mit Theoremen über den “Spiegelcharakter der Rechtsordnung”67 oder die Widerspiegelung der gesellschaftlichen Wirklichkeit durch das Kunstwerk68 u.a.m. auf sich hat. Widerspiegelung als Titel für “alle Formen der geistigen Aneignung der Welt”69 gerät in die Gefahr, die dialektische Figur des Spiegelungsvorgangs aus den Augen zu verlieren und in unbestimmter Allgemeinheit einfach eine Einwirkung zu bezeichnen, bei der eine von Gegenstandsbereich zu Gegenstandsbereich

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naher zu bestimmende Ähnlichkeit zwischen der Verfassung des Einv kenden und der Verfassung des Rezipienten der Einwirkung besteht oH* erzeug* wird; in diesem allgemeinen Sinne wird davon gesprochen, Verhältnis bedinge “ ein unterschiedlich ausgeprägtes Moment der Ählichkeit,,T°. So richtig diese Formulierung als generelle Kennzeichnung;11so wenig kommt darin doch der dialektische Charakter der W iderspi^' lung heraus, der ja über Strukturäquivalenzen und Ähnlichkeiten hin^THau,

*ir^eben gerade durch die besondere Form des Übergreifens bestimmt Darum scheint es mir sinnvoll zu sein, das Wesen der W iderspiegelung zu rekonstruieren, wo das Spiegel-Bild zuerst als Strukturmodell eine führt wurde, nämlich bei der Grundfrage der Philosophie. Von daher lüg. sich dann die Anwendung des Theorems auf alle Elemente des Basij Überbau-Verhältnisses methodisch sichern und rechtfertigen, die Spicg^ Figur auch als Modell für die “ grundlegende Eigenschaft der gesamten ^ terie” 71 zu benutzen.

Der Satz von Engels über die Grundfrage der Philosophie72 muß mit a l^ bischer Sorgfalt gelesen werden. Er ist alles andere als einfach und enthä], mit einem universellen und einem daran anschliessenden einschränkenden Attribut unausdrücklich eine Theorie der Philosophie und ihrer Periodj. sierung. Denn in der Aussage, daß es sich um die große Grundirage aller Phj, losophie handele, liegt doch wohl eine sehr genaue Auffassung vom eigent. liehen Gegenstand und Wesen der Philosophie — und in dem Zusatz, <fcr dies speziell auf die neuere Philosophie zuspitzt, darf man einen H i n w e i s

auf einen wesentlichen Einschnitt in der Geschichte der Philosophie er. blicken.73

Letzteres ist in der Tat leicht einsehbar. Wie sich mit den Vorsokratikem in der Ablösung des wissenschaftlichen Denkens von mythologischen Erklärungsmustem7* die Wissenschaften und zunächst in Einheit mit ih. nen die Philosophie (wenn auch von Anfang an schon auf das Wi$$en gleichsam metatheoretisch reflektierend) herausbildeten, so vollzog sich am Anfang der Neuzeit bei Descartes eine zweite große Wende im Denken: Bis dahin war philosophisches Erkennen in direkter Zuwendung (intentio recta) auf die Welt gerichtet; seit Descartes richtet sie sich auf ihre Gegen- stände vermittelt über die Untersuchung von deren Gegebenheit, Abbil- dung oder Erzeugung im Denken, also auf indirekte Weise (intentio obli- qua), so daß die Philosophie nicht die Welt an sich, sondern sie gleichsam im Spiegel des Bewußtseins von ihr betrachtet, ähnlich wie wir das Antlitz der Venus auf dem berühmten Gemälde des Velasquez nur im Spiegel se­hen.75 Daß sich bei der transzendentalen Fragestellung76, die die gesamte neuere Philosophie beherrscht, das “ Verhältnis des Denkens zum Sein” als zentrales Problem stellt, liegt in der Natur der Kluft, die Descartes mit dem

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Hfokputg auf das “ ich denke” als allein erstes Gewissen zwischen Denken und Sein aufgerissen hatte.

poch auch vorcartesisch ist — wenn auch noch ohne die spezifisch neu- ;iitliche Fixierung auf das Subjekt, die Subjektivität — das Verhältnis des penkeiw zum Sein das Problem, das in der Frage nach der Wahrheit oder „ach der Geltung und Zuverlässigkeit unseres Wissens eingeschlossen ist. Wehdem die ionischen Naturphilosophen den ersten Anlauf zu einer Er- jdirungder Natur aus innerweltlichen Ursachen und mit Hilfe von theore­tischen Modellen gemacht hatten, thematisiert schon Parmenides die Be­ziehung von Sein, Denken und Meinungen als den eigentlichen Gegen- ^ d der Philosophie. Und in dem lapidaren Satz “ Dasselbige nämlich ist penken und Sein”77 wird das Leitmotiv intoniert, das sich durch alle weite­rt Philosophie hindurchzieht. Es ließe sich zeigen, daß die Art, wie dieses Leitmotiv abgewandelt und instrumentiert wird, von dem jeweiligen Stand der Entwicklung der Einzelwissenschaften abhängt, so daß es zwar eine p e r e n n i e r e n d e Grundfrage gibt, deren Entfaltung aber historisch bedingt kt und das Grundmuster der Philosophiegeschichte ausmacht.

Für die Beantwortung der Grundfrage führt nun Engels das Spiegel-Bild ein. "Wie verhalten sich unsre Gedanken über die uns umgebende Welt zu dieser Welt selbst ? Ist unser Denken imstande, die wirkliche Welt zu erken­n e n , vermögen wir in unseren Vorstellungen und Begriffen von der wirkli­chen Welt ein richtiges Spiegelbild der Wirklichkeit zu erzeugen? Diese frage heißt in der philosophischen Sprache die Frage nach der Identität von Denken und Sein und wird von der weitaus größten Zahl der Philosophen bejaht. Bei Hegel z.B. versteht sich ihre Bejahung von selbst: denn das, was ir in der wirklichen Welt erkennen, ist eben ihr gedankenmäßiger

Inhalt..., so daß schließlich das Hegelsche System nur einen nach Methode und Inhalt idealistisch auf den Kopf gestellten Materialismus repräsen­tiert’*7®. Diese wie auch andere Stellen im Werk von Marx und Engels ma­c h e n von der Spiegel-Metapher einen durchaus eindeutigen, aber doch hin­sichtlich ihrer strukturellen Präzision nicht weiter abgeklärten Gebrauch; erst bei Lenin finden wir dazu weitere Hinweise79. Allerdings dürfen wir, aufgrund der Leibniz-Studien des jungen Marx80, annehmen, daß die Spiegel-Metapher nicht zufällig und nicht ohne methodische Vorüber­legungen in den Sprachgebrauch der Klassiker eingegangen ist. Jedenfalls sind wir berechtigt zu fragen, ob mit dem Spiegel-Bild Genaueres als nur all­gemein die Wiedergabe eines Vorbilds durch ein Bild-Zeichen ausgesagt ist. Meine These lautet, daß die logische Struktur des in der materialistischen Antwort auf die Grundfrage statuierten Verhältnisses von Denken und Sein exakt der logischen Struktur des Verhältnisses von Spiegel und Bespie­geltem entspricht.

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Das im Spiegel sich spiegelnde Seiende, das Bespiegelte, ist ein unabhän ‘ vom Spiegelungsvorgang materielles sichtbares Ding, vielmehr ein Ko pltrx von Dingen, da es nicht isoliert, sondern stets in einer “Umgebung im “Raum“, innerhalb eines ‘‘Horizontes*’ vorkommt. Das Vorhände ' sein des Bespiegelten, die Gegenwart des Dings, ist Voraussetzung der Spj gelung, weder Vergangenes noch Zukünftiges kann sich im Spiegel Zeiget was gespiegelt wird, muß existent sein, Tote haben kein Spiegelbild um keinen Schatten*1. Wenn es auch für das sichtbare Ding nicht nötig ist, t spiegelt zu werden, damit es ist, was es ist, so kommt ihm doch wesent'li zu, gespiegelt werden zu können, es ist prinzipiell spiegelbar. Setzen wir ¡q dieser Beschreibung nun für den Term “sichtbares Ding" den Term “Sein" und für “spiegeln” — “denken” ein, so erhalten wir eine Charakterisieru„e des ersten Gliedes der Beziehung Sein-Denken, die eine bestimmte, nä^ lieh materialistische Auffassung vom Sein darstellt: Unabhängigkeit vo Denken, Gegenwärtigkeit, Denkbarkeit (Erkennbarkeit, Logizität).

Auch auf der anderen Seite der zweigliedrigen Beziehung trifft die Eni. sprechung: Der Spiegel als Träger des Spiegelbildes ist — wie das Gehirn als Träger des Denkens — selber ein materielles Seiendes, allerdings eines, d* mit der besonderen Eigenschaft der Erzeugung von virtuellen Abbildern anderer materieller Seiender ausgestattet ist. Das Spiegelbild ist stets durch die Lage des Spiegels definiert: Nicht das ganze Objekt wird gespiegelt, $on. dem nur die dem Spiegel zugewandte Seite—und da das Spiegelbild virtuell ist, können wir auch nicht darum herumgehen, um seine Rückseite ken- nenzulernen; was das Spiegelbild nicht zeigt, ist an ihm auch nicht vorhan. den. Die Repräsentation ist notwendig unvollständig, “einseitig”, ebenso der Ausschnitt, den der Spiegel von der Umgebung zeigt, er ist von der Be- grenzung der Spiegelfläche abhängig. Steht der Spiegel nicht planparallel, sondern geneigt dann zeigt er das Bespiegelte verschoben. Oder die Ober- fläche des Spiegels ist gewölbt und verzerrt den Gegenstand. Kurz, der Spie, gel erzeugt zwar ein Bild der Sache selbst, aber ein Bild in der Perspektive des Spiegels. Perspektivität war schon für Leibniz die individuierende Be- stimmtheit der als Widerspiegelung der Welt gedachten Monade82.

Dem Spiegel ist es als Spiegel notwendig, etwas zu spiegeln, aber es ist ihm kontingent, was er spiegelt, so wie es dem Denken notwendig ist, Denken von etwas zu sein, aber kontingent, diesen oder jenen bestimmten Inhalt zu haben. Der Spiegel ist ein materielles Ding und zugleich Träger eines vir- tuellen Abbilds eines anderen materiellen Dings, so wie das Denken selbst Seiendes ist und zugleich Repräsentation von Seiendem. Abhängigkeit, Virtualität, Perspektivität des Spiegelbildes, Materialität seines Trägers (des Spiegels) sind Kennzeichen auf der Abbildseite des Spiegelverhältnisses. Und definitiv: Der Unterschied zwischen dem Spiegel und dem Gespiegel-

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ffi ist ein Selbstuntcrsehied des Spiegels; so ist auch der Unterschied zwi- hendem Denken und seinem Inhalt ein Selbstunterschied des Denkens” . $Jgen w'r nun‘ logische Struktur des Spiegels auf genau bestimmba-Weise*4 ¿eT logischen Struktur dei Verhältnisses von Sein und Denken ent­r ic h t , so daß wir dieses anschauliche Verhältnis mit einer notwendigen

Metapher*' als Widerspiegelung kennzeichnen können, dann haben wir )uf dem Boden der “Grundfrage” die konstitutive Rolle des Widerspiege- Imjgjtheorems für den Status der Philosophie ausgesprochen. Philosophie ist Spie$d-Denken — nicht nur Denken als Widerspiegelung (das ist jedes D e n k e n ) , sondern Denken der Widerspiegelung, also Denken des Den­kens, Reflexion der Reflexion, Widerspiegelung der Widerspiegelung. Er­weist sich im Denken des Denkens der Unterschied von Sein und Denken logisch als ein Selbstunterschied des Denkens—und anders kann er sich gar nicht zeigen —, so setzt sich das Denken als übergreifendes Allgemeines auch des Seins. (Dies wäre der präzise Sinn des Terminus “Setzen”, wie er ¡n der klassischen deutschen Philosophie dominant wird). Darin ist die id e a l i s t i s c h e Antwort auf die “Grundfrage” angelegt; zwar wird dieser Ide­alismus im Umgang mit den Einzelgegenständen in der Erfahrung der Pra­xis (auf die wir später zurückkommen) unterlaufen — die “natürliche Welt- einstellung” widerspricht jeder transzendentalen Konstitutionstheorie86; ab er die dialektische Notwendigkeit, zu den transempirischen Gegenstän­den der Spekulation überzugehen, die nur im Denken selbst gegeben sind, re st itu ie r t unter allen Umständen den Idealismus auf der Ebene der Meta­physik. Gerade weil keine Philosophie (auch eine materialistische nicht) sich dem Zwang zum Spekulativen entziehen kann, wenn sie nicht den Aporien des Empirismus und Positivismus verfallen will87, ist die theoreti­sche Erhellung der Notwendigkeit des Idealismus der Gegenstands- Setzung und des Widerspiegelungscharakters, der diesem Idealismus zu­kommt und dank dessen er materialistisch umkehrbar und interpretierbar w ird , eine Voraussetzung der richtigen Auffassung der “Grundfrage”.

Denn in der Anwendung des Widerspiegelungstheorems auf die Philoso­phie selbst, die sich darin als Formulierung des Widerspiegelungsverhält- nisses darstellt (auch dann, wenn sie es als solches nicht erkennt), tritt das Prinzip philosophischer Erkenntnis zutage: Ursprung und Ort der Philo­sophie ist das philosophierende Subjekt, das seine Stellung zur Welt be­stimmt. Die besondere Stellung des Subjekts zur Objektivität ist durch das Denken bestimmt. Daher wird in der Philosophie das Denken selbst zum Gegenstand des Denkens und erscheint so als die durch das philosophische Denken reflektierte Wirklichkeit. (Dies gesehen zu haben, macht die Be­deutung Descartes’ für die neuere Philosophie aus). Vordergründig bedeu­tet dies, daß die Gedanken die Wirklichkeit sind, auf die die Philosophie

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sich bezieht — die Welt als Wille und Vorstellung. Werden die Gedan selbst jedoch als Spiegelbilder der außer ihnen existierenden materiell*11 Dinge und Verhältnisse verstanden (also die Spiegelung als ein wirkju*11 Verhältnis wirklicher Seiender und die Gedanken als Funktion dieses V ** hältnisses), dann wird die Welt wieder in ihr ontologisches Erstgeburtsreck eingesetzt und die Umkehrung als ein im Denken entstehender notwen> ger Schein (Spiegel-Schein: das Virtuelle erscheint als das Primäre und le) entlarvt. Indem so das Widerspiegelungstheorem in der “Grundfrage die gegenläufigen Versionen des Übergreifens (des Seins über das Denk, und des Denkens über das Sein) als notwendige Zweideutigkeit des Spiegej| Verhältnisses aufzeigt, und materialistisch die ontologische Priorität ^ Seins gegenüber der logisch-erkenntnistheoret ischen Priorität des Denken, im Idealismus konsistent begründet (während der Idealismus, wie HusserU vorgeführt hat, ohne Inkonsequenzen nie aus dem Gehäuse des Solipsisi^ ausbrechen kann), wird der transzendentale Schein aufgelöst und die ideal;, stische Philosophie auf den ihr zugrunde liegenden realen Gehalt, ihren derspiegelungsgehalt, methodisch abfragbar. Der mit dem Organon der\^ derspiegelungstheorie ausgerüstete dialektische Materialismus braucht auj das Erbe des klassischen idealistischen Philosophie nicht zu verzichten; kann ihre Spiegelschrift entschlüsseln.89

J. Die materiellen Verhältnisse

Nun gibt es allerdings ein strukturelles Moment des Denkens, das we$ent. lieh von der Struktur der Spiegelung abzuweichen scheint und darum dit skeptische Frage legitimiert, ob die Spiegel-Metapher nicht doch nur eine vage Redeweise sei und als exaktes Strukturmodell nicht gebraucht werden könne.40 Das Denken enthält nämlich nicht nur dinglich Präsentes und präsent isch Dingliches, sondern Vergangenes in der Erinnerung und Zu- künftiges in der Antizipation, sowie Ideelles, nämlich Relationen im weit* sten Sinne, einschließlich Abstraktionen, Bewertungen, Willensakten usw., und Phantasieprodukte. Der Umfang des Denkmöglichen scheint a]. so so weit über den Umfang des vergleichbar Spiegelbaren hinauszugehen, daß die Tauglichkeit des Spiegel-Bildes fraglich wird.

An diesen Fragen ist der vormarxistische Materialismus in der Tat immer gescheiten. Wird die Abbildung des Wirklichen im Denken mechanistisch als eine An Projektion auf eine Darstellungsebene aufgefaßt, so ist für die Repräsentation von Nicht-Materiellem und von Imaginationen kein« Grundlage gegeben. Die demokritischen eidola transportieren keine Äqui- valente für Kausalität oder Zweckmäßigkeit oder Übel, ja nicht einmal für

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jo einfache Kombinationsprodukte wie Kentaurn, Nixen oder auch Göt- (fr Li,n Bewußtseinsinhalte dieser Art erklären zu können, muß wohl oJer übel z u einer nicht abbildhaften synthetischen Leistung Zuflucht ge- n0mmen werden. Es bleibt dann bei einem cartesischen Substanzendualis- mus, res extensa und res cogitans fallen auseinander. Und solange der Ge- a(n stan d der Erkenntnis in der Form einzelner materieller Substrate gefaßt w ir d , ist nicht einmal die mechanische Einwirkung dieser Materieelemente aufeinander als solche abbildbar, sondern bestenfalls Kontiguitäten, Simul- ta n e it i i te i i und Ereignissequenzen. Die Sinnesdaten des mechanischen Ma­t e r i a l i s m u s gleichen Messergebnissen, zu deren Interpretation die Ver- Itniipfungsregeln fehlen. Schon Leibniz hat darum gegen Descartes, aber j u c h gegen atomistischen Materialisten geltend macht, daß der Begriff der Materie erweitert werden müsse, wenn eine konsistente, aus einem Prinzip abzuleitende Theorie der Natur gegeben werden solle. »Nachdem ich v e r s u c h t hatte, die Prinzipien der Mechanik selbst z u vertiefen, um den Grund der Naturgesetze anzugeben, die die Erfahrung erkennen läßt, er­k a n n te ich, daß die Betrachtung der ausgedehnten Masse allein nicht aus­re ic h t u n d daß man noch den Begriff der Kraft an wenden muß, der sehr ver­s t ä n d l i c h ist, obwohl er in den Bereich der Metaphysik fällt«91. Die Materia­l itä t der von den Wissenschaften erforschten Welt besteht nicht allein in den sie bildenden materiellen Partikeln, die durch Größe, Gestalt und Be­l e g u n g definiert sind, sondern auch in ihren wechselseitigen Beziehungen, die sich nicht allein durch die Körperlichkeit des Seienden ausdrücken las­sen. Leibniz zeigt das mit einem relativistischen Argument am Beispiel der B e w e g u n g : »Die Bewegung, wenn man darunter nur das versteht, was sie ge­n a u u n d formal einschließt, das heißt die Ortsveränderung, ist keine gänz­lich wirkliche Sache, und wenn mehrere Körper ihre Lage untereinander w e c h s e ln , so ist auf Grund der alleinigen Erwägung dieser Bewegungen n ic h t zu bestimmen, wem von ihnen die Bewegung und wem die Ruhe zuge­schrieben werden muß... Die Kraft oder der nächste Grund dieser Bewegun­gen ist aber etwas Wirklicheres, und es gibt hinreichende Grundlagen, um sie dem einen Körper mehr als dem anderen zuzuschreiben. So kann man nur dadurch erkennen, wem die Bewegung vorzugsweise zukommt. Nun is t diese Kraft etwas von der Größe, von der Gestalt und von der Bewe­gung Verschiedenes, und man darf urteilen, daß alles, was vom Körper be­griffen wird, nicht einzig in der Ausdehnung und ihren Modifikationen be­steht, wie unsere modernen Philosophen uns überzeugen wollen«92. Hier wird deutlich, daß Leibniz die Materialität der Welt n icht in der Körperlich­keit der res extensa sieht, sondern in dem Komplex der Relationen der Sei­enden zueinander, in ihrem Verhältnis. Dieser Gedanke, der zunächst durch Newtons Physik und Wolffs Metaphysik wieder verdrängt wurde,

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kehrt bei Marx und Engels zurück, wenn diese den Begriff der Material«- bei der Untersuchung des gesellschaftlichen Seins nicht an dessen indiy duellen materiellen Trägern (was nur zum biologischen Wesen des Me sehen und also wie bei Feuerbach nur zu einer Anthropologie als Grund Wissenschaft geführt hätte), sondern an den zwischen ihnen bestehende Verhältnissen festmachten.

Dies ist mit Nachdruck gegen alle Versuche festzuhalten, vom jungen Marx her eine Anthropologie zu entwickeln, die angeblich den philosophj sehen Grund und eigentlichen Kern des Marxismus ausmache, der durch die spätere Zuwendung zur Ökonomie verdeckt worden sei. Von Anfan* an stehen bei Marx die ontologische Problematik der Materialität, deren Bestimmung durch die Form des materiellen Verhältnisses und die Ent- deckung der Produktionsverhältnisse, der ökonomischen Bedingungen der Vergesellschaftung als materieller Grund der Geschichte im Blick Nicht: ökonomische Bestimmungen werden auf anthropologische zurück geführt, sondern umgekehrt: aus der Ökonomie geht erst das anthropologj. sehe Wesen des Menschen hervor. Des jungen Engels »Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie« von 1844 sprechen das Bedingungsverhält, nis schon deutlich aus: »Weil das Privateigentum jeden auf seine eigne rohe Einzelheit isoliert und weil jeder dennoch dasselbe Interesse hat wie sein Nachbar, so steht ein Grundbesitzer dem anderen, ein Kapitalist dem ande­ren, ein Arbeiter dem anderen feindselig gegenüber. In dieser Verfeindung der gleichen Interessen eben um ihrer Gleichheit willen ist die Unsittlich- keit des bisherigen Zustandes der Menschheit vollendet; und diese Vollen- dung ist die Konkurrenz«’3. Eine abstrakte Gleichheit der Menschen ist un­wirklich, die konkrete ökonomische Bestimmtheit erzeugt erst jene an­thropologische Wesenheit, die zum Beispiel Thomas Hobbes als »Naturzu­stand« voraussetzt.

Parallel dazu heißt es bei Marx in den aus demselben Jahr stammenden Pariser Manuskripten: »Die einzigen Räder, die der Nationalökonom in Bewegung setzt, sind di t Habsucht un ¿der Krieg unter den Habsüchtigen, die Konkurrenz«. Aber das anthropologische Merkmal »Habsucht« (als »We­sensmerkmal« des Menschen) soll gerade nicht als irreduzible Instanz ge­nommen werden; vielmehr kritisiert Marx, daß die Ökonomie ihre eige­nen Entwicklungsgesetze nicht durchschaut: »Die Nationalökonomie geht vom Faktum des Privateigentums aus. Sie erklärt uns dasselbe nicht. Sie faßt den materiellen Prozeß des Privateigentums, den es in der Wirklichkeit durchmacht, in allgemeine, abstrakte Formeln, die ihr dann als Gesetze gel­ten. Sie begreift diese Gesetze nicht, d.h. sie weist nicht nach wie sie aus dem Wesen des Privateigentums hervorgehen... Wenn sie z.B. das Verhältnis des Arbeitslohns zum Profit des Kapitals bestimmt, so gilt ihr als letzter Grund

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j js Interesse der Kapitalisten; d.h. sie unterstellt, was sie entwickeln soll. Ebenso kommt überall die Konkurrenz hinein. Sie wird aus äusseren Um- fänden erklärt. Inwiefern diese äußeren scheinbar zufälligen Umstände nur der Ausdruck einer notwendigen Entwicklung sind, darüber lehrt uns ¿je Nationalökonomie nichts.« Das geschichtliche Sein des Menschen wird von Marx nicht auf ein anthropologisches Wesen, sondern auf die Produk­tionsverhältnisse zurückgeführt: »Die Arbeit produziert nicht nur Waren; ye produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware, und zwar in dem Verhältnis, in dem sie überhaupt Waren produziert«94.

Marx schein sich früh darüber klar geworden zu sein, daß er den traditio­nellen »metaphysischen« Materialismus (der eben auch bei Feuerbach nicht überwunden, sondern nur ins Anthropologische gewendet worden war) wesentlich verändern müsse, um ihn auf dem Niveau, das der Hegelsche Idealismus erreicht hatte, diesem entgegensetzen zu können. Eine dieser Veränderungen wird in der ersten Feuerbach-These formuliert: Der mate­rielle Gegenstand darf nicht »nur unter der Form des Objekts«, also nicht nur als dingliches Substrat gefaßt werden; vielmehr gehört zur Materialität auch die Einwirkung der materiellen Substrate aufeinander, und eben die ausnehmend besondere Form der Einwirkung, die menschliche »gegen­ständliche Tätigkeit«95. Damit ist zweierlei gesagt: Erstens wird das Wir­kungsverhältnis zwischen materiellen Seienden, ihre Relation, auch als Moment der Materialität gefaßt. Zweitens wird die Subjektivität, die der Objekthaftigkeit der Materie entgegengesetzt ist, zugleich (also in dialekti­schem Übergreifen) als Moment des Materiellen begriffen; das Subjekt wird, nach dem Vorbild Feuerbachs, aus der ideellen Verkehrung seiner materiellen Natur, die ihm im Selbstbewußtsein die Gegenstände als Pro­dukte seines Setzens erscheinen ließ (siehe oben), zurück in seine leibliche Materialität geholt, deren es in der Praxis innewird. Diese Bewegung ist ei­n e doppelte: Die Gegenstände setzen die Bewußtseinsinhalte (als ihre Spie­gelbilder) und richten damit zugleich die Kräfte des Menschen als »gegen­ständliche Wesenskräfte« auf sich; in der Verwirklichung dieser gegen­ständlich gerichteten Kräfte, also in der Erzeugung von Gegenständen, setzt der Mensch seine eigenen Kräfte außer sich in der Form des Resultats ihrer Tätigkeit, er entäußert sich.96 Ökonomisch heißt das: »Das Produkt der Arbeit ist die Arbeit, die sich in einem Gegenstand fixiert, sachlich ge­macht hat, es ist die Vergegenstandlichung der Arbeit. Die Verwirklichung der Arbeit ist ihre Vergegenstandlichung«97. Das ist der »materielle Prozeß«, ihm liegt das »materielle Verhältnis« von tätigen Subjekten und gegenständlicher Welt zugrunde.

Dieses Verhältnis drückt sich nicht mehr nur in Termen aus, die durch Hinweis auf ein dingliches Objekt sinnlich erfüllbar sind. Relationen sind

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nur metaphorisch sinnlich darstellbar; auf die AbfEngigkeit eines Knechtes von ¿¡einem Herrn kann ich nicht zeigen, aber ich kann das Herabhängen einer Frucht vom Baum anschauen und vergleichen: A hängt an B wie dCr Apfel am Ast des Apfelbaums. Dennoch bleibt das Verhältnis der Abh-fo. gigkeil ideell, es ist nicht materiell in derselben Weise wie das Hängen des Apfels am Ast. Daß nichtsdestoweniger die Abhängigkeit des Knechtes vom Herrn, des Schuldners vom Gläubiger usw. ein materielles Verhältnis ist — was sich daran zeigt, daß es auch nicht durch Aufhebung des Bewußt, seins der Abhängigkeit annulliert werden kann98 — und daß dergestalt das Materielle das Ideelle übergreift und als eine ihm entgegengesetzte Art ein. schließt, ist die Erkenntnis, die Marx durch Anwendung der Hegelschen Figur des »übergreifenden Allgemeinen« auf die wirkliche Welt gewinnt.

Im Begriff der materiellen Verhältnisse wird die Dichotomie zwischen Materialität und Idealität aufgehoben, das Ideelle ist selber ein Moment d e s materiellen Verhältnisses: Mythologien und Rechtsnormen, sittliche und ästhetische Werte, Abstraktionen und Universalien gehen als (unterschie­dene) Elemente in den materiellen Gesamtzusammenhang ein. Der Ü b e r ­bau ist ja nicht einfach ein bloßer Schein, sondern ein realer Bestandteil des gesellschaftlichen Seins99.

Im Rahmen der Widerspiegelungstheorie sind mithin Iterationen von Widerspiegelungen zu konstatieren, wobei jede einmal konstituierte Spiegel-Ebene100 Bestandteil der materiellen Verhältnisse wird und auf ei. ner neuen Ebene ihrerseits widergespiegelt werden kann. Erstes und grund­legendes Widerspiegelungsverhältnis ist die Spiegelung des materiellen Sei- enden im Bewußtsein (Bewußtsein als Spiegel). Die Vorstellungen, Begriffe usw., die Bewußtseinsinhalte sind, wirken wiederum als reale Steuerungs­mechanismen menschlichen Verhaltens und gewinnen so den Charakter, Momente des materiellen Verhältnisses zu sein, das als gegenständliche Tä­tigkeit gefaßt wird. In dieser Tätigkeit bilden sich gesellschaftlich fixierte und tradierte Vorstellungs- und Verhaltensmuster, Rituale, Institutionen und Überlieferungen, Fetischismen und Ideologien heraus, die Widerspie- gelungen der Vermittlungsprozesse und -Strukturen sind, welche die gegen­ständliche Tätigkeit ausmachen; sie enthalten als Gegenstände die materiel­len Elemente der gegenständlichen Tätigkeit sowie die in diese integrierten ideellen Momente, deren Konstitution auf der ersten Spiegel-Ebene erfolg­te. Diese zweite Spiegel-Ebene könnte man als die der gesellschaftlichen Praxis, die die gegenständliche Tätigkeit zur Voraussetzung hat und sie übergreift, charakterisieren. Auf einer nächst höheren Ebene wäre die wis­senschaftliche, ästhetische und religiöse Widerspiegelung anzusetzen, die alle in die gesellschaftliche Praxis eingegangenen materiellen und ideellen Faktoren der Wirklichkeit nochmals reflektiert und in ideellen Gebilden

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( T h e o r i e n , Kunstwerken, Glaubensgehalten) ausdrückt, die als solche wie­derum zum Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit werden. Und die phi­l o s o p h i s c h e — dialektische, die traditionellen Gegenstände der Metaphysik s e t z e n d e — Reflexion ist noch einmal eine neue Meta-Ebene zu den vorher ^ n a n n t e n . Dabei ist zu beachten, daß auf jeder neuen Stufe der Widerspie­g e l u n g nicht nur die Spiegelungen der nächst niederen Stufe reflektiert wer­den können, sondern prinzipiell alle Gegenst ände und alle deren Spiegelbil­der auf allen Spiegel-Ebenen. — Die so angedeutete Differenzierung der Wi- jürspiegelungsakte nach Ableitungen verschiedenen Grades — die sich aus den verschiedenen ideellen Objektivationen der materiellen Verhältnisse und der Integration wieder in die materiellen Verhältnisse selbst ergeben — führt zur Ausarbeitung einer gegenstandstheoretisch und kategorial vielfäl- tjg nuancierten, den besonderen Konstitutionsbedingungen der ideellen Repräsentationen Rechnung tragenden Widerspiegelungstheorie, die auf dem Widerspiegelungsmodell aufruht, das für die Beantwortung der »Grundfrage« definitiv ist.

Verstehen wir die ideellen Objektivationen als Bestandteile der materiel­len Verhältnisse und demgemäß in einem dialektischen Begriff der Materie (der sein Gegenteil übergreift) aufgehoben, so fallen die Schwierigkeiten da­hin, eine Widerspiegelung des Ideellen in einem materialistischen, exakten Gebrauch des Spiegel-Bildes mitzudenken. Der Spiegel, der einen anderen Spiegel samt dessen Spiegelbild spiegelt, vermag dies ja nur, weil eben der gespiegelte Spiegel selbst ein dinglich-materielles sichtbares Seiendes ist, zu dessen dinglicher Materialität es gehört, das Spiegelbild eines anderen Sei­enden zu enthalten.

Wir sprachen von »ideellen Objektivationen«. Dabei ist ein weiteres hin­sichtlich der Spiegelmetapher zu beachten. Der Spiegel kann nur auf die Präsenz (im Präsens) des Bespiegelten reagieren. Im Denken werden aber auch Erinnerungen festgehalten, persönliche des Denkenden (objektiviert in der Form von Wörtern, Begriffen, Sätzen, Erzählungen usw.) so gut wie geschichtliche der Gattung (objektiviert in Ritualen, Zeugnissen, Mytholo­gien, Werken, Haltungen). Stets ist im Denken nicht nur das Gegenwärtige enthalten, sondern auch Vergangenes — was dem Spiegelungsvorgang nicht zu entsprechen scheint. Indessen muß man auch hier beachten: Ver­gangenes ist nur insofern Inhalt unseres Denkens, als es materiell vergegen­ständlicht und gegenwärtig ist. Ein Ereignis aus der Geschichte der Menschheit wird nur in unserem Bewußtsein gespiegelt, wenn es durch ein Zeugnis gegenwärtig erfahrbar ist: ein archäologischer Fund, ein Doku­ment, selbst die indirekte Präsenz durch die Wirkung in einem jetzt noch Existierenden (die Arbeit der Pyramidenerbauer ist präsent in der wahr­nehmbaren Konstruktion und Machart der Pyramiden) heben das Vergan-

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gene aus dem Nichtsein und der Vergessenheit in die Gegenwart als ein durch einen materiellen Träger präsentiertes Ideelles. Ohne diesen hier und jetzt vorhandenen Träger gäbe es keine Vergegenwärtigung. Nur scheinbar ist das Denken ein Spiegel, der seine Spiegelbilder aufbewahrt. Die Aufbe- wahrung ist vielmehr an die Objektivationen gebunden, und die Spiege. lung spiegelt die jeweilige Objektivationsform, nicht den Sachverhalt, wie

; er damals und an sich wirklich gewesen ist. Die Historiker wissen um dieseVerschiebung der geschichtlichen Rekonstruktion gegenüber dem einsti­gen Faktum. Auch die eigene Erinnerung reproduziert mir jetzt nur, wa$ als Gedächtnisspur materiell im Gehirn festgehalten ist. Das Denken hat es

! nie unmittelbar mit Nichtseiendem zu tun, sondern immer nur mit den,präsemischen Sein. Vergangenes, heute Nichtseiendes erscheint im Den. ken nur, insoweit es durch eine Objektivation überdauert und heute prä. sentierbar ist (das heißt repräsentiert wird).

Wie aber ist es mit Zukünftigem, das antizipiert wird; mit Möglichem, das als solches gedacht wird? Ja, das Denkmögliche überhaupt — auch sol­ches, das nie wirklich werden kann und wird — kommt doch vor und ist si­cher kein widergespiegeltes Seiendes.101 Von hier aus ist der am schwersten wiegende Ein wand gegen die Geltungskraft der Spiegel-Metapher, ja gegen eine materialistische Antwort au/die »Grundfrage« zu erheben.'02 Dieser

^ Einwand ist unwiderleglich, solange zwischen dem Faktisch-sein einerseitsl und dem Nichr-sein andererseits keine modale Gradation zugelassen und

formeJJ nach dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten verfahren wird.101 Das ist jedoch eine (aus methodologischen Erfordernissen der neuzeitli- chen Experimentalphysik entsprungene) Fassung der Seinsfrage, durch die verdeckt wird, daß Modal- und Temporalkategorien—wie auch der für die Naturwissenschaften ebenso wie für die Geschichtswissenschaften unver­zichtbare Begriff der Veränderung104 — die Annahme eines Kontinuums gradueller Seinsintensitäten unausweislich machen.105

An dieser Stelle ist es natürlich nicht möglich, eine Theorie der Modalitä­ten zu entwickeln, obschon diese ein Herzstück einer materialistisch- dialektischen Ontologie zu sein hätte. Es können daher, ausgehend von Leibniz, nur einige Hinweise gegeben werden, wie ich eine solche Theorie anlegen würde. Leibniz hat für jegliche Metaphysik die Forderung aufge­stellt, sie müsse nach dem Prinzip des zureichenden Grundes darlegen, wa­rum überhaupt etwas sei und nicht vielmehr nichts, und warum es so sei und nicht anders; dieses Postulat müsse immanent und nicht unter Beru­fung auf die Willkür eines außerweltlichen Schöpfers, auf einen ersten Be- weger oder ähnliche transzendente Instanzen erfüllt werden. N un ist die Welt aber nicht ein für allemal so, wie sie am Anfang und von Anfang an war, sondern sie verändert sich. Es genügt also nicht, für jedes einzelne Sei-

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(fíde den zureichenden Grund seiner Existenz und Beschaffenheit anzuge-— und das wäre wegen des universellen Zusammenhangs letztlich »nur

¿us einer vollkommenen Kenntnis aller Teile des Universums« möglich106, iührt also zu einer Extrapolation auf den spekulativen Begriff von Welt im ^nzen oder Totalität. Damit aber wäre die series rerum in der Zeit, das Ein­treten von Neuem und das Verschwinden von Altem, noch nicht erklärt. Vielmehr muß der Satz vom zureichenden Grund betrachtet werden nicht nur im Hinblick auf die Existenz der Dinge, sondern auch im Hinblick auf ihr In-die-Existenz-treten. D afür gilt: »Zur Existenz ist notwendig, daß die Zusammenstellung aller Bedingungen vorhanden ist. Eine Bedingung ist das, o h n e weiches eine Sache nicht sein kann, die Zusammenstellung aller Beengungen jst j jg voi|e Ursache der Sache. N ichts ist ohne Grund, weil nichts ohne die Zusammenstellung aller Bedingungen ist«107. Das bedeutet j e d o c h , daß für das, was jetzt noch nicht existiert, aber einmal existieren wird, noch nicht alle Bedingungen vorhanden sind, diese aber im Laufe der Zeit eine um die andere hinzukommen. Wenn Bedingungen zwar teilwei­s e , aber noch nicht vollzählig gegeben sind, so ist das so unvollständig Be­gründete das Mögliche.108

Am Seinsstatus der Möglichkeit hängt die Entwicklungskonzeption. Wo keine realen Möglichkeiten, da gibt es auch keine Evolution, weder Natur- noch Menschheitsgeschichte. Soll also gegen einen statischen, eleatischen Weltbegriff die Selbstbewegung der Materie als deren grundlegende Eigen­schaft festgehalten werden, so muß das Mögliche als ein M odus des realen Seins aufgefaßt werden. D ie Welt ist immer inhaltsvoller als ihre Wirklich­s t _ Welt ist Wirklichkeit und Möglichkeit zusammen. Aber auch unter dieser Voraussetzung bedarf es noch eines Prinzips, warum ein Mögliches wirklich wird und ein anderes nicht. In die Welt als ganze können ja von außen keine neuen Bedingungen introduziert werden, weil es — gemäß dem Begriff der Totalität — außerhalb der Welt nichts gibt; die Welt ist a l­les, Neue Bedingungen können also nur in der Rekombination existieren­der Elemente entstehen, durch die die Voraussetzungen für die Verwirkli­chung von Möglichem geschaffen werden.

Leibniz hat dies in einen spekulativen Satz gefaßt, den er zu den »absolut ersten Wahrheiten« zählt: »Alles Mögliche strebt nach Existenz«; er expli­ziert dies: »Die absolut ersten Wahrheiten sind unter den identischen Ver­nunftwahrheiten und unter den Tatsachenwahrheiten jene, aus denen alle Erfahrung a priori bewiesen werden kann, nämlich: alles Mögliche strebt nach Existenz und existiert daher, wenn nicht etwas anderes, das auch zur Existenz strebt, es daran hindert und mit dem ersteren unverträglich ist... Dieser Satz: alles Mögliche strebt nach Existenz kann aposteriori belegt werden, wenn man setzt, daß etwas existiert. Denn entweder existiert alles,

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und dann wird alles Mögliche so sehr zur Existenz streben, daß es auch *»• ticrr; oder etwas existiert nicht; alsdann muß ein G rund angegeben vveM * warum etwas vor anderen existiert. Dieser kann aber nicht anders angcI?’ ben werden als durch den allgemeinen Wesens* oder MögJichkeitsgrunj Wenn nicht in der Natur des Wesens selbst irgendeine Tendenz zu exist' ren wäre, so würde nichts existieren, denn zu sagen, gewisse Wesenheit hätten diese Tendenz, andere hätten sie nicht, heißt, etwas ohne Grund J* gen...«109. Daraus folgt, daß die Weit im ganzen und in ihrer Materialität d* universelle Möglichkeitsgrund für alles Wirkliche ist, das dynamei 6n ^ Aristoteles, welche Formulierung £rnst Bloch wieder aufnim intM0. lichkeit ist die Sequenz der Stadien des Verwirklichungs prozesses, undjjt gewinnt Neues, indem anderes vergeht, wenn in der Umgruppierung d Zusammenhängenden die Bedingungen für die Fortexistenz von bestimm ten Seienden wegfallen: Lebewesen sterben, Arten sterben aus, Reiche hen unter, Gesellschaftsformationen werden revolutioniert. So erwei* sich die Welt in ihrer Ausgedehntheit als zeitliche. Möglichkeit und Zeit, lichkeit sind einander unauflöslich zugeordnete Aspekte des Seins. Dfe Sprache selbst belegt uns diese Beziehung, indem sie temporale und modale Ausdrücke ineinander übergehen läßt und umgekehrt.

Erst die Zeitdimension erfüllt die Idee der Totalität, die eingeschränkt auf das simultan Räumliche die Unbewegtheit des Seienden setzen müßte (Darum führt die Zeitlosigkeit des parmenideischen Seins zu den zenonj! sehen Paradoxien). Die Erfahrung aber zeigt uns nicht nur Sein, sondern auch Werden und Veränderung. Keine Philosophie aber, die die Genesis und Gehungsgründe unseres Wissens reflektiert, kann die Erfahrungen,»die ersten Wahrheiten gemäß unserer Erkenntnis« (wie Leibniz sagt)1» ausser acht lassen. Die Philosophie ist also genötigt, ein Weltmodell zu ent- werfen, in dem der Realitätscharakter der Zukunft1,2 und die reale Ver­schiedenheit der aufeinanderfolgenden Weltzustände mit der Idee des Gan­zen konsistent verknüpft sind. Dazu ist die ontologische Theorie von Seinsgraden — von der Möglichkeit mit abgestufter Annäherung an die Verwirklichung bis zur Wirklichkeit — unentbehrlich. Diese Theorie ■ schließt ein, daß Möglichkeit ein Modus von Realität innerhalb der mate- : riellen Verhältnisse ist und folglich auch im Denken widergespiegelt wer­den kann, ohne das Prinzip zu verletzen, daß Nichtseiendes nicht spiegel- bar ist. Prognosen, Planungsziele, Antizipationen, Phantasie, Vorschein usw. — also das gesamte Arsenal von Bewußtseinsformen, die Ernst Bloch als gerichtet auf Noch-Nicht-Seiendes und Mögliches ausgebreitet hat - sind Widerspiegelungen des materiellen Substrats Möglichkeit, ohne wel- . ches es keine Veränderung in der Welt gäbe.

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Kapitel IIIQer fundamentale Charakter ¿er Dialektik der N atur und die Wissenschaften

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1. Das Proliem des \\'rissenschafisfortscbritts; Geymonatsu'isscnscktftstlxoretischer Realismus

Der Gesamtzusammenhang als materieller und die Bewegung als allgertle- ne Seinsweise der Materie — das sind die Voraussetzungen, die in einen dj*' lektischen Weltbegriff und in ein dialektisch-materialistisches Konzept d* Natur eingehen. Von diesen Voraussetzungen her können auch solche Ver hältnisse zwischen Seienden, in die ideelle Widerspiegelungen des materiej len Seins und seiner Relationen konstitutiv eingehen, als materielle Verhäj, nisse begriffen werden. Ein solcher Materie-Begriff umfaßt auch die Matp. rialität der gesellschaftlichen Verhältnisse, obschon diese von vornherein durch ideelle Widerspiegelungsphänomene — die Wertform und ihre Di* lektik, den Warenfetischismus’ — strukturell, das heißt die Verhältnis,^ bestimmend, bedingt werden. Die Differenzierung der Welt in Sein$. regionen von verschiedener ontologischer Verfassung, die sich in der Kla*. sifizierung der Wissenschaften nach Disziplinen widerspiegelt (wir kom. men darauf unten zurück), darf die dieser Differenzierung zugrunde liegen, de Einheit der Welt nicht verdecken und muß sich auch in einer entspre. chenden Wissenschaftsauffassung ausdrücken.2

Im Hintergrund jeder einzelwissenschaftlichen Forschung steht also die Idee des Gesamtzusammenhangs aller Einzelnen in der Welt, deren mate­rielle Einheit durch die Kategorie der Totalität (als den spekulativen Be. zugsrahmens der empirisch gegebenen Mannigfaltigkeit) ausgedrückt wird.* Genau dies ist (wie wir gesehen haben) der nicht in positive Wissen- schäften aufzulösende Gegenstandsbereich der Philosophie, jener Gegen- standsbereich, den Engels für die Dialektik als »Wissenschaft des Gesamt- Zusammenhangs« reservierte (siehe Kap. 1,2). Die traditionellen Fragestel­lungen und Aufgaben der Metaphysik wie auch die Intention der allerdings physikalistisch verkürzten Einheitswissenschaft des Wiener Kreises und seiner Nachfolger4 gehen in diesem Konzept auf die Dialektik über; die Dialektik der Natur tritt das Erbe der klassischen Metaphysik an und refor- muliert deren Systematik unter Auflösung ihres Absolutheitsanspruchs.s

Es scheint mir, insbesondere für die gegenwärtige epistemologische Dis­kussion, von außerordentlicher Bedeutung, daß eine solche Konzeption der philosophischen Integration der Wissenschaften mit dem methodologi­schen Instrumentarium des Wissenschaftstheoretikers und Wissenschafts­historikers vertreten wird; das Wissenschaftsverständnis des Einzelwissen­schaftlers selbst muß ihn zu der Einsicht führen, »daß die Wissenschaft heu­te nicht weniger als gestern eine bewußte philosophische Integration for­dert«. Und das heißt nichts anderes als »daß die Wissenschaft wesentlich dialektisch ist... das bedeutet nur: Einheit in der Verschiedenheit (Einheit

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. w i s s e n s c h a f t l i c h e n Wissens in der Differenzierung der einzelnen Wis- -schäften, Einheit ihrer Entwicklung in der Entgegensetzung der ver- Offenen Theorien, Einheit ihrer Methodologie in der Verflechtung der

Beobachtungen und der Gedanken)«, außerdem »objektiver Charakter, der der Wissenschaft aus ihrer innigen und ununterbrochenen Verbindung

it der Tätigkeit zukommt« und »Historizität (und daher Veränderlich­keit) der wissenschaftlichen Kategorien«6. Die Wissenschaften selbst also kommen bei der Bestimmung ihrer Tätigkeit und beim Entwurf von For- •hungsproSrammen unc* -ziefe11 nid11 ohne Philosophie aus, und diese

Philosophie verweist sie auf den Gesamtzusammenhang, also auf eine The­o r i e d e r Natur, die in überdisziplinären allgemeinen Kategorien die wech­selseitige Beziehung regionaler Wissensbereiche und -gehalte aufeinander ^ e r s t e l l t . Es ist ein Verdienst Ludovico Geymonats, diesen Zusammenhang iUS der Sicht nicht nur des Philosphen, sondern eben des Mathematikers ^d Wissenschaftshistorikers begründet zu haben.

In d e r Einleitung zu seiner »Geschichte des philosophischen und wissen­schaftlich11 Denkens«7 stellt Geymonat die Frage, was eigentlich Philoso­phiesei und welchen Gegenstand sie habe. Er meldet gegenüber positivisti­schen, soziologischen und ökonomistischen Verkürzungen den Universa­litätsanspruch des philosophischen Denkens an. In einer ersten (dann aller­dings noch zu spezifizierenden) Hypothese dürfe man »das philosophische Denken mit der Kultur in ihrer Allgemeinheit und Totalität identifizieren« (St 1,10)- Natürlich sei Kultur insgesamt ein weiteres Feld als die Philoso­phie, nicht aber so, daß das Verhältnis zwischen beiden extensional gefaßt werden könne, die Kultur also etwa als eine Klasse von Elementen, zu de­nen als eines die Philosophie gehöre; so gerade nicht, denn alles, was Ele­m e n t einer Kultur ist, gehe auch wie ein Farbton in die Philosophie ein, und ,in jeder Kultur gibt es einen zentralen Kern, der das spezifische Objekt philosophischer Forschung ist« (St I, 13). Philosophie beziehe sich immer .direkt oder indirekt auf die Totalität der zu einer bestimmten Zeit disku­tierten Argumente« (St 1 ,12) — und gerade der innere Zusammenhang die­ser Argumente, auf wie disparate Probleme sie gehen und in wie voneinan­der entfernten Gegenstandsbereichen sie beheimatet sein mögen, sei Sache der Philosophie. Denn »der Fortschritt des Denkens ist ein globales Phäno­men, das seinen einheitlichen Charakter nicht verliert, weil eine Vielfalt von Faktoren daran beteiligt« (St. 1 ,17). Die Philosophie ist Ausdruck und Garantie der Einheit des Weltbildes, das aus unseren Erfahrungen und den Forschungen der Wissenschaften hervorgeht und sich in einer Vielzahl von Gesichtspunkten und verschiedenen Gedankenmodellen manifestiert. De­ren Einheit garantiert die Philosophie dadurch, daß sie einen ihnen gemein­samen Typus von Rationalität ausarbeitet und auf dessen Einhaltung be-

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steht. Eben diese Rationalität bewährt sich in der “Fähigkeit, wirkun in die Welt der Natur und der Geschichte einzugreifen’* (St. I, 17)^°^ aber diese Fähigkeit zu keinem Zeitpunkt der Geschichte des Mensche schlechts vollkommen ist, kann das Weltbild (mit dem ihm eigenen R ^ nalitätstvpus* nie definitiv und komplett sein. Dies zu erkennen, pgt!0, zur philosophischen Rationalität hinzu, die darum nicht die eines gesch|Ö1' senen Systems, sondern die dialektische eines offenen Prozesses ist (w i°[ letztere allerdings die erstere als ein Moment ihrer selbst überprüft), D jl ist der dialektische Materialismus dem mechanischen als Integrationsrn,), dell der Naturwissenschaften überlegen. Denn Philosophie ist immer L tisch. “In allen Epochen, von der ältesten Antike bis zur Moderne, steht d Philosoph im Rampenlicht der Kultur als Schöpfer von Einwänden, Zweifeln, von subtilsten Argumentationen, die vorgetragen werden, ^ die Schwierigkeiten an den Tag zu bringen, die in den am meisten verbreit ten und dem Anschein nach am meisten gerechtfertigten Überzeugung entspringen’* (St. 1 ,11). Die von der Philosophie immer wieder hergestelL Einheit der Rationalität des Weltbildes ist also nicht statisch und unhistQ. risch, sondern bedenkt ihre eigene Lage, deren Entstehungsbedingung^ und deren Veränderungen—sie ist also reflexiv und dialektisch. “Gerade iß diesem Nicht-definitiv-sein enthüllt sich ihr authentisch rationaler Q j. rakter, das heißt ihre Zugehörigkeit zu einem sich über jede Grenze er. streckenden Prozeß, der jedes Sich-abschließen in einer dogmatischen und undiskutablen Position verwirft” (St. I, 17). Im Blick auf die absolut Wahrheit (als den idealen und spekulativen Limes des Erkenntnisprozeß ses) bestimmt die kritisch-rationale Philosophie jeden gewonnenen Er- kenntnisstand, jede geltende Wahrheit als relativ.

Hier mündet Geymonats historisch wohl fundierte Konzeption des phi- losophischen und wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses in die Lenin, sehe Erkenntnistheorie9, die sowohl materialistisch von »objektiver Wahr, heit« als auch dialektisch von »relativer und absoluter Wahrheit« spricht.15 Die Geschichte der Wissenschaften ist eine fortschreitende, nie abgeschta sene Approximation an die absolute Wahrheit als die systematisch geordne­te Menge aller möglichen Aussagen über die Welt, ihre Elemente und deren Beziehungen; die Geschichte der Philosophie manifestiert die immer neuen Integrationsmodelle für die jeweils erreichte Menge relativer Wahrheiten (was auch als wahr geltende Irrtümer mit einschließt, solange diese den Ra- tionalitätstypus nicht sprengen) und zugleich die Kritik der Inkonsistenzen dieser Modelle und ihrer dogmatischen Verfestigung. Daß ein bestimmter historischer Kenntnisstand, der insgesamt und als System des Wissens be­griffen, eine relative Wahrheit darstellt, auch Irrtümer einschließt, gehört zu den Impiikaten dieser erkenntnistheoretischen Position; wäre dem

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nicht so, dann gäbe es keine Widerlegung von Theorien und überhaupt nur einen kumulativen Wissensfortschritt. Andererseits wird dadurch aller­dings auch die Interpretation des wissenschaftlichen Prozesses als diskonti­nuierliche Abfolge von prinzipiell disparaten Paradigmen — also die These von Thomas Kuhn11 — zurückgewiesen bzw. wesentlich eingeschränkt. Kuhn anerkennt zwar für die Perioden sog. »normaler Wissenschaftsent­wicklung«, die sich im Rahmen eines herrschenden Paradigmas vollzieht, einen kumulativen Wissenszuwachs; aber beim Auftreten nicht erklärba­rer Anomalien werde das herrschende Paradigma durch ein neues ersetzt, was eine »wissenschaftliche Revolution« darstelle. Demgegenüber möchte Geymonai, in Ausarbeitung des dialektisch-materialistischen Ansatzes, auf diese typologische Unterscheidung verzichten. »An dieser Stelle beginnt sich der Unterschied zwischen Kuhns Auffassung des Wissenschaftswachs­tums und einer Auffassung dieses Vorgangs, die sich am dialektischen Mate­rialismus orientiert, abzuzeichnen. Denn für den dialektischen Materialis­mus ist der Widerspruch der wahre Motor aller Entwicklungsprozesse, also jtuch der Entwicklung der normalen Wissenschaft. Daraus folgt, daß man auch bei der Entwicklung der normalen Wissenschaft von Revolutionen o d e r von »Wendepunkten«, die mit derartigen Widersprüchen Zusammen­hängen, sprechen muß. Schließlich: die These des dialektischen Materialis­mus... ist viel radikaler und reichhaltiger als Kuhns These und zeigt sich im­stande, die gut bekannten Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen Perioden normaler Wissenschaft und den wissenschaftlichen Revolutionen zu vermeiden. Ein Anhänger des dialektischen Materialismus ist natürlich bereit, den revolutionären Charakter aller Entwicklungsstadien, in denen Kuhn einen Paradigmenwechsel sieht, anzuerkennen; er behauptet jedoch, daß auch in den Perioden, die Kuhn Perioden der normalen Wissenschaft n e n n t , wirkliche revolutionäre Vorgänge, wenn auch kleineren Ausmaßes, auftreten«12. Entscheidend in diesem Prozeß ist sowohl die Vermitteltheit jedes neuen Stadiums wissenschaftlicher Erkenntnis (und das heißt: Theo­rienbildung) mit dem vorhergehenden Bestand an Kenntnissen und Theo­rien als auch das Auftreten von Brüchen. Die dialektische Auffassung des Wissenschaftsfortschritts besagt, daß die Dynamik wissenschaftlicher Theorien nicht von Grund auf verstanden werden kann, wenn sie nicht in die Dynamik des »wissenschaftlich-technischen Erbes« eingebettet wird... (Sie) behauptet, daß die Dynamik dieses Fortschritts durch Widersprüche zwischen den neuen und den alten Theorien auftritt« (GBN 172).

Aber auch Brüche und Widersprüche schließen innerhalb des Fortschrei- tens Kontinuität nicht aus. Diese Kontinuität faßt Geymonat durch den Begriff der Vertiefung. »Die Wurzel des Vertiefens als einem mit dem Er­kenntnisvorgang unabtrennbar verbundenen Verfahrens sind eben darin

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zu suchen, daß im Erkenntnisbegriff selbst die Vorstellung vom »Über-H Bekannte-hinausgehen« enthalten ist. Daraus ergibt sich folgende Kon* quenz: Eine wirklich vollständige Analyse des Erkenntnisproblems nicht nur die einzelnen Erkenntnisakte, sondern die Reihenfolge unter$J chen, in der jeder einzelne Akt die von vorhergehenden Akten erreicht Ergebnisse zu vervollständigen und zu vervollkommnen sucht. Mit ren Worten: Das Vertiefen ist zweifellos eine dynamische Phase des £ kenntnisvorgangs, denn sein Wesen besteht im Wechsel von einer Ebene die wegen ihrer Beschränktheit gewissermaßen negiert wird, zu einer and ren Ebene, die im Vergleich mit der ersten insofern überlegen erscheint, sie diese durch ihr Erklärungsvermögen und durch ihre praktische Frucht, barkeit übertrifft (GBN 175). Was gemeint ist, läßt sich an einem Bei$pjtj verdeutlichen: Daß träge und schwere Massen einander entsprechen, kon«. tedie klassische Mechanik nurfeststellen; die Relativitätstheorie lieferte^ Erklärung dafür. Eine »wissenschaftliche Revolution« hat die Erkenntnis deren theoretisches Interpretationsmodell sie überwand, nicht urnges^ ßen, sondern vertieft. Und in der Galilei-Monographie Geymonats finde, sich der Satz: »Die besondere Relativität Einsteins ist nichts anderes alseü)C Erweiterung der Relativität Galileis, das heißt deren Ausdehnung von den mechanischen Phänomenen, die Galilei betrachtete, auf alle natürlichen Phänomene, einschließlich derer der Elektrodynamik und der Optik«».

Es leuchtet ein, daß eine Fundierung der Kategorie Vertiefung der Klä­rung des Status wissenschaftlicher Theorien bedarf. Die Einsicht in den Verlauf der Wissenschaftsgeschichte führte Geymonat von den Positionen des Wiener Kreises und von einer konventionalistischen Wissenschaftsauf, fassung weg. »Zwischen dem Verfahren des Vertiefens und der konventio. nalistischen Interpretation der wissenschaftlichen Theorien besteht offen­sichtlich Unvereinbarkeit. Es hat nämlich keinen Sinn zu behaupten, eine dieser Theorien vertiefe die Kenntnis einer anderen, wenn wir gleichzeitig annehmen, daß sie die Frucht bloßer Konventionen sind. In der Tat lassen zwei Spiele, die nicht auf vollkommen gleichen Regeln beruhen, sich nicht miteinander vergleichen; man kann nicht sagen, daß eines dieser Spiele eine Vertiefung des anderen sei... Es ist unmöglich zu sagen, daß ein Spiel (etwa Schach) ein anderes (beispielsweise Dame) vertieft; denn beide Spiele beru­hen auf unterschiedlichen Regeln und sind infolgedessen nicht miteinander vergleichbar. Von Vertiefung kann man nur dort sprechen, wo eine Theo­rie zur Entdeckung oder Lösung von Problemen führt, die von früheren Theorien überhaupt nicht gesehen oder einfach offen gelassen wurden« (GBN 175 f und 298). Von wissenschaftlichen Theorien und deren Erweite­rung, Vertiefung oder auch Widerlegung zu sprechen, hat nur dann einen Sinn, wenn sich die Aussagen nicht auf vereinbarte und letzten Endes beite*

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big austauschbare Interpretationsmuster beziehen, sondern die Wirklich­keit zu beschreiben meinen. Gerade der seit Galilei präzisierte Unterschied ¿«¡sehen wissenschaftlichen und philosophischen Theorien läßt sich nur jUfrecht erhalten, wenn er auf dem Boden einer objektiven äußeren Wirk­lichkeit gemacht wird, die durch unsere Erkenntnis abgebildet wird. »Die­ser Unterschied besteht zu allererst in dem beschränkten Charakter einer wissenschaftlichen Theorie, die dem universellen Charakter einer philoso­phischen Theorie entgegengesetzt ist. Auch wenn eine wissenschaftliche Theorie die allgemeinen Prinzipien eines ganz weiten Bereichs von Phäno­menen auszusagen sucht, so werden dennoch diese Prinzipien von ihr nicht ds Erklärungsprinzipien für das ganze Universum eingeführt... Die Prinzi­pien einer Wissenschaft können auf eine andere ausgedehnt werden, es han- Jelt sich dennoch immer nur um eine Ausdehnung von wohl determinier­ten Bereichen auf andere wohl determinierte Bereiche und nicht auf die To­talität des Seienden« (G 307). Die Beschreibung des Umfangs einer Wissen­s c h a ft durch Äquivalenz zum Umfangs eines Gebiets von Sachverhalten, die a u s irgendwelchen Gründen konstant denselben Allgemeinheiten sub­sumiert werden können, hat nur dann einen wissenschaftstheoretischen Wert, wenn dadurch reale Gegenstände oder Gegenstandsbereiche abgebil- ¿et werden; sonst hätte jede Disziplin es mit allem Möglichen zu tun. Mit dieser Beziehung auf ein außenweltliches Korrelat ist »strikt verknüpft«, daß eine wissenschaftliche Theorie »vom Wissenschaftler immer als einer experimentellen Beweisführung unterworfen konzipiert wird«; auch die Prinzipien, auf denen eine Theorie beruht, dürfen durch die Erfahrung nicht dementiert werden (G 307). Der Appell an eine Überprüfungsinstanz entspringt jedoch der Absicht, wissenschaftliche Erkenntnisse praktisch auszuwerten, sie also als Leitfaden für Eingriffe in die Natur zu benutzen; a ls bloße Erfindungen in einem Denkspiel nach vereinbarten Regeln waren sie uninteressant. Spätestens seit Galilei ist das Kriterium der Praxis dem einzelwissenschaftlichen Denken inhärent. »Galilei machte sich um Ver­fechter einer Wissenschaft, die sich beherzt allen Anregungen, allen Ent­deckungen, allen neuen Beobachtungsmaterialien öffnete, welche von den Technikern kamen... Die Garantie der Wahrheit wurde dann geliefert durch die ununterbrochene Bestätigung, daß die wissenschaftlichen Geset­ze in der Arbeit der Ingenieure, der Baumeister, der praktischen Arbeiter gehinden werden konnten, das heißt in der Wirksamkeit der Direktiven, die sie dieser Arbeit zu geben vermochten... An die Stelle des Konzepts ei­ner unveränderlichen Wahrheit trat das Konzept der »fruchtbaren« Wahr­heit..., die immer neuen Kontrollen, Berichtigungen und Vertiefungen un­terworfen ist« (G 276). Wiederum war es Lenin, der aus der Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaft (und ihres Selbstverständnisses) mit der

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Aufstellung des »Kriteriums der Praxis« die erkenntnistheoretische Koru. quenz gezogen hat.11

So drängt nach Geymonats Deutung die Reflexion des Wissenschaft) auf sein wissenschaftliches Tun — vor jeder Interpretation durch p h il^ phische Richtungen der einen oder anderen Provenienz—auf eine matCr; listische Erkenntnistheorie; nur unter der Voraussetzung, daß unsere kenntnis ein, wie auch immer partielles und perspektivisch verzerrtes, bild der Natur herstellt, ist nicht nur der Erkenntnisprogress im Ver|w der Wissenschaftsgeschichte, sondern auch die Interdependenz von senschaften und technischer Praxis sinnvoll erklärbar. Die Philosoph steht also vor der Aufgabe, ein Modell der Erkenntnisbeziehung zu ent^J fen, das diese in der Erfahrung sich aufdrängende partielle und tenden*^ wachsende Übereinstimmung zwischen den Wissenschaften und den v0n ihnen beschriebenen und erklärten Sachverhalten plausibel auszudriic^ vermag. Wird das Wesen der Naturwissenschaften in der oben angege nen Weise als dialektisch beschrieben — also bezogen auf die Kategorien <fef Einheit des Mannigfaltigen, der Historizität und der Objektivität — so das zur Folge, daß jene »bewußte philosophische Interpretation«, welcl,e »die Wissenschaft fordert«, eine dialektische Verfassung der Natur selb« konzipieren muß. Das heißt: »Eine materialistisch-dialektische Konzep. tion des Universums wird den Wissenschaftler darauf orientieren, die heit der Natur (den Menschen eingeschlossen) in der wechselseitigen Ver. knüpfung ihrer Teile zu suchen, ohne zu behaupten, daß diese Einheit ir. gend einem vorweg bestimmten Schema entsprechen müsse«15.

Das Prinzip der Einheit der Natur im Verständnis der neuzeitlichen Na­turwissenschaft ist durch den Rationalitätstypus gegeben, der sich in der mathematischen Darstellbarkeit natürlicher Sachverhalte, in der mathema- tisierten Form naturwissenschaftlicher Theorien ausdrückt. Nun scheint indessen gerade die Tendenz zur Mathematisierung der Wissenschaften ei- ner realistischen Deutung entgegenzustehen. Diese Tendenz hängt, wie Geymonat zeigt, von Galilei her aufs engste mit der empirisch-praktischen Ausrichtung des Wissenschaftsverständnisses zusammen. Die Begründung des wissenschaftlichen Wissens auf experimentell überprüfte Erfahrungen kann nicht ausschließlich durch Feststellung von Tatsachen erfolgen. Schon die Experimentanordnunggeht von Vermutungen über Zusammen­hänge aus, die ohne Generalisierungen und allgemeine Prinzipien nicht an­gestellt werden könnten. In die Formulierung von Erfahrungen gehen epi- stemologische Voraussetzungen ein, Regeln des Denkens, Gegenstandska­tegorien, Abgrenzungen. »Galilei weiß sehr wohl, daß solche Prinzipien, deren Formulierung den Gebrauch von wesenhaft theoretischen Konzep­ten erfordert, nicht unmittelbar über Fakten verifizert werden können...

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/fr trifft die Unterscheidung) zwischen allgemeinen, in der Erfahrung n ic h t unmittelbar verifizierbaren Prinzipien und Aussagen, die von diesen P r i n z i p i e n abgeleitet sind und f ü r die es sinnvoll ist, eine unmittelbare fmpirischc Verifikation zu fordern« (G 285 f). Galileis Leistung ist es, daß

Jie allgemeinen Prinzipien, von denen das System physikalischer Aussa- abgeleitet wird, auf die Mathematik gegründet hat. Die Universalität

Jes Postulats, physikalische Verhältnisse und Gesetze durch mathemati­sche Ausdrücke darzustellen, schafft erst den neuzeitlichen Begriff einer einheitlichen Natur und der ihr entsprechenden Wissenschaft. »Für Galilei ¡>i d i e Mathematik der Zement der Wissenschaften und die Garantie ihrer K o h ä r e n z « (G 288). Zugleich wird dadurch die Operationalisierbarkeit w i s s e n s c h a f t l i c h e r Erkenntnisse in der Technik ermöglicht. »Bei der Pro­jektierung einer Brücke, bei der Konstruktion einer Maschine, bei der Be­stimmung der Bahn eines Projektils usw. fordert der Techniker vom Wis­s e n s c h a f t l e r präzise Empfehlungen, die in Zahlen und nicht in mehrdeutige Satze übertragen werden. Nur eine mathematische Formulierung der allge­meinen Gesetze (die zum Beipiel die Proportionalität zwischen bestimm­ten Größen feststellt) erlaubt aus ihnen diesen Typus von Empfehlungen zu gewinnen, die den besonderen Umständen adäquat sind, unter denen sich die einzelnen Fragen praktisch stellen« (G 289). Nun wird aber gerade JieMathematisierung der empirischen Aussagen, ihre Subsumption unter ein g e n e r e l l e s und kohärentes Konzept von strenger Eindeutigkeit nur um d e n Preis erreicht, daß die allgemeinen Prinzipien als ein limitiertes Reper­toire von Axiomen gesetzt werden können, als ob sie durch eine Art Ver­einbarung in der scientific community zustande gekommen bzw. sanktio­niert worden sei (analog der idealen Fiktion der Staatsphilosophen von Hobbes bis Rousseau, die die Staatsgewalt aus dem Gesellschaftsvertrag hervorgehen lassen). Die axiomatische Auffassung von der Natur wissen­s c h a f t l i c h e r Theoriensysteme gilt als starke Stütze für eine konventionalis- t i s c h e Wissenschaftsinterpretation. Dem widerspricht nun Geymonat, oh­ne auf die Vorzüge der Axiomatisierung zu verzichten. Axiomatisierung meint, daß »man unter Struktur eine Menge von Elementen versteht, zwi­schen denen gewisse Relationen festgesetzt werden, die einer Reihe von wohl determinierten Axiomen genügen«, und die Mathematisierung der Wissenschaften hat zur Folge, daß diese Axiome solche der Mathematik sind, das heißt, »daß die Relationen, auf die man sich in der Definition sol­cher Strukturen bezieht, obwohl sie vielfältig genug sein können, alle in d re i fundamentale Klassen eingehen; so gibt es nur drei große Typen von Strukturen: algebraische, solche der Ordnung und topologische« (St VÜI, 409). Geymonat insistiert darauf, daß die Axiomensysteme der Mathema­tik nicht willkürlich entworfen sind, sondern in der präzisen Absicht aus­

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gearbeitet wurden, schon seit Jahrhunderten bekannte Theorien in sei­gerer Form auszudrücken; und daß es unter den Axiomensystemen Be*'11 hungen (logischer und wissenschaftsgeschichtlicher Art) gibt, die es erla'C ben, von der Einheit oder wenigstens von dem organischen Charakter d** Mathematik zu sprechen (vgl. St. VIII, 410). So kommt er zu dem Schlug »D.vs große Gebäude der Mathematik ist, als komplexes Ganzes, nicht et was bloß Konventionelles, sondern etwas »Objektives«, das heißt unabhü gig von der rein subjektiven Tätigkeit des Mathematikers... Diese Objefo- vität stellt sich unter zwei voneinander wohlunterschiedenen Aspekte dar: Der erste betrifft die Objektivität, die wir den einfachen E n titä t (Zahlen, Mengen, Punkten usw.) der einzelnen mathematischen Theorjeil zuerkennen müssen; der zweite dagegen die Objektivität, die wir den orga nischen Komplexen solcher Theorien zuerkennen müssen« (St. VIII, Gerade als präzise Beschreibung von Relationen und Relationensysterne^ hat die Mathematik und die mathematische Formulierung erfahrungs\vi$. senschaftlicher Aussagen und Theorien Erkenntniswert und wird au^ praktisch anwendbar.

Es ist leicht einzusehen, daß die Argumentation Geymonats auf die The. se hinausläuft, die Mathematik drücke auf die eine oder andere Weise die Verfassung der wirklichen Welt aus. Und projizieren wir diese These auf das zuvor dargestellte Verhältnis von absoluter und relativer Wahrheit, so muß man sagen, daß nicht einzelne mathematische Ausdrücke oder Theo­reme, sondern die Mathematik als ganzes diesen Widerspiegelungscharak- ter besitzt und damit Träger einer relativen Wahrheit ist — einer relativen weil sie natürlich nur bestimmte Aspekte der Wirklichkeit abbildet und an­dere außer Betracht läßt. Wiederum führt Geymonat das Kriterium der Praxis ein: »Wenn sich das Instrument (d.h. die mathematische Theorie) in der Tat als wirkungsvoll erweist, so wird die Praxis selbst beweisen, daß die ' Theorie eine reale Grundlage besitzen muß« (St. VHI, 412). Daß die These j vom Widerspiegelungscharakter der Mathematik ein weitreichendes For- ; schungsprogramm herausfordert, das einer epistemologischen und ontolo- 1 gischen Grundlegung der mathematischen Entitäten, Kategorien und Ope- rationen, liegt auf der Hand. In diesem Rahmen wird auch erst eine Bestim- : mung des Geltungsgrads und -bereichs von Axiomen vorgenommen wer­den können.

An Geymonats realistische Interpretation der axiomatischen Systeme anknüpfend, hat Giulio Giorelli die weitergehenden Konsequenzen hin­sichtlich der Dialektik der Natur gezogen. Er weist die konventionalisti- sehe Auffassung von der bloßkunstspracblichen Natur der Mathematik zu- ! rück und macht darauf aufmerksam, daß diese Auffassung zu der gleichzei- ■ tig festgestellten Anwendbarkeit der Mathematik in Widerspruch stehe, ;

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---------------------------------. n u r eine gleichsam kantianische Deutung zulasse, sodaß sich hier ge-

ftiib r dem Pr'ma v,sla vorliegenden Befund zwei idealistische Verschie- k ngen e r g e b e n : Einmal nämlich die transzendentalistische, die besagt:

p i f a n g e b l i c h e logische Struktur der natürlichen Welt sei keine der Natur (tnewohnende Eigenschaft, sondern etwas, das dadurch, daß wir eine ma- Jh^atische Sprache zur Beschreibung der Naturerscheinungen anwen- jfd der Natur aufoktroyiert werde«. Zum anderen die konventionalisti-

|ie’; ,2u der Einsicht in die Nützlichkeit der von der Mathematik geliefer­ten Sprache zur Beschreibung von Naturerscheinungen (im weitesten Sin-

' ni also auch solchen der Gesellschaft, Ökonomie usw.) gesellt sich nun die : Jütische Behauptung, daß die Mathematik eben nur eine Sprache j Demgegenüber hält Giorelli am Realismus fest: »Der Verzicht auf ei­

ne rein sprachliche Interpretation der Mathematik schließt die Annahme ! ejnir wie auch immer gearteten inneren Rationalität der Natur ein, in ge- 1 Weise widergespiegelt durch die Logik, bzw. die verschiedenen Lo*; ¿|ien, die den in verschiedenen Forschungsbereichen erfolgreich ange- | Sandten mathematischen Theorien zugrunde liegen«17. Giorelli beruft ! dafür auf eine These des großen Mathematikers Bernhard Riemann:' .Wann ist unsere Auffassung der Welt wahr? Wenn der Zusammenhang i unserer Vorstellungen dem Zusammenhang der Dinge entspricht. Woraus i jollder Zusammenhang der Dinge gefunden werden ? Aus dem Zusammen- I hang der Erscheinungen«18. Diese These ist natürlich nur auf Relationen

( ziehbar, als Strukturisomorphie von Vorstellungen, Erscheinungen und Diugrelationen. Für die Legitimation eines mathematischen Realismus reicht das aus, und begründet werden kann dieser Realismus durch die Ein­sicht Lenins, daß unsere logischen Kategorien einer jahrtausendelangen Epitomierung aus der Erfahrung entspringen, wie sie in der Arbeit, vor al­len dann in der wissenschaftlichen, vorgenommen wird. Spezieller hat Gio­relli das am Beispiel mathematischer Forschungsprogramme belegt.

So führt die wissenschaftstheoretische Reflexion gerade an dem Punkt, in dem die Wissenschaften in äußersten Maße von Idealisationen Gebrauch machen, auf die Frage zurück, welches der Realitätsgehalt sei, der diesen ideellen Gebilden zugrundliege und sich in ihnen ausdrücke. Läßt sich die Dialektik nur begreifen als die Form des Verhältnisses zwischen dem Sein der Natur und seiner Repräsentation in den Naturwissenschaften? Oder ist die Natur an sich selbst dialektisch strukturiert und ihr Verhältnis zu den Naturwissenschaften nur eine besondere Weise ihrer Dialektik? Und was beißt dann Dialektik?

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Geymonat steigt von der dialektischen Methode in den Naturwü^ ten zu einem dialektischen Begriff von Natur auf, den er als Ent$prJ f r des Gesamtzusammenhangs der durch die Einzelwissenschaften und Verfahrensweisen behandelten (und konstituierten) Gegenstandsber ■l auffaßt. Gerade weil jede Wissenschaft, auch Naturwissenschaft Grenzen im Hinblick auf Totalität zu überschreiten genötigt ist, undd',? Bewegung des Erkenntnisfortschritts nur durch Vermittlung des T r tätsaspekts in Gang gehalten wird, mündet die Methodologie der M„ Wissenschaften in eine Idee von Natur, die den realen Grund für de„ y sammenhang der Wissenschaften und deren Klassifikation darstellt.» gels hat diese Übereinstimmung zwischen dem Status der Wissenschaft und der von ihnen behandelten Gegenstände, also den Widerspiege|Un Charakter der Wissenschaften insgesamt, klar ausgesprochen: »Die Sy!f matisierung der Naturwissenschaft, die jetzt mehr und mehr nötig wj j kann nicht anders gefunden werden als in den Zusammenhängen der & scheinungen selbst«20. Damit ist gesagt, daß die einzelnen Gegenstände <L Wissenschaften, die einzelnen Erscheinungen in Wahrheit nicht bloß^ vermittelt einzelne, gegeneinander abgegrenzte, verschiedene (divers,) sind, sondern in ihrem Sein mit anderen (und prinzipiell mit allen anderen vermittelte, als Systemelemente bestimmte, im Zusammenhang untCf schiedene (differentia).

In diesem Sinne ist die Naturdialektik eine Theorie von der Seinsverfjj. sung der Welt und übernimmt damit die Stelle der Metaphysik im System der Wissensformen und deren weltanschauliche Funktion. Die Dialekt tritt in dieser Hinsicht das Erbe der großen metaphysischen Systeme des Rationalismus, der Systeme der Descartes, Hobbes, Spinoza, Leibniz an (innerhalb deren sich ja auch in der Tat die Dialektik entwickelte).21 Ja, gar die Naturphilosophie — es sei, als hervorragendes Beispiel, nur Sehet ling genannt22 — steht der Dialektik näher als ein Empirismus, der sich auf die protokollarische Beobachtung der einzelnen Erscheinungen I» schrankt. *Es zeigt sich hier handgreiflich, welches der sicherste Weg von der Naturwissenschaft zum Mystizismus ist. Nicht die überwuchernde Theorie der Naturphilosophie, sondern die allerplatteste, alle Theorie ver­achtende, gegen alles Denken mißtrauische Empirie... Man verachtet in der Tat die Dialektik nicht ungestraft. Man mag noch so viel Geringschätzung hegen für alles theoretische Denken, so kann man doch nicht zwei Natur­tatsachen in Zusammenhang bringen oder ihren bestehenden Zusammen­hang einsehn ohne theoretisches Denken«23. Den »metaphysischen« Hori­zont der Dialektik, nämlich das spekulativ-theoretische Element der totali-

2. Gegettstand und Begründung der Dialektik der Natur

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beenden Kategorien und Prinzipien, hatte Engels im Auge, als er Kants Konwp1*011 von ^er Geschichtlichkeit der Natur, der Gewordenheit spe­z i e l l e r Teilsysteme von Welt gegen die bis ins 19. Jahrhundert hinein vor­h e r r s c h e n d e n Zustandsbeschreibungen der Naturwissenschaften in ihr j^ht setzte: »Hätte die große Mehrzahl der Naturforscher weniger von dem Abscheu vor dem Denken gehabt, den Newton mit der Warnung aus- sprichi: Physik, hüte dich vor der Metaphysik! — sie hätten aus dieser einen genialen Entdeckung Kants Folgerungen ziehen müssen, die ihnen endlose A b w e g e , unermessliche Mengen in falschen Richtungen vergeudeter Zeit und Arbeit ersparte... Alles Starre war aufgelöst, alles Fixierte verflüchtigt, alles für ewig gehaltene Besondere vergänglich geworden, die ganze Natur a l s in ewigem Fluss und Kreislauf sich bewegend nachgewiesen«24. Die Me­taphysik» die Engels hier den Naturwissenschaften verschreibt, ist das Den­ken in Zusammenhängen!

Nun scheint diese Orientierung der Dialektik der Natur auf die nicht- empirische Idee des Gesamtzusammenhangs gerade mit dem Verfahren der Einzelwissenschaften in Widerstreit zu liegen, die notwendigerweise ihre Gegenstände (oder auch nur bestimmte Aspekte, Zustandsfolgen usw. die­ser Gegenstände) isolieren, ja oft unter artifiziellen experimentellen Um­ständen isolieren müssen, wenn sie allgemeine Bestimmungen des Besonde­ren ausmachen wollen. Hier kann die Dialektik der Natur keine methodo­logischen Vorschriften machen25—nicht aber aus einer pragmatischen Re­signation, die einfach nur die Erfolge der positiven Naturwissenschaften respektierte, sondern aus selber dialektischen Gründen: Die Konstituion des besonderen Allgemeinen (welches jedes besondere Naturgesetz ist) ge­s c h i e h t als Setzung der Grenzen des Besonderen in der Bestimmung der All­gemeinheit des Allgemeinen als einer solchen, die das den jeweils Besonde­ren zukommende Allgemeine ist; die Beziehung von Allgemeinem und Be­sonderem ist übergreifend, das Allgemeine ist Gattungseiner selbst und sei­n e s Gegenteils, des Besonderen. Die Behandlung des Besonderen als Beson­d e r e s erfordert nun aber gerade die Isolation des Besonderen, und das heißt seine Behandlung mit positiv einzelwissenschaftlichen Methoden; deren Konstitution ist nur als dialektischer Vorgang zu begreifen.26

Der methodologische Aspekt, der ebensosehr die Dialektik im Zusam­menspiel der wissenschaftlichen Methoden27 wie die dialektische Entste­hung der Begründung der Einzelwissenschaften als solcher betrifft, ist je­doch nur die eine (und keineswegs die fundamentale) Seite der universellen Naturdialektik. Hier geht es um den wissenschaftstheoretischen Ausdruck des Subjekt-Objekt-Verhältnisses, um den Sachverhalt, daß das wissen­schaftlich erkennende Subjekt sich im Erkenntnisprozeß — in der Idealität der »reinen« Erkenntnis — von der Subjekt-Objekt-Einheit in der gegen-

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stündlichen Tätigkeit löst und dem erkannten Gegenstand entgegen^ ihn in seiner Besonderheit setzt und dann den besonderen Gegenstand v *’ der mit dem Ganzen der Welt vermitteln muß; es geht also um die refl l tierte Herstellung des Gesamtzusammenhangs, der unreflektiert, mith unbegritten, schon in der einfachen Praxis gegeben, aber noch nicht ver» genständlicht ist. Das methodologische Problem der allseitigen Erfass^ des Gegenstandes entsteht aus der Setzung des identischen besonderen (j genstands und findet seine Auflösung in der Dialektik der Wissenschaft^ insbesondere der Naturwissenschaften, deren Gegenstandskonstituti0 ’ (weil nicht durch die totalisierende Funktion der Zwecksetzung menschjj1 chen Handelns, sondern durch die isolierende Wirkung des Identitätspri^ zips bestimmt) zunächst undialektisch und unhistorisch zu sein scheint« und sich erst bei näherem Zusehen als geschichtlich, im Übergang von ei. nem Zustand zu einem qualitativ neuen Zustand, in Entwicklung nicht in bloßen Wiederholungen) darstellt.29

In der Bestimmung des Verhältnisses der metaphysischen Denkwej* (und das heißt der positivistischen Methoden)30 zur Dialektik liegt dertig maß der wissenschaftstheoretisch-methodologische Aspekt einer allgemcj,nen Dialektik der Natur. Dieser ist jedoch nur das erkenntnistheoretische Äquivalent der ontologischen These, daß die Vielheit der Seienden eine gf. ordnete Menge, eine Welt ist, daß die Kategorie Totalität mithin den realen Gesamtzusammenhang ausdrückt, dessen Idee nicht induktiv, sondern konstruktiv gewonnen wird. Die Seinsverfassung der Gegenstandsbereiche der Natur selbst, wie sie sich in der kategorialen Bestimmtheit naturwisseu. schaftlicher Theorien niederschlägt, ist nur im Hinblick auf die Struktur des Gesamtzusammenhangs, auf ihre Vermitteltheit mit diesem und auf ih. > re Besonderung ihm gegenüber abbildbar und spiegelt sich darum in dem Gehalt von einzelwissenschaftlichen Theorien.31 Die Dialektik der Natur > erschöpft sich mithin nicht in der Dialektik der Naturwissenschaften, ja i letztere ist nicht einmal deren erstes, bestimmendes oder vorrangiges Be- 1 standstück. Vielmehr kann die Dialektik der Naturwissenschaften nur be- | griffen und begründet werden, wenn sie auf die Dialektik der Natur, die in 1 ihr auftretenden Formen des Verhältnisses von Allgemeinem und Besonde- 1 rem, von Ganzem und Teilen, von Relationalität und Substantialität, von \ Wesen und Erscheinung bezogen wird; deren Spezifikation im regionalen ! Aufbau der Natur ist jeweils als Ergebnis dialektischer Produktionsprozeß ' se, ab Ausdruck der Bewegungsformen der Materie zu begreifen.

Daher ist gegen B.M. Kedrows Interpretation des Engelsschen Konzepts 1 Einspruch zu erheben. Kedrow formuliert programmatisch: »Der gesamte Inhalt der Engelsschen Manuskripte zeugt (mit geringen Ausnahmen) da­von, daß Engels in erster Linie die Frage interessierte, wie die Natur vom

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Raschen erforscht und erkannt wird, und nicht der Verlauf der Natur- ’ ro esse selbst, also nicht die ‘ontologische’ Seite der Sache, wie man gele­rnt lieh sagt«” . Kedrow setzt die Akzente allerdings dann an verschiede­nen Stellen unterschiedlich. Das eben angeführte Zitat stammt aus seinen Anmerkungen zur Ausgabe der Engels-Texte und dient der Rechtfertigung ^ v0n ihm gewählten, von Engels’ Konzept abweichenden Titels. An der pichen Stelle heißt es ebenso prononciert: »Engels akzentuiert... also

Hiebt die objektive Dialektik der Natur, sondern die subjektive Dialektik jer Erkenntnis der Natur durch den Menschen, d.h. die Dialektik der Na­t u r w i s s e n s c h a f t e n .« Dies scheint also ganz eindeutig die Interpretationsli- nie zu sein, die Kedrow einschlägt. Wo Engels auf die Realdialektik in der Natur und die Dialektik von Natur als Gesamtzusammenhangeingeht, tut ^ es, so meint Kedrow, zu dem Zweck, den Realitätsgehalt der naturwis­s e n s c h a f t l i c h e n Erkenntnis zu belegen, nicht aber in der Absicht, die d i a ­lek tisc h e Verfassung der Natur selbst herauszuarbeiten: »Um aber diese s u b je k tiv e Dialektik, die Dialektik der Naturwissenschaft, als Widerspiege­l u n g d e r objektiven Dialektik, der Dialektik der Natur selbst aufzuweisen, ¡st Engels gezwungen, auf Schritt und Tritt die Prozesse der Erkenntnis der t fa tu r m i t den Prozessen in der Natur selbst zu vergleichen und in diesem Z u s a m m e n h a n g alle Probleme der Naturwissenschaft (aus der Sicht der D ia le k tik als Erkenntnistheorie) zu behandeln.31 Engels primäres Interesse gälte also einer dialektischen Wissenschaftstheorie.

An a n d e r e n Stellen allerdings, vor allem in dem Vortrag »Engels und die N a t u r w i s s e n s c h a f t e n « von 197134, wird die Parallelität von Dialektik d e r N a tu r und Dialektik der Naturwissenschaften eher von d e r objektiven Sei­te her angegangen. Kedrow spricht hier davon, daß »Engels die Dialektik ¿¿i Natur sowie die Dialektik ihrer Erkenntnis durch den Menschen ent­deckte«15; u n d in dieser Reihenfolge könnte man, ohne Kedrow unrecht zu tun, ein Fundierungsverhältnis erblicken, wie es ja auch einer materialisti­schen A u f f a s s u n g entsprechen würde: auf der Grundlage dialektischer Pro- 2tsse in der Natur und eines dialektischen Zusammenhangs der Naturbe- reiche entstehen spontan dialektische Auffassungen, Theorien und Model­lein den Naturwissenschaften, spontan ein dialektischer Aufbau des Ge­bäudes der Disziplinen (samt der interdisziplinären Treppenhäuser darin), die es n u n erkenntnistheoretisch u n d wissenschaftstheoretisch zu reflektie­ren gilt. Mit Bezug auf den Kerngedanken, den Engels in seinem Brief vom }0. Mai 1873 an Marx referiert, schreibt Kedrow richtig: »Am 30. Mai 1873 stellte Engels die These auf, daß es einen allgemeinen Begriff—‘Bewegungs- form’ - gibt, der sowohl die Energie als auch die lebende Natur und die m e n sc h lich e Geschichte umfaßt. Dieser Begriff gab die Möglichkeit, den Z u s a m m e n h a n g und die Entwicklung sowohl der Bewegungsformen

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!selbst, die das Objekt der w issenschaftlichen Forschung bilden, als auch A diese Formen untersuchenden Wissenschaften auszudrücken«,6. .** Kedrow, meine ich, die interne Struktur des Engelsschen Werks b Werkplans richtig erlaßt. Die Natur gliedert sich gemäß der Spezifik Bewegungsformen der Materie in Regionen (mit Übergängen zwischen \ nen), und diese Gliederung spiegelt sich im Aufbau der Wissenschaften ' objektive Dialektik der Natur und in der Natur ist also an den Wissenschaft liehen Erkenntnissen (formuliert in Hypothesen, Theorien, Naturge^ zen usw.) über die Bewegungsformen des Naturstoffs in den einzelnen • turbereichen und ihrer Entwicklung, das heißt des Hervorgehens ¡m ^ komplexerer Formen aus einfacheren, abzulesen. Wenn Kedrow die be*^ dere Aufmerksamkeit feststellt, die Engels den interdisziplinären Gebiet^ widmete, so tut er das hier ganz mit dem Blick auf die von ihm später Seite geschobene ontologische Seite des Problems: »Es ging dabei um dj( ! Aufdeckung der wechselseitigen dialektischen Übergänge zwischen den verschiedenen Bewegungsformen, die man bis dahin noch als getrennt vo t. einander existierend aufgefaßt hatte, und entsprechend um die Ü berg^ zwischen den sie untersuchenden Wissenschaften«37.

Jedenfalls ist klar, daß die Keimzelle der »Dialektik der Natur«, eben je. ner Brief vom 30. Mai 1873, eine ontologische und nicht eine wissen i schaftstheoretische Blickrichtung von Engels ausweist. Die Wissenschaft*, theorie ist sozusagen ein Derivat der ontologischen Auffassung von der dia­lektischen Verfassung der Natur. Es geht primär nicht um den Aufbau der Naturwissenschaften, sondern um deren Gegenstand. Der Begriff der Be- wegungsform erlaubt es, die qualitative Mannigfaltigkeit der Natur als Ein- j heit zu fassen. Der Begriff wird als Bestimmung der Besonderheit der Kör- per eingeführt: »Die Körper sind von der Bewegung nicht zu trennen, ihre Formen und Arten nur in ihr zu erkennen, von Körpern außer der Bewe. gung, außer allem Verhältnis zu anderen Körpern, ist nichts zu sagen. Erst in der Bewegung zeigt der Körper, was er ist«38. Dem entspricht vollkom­men, daß Engels sich dagegen wendet, von einer »Materie an sich« zu spre­chen: »Die Materie als solche ist eine reine Gedankenschöpfung und Ab- straktion... Materie als solche, im Unterschied von den bestimmten, exi­stierenden Materien, ist also nichts Sinnlich-Existierendes«39. Die weiteren Ausführungen in dem Engels-Brief, die Entwicklung der Bewegungsfor­men der Körper als Geschichte der Natur aus ihrer Bewegtheit zu verstehen und in den naturwissenschaftlichen Disziplinen die Widerspiegelung dieses naturgeschichtlichen Prozesses, der »Spezifikation der Natur« (wie Kant sagte) zu erblicken, enveisen klar das »ontologische« Interesse von Engels. So hat auch Kedrow in dem Vortrag von 1971 das Verhältnis von Physik und Chemie »auf die ‘Spaltung’ des einheitlichen Naturobjekts in seine ge-

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nützlichen Momente und auf deren gegenseitiges Durchdringen« zu- j citgcführt; ebenso dann die Entstehung der biologischen Disziplinen: t£ini andere Art der ’Spaltung’ der Wissenschaften entspricht der Aufspal- iung‘kr s*c^ entwickelnden Natur selbst in polare Zweige — in die unbe- 1 ^ u n d die lebende Natur«. Und er zieht daraus das Resume: »Das sind ei- „jge plastische Beispiele dafür, wie sich die Dialektik der widersprüchli- -hen Entwicklung des Objekts (der Natur) in den heutigen Wissenschaften aiderspiegelt« •

Jm Nachwort zu seiner Ausgabe kehrt Kedrow dann aber das Verhältnis un, Es sei Engels gegangen »um die Darstellung der inneren Logik in der Entwicklung der wissenschaftlichen Naturerkenntnis, die nichts anderes

J s die Widerspiegelung der objektiven Logik der Naturentwicklung selbst«- Und weiter: »Wenn wir alles betrachten, was Engels für das Manu- jfcript der‘Dialektik der Natur’ niedergeschrieben hatte, so wird klar, daß if sich... diese Aufgabe gestellt hatte..., vom Standpunkt der materialisti­schen Dialektik aus die Ergebnisse der damaligen Naturwissenschaften zu resümieren und zu verallgemeinern«41. Diese Deutungsvariante halte ich (5r falsch. Engels wollte zeigen, daß nicht nur die Struktur der menschli­chen Gesellschaft und ihrer Geschichte dialektisch ist, sondern die Struk­tur der Welt überhaupt. Er wollte und mußte dies zeigen, weil er sonst kei­n e n angemessenen materialistischen Begriff von Dialektik hätte geben kön­nen; und aus eben diesem Grunde war Marx auch an dem Engelsschen Vor­haben nicht nur interessiert, sondern betrachtete es als eine notwendige Er­gänzung seiner Arbeiten zur politischen Ökonomie. Es ist daher eine fal­sche Perspektive, wenn Kedrow den Artikel »Grundformen der Bewe- gung«als einen Paragraphen im Zusammenhang der Klassifizierung des Zu­sammenhangs der Wissenschaften auffaßt: »Deshalb gehört der Artikel •Grundformen der Bewegung’, der diesen Zusammenhang und seine objek­t i v e Grundlage (anhand des Verhältnisses von Attraktion und Repulsion) behandelt, in der Tat unmittelbar zu den allgemeinen Kapiteln über den Zusammenhang der Wissenschaften und über die Bewegungsformen«42. Dagegen zeigt die Lektüre des Artikels m.E. unbezweifelbar, daß die wis­senschaftsgeschichtlichen und wissenschaftstheoretischen Ausführungen darin nur zur Untermauerung der »naturphilosophischen« These von der

I Selbstentwicklung der Natur im Zuge der Differenzierung der Bewegungs-I formen der Materie, also der These von der Einheit und Geschichtlichkeit | d e r Natur dienen. Es geht Engels um »das Universum als ein System, als ein

Zusammenhang von Körpern«, und das bedeutet: »Die ganze uns zugängli­che Natur bildet ein System, einen Gesamtzusammenhang von Körpern, und zwar verstehn wir hier unter Körpern alle materiellen Existenzen... Darin, daß diese Körper in einem Zusammenhang stehen, liegt schon ein­

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begriffen, daß sie aufeinander einwirken, und diese gegenseitige Ein • kung ist eben die Bewegung«4’. r'

Entgegen der Interpretation Kedrows möchte ich festhalten: Die Djal i tik der Natur wird philosophisch formuliert in einer allgemeinen Ont i gie des materiellen ¿ in s und in speziellen (regionalen) Ontologiender pna wicklungsstufen der Materie, welche sich im System der Wissenschaften * ihrer Beziehung aufeinander darstellen.44 Erst in zweiter Linie wird dJ** die Klassifikation, der Zusammenhang und die spezifische Verfahrun * weise und Gegenstandsbezogenheit der Wissenschaften — als Ausdr^ eben der vorgängigen objektiven Gliederung der Welt gemäß den Be\v gungsformen der Materie — ebenfalls ein Inhalt der dialektischen Theo ^ von der Natur; der wissenschaftstheoretische Aspekt ergibt sich aus de ontologischen, weil eben die Form der wissenschaftlichen Abbildung d^ Welt die Form der Welt selber widerspiegelt. Cr

Das bedeutet, daß eine Dialektik der Natur sich auf zwei Ebenen entfaj tet: Einmal in jenem allgemeinen und fundamentalen Bereich einer Onto. logie der Natur und der Regionen und Schichten des natürlichen Seins, also einer Ontologie der Bewegungsformen der Materie und der Natun*. schichte; zum anderen in jenen Bereichen der Spezifikation der Natur, die durch die Theorien der einzelnen Naturwissenschaften erschlossen werden und in denen Aussagen über die bestimmte Form dialektischer Prozesse und Strukturen unmittelbar abhängig vom jeweiligen Stand der Wissen, schaftsentwicklung auftreten und folglich auch ganz unmittelbar vorläufig und überholbar sind.45 Allgemeine Ontologien der Bewegungsformen der Materie und der Naturgeschichte unterliegen nicht in derselben Weise wie positiv einzelwissenschaftliche Aussagen der Falsifizierbarkeit, weil diese sich direkt empirisch bewähren müssen, während jene wegen ihres, kon­struktiven transempirischen Gehalts ihre Geltung oder ihr Scheitern erst in der weltanschaulich organisierenden und explanatorischen Kraft des von ihnen repräsentierten Welt modells erweisen, also erst durch selbst wieder dialektisch verlaufende Vermittlungsprozesse auf die einzelwissenschaftli. chen Forschungsergebnisse bezogen sind.46 Die Dialektik der Natur ist mithin kein apriorisches System von Formalstrukturen der Naturberei­che, sondern die Bestimmtheit jener materiellen Prozesse, in denen sich im Rahmen des Gesamtzusammenhangs die Mannigfaltigkeit der Naturseien­den entwickelt und spezifiziert. Als Theorie der Natur ist sie die auf dem je­weils entwickeltsten Niveau der Wissenschaften vollzogene »bestimmte Abstraktion«47 der Relationen der Einzelseienden untereinander und jedes Einzelnen zum Ganzen.48

Wir halten also an der Dialektik der Natur mehrere Aspekte auseinander: 1. auf der Ebene der einzelnen Erscheinungen die Widerspiegelung von de-

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B e z i e h u n g e n untereinander und aufs Ganze und der Unterschiedenheit . Besonderen in den bestimmten Merkmalen und in der strukturellen Verfaßt heit des Einzelnen;

2 auf der Ebene des Gesamtzusammenhangs die allgemeinen Gesetze der ß e n r e g u n g s f o r m e n der Materie und die (spekulativen) Prinzipien der Ver- Knüpfung aller Erscheinungen/’ also der Konstitution des transempiri- * h e n Ganzen;

3 auf der Ebene der Naturgeschichte die Prinzipien der Spezifikation der Natur und des Heraustretens des Menschen aus der Natur, der Entstehung jer Kultur (als naturgeschichtlicher Prozeß) und des Gegensatzes von Na­tur und Kultur als eines Gegensatzes innerhalb der Natur selbst;

4, auf der Ebene der Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie die Wider­spiegelung dieser Prinzipien der Ebenen 1 — 3 in den Kategorien und Theo­rien der Wissenschaften und die Konstitution des besonderen Gegenstan­des und der formalen Logik (als notwendiges Mittel zu Konstitution identi­scher Gegenstände) als ein Moment der gedanklichen Widerspiegelung der realen Dialektik der Natur.50 Erst auf dieser Ebene wird die Dialektik der Natur zur Dialektik der Naturwissenschaften — eben als Widerspiege­lungsphänomen.

Der doppelte Charakter der Dialektik der Natur als Theorie von den dia­lektischen Naturverhältnissen ist also dreifach bestimmt durch die Struk­tur des Gesamtzusammenhangs als solchen, durch die Verfassung von Teil­regionen der Welt in sich und durch das Verhältnis von Teil und Ganzem. Dabei stellen sich die theoretischen Begründungsverhältnisse folgenderma­ßen dar: Für jede endliche Teilregion der Welt strebt die Wissenschaft eine Abbildung ihrer Struktur und Verlaufsgesetze in empirisch überprüfbaren widerspruchsfreien Theorien an, die die begriffliche Entsprechung der Wirklichkeit zu sein beanspruchen. Jede Teilregion ist aber definiert da­durch, daß außer ihr weitere Bereiche der Wirklichkeit existieren, deren Einfluß auf die Teilregion mitbegründend für die tatsächliche (ontische) Verfassung des Partiellen ist. Jedes auf Erfahrung gegründete Wissen schließt darum das Wissen von der Existenz eines nicht empirisch gegebe­nen Ganzen a priori ein — aber eben so, daß die Apriorität nicht etwas von der Erfahrung ganz und gar Verschiedenes ist, sondern aus der Form der Er­fahrung als das von ihr Unterschiedene entspringt; der Unterschied von Erapirizität und Apriorität ist ein Selbstunterschied der Erfahrung, oder genauer: des Erfahrungscharakters des Denken, der Inhaltsbestimmtheit des Logischen. Der Übergang vom einzelnen Wissensinhalt zum Wissen davon, daß dieser im Verhältnis zum Ganzen steht, führt auf dritter Stufe zur Reflexion auf die ontologische Verfassung des Ganzen, die nur in einer spekulativ-konstruktiven Theorie modelliert werden kann, welche aber

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im Rückbezug auf die vorangegangenen Stufen der Vermitteltheit mit Erfahrungsmaterial und seiner begrifflich-theoretischen Fassung bedJt Also: Dialektik der Natur ist keine Theorie neben oder im Widenpn^^ den Naturwissenschaften, wohl aber geht sie als philosophische Konst^i* tion des Gesamtzusammenhangs über die Grenzen und Zuständig^;. der Naturwissenschaften hinaus. Von den Naturwissenschaften her ^ weist sich die Dialektik der Natur als ein weltanschaulicher Horizont m,j j als der Boden einer ständigen kritischen Reflexion ihrer theoretischen funde und ihres methodologischen Instrumentariums; von der Dialektik ! der Natur her erscheinen die Naturwissenschaften als theoretisches Äq j, valent der »Spezifikation der Natur« und die Gegenstände der einzeln^ Wissenschaften als Momente, bzw. Resultate des universellen Naturpro. zesses.

Das in der Naturdialektik liegende spekulative Moment, Konstruktion von iransempirischen Zusammenhängen zu sein, bedarf nun allerdings^ j philosophischen Begründung. Naturdialektik ist als Wissenschaft des G* samrzusammenhangs der materiellen Welt nicht vorausgesetzt, weder axio. marisch gesetzt noch intuitiv eingesehen noch induktiv hergeleitet; son* • könnte sie nur als wissenschaftstheoretische Systemhypothese, nicht aber als ein ontologisches Modell gelten. Vielmehr ist die Naturdialektik philosophische Theorie der Natur (und damit als Erbe der »totalisieren. den« Naturphilosophie im Unterschied von den empirischen Natur^u. senschaften, die Beobachtungen registrieren und ihren Zusammenhang^ schreiben)51 — herzuleiten aus der Theorie von der Widerspiegelung d« objektiven Seins durch das Bewußtsein.

Wenn das Verhältnis von Sein und Bewußtsein gemäß dem Spiegel. Modell begriffen werden darf, so drückt die dialektische Verfassung des: Denkens — ausdrückbar in der Formel von der Identität von Identität und Nicht-Identität — die Verfassung der realen Welt aus. Die Abfolge der V* ; rietät der Perzeptionen (des Bewußtseinsstroms) repräsentiert die Bewegt- 1

heit der mannigfaltigen Welt — und wie unsere Bewußtseinsinhalte gemäß' den Formen des Denkprozesses gebildet sind, so ist die seiende Welt gebfl.! det gemäß den Bewegungsformen des Substrats, der Materie. 52 Aufgrund ■ des Widerspiegelungstheorems ist die Dialektik der Natur im Rückschluß! aus der Dialektik des Denkens zu gewinnen, ohne dabei in eine subjektiv.' idealistische Konstitutionstheorie verfallen zu müssen.53 j

Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß dieses Rückschlußverfahren kei-: nesfalls eine ontologische oder gar ontische Priorität des Denkens voraus- setzt, sondern gerade daraus seine Überzeugungskraft gewinnt, daß du Denken als Widerspiegelung, das heißt als die Form der Erfahrung von; Wirklichkeit, begriffen wird. Weil eben in die Form der Erfahrung das'

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ilhersehreiten je(jcs bestimmten Erfahrungsgehaltes eingeht und weil es . dieses Überschreiten überhaupt keine Erfahrung gäbe — ist die Dia-

fktik des Denkens (die Fortbestimmung des Begriffs) als Modell der Dia­lektik der Natur (der Gesamtheit der Erfahrungsgegenstände) aufzufassen; Jiii *ri ^er ^orm ^er Re^exi ° n der Reflexion, also des Denkens. Denkens oder des Begriffs des Begriffs. Die Gesetze des Denkens sind jif Gesetze des Zusammenhangs der Seienden, also der Natur. Es gibt nicht ^-eierlei Dialektik, sondern nur die Dialektik der Natur, die sich im Den­ken der Erfahrung darstellt.

Die Dialektik der Natur hat es primär mit der Natur im ganzen, erst se­kundär mit dialektischen Verhältnissen in der Natur zu tun. Daran möchte -h (esthalten, auch wenn uns zum Beispiel die moderne Biologie zu zeigen

vermag, was es mit der Dialektik in der N atur auf sich hat.54 Denn ich mei­ne, die dialektische Verfassung von Teilbereichen der Natur (wie sie auch konkret in den Regionen des Naturseins aussehen möge) wird immer nur von der jeweiligen Forschungslage der diesen Teilbereichen entsprechen­de wissenschaftlichen Disziplinen bestimmt werden können, ihr Status bleibt kontingent, der einer venté de f a it . Die Begründung der Dialektik der Natur aus dem wesentlichen Verhältnis von Gesamtzusammenhang und Teilbereichen, von Allgemeinem und Besonderem, von Identität und Nicht-Identität, von Einheit und Gegensatz usw. ist jedoch deduktiv strin­gent und eine venté de raison.55 Darum scheint es mir selber eine dialekti- jthe Notwendigkeit, eine Notwendigkeit dialektischen Denkens zu sein, daß die Dialektik der N atur der Dialektik in der Natur der logischen Ord­nung wie der ontologischen Fundierung nach vorangeht und daß diese Priorität eine wesentliche und unverzichtbare Position innerhalb einer ma­terialistischen Philosophie ist.56

X Grundkategorien der Naturdialektik

Lassen wir hier also die Dialektik in der Natur als ein weites Feld der Ver­mittlung von Philosophie und Einzelwissenschaften beiseite und konzen­trieren uns auf einige konstitutive Aspekte der Dialektik der Natur! Schon Leibniz hatte aus allgemein dialektischen Erwägungen heraus die Bewe­gung als eine notwendige und wesentliche Eigenschaft der Materie ange­nommen,57 die Welt als ein selbstbewegtes System konzipiert und damit zugleich die Frage nach dem Anfang der Bewegung aus der Ruhe abgewie­s e n , vielmehr die Ruhe als einen Sonderfall von Bewegung aufgefaßt.58 Sei­n e Argumentation läuft darauf hinaus, daß unsere Erfahrung (Perzeption) von Mannigfaltigkeit, weil sie eine Abfolge von verschiedenartigen Perzep­

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tionen und also den Übergang von einer Perzeption zur nächsten, von l verschiedenen, einschließt, die Welt überhaupt nur als eine bewegte s' verändernde darstellen kann.''* Leibniz kommt damit schon der E n ^ sehen Konzeption sehr nahe, die qualitative Vielfalt der Welt als Ausdn. l der verschiedenartigen Bewegungsformen der Materie zu verstehen rv Realität des Seienden liegt darin, Kraft (force) oder Vermögen (puissan \ zu sein, und Kraft oder Vermögen wird definiert als »das, was es in ein gegenwärtigen Zustand gibt, der in sich eine Veränderung für die Zuky t enthält«'*3. Damit ist ausgesprochen, daß die Materie bzw. die Natur ei Geschichte hat, weil sie zeitlich ist (in der Form der Zeitfolge existiert)yj daß diese konstitutiv für das Sein der Welt ist.

Wir brauchen den Leibniz-Gedanken hier nicht weiter zu verfolgen; unseren Zusammenhang genügt es, daß darin die unlösbare Verbindung von Materie, Bewegung und Zeitlichkeit ausgesprochen und in der fond** mentalen Seinsweise der Materie, Kraft (in dem definierten Sinne) zu $ei„ hindien ist. Nun muß die Konzeption der universellen Bewegtheit der Kfo terie—Bewegung als Dasein weise der Materie—auf die Frage führen, da eigentlich sich bewegt, wie das Substrat der Bewegung zu denken sei oder welche Identitäten (Invarianzen) in die Darstellung von Bewegungen (Veränderungen) durch Beziehungssysteme mit einer Zeitdimension einge, hen müssen und was sie bedeuten. Für eine materialistische Deutung der Wirklichkeit reicht es ja nicht aus, daß wir Gesetze formulieren, durch die wir den Zusammenhang beobachtbarer Erscheinungen ausdrücken; son- dem wir müssen den Widerspiegelungscharakter solcher Gesetze bestim. men, den Widerspiegelungsmodus angeben können.

Gesetze, die Beziehungen oder Verhältnisse formulieren, machen Aussa- gen über die Struktur oder Verhältnisse von etwas. Im Begriff der Bezie­hung oder des Verhältnisses sind Substrate, die in solche Beziehungen oder Verhältnisse eingehen, unausweichlich mitgedacht — und dieser begrifft che Sachverhalt läßt sich auch nicht einfach als eine Sprachgewohnheit oder makrophysikalische Analogie abtun, wenn überhaupt wir die Denk­formen, Begriffsformen, Kategorien als Äquivalente von Formmomenten der Wirklichkeit nehmen wollen (und ich wüßte nicht, wie ohne diese Äquivalenzbehauptung ein materialistischer Erkenntnisbegriff auszusehen hätte). Eine materialistische Philosophie kommt also nicht darum herum, den Materiebegriff zum Substanzbegriff in Bezug zu setzen. Ich kann nicht sehen, wie die Materie voll und ganz in die sie konstituierenden Beziehun­gen soll aufgelöst werden können, ebensowenig wie an »einer letzten, un­veränderlichen Substanz, die allen materiellen Eigenschaften zugrunde lie­gen soll«61, festgehalten werden kann. Mir scheint, daß dieses Problem schon dem Leibnizschen Substanzbegriff zugrunde liegt,62 der einerseits da­

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r-h definiert ist, daß die einzelne Substanz (als qualitativ von jeder ande-

^U,C- ischiedene) nur ist, was sie ist, vermöge aller Beziehungen, in denen ^stcht und die sie in sich gemäß ihrer singulären Perspektive ausdrückt *5 widerspiegett; andererseits aber kommt die Fähigkeit der Widerspie-

Inc und des In-Beziehung-stehens einem Wirklichen zu, das — wenn h durch nichts anderes als eben dieses Ausdrücken bestimmt — an sich

als reeller Knotenpunkt der Beziehungen existiert (aristotelisch ge- als .ln-Möglichkeit-sein« — dynamei on — aller seiner Eigenschaften),

d aus diesem Grund führt Leibniz den metaphysischen Begriff der Kraft , ^ der das aktive An-sich-selbst-sein des Einzelnen, das durch alle seine

Vermittlung ist und geworden ist, bezeichnet. Der (schon oben herangezo- i Leibnizsche Begriff der Kraft kann als ein Indiz für das hier auftreten-

j Problem der Dialektik von Substanzialität und Relationalität (als Wider- ieeelungsmomenten oder Aspekten des materiellen Seins) gelten.Weisen wir auch einen Materie-Begriff zurück, der ganz und gar in die Be­

ziehungen und Vermittlungen, die ein materiell Seiendes konstitiueren, ¿tufgelöst wird, und halten wir auch an einem substantiellen Moment fest, das dem singulären materiellen Seienden zukommt, insofern es als singulä- resUnd identisches Dieses-da bestimmbar und bestimmt ist, so darf eine sol­che Auffassung doch keinesfall in eine Substanzen-Metaphysik Umschla­g s die einen geheimnisvollen Träger der Eigenschaften und Beziehungen, gleichsam ein leeres Sein-an-sich, vor allen inhaltlichen Bestimmungen an- ilinutK- Wenn gesagt wird: »Alle materiellen Objekte sind ihrem Wesen nich Systeme, die aus Elementen und stabilen Beziehungen zwischen die­sen bestehen und die somit eine bestimmte Struktur besitzen«63 — so sind

! mjt den Termini »materielles Objekt« und »Element« substantielle, mit dem Termini »System« und »Struktur« relationale Aspekte angesprochen;

; zugleich ist gesagt, daß diese Aspekte nicht voneinander losgelöst werden | können. Eine Substanz ist Substanz nur, insofern sie als diese Substanz be- i stimmt ist in ihrem So-sein durch ihre Beziehungen zu anderen Substan- i uta; ihre Substantialität ist ein materielles Verhältnis. Doch eine Struktur | ist nur eine Struktur, insofern sie ein geordnetes Beziehungssystem von 1 Elementen ist; ihre Relationalität ist ein Verhältnis von Materiellem. Darin I scheint ein Widerspruch zu liegen: D as Materielle wird als Verhältnis be- i griffen, das Verhältnis dagegen als eine Beziehung von Materiellem. Hier ! reproduziert sich die aus der Philosophiegeschichte wohlbekannte Mate- ■ rie-Form-Dichotomie mit der innerhalb dieses Dualismus nicht auflösba­

ren Schwierigkeit, zu sagen, was eigentlich die materia prima sei. t Die Bedeutung der Leibnizschen Monadenkonzeption liegt darin, ein* Modell entworfen zu haben, in dem diese Dichotomie aufgehoben wird.| Die individuelle Substanz wird als Widerspiegelung begriffen. Sie ist nichts!I

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rals das, was sie gemäß ihrer einmaligen Stellung im All und gemäß Verhältnis 7u allen anderen Monaden spiegelt oder ausdrückt. Sie ¡st j*? niert als ein Verhältnis, und das gilt für jede Monade. Wären aber alle KIq den nur Verhältnisse, so gäbe es ja nichts in dieser Welt, was diese Verh i* nisse eingehen würde; zur Widerspiegelung gehört ein Spiegel, der spi*, ¡' Der Spiegel aber ist selbst nichts als eine spiegelnde Fläche und inhaltlji nur bestimmt durch das, was er spiegelt. Die Substantialität der MoqjjJ liegt darin, daß sie Spiegel ist (und das heißt aber auch das Vermögen, et^ auffassen zu können, die Kraft, sich auf etwas zu richten — puissan^ ' force). Das, was sie ist, die Bestimmtheit ihres individuellen Seins, erhält i' aber nur durch die und in der Form der Beziehungen, in denen sie steht*

Das Modell taugt für eine materialistische Dialektik. Der Substanz^ rakter der Materie wird dadurch begriffen, daß sie Spiegel ist — und i Spiegel könnte man wiederum definieren als das real existierende Möglichkeit-Sein (Potenz-Sein, Kraft-Sein) für das Aufnehmen von Be^ hungen; die Bestimmtheit des materiell Seienden kommt ihm aber allej- dadurch zu, daß es ein Verhältnis darstellt.M Anders als durch die Spie»e|. Metapher läßt sich die Aufhebung der Dichotomie von Substantialität un<j Relationalst nicht aussagen; der Spiegel aber ist diese Aufhebung, er re^ sieit an sich selbst das dialektische Verhältnis von Substantialität und Rc| tionalität, er ist anschaulich ein materielles Verhältnis. Indem ich dje Spiegel-Metapher hier mit der Absicht terminologischer Strenge—als ein« | •exakte Metapher« — gebrauche, gewinne ich einen dialektischen Materie, i begriff. Eine dialektische Materiekonzeption ist eng mit dem Widerspieg ' lungstheorem verknüpft.65

Die Materialität der bewegten Welt ist, wie wir gesehen haben, wirklich ' in der Vielheit der aufeinander ein wirkenden, also »auseinander« seienden ■ Körper. Erscheint die Einheit der Welt intensional im spekulativen Begriff ' so stellt sie sich dar (im aktiven Sinne des Wortes) als res extensa in der rauifc ■ liehen wie zeitlichen Erstreckung. Raum und Zeit sind die realen Erschei- nungsformen der bewegten Materie. '■

Es so zu formulieren, heißt allerdings erst, das Problem stellen, nicht 1 schon, es auflösen. Denn was ist in der Natur eine reale Erscheinung*. * form ?<* Sagt Erscheinung nicht gerade etwas aus, was von einem realen An- 1 sich-sein verschieden ist! Gehört zur Erscheinung nicht das Subjekt, dem ; etwas erscheint — also hier vielleicht der messende Naturwissenschaftler?67 Wie wäre der ontologische Unterschied zwischen dem realen An-sich-sein der bewerten Materie und ihrer realen Erscheinungsform als räumliche und zeitliche zu bestimmen? Können wir zum Beispiel mit dem Leibniz- schen Begriff des »phaenomenon bene fundatum«, der genau auf diesen Un­terschied zielt, etwas anfangen? Das sind Fragen, deren Beantwortung

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finf ausgearbeitete Theorie des Komplexes Materie-Bewegung-Raum-Zeit e r f o r d e r t — und zwar sowohl als Kategoriensystem des extensionalen Den­kens wie auch als wissenschaftstheoretische (metatheoretische) Reflexion naturwissenschaftlicher Weltmodelle; und beide Gesichtspunkte sind nicht voneinander zu trennen.

Es versteht sich von selbst, daß dies nicht die Aufgabe eines Unterab­schnitts des vorliegenden Buches sein kann. Wohl aber ist die Benennung dieser Probleme wichtig, weil sie Indices für Widerspiegelungsprozesse und .modi, einmal auf der Ebene des Naturseienden selbst, zum anderen auf der Ebene der Abbildung der Natur durch das wissenschaftliche Erkennen, darstellen. So sagt zum Beispiel die relativistische Raum- und Zeit-Auffas­s u n g etwas über das (“ objektive” ) Widerspiegelungsverhältnis der in einer Lage zueinander befindlichen Systeme aus, die Newtonsche Auffassung, obwohl (oder vielmehr weit) sie ein An-sich-sein von Raum und Zeit an­n im m t , hingegen stellt eine (“ subjektive” ) Erkenntnisbeziehung dar, sie ist Korrelat eines Mess-Systems.68 Kant hat das, meine ich, richtig gesehen, wenn er die Absolutheit von Raum und Zeit von Newton (als »Sensorium Gottes«) in die Apriorität von Raum und Zeit als transzendentale Anschau­ungsformen verwandelte. Kants erkenntnistheoretischer Idealismus erweist sich auf dem wissenschaftsgeschichtlichen Stand der Naturerkenntnis (also historisch relativ) als wissenschaftstheoretischer Realismus — denn er zer­stört Newtons quasi-theologische Illusion vom metaphysischen Charakter der Absolutheit von Raum und Zeit und reduziert diese Absolutheit kri­tisch auf einen transzendentalen Charakter, also auf die (nun allerdings se lb st wieder absolut gesetzte) Position des anschauenden, beobachtenden Subjekts.

Kant hat (auf das Subjekt bezogen) Raum und Zeit voneinander abgeho­ben als Anschauungsformen der äußeren Sinne und des inneren Sinns; was mir in der Erfahrung als außer mir seiend gegeben ist, erscheint als im Rau­m e seiend, von mir räumlich unterschieden; die Zustände meines Bewußt­seins hingegen werden als unterschiedene nur nacheinander, also in der Zeit erfahren. Da alles, was mir durch äußere Sinne gegeben ist, in mir als Bewußtseinszustand erscheint, ist die Zeit jene Anschauungsform, die prin­zipiell auch noch den Raum umfaßt: alles Räumliche ist auch noch in der Zeit. Mit dieser Interpretation von Raum und Zeit als den subjektiven Be­dingungen der Anschauung konnte Kant den für die newtonsche Mecha­nik aus meßtheoretischen Gründen unerläßlich »absoluten« Charakter von Raum und Zeit gegenüber den »darin« auftretenden Gegenständen be­wahren und doch dem Leibnizschen Ein wand Rechnung tragen, es handele sich dabei nur um Phänomene, die die Ordnung der Seienden in ihrem Ver­hältnis zueinander ausdrücken.

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E* ist bekannt, daß die Relativitätstheorie an die Leibnizsche A u ffa^ wieder anknüpft. Neu tons Entscheidung war bei dem damaligen St ^ • der Wissenschaft die einzig mögliche und insbesondere die einzig fruchHk * re. Aber die spätere Eni wicklung der Probleme hat über einen Umweg j * zu jener 7eit kein Mensch ahnen konnte, dem intuitiv begründeten, aL* mit unzureichenden Argumenten gestützten Widerstande von Leibniz u j Huvgens Recht gegeben-, schreibt Einstein.69 Daß damit Raum und Z nicht mehr als Ansc/u««»igyformen des Subjekts, sondern als Daseinsfc men der Materie gelten, weist ihnen ihre Stellung in einer materialistisch j Naturdulektik an. Der französische Atomphysiker Pierre Jaeglé nimmt dj** klassische und die relativistische Physik, die in gewisser Weise ein theoretj* 1 sches Kontinuum bilden, als Ausgangslage für eine philosophische Klärun I der Kategorien Raum und Zeit und läßt die quantenmechanischen IntJ* i pretationen beiseite, weil sie noch nicht philosophisch Verallgemeinerung*, j fähig seien.70 j

Er geht davon aus, daß es eine Grunderfahrung unseres Denken ist, daß ¡ wir eine Vielheit immer als ein Ganzes zu denken vermögen, ja denken ! müssen; denn wir setzen, indem wir denken, das eine mit dem anderen in ! Beziehung und erfassen so die Vielheit als eine Einheit aus Teilen. So ent. ■ springt der Raumbegriff vor jeder physikalischen Theorie: »Der stabile m». ! terielle Gegenstand, als ein Ganzes betrachtet, ist seinerseits nur die Verbin- dung der Teile, aus denen er sich zusammensetzt. Die Möglichkeit, die Be- • standteile eines Ganzen zu unterscheiden, beinhaltet folglich die Vorstel- ' lung dessen, was sie trennt, ihres Unterschiedes, und die Existenz der 'Tei- - le’ des ‘Ganzen’ spiegelt sich wider im Begriff des Raumes, in dem die Teile 1 sich verteilt finden. Da der Gegenstand nicht nur als Gesamtheit seiner Be* ¡ standteile, als ein ‘Ganzes’ betrachtet werden darf, sondern auch selbst als einer der Bestandteile einer umfassenderen Gesamtheit, als Teil, erstreckt i sich die Kette des Gegensatzes zwischen dem ‘Ganzen’ und den ‘Teilen* von der mikroskopischen Welt bis zur Welt der entferntesten Himmels, körper, d.h. bis zur gesamten bekannten Materie. Jeder materielle Gegen* stand ist gleichzeitig ein aus Teilen zusammengesetztes ‘Ganzes’ und ein zu einem größeren Ganzen gehörender Teil«71.

Hier wird Raum gefaßt als die ideale Totalität aller möglichen Örter (bei Aristoteles, Physik IV, »topoi«); an denen sich Einzelnes als getrennt von anderen Einzelnen befinden kann. Der Begriff des Ortes hat jedoch nur ei­nen Sinn in Bezug auf Körper, Panikei, Seiende (Aristoteles Phys. 208 a 29; I onta einai pou — daß Seiende wo sind), die diesen Ort oder einen anderen einnehmen können und prinzipiell überhaupt einen O rt einnehmen müs­sen. Allerdings zeigt schon der Sprachgebrauch in der aristotelischen Kate­gorienlehre einen Umschlag von der Vorstellung des Ortes in die des Be-

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k Itnisses an: pou (wo) wird bestimmt als en Lykeio, en agora (im Lyzeum, idem Markt), woraus dann die Aporien des aristotelischen Ortsbegriffs

,ü stehen (Phys. 210 b 36: proton periechon — erstes Umfassendes),72 Die ^•ei entgegengesetzten Raumvorstellungen hat Einstein treffend resu-2 ert: »A) Lagerungsqualität der Körperwelt. B) Raum als ‘Behälter’ aller ü'irtwrlichen Objekte. Im Falle A) ist Raum ohne körperliches Objekt un­denkbar- Im Falle B) kann ein körperliches Objekt nicht anders als im Raum gedacht werden; der Raum erscheint dann als eine gewissermaßen ¿er Körperwelt übergeordnete Realität«71. Der hier angesprochende Ge­

nsatz wird nicht durch naturwissenschaftliche Theorien über den Raum jüsgetrigen; er liegt vielmehr in der prinzipiellen Dialektik von Anschau­ung des Endlichen und Begriff des Unendlichen, die der Definition des res f!Ctensa und der Idee einer Menge aller res extensae anhaftet.74 Eine empiri- jjische Naturauffassung, die glaubt, nur fortschreitend vom Einzelnen stückwerkweise und summativ zu einer, dann »transzendenten«, Idee des Ginzen kommen zu dürfen, wird erkenntnistheoretisch der Antinomie nicht entrinnen können, wie auch immer die Naturwissenschaften ihre Raumauffassung, sei es mikrophysikalisch, sei es astrophysikalisch, formu­lieren mögen.

Jaeglk Interpretation besage nun, die Tatsache, daß Raum und Zeit in der Relativitätstheorie ein gemeinsames Maß haben, aber Vektoren, die spezi­fisch für den Raum und Vektoren, die spezifisch für die Zeit sind, sei eine Widerspiegelung des Grundwiderspruchs der Ausgedehntheit, Teil und Ganzes» Vielheit und Einheit als Einheit denken zu müssen; und zwar drücke sich zunächst und generell dies darin aus, daß der Raum die Erschei­nungsform der Vielheit, die Zeit hingegen die Erscheinungsform der Ein­heit sei. Vom Raum haben wir schon gehört, daß er die Ordnung ist, in der die Vielheit des Materiellen an verschiedenen Ortern auftritt oder präsent ist. Die Relativitätstheorie macht von dieser Raumauffassung Gebrauch und kann die klassische Mechanik Newtons sich subsumieren, indem sie die euklidische Geometrie als Spezialfall einer allgemeinen Geometrie ge­krümmter Räume erweist, deren verschiedene Variationen (Lobatschews­ki, Euklid, Riemann) verschiedenen Massendichten (also den Eigenschaf­ten des elementarsten materiellen Verhältnisses) entsprechen. ,

Aus dieser als Ordnung gedachten Mannigfaltigkeit der materiellen Sub­stanzen, welche Mannigfaltigkeit wir Raum nennen, entspringt nun die Vorstellung der Zeit, die sich im »Augenblick« der räumlichen Gegenwart von allem manifestiert: »Es widerspiegelt sich im Begriff des überall identi­schen Moments auf direkteste Weise die als Ganzes betrachtete Materie, der Gesichtspunkt der Einheit... Der Augenblick ist vor allem anderen das als Ganzes gedachte Universum«75. So wird die Einheit der Materie unter der

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Kategorie der Zeit, ihre Vielheit unter der Kategorie des Raumes gefaßt j dieser allgemeinsten Formulierung erweisen sich Raum und Zeit als t * scheinungstormen der widersprüchlichen Aspekte des Materiellen gleich kontinuierlich, ganz, einheitlich und diskontinuierlich, g e te ilt^ heitlich ?u sein.’'*

Nun bleibt es aber nicht beim Augenblick, wenn dieser auch das k o ^ tutive Moment der Zeit ist und am ehesten dem entspricht, was Leibnkej nen »metaphysischen Punkt« nannte. Indem aber das Nacheinander <J ! Ereignisse, deren Simultaneität im Augenblick die Welt im ganzen bezeig ■ net77, als Abstand der Ereignisse voneinander distinkt und damit nießbj, wird, entspringt aus den Ereignissen (materiellen Fakten) die Zeit als i er, als Daseinsform der Bewegung7®, die wiederum die »Zerstörung der Eig I heit* (nämlich die Identität von Identität und Nicht-Identität) ist.79Sogeht 'l die intensionale Einheit der Welt im Augenblick in die extensionale Vje|, I heit der Dauer über dann und nur dann, wenn an einem Ort innerhalb d«r * Welt (einem »Weltpunkt« in der Terminologie Minkowskis) die Zeiidj. i mension mit 0 angesetzt wird und sich im vierdimensionalen System be- i wegter Materie alle anderen Orte dann auf einer Ereignisstrecke (einCr j »Weltlinie«)*3 befinden. Die Zeit ist definiert durch das System bewegtcr I materieller Entitäten von einem durch den Standort des Beobachters gc. ! setzten Bezugspunkt aus. »Wir können also folgendes Ergebnis festhalten- i jedesmal, wenn man ein Bezugssystem wählt, wählt man einen Teil der M* i terie aus, und dieser wird durch das Bezugssystem symbolisiert. Wenn man in der Relativitätstheorie die Definition des Moments an die Wahl eines Be- zugssystems bindet, so bedeutet das, daß die Materie nur dann als G a n z « betrachtet werden kann, wenn man den Standpunkt eines ihrer Teile ein­nimmt. Damit gibt es keinen Platz mehr für die metaphysische Zeit, die i® Idealen, ohne Bezug zur Materie vergeht«81. Und wie die Zeit vom Moment zur Dauer übergehend aus der Einheit in die Vielheit umschlägt, so der Raum, indem die Lage eines Orts durch Entfernung vom Bezugspunkt des Systems (=> Aspekt der Vielheit) und durch den Winkel zur festen K oord i­natenachse (= Aspekt der Einheit) bestimmt ist. »Vom Begriff der Entfer­nung haben wir bereits gesagt, daß er ermöglicht, die Teile eines Ganzen zu unterscheiden... Der Begriff der Entfernung drückt folglich am direktesten die Seite der Mannigfaltigkeit der Dinge im allgemeinen Widerspruch, der den Kern unserer Analyse darstellt, aus. Aber dem Begriff des Winkels eig­net seinerseits eine bekannte Eigenschaft: sie besteht in seiner wesentlich/*- riodischen Natur. In der Tat definieren zwei Winkel von 360 Grad genau die gleiche Richtung; man kann dem ersten Winkel beliebig oft 360 Grad hinzufügen, und trotzdem ändert sich nichts an der Position des festgeleg­ten Punkts. Infolgedessen kommen wir mit dem Winkel zum Gegenpol des

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* Spruchs, nämlich zur Periodizität, die die Betrachtung der Materie \ ' fin Ganzes begründet, oder mit anderen Worten: zum Pol der t heit*w- Aber auch hier ist der O-Punkt, von dem aus die Entfernung zu

” , und in dem der Winkel abzutragen ist, der beliebige Standort des Beobachters innerhalb der Welt; es gibt keinen ausgezeichneten Ort Got-

Oder: die unendliche Sphäre kann überall ihren Mittelpunkt haben.83 !<lm Hinblick auf die Rolle des Beobachters, des Subjekts, vollzieht sich in-

haJbder Physik von Newton bis Einstein also eine wesentliche Verän­dert» des Konzepts: Newton beschreibt die Welt, als betrachte der Wis-

^chaftler sie von einem Standort außerhalb ihrer. Er muß darum den Raun» absolut setzen und die materielle Welt «im« Raum «»enthalten« sein lojsen. Der »Raum als Sensorium Gottes« ist keine Metapher, sondern be-

chnet genau die Äquivalenz von naturwissenschaftlichem und theologi­schem Prinzip der Totalisierung der Welt von außen. Und sie muß dies ^n, wenn sie ihren Weltbegriff extensional bildet und damit dem Dilem- mader »schlechten Unendlichkeit« verfällt, deren Linearität die Extrapola- ( j o n e i n e s Anfangs erfordert, wenn Totalität gedacht werden soll. Hier sind die Bemerkungen von Engels erhellend, der über die Unendlichkeit schreibt: »Die wahre (Unendlichkeit wurde) schon von Hegel richtig in

erfüllten Raum und Zeit gelegt, in den Naturprozeß und die Geschich­te Jetzt auch die ganze Natur in Geschichte aufgelöst, und die Geschichte uiirals Entwicklungsprozeß selbstbewußter Organismen von der Geschich­te der Natur verschieden. Diese unendliche Mannigfaltigkeit von Natur und Geschichte hat die Unendlichkeit des Raumes und der Zeit — die schlechte — nur als aufgehobenes zwar wesentliches, aber nicht verwiegen­de Moment in sich«84. Hier wird der »schlechten Unendlichkeit« bloßer Ausdehnung die intensive Unendlichkeit der Qualitäten und Verhältnisse entgegengesetzt, deren Charakter die Unausschöpfbarkeit ist. Die reine Ex- tensionalität führt auf den »ersten Beweger« des Aristoteles, dem physika­lisch der »archimedische Punkt« entspricht; beide befinden sich außerhalb des Weltsystems. Demgegenüber betrachtet Einstein (wie schon Leibniz) die Welt von einem Standpunkt innerhalb ihrer. Das heißt, wie schon ge- ygt, »daß die Materie nur dann als Ganzes betrachtet werden kann, wenn man den Standpunkt eines ihrer Teile einnimmt«85 — also wenn man eine Monade ist. (Ich halte diese Formulierung für zentral, wenn man eine mate­rialistische Dialektik als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs entwer­fen will). Raum und Zeit werden Verhältnisbestimmungen in einem inner­weltlich zu entwerfenden Bezugssystem, der Standpunkt (oder wie Leibniz sagt: point de vue) ist wesentliche Bestimmung der Widerspiegelung der Welt im Beobachter.

Damit ist als jeweils kleinste Einheit für den Raum nicht der Ort, son-

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dem die Lagebestimmung konstitutiv, für die Zeit nicht der Zeitpuni. sondern die Lageveränderung. Beide sind nur qualitativ zu bestimmen aL 1 so, daß ihre Beziehung quantitativ ausgedrückt werden kann. Genau d ist der Meß-Vorgang, der in Hegels »Logik« durch die Kategorie des »Xi'5 lies« gefaßt wird; in Hegels Worten: das Maß ist die »qualitativ definje Quantität«*4. Jaegli sieht darin die genaue Wiedergabe des Typus physij scher Erkenntnis. Durch die Beziehung auf Hegel wird die grundlegClJ Tätigkeit des Physikers, das Messen, herausgenommen aus der bloßen \ jektivität des Beobachters, der mit seinen Instrumenten ein System biU. das den Gegenstand seinen Fragen (oder Zwecken) gemäß zurichtet. Vje|' mehr ist im Anschluß an Hegel das Maß nun die Kategorie der Vermiß heit des Menschen mit der Objektivität, an der er selbst teilhat, und di Willkür beim Festsetzen der Maßeinheit wird korrigiert durch die in £ Maßverhältnisse eingehenden Naturkonstanten. Diese machen gerade^ qualitative Bestimmtheit des Quantitativen aus, und genau dieser Doppjj aspekt erscheint wieder im physikalischen Begriff der »Größe«, die eifte »Invariante in einem Prozeß von bestimmtem Typ« ist87 und so eine tative Bestimmtheit der Natur ausdrückt.

Die hier vorgeschlagene physikalische Deutung des kategorialen Char^, ters von Raum und Zeit ist aufschlußreich, weil sie die philosophische Kate. = gorie nicht durch die Physik festlegt, sondern den physikalischen Sinn ej, l ner philosophischen Kategorie herauszuarbeiten versucht. Dieser physjkj. J lische Sinn entspricht der materialistischen Einsicht: »Raum und Zeit sind nicht nur mit der Materie verknüpft, sondern hängen auch von ihr ab, sind bedingt durch die Natur der materiellen Seienden, durch die diesen eigen­tümliche Bewegungsform. Diese Annahme des dialektischen Materialij. mus wird mit aller Evidenz durch die Daten der modernen Wissenschaft bestätigt, dergemäß die räumlichen und zeitlichen Charakteristica von der Bewegung und der Verteilung der gravitierenden Massen abhängen«88. Dj. mit aber wird auf die oben gestellte Frage, was es heißen könne, daß Raum und Zeit *reale Escheinungformm« (oder phaenomena bene fundata) der bewegten Materie seien, die Richtung einer Antwort gewiesen.

4. Die Natürlichkeit des Menschen und der Übergang zur Gesellschaft

»Natürlich« steht der Mensch innerhalb der dialektischen Prozesse der Na­tur und ist ein Element, das in diese Prozesse eingeht. Die Illusion von der »Sonderstellung des Menschen im Kosmos«89, die genährt wurde durch das Newtonsche Modell naturwissenschaftlicher Erkenntnis, in welchem der

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r<ch die Natur gleichsam von außen betrachtete (wie Gott), war durch

r relativistische Einsicht in die »Monadizität« des Subjekts, das das Ganze Hier nur vom Standpunkt eines Teils aus, also von innen, vergegenständ-

* jj^nn, zerstört worden. Der Mensch ist bestimmbar als ein »Welt- nltt« wie jedes andere Seiende auch. Und wie jedes andere Seiende hat er

T lan der Dialektik von Teil und Ganzem, von Kontinuität und Diskon- <aiw*.von Zufell un^ Notwendigkeit, von Möglichkeit und Wirklich-

['( die die ontologische Struktur eines materiellen, bewegten, unendli- -hen Universums bestimmt.1 Allerdings wird dem Menschen die Natur zunächst gegenständlich in je­nen Prozessen, die Marx als den »Stoffwechsel des Menschen mit der Na-, (ur« bezeichnet hat und die die durch Arbeit vermittelte Aneignung von Naturstoffen — von Lebensmitteln bis zu den in die Endprodukte der Indu- U eingegangenen Rohstoffe — im Blick hat. Es ist das konstitutive Cha- ■Jiteristikum des Menschen, daß er die meisten Naturgegenstände nicht

roh, sondern verarbeitet genießt, und »Kultur« ist eben die Veränderung der natürlichen Umwelt durch Arbeit. So wird die Natur — obzwar Vor- jussetzung, Ursprung und tragender Boden der gesellschaftlichen Ge- schiehtc — zum Moment im menschlichen Geschichtsprozeß selbst; und ■esehen durch das Medium der Praxis, wird Natur zum Gegenstand von Geschichtsbewußtsein, Naturbewußtsein ein Moment von diesem (wo­d u r c h der Schein entstehen kann, Natur sei erst durch Geschichte, durch gesellschaftliche Tätigkeit konstituiert). Diesem Vermittlungsptozeß hat Hans Jörg Sandkühler seine Aufmerksamkeit gewidmet: »Die materialisti- sche Dialektik ist die Theorie des Prozesses zwischen Mensch und Natur, dessen Manifestationen vorliegen in der Arbeit, den Produktionsweisen ufld Produkten und — nicht zuletzt — den Widerspiegelungsweisen, Er- keontnisformen und Wissensinhalten. Die Kategorie ‘Dialektik der Natur’ stellt eine neue Qualität und eine neue Epoche des menschlichen Naturver­hältnisses und der bewußten Widerspiegelung des Naturverhältnisses dar«90. Für ein Selbstverständnis der Theorie der Naturdialektik wichtig, ja zentral ist die dabei gewonnene Einsicht, daß die Bestimmung der gesell­schaftlichen Praxis des Menschen als Naturverhältnis ( « Verhältnis zur Natur) eine gesellschaftlich kritische Funktion, gerichtet sowohl gegen die undialektische Hinnahme der »Naturwüchsigkeit« gesellschaftlicher Ver­hältnisse (weil Naturverhältnis als Reflexionsverhältnis gerade nicht natur­wüchsig, sondern durch Arbeit, Sprache und Erkenntnis vermittelt ist); als auch gegen die Ausbeutung der Natur unter partikularen Zwecken (weil sie zur Erschöpfung der materiellen Lebensbedingungen der Gattung im Pro­fitinteresse einzelner führen kann): »Die kritische Funktion der ‘Naturdia- lektik’ entspricht der massenhaften Kritik des Proletariats am Kapitalver-

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hältnis und dessen von den Ideologen des Kapitals behaupteter ‘Natü i* keit\ ‘Naturwüchsigkeit* und — dies ist die politisch-ideologische P ^ der Naturtheoreme — ‘Ewigkeit’... die Kategorien der ‘Dialektik’ d^x** tur sind — wie wenige andere — Kritik...« Und weiter: »Es ist vielmeh j* Bewußtlosigkeit des bisherigen Geschichtsverlaufs das Ergebnis a anthropozentrischen, der Illusion einer absoluten Produktionsauton • verfallenen Natur-Blindheit... Daß heute gerade in den kapitalistisch I technisch-industriellen Metropolen die Natur als ‘Umwelt’ wiederen’ i deckt wird, braucht niemanden zu verwundern...«91. Mit der Betonung^ kritischen Aspekte der Theorie der Dialektik der Natur hat Sandkühler • nen bisher unbeachteten Aspekt des philosophischen Charakters der ReiT xion der Reflexion ans Licht gehoben. Doch bleiben seine Erwägung 1973 noch in dem durch Reaktion auf die Mißdeutung des Marxism^ der »Frankfurter Schule« beherrschten Diskussionsklima befangen, als <y er schon aus dem Muster ausgebrochen wäre, das die Natur vermittels Arbeit in und an der Natur« und folglich mit den Kategorien der sehen Ökonomie versteht und einfach ein nicht abgeleitetes Gleichgewicht zwischen gesellschaftlicher und Naturgeschichte setzt: »Das wohl wichtig ste Kennzeichen dieser ‘bewußten Dialektik’ ist, daß sie zwar nachdiiic , lieh über Natur nicht ohne die Kategorie ‘menschliche Arbeit/Geschichte’ und über Geschichte nicht ohne Berücksichtigung der ‘Natur’ verhandelt. Die inhaltliche Verdeutlichung der Verhältnisbestimmung von Natur Geschichte und von Natur- und gesellschaftlicher Dialektik leistet freilich in ausgezeichneter Weise die Kritik der Politischen Ökonomie«*1. Ich meint jedoch, die gesellschaftliche Funktion der Naturdialektik wird noch radi­kaler gefaßt, wenn der Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte/Produktionsmittel und dem Stand der Produktionsver- hältnisse auf den objektiven, vom Menschen nicht beliebig manipuliert»}, ren Bedingungsrahmen des Natursystems unserer Lebensvoraussetzungen, also auf die Vermineltheit der Produktion mit der Totalität der Naturbe- dingungen, bezogen wird. Ich nenne nur einige Beispiele für das Durch- schlagen des Ansich-seins der Natur: Die Ozonschicht der Atmosphäre ist eine biologische Voraussetzung des Lebens der Gattung; die Sauer­stoffversorgung der Hirnzellen ist eine notwendige physiologische Bedin­gung des Lebens des Individuums; nur ein kleiner Teil der Naturvorgänge ist vom Menschen kontrolliert beeinflußbar — Erdbeben und Vulkan­ausbrüche sind es nicht, das Auftreten von Sonnenflecken noch weniger usw., und schließlich wird auch die Kontrolle über Naturvorgänge nur un­ter Beachtung der Naturgesetze erreicht, die »an sich« wirken, wenn sie auch »für uns« gelten.

Zu diesem An-sich der Natur gehört der Mensch in seinen physisch-

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w

• j,.biologischen Funktionen, er ist in die Natur eingebunden, seine «*efn-Sctzung zur Natur durch Arbeit setzt dieses An-sich-sein der r voraus — und zwar in einer ganz analogen Weise, wie die Apriorität

Totalitätskategorie die Erfahrung des Fortgangs in Tun und Denken ussetzt. Gerade aber weil der Mensch unmittelbar ein Teil der univer-

Jl n Piakkük der Natur ist und diese sich nicht gegenüber hat — als einen ihm selbst abgelösten Gegenstand der Betrachtung — ist ihm die Er-

't>n tnis der Dialektik nicht in der gleichen Weise »gegeben« wie die Er- t „tnis«neS innerweltlichen einzelnen Gegenstandes oder Gegenstands- ultichs oder Sachverhalts. Für diese kann ich (der Mensch, das erkennen- i S u b je k t) wenigstens fiktiv, experimentell ein Bezugssystem konstruie-

außerhalb dessen ich meinen eigenen Beobachtungsposten wähle. Das !* ßjr ¿je Beschreibung dialektischer Verhältnisse nicht möglich, weil sie /•h immer auf Totalität beziehen. Totalität aber vermag ich immer nur zu

und zwar in der Reflexion auf die Grenzen jener Teilbereiche, die i l r jiü Objekt meines praktischen Handelns oder meines theoretischen

Wissens unmittelbar gegeben sind. Erscheint mir im Denken und Wissen ¿je Welt, in der ich bin, als reflektierte (widergespiegelte), so gewinne ich die dialektische Bestimmung des Widerspiegelungsverhältnisses als solchen pur in der Reflexion der Reflexion. Indem ich in der Reflexion der Refle­xion die Gegebenheitsweise der Welt in meinem Denken als Widerspiege­lung begreife und die Widerspiegelungsmetapher als Schema-Bild93 für den universellen Zusammenhang aller Seienden, also für die Struktur der Welt, einfiihre, kann ich die Naturdialektik nicht nur als eine Dialektik zwischen Sein und Bewußtsein, sondern als eine Dialektik des Gesamtzusammen- hmgs (der Natur) auch zwischen den Teilen (in der Natur) begründen. Das K o n str u k t io n sp r in z ip der Naturdialektik, und damit einer universellen materialistischen Dialektik überhaupt, ist die Widerspiegelung im allge­meinen, und nicht deren besonderer Fall, die Arbeit.Das bedeutet zugleich, daß die als Selbstreflexion des Naturzusammen­

h an gs und des in ihm wirkenden Prozesses begriffene Dialektik erst auf der Stufe der Reflexion der Reflexion erscheint, während die dialektischen Ver­hältnisse als universelle Seinsstruktur immer schon an-sich-sind. (Dieses Verhältnis von An-sich-sein und Erscheinung ist selbst wieder ein dialekti­sches und bewirkt den Status philosophischer Systeme des Ganzen). Mit­hin bekommt die reale Dialektik erst auf einer bestimmten Stufe der »Spezi­fikation der Natur« die Qualität der Widerspiegelung der Widerspiegelung -danämlich, wo Selbstbewußtsein im Naturwesen entsteht. Da geht die allgemeine Naturgeschichte in die Menschheitsgeschichte über, »die Ge­schichte (ist) nur als Entwicklungsprozeß selbstbewußter Organismen von der Geschichte der Natur verschieden«94. Die Einheit der Welt in ihrer Ma-

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tcrialität ist die Voraussetzung dafür, die »ausnehmende Besonderheit,»! der menschlichen Sphäre innerhalb der Natur zu begreifen.9* Diese » / nehmende Besonderheit - liegt darin, daß die Menschen die Gebrauchs* te, deren sie 2 um Leben bedürfen (Lebens-Mittel), nicht nur vorfind/ sondern nach eigenen Zwecksetzungen und unter Verwendung von Instr^ menten selbst schaffen, woraus der Progreß des »Systems der Bedürfnisse,» entsteht, der der Geschichte als Entwicklung der Produktivkräfte und Pro. duktionsverhältnisse einbeschrieben ist. Arbeit als Natur-verhaltnis, ^ heißt als Verhältnis des Menschen zur Natur, definiert diese »ausnehmend Besonderheit«. Da es aber das Naturwesen Mensch ist, das sich in der beit zur N atur verhält und dabei sich selbst verändert, geht in den Begriff des arbeitenden, gesellschaftlichen Menschen seine »Natürlichkeit« ^ Voraussetzung und Bestimmungsmoment ein.98 Hier hat eine historisch, materialistische Anthropologie, nicht als philosophische Grundwissen, schaft (wie es bürgerlich-idealistische Strömungen wollen), sondern als Teildisziplin der Dialektik der N atur ihren wissenschaftstheoretischen Ort.

ln diesem Sinne Anthropologie als eine Wissenschaft an der Naht$tel|e zwischen unbewußter Natur- und selbstbewußter Menschheitsgeschichte etabliere zu haben, ist die Leistung des Werks von Helmuth Plessner, dessen Ansätze für eine Dialektik der Natur überhaupt noch nicht ausgewertet ■wurden.99 Daß der Mensch in seiner Besonderheit aus dem Tierreich her­ausgewachsen ist und nun eine von den übrigen Lebewesen unterschiedene Position einnimmt, gehört seit Darwin zu den unumstößlichen Erkennt, nissen der Naturwissenschaften und ist auch die Grundlage des histori­schen Materialismus. ,0° Entscheidend ist die Beantwortung der Frage nach den Determinanten dieses naturgeschichtlichen Prozesses, in dem die ganz andere Art von Natürlichkeit entspringt. »Was charakterisiert das Men­schenhafte eines Lebewesens? Aufrechter Gang, Großhirnentwicklung, Sprache, Hand, Werkzeugherstellung, Abstraktionsvermögen ? Offen- sichtlich besteht zwischen allen diesen Gaben und Funktionen... ein rein körperliche und unkörperliche Merkmale umfassender Zusammen­hang«101. A uf diese Fragen läßt sich von beiden Seiten her eine Antwort ge- ben: Vom ausgebildeten Wesen des Menschen aus, also aus den Eigentüm­lichkeiten des Gesellschaftsprozesses; und von den Entwicklungsstufender N atur her, also aus den Charakteristika der Realisationen der Naturge­schichte. Im Schnittpunkt beider Blickrichtungen erscheint der Gegen­stand der Anthropologie: »So stellt sich eine philosophische Anthropolo­gie als Lehre von den Bedingungen der Möglichkeit eines menschenhaften Wesens der vollen Erfahrung in N atur und Geschichte«102.

Plessner versucht eine Bestimmung der Besonderheit der menschlichen

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g von dem Aufstieg aus den Daseinsformen der biologischen Natur ,o) ty'ie auch immer die Gesellschaft und Historizität des menschlichen

I*?' s bestimmt werden mag — sie bleibt bezogen auf die Tatsache seiner " 'blichkeit und die Bedingungen und Prozesse der Erhaltung und Repro- l<! jon seiner leiblichen Existenz. Diese wiederum ist kraft der ihr eigenen

in den verschiedenen Sinnesbercichen spezifisch modalisierten Sinn- ^Kkeit mi* ^er Umwelt verschränkt. Die Ablösung des an Bedeutungen

.|, o r i e n t i e r e n d e n und sinngebenden Lebewesens Mensch von den Sphä- 511 des .bloß« Organischen, die Freigabe von Welt aus der Distanz (statt j f Einbindung in die Umwelt) durch die Entwicklung und Synthesis der• Qualität hatte Plessner in seinem Werk »Die Einheit der Sinne« 1923 dar- * % [ >o* Das spätere Werk » D i e Stufen des Organischen und der Mensch« i«28 in te n d ie r t dann eine »fundamentalere Fassung des Verhältnisses von Leib und Umwelt«.

Eine s o lc h e hat auszugehen von den empirischen Befunden, die die Bio- ^nschaftcn (einschließlich der Medizin) in immer reicherem Maße auf-

* Uossen haben. Indessen blieben die Gehalte der Erfahningswissen- *halten z u f ä l l i g , ließen sich nicht aus ihnen Bestimmungen gewinnen, die die k a t e g o r i a l e Verfassung der angesprochenen Gegenstandsregion charak- terisierer» und darum auch vor jeder Erfahrung ein materielles Seinsverhält- ^ r e p r ä s e n t i e r e n . Plessner wagt es, den hier durchaus nicht kantisch ge­b r a u c h te n Begriff des »materialen Apriori« einzuführen: Kategorien, aus dir Erfahrung gewonnen, erweisen sich als Formen, unter denen jeder Er­f a h r u n g s g e g e n s t a n d dieses Seinsbereichs zu begreifen ist: »Apriorisch d a r f

e i n e s o l c h e Theorie nur in dem Sinne heißen, daß sie den Bedingungen der M ö g l i c h k e i t nachgeht, die erfüllt sein müssen, damit ein bestimmter Sach­v e rh a lt unserer Erfahrung stattfinden kann. Apriorisch ist die Theorie also nicht kraft ihres Ausgangspunktes, als wolle sie aus reinen Begriffen unter B e iz ie h u n g von Axiomen ein deduktives System entwickeln, sondern nur [traft ihrer regressiven Methoden, zu einem Faktum seine inneren ermögli­chenden Bedingungen zu finden«1“ .

Der so gefaßte Begriff des Apriori zielt darauf, den theoretischen Status von Begriffen zu klären, die zwar aus der Erfahrung gewonnen sind, aber ei­ne nicht-empirische, sinngebende Interpretation von Erfahrung bereits e r s c h l i e ß e n . Eine solche zentrale Kategorie, von der her organische Leib­haftigkeit sich begreifen läßt, ist die Grenze. Diese ist nicht einfach der Ab- schlußeines Seienden gegen ein anderes, oder gegen den Raum, sondern der Ort, an dem sich der Körper als Ganzheit und Einheit gegen das Andere er­hält. »Auf das Verhältnis des begrenzten Körpers zu seiner Grenze fällt der Nachdruck. Hier sind zwei Fälle möglich. Entweder bildet die Grenze nur das virtuelle Zwischen dem Körper und dem anstoßenden Medium. Dann

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kann die Konturierung noch so scharf sein, eine Grenze hat er nicht rj nur in dem äußerlichen Sinne, daß er da und dort aufhört und zu End • Oder aber, im anderen Falle, gehört die Grenze reell zum Körper. Er [ * ***• gen das angrenzende Medium und zu ihm abgesetzt, einerlei, wie scharf?' Konturierung etwa durch Membranen oder andere Oberflächenbildun gestaltet ist. Die Grenze ist nicht mehr ein virtuelles Zwischen, sondenf*? ne den Bestand des Körpers gewährleistende Eigenschaft seiner selbst,^ Wird diese Grenze zerstört, so ist auch das organisch Seiende zerstört- rv’ Organismus ist nicht zerstückelbar. Hier klingt der Leibnizsche Subst*/ begriff an: Was nicht ein Sein ist, ist auch nicht wahrhaft ein Sein, Die G, ze wirkt zugleich als jenes Prinzip der Individuation, demgemäß nach Leibniz) es nicht zwei Individuen gibt, die solo numero, nur der 2a ! nach, voneinander unterschieden wären. In Plessners Worten: »Das tum der Begrenzung und der durch sie gewährleisteten Selbständigkeit • nes für belebt geltenden physischen Körpers: dieses Merkmal, welches an allen Organismen, welchen Organisationsgrades auch immer, f,nJ soll als Minimalbedingung nachgewiesen werden, die, soweit sie erfüllt i« Lebendigkeit ausmacht«107. ’

Durch eine Grenze in seinem Verhältnis zum anderen definiert zu ^ bedeutet, eine Position einnehmen (oder »sich setzen«); das organische S»l ende zeichnet sich durch Positionalität aus.(Auch hier denkt man wie^ an die Charakterisierung der Substanz durch ihre Perspektivität und ihr*, point de vue bei Leibniz). Von daher ist, in einem emphatischen, den pW; kalischen Relationenraum noch überschreitenden Sinne, der organi^ Körper raumhaft und Raum die Grundkategorie des leibhaftmateriell p. dachten Seins, im Gegensatz zu der in idealistischen Systemen (zum B . spiel bei Bloch oder Heidegger) artikulierten Priorität der Zeit. Zeitlich^ entspringt bei Plessner aus der Räumlichkeit über das Moment der Be^ gung des Organismus. Die Kontinuität des Übergangs von Natur zu (*. schichte bleibt gewahrt, es kommt zu keinem gnostkchen Dualismus von Selbst und Welt.

Indem sich jedoch die zeitliche Existenz vom räumlichen Hier-unJ. Jetzt-sein abhebt, gewinnt das in solcher vierdimensionalen Positionalit* lebende Wesen Abstand zu sich selbst als einem präsentischen. Es wird** zentrisch — eine Daseinsform, die in seiner Leibnatur, aufrecht der Welt g«. genüber zu stehen, angelegt ist. Damit aber löst sich der Mensch von dea Stufen des Organischen ab, auf denen er noch steht, aber die er überragt. Er wird zum geschichtlichen Wesen, er hat, wie Plessner mit Blick auf Bloch sagt, einen »utopischen Standort«, das heißt einen Standort, den er (aller­

dings idealiter) aus dem Hier und Jetzt, aus der Umwelt heraus verlagern kann — an welchen Ort auch immer. 108 Die ideale Standortlosigkeit, also

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Möglichkeit, denkend beliebige Standorte einnehmen zu können, ist i Widerspiegelung der exzentrischen Position, die darauf beruht, »daß i Zentrum der Positionalität... zu sich selbst Distanz hat«. Es ließe sich Vn, daß die »Setzung« des eigenen Zentrums in Distanz zu sich selbst in

: statt hat. In ihr geht der Mensch über seine Grenze hinaus, machtj i e ganze Natur, wie Marx sagte, zu seinem eigenen anorganischen

f u w* Das ist die exzentrische Positionalität. Indem der Mensch sein Zen- rtiri in sich hat, setzt er es außer sich.paß der Mensch, indem er sich setzt, sich zugleich außer sich setzt — also

j- Verwirklichung des Menschen in der gegenständlichen Tätigkeit — ¡Lt zu den drei Charakteristika seiner Gattungsbesonderheit, die Pless-

r Js »die drei anthropologischen Grundgesetze« bezeichnet: »natürliche Künstlichkeit» vermittelte Unmittelbarkeit, utopischer Standort«110. Wir juchen uns hier nicht mit einem (durch sein Anknüpfen an die Phäno- „itnologie bedingten) geheimen Platonismus Plessners auseinanderzuset- Zfn; wichtig an seinem Ansatz ist nicht, was der Diskussionslage der bür­gerlichen Philosophie um 1925 verhaftet ist, sondern der grundsätzliche

| ^danke: Unter Zurückweisung spiritualistischer und naturalistischer In- i ,eipretationen der Menschwerdung oder des Menschseins wird vielmehr j ^ Lebensform der Gattung als Ergebnis eines Naturprozesses verstanden,| ¡m Kontinuum der Evolution immer wieder zu qualitativ anderen, neu-

tD Seinsstrukturen führt, also im evolutionären Geschehen umschlägt. Und wie Plessners Naturbegriff — entgegen dem evolutionstheoretischen Qedo: natura non facit saltus, die Natur macht keine Sprünge — ohne die (nunallerdings auch schon platonische) Kategorie des Umschlags nicht aus- komrot, so bezeichnen seine drei anthropologischen Grundgesetze genuin dialektische Strukturen. Die natürliche Künstlichkeit besagt, daß der M e n s c h , aufgrund der besonderen Seinsform der exzentrischen Positionali- jä,seinen Stoffwechsel mit der Natur im Unterschied zum Tier mit Werk­tagen vollbringt und dabei eine Welt von nicht naturwüchsigen Kunst­produkten erzeugt, die ihn schließlich als eine »zweite Natur« ganz und gar umstellen.Hier ist es zweckmäßig, sich an Marx’ Ausführungen aus den »Pariser

Manuskripten« zu erinnern: »Der Mensch ist unmittelbar Naturwesen. Als Naturwesen und als lebendiges Naturwesen ist er teils mit natürlichen Kräf­ten, mit Lebenskräften ausgerüstet, ein tätiges Naturwesen; diese Kräfte exi­stieren in ihm als Anlagen und Fähigkeiten, als Triebe; teils ist er als natürli­ch es , leibliches, sinnliches, gegenständliches Wesen ein leidendes, bedingtes und beschränktes Wesen, wie es auch das Tier und die Pflanze ist, d.h. die Qegmstände seiner Triebe existieren außer ihm, als von ihm unabhängige Gqenstände, aber diese Gegenstände sind Gegenstände seines Bedürfnisses,

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zur Betätigung und Bestätigung seiner Wesenskräfte unentbehrliche w sentliche Gegenstände... Ein Wesen, welches seine Natur nicht außer , !' hat, ist kein tutürliclvs Wesen, nimmt nicht teil am Wesen der Natur f- Wesen, welches keinen Gegenstand außer sich hat, ist kein gegenständ?* ches Wesen. Ein Wesen, welches nicht selbst Gegenstand für ein drittes Vp sen ist, hat kein Wesen zu seinem Gegntstand, d.h. verhält sich nicht gege ständlich, sein Sein ist kein gegenständliches«111. In der D ifferenzier zwischen leidendem Naturwesen und tätigem gegenständlichem Wew (mit Umschlag der Aktionsarten ineinander, denn das gegenständliche ty sen ist auch ein Naturwesen und leidet, weil es durch seinen Gegenstand^ dingt wird, und das Naturwesen ist auch ein gegenständliches Wesen, es seinen Gegenstand ebenso außer sich hat wie es ihn als Bedürfnis in trägt) wird jene Ambiguität ausgesprochen, die Plessner faßt, wenn er daß die exzentrische Positionalität zugleich zentriert (wie beim Tier, die Natur außer ihm auf es bezogen) und exzentrisch (also auf den Gegeo. stand bezogen) ist: »Ist das Leben des Tieres zentrisch, so ist das Leben des Menschen, ohne die Zentrierung durchbrechen zu können, zugleich am ihr heraus, exzentrisch. Exzetunzät ist die für den Menschen charakteristj. sehe Form seiner frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld«112. Währendder historische Materialismus von da aus den Weg der Entfremdung weit verfolgt113, also die Besonderheit der Menschheitsgeschichte im Blick hat (von wo aus er das Wesen des Menschen als »Ensemble der gesellschaftlj. chen Verhältnisse« bestimmen kann), richtet Plessner seinen Blick auf Genesis des Menschseins aus der vormenschlichen Natur, auf die Naturp schichte, erklärt also von der Natur her den Sprung zum Menschen. Die na- türliche Künstlichkeit fällt nicht vom Himmel, sondern ist ein Produkt der Naturgeschichte.

Die bearbeitete Welt ist also nicht mehr unabhängig vom Menschen gege. ben; und darin liegt der relative Wahrheitsgehalt der Theorien, die die Aj. beit als eine Art transzendentales Formprinzip auffassen, vermöge dessen uns die Welt erscheint. Aber diese durch arbeitsteilige, entfremdete Arbeit der Gattung vermittelte Welt erscheint dem Individuum unmittelbar so, wie sie ist, als natürlich gegeben; erst in der Reflexion auf das Gattungswe­sen des Menschen114 wird ihm der vermittelte Charakter seiner Welt, also die Dialektik seiner eigenen Welt-Beziehung bewußt. »Man überlege sich aber, was es positional, unter dem Aspekt des Lebewesens gesehen bedeu­tet, daß zwischen ihm und dem Umfeld eine durch es selber vermittelte Be-

# ziehung existiert. Diese Beziehung kann dem Lebewesen gar nicht anden als direkt, als unmittelbar erscheinen, weil es »sich selber« noch verborgen ist«. Vom Menschen aber heißt es: »Seine Beziehung zu anderen Dingen ist zwar eine indirekte, er erlebt sie aber als direkte, unmittelbare Beziehung

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vie d<is Tier, — soweit er wie das Tier dem Gesetz der geschlossenen ^ sform und ihrer Positionalität unterworfen ist. Und es heißt zum an-

von der Indirektheit seiner Beziehung, sie ist ihm als eine gegeben«115. Die Vermitteltheit der Welt hat aber zur Folge, daß

sie nicht hinnimmt, wie sie ist, sondern sie anders denken, an- i te ,0| jen Und planen, anders machen kann. Der Mensch ist nicht auf eine

te* perSpektive festgelegt. Die nicht selbstbewußten Seienden sind ver-JrüchgenüßMöglichkeiten, die ihnen zukommen, der Mensch hatMög-

indem er sie sich bewußt macht. Damit ist er allerdings auch urzelt«, er hat nicht einen natürlichen Standort, sondern beliebig vie-

' rfIJie er denkend einnimmt. Er hat einen ortlosen Stand, einen »utopi- k Standort«. (Daß dieser eben — im einschränkenden Sinne des Wortes* u t o p i s c h ist, geht daraus hervor, daß nur solche Standorte wirklich, statt "\ ßdenkend, eingenommen werden können, die uns im Rahmen der na-

liehen und gesellschaftlichen Bedingungen zugänglich sind. Zur exzen-* • hen Positionalität gehört die Spannung zwischen Utopie und Realität), u kommen wir allerdings in Problembereiche der Ontologie — die Ka-

0,-ie Möglichkeit betreffend116 —, die nicht mehr von der Anthropologie Idg^ellt werden können, sondern dieser vorgeordnet sind.

) Exkurs zur ontologischen Kritik der philosophischen Anthropologie

ftrade da, wo sie sich einer Basis des Menschseins und seiner Gesellschaft­lichkeit in der Natur vergewissern wollen, gehört es zum anerkannten Pro­blembestand der Humanwissenschaften, daß diese als Teil ihrer Grundie­r e einer philosophischen Anthropologie bedürfen. 1,7 Ebenso ist es je­doch offenkundig und unbestritten, daß die Ausarbeitung einer philoso­phischen Anthropologie auf bisher nicht überwundene Schwierigkeiten Ltoßen ist. Eine solche Anthropologie positiv-wissenschaftlich zu ent­wickeln, etwa von der Biologie oder Verhaltensforschung her, hat sich als unmöglich erwiesen, da die gesellschaftliche Natur des Menschen und die Geschichtlichkeit seines Gattungswesens die Fixierung anthropologischer Konstanten nicht oder doch jedenfalls nicht zentral konstitutiv zuzulassen scheint. Wenn sicher auch das Ontologie-Tabu der »kritischen Theorie« der sog. »Frankfurter Schule« selbst ideologisch ist und eine (allerdings grundsätzlich neu zu bestimmende) Ontologie zum unverzichtbaren Pro­blembestand der Philosophie gehört, so ist doch unbezweifelbar, daß eine solche Ontologie nicht (wie es eine Reihe wichtiger bürgerlicher Philoso­phen und Philosophenschulen meinen) in der Anthropologie fundiert wer­den kann — wie allerdings auch umgekehrt die Anthropologie nicht onto-

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logisch verfestigt werden d art."* Was geschieht nun mit einer Pbjj phie, die meint, sich auf eine Bestimmung des »faktischen W esen d Menschen« gründen zu sollen (wie auch immer dieses bestimmt j möge), und sei es gar bloß auf die negative Bestimmung seiner prin*j • len Unfixierbarkeit im historischen Fluß oder in der individuellen wicklung? Ich frage, um das Problem zuzuspitzen, bewußt provol^^ Har es die Philosophie überfxtupt mit dem faktischen Wesens des M,V; sehen zu tun? Und diese Frage zielt nicht in Richtung des Humanismus eines Louis Althusser"9, der objektive geschichtliche Stmi turen, solche des ökonomischen Prozesses, als unabhängig vom handel den, arbeitenden Menschen verstehen möchte. Vielmehr frage ich, ob f »anthropologische Wende« nicht von dem Grundproblem der PhiloJ phie, dem Verhältnis von Sein und Bewußtsein, von Sein und Denk wegfuhrt, beziehungsweise dieses Verhältnis bereits in einem ungeprüft Vorentscheid einseitig auslegt. **

Alle neuere Anthropologie läßt sich auf einen Ausgangspunkt zurück verfolgen, auf die Philosophie Ludwig Feuerbachs. Seine Kritik riebt» sich gegen Hegels gewaltiges System, das die gesamte Entwicklung der mit allen ihren Inhalten — einschließlich der menschlichen Gesellschaft und natürlich der in ihr lebenden und tätigen Individuen — als eine Selbst entfaitung und Selbstdarstellung des absoluten Geistes begriff und so dj{ Vielheit des Seienden nur als die, wenn auch reale, Erscheinung einer met». physischen Einheit konstruieren wollte. D ie Totalität der Welt als eine* bewegten Zusammenhang zu denken, setzt — so argumentierte Feuerbaci) gegen Hegel—den denkenden Menschen voraus, und dieser ist und erfähq sich als ein leibhaftes, sinnliches, natürliches Wesen, dem das Denken als ei nes seiner Merkmale, als Eigenschaft oder Prädikat, zukom m t. Indem He- gel das Denken unter Absehen von dieser seiner materiellen Basis zum Prin. zip der Einheit und Ganzheit der Welt machte, konnte er die Welt nur noch als Geist fassen, ihr Prädikat also zum Subjekt erheben und das Sub> jekt, die materielle Basis, nur noch als Prädikat betrachten120; er mußte di^ wenn er den notwendigen Zusammenhang alles Seienden auf weisen wollte, denn das Materielle ist ja gerade die kontingente Vielheit, die in der Erfah­rung nie auf einen letzten Einheitsgrund reduziert werden kann und die als unendlich fortsetzbare Reihe von Prädikaten über den sie setzenden, er­kennenden, aussagenden Geist erscheint. Metaphysik ist mithin nach Feu­erbach nur noch das Korrelat eines Denkens, das selber nichts anderes als ein Bedürfnis des Menschen nach Sinn und Ordnung, nach Orientierung als Überlebensbedingung ausdrückt. 121 Das Geheimnis der Metaphysik, die die Welt als Einheit konstruiert, sei die Theologie, die diese Einheit per­sonal als G ott vorstellt; das Geheimnis der Theologie aber sei der Mensch,

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w in Gott nur sich selbst und sein eigenes Denken in der Form eines Ge­w andes außer sich setzt; jede Philosophie müsse also auf den Menschen L j sein natürliches Wesen zurückgebracht werden.

pi-iedric h Engels hat die Um kehrung der klassischen Philosophie durch piUtfrbach auf eine Form el gebracht: »Die N atur existiert unabhängig von ^Philosophie; sie ist die Grundlage, auf der wir Menschen, selbst Natur­produkte, erwachsen sind; außer der N atur und den Menschen existiert nichts» und die hohem Wesen, die unsere religiöse Phantasie erschuf, sind „ur die phantastische Rückspiegelung unseres eigenen Wesens. Der Bann ^gebrochen; das ‘System ’ war gesprengt und beiseite geworfen«122. Das heißt: Von der Philosophie war nur noch ihr ideologischer Schein übrig ge­juben. Was als ihre Wahrheit behauptet worden war, erwies sich als die Fiktion einer Idee, die die N atur nur als einen Schein an sich trug. Die Fak­tizität des Menschen blieb als einziger wahrer Gegenstand der Philosophie ^halten, alle Bewußtseinsinhalte waren aus ihr herzuleiten. Die Materiali­tät der Welt schien in der Anthropologie wiedergewonnen als die Materiali­tät des Menschen und seiner Erfahrungen. Wer die Anstrengung des Be­griffs nicht auf sich nehmen mochte (und mag), konnte (und kann) sich nun wiederum guten Gewissens bei der sinnlichen Anschauung genug sein las- #n.,M Die Abdankung der Philosophie und die Verkümmerung der Dia­lektik, die sich in der anthropologischen Wende ebenso wie in Psychologis- (jius und Soziologismus ausdrückt, nimmt von da ihren Ausgang.

Entgegen einem weit verbreiteten trivialmaterialistischen Vorurteil hat Engels jedoch diese Abdankung keineswegs mitgemacht oder übernom­men. Nachdem er die Verdienste Feuerbachs für die Destruktion des Abso­lutheitsanspruchs des Hegelschen Systems gewürdigt hat, fährt er vielmehr fort: »Feuerbach durchbrach das System und warf es einfach beiseite. Aber man wird nicht mit einer Philosophie fertig dadurch, daß man sie einfach für falsch erklärt. Und ein so gewaltiges Werk wie die Hegelsche Philoso­phie ließ sich nicht dadurch beseitigen, daß man sie kurzerhand ignorierte. Sie mußte in ihrem eigenen Sinn ‘aufgehoben’ werden, das heißt in dem Sinn, daß ihre Form kritisch vernichtet, der durch sie gewonnene neue In­halt aber gerettet w urde«124. D ie Absage an den Hegelianismus — und das heißt an objektive Prinzipien einer Konstitution von Welt und Integration der Mannigfaltigkeit — hat nämlich die fatale Folge einer Restitution des subjektiven Idealismus, dessen einheitstiftendes Agens nun zwar nicht mehr (wie bei Kant) ein transzendentales Bewußtsein ist, wohl aber eben je­ner »faktische Mensch«, der das bloß noch als ideologisch zu qualifizieren­de System der Wirklichkeit kraft seiner sinnlichen Anschauung, seines Denkens und seiner Arbeit oder seiner Interaktion hervorbringt. Welche Variante von Subjektivität gewählt wird, ist für die Grundstruktur dieser

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weltanschaulichen Einstellung gleichgültig. Wo sich philosophisch thropologie als Grund- oder Konst itutionswissenschaft etabliert, Veri^ sie in diesen, im Materialismus Feuerbachs angelegten, idealistischen S i jektivismus. Nur wenn die Subjektivität, das heißt die durch das Sub* i zur Selbstdarstellung (zum Bewußtsein ihrer selbst) kommende Reflex nicht als Leistung des individuellen Subjekts, sondern als Widerspieß i ^ des Gattungswesens und also der Gattungsgeschichte und ihrer univerJp Konstituentien begriffen wird, kann die idealistische Verkehrung, ^ »anthropologische Schein« aufgehoben werden. ’ r

Subjektivität als Resultat eines Vermittlungsprozesses (und gerade nick als das unmittelbar Gegebene, die »Faktizität des Menschen«) entspringt J so gesellschaftlichen Konstitutionsbedingungen, die nun nicht mehr klassischen Bereich der Anthropologie, will sagen in einer durch biologj sehe oder geistige Substantialitär bestimmten Menschennatur, gehin<fcn werden können. In seiner Kritik an Feuerbach hat Marx dessen Kon2ep. tion, Geschichte auf eine gleichsam eidetische Verfassung des Menschen^ gründen, in die Bewegung des Geschichtsprozesses selbst aufgelöst und so die Anthropologie in die politische Ökonomie aufgehoben; dort hat sie je- doch ihren Gegenstandsbereich — die Subjektivität und Produktivität^ Reflexivität und Individualität — unerkannt konserviert, so daß unerwar- tet in der (nach-marxschen) marxistischen Theorie selbst die anthropologj. sehe Frage unter dem Titel des »humanen Sozialismus« wieder aufbrechen konnte. Dies geschah nun allerdings ganz und gar unsystematisch, nämlich im unkritischen und historisch wie philosophisch verfälschenden Rück, griff auf die Marxschen Frühschriften, während es doch die Aufgabe wäre den in der Kritik der politischen Ökonomie eingeschlossenen anthropoid gischen Gehalt, also die auf die Stufe der gesellschaftlichen Konstitution* prozesse gehobene Wesensbestimmung der menschlichen Individualität, aus eben der Durchdringung der politischen Ökonomie selbst wiederzuge­winnen. 125

Das heißt aber, daß die Anthropologie nicht eine unter mehreren mögt chen Zugangsarten zu Problemen und Gegenständlichkeiten der Philoso- phie ist, sozusagen neutral noch vor einer Entscheidung über die Lesart der Mensch-Welt-Beziehung; vielmehr liegt in der Aufnahme des anthropolo­gischen Ansatzes schon eine Festlegung hinsichtlich der Grundfrage der Philosophie nach dem Verhältnis von Sein und Denken, von Sein und Be­wußtsein.

Parmenides, der als erster die Identität von Denken und Sein dachte, wies gerade die Auffassung zurück, es könne das Sein in der Subjektivität des menschlichen Denkens, das für ihn nur ein Meinen war, begründet oder auch nur »angetroffen« werden. Vielmehr war für ihn das Denken, das den

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-jjnken ’sein’ und nichts als diesen denkt, ein Denken sui generis. In ihm ,||tf die Einheit, Ganzheit und Kontinuität der Welt erscheinen, die in der

'^inigfaltigkeit der Einzelbeziehungen des Individuums zu den vielen Sei­ten in dieser Welt zerstreut ist. Ist alle innerweltliche Beziehung eine sol- -hi zu den Einzeldingen, die wir bei ihren Namen nennen und die wir da- ¡t in ihrer Pluralität fixieren und je einzeln uns »gegenüberstellen«, so ist

Jie Totalität von Welt, außer der es nichts geben kann, ganz und gar bezie- l^gslos, es sei denn in der Selbstbezüglichkeit der reinen Identität. (Wie Jifsi. gegen die eleatische Bewegungslosigkeit, als Identität im Selbst- ^jfrschied begriffen werden muß, haben wir oben zu zeigen versucht). N'ur Von der Identität des Seins her kann — wie Parmenides immer wieder fjst beschwörend betont — die Vielheit der Seienden überhaupt als seiend flacht werden. Nicht der Mensch, sondern das Sein steht am Anfang aller glichen Welterfahrung. Die große Systemphilosophie seit Parmenides „ Platon und Aristoteles, Spinoza, Leibniz und Hegel—hat an dieser Kon- tfpdon festgehalten, wenn sie dies auch nur um den Preis tun konnte, diese Einheit des Anfangs idealistisch als Geist aufzufassen.

Dagegen wandte sich Feuerbach mit der emphatischen Insistenz auf der sinnlichen Einzelheit des Menschen, die nur im Akt gegenseitiger Zu­neigung sich zum Gattungsleben zusammenschließen kann. Feuerbachs Protest gegen die rigide Logizität der Metaphysik, aus dem seine Anthropo­logie entspringt, reproduziert allerdings nur das Selbstbewußtsein des bür­gerlichen Individuums. Das hat Marx in der 9. Feuerbachthesegerügt: »Das Höchste, wozu der anschauende Materialismus kommt, das heißt der Mate­rialismus, der die Sinnlichkeit nicht als praktische Tätigkeit begreift, ist die jtoschauung der einzelnen Individuen und der bürgerlichen Gesell- schaft«126- Diesen Standpunkt hat die Anthropologie bis heute noch nicht verlassen.

D er Rekurs auf die Ausgangsbedingungen der philosophischen Anthro­pologie bei Feuerbach — auf den sich die neueren Anthropologen auch im­mer weder ausdrücklich beziehen — hat einen seltsamen, indessen keines­wegs zufälligen Sachverhalt ans Licht gebracht: Der Versuch, gegenüber der strikten Idealität metaphysischer Systeme die Materialität der Welt da­d u r c h wiederzugewinnen, daß das Denken auf die »faktische Wirklichkeit« des Menschen, auf die »condition humaine« gegründet wird, führt entgegen der deklarierten Absicht und sozusagen hinter dem Rücken der so verfah­renden Philosophen zu einem neuen subjektiven Idealismus, der seinen idealistischen Charakter nur dadurch notdürftig verbirgt, daß er anstatt vom cogito oder vom Ich jetzt von der menschlichen Existenz, vom Dasein oder schlechthin vom Menschen spricht. Die einzige Untersuchung aus dem hier angesprochenen Umkreis lebensphilosophischer und phänome-

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nologischer Konsritutionstheorien, die das Urverhältnis von Sein u&i Denken mit unausgesprochener aber deutlicher Erneuerung der parmenj, deischen Frage nach dem Wesen von deren Selbigkeit wieder zum Gei»* stand macht — nämlich Josef Königs fundamentales Werk »Sein und Den ken«'-" — hat diese terminologische Camouflage in einer fast beiläufige scheinenden, in der Tat jedoch zentralen Passage zerrissen. Ich rekonstru re kurz seinen ebenso rücksichtslosen wie erhellenden Gedankengang, Wey darin die Aporie der »anthropologischen Wende« zur Sprache kommt.

Wenn ich »sein« denke, so denke ich nicht einfach an etwas, das d j^ oder jenes, beispielsweise ein Stück Kuchen oder mein Freund Karl ^ Denn solche Etwas sind Seiende, an die wir hinsichtlich ihrer bestimmten Beschaffenheit denken, und der Gedanke »dieses Stück Kuchen« oder aucli allgemein »Kuchen« ist ein Gedanke, dessen Gegenstand etwas ist, de»^ Bedeutung durch das Wort »Kuchen« ausgedrückt wird; gerade wenn wj, allgemein »Kuchen« denken, schließt das nicht notwendig ein, daß ihm ein Sein zukommt. Vielmehr gehört es zu der Natur des Denkens, daß es Nicht-Seiendes vorstellen kann — und Seiendes als dieses oder jenes wart überhaupt nicht vorstellbar, denkbar, aussagbar, wenn die M ö g l i c h k e i ,

nicht bestünde, Nicht-seiend-sein zu denken und so die Bestimmtheit einej Seienden durch Negation dessen, was es nicht ist, auszumachen.

Jedes Etwas ist dadurch ausgezeichnet, daß ich es als etwas denken kann, das ist. Kant beharrt nachdrücklich darauf, daß der Gedanke »sein« jede un­serer Vorstellungen müsse begleiten können128, daß es also notwendiger* weise möglich ist, jedem Bestimmten den Index »sein« zukommen zu las. sen. Diese notwendige Möglichkeit, in jedem Augenblick auch »sein« den- ken zu können, erlaubt es, unter Absehen von einem Bestimmten eben nur »sein« und nichts als dies zu denken. Tun wir dies aber (und wir tun essi- eher nie in der »natürlichen«, sondern nur in reflektierender Einstellung^ geraten wir au f oder vielleicht besser in einen verwirrenden Sachverhalt: Wir denken nämlich einen Gedanken, der keinen Gegenstand hat — denn der Gegenstand eines Gedanken ist ja (wie wir gesehen haben) gerade ein bestimmtes Etwas, von dem man außerdem auch noch »sein« denken kann. Wohl aber darf man sagen, daß in dem Gedanken ‘sein’ das Sein enthalten ist; denn denke ich rein und ohne Beimischung »sein«, so ist der Gedanke selbst, und er ist nichts anderes als dies, »sein« zu denken. Sein und Denken sind im ‘sein’-Denken dasselbe, und zum mindesten für diesen einen Fall des Denkens gilt die parmenideische Gleichung im formallogischen Sinne, Nun aber ist es offenbar das Sein selbst, das in diesem Gedanken ‘sein’ er­scheint, und der Gedanke ist nichts anderes als (metaphorisch gesprochen) der »Ort des Auftretens« oder genauer der Modus des Erscheinens von Sein. König wehrt die anthropomorphe Vorstellung ab, als sei das Sein das

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D e n k e n d e , »daß also das Sein sich selbst denke, Gedanke seiner selbst sí¡«,i,. Vielmehr offenbare sich das Sein in der Unausweichlichkeit des Ge* Jjnkerw ‘sein’, und es ist, indem es sich auf diese Welse gibt. Es gibt sich be- jjgt »ber zweifellos, daß es ist, bevor sich das Denken — notabene das menschliche Denken — darauf richtet. Wenn nun aber, wie zuvor gezeigt, es Jefinitiv für jedes Gedachte ist, daß ihm der Index oder Gedanke »sein« not­wendigerweise beigefügt werden kann, so gilt die von König gezogene Schlußfolgerung: »Daß es diesen Gedanken-des-Seins gibt, ist die Möglich- Ireit davon, daß wir denken«130.

Was hat d a s nun alles mit der philosophischen Anthropologie z u t u n ? Haben w ir uns nicht zu weit weg von ihr auf das ursprüngliche Feld d e r O ntologie begeben? Um dies zu beantworten, folgen wir Josef König noch einen w e ite ren Gedankenschritt. Das Sein ist an jedem bestimmten Seien­den oder Etwas, aber es ist auch wesentlich außer ihm, vor ihm, denn es kann unabhängig v o n e t w a s gedacht werden. Was es ist, wird nur an der Sich-selbst-Gleichheit des Wortes »Sein« gefaßt, dieses Wort ist gleichsam Jer Hane des Seins. Was m i t einem Namen benannt wird, ist ein Gegen­wand u n d k a n n als e in solcher vorgestellt werden. Daß wir den Gedanken »sein« a u f einen Inhalt beziehen, d e r m i t d e m Namen »Sein« ausgedrückt wird, läuft auf die Möglichkeit hinaus, »sein« so aufzufassen, als sei es ein Gegenstand; das zeigt sich darin, daß wir substantivisch von »Sein« spre­chen u n d damit d e n bestimmten Artikel verbinden: »Das Sein«. Diese Z w eideutigkeit, daß »sein« als Inhalt des Gedankens ‘sein’ und als Gegen­stand des Denkens-an-das-Sein zu erscheinen vermag, hat König themati­siert: »Das Sein ist also erstens eben das Sein und nichts als es selbst. Es ist nichts als es selbst, ähnlich wie Karl — mein Freund—nur eben Karl ist. Es hat den Aspekt des der Zahl nach Einen. Das Sein ist von daher wie ein Ei­genname. Und in der Tat: wir können es mit dem Namen gleichsam rufen und berufen. Dies ist im Blick, wenn wir sagen, es sei ein Gegenstand und ein Gegenstand. Das Sein ist zweitens jedoch wesentlich enthalten in dem Gedanken ‘s e in ’ ; es ist also in einer eigenartigen und noch problematischen Weise Inhalt dieses Gedankens. Drittens ist es endlich wesentlich beides in eins«1’1.

Die hier ins Licht gerückte Zweideutigkeit hat zweifellos etwas damit zu tun, daß der Mensch als ein in dieser Welt Existierendes sich alles andere ebenfalls in dieser Welt Existierende oder Mögliche nur als ihm selbst entge­gengesetzt, eben als das Andere oder durch Negation (als Nicht-Ich) von ihm Unterschiedene vorstellen kann. Die Spaltung in Subjekt und Objekt macht die »Lage des Menschen« aus — weil er nicht Gott oder das Ganze ist. Daraus entspringt das uneigentliche Verständnis von »sein«, so als wäre es ein Seiendes, das mit dem Nam en »Sein« bezeichnet werden könnte. (Dann

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müßte allerdings es daneben auch »das Nichts« geben können; die Unmö* lichkeit, das Nichts zu denken, weil es ja immer als Etwas gedacht werd^ müßte, macht aut die Uneigentliehkeit eines solchen nominalen Sein^ griffs aufmerksam). Dieses uneigentliche Verständnis von »sein« ist eine notwendige Möglichkeit des Denkens, gegen die ein eigentliches Verstand nis von »sein* als Inhalt des Gedankens ‘sein’ immer erst in einer Anstren. gung und besonderen Wendung des Denkens, das ich dann spekulativ n«j. ne, gewonnen wird.

Die anthropologische Sicht, die in der »condition humaine«, in der La»c des Menschen in der Subjekt-Objekt-Differenz anhebt, verstellt sich den Blick auf das spekulative Verhältnis von Sein und Denken, das von König dahin formuliert wird, daß »Sein-Denken nur als durch das Sein erwirktes Denken Denken ist«. Also: »Es ist definitiv für das Sein-Denken, daß, was es denkt, seine Ursache ist«l32. König fährt dann fort: »Da jedoch nun die Uge— wir können sagen: unsere faktische menschliche Lage — die ist, daß das Sein-Denken gleichsam den Zweig des Denkens-an-das-Sein hervorgetrie- ben hat, ist das Sein-Denken der Möglichkeit nach nicht mehr, was es ur­sprünglich und wesentlich ist und bleibt, das heißt es ist der Möglichkeit nach nicht mehr der einzig mögliche Zugang zum Denken-an-das-Sein- und es ist von daher möglich, Sein zu denken, ohne daß dieses unser Den! ken ein Sein-Denken wäre«135. Daraus ergibt sich die subjektiv-idealisti. sehe Konsequenz, daß das Sein ein Gegenstand des menschlichen Denkens ist, dessen Bestimmungen als transzendentale von eben diesem Denken vorgegeben werden. Und wenn dies schon für das Sein selbst gelten soll, dann unausweichlich erst recht für alles Seiende. Der »transzendentale Schein« (nun in genau umgekehrtem Sinne, in dem Kant von ihm spricht nämlich als der Schein, es sei die transzendentale Verfassung des Denkens bestimmend für die Erscheinungsweise des Seienden) gründet so in dem »anthropologischen Schein«, als gäbe es innerhalb der Natur eine »Sonder­stellung« des Menschen. Und die zuletzt zitierte Stelle von König ist jene scheinbar beiläufige Passage, von der ich sagte, daß sie die terminologische Camouflage zerreißt, mit der die Anthropologie ihren subjektiv­idealistischen Charakter verdeckt. 134

Wird also die Anthropologie, die von der »faktischen Lage« des Men­schen (qua Individuum) ausgeht, zur philosophischen Grundwissenschaft erhoben, so reproduziert sie für die Grundfrage der Philosophie eben die subjektiv-idealistische Verkehrung, deren Aufhebung gerade die Aufgabe der Reflexion der Reflexion ist — die Aufgabe also der spekulativen Metho- de der Dialektik, die Engels als den durch die Hegelsche Philosophie neuge­wonnenen Inhalt gegen die bloße Form des idealistischen Systemkon­strukts retten wollte, weswegen er Feuerbachs Wendung zum scheinbaren

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\^teria)ismiis der Anthropologie für eine Sackgasse hielt: »Der Mensch, u rs p r ü n g l i c h aus der Natur entsprang, war auch nur ein reines Natur­

e n , kein Mensch. Der Mensch ist ein Produkt des Menschen, der Kul- ur der Geschichte — selbst dieser Ausspruch bleibt bei ihm durchaus un­fruchtbar. Aberder Schritt, den Feuerbach nicht tat, mußte dennoch getan #erdw d a Kultus des abstrakten Menschen, der den Kern der Feuerbach- •hen neuen Religion bildete, mußte ersetzt werden durch die Wissenschaft tio wirklichen Menschen und ihrer geschichtlichen Entwicklung«05. Hegels objektiver Idealismus hatte wenigstens die Welt der Geschichte als eine« Prozeß dargestellt, der zwar vermittelt durch das Handeln der Men­gen geschieht, aber auf der Grundlage der diesem Handeln vorausgehen-

und ihm einwohnenden Seinsbestimmungen. Diese konnte Hegel nur Jj Geist darstellen. Nun kam es darauf an, die geistige Totalität als das Den­ken der materiellen Welt, der Geschichte der Natur und der daraus hervor- ^angenen menschlichen Gattung aufzufassen—eine Geschichte, die dem

Denken vorausliegt und sich in ihm spiegelt.So hat eine Widerspiegelungstheorie, die nicht bloß als Erkenntnistheo­

rie, sondern als dialektisch-materialistische Antwort auf die Grundfrage nach der Identität von Sein und Denken im Selbstunterschied entwickelt tf;rd, ihren formellen Grund in dem spekulativen Begriff des Sein- penkens, als des Denkens, in dem das Sein als seine Ursache und sein Er­wirkendes enthalten ist. Hier wird dann der Mensch im Zusammenhang ei­ner Dialektik der Natur gesehen, die den Aufstieg vom anorganischen Stoff zu den höchsten Differenzierungen des Geistigen als materiellen Prozeß über »die Stufen des Organischen« (wie der Titel des hierfür zentral wichti­gen Werkes von Helmuth Plessner lautet) darzustellen vermag. In diesem Zusammenhang hat eine, ihrer Wurzel in der Biologie nicht untreu wer­dende Anthropologie, die sich nicht als anthropozentrische Weltanschau­ungslehre, sondern als Teildisziplin einer Dialektik der Natur versteht, ih­ren guten Sinn. Helmuth Plessners Forschungen stehen dafür repräsentativ- weshalb wir ihn von der hier vorgetragenen Kritik an der philosophi­schen Anthropologie auszunehmen haben. Es ist indessen das Elend der A nthropologie , daß sie — seit Scheler und bis hin zu ihren jüngsten Vertre­tern — ihre Grenzen zu überschreiten und sich die grundlegende Funktion einer Fundamentaldisziplin anzumaßen pflegte. Der dunkle Schatten Mar­tin Heideggers fällt über diese Strömung, der sich selber wohl immer gegen anthropologische Deutungen seiner Existentialontologie verwahrte, ihr iberdoch mit seiner Verankerung der Seinswahrheit im Dasein — also der faktischen Wirklichkeit des Menschen — die subjektivistische Wendung gab.134 Materialistisch wie spekulativ kann die Anthropologie nie zur Grundlagen-oder auch nur Zentraldisziplin der Philosophie werden. Der

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Verzicht au/die Dialektik der Natur oder zum mindesten auf ei sehe Ontologie führt in die Bodenlosigkeit des Nihilismus, den Nr- als die Konsequenz des neuzeitlichen Denkens, das heißt der idealistischen Philosophie des bürgerlichen Zeitalters seit De *e tiv schworen hat.1'7 Scartes,

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r

j M itel IVI gegenständliche T ätigkArbeit, Praxis

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1. Aspekte der Gegenständlichkeit

Die •exzentrische Positionalität« des Menschen, also die Tatsache ( sich setzt, indem er sich außer sich setzt — in äußere Zwecke, in Prod i seiner Tätigkeit —, ist der in der biologischen Verfassung seiner Lejbj -1 keit begründete anthropologisch Aspekt des menschlichen Daseins, ^ gnoseologisches Korrelat die von Husserl herausgearbeitete »Intentional ^ t des Bewußtseins darstellt. Wir haben gesehen, daß Marx diese eX2entrw" j Positionalität auf die Extensionalität der natürlichen Welt bezieht- *t I Wesen welches seine Natur nicht außer sich hat, ist kein natürliches i sen«. Es ist aber etwas anderes, die eigene Natur außer sich zu haben wie/ . Stein oder die Pflanze, die in Wechselwirkung mit anderen Seienden au(L • ihnen stehen, woraus ihnen ihr So-sein wird (Widerspiegelung als unjy 1 seile Seins-Relation); und etwas anderes, dieses Außer-sich-sein, das die gene Natur bestimmt, als Gegenstand und Produkt der eigenen Tätigt zu setzen. Marx geht folgerichtig vom »natürlichen Wesen« zum » g ^ standlichen Wesen« über: »Ein Wesen, welches keinen Gegenstand au|L j sich hat, ist kein gegenständliches Wesen«. Doch genügt es nicht, daß* i Mensch sich selbst durch einen Gegenstand setzt (und dieses »durch« hat 1 wohl die Bedeutung eines Instrumentalis — vermittels des Gegenstandes wie auch eines Transitivs — durch den Gegenstand hindurch). Ein solches Setzen würde sich nicht vom Haben der übrigen Naturwesen unterschei. den lassen. Definitiv ist jedoch, daß das Abstandnehmen von der Situation in der (jeweils) ich stehe, also die Herauslösung der Glieder der Relation am der Einheit der Situation und ihre abgehobene Entgegensetzung (Verg* genständlichung), auf die zusätzliche Vermittlung durch ein zweites Ich an. gewiesen ist, das mich vergegenständlicht; nur dies andere Ich, das zu mi, »Du« sagt und mir so deutlich macht, daß ich selbst ein objektivierbares Glied der Relationen bin, in denen ich stehe und deren andere Glieder mir entgegengesetzt sind, macht es mir möglich, mich selbst als subjektiv, objektives Element in der Situationsbeziehung zu bestimmen und mich in den Gegenständen gespiegelt zu erkennen. Positionalität oder Setzunggifo es nur in der kleinsten gesellschaftlichen Einheit der Reflexion, also wenn mindestens zwei Subjekte Bezug aufeinander nehmen und dann das Sub jekt nicht nur in den Spiegel der Natur schaut, sondern zugleich in den zweiten Spiegel, der dies Spiegelverhältnis noch einmal spiegelt (Reflexion der Reflexion). Dies ist die ontologische Struktur, die der »exzentrischen Positionalität« und der »Intentionalität« zugrunde liegt. Sie manifestiert sich darin, daß Menschen sich zur Welt verhalten, indem sie miteinander sprechen* (worin dann auch die Möglichkeit liegt, bloß noch zu sprechen, ohne das Gesagte durch einen unmittelbaren Gegenstandsbezug ausweisen

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müssen; und diese Abstraktion wiederum schließt die Möglichkeit der ^ aiurierung der Sprache zum Geschwätz, zur Leere und zur Lüge ein2).

Schon Hegel hat die Angewiesenheit der »konkreten Person« auf andere p rtonen erkannt, nämlich »die besondere Person als wesentlich in Bezie- j jgauf andere solche Besonderheit, so daß jede durch die andere und zu- jfich schlechthin nur als durch die Form der Allgemeinheit... vermittelt

\h geltend macht und befriedigt«5. Diese Stelle expliziert zwar die logische form des Zustands der Gesellschaftlichkeit, gibt aber nicht deren Ur- orung an- & entgeht Hegel,, daß die Setzung meines eigenen Ich im Be­wußtsein von mir selbst als Subjekt aus der Vermittlung durch ein anderes Silbstbewußtsein, dem ich zum Gegenstand werde — aber zu dem ausneh-

besonderen Gegenstand, der nicht »Es«, sondern »Du« ist —, hervor- ht und daß in meine Zwecke, in denen ich meine Gegenstände setze, da­

her notwendig die Beziehung zum anderen Subjekt mit eingeht.4 Hegel siehti wenn er den subjektiven Zweck betrachtet, nur die in der Zweckset- zung statthabende Vermittlung zwischen Subjekt und Objekt: »Der Zweck ist nämlich der an der Objektivität zu sich selbst gekommene Be­kiff«; und er bestimmt den Zweck als zweiseitiges Verhältnis, dessen zwei Seiten ineinander verschränkt werden: »Die Bewegung des Zwecks kann daher nur so ausgedrückt werden, daß sie darauf gehe, seine Voraussetzung aufzuheben, das ist die Unmittelbarkeit des Objekts, und es zu setzen als durch den Begriff bestimmt... Der teleologische Prozeß ist die Übersetzung des distinkt als Begriff existierenden Begriffs in die Objektivität; es zeigt sich, daß dieses Übersetzen in ein vorausgesetztes Anderes das Zusammen­gehen des Begriffs durch sich selbst mit sich selbst ist«5. Die Hegelsche Katego­rie der Zweckmäßigkeit setzt das Selbstbewußtsein schon voraus, wenn es den Gegenstand für mich setzt; aber in die Konstituierung des Selbstbe­wußtseins geht der Gegenstand als »gehabt«, im Bewußtsein vorreflexiv aufgefaßt» schon ein — eben als Gegenstand meiner Tätigkeit, meiner Zwecke. In der »Phänomenologie des Geistes« mag es bei diesem beschrei­benden Verfahren sein Bewenden haben; die §§ 424 ff der »Enzyklopädie« offenbaren jedoch die Schwäche der Entwicklung dieses Gedankens: Das Selbstbewußtsein kann nicht abgeleitet werden, sondern fällt gleichsam vom Himmel: »Die Wahrheit des Bewußtseins ist das Selbstbemtßtsein und dieses der Grund von jenem, so daß in der Existenz alles Bewußtsein eines anderen Gegenstandes Selbstbewußtsein ist; ich weiß von dem Gegenstän­de als dem meinigen (er ist meine Vorstellung), ich weiß daher darin von mir«6. (Warum das Bewußtsein höherer Tiere nicht auch schon Selbstbe­wußtsein ist, kann hier nicht begründet werden).

Es ist deutlich, daß Hegel vom Einzelsubjekt (vom Standpunkt des bür­gerlichen Individuums) ausgeht — ebenso wie er die beim Einzelnen (beim

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cogito) zu verankernde Erkenntnisbeziehung konstitutiv für die St \ der Weltbeziehung sein läßt (beide Gesichtspunkte gehören zusaj^^ | Darum tritt bei ihm die primäre Formbestimmtheit des Selbstbewußt a I s Begierde auf: »Das Selbstbewußtsein in seiner Unmittelbarkeit' ^ ■ zelnes und Begierde• (§ 426). Die Beziehung von selbstbewußten Subi l >n die aufeinandertreffen, bekommt dann die Form der Anerkennu ^ 430)', erst aus ihr, die dem »Kampf auf Leben und Tod« folgt, entspr^ G: allgemeine Selbstbewußtsein (§ 436). Marx erkennt demgegenüber, Konstitution des Selbstbewußtseins die Gattungsbeziehung des Inj’ ums auf andere Individuen schon voraussetzt. Narziss, der sich in sein^ nes Spiegelbild verliebt und darüber die anderen Menschen vergißt bfi* kein Mensch, kein Ich, kein Subjekt; er wird zurückverwandelt in’di 7* wußtlose Existenzform der Pflanze. Ich bin nur Ich, indem der andere^ dazu macht. Ich hätte die Möglichkeit der Reflexion nicht, würde ich ¡¡¡| durch den anderen mich selbst als »Gegenstand« erfahren. Kommun'L tion ist die natürliche Entstehungsbedingung des Selbstbewußtseins.*

Wir haben schon früher gesehen, wie Marx die Gegenständlichkeit j. Dinge und das gegenständliche Wesen des Menschen begründet: nämlich der Gegenseitigkeit der Beziehungen, derzufolge das Subjekt ebenso*? bedingt ist durch die außer ihm seienden Dinge — »sobald ich einen G*» stand habe, hat dieser Gegenstand mich zum Gegenstand« — wiediea£ dem Subjekt seienden Dinge zu Objekten der Tätigkeit des Subjekts^, den - »das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bear tung der unorganischen Natur ist die Bewährung des Menschen als einest wußten Gattungswesens«9. Diese Struktur der doppelten Reflexion, <jj( wir als universelles Seinsverhältnis auf allen Ebenen der Ent wickeltheit Seienden erkannt haben, wird jedoch auf der Stufe der »exzentrischen Po tionalität«, in welcher ein Lebewesen »in Beziehung zur positionalen steht«10, noch einmal gebrochen. Zwischen Subjekt und Objekt gibt es nicht einfach eine wechselseitige Widerspiegelung; vielmehr muß, damj ein Subjekt zu einer Objekt-Setzung in Beziehung stehen kann, die doppd. te Reflexion der wechselseitigen Subjekt-Objekt-Widerspiegelung noch einmal so gespiegelt werden, daß das Subjekt, dieses Spiegelbild auffassen kann. Das aber geschieht durch Hinzutreten eines zweiten Subjekts, dasdic Beziehung des ersten Subjekts zum Objekt selber wieder zum Objekt ha und dies dem ersten Subjekt kenntlich macht, mitteilt. Ein einfaches Sehe- mabild möge dies darstellen:

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S, 0

Sa

• tatsächlich natürlich viel komplexere Beziehung (Doppelreflexion zwi- h n S und S, — 0 sowie jeweils zwischen S2 und S,) bleibt hier ausgeblen-

um* die Ableitung des Selbstbewußtseins von S, aus der ihm durch S2 m ittelten Reflexion der S, — 0 — Relation rein herauszustellen. Sj — 0

f bt ein bloßes Aktions-Reaktions-Verhältnis, erst durch das Hinzutre- von wird die Beziehung selbst auch für S, sichtbar und damit S, wie 0

'üösbar von ihrer Beziehung aufeinander als Gegenstände bestimmbar. ^ Mensch wird zum Menschen erst durch den anderen Menschen.

) Tätigkeit und Gattungs-wesen

jyst mit der Konstitution von Gegenständen (anstelle der natürlichen Ge* ^nheit einer Umweltkonstellation) für ein Bewußtsein kann auch in ei-

i fern engeren Sinne und in strenger Unterschiedenheit vom allgemeinen Wirken, von Tätigkeit (anstelle von bloßer Aktion-Reaktion) und von S u b j e k t i v i t ä t (anstelle von animalischer Lebenskraft) gesprochen werden. Die Faktoren des vormenschlichen Beziehungssystems der einzelnen Lebe­wesen (bzw. Seienden überhaupt) bleiben dieselben, indessen ändert sich jje Qualität der Beziehungen (also des Modus der materiellen Verhältnisse) und damit auch die Qualität der Beziehungsglieder selbst—allerdings nicht ginz und gar, sondern nur insoweit der Mensch in die Natur eingreift und diese gemäß seinen Zwecken verändert.11 Die unendliche Weite des Welt- jjjs i$t von der Tätigkeit der Menschen nur in verschwindend geringem Ma­ge a f f i z i e r t —sogar dann, wenn die Menschen sich selbst und die Lebensbe­dingungen auf der Erde zerstören würden.

Die neue Qualität eines Lebenskreises, der auf der Konstitution von Ge­genstandsbeziehungen, von zweckgerichteter Tätigkeit, von Selbstbewußt­en und Subjektivität beruht, bleibt eingebettet in die Totalität der Na­tur. Zugleich aber hebt sie sich gegen die Natur ab, indem sie die eigene Na­tur des Menschen mehr und mehr entwickelt und die in ihr liegenden Mög­lichkeiten verwirklicht. »Der Mensch ist nicht nur Naturwesen, sondern «r ist menschliches Naturwesen; d.h. für sich selbst seiendes Wesen, darum Gittungmesen, als welches er sich sowohl in seinem Sein als in seinem Wissen betätigen und bestätigen muß. Weder sind also die menschlichen Ge­genstände die Naturgegenstände, wie sie sich unmittelbar bieten, noch ist

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der menschlich Sinn, wie er unmittelbar ist, gegenständlich ist, mensckj Sinnlichkeit, menschliche Gegenständlichkeit. Weder die Natur obi \— noch die Natur subjektiv ist unmittelbar dem menschlichen Wesen j! ' quat vorhanden. Und wie alles Natürliche entsteint muß, so hat auck Mensch seinen Entstehungsakt, die Geschichte, die aber für ihn eine gevviifc ! und darum als Entstehungsakt mit Bewußtsein sich aufhebender 1

hungsakt ist. Die Geschichte ist die wahre Naturgeschichte des k,* schen«u. Marx begreift in den »ökonomisch-philosophischen ManmjJ1 ten« den Selbstunterschied der Natur im Auftreten des Natunves/ Mensch. Es genügt ihm nicht, den Doppelaspekt der menschlichen aufzuzeigen, er gibt den Ursprung dieser natürlichen Unnatur (ja po,. tiell, als Entfremdung: Widernatur) an: Tätig wird der Mensch, indem die Gegebenheiten der Natur zu Gegenständen macht, von denen ersieh^ stanzieren kann und die er darum in eine ars combinatoria einzubrin» vermag, die auf andere Zusammenhänge als die unmittelbar natürlich ausgeht; darin unterscheidet sich die »gegenständliche Tätigkeit« (als ^ che nach der 1 . Feuerbachthese die menschliche Tätigkeit gefaßt werde,, muß) von allen vormenschlichen Wirksamkeiten. »Zwar produziert au das Tier. Es baut sich ein Nest, Wohnungen, wie die Biene, Biber, A n ^ etc. Allein es produziert nur, was es unmittelbar für sich oder sein JunKcj bedarf; es produziert einseitig, während der Mensch universell produzier- es produziert nur unter der Herrschaft des unmittelbaren physischen Be- dürfnisses, während der Mensch selbst frei vom physischen Bedürfnis pro. duziert und erst wahrhaft produziert in der Freiheit von demselben; es pr(). duziert nur sich selbst, während der Mensch die ganze Natur reproduzier sein Produkt gehört unmittelbar zu seinem physischen Leib, während der Mensch frei seinem Produkt gegenübertritt«‘4.

Gegenständlich wird die Tätigkeit, so haben wir gesehen, indem sit durch den anderen Menschen vermittelt wird. Der andere ist die Reflf. xionsebene, an der ich meines eigenen Verhaltens gewahr werde. Es spiel, für unseren Zusammenhang keine Rolle, wo man prähistorisch den Ober- gang zur Gesellschaftlichkeit der Weltbeziehung vollzogen sieht: ob im Stamm oder in der Familie; die lange Periode der Unselbständigkeit der Kinder dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, daß Aufzucht- Gemeinschaften gebildet werden mußten, deren Mitglieder für Schutz und Ernährung und Belehrung des Nachwuchses sorgten und dabei auch die Vorratshaltung von Lebensmitteln betrieben (Höhlenfunde aus prähistori­scher Zeit belegen dies) .15 Jedenfalls war so im Übergangsfeld der Mensch­werdung die Tendenz zur Kooperation biologisch angelegt und von Vor­teil im Selektionsprozeß des Überlebens. In der Kollektivität der unmittel­baren Bedürfnisbefriedigung entstanden Kommunikation, Vergegenständ-

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,. ng Und Selbstbewußtsein, die animalische Lebenstätigkeit wurde zur «schlichen gegenständlichen Tätigkeit, deren Ziel nicht mehr nur die

? Stillung der eigenen Begierde, sondern die allgemeine Befriedi- e der Gattungsbedürfnisse ist, die dem Individuum als allgemeine ge-

* nwärtigsirtd, einmal, wenn es planmäßig vorsorgt für sich selbst, zum an* Irin» wenn es im Kollektiv (in der Familie, in der Horde) für andere mit-

rit-1° der Vergegenständlichung seiner Bedürfnisse tritt der Gattungs- ^arakter seiner selbst und seiner Gegenstände ihm sinnlich entgegen.1 ,D<r Mensch ist ein Gattungswesen, nicht nur indem er praktisch und theoretisch die Gattung, sowohl seine eigene als die der übrigen Dinge zu ¡nem Gegenstand macht, sondern — und dies ist nur ein anderer Aus*

j^ck für dieselbe Sache—sondern auch indem er sich zu sich selbst als der ^pwärtigen lebendigen Gattung verhält, indem er sich zu sich als einem ¿¡¡verseilen, darum freien Wesen verhält«'6.

Der Begriff des »Gattungswesens« des Menschen, der für die Ableitung Besonderheit der Menschheitsgeschichte aus der Naturgeschichte von

zentraler Bedeutung ist, läßt sich von der eben zitierten Textstelle her auf- hellen. Der Terminus besagt zunächst: Indem der Mensch von der unmit- idbaren Weltbeziehung der tierischen Positionalität Distanz zu nehmen vermag und Gegenstände für sich setzt, auf die seine Tätigkeit sich richtet, |§st er sich von der Einzelheit des in sinnlicher Gewißheit gegebenen Hier

Jetzt und Dieses; er faßt mit dem von der Situation ablösbaren Gegen­stand nicht nur dessen momentanes Erscheinen auf, sondern nimmt ein Allgemeines wahr, einen für das Subjekt wiederholbaren, für andere Sub­jekte nachvollziehbaren und ihnen mitteilbaren Eindruck. 17 Wenn ein Ge­genstand benannt wird, kann er mit diesem Namen immer wieder benannt und gemeint werden, er erweist sich als ein Gegenstand solcher Art, er ist Exemplar einer Gattung von Gegenständen, so wie der Eindruck von ihm ein Exemplar einer Gattung von Eindrücken. 18 Und das gleiche gilt für das Subjekt selbst: Indem es sich zu Gegenständen verhält, die es von der Situa­tion unterscheidet, in denen sie auftreten, verhält es sich zu sich selbst als unterschieden von der Situation, in der es steht; es gewinnt ein Bewußtsein v o n sich selbst als einem in verschiedenen Situationen für sich selbst wie für andere identischen Allgemeinen. 19 Die Erkenntnis des Wesens einer Sache ¡5t die Erkenntnis ihrer Gattungsbestimmungen.

Diese Besonderheit des menschlichen Wertverhältnisses als eines Ver­hältnisses zum Gattungscharakter der Gegenstände, also der Ursprung des Allgemeinen20, führt jedoch noch einen Schritt weiter. Entbunden aus der einmaligen und unwiederholbaren Situation des Hier und Jetzt, kann der Mensch seine spontane Reaktion auf den gegenwärtigen Augenblick zu- rückhalten und das Einzelne auf einen Zusammenhang von Dingen und

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Sachverhalten beziehen; er kann vergleichen. Er erlebt auf sich selbst L- gen und also im Verhältnis zu sich selbst den Gattungscharakter der ^ hellen Verhältnisse: Diese haben eine für ihn wie für jeden zutreffend31*' gemeinheit. Indem er die Gegenstände »für sich«, auf sich bezogt heißt als Bedeutungen) erfährt, trifft er die Unterscheidung zwisch* • selbst und allen anderen; er gewinnt Selbstbewußtsein. In dieser (j ^ Scheidung aber ist ihm das Wahrgenommene zugleich gültig für ande,^' so allgemein. Die Sinnlichkeit geht so über in den Begriff. So öffnet' ihm die Welt als die gemeinsame Welt aller und jedes21, und er verhält nicht mehr nur zu seiner je eigenen Situation, sondern zu einem prina universellen Zusammenhang von Dingen und Sachverhalten. Sich selbst verhaltend, konstituiert er sich als universelles Wesen. Er wird Monade, die als Individuum zugleich idealiter die Gattung aller Seiend ist, welche in ihr repräsentiert sind. Im Modus der Bedeutung (welche v? derspiegelung von Sachverhalten ist) geht die ganze Welt in mein Bewußt sein ein und manifestiert sich mein Gattungswesen, dessen ich im Selbsk wußtsein innewerde.

3. Kategoriale Unterscheidungen

Wir gewinnen an diesem Punkt der Gedankenführung die Möglichkeit wesentlichen kategorialen Unterscheidungen. Aktivität ist Merkmal alles Seienden; in der Form der mechanischen Bewegung kommt sie auch derto. ten Materie zu, als durch Reaktionen gesteuerte eignet sie den Lebewesen (in den Daseinsweisen der offenen Organisationsform der Pflanze und der geschlossenen Organisationsform des Tieres).22 Beim Menschen bezieht sich die Aktivität auf identische und allgemeine Gegenstände, so wirdsit zur umständlichen Tätigkeit, und die attributive Bestimmung besagt gleich, daß hier das Gattungswesen des Menschen wie der Gattungscharak- ter der Dinge realisiert werden. (Es sei angemerkt, daß damit Real-Allge- meines oder Universalien als besonderer Modus der Widerspiegelung von Wirklichkeit konstituiert werden).23

Richtet sich also die Tätigkeit des Tieres auf die Befriedigung jeweils eines bestimmten empfundenen Bedürfnisses und bleibt deshalb singulär, situa­tionsgebunden und in ihrer Regelhaftigkeit auf Instinktauslöser bezogen, so ist gegenständliche Tätigkeit, wie wir gesehen haben, mit der Konstitu­tion von Allgemeingegenständlichkeiten verknüpft; ein Gegenstand wjrd erst zum Gegenstand, wenn er unabhängig von der Situation, in der gege­ben ist, als identischer festgehalten werden kann — und dann auch für ande­re kenntlich gemacht (bezeichnet) wird. Gegenständliche Tätigkeit voll-

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, t s;ch also immer schon im Rahmen einer kommunizierenden Gesell- •Haft- ‘e ‘sf ®as'sltateßor*e cs menschlichen Stoffwechsels mit der Na-

* und als solche in der ersten Feuerbachthese genannt; unterschieden von 'll r nicht-menschlichen Tätigkeit ist die menschliche eben eine gegen- indliche Tätigkeit, die Gegenständlichkeit ist ihre differentia specifica.

fr J unter Gegenständen im eigentlichen Sinne faßt Marx hier die mate- Hin Objekte im Unterschied zu den »Gedankenobjekten«, welche erst

n Ertragenen Sinne Gegenstände sind, weshalb die Gedankentätigkeit fjjs theoretische Verhalten«) nicht die primäre, sondern eine abgeleitete Form von (gegenständlicher) Tätigkeit ist.

penn natürlich können wir der Gedankentätigkeit nicht den Charakter , r G e g e n s t ä n d l i c h k e i t absprechen. Wir haben ja gerade betont, daß zur (^enstandskonstitution die Fixierung der Identität und die Erkenntnis v o m Allgemeincharakter der Gegenstandsbestimmungen hinzugehört, al- ' enau das Hinausgehen über die unmittelbare Situationsbeziehung, des- ¿n Vollzug als die erste Stufe des theoretischen Verhaltens erscheint. In­dem Tätigkeit zu gegenständlicher Tätigkeit wird, entsteht theoretisches V e r h a l t e n , und dieses ist auf dieser Stufe ein Moment des materiellen Tuns. Z u g le ic h liegt darin aber auch die Möglichkeit, das theoretische Moment des Tuns von diesem abzulösen und als Begriffsbildung und Operation mit gegriffen (Gedankentätigkeit) zu verselbständigen, also Theorie abgelöst v o m Tun (als bloße Rede von den Gegenständen) zu betreiben; schon He- riklit stellte als zusammengehöriges, aber unterschiedenes Paar von Ver­haltensweisen legein (sagen) und poiein (tun) nebeneinander.24

Abgelöst von der unmittelbaren Situation allgemeine Zwecke zu setzen und diese durch zielstrebige, auf die materielle Wirklichkeit gerichtete und a n ihren Bedingungen und Gesetzlichkeiten sich orientierende Tätigkeit zu verwirklichen, ist dann im genauen Sinne des Wortes: Arbeit. Diese ist mehr als gegenständliche Tätigkeit, weil Planmäßigkeit dazugehört, das heißt auch ein systematischer Zusammenhang von Tätigkeitsabläufen. Das hat Marx ausdrücklich durch die Termini »regeln und kontrollieren« fest­gehalten: »Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch sei- n e e i g n e Tat vermittelt, regelt und kontrolliert«25. Die dann folgende Stelle, ander Marx den Baumeister von der Biene durch die Kategorie des Zwecks unterscheidet, ist bekannt. Es muß jedoch aufmerksam weitergelesen wer­d e n . Marx legt dann nämlich Nachdruck darauf, daß der auf einen besonde­ren Zweck gerichtete Wille inhaltlich geprägt ist durch den Zwang der ma­teriellen Bedingungen seiner Verwirklichung, denen er sich unterwerfen muß; und Marx weist darauf hin, daß diese Unterwerfung unter die Natur der Sache (wie man sagen könnte) selbst die Anerkenntnis eines Allgemei-

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JUS,

schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formverände Natürlichen Arvirkt-, er verwirklicht im Natürlichen z u g le i^ ^ ‘ Zuw k, den er xvetß-, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz Iw N ; und dem er seinen Willen unterordnen muß. Und diese UnterordjT^ kein vereinzelter Akt«-’*. Dann erst ist von Arbeit zu sprechen.27 fo die Idealität der Vorstellung und die Allgemeinheit des Begriffs untn ^ verknüpft mit der Materialität und Singularität der Einwirkung ■ Naturstoff, der verändert wird. Diese Verknüpfung ist eine dialek ^ ' denn die Singularität der materiellen Einwirkung im A rbeitsprozeß ‘ gleich im Genus der Allgemeinheit, weil der Begriff der Sache in siegangen ist28, und die Materialität ist zugleich ideell, weil sie den g e s ^ Zweck in sich aufgenommen hat. Hier finden wir die Struktur des • greifens weder, und zwar genau in der oben behandelten Spiegelbild)’ i Lesbarkeit: Die Materialität der Veränderung des Gegenstandes in d /T® beit ist ontisch Gattung auch der Idealität des Zwecks, der an derMaJ-T tat das ihr entgegengesetzte Moment des Arbeitsprozesses ist; und die üJ lität der zwecksetzenden Vorstellung erscheint als logische GattmJj* materiellen Umsetzung ihres Inhalts. Ebenso: Die Singularität der JL ständlichen Tätigkeit ist ontisch Gattung auch der Allgemeinheit, djf^ Moment der Gegenständlichkeit der Tätigkeit real ist; und die Allgeöu^ | heit des gegenständlichen Inhalts der Tätigkeit erscheint als die Iob l j Gattung der Singularität des jeweiligen Tuns.29 J

Die Konkretisierung der allgemeinen geschichtsphilosophisch-anthro. pologischen Kategorie Arbeit geschieht in der Bestimmung der jeweils storischen Form der Produktion. Produktion heißt immer gesellschaftlich Produktion der materiellen Bedingungen des Lebens der Gattung (-voj »geistiger Produktion« sprechen wir doch nur in übertragenem Sinne sie vollzieht sich im Rahmen der Produktionsverhältnisse, die die Organj. sationsform der Nutzung der Produktivkräfte darstellen. »In der geseQ. schaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, not- wendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsv«. hältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Pro- duktivkräfte entsprechen«30. Die Historizität der Produktionsweise ergibt sich daraus, daß die Produktion als Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel (= insgesamt Produktionsmittel) nicht nur Vorgefundene Naturdinge ge­braucht, sondern vor allem Produkte früherer Arbeitsprozesse und, mit fortschreitender Arbeitsteilung und Interdependenz der Teilproduktio­nen, schließlich jeder Produktionsvorgang vermittelt ist mit dem gesamten gesellschaftlichen Produktionsprozeß und seiner Entwicklungsgesetz

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.ti So wird das NaturverhäJtnis des Menschen geschichtlich, nicht a l s Au* t# omie des Menschen gegenüber der Natur, sondern als immer k o m p l e - 1(1,1 erdende Vermitteltheit von Mensch und Natur, von Subjekt undOb- *'w von unendlich mannigfaltiger gesellschaftlicher Totalität und singulä- ** Sachverhalt.32 Die Theorie des Vermittlungsprozesses und seiner Kon- f iiisierungen in den jeweiligen ökonomischen Gesellschaftsformationen

der h i s t o r i s c h e Materialismus, dessen Systematik der geschichtlichen p «sse wir hier nicht zu referieren brauchen.33

pie G e s a m t h e i t der gesellschaftlichen Prozesse, der materiellen Produk-• n ihrer Organisation und der Weiterentwicklung des sie fundierenden Essens» d i e Interaktion der Menschen u n d ihre kulturelle Selbstdarstel- I „» und Reflexion, fassen wir dann unter dem Begriff der Praxis, von der

t h e o r e t i s c h e Aktivität eine — ihr auf spezifische Weise entgegengesetzte An i« (Praxis Übergreifen des Allgemeinen auch der Theorie). In der

Kategorie Praxis kommt d i e Kategorie gegenständliche Tätigkeit zu ihrem h i s t o r i s c h - m a t e r i a l i s t i s c h voll entwickelten Gehalt, Praxis ist die alle gesell- tfhaftliche Bereiche zu ihrem Gegenstand machende und gesamtgesell- s c h a f t ü c H vermittelte Tätigkeit.£s sch ein t mir wichtig, das kategoriale Gefüge von allgemeiner Aktivität

_ lebendiger Tätigkeit — menschlicher gegenständlicher Tätigkeit — Ar- _ Produktion — Praxis in seiner Differenzierung angemessen zu be­

reifen, um den Fehlern zu entgehen, die eine einseitige philosophische zentuierung des Arbeitsbegriffs oder des Praxisbegriffs nach sich zieht.

Indem wir begreifen, wie das jeweils komplexere Dingverhältnis aus dem einfacheren hervorgeht (und es in sich aufbewahrt), können wir den Wi­derspiegelungscharakter dieser verschiedenen Verhältnisse und die auf je« d e r Stufe spezifische Form der Widerspiegelung erfassen. Zugleich erken­nen wir, daß es sich dabei um Modi der »Bewegungsformen der Materie« bandelt, und können so einen Ableitungszusammenhang vom einfachen mechanischen Verhältnis bis zur gesellschaftlichen Praxis des Menschen konstruieren, also gesellschaftliche Dialektik in der Dialektik der Natur fundieren.

4, Tätigkeit als Widerspiegelung

Es fällt nun nicht mehr schwer, die scheinbare Paradoxie aufzulösen, die darin liegt daß Tätigkeit selbst ein Widerspiegelungsverhältnis sein soll. Die Erzeugung des Spiegelbildes gilt, in mechanistischer Interpretation der Me­tapher, als ein Vorgang, bei dem der Spiegel rein passiv bleibt und selbst auch nicht auf seine Gegenstände einwirkt. Leibniz hat gegen diese Ausle­

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gung Widerspruch erhoben und zur Verdeutlichung von einem jvant«, einem lebendigen Spiegel, gesprochen.-'4 Es kommt darayf H I Spiegelmetapher als Schema-Bild der Widerspiegelungstheorie nicht*1’ | Beziehung zweier voneinander isolierter Glieder, des bespiegelten 0 ^ l stands und des spiegelnden Spiegels, zu verstehen, wobei im letzte^1’1' I gespiegeltes Bild hervorgerufen wird; sondern als ein Verhältnis, in d ^ 1 spiegeltes und Gespiegeltes als Momente aufgehoben sind. Gegenst^ ( Tätigkeit, Arbeit, Praxis — und damit auf einer Seite der Beziehung* jektivität, Zwecksetzung — sind ein Verhältnis, in dem der GegenstLj Bedingung der Subjektivität wirkt, Objektivität ins Subjekt eindrinö dort als Bedürfnis, Zweck, Interesse usw. zum Antriebsfaktor der Suf l? vität wird. Zugleich findet in der Reflexion des singulären situativen Verhalts die Überführung des »praktischen« in das »theoretische 0 , statt, an die Stelle des Einmaligen und Unwiederholbaren der Sache tritt der Begriff von der Sache, das Allgemeine. Beide eng miteinander v knüpften subjektiven Tätigkeiten, Zwecksetzung und Begriffsbildung weisen sich so als die Produkte einer Beziehung, in der das Subjekt den C genstand und sein Verhältnis zu ihm reflektiert. Subjektivität ist das tat des Widerspiegelungsprozesses.

Wenn Marx in der ersten Feuerbachthese es als den Mangel alles bisherj. gen Materialismus rügte, daß er den Gegenstand nur »unter der Form (L Objekts« und »nicht subjektiv« gefaßt habe; und wenn er dem Idealist zugute hält, »die tätige Seite« (wenn auch abstrakt) entwickelt zu haben dann zielt er offenbar auf eine Überwindung des bloß objektivistischen ¡j der Passivität des Anschauens befangenen Materialismus durch Aufnahj der Subjektivität in das materielle System der Welt. Nun ist aber die Subjefc tivität gerade als Titel für Spontaneität, Freiheit, Autonomie gegen die To. talität des Bedingungszusammenhangs, der Notwendigkeit, der Geschöpf, lichkeit des materiell Seienden eingeführt worden. Der Dualismus von res cogitans und res extensa bei Descartes, von moralischer und physischer Welt oder praktischer und reiner Vernunft bei Kant trägt der Tatsache Rechnung, daß die Subjektivität nur in Entgegensetzung zu einem am me­chanischen Kausalnexus orientierten Weltbegriff definiert werden kann. Die Einholung der idealistisch verabsolutierten Subjektivität in eine Totali­tät, deren Einheit in der Materialität begründet wird, muß also den matt riellen Ursprung der Subjektivität, die Bedingungen der Möglichkeit der Freiheit und mithin Freiheit als einen Modus der Notwendigkeit aufzeigeo können.

Die Feuerbachthesen versichern (wie zuvor schon in ausgebreiteterer Form die ökonomisch-philosophischen Manuskripte), daß die praktische, menschlich-sinnliche Tätigkeit das Prinzip der materiellen Einheit von

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Objekt unc Subjekt sei. Ohne die Ausführungen über das »gegenständliche Wesen«, das »Naturwesen«, schließlich über das »Gattungswesen« des % |iiisch c*n (auf die wir oben eingegangen sind), ist die Abbreviatur der er­sten und der fünften Feuerbachthese nicht zu verstehen. Marx zeigt schon : j tfn Frühschriften, daß die Ökonomische Tätigkeit als spezifisch menschli- |»e Form des Stoffwechsels mit der Natur (den alle Lebewesen zur Grund- I ihrer Existenz haben) den Schlüssel zur materialistischen Interpreta­tion der Subjektivität liefert. Ökonomische Tätigkeit — das ist Produk­tion Die Keimzelle des ausgebildeten historischen Materialismus findet ••h schon in den Pariser Manuskripten.

M it n i c h t e n findet sich dort aber die Konstruktion dieses Prinzips der Ma- ¿nalität des Subjektiven. Vielmehr wird die Materialität des Subjektiven

j l s R e s u l t a t der Beschreibung der wirklichen Verhältnisse (also gleichsam Dich Art der Hegelschen »Phänomenologie«) entfaltet und gesetzt. Wie es iber zu jenem Reflexionsverhältnis komme, das sich in der Gegenständ­lichkeit der menschlichen Tätigkeit manifestiert, wird ebensowenig abge* (¿tet, wie bei Hegel der Standpunkt des Wissens, auf den sich die »Phäno­menologie des Geistes« stellt, wenn sie die Weltgeschichte als »Werden des Essens« darstellt. Die Aporien des Anfangs oder der Selbstbegründung der P h i l o s o p h i e sind hier nicht thematisiert. Implizit sind sie das im 5. Kapi­tel des ersten Bandes (und an manchen anderen Stellen) des »Kapital«, expli- ¿t erst bei Engels in den Erwägungen zur »Dialektik der Natur« mit dem R ü c k g a n g a u f die »Bewegungsformen der Materie« als dem ontologischen prinzip der »Spezifikation der Natur«.

Das Modell indessen, das das Verhältnis von universellem Bedingungszu- jHiunenhang alles Seienden und Aktivität des Einzelnen konstruiert, stellt

die Widerspiegelungstheorie dar. Sie macht deutlich, daß der Grund d e s freien Verhaltens von Subjekten zu ihrer Umwelt darin liegt, daß diese U m w e lt sich als Subjekt-Objekt-Relation in dem Bewußtsein der Subjekte ideell reproduziert, so daß sie zum Gegenstand von Handlungen (und Be­trachtungen) und damit zum Inhalt von Zwecken werden kann und folg­lich die Subjekte auf die Umwelteinflüsse nicht nur reagieren, sondern »ge­regelt und kontrolliert« antworten. Leibniz hatte dieses Modell im Zusam­menspiel von perceptio und appetitus schon vorgebildet und auch erkannt, daßerdie beiden Eigenschaften der Substanz (die ihre Subjektivität begrün­den) in gradueller Abstufung allen Seienden zuschreiben muß, wenn er die Einheit der Welt aus einem Grunde konstruieren will. Die Engelsche Kon­zeption der Entwicklung der Naturseienden zu immer komplexeren Orga- nisations- und Bewegungsformen als Folge der mit der einfachen mechani­schen Wechselwirkung anhebenden Widerspiegelungsprozesse gibt das materielle Prinzip an, nach dem dieses Modell funktioniert. Darum ist nur

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eine auf der Dialektik der Natur aufbauende und aus ihr hergele‘ gründung des historischen Materialismus gegen Rückfalle in ideal;»* ^ Auffassungen vom Wesen der menschlichen Tätigkeit gefeit, [V . »y5 spiegelungstheorem aber formuliert die Struktur der Naturdialekt t ^

Die Philosophie gelangt damit an den Punkt, an dem sie die Wide • lung nicht länger mehr behandeln kann wie ein Verhältnis, das sie tet und beschreibt. Sie muß vielmehr sich selbst als Widerspiegelu ^ Verhältnisses des Menschen zur Welt begreifen und also den Stand^*^ bestimmen, an dem sie als Spiegel aufgestellt ist und aus welcher P e i / ^ ve er sein Spiegelbild entwirft. Wie diese Frage des Anfangs der PhiloJ!^ (oder der Begründung der Philosophie auf Nicht-Philosophie) zu lg^ hat Marx in der zweiten Feuerbach-These angedeutet: Es »ist keine f**' der Theorie, sondern eine praktische Frage«. Sie ist dies, weil unsere d lö ­sche Tätigkeit selbst das Widerspiegelungsverhältnis ist, das wir th e o r‘ darstellen. Der Schritt geht von der ontologischen Konstruktion der ft lektik als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs zu ihrer Begründung der gesellschaftlichen Praxis.

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Anmerkungen zum Vorwort

I Ich nenne vor allem: Die Rolle der Philosophie für die Gesellschaftswissenschaften, als Ma- uikript gedruckt im Protokoll der Marburger Arbeitstagung zum gleichlautenden Thema vom

fl Mai 1973- — Wissenschaftspluralismus — ein unsinniger Begriff, Deutsche Universit'äMzei- jyßK 1971, Nr- 23, S. 165 f. — Zur Einheit von Natur* und Gesellschaftswissenschaften, in H.J. tynlkÖhler(Hg), Die Wissenschaft der Erkenntnis und die Erkenntnis der Wissenschaft, Stutt- ' 1978, S. 249 ff.—Offene Fragen der Systemtheorie, in Friedrich/Schweizer/Sem (Hg). Mar­k u s und Kybernetik, Kronberg/Ts. 1975, S. 88 ff.

> pit$cr Vorwurf wurde — dies sei hier stellvertretend für viele ähnlich lautende Argumenta- (jonco angeführt — mii Nachdruck von Jean Paul Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Hanbekbei Hamburg 1967, vertreten; siehe vor allem S. 27 ff; ders. in Existentialismus und Mar­k u s , eine Kontroverse zwischen Sartre, Garaudy, Hyppolite, Vigier und Orcel, Frankfurt „»Main 1965, S. 17 ff, besonders S. 22 ff. Auf eine kurze Formel gebracht, ebd., S. 89: »Sobald Sie ,0 0 der Natur als Totalität sprechen, stelle ich fest, daß Sie diesen theologischen Dogmatismus, ^JemSie nichts wissen wollen, durch die Hintertür wieder ein führen«. Zur Kritik dieses »lin- wn Revisionismus« vgl. H.J. Sandkühler, Praxis und Geschichtsbewußtsein, Frankfurt am Vlun 1973, S. 109 f (Anm. 155).y Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Berlin und Libau 1790, S. XXXV; in Werke, ed. Ptischedel, Band V, Darmstadt 1957, S. 259. — Vgl. Ebd.: »Wenn man also sagt: die Natur spezi-

5*!«n ihre allgemeinen Gesetz« nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnis- «r«n6g*n* d-i- zur Angemessenheit mit dem menschlichen Verstände in seinem notwendigen (¿schifte: zum Besonderen, welches ihm die Wahrnehmung darbietet, das Allgemeine, und pun Verschiedenen (für jede Spezies zwar Allgemeinen) wiederum Verknüpfung in der Einheit je Prinzips zu finden: so schreibt man dadurch weder der Natur ein Gesetz vor, noch lernt man ¿ne von ihr durch Beobachtung«. Eine Begründung der Spezifikation der Natur in der Natur gibst wird hier schlank weg ausgeschlossen.

Anmerkungen zur Einleitung

1 Zum Ideologie-Problem vgl. Erich Hahn, Ideologie, Berlin 1969. — Alessandro Mazzone, Qucstioni di teoria dell’ideologia, Bd. 1, Messina 1981.

2 Vertreter einer solchen Auffassung bleiben allerdings den Aufweis schuldig, wie sie einen ßtgnffvon wissenschaftlicher Rationalität oder objektiver Erkenntnis ohne philosophische Re- (ludoD gewinnen wollen.

J Zwischen den beiden hier zusammengestellten Äußerungen von Marx und Engels liegen jihrzehnte. Sie zeigen indessen, daß bei aller Entwicklung im Denken der Begründer des wissen­schaftlichen Sozialismus ihnen die Beziehung der politisch-ökonomischen Theorie auf die durch Philosophie repräsentierte Totalität nicht aus dem Blick geriet. Die Philosophie ist ein in­tegraler Bestandteil der marxistischen Theorie — das hat auch Lenin, Drei Quellen und drei Be- jtindteile des Marxismus, LW 19, S. 3 ff., klar ausgesprochen. Er nennt die Philosophie dabei so­gar an erster Stelle. Die Reihenfolge Philosophie — Ökonomie — Sozialismus ist nicht beliebig, jondem deduktiv.—Zur Diskussion über die dreifache Wurzel des wissenschaftlichen Sozialis­mus vgl. M. Hahn/H.J. Sandkühler, Bürgerliche Gesellschaft und theoretische Revolution — Zar Entstehung des wissenschaftlichen Sozialismus, Köln 1978, und darin meine Ausführungen 12« ff.

4 F. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, S. 316.5 Aristoteles, Met. HI und IV. Vgl. zum Konzept der »Ersten Philosophie« Margherita von

Brentano, Zum Problem der »Ersten Philosophie« bei Aristoteles, in H. Fahrenbach (Hg),

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Wirklichkeit und Reflexion, Pfullingen 1973» S. 37 ff.l Feuerbach, Vorläufig? Thesen zur Reform der Philosophie, in Kleine philojohk-

Schriften, hg. von M.G. Lange. Leipzig 1948, S. 47 ff, hier: S. 55. ***7 MEW 20. S. 20 f.8 Immanuel Kam, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als . .

wird Auftreten können, Riga 1783, S, 4; in Werke cd. Weischedel, Band 111, Dirtnstaj, !^ S. 113. *<

9 Die transzendentale Dialektik in der «Kritik der reinen Vernunft« besorgt diejesG *^ der Destruktion.

10 Vgl. Autorenkollektiv, Geschichte der Dialektik 1 — IV, Berlin 1975 ff.11 Vgl. hierzu die Diskussion Fulda/Hontmann/Theunissen, Kritische Darstellungen

laphysik, Frankfun am Main 1980. Dort heißt cs, Theunissen habe »gut und gründlich,..!*!,- •ift'Hegel sein Verfahren als das der Einheit von Kritik und Darstellung verstanden wuse -'' und iia$es ihm (auch) um die Destruktion der traditionellen Metaphysik geht«. A.a.O,$ £ Fulda und Horamann richten dann allerdings an Theunissen die unbeantwortete Frage, eher ITeue diese Aufnahme der Metaphysik ineinsmit ihrer Destruktion erfolge und watdti^ den Tvpus Hegelschen Philosophieren$(und ich füge hinzu: und allgemeiner furdcnClun^ von Dialektik) besage.

12 MEW 20, S. 20 f.13 MEW 23, S. 27.14 Diese »Mystifikation«, dergemäß die Wirklichkeit erscheint, als sei sie der Begriff,

rend der Begriff sie in Wahrheit doch nur dm tdlt, entspringt notwendig aus dem Verfahren 4, spekulativen Konstruktion des nicht empirisch gegebenen Gegenstandes »Welt im ganzen«^ tum, Unendlichkeit). Ein System spekulativer Philosophie ist daher prinzipiell immer tisch, die »materialistische Lesart« eines solchen Systems kann immer nur in seiner »tlm^ mng* bestehen. Vgl. dazu H.H. Holz, Hegel — vom Kopf auf die Füße gestellt, Q Buhr/Oiserman (Hg), Vom Mute des Erkennen*, Berlin 1981, S. 46 ff. Ich kann hier nicht »«u, darauf eingehen, daß nach meiner Auffassung Hegel die Problematik der idealistischen Fonn da spekulativen Systems wenigstens an einigen Stellen gesehen und deren Widerspiegelungschant. ter angedeuict hai; ich werde dies in einer Interpretation des Hegelschen System-Ansätzen^ derer Stelle weiterführen. Ich meine indessen, daß die Interpretation Hegels hier auf zentn], Probleme des Philosophieverständnisses überhaupt führt und damit selbst systematischen Cli». rakter für die Dialektik besitzt.

15 Vgl. T. Pawlow, Die Widerspiegelungstheorie, Berlin 1973.16 Vgl. H.H. Holz, Die Selbstinterpretation des Seins, Hegel-Jahrbuch 1961,2. Hälft«,S.fl

ff, zur Analyse der Struktur des Spiegelverhältnisses.17 Dies gih für Positionen, wie sie von Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frank-

fort am Main 1968, S. 36 ff; den., Theorie und Praxis, Neuwied und Berlin 1963, S. 317 ff verve. ten werden und in verschiedenen Varianten von anderen Marxismus-Interpreten aufgenommn worden sind.

18 Den Terminus »Idealismus der Freiheit« entnehmen wir Diltheys Klassifikation derWeh- anschauungen, Gesammelte Schriften Band 8, S. 75 ff. Jean Paul Sartre hat die Wirklichkeit]!) »Entwurf« des Menschen dargestellt in »Das Sein und das Nichts«, Reinbek bei Hambutg 1962.

19 M£W 20, S. 24.20 Dies kann allerdings erst philosophisch abgeleitet werden in dem noch ausstehenden

zweiten Teil unserer Untersuchung über das Verhältnis von Theorie und Praxis. Die folgend« Schlußbemerkungen der Einleitung bleiben darum unvermeidlicherweise deklarativ. Sie sollen lediglich andeuten, in welcher praktischen Perspektive die Erörterungen stehen, weicht zuwei­len als »rein theoretisch« und ihrem Gegenstand nach »metaphysisch« erscheinen mögen.

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^merkungen zu Kapitel I

I Immanuel Kant, Krit ik der reinen Vernunft, B 349 ff, bestimmt den Sinn der tranzendenta- I^PuMuik und »des Interesses der Vernunft an dieser«.I Kant ß .M9, 352 — 354. Zur transempirischen Intention der Dialektik vgl. Hans Heinz

Holt Natur und Gehalt spekulativer Sätze, Köln 1980.) Kant B 534: »So wird demnach die Antinomie der reinen Vernunft bei ihren kosmologi-

n-hen Ideen dadurch gehoben, daß gezeigt wird, sie sei bloß dialektisch und ein Widerspruch ei* ^Scheins, der daher entspringt, daß man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine (bhngungder Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstel­l u n g und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im successiven Regressus, sonst aber gar nicht existie-

Also ist es auch falsch, daß die Welt (der Inbegriff aller Erscheinungen) ein an sich existie- „odrt Ganzes sei«.

4 Darum kommt Leibniz zu einer Vielheit von Monaden, weil unbezweifelbar ist, »ut varia a ,nef<rcipiantur«. Vgl. Hans Heinz Holz, Die Konstruktion des Kontingenten, in Klaus Peters, Volfgang Schmidt, Hans Heinz Holz, Erkenntnisgewißheit und Deduktion, Darmstadt und tftuwied 1975, Seite 129 ff.

5 Kant B 525.6 Die notio completa entspricht der Widerspiegelung der ganzen Welt in jeder Monade. Vgl.

Hias Heinz Holz, Leibniz, Leipzig 1983, cap. 2. Beitrand Russell, Die Philosophie des logischen Atomismus, München 1976, Seite 193 f.

Diraus gewinnt er seine Definition für Individuen, ebd., Seite 198 f.8 Russell, a.a.O., Seite 201.9 W.I. Lenin, Werke, deutsch Berlin 1961 — 69, Band 38, Seite 338.10 Kategoriale Voraussetzung dieser Interpretation der Weltgeschichte ist der reale Status

tob Möglichkeit. Vgl. Ernst Bloch, Werke Band 5, Frankfurt am Main 1959, Seite 258 ff. Dazu Ja Leibniz-Axiom: omne possibile exigit existere. — Vgl. Hans Heinz Holz, Logos spermati- k«, Darmstadt und Neuwied 1975, Seite 91 ff.

|1 Camilla Warnke, Systemdenken und Dialektik in Schellings Naturphilosophie, in H. fjtigmann/U. Hedtke/P. Ruben/C. Warnke, Dialektik und Systemdenken, Berlin 1977, Seite 120

12 G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke (Suhrkamp) Frankfurt am Main 1970, Bd. 12, Seite 86 f.

1) Ludwig Feuerbach, Zur Kritik der Hegelschen Philosophie, Berlin 1955, Seite 25.14 Vgl. dazu und zur Konstitution logischer Kategorien Reiner Winter, Gegenstand und

Identität, Marburg (Diss.) 1981.15 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Werke a.a.O., Band 6, Seite 573:

,Indem die Idee sich nämlich als absolute Einheit des reinen Begriffs und seiner Realität setzt, so­mit io die Unmittelbarkeit des Seins zusammennimmt, so ist sie als die Totalität in dieser Form — Abiw«. Lenin bemerkt an dieser Stelle, daß Hegel da, wo er am idealistischsten scheine, dem Ma­terialismus am nächsten sei. A .a.O ., Seite 226.

16 Feuerbach, a.a.O., Seite 133 und 131 f.17 Feuerbach, a.a.O., Seite 80.18 Die Freilegung systematisch notwendiger Inkonsistenzen in metaphysischen Systemen

ist dirum ein wesentliches Moment ihrer materialistischen Interpretation. Marx nannte dies in seiner Dissertation die Konstruktion der »wesentlichen Bewußtseinsform« eines Philosophen.

19 MEW 23, Seite 11.20 Feuerbach, a.a.O., Seite 27.21 Feuerbach, a.a.O., Seite 80.ü MEW 3, Seite 5.2J Zur Sicherung der Gewißheit des »Ich bin« vgl. Klaus Peters, Zur Dialektik von Existenz

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und Extrnsion, in Petm/Schmidt/Holz, m.x.O., Seite 9 ff.'•* Helmuth Plrtjrjfr spricht von der «exzentrischen Position« des Menschen und

damit den IJbergang vom Natur- zum Gesellschaftswesen.- Die Stufen des Organischen uqjT* Mensch, Berlin und New York IV’ 5 l.

25 Die logische Verfassung des Verhältnisses von theoretischer Abbildung und prikij^i Verhaken hat Josef König, Vorträge und Aufsitze, Freiburg und München 1978, Seitein seiner Unterscheidung zwischen »praktischem und theoretischem Dieses« herausgearbej Vgl. dazu Hans Heinz Holz, Jotef König und das Problem einer spekulativen Logik, ü, u Heinz Holz (Hg), Formbestimmt heilen von Sein und Denken, Forschungshefte des Zentn . für philosophische Studien Sant’Abbondio, Heft 1/2, Köln 1982, Seite 13 ff, hier Seite25#

26 MET 3, Sette 5.2? In Aufnahme der Argumentationen von K.H. Tjaden, K. Holzkamp und U. Hokfc.-

Onerkamp «eilt Horst Holzer das evolutionstheoretische Modell des historischen Mattri^ mus in präziser Knappheit dar (Horn Holzer, Evolution oder Geschichte, Köln 1978, Seit« ft\ Der Ursprung der gesellschaftlichen Arbeit aus »ihren Vorformen in tierischen Sozial^ turen«, der Zusammenhang und Gegensatz von außermenschlicher und menschlicher Natur^ selber ein Naturzusammenhang, in dem die Sonderstellung des Menschen entspringt, die schaftliche Entwicklung* als »der Wechsel der Formen, in denen sich die Auseinandersetzung zwischen menschlicher und außermenschlicher Natur vollzieht«, »die besondere Qualität da Selbstherstellung jenes Formenwechsels durch die tätigen Menschen« (a.a.O., Seite 168 f)~d# sind die hauptsächlichen Aspekte, unter denen die Einheit und der Gegensatz von Natur uaj Gesellschaft gesehen werden. — Die (nur idealtypisch zu verstehende) Vertragstheorie spiegj hingegen das Selbstverständnis schon des bürgerlichen Produzenten, der sich als einzelner,^ rat er, im Gegensau zu allen anderen Konkurrenten Hebender begriff. Die in seine Staatoluo/k eingebende Anthropologie des Thomas Hobbes ist ein frühes Zeugnis dieses Sclbstverain^ , sei. Vgl. hierzu Gerrit Manenschiin, Moraal en Eigenbelang faij Thomas Hobbes en Ada® Smith, Amsterdam 1979.

28 Vgl. Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzen&o- uie Phänomenologie, Husserliana VI, den Haag 1953, Arnold Metzger, Phänomenologie und Metaphysik, Halle 1933.

29 Der Charakterisierung der in sich unterschiedenen Einheit von Natur und Mensch diurh Peter Damerow, Peter Furth, Bernhard Heidtmann, Wolfgang Leßvre, Probleme der materiali- suchen Dialektik, in P. Furth (Hg), Arbeit und Reflexion, Köln 1980, Seite 234 ff ( - SOPO 9.Jg., Heft 4, Seite 5 ff), ist im Großen und Ganzen zuzustimmen: »Die wirkliche Arbeit, die allen weiteren menschlichen Geschehen zugrunde liegt und aller metaphorischen Übertragung vor­ausliegt, ist ein Naturprozeß, in dem der Mensch dem »Naturstoff selbst als eine Naturmicht, gegenübertritt, Zwar vollzieht sich dieser Naturprozeß nur durch die eigene Tätigkeit des Men- sehen, diese Tätigkeit aber ist wiederum selber naturbedingt und deshalb in ihrem Vollzug wie in ihrer Zielsetzung gegenständlich bestimmt. Sie ist wirkliche Arbeit nur als die Einheit ihrer sub­jektiven und objektiven Bedingungen« (ebd., Seite 235 ■ Seite 6). Indessen scheint mir Peter Furth zu weit zu gehen, wenn er den Gedanken von Georg Lukacs ablehnt, daß »das gesellschaft­liche Sein... aufgrund der Arbeit als Prozeß der 'Abhebung* von der Natur, als eine asymptoti­sche Aufhebung erster in zweiter Natur verstanden werden können (soll)« (P. Furth, Arbeit,Te­leologie, Hegelianismus, in DIALEKTIK 2, Köln 1981, Seite 99 ff, hier: 104). Zum mindesten scheint mir das Bild des »Sich-Abhebens« die Möglichkeit einer relativen Verselbständigungder zweiten Natur gegenüber der ersten einzuschließen und damit die Gefahren der Um weit Zerstö­rung als pervertiertem Modus des Stoffwechsels der Gesellschaft mit der Natur zu berücksichti­gen. Daß diese Gefahren durch die Dominanz partikularer Zwecke in den Klassengesellschaften akut geworden sind, läßt die Relevanz des teleologischen Moments in der Arbeit erkennen. In­dessen ist Furths Kritik an der Interpretation des Arbeitsverhältnisses bloß von der Teleologie her richtig und zeigt deutlich die weltanschaulichen Konsequenzen eines solchen Irrwegs.

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,0 MF.W. EB1, S. 575.j | MEW, EB1, S. 577 f.: «Wenn der wirkliche, leibliche, auf der festen wohlgerundeten Erde

„chrnde, alle Naturkräfte aus* und einatmende Mentch seine wirklichen, gegenständlichen IPV ^(Jtr^ttdurvh seine Entäußerung als fremde Gegenstände tetzt, so ist nicht das Setzen Subjekt;

die Subjektivität gegenständlicher Wesenskräfte, deren Aktion daher auch einegtgenttdndli- ^ muß. Das gegenständliche Wesen wirkt gegenständlich, und es würde nicht gegenständ*I j , wirken, wenn nicht das Gegenständliche in seiner Wescnsbestimmung läge. Es schafft, setzt .tr(4genstJnde, u<nl es durch Gegenstände gesetzt ist, weil es von Haus aus Natur ist«. Leibniz Im das Obergreifen des Prinzips der Tätigkeit Uber das des Leidens gegenständlich als Kraft be- iftchnef, welche das Wesen des Seins ausmache. Vgl. dazu J. König, Das System von Leibniz, , ¿ 0 .. Seit« 27 ff.

jl C. Warnke, a.a.O., Seite 127. Dieser Gedanke liegt dem Leibnizschen Monadensystem zu­grunde; vgl. H.H, Holz, Leibniz, a.a.O., pass. Die Konzeption einer Dialektik der Natur bei l/abniz beruht darauf, daß Reflexion in verschiedenen Modi auf einer kontinuierlichen Skala ge- jj -ht wird, die von vollkommener Unbewußtheit bis zu deutlicher Apperzeption reicht, so daß ju Verhältnis von Natur und Mensch nur als ein besonderer, wenn auch ausnehmend besonde­rer NI des allgemeinen natürlichen Reflexionsverhältnisses (welches die Seinsweise der Welt lBSges»mt bezeichnet) erscheint.

)3 Vgl. H.H. Holz, Der Begriff der Natur in Schellings spekulativem System, in H.J. Sand­e le r (Hg), Natur und geschichtlicher Prozeß. Studien zur Naturphilosophie Schellings, Frankfuit/Main (im Druck).

J4 Diese Depravierung des Marxismus um seine ontologische Komponente auf eine Ge- ghkhcstheorie nahm von Georg Lukics* »Geschichte und Klassenbewußtsein« ihren Ausgang, wirkte von da u.a. auf Maurice Merleau-Ponty und Jean Paul Sartre und den französischen Exi- «mialismus einerseits, auf die gesamte »Frankfurter Schule« andererseits ein, um nur die zwei einflußreichsten Folgeerscheinungen zu nennen. Mit dem Versuch des alten Lukics, einen onto­logischen Boden wiederzugewinnen, und mit den spezifischen Verkürzungen seines Ontologie- begriffs können wir uns hier nicht auseinandersetzen.

35 Alessandro Mazzone, Questioni di teoria dell’ideologia, Messina 1981, hat diesen Ver* ¿acht vehement ausgesprochen. Er erhebt den Vorwurf, daß die menschliche Arbeit im allge­meinen (il lavoro umano in genere) immer nur einen Begriff der Arbeit (un concetto »del lawro«) geben könne, während es doch darum gehe, »die wirkliche historische Arbeit... als be­sondere Gestalt der verschiedenen ökonomischen Gesellschaftsformationen« zugrunde zu le* pn (Seite 72 — 76). Indem man jedoch den Begriff der Arbeit statt der wirklichen Arbeit »zum Subjekt des Geschichtsprozesses« mache, unterlege man durch einen idealistischen Paralogis* oius dem marxistischen Begriff der Produktivkräfte einen nur in der Idealität zu konstituieren* <ka Begriff der Arbeit. Die Gefahr, auf die Mazzone hinweist, ist sicher präsent. Indessen fällt er io du andere Extrem, Termini für Gattungsallgemeines überhaupt nicht mehr zuzulassen. Ver­achtet man jedoch auf den Gebrauch von Universalien, so kann man die Einheit von Natur und Geschichte als einen Selbstunterschied der Natur nicht mehr ausdrücken und kommt dazu, die Menschheitsgeschichte der Natur als ein Disparates gegenüberzustellen; ja sogar die Mensch­heitsgeschichte wird dann letztlich in ihren spezifischen Gestalten nur noch kasuistisch be­schreibbar. Daß dem nicht so ist, garantiert das Universale »ökonomische Gesellschaftsforma­tion« (von dem ja auch Mazzone Gebrauch macht). Und ich stimme Cesare Luporini zu, wenn er, Lenins Marx-Interpretation aufnehmend, schreibt, der theoretische Begriff »ökonomische Gesellschaftsformation« sei »so beschaffen, daß er die Pluralität und die historisch-zeitliche Ab­folge seiner konkreten Referenten fordert und... somit die Idee einer geschichtlichen Entwick­lung in der (progressiven) Aufeinanderfolge bestimmter Gesellschaftsformationen (enthält)« (Luporini in M. Hahn/H.J. Sandkühler (Hg), Bürgerliche Gesellschaft und theoretische Revolu­tion, Köln 1978, Seite 56). — Der theoretische Begriff tritt hier als ein Universale auf, das jeweils historisch spezifiziert werden muß. Ist die Idealität eines Begriffs die Widerspiegelung eines

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Real-Allgemeinen (im Gegensatz zu nominalistischen Begriffsbildungen), so hat sie eintu angebbarrn Pia« in einer materialUtischen Ontologie, Erkenntnistheorie und theone. Hier v i noch bemerkt. daß der Terminus •ökonomische G e se lU c h a iisfo ^ ^ v beiden von Luporini angegebenen Lesarten ein Real • Allgemeines bezeichnet —einmal d f , ,^ meinen Charakter jeweils einer Gesellschaftsformation unterschieden von anderen(a.a.o » r “ 58), mm anderen ein umcum awnrn»tm, »dessen interne Variationen (in den Vcrhilini^T** die "Produktionsweise- konstituieren) die Diskontinuität der großen Gesellsthajftrformlt¡0 henorbringen und der Geschichtsschreibung eine objektive epochenmäßigc P e r io d i * « ^ möglichen* (a.a.O., Seite 59). Dieser zweite, im Vorwort zur »Kritik der polnischen Ö k o ,*?* von 1859 ausgewiesene Begriffsgebrauch würde unter Mazzones Verdikt eines »ideafajj*' Paralogismo* fallen. Diese Konsequent seiner berechtigten, aber über das Ziel h in a u s * )^ den Kampfansage an eine anthropologische Verfälschung des Marxismus scheint ihm nichj^ wußi gewesen zu sein.

36 Dies in das Thema von Galvano della Volpes »Lógica come scienza storica«. Opere, 1972 73, Band 4. Vgl. dazu auch Nicolao Merker, Galvano della Volpe als Theoretiker deifo/ xismus, in della Volpe, Rousseau und Marx, Darmstadt und Neuwied 1975, Seite 7 ff. _ ß j * ' genüber der außermenschlichen Natur neue Verhältnis von angeborenen und erworbenen L genschaften, das durch den Vorrang von Lernprozessen gegenüber Instinkthandlungen g»ti ist, kann als Konstitutivum der menschlichen Natur ( - seiner Geschichtlichkeit) aufgtfaß, den. Vgl. Hont Holzer. a.a.O., Seite 178 ff. Zur Legitimation des Begriffs menschlichevgl. G. Rückriem/F. Tombe^/W. Volpeit u.a. Historischer Materialismus und menschlich Natur, Köln 1978.

37 Kapital L cap. 5, MHW 23.38 Damerow u.a., a^-O-, Seite 235 ( - Seite 6). Vgl. MEW 20, Seite 444 ff.39 Daß hierbei die Sprache eine neben der Arbeit konstitutive Rolle spielt, muß in &

Subjekt-Objekt'Dulektik von Anfang an aufgenommen werden. Dies hat J. W. Stalin, Überde,, Marxismus in der Sprachwissenschaft, Berlin 1952, hervorgehoben. Ich möchte darauf ¡n ij^ rcn, daß dieser Aspekt, dessen Untersuchung seither wieder vernachlässigt wurde, in einer oy. xistischen Dialektik nicht ausgeblendet werden darf. Sprache und Arbeit bilden einen unauilöj. baren Zusammenhang. Ohne die Ausbildung von kommunizierbaren Zeichenkomplexen (Be. deutungen) würden die auf allgemeine Zwecke gerichteten wiederholbaren kollektiven Tätig, keiten und die Modellierung von wiederkehrenden, identifizierbaren Gegenstandsbeziebungeg durch Werkzeuge nicht möglich; andererseits gäbe es keinen Anreiz zur Entwicklung der Spr* che, wenn nicht unter den Bedingungen kollektiver Tätigkeit. Die »Menschwerdung des Affen, ist kein monokausaler, sondern ein kontenueller Prozeß. Vgl. H. Holzer, a.a.O., Seite 176. Zu/ Frage des Übergangsfeldes Mensch-Tier vgl. die Arbeiten von Klaus Holzkamp und Ute Holzkamp-Osterkamp.

40 Georg Lukics, Ontologie — Arbeit, Dannstadt und Neuwied 1973.41 H. Plessner, a.a.0., In einem NDR-Rundfunkgespräch mit dem Verf. hat Plessner derla-

teipretation zugestimmt, daß sein Ansatz in eine Dialektik der Natur einmündet.42 Josef König, a.a.O., Seite 88 ff und 149. Vgl. oben Anm. 25.43 Lenin, Werke, Band 38, a.a.O., Seite.44 Wir verfolgen hier nun den von König emgeschiagenen Weg und die Beziehungzu Hegel

nicht weiter, sondern verfolgen eine andere Perspektive, die sich aus dem Übergang von der praktischen zu der theoretischen Einstellung ergibt.

45 Gottfried Wilhelm Leibniz, Kleine Schriften zur Metaphysik, ed. H.H. Holz, Darmstidt und Frankfurt/Main 1965, Seite 453 (Monadologie 32).

46 Kant B 388. Dahin gelangt auch Leibniz in der Konstruktion des Kontingenten. Vgl.daaj H.H. Holz, Die Konstruktion des Kontingenten, a.a.O., pass.

47 H.H. Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, a.a.O., Seite 25 ff.48 MEW 20, Seite 307.

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MF.W 20, Seite 24.q Edmund Huwerl spricht von "Rcgionaloniologien". Der damit angezielte Sachverhalt,

U8<s<'ni philosophische Begründung und Charakterisierung spezieller Gegenstandsbereiche -Vt. verdient Beachtung im Hinblick auf die theoretische Widerspiegelung der “ Spezifikation

Natur" (der außermeftschlichen wie der menschlichen, der Geschichie und Gesellschaft).I f. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie,

Ijussetliana Band 3 — 5, den Haag 1950 ff.jl Über die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des spezifisch Philosophischen vgl, Werner

vonH*ren, Wahrnehmung und Erkenntnis, Frankfurt am Main 1982, Seite 13 ff.y H.H. Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, a.a.O., Seite 31. Vgl. insgesamt die Aus-

tvhmngtn Seite 30 f. — Daß der Gesamtzusammenhang immer nur gedacht, daß heißt als Idee R inder Form eines metaphysischen Modells gegeben ist, besagt nicht, daß er nur als ¡äee( idea-

die Idee ist vielmehr die Widerspiegelung der Realität der Well als Totum. Darauf insbesondere auf den Widerspiegelungsmodus des spekulativen Denkens werden wir später

jurüikkommen.5) Hans Jörg Rheinberger, Dialektik der Natur — Grundgesetze der Dialektik, SOPO

4),$eit< 75 ff. — Allerdings sehe ich nicht, warum im Rahmen der allgemeinen Historizität der N,iurder Ursprung des Menschengeschlechts überhaupt ein philosophisches Problem sein soll,

es bei Damerow u.a., a.a.O., Seite 257 ff ( - Seite 22 ff) erscheint. Der kontinuierlich gleiten­de Übergang vom Tier zum Menschen, der von einer biologischen Anthropologie, die ihr Vor­bild in Helmuth Plessner hat, einschließlich der in diesem Kontinuum vorkommenden “Sprün* p "beschrieben werden kann, bietet gegenüber den sonstigen Problemen der "Spezifikationder Mitur’*bzw. der Evolution keine andersartigen Schwierigkeiten. Nur wenn die philosophische ßjgjündungsfrage dem Schema einer linearen Kausalität subsumiert wird, ergibt sich die (m.E. unsinnige) Frage, welcher Faktor denn nun die Entstehung der Art homo sapiens entscheidend btwirkt hat. Die langen Überlegungen bei Damerow u.a. zu diesem Thema kommen über die von Anfang an feststehende Bemerkung nicht hinaus: »Die Entwicklung zum Menschen als konkreter Totalität, alsEinheit von Gattungswesen und Individuum, läßt sich begreifen als Pro- tS der Selbsterzeugung des Menschen in der Arbeit« (a.a.O., Seite 265 - Seite 28). Dies ist eine F o r m u l i e r u n g , die Marx schon in den »ökonomisch-philosophischen Manuskripten« gebraucht lut, und diese Formulierung reicht aus, um den Sachverhalt zu konstatieren. Über diepbilosophi- gki Verfassung der Arbeit wird durch evolutionstheoretische Überlegungen nichts ausgemacht; denn das philosophische Problem besteht gerade in der Bestimmung des Wesens, nicht der Ge­nesis der spezifisch menschlichen Weltbeziehung. Wohl aber können evolutionstheoretische Einsichten die These von der materiellen Einheit von außermenschlicherund menschlicher Na- (u r stützen; vgl. H. Holzer, a.a.O., Seite 167 ff.

Die Erörterung der Anthropogenes« in der Abhandlung von Damerow u.a. scheint mir in ei­ner Weise zu verfahren, wie gerade nicht mit Gegenständen empirischer Wissenschaften — hier der Biologie, Anthropologie, Vorgeschichte und Psychologie—umgegangen werden sollte. Die­se Wissenschaften vermögen die Rcaldialektik der Entwicklung im Übergangsfeld Tier-Mensch kompetenter zu beschreiben, als die Philosophen, die ihre Informationen nur aus zweiter Hand beziehen. Natürlich ist der Übergang vom Tier zum Menschen (wie der von der Pflanze zum Tier, von der anorganischen zur organischen Materie) auch ein philosophisches Problem, inso­fern daran Bestimmungsmomente der Dialektik der Natur ausgemacht werden können. Das ist iber gerade nicht die von Damerow u.a. gestellte Aufgabe: »Erstens muß die reale Möglichkeit nichgewiesen werden können, daß im biologischen Entwicklungszusammenhang die Momente des Arbeitsprozesses als historische Voraussetzungen der Menschwerdung entstehen konnten« (u.O., Seite 261). Hierfür sind allein die genannten Einzeldisziplinen zuständig, allerdings nicht ohne mit dem begrifflichen Instrumentarium derDialektik zu arbeiten. Die zweite gestellte Auf­gabe, zu zeigen, »wie sich unter den biologischen Entwicklungsbedingungen des Tier-Mensch- Ubergangsfeldes die historischen Voraussetzungen der Menschwerdung in logische Setzungen

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des Arbeitsprozess verwanJeln und <o der Entwicklungsprozeß revolutioniert wird und*, charakteristischen Merkmale d « Menschen sich zum logischen Verhältnis zusammen*!^ 6en«(ebd). kann inde^<cn nicht als Rekonstruktion des Übergangs, sondern nurpostfej^ , Beschreibung des Resultats gelöst werden. Denn die in die Arbeitsprozesse eingehenden fcw sehen Setzungen sind Momente ein« Refloxionsverhältnisses, das als solches erst werden kann, wenn es bereits aus den historischen Voraussetzungen hervorgegangen 15 ty Philosophie begreif« hier einen qualitativen Sprung, muß sich aber Rechenschaft darüber gen, daß die Wesensvenchiedenheit, die in dem »plötzlichen« oder sprunghaften Andfrsj j. zum Vorschein kommt, nicht als materieller Prozeß in der Zeit, sondern als ideelle Benimmt k, zweier Momente des Prozesses aufgefaßt werden muß. Daß diese ideelle Bestimmtheit «Ib^J nen Widenpiegelungscharakterhat und also etwas Reales an dem Prozeß ausdrückt, ist ein res Problem (Vgl. hierzu die Erörterungen über den Begriff des Eintritts einer Veränderung; ner Winter, Zur Frage der Lokalisierbarkeit, in H.H. Holz (Hg), Formbestimmtheiten vonj^ und Denken, a.a.0., Seite 54 ff). Ungeachtet der notwendigen Kritik an Lukics’ A rbtiub^ liest man in diesem Zusammenhang mit Gewinn die Ausführungen über das Setzen ia(J ^ kies, Ontologie—Arbeit, a.a.O., Seite I5if. — Unsere Autoren verwickeln sich auch sog^j,^ eine falsche Alternative: »Die Annahme, eine derartige (biologisch bedingte) Form des zeuggebrauchs und der Werkzeugproduktion sei Voraussetzung der Menschwerdung undoi^ ihr Resultat, wird durch die Tatsache empirisch erhärtet, daß sich Werkzeuggebrauch und Werkzeugproduknon in primitiven Formen bereits bei den Hominiden finden« (a.a.0, Stj, 262). Wäre statt einer konsekutiven Konstruktion nicht eine konzessive angemessener /nfc, die Hominiden den Gebrauch und die Herstellung von Werkzeugen erlernen, vollzieht sich ih* Entwicklung zum Menschen?

54 Es gehört zu den wesentlichen Einsichten der dialektischen Philosophie der Neuzeit je, Leibniz, die Natur, bzw. die Materie, als selbstbewegt aufzufassen. Dadurch wur<^ die Vomv Setzung dafür geschaffen, die Einheit der Welt in ihrer Materialität zu begründen und dieSpcag. kaiion der Natur vom anorganischen Sein bis zum Bewußtsein als die Differenzieningder&K. gvngsformen der Materie zu begreifen. Wenn Engels sagt, »Die Bewegung ist die Dasein»«* der Materie, also mehr als ihre bloße Eigenschaft« (MEW 20, Seite 575), so steht er damit inciner Tradition, die bei Leibniz ihre erste systematische Ausprägung gefunden hat. Und auf Htgd nimmt Engels ausdrücklich Bezug: »Wie es keine Bewegung ohne Materie gibt, so auch keine Materie ohne Bewegung« (MEW 20,511, nach Hegel). Zur Kategorie der »Bewegungsfonnta der Materie« vgl. vor allem MEW 20, 513 ff und MEW 33, 80 ff.

55 Hegel, Wissenschaft der Logik, a.a.0., Bd. 5, Seite 16: »Es kann nur die Natur des Inbak sein, welche sich im wissenschaftlichen Erkennen bewegt, indem zugleich diese eigneRtfkam des Inhalts es ist, weitht seine Bestimmungen erzeugt«. Ebd. Seite 39: »Die schon namhaft gemach­te Reflexion ist dies, über das konkrete Unmittelbare hinaus zu gehen und dasselbe zu bestimm und zu nennen. Aber sie mu& ebensosehr über diese ihre trennenden Bestimmungen binausgeten und sie zunächst beziehen.* Ebd., Seite 50: »Es ist der Inhalt in sich, die Dialektik, die er an Um selbst bat, welche ihn fortbewegt«.

56 Hegel, Wissenschaft der Logik, a.a.O., Seite 43.57 Hegel, Wissenschaft der Logik, a.a.O., Seite 58.58 Vgl. Hans Heinz Holz, Hegel — vom Kopf auf die Füße gestellt, in M. Buhr/T.I. Oiser-

man (Hg), vom Mute des Erkennens, Berlin 1981, Seite 46 ff.59 In der »Enzyklopädie« ist die Naturphilosophie zu vergleichen. Eine Interpretation de$

247 müßte zu einer Verhältnisbestimmung von Idee und Natur gemäß den logischen Dantd- lungsweisen der Intensionalität und Extensionalität führen.

60 Ich möchte hier eine noch ungeprüfte Vermutung äußern. In einem universellen Refk- xionssystem würde eine Veränderung zum Aufbau komplexerer Bewegungsformen tendiemi und also eine naturgeschkhtliche Tendenz dem Entropiegesetz entgegenwirken; Heraklits »Io- gps heautoo auxön« gäbe die Formel für das Prinzip des Komplexitätsaufbaus ab.

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¿1 Hegel. Phänomenologie des Geistes, a.a.O., Bd. 3, Seite 25.Daß in einem dialektischen System die Kategorie der Wechselwirkung primär ist und

r.-<ht et*'* ,us dem additiven Aufbau eines Zusammenhangs, ausgehend von der Substantialität einzelnen, über die lineare Verknüpfung von einzelnen in der Kausalität bis hin zur univer*

^Ifii Wirkung von jedem auf jedes abgeleitet werden kann (bei Strafe, sich in die Antinomien Jii reinen Vernunft zu verwickeln), habe ich in einer kritischen Analyse von Kants Analogien jfr Erfahrung gezeigt; H.H. Holz, Bemerkungen zu Kants Analogien der Erfahrung, Vortrag ^internationalen Kant-Symposium der lettischen Akademie der Wissenschaften, Riga 1981.

(0 Hegel, Phänomenologie, a.a.O., Seite 23. Es leuchtet ein, daß diese Konzeption des Substanz-Subjekts auch auf die Leibnizsche Monade zutrifft.

64 Hegel, Phänomenologie, Seite 14.6$ Hegel, Phänomenologie, Seite 14.66 Über das Verhältnis von Temporalit at und Modalität vgl. H.H. Holz, Kategorie Möglich­

s t und Moduslrhre, in Ernst Bloch zu ehren, Festschrift zum 80. Geburtstag von Ernst Bloch, Prinkfurt am Main 1965, Seite 99 ff.

67 Die materialistische Lesart dieses spekulativen Verhältnisses wird sich in der Ausarbei- (uug de* Widerspiegelungstheorems ergeben.

6$ Das konzeptuelle Modell einer Selbstbezüglichkeit der Naturgegenstände (und das heißt ¿ r Natur im ganzen - Welt) als eines universellen Vermittlungszusammenhangs hat Peter Ru­bin richtig ab Voraussetzung der Naturdialektik erkannt: »Man kann ohne Zweifel behaupten, Jafi mit der Frage, ob die Natur eine Geschichte habe, der Sinn einer Dialektik der Natur steht und fallt. Denn es ist ganz unbestreitbar, daß die Dialektik nur ab allgemeiner Ausdruck der Hi­storizität der objektiven Realität bedeutungsvoll ist. 'Dialektisch' und ‘geschichtlich’ sind Aus­drücke für Momente ein und desselben Sachverhalts. Dialektik ist das Allgemeine der Geschieh- k; Geschichte ist die unmittelbare Wirklichkeit der Dialektik... Eine Sache hat ‘Geschichte’ ge- wu dadurch, daß sie sich selbst zum Gegenstand hat... Die Natur ist nur selbständig, sofern sie sich selbst zum Gegenstand hat; die selbständige Natur ist die geschichtliche Natur«. Peter Ru- hn, Dialektik und Arbeit der Philosophie, Köln 1978, Seite 149 f. Allerdings sehe ich nicht, wie jich diese richtige Auffassung der Natur als geschichtlich und damit ab quasi subjekthalt zu einer Konzeption fügen soll, die die Realdialektik nicht in den Vermittlungsprozeß, sondern in das Vetmittlungsglied verlegt. Vgl. dazu weiter unten Anm. 82 und 85.

69 Vgl. Hans Lipps, Untersuchungen zu einer hermeneutischen Logik, Frankfurt am Main 1938.70 Vgl. hierzu die Analysen der Wahrnehmungsprozesse durch Edmund Husserl.71 Vgl. H.H. Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, a.a.O., Seite 25 f.71 Hans-Jörg Sandkühler, Gesellschaft als Naturprozeß, in Peter Plath/HansJörgSandküh-

kr (Hg), Theorie und Labor, Köln 1978, Seite 148 ff.73 Der Terminus »menschliche Natur« wird hier im Unterschied zur »außermenschlichen

Natur« gebraucht, nicht im Sinne von »Natur des Menschen« ( - Wesen des Menschen). Vgl. da­zu Friedrich Tomberg, Menschliche Natur in historisch-materialistischer Definition, in G. Rückriem, Fr. Tomberg, W. Volpert u.a., Historischer Materialismus und menschliche Natur, Köln 1978, Seite 42 ff, hier: Seite 45.

74 Tomberg, a.a.O., Seite 45.75 Tomberg, a.a.O., Seite 45.76 MEW 20, Seite 504.77 Ich spreche hier zunächst ganz vorterminologisch von Subjekt, Ich und Mensch ab syno­

nymen Bezeichnungen für dieses reflektierende Glied in einer asymmetrischen Reflexionsbezie­hung, der Reflexion der Reflexion.

78 Hier sei vorgreifend schon hingewiesen auf Klaus Peters, Sehen wir im Spiegel das Ding selbst? in H.H. Holz (Hg), Formbestimmtheiten von Sein und Denken, a.a.O., Seite 41 ff.

79 Zum Terminus »gegenständliches Wesen« vgl. MaVx, Ökonomischrphilosophische Ma­

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nuskripte, MFW EB I, S. 5’ fe — 581.80 Ein Indiz der Fetivhisierung de* Produktionsmittel; liegt in der Redeweise zu sagj,, .

Menvh ArJirw eine Maschine. so wie ein Diener seinen Herrn bedient.#1 Mt'W 20, Seite +45.82 Peter Furth, Arbeit und Reflexion, j.j.O .. Seite 75. Peter Furth skizziert das »Arbehj^

zept* ab Forschungsprogramm: «In der Reflexion, als Vermittlung, das heißt als Beziehung weh durch anderes, haben wir den strukturellen Nachvollzug der konkreten Arbeit und üif„ Abstraktion in der wissenschaftlichen Erkenntnis als allgemeiner Arbeit vor uns«; daiaui Itjg Furth »die materialistische These« ab, »daß die Historizität der Natur in der Arbeit ersch^ (a.a.O., Seite 72). Schon Sartre argumentiert« so in der »Kritik der dialektischen Vernunft deutsch Reinbek bei Hamburg 1967. ln seinem Vortrag beim Stuttgarter Hcgelkongretj J9j| hat Furth diese These noch zugespitzt; »Ohne Orientierung an der wirklichen Arbeit mul^ Ausbildung der theoretischen Dialektik fehlgehen. Der gesellschaftliche Arbeitsprozeß Im t otvpische Bedeutung für die materialistische Theorie der Dialektik, weil in ihr die Dialektik subjektiv -objektiver Einheit geschieht« (Notat vom Vortrag, verglichen mit dem Arbeit^ nuskript, das allerdings keine endgültige Druckfassung darstellt). In diesem Punk«Furth ganz entscheidend von Peter Rüben ab, der dieSelbstbezüglichkeit der Natur als den Kn, der Naturdialektik herausstellt (vgl. Anm. 68; so auch H.J. Rheinberger, a.a.O.). Wohl btto« Furth nachdrücklich die Natürlichkeit des Menschen und die Selbständigkeit der Natur,dtfg. stalt, »daß Natur dunrh Aneignung nicht erst konstituiert wird..., sondern in der Vermittln selbst tätig ist« (a.a.O„ Seite 72). Doch wenn die vormenschliche Natur gleichsam nur in P o^ zur Dialektik gesehen wird, während erst die Arbeit »die Form der Einheit von subjektiver Tj. tigkeit und objektiven Bedingungen hat« (Stuttgarter Vortrag), und damit dem gesellsthi jj. chen Arbeitsprozeß »prototypische Bedeutung für die materialistische Theorie der Dialektik, zugesprochen wird, so gibt es keinen Weg, das Arbeitsverhältnis selbst noch dialektisch (ab U®. schlag in eine neue Qualitäi »materieller Verhältnisse«) aus der Natur abzuleiten, wie Enget« getan hat. Funh, der sich von der Konstitutionstheorie der Frankfurter Schule ausdrücklich4 stanzien (Negative Dialektik und materialistische Theorie der Dialektik, a.a.O., Seite ISffyfäk damit doch auf ein Derivat dieser Theorie zurück. Das Arbeitsverhältnis wird gleichsam zu» nem kantischen Schema der Dialektik stilisiert. Eben darum erhebt Furth für den formelhiftaii »Arbeitskonzept« bezeichneten Ansatz den »Anspruchs »die dialektische Fassung der Wüj. spiegelungstheorie erst wirklich zu ermöglichen«, nämlich »Widerspiegelung als gegenstänik che Tätigkeit zu fassen, das Naturverhältnis der Widerspiegelung also als ein Produktion««, hältnis zu begreifen« (Stuttgarter Von rag).

83 Furth, Arbeit und Reflexion, a.a.O., Seite 72.84 Furth, Stuttgarter Vortrag, zitiert nach dem mit dem Arbeitsmanuskript verglichen«

Notat.85 Peter Rüben, dem Funh über weite Strecken seiner Argumentation folgt, hat diese Kon#,

quenz mit wünschenswerter Deutlichkeit ausgesprochen: »Man wird finden, daß Marx die kon­krete Arbeit als die prozessierende Einheit dreier einfacher Elemente faßt: der Arbeitskraft (sub. jektive Arbeitsbedingung), des Arbeitsmittel} und des Arbeitsgegensunds (beide als objektive Ar­beitsbedingungen). ln diesem Trialismus ist das Arbeitsmittel die materialisierte Einheit desSub- jekts und Objekts der Arbeit, sinnlich-gegenständlich hervorragend wahrnehmbar und wohl unterscheidbar vom Subjekt wie von Objekt (Gegenstand) der Arbeit. Entzieht man diesem Zu­sammenhang das Arbeitsmittel, so freilich stehen sich Subjekt und Objekt einander äuBerlkh gegenüber, und es gibt in der Tat nichts, das sie vermittelt« (Rüben, a.a.O., Seite 24). Die Genesis des Arbeitsmittels bleibt dabei ungeklärt, es fällt gleichsam vom Himmel und ist nicht aus da schon in der vormenschlichen Natur bestehenden Vermittlung der Naturwesen miteinander zu entwickeln. Marx hat dagegen im Begriff der gegenständlichen Tätigkeit gerade nicht die(vonder cartesianischen Wende zur Erkenntnistheorie abhängige) Dichotomie von Subjekt und Objekt übernommen, sondern das tätige Wesen mit seinem Gegenstand zu einer Einheit zusammenge-

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(j j 0sjen. Wird indessen von der sozusagen «natürlichen« Unverbundenheil zweier Entitäten jUsgeg.ingen. so muß allerdings das Arbeitsmittel jene mystische Qualität annehmen, die Ein-

von Verschiedenen zu stiften (wie es einst dem Gott der Okkasionalisten zugeschrieben «unk)- Dann aber fällt der von Rüben verteidigte Begriff der Naturdialektik (siehe Anm. 68) in £V-h tuMmmcn; Rüben wird hier seinem eigenen Ausgangspunkt untreu. — Der Fetischismus fa Mittels wird dann bei der von Rüben und Furth vertretenen Wissenschaft iauffassungbeKm- jffjikuilich, in welcher die «Etalons« konstitutiv für den Wissenschaftscharakter des Wissens *trden; doch ist dies ein anderer, hier nicht zu behandelnder Aspekt desselben Problems.

ib Dem entspricht die Methode, Hegels »Wissenschaft der Logik« von ihrem zweiten Teil, j ,r Vfcenslogik, her zu verstehen und also die Vermittlungsinstanz statt des Vermittlungjpro- astf zu m Gegenstand der Interpretation zu machen. Dagegen habe ich Einwände vorgetragen: HH Holz — Hegel — systematisch gelesen, in DIALEKTIK 2, Köln 1981, Seite 20 ff, hier Seite24 fi-

t7 Hier ist die 1. Feuerbachthese sinnvoll anzuwenden. MEW 3, Seite 5.ü MEW 23, Seite 185.¡9 H. Plessner hat dies als »Gesetz der natürlichen Künstlichkeit« bezeichnet; a.a.O., Seite

>09 ff-90 Daß es Probleme des ungeregelten und unbegriffenen Verhältnisses der menschlichen

ualiußermenschlichen Natur gibt — heute unter dem Stichwort «ökologische Krise« gefaßt — Inden nichts daran, daß wir die Zivilisation nicht rückgängig machen können, sondern dieses Verhältnis durch gesellschaftliche Veränderungen kompossibe! machen müssen. Schlichte Technik-Feindschaft ist nur ein Indiz der gesellschaftlichen Ohnmacht, die »Vernunft-Natur« ¿{Menschen (Tomberg, a.a.O., Seite 45 ff) durchzusetzen. Vgl. H.H. Holz, Zur Kritik bürgerli­cher Technikphilosophie, in IMSF (Hg), Technik — Umwelt — Zukunft, Frankfurt am Main I9J0, Seite 87 ff.91 G. Lukacs, Ontologie — Arbeit, a.a.O., Seite 26 f.92 H- Plessner, a.a.O., Seite 321 ff.93 Hier liegt der Sinn einer »philosophischen Anthropologie«, nicht in »Wesensaussagen«

über den »Menschen schlechthin«.94 Vgl. Anm. 31..95 MEW EBI, Seite 587.96 MEW EB I, Seite 587 Die beiden folgenden Zitate ebd., Seite 587 und 588.97 MEW EBI, Seite 578 f.98 MEW EBI, Sehe 578.99 Die Analogie zum Leibniz-Modell der Monade, deren So-sein durch die spezifische Rela­

tion zu allen übrigen Monaden bestimmt und die derart als singuläre Perspektive der repraesen- utio mundi definiert ist, liegt auf der Hand.

100 MEW EBl, Seite 578.101 Aristoteles, Met. V, 23,1023 a 24: t6 ¿n tini elnai.102 Vgl. hierzu Klaus Peters, Sehen wir im Spiegel das Ding selbst? in H.H.Holz, Form Be­

stimmtheiten von Sein und Denken, a.a.O., Seite 41 ff. Wenn Peters zu dem Schluß kommt »Die gegensätzlich lautenden SätzeA. ‘Im Spiegel sehen wir nicht das Ding selber’ undB. Im Spiegel sehen wir das Ding selber’sind beide erforderlich, wenn die Eigenschaften eines Spiegelungs- oder Abbüdungsverhältnis- sä bestimmt werden sollen«, — so macht er auf die spezifische Dialektik von Abbildverhiltnis- «n aufmerksam; der Bildgehalt ist immer nur ideell (virtuell), und Bildgehalte (Bedeutungen) ge­ben auch nur ideelle Beziehungen zueinander ein (zum Beispiel die beiden Gesandten auf Hans Holbeins d.J. gleichnamigem Gemälde), während die Beziehung des Gegenstandes zu seinem Abbild (also der wirklichen Gesandten zu ihren Porträts auf Holbeins Gemälde) ein materielles Verhältnis ist und eine ontologische Interpretation besitzt. Der zweite Satz in der Eröiterung

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WM» Peters in zweifach auslegban Das Ding selber und kein anderes Ding wird gespiegelt; „j das Ding selber und kein Bild des Dings wird gespiegelt. Für die Relevanz dieses Untencta den Peters heraiugearbeitct hat. vgl. a.a.O., Seite 4« und 50f.

103 Ein solch« komplexes Reftarionsvrrhältnis wird in der dritten Feuerbachthe* ton sprechen. MEW 3. Seite 5.

104 Diesen Aspekt habe ich in meinem Beitrag zum Groninger KoIIoquim anläßlich dej9ß Geburtstages von Helmuth Plessner naher ausgefährt: Helmuth Plessner und das Problem^ Dialektik der Natur.

105 Dieses und die drei folgenden Zitat: H. Plessner, a.a.O., Seite 103, Seite 128 und 127 f ,^ te 129 und 131.

106 Vgl. Anm. 31. Und in eben diesem Zusammenhang spricht Marx auch davon, daß.Q. genstSndlich, natürlich, sinnlich sein und sowohl Gegenstand, Natur, Sinn außer sich hake, oder selbst Gegensund. Natur, Sinn für ein drittes sein« identisch seien (ME W EBI, Seite Jty Man verwahrt sich auch gegen die idealistische Auslegung, das Setzen sei Subjekt (das fcfc Tathandlung).

107 Zu WahnichmuDgsbildcrn vgl. W. v. Haren, a.a.O., Seite 72 ff und zuummeniautt«] Seite 93 ff.

108 Die biologische Anthropologie hat diese Merkmale der Menschwerdung herautgeark. tet.

109 Darin liegt die prinzipielle Möglichkeit,/^ Sinnbeziehung (auch die auf vormtmcbV eher Stufe) als zweckhaft zu üuerpm urm ; die teleologische Betrachtungsweise der Natur ha hier ihren Ursprung, es entsteht der tdeologudx Schein einer zweckvollen Natur, der in eins Kritik dieser seiner Genesis aufgelöst weiden kann.

110 Die Begierde erfüllt sich, indem sie ihren Gegenstand verzehrt, ihn also vernichtet. Sit« also die reine negative Beziehung auf den Gegenstand. G.W.F. Hegel Phänomenologie des Gei­stes, Werke Band 3, a.a.O„ Seite 140 ff.

1 1 1 Arbeit richtet sich nicht auf die Vernichtung des Gegenstandes, sondern auf seine nm^ che Umgestaltung. »Die negative Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form desselben uaj zu einem bleibenden, weil eben dem Arbeitenden der Gegenstand Selbstständigkeit hat«. Hcgd, a j.0 ., Seite 153 f.

112 Hegel, Wissenschaft der Logik II, Werke Band 6, a.a.O. Seite 399.113 Damerow und andere, a.a.O., Sehe 242 ( - SOPO, Seite 1 1 ).114 Vgl. P. Furth, a^.O., Seite 79 f.115 Siehe oben Anm. 25.116 Hegel hat diesen Übergang vom praktischen Verhalten zu diesem-Gcgenstand-da (hic

arbor, dieser Baum hier) zum Gegenstand-dieser-An (calis arbor, dieser Baum als Exemplar mit bestimmten Eigenschaften, von denen prinzipiell gedacht werden kann, daß sie mehrfach Vor­kommen) als den Übergang von der sinnlichen Gewißheit zur Wahrnehmung beschrieben. VgL Hegel, Phänomenologie des Geistes, a.a.0., Seite 82 — 107.

Anmerkungen zu Kapitel II

1 Für den Ursprung der dialektischen Bestimmung des Verhältnisses von Einheit und Viel­heit am Anfang der Neuzeit bei Nicolaus Cusanus vgL D. Pätzold, Einheit und Andersheit.Kölo 1981.

2 Leibniz hat diese Frage mit letzter Radikalität gestellt:» Warum gibt es überhaupt etwa mi nicht nichts? Denn das Nichts ist einfacher und leichter als etwas. Angenommen, die Dinge müs­sen existieren, so muß man darüber hinaus den Grund angeben, warum sie so existieren missen, nicht anders«. G.W. Leibniz, Kleine Schriften zur Metaphysik, hg. und übers, von H.H.Hob, Darmsradt und FrankfurtAi. 1965, S.427.1a dieser Zuspitzung auf die Letztfrageliegt dermeu-

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Lpjjcbe Sinn des Sitz« vom zureichenden Grunde, an dieser Stelle zeigt er seine dialektische yyffcjung, durch die er wesentlich vom Kausalitätsprinzip verschieden ist.) Uibniz hat darum den cartesischen Substanzbegriff als unzulänglich zurückgewiesen; in*

jfin a statt von einer res cogitans auszugehen, für alle Seienden die uni verseile Eigenschaft der re- „^outio annahm, konnte er extensio und cogitatio als Erscheinungsweisen ein und dersel-

^Wirklichkeit auffassen, die als Kraft nach meiner Meinung materiell gedacht ist.I Noch einmal sei auf Leibniz verwiesen, der fordert, daß Axiome bewiesen werden, das

yjj, jls denknotwendig dargetan werden müssen. Das schließt den Beweis der Unbeweisbar- ^ji (• Evidenz) der ersten Grundsätze — idemica sunt vera und varia a me percipiuntur — e'ui.Vg| H H.Holz, Die Konstruktion des Kontingenten, in K.Peters/W.Schmidt/H.H.Holz, Er- l not n isgewiShc-i t und Deduktion, Dannstadt und Neuwied 1975. S. 129 ff.

5 p « wird deutlich an der Polemik von Georg Klaus, Einführung in die formale Logik, Ber- lo |9582> $• 279 ff, gegen Bela Fogarasi, Logik, Berlin 19562, S. 40 ff. Ungeachtet mit Grand ge-

Ungenauigkeiten Fogarasis ist dieser grundsätzlich im Recht, wenn er mit Hegel den Kljundig-*bstraktiven Charakter der Identitäts-Kategorie betont und darauf aufmerksam macht, daß in der «natürlichen Einstellung«, in der Alltagspraxis die Menschen (meist unbe- «n6t) von der Einheit von Identität und Nichtidentität ausgehen, ohne daß diese allerding» ghon methodisch gesichert wäre. Das Verhältnis der formalen Logik, die für die einzelwissen- i'hift liehen Aussagen konstitutiv ist, weil diese einen Gegenstand in seinem So-sein bestimmen, nir Dialektik, die solche Bestimmungen wieder verflüssigt und davon ausgeht, «daß die wahre konkrete Identität den Unterschied, die Veränderung in sich schließt« (Fogarasi, a.a.O., S. 43), mufi allerdings erst noch genauer geklärt werden. Fogarasis Bemerkung, Identität sei «ein Mo- ujtm der Zusammenhänge« (a.a.O., S. 45), wird dabei zu bedenken sein.

6 Dieser Satz kommt in dieser häufig verwendeten Fassung, die seinen Sinn in ein Paradox vtrkehn, bei Heraklit nicht vor. Vielmehr heißt es in den zwei einschlägigen Fragmenten: »Stei- pn wir hinein in die gleichen Ströme, fließt andres und andres Wasser herzu« (B 12). »In die glei­chen Ströme steigen wir und steigen wir nicht; wir sind es und sind es nicht« (B 49a). Der Woit- bui zeigt klar, daß hier das zugleichsein von Identität (Gleichsein) und Anderssein gedacht wird. Henküt führt damit den Ansatz des Parmenides, die Selbigkeit und Andersheit von etwas an geh selbst zu denken, weiter und faßt dieses Übergreifen ab Logos.

7 VgJ. Reiner Winter, Gegenstand und Identität, Marburger Dissertation 1980. Winter zeigt mit großer Deutlichkeit, daß die Konstitution von Identität immer schon wohlunterschiedene Einheiten (Identitäten) voraussetzt (a.a.O., S.61 ff) und daß der Identitätssatz in seiner subjunkti- T«o Form auf sich selbst muß angewandt werden können, wenn er die formale Logik begründen soll (aJuO., S. 129 ff). Winter stößt hier auf das Problem, das Leibniz formulierte, als er sagte, er könne beweisen, daß der Identitätssatz okht beweisbar sei. In diesem Zirkel liegt ein Problem, das in der dialektischen Logik seine Auflösung finden sollte.g G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik II, Werke Band 6, a.a.O., S. 40. (Künftig wird Hegels

Wissenschaft der Logik einfach mit dem Kürzel WdL + Band- und Seitenzahl nach dieser Ausga­be zitiert).9 leb verweise noch einmal auf die in Anm. 4 genannten Leibniz-Axiome: das Erfahrung;*

priniip varia a me percipiuntur gibt den Boden ab, auf dem das Deduktionsprinzip identica sunt rera gewonnen werden kann. Hier wird der Ursprung der Logik aus der Erkenntnistheorie, des Apriori aus der Erfahrung angegeben, — ein Problem, dem sich der späte Husserl in Erfahrung und Urteil, Hamburg 1948, unter dem Zweittitel »Geneologie der Logik« wieder genähert hat. Die Leibnizproblematik wird geradezu expliziert durch Hegels Ausführungen WdL II, S.43: tAui dem Konkreten selbst oder seinem synthetischen Satze würde die Abstraktion den Satz der Identität wohl durch Analyse herausbringen können; aber in der Tat hätte sie die Erfahrung nicht gelassen, wie sie ist, sondern verändert; denn die Erfahrung enthielt vielmehr die Identität in Einheit mit der Verschiedenhheit und ist die unmittelbare Widerlegung von der Behauptung, diß die abstrakte Identität als solche etwas Wahres sei, denn das gerade Gegenteil, nämlich die

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Identität, nur vereinigt mit der Verschiedenheit, kommt in jeder Erfahrung vor«.10 Hegel, VC'dL II, S. 41.U K. Peter* hat am Beispiel dcrcarresischen Existenzgewißheit gezeigt, daß diese

vwche Wriieder Gedankenfiihrung« voraussetzt; vgl. K. Peters, Die Dialektik von Exist* ^ ? 1 Extension, in K.Peten/W.Schmidt/H.H.Holz, a.a.O., S. 7 ff, hier: besonders S. 18 ff, v*| ,l auch die Bemerkungen von R. Winter, a.a.O., S. 185 ff, und G. Hoppe, Bemerkungen zum fc*. begriff, in H.H.Holz (Hg.), Formbestimmtheiten von Sein und Denken, Köln 1982, S. v « hier S. 10 f. Hoppe hat richtig bemerkt, daß die Negation erst mit dem theoretischen Verhüt zur Welt gegeben ist und an ihr sich die Idealität von Bewußtseinsinhalten zeigt. Material^ eine praktische Negation, zum Beispiel die Vernicht ung eines Gegenstandes, die Tötung tintj bewesens, immer ein positiver Akt.

12 Hegel, WdL U, S . 43 f. B. Fogarasi hat die Hegelsche Kritik an der abstrakten Wn.i.j keit des Identitätssatzes in sein Logik-Konzept aufgenommen; a.a.O., S. 42.

13 H.F. Fulda, Dialektik in Konfrontation mit Hegel, in DIA LEKTIK 2, Köln I98],$,yg spricht: S. 66 vom »primären Besttmmungscharakter des Logischen« bei Hegel. Diese Auff sung vom Vesen des Logischen, das heißt der Aussageformen, läßt sich aus der potentiellen vemlhät der Begriffsinhalte (jeder Begriff ist mit allen übrigen vermittelt und läßt sich daherb, zur Totalität »Iler Weltgehalte fonbestimmen—totum relucet in omnibus partibus)unddtr|(. härenz der Prädikate im Subjekt, die aus ihm »herauskommen«, das heißt expliziert werden toi. sen (Selbstentfaltung des Begriffs — praedicatum inest subiecto), ableiten.

14 Hegel, WdL 0,43 f.15 Vgl. Hegel. WdLI, 51: »Das, wodurch sich der Begriff selbst weiterleitet, ist das vorhin 1»

gegebene Neg*ttve, das er in sich selbst hat; dies macht das wahrhaft Dialektische aus«. (Jodde, näheren in bezug auf die Apophansis(die Aussage, das Urteil) WdL II, 301 f.: »Das Urteil ¡«4 , Setzen der bestimmten Begriffe durch den Begriff selbst. Das Urteilen ist insofern dneanJo, Funktion als das Begreifen oder vielmehr die andere Funktion des Begriffes, als es dasdes Begriffes durch sieb selbst ist, und der weitere Fortgang des Urteils in die Verschiedenheit 4 , Urteile ist die« Fortbestiramung des Begriffes. Was es für bestimmte Begriffe gibt und wie a i diese Bestimmungen desselben notwendig ergeben, dies hat sich im Urteil zu zeigen«. Am Eofc steht dann die notio completa, der vollständige, durch alle seine möglichen Prädikationea hb- durchgegangene Begriff: »Die Einheit der vollständigen Inhaltsbestimmthelten ist aber dem Btgnf ft gleich; ein Satz, der sie enthält, ist daher selbst wieder die Definition, aber die nicht nur den m- mittelbar aufgenommenen, sondern den in seine bestimmten, realen Unterschiede entwickele Begriff oder du vollständige Dasein desselben ausdruckc. Beides zusammen stellt daher die/¡fe dar*. WdL D, 529 f.

16 Hegel, WdL D. 40.17 Hegel, WdL ü, 40.18 Platon 128 d 2 : »Es wendet sich deshalb diese Schrift gegen jene, die das V&

behaupten...«. Das Verfahren des »antilegein« entspricht genau der oben (vg). Anm. ^notier­ten »negativen Weise der Gedankenführung«.

19 Sokrates behandelt die Termen »ähnlich« und »unähnlich« so, daß an ihnen die Vitleoig Beziehung zueinander teilhaben (metalambanein), und zwar ab an einem eidos ti homoiotetos bzw. seinem Gegenteil. Ähnlichkeit und Unähnlichkeit werden als Titel zweier Klassen behan­delt, die jeweils eine Menge von Exemplaren umfassen, die ihnen angehören. Die Einzelstiendea werden den Gattungen »ähnlich« und »unähnlich« gleichsam subsumiert. Die Argumematioo des Parmenides läuft dann darauf hinaus, dieses extensionale Verhältnis als nicht zutreffend zo erweisen. Der Schluß-Satz des Dialogs 166 c 2 — 5 spricht dies aus, indem er logisch voneinander Ausgeschlossene zugleich setzt.

20 Platon 129 b 1 —c 3.21 Vgl. B. Liebrucks, Platons Weg zur Dialektik, Frankfurt/Main 1949.22 Hegel, WdL D, 40.

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2.' P l * , o n 1 ^ 6 c 2 — 5 .

! )4 Dieplitoni^he Dialektik des Parmenides-DiaJogs ist die Auflösung der Aporie,dieinder Philosophie des Parmenides durch die Radikalität der Eins-Setzung des Seins gegenüber der Viel*

Jfs Seienden stehen geblieben war (trotz der dialektischen Auffassung des Verhältnisses von (ü)ii und noein), die in den Paradoxien des Zenon zugespitzt wurde. Dies kann hier nicht weiter

i ,umfuhrt werden.| >5 Für Cusanus vgl. D. Pätzold, a.a.O., besonders S. 66 ff. Für Leibniz: Josef König, Das Sy-

ifin von Leibniz, in Vorträge und Aufsätze, Freiburg und München 1978, S. 27 ff; und HH Holz, Leibniz a.a.O., besonders Kap. 3. Für Hegel: Peter Kemper, Dialektik und Darstel-

frankfurt/Main 1980. Dass dieselbe logische Figur auch in der chinesischen Philosophie «tfkomnit, hat J. Schickei,Große Mauer, große Methode, Stuttgart 1968, besonders S. 231 ff ge- ittgi- Vgl- auch H.H.Holz, Widerspruch in China, München 1970, S. 72 ff.

X, J. König, a.a.O., S. 33 f. Vgl. dazu H.H.Holz, Josef Königund das Problem einer Spekulati­on log'k. in Formbcstimmtheiten von Sein und Denken, a.a.O., Passim.

11 Hegel. WdL II, 281.2$ Sagen wir, das Besondere sei logisch als die Bestimmtheit des Allgemeinen zu verstehen, so

istderG«nitiv hierein subjectivus. Das Allgemeine ist nicht Gegenstand der Bestimmung, durch jjeesein Anderes würde, als es zuvor gewesen ist (logisch von geringerem Umfang und größe- rtoiInhalt), sondern es ¡st inhaltlich alles, was es als Besonderes sein kann, weshalb es auch nicht in seiner besonderen Bestimmtheit verharrt, sondern durch »Fortbestimmung« seine Inhalte „ich und nach »herausbringt« (vgl. oben Anm. 15).

?9 Kategorien wie Latenz und Tendenz, die von Ernst Bloch als ontologische Konkretisie- rtingen der Modalkategorie Möglichkeit gebraucht werden (in diesem Sinne erscheint der Ten- jinibegriff auch schon bei Leibniz), sind hinsichtlich ihres materiellen Gehalts wie ihrer logi­schen Korrelate noch ganz unerforscht. Darum wird hier auch nur versuchsweise darauf hinge* «iäta(vg]. unten Abschnitt 3 dieses Kapitels).

30 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Band II, Theorie-Werkausgabe ¡Und 17). Frankfurt/Main 1969, S. 395.

J 1 Hegel, Werke Band 17, a.a.O., S. 396.32 Hegel, WdL II, 273 f.33 Hegel, WdL II, 274.M Hegel, WdL II, 273.}5 Hegel hat dies schon programmatisch in der Vorrede zur »Phänomenologie des Geistes«, perke Band 3, a.a.O., Seite 54 f, formuliert: »In dieser Natur dessen, was ist, in seinem Sein sein

Begriff zu sein, ist es, daß überhaupt die logische Notwendigkeit besteht; sie allein ist das Vernünf­tige und der Rhythmus des organischen Ganzen, sie ist ebensosehr Wissen des Inhalts, als der In­halt Begriff und Wesen ist, — oder sie allein ist das Spekulative«. Und gegen Jacobi macht Hegel geltend, daß das Spekulative »hur in der Form des Begriffs offenbar zu werden« vermag (Werke, u.0., Band 4, S. 454). Dieser »spekulative Begriff entspricht der Leibnizschen notio completa, die durch die repraesentatio totius mundi in der Substanz als unendlich definiert ist. So kann L e ib n iz feststellen, daß jedes Einzelne ein unterstes Allgemeines ist und kommt damit der Hegel- ichen Logik in Aussage und Begründung sehr nahe. An dieser Stelle des Übergangs von der Sum­me d e r einzelnen Bestimmungen des Begriffs zur Totalität der Bestimmungen als Einheit des Be­griffs wäre der Umschlag von der Extensionalität der Aussagenlogik zur Intentionalität der spe­kulativen Logik zu vollziehen.

36 Hegel, WdL II, 277.37 Hegel, WdL II, 282. Hegels Argument ist innerhalb des idealistischen Systemkonzepts,

den Begriff als Ausdruck der wahren Wirklichkeit zu nehmen, konsequent. Unter dieser Vor­aussetzung wiederholt sich bei ihm die platonische Dichotomie von Wahrheit (aletheia) und M e in u n g (doxa) als die von Begriff und Vorstellung. Eine materialistische Dialektik wird aller­dings das Verhältnis von übergreifendem Allgemeinem und arbor porphyriana anders bestim-

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men müssen.3# Vgl. H.H Holz. Natur und Gehalt spekulativer Sätze, a.a.O., S. 30 ff.39 Lenin, Zur Frage der Dialektik, LV 38, S. 361, macht auf diesen Obergang mit jii

Nachdruck aufmerksam.40 D»e Problematik, die in der Einführung eines Anderen zu Welt oder Seiend« überf»,

in der Form des Substamivum Nichts liegt, kann hier nicht erörtert werden. Tugendhais KriX an Parmenides und Heidegger und die von J. Taubes vorgetragene Kritik dieser Kritik läßtc^ von dieser Problematik aufccheinen. Vgl. J. Taubes, vom Adverb »nichts« zum Substantiv Nichts., in H. Weinrich (Hg), Positionen der Negativität, München 1975, S. 141 ff. Eine fo, prnation des non aliud bei Cusanus kann hier weiterhelfen. Ansätze dazu (wenn auch ¡q Ra men einer anders gerichteten Fragestellung) bei D. Pätzold, a.a.O., S. 48 ff.

41 Hegel. WdL ü. 281.42 Mit Josef Königs Erläuterung des Begriffs »Selbstunterschied«. Sein und Denken, HjJL

1937, S. 3, darf man sag?n, daß das Allgemeine als das, was es ist — als es selbst oder in scu*-. Selbst — durch diesen Unterschied bestimmt wird, und zwar nicht nur durch die Möglich!^ sich zu bestimmen und sich dadurch an sich selbst von sich selbst zu unterscheiden, jonder durch die Aktualität der Bestimmung, der Bestimmtheit des konkreten Begriffs in bezug auf selbst. »Dies bestimmte Allgemeine ist die sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheit« (He»! WdL D, 288). Vgl. dazu auch H.H.Holz, Spekulative und materialistische Philosophie, in »An. nalen der internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie« I, Köln 1983.

43 Eine logische Analyse des Genitivs und seiner Interpretationen in ihrem Verhältnis *u. und Übergang in-einander wäre ein Desiderat zur weiteren Klärung des Problems des Selbnmj. tenchieds. In einer Wendung wie »Der Gegenstand des Denkens« kann der Gegenstand als Ob- jekt eines Partitivus, eines Possessivus und eines Subjektivus verstanden werden, und eint Dt . tung fflufi nicht unbedingt die andere oder alle anderen ausschließen; was bedeutet das logüch und ontologisch für das hier ausgesagte Verhältnis? Einzeluntcrsuchungen sind hier nötig, vor allem dann, wenn nun Mehrdeutigkeit nicht als einen Mangel der Sprache, sondern als einen Hinweis auf Aspekte von Sachverhalten auffaßt. Sprachanalytik muß nicht nur an formaler Lo. gik orientiert sein, sondern könnte ja auch dialektisch verfahren. (Vgl. auch Anm. 59).

44 Um ein anderes Beispiel zu nennen: Eine nicht am Typus der Aussage wahrheit orientierte Wahrheitstheorie wird Unwahrheit durch Beschränkung (privation, steresis) definieren und ei- ne Theorie der Verzerrung oder Verfälschung von Widerspiegelungsgehalten und ihrer Gründe entwickeln müssen, was in der Tat eine marxistische Ideologietheorie tut, die vor dem Hinter, grund der Unterscheidung von absoluter und relativer Wahrheit steht. Hier ist auch an den Leib, nizschen Begriff der Perspektivität zu erinnern.

45 Hegel, WdL II, 284.46 Dazu H.HJiolz., Natur und Gehalt spekulativer Sätze, a.a.OM desgleichen P.Kemper,

Dialektik und Darstellung, a.a.O., insbesondere S. 209 ff.47 Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke Band 3, a.a.O., S. 567 f.48 Hegel, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, Theorie-

Werkausgabe Band 2, Frankfurt/Main 1970, S. 96.49 Hegel, Werke 2, a.a.O., S. 96: "Indem die Philosophie trennt, kann sie die Getrennten

nicht setzen, ohne sie im Absoluten zu setzen; denn sonst sind es rein Entgegengesetzte, die kei­nen anderen Charakter haben, als daß das eine nicht ist, insofern das andere ist."

50 Geschichtlichkeit als ontologische Bestimmung alles Wirklichen bei Hegel hat H. Marcu- se, Hegels Ontologie, Frankfurt/Main 1932, unter Verwendung Diltheyscher Konzeptionen herausgearbeitet.

51 Hegel, WdL 0,467. Ist in der Differenzschrift das Absolute, sozusagen als der transzen­dentale Ort der Einheit der Gegensätze, noch mit dem göttlichen Geist austauschbar, so wird« nun als Prozeß weltlich-spekulativ gefaßt.

52 Hegel, WdL ü. 40 f.

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w

Hfflrl. WdL II, 46 f.•t f H c f a w d L n . 4 7 .

iS P«f l0pic^c Kategorie Gegenteil genau zu bestimmen, wäre eine nächstliegende Aufgabe. Stotel«. Metaphysik V, 1018 a 25, hat etwas von der Besonderheit des dialektischen Gcgen-

' .Aitahm, als es die Definition des Gegenteils (enantion) gab: "Gegenteile nennt man... die Unterschiedenen innerhalb derselben Gattung... und die am meisten Unterschiede-

** von jenen, die gemäß derselben Möglichkeit sind und jene, deren Unterschied überhaupt ^ dif Gattung oder der Art nach der größte ist” . Hegels berühmte Analyse von Herr und ' I,, expliziert das Umkehrungsverhältnis: Weil der Herr abhängig ist vom Knecht, wenn er

Zwecke verwirklichen will, wird der Knecht zum Herrn des Herrn, das Verhältnis von Bindigkeit und Unselbständigkeit kehrt sich um. Vgl. H.H. Holz, Herr und Knecht bei

i bnii und Hegel. Neuwied und Berlin 1968. Ders., Herr und Knecht und die Konstitution des frischen Subjekts, in M. Hahn/H.J. Sandkühler (Hg), Subjekt der Geschichte, Köln 1980,S.

^ Wir verzichten auf einen Überblick Uber die Geschichte der Spiegel-Metapher in der Phi- te,phif. Den weitestgehenden und präzisesten Gebrauch hat Leibniz von ihr gemacht, ein- ykßlicb der Erweiterung des Begriffs, wenn er die Monade als einen lebenden Spiegel, "miroir

\-ini“. bezeichnet. Die von Richard Rorty, Der Spiegel der Natur, Frankfurt/Main 1981, ver­fehle Kritik der Philosophie durch die Kritik der Spiegel-Metapher erkennt zwar richtig deren konstitutive Funktion für die Philosophie, aber verfehlt völlig ihren Gegenstand, nämlich den (jflod und die Tragweite der Anwendung der Metapher. Vgl. die Rezension von K. Peters, \DR, November 1981.‘ 57 Vgl. H.H.Holz, Die Selbstinterpretation des Seins, Hegel-Jahrburch 1961/0.S. 61 ff. Auf

meinen ersten Versuch, das Spiegelungsproblem zu erfassen, werde ich trotz aller Mängel, « n e i n solchen Beginn anhaften, mit den für unseren Zusammenhang notwendigen Emenda-

pooen zurück greifen. Vgl. weiterhin J. Schickei, Spiegelbilder, Stuttgart 1975; ders., Narziss pki die Erfindung der Malerei. Das Bild des Malen und das Bild des Spiegels, in Katalog der Aus­heilung SPIEGEL-BILDER, Kunstverein Hannover, Lehmbruck-Museum Duisburg, Haus am ff Jds« Berlin, 1982, S. 14 ff — K. Peters, Sehen wir im Spiegel das Ding selbst? in H.H.Holz (Hg).Fortnbestimmtheiten von Sein und Denken, a.a.O., S. 41 ff. Erwägungen zu einem metho- jgjh strengen Gebrauch der Spiegel-Metapher setzen ein bei J. König, Sein und Denken, Halle 19)7, besonders S. 67 ff und S. 117 ff.$g j. König, Sein und Denken, a.a.O., S. 67.S9 Ich gebrauche hier mit voller Absicht die aristotelische Kategorie, deren mediale Verfas-

einen grammatischen Hinweis auf den Typus des Enthalten-seins gibt. VgJ. auch J. König, u.0.. S. 96 ff und, bezogen auf das »Einwohnen«, S. 13 ff. — J. Schickei, Narziß oder die Erfin- Jung der Malerei, a.a.O., S. 20 ff, macht den Unterschied von operatio und actio bei Thomas von Aquin für die Logik der Spiegelung fruchtbar: Das Spiegeln des Spiegels geschieht im Handeln­den selbst (in ipso agente), das Malen des Malers hingegen wirkt vom Handelnden ausgehend (ab jpute) auf etwas ein. Mir scheint, daß das in ipso agere einen medialen Charakter habe, und in JerTit ist das Verbum zu operatio ja auch ein Deponens: operari, was hier in etwa dem griechi- jehtn Medium entspricht. (Auf den medialen Sinn von »spiegeln« habe ich in die Selbstinterpre- mioD des Seins, a.a.O., S. 64 f hingewiesen). Schickei insistiert auf der Passivität des Spiegels — und aus diesem selben Grunde hat Leibniz ja wohl auch die Formulierung »miroir vivant« ge­baucht, um von der Monade bei ihrer metaphorischen Kennzeichnung das Merkmal der Passi­vität femzuhalten. Immerhin würde die Konsequenz der Schickelschen Auffassung das Spiegel- Bild im Terminus Widerspiegelungstheorie auf den Status einer nichtexakten, unverbindlichen Redeweise herabbringen oder die Leibnizsche Ergänzung fordern.

Unbeschadet der von Schickei gegen König und mich vorgetragenen Einwände hinsichtlich JesCharakter, der dem Genitiv in »das Bild des Spiegels« zukommt, scheint es mir für den meta- jhonsdxn Gebrauch des Spiegel-Bildes nicht nur zulässig, sondern sogar konstitutiv zu sein, daß

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das Verbum «spiegeln * unetgentlu-h al« Aktiv genommen wird, obwohl es klar ist, daß «fc, c. pel natürlich nicht« tut. sondern rein passiv das Spiegelbild vom Bespiegelten empfang, sprachlich aktive Formulierung eines faktisch passiven Geschehens (des Spiegelru) in di« «ieutigkeit» (Holz, a.a.O., S. ?4>. die die Metapher ermöglicht. Ist diese Zweideutigen ^ Ausdruck eines notwendigen Scheins, der entsteht, weil der in den Spiegel Blickende ein g?! sieht, das vom Spiegel ausgeht—und dies durchaus eigentlich aktivisch, weil die Spiegelfl ichtjtJ Lichtstrahlen zurückwirft u n d diere-acttodesSpicgels(des spiegelnden Dings)eine Artactioi-i Auch das Bespiegelte ist ja - »fern es nicht selbst ein leuchtender Körper ist, rum Beitpj u Flamme einer brennenden Keree—nicht eigentlich aktiv. — Unberücksichtigt lasse ich von Schickei zu Recht nachdrücklich hervorgehobene notwendige Beziehung des Spiegel, das Licht (nur vom Licht getroffen spiegelt der Spiegel) und auf den Sehenden (nur dem Spj«j blick erscheint das SpiegelMi — doch hier ist zu bedenken, daß der Spiegel auch dann »pit L wenn er nicht erblickt wird, und darum zum Beispiel durch Reflexion von Sonnenstrahlen Brand stiften kann, was w ie d e ru m e in e actio ist). — Um den Terminus im Rahmen dtrty dcnpiegelungstheorie exakt zu gebrauchen, muß jedenfalls der metaphorische Charaitttrg»^ bestimmt werden, jedoch als notwendige Metapher in jenem Sinne, den ich folgendermaßen ck* rakterisiert habe: »Das Unsinnliche, das nicht im gemeinsamen Verstehensraum deranschnjj. chen Umwelt steht, bedarf also der evozierenden Verdeutlichung. Verdeutlichen heißt hin:,^ schaulich machen. Das Unanschauliche soll durch ein Anschauliches so charakterisiert wtftfc. daß es im anderen hervorgerufen wird. Ein Anschauungsinhalt muß dafUr eintreten, nicht atj. vertretend, sondern verweisend. Ohne dieses Eintreten des Anschaulichen für das Unanscluajj. che wird dieses überhaupt nicht sagbar. Es bliebe verschlossen und fremd, ln diesem Sinnt jpr(. chen wir von nottmdigen und ursprünglichen Metaphern. Sie verhelfen einem Sachverhakziiob. jektivem Sein, insofern das in ihnen Ausgesagte erst durch diese Aussage allgemein wird,<Lk über das subjektive, individuelle Erleben hinausreicht. Die notwendigen Metaphern stiften q. nen gemeinsamen Weh bezug, sie erschließen die Welt für ein kommunikatives Sichdarinbe« gen*. H.H.Holz, Das Wesen metaphorischen Sprechens, in Festschrift Emst Bloch zum 70.Ge. bunstag, Berlin 1955, S. 101 ff, hier: S. 102.

60 Ich unterscheide das ¿«spiegelte (das Dmg vor dem Spiegel, das von diesem besp ^ wird), das Gespiegelte (das Bild des Dings, das im Spiegel erscheint, das Spiegelbild) unddasSp* gelnde (den Spiegel selbst). — Vom Spiegelbild ( - dem Gespiegelten) unterscheide ich d* Spiegel-Bild, das heißt den metaphorischen Gebrauch des Wortes Spiegel und der Spiegelbe». hung. Vgl. Holz, Die SeJbstinterpretation des Seins, a.a.O., S. 63 ff.

61 J. König, aj.O., S. 67 und 68. Diese Redeweise Königs ist allerdings mit einer Zweideutig, keit behaftet, die ent duch die folgenden Bemerkungen, die von der Differenz zwischen Besp*. gehem und Gespiegeltem Gebrauch machen und vor allem durch die Analyse von K. Pet«n, a.a.O., ausgeräumt »ird.

62 J-König, a.a.0., S. 67. K. Peters hat a.a.O. gezeigt, in welcher Weise und in welcher Hin­sicht es zulässig ist zu sagen, daß wir das Ding selber im Spiegel sehen. Daß es uns so scheint, als ob wir im Spiegel stets das Ding selber seheD, während wir doch gerade nicht in jeder Weise und nicht in jeder Hinsicht das Ding selber sehen, ist relevant für die Begründung der Entstehungda transzendentalphilosophischen Irrtums über den Seinsgrund der Gegenstände und für seine Auflösung. Die Möglichkeit, in gewisser Hinsicht sinnvoll sagen zu können, daß wirimSpiegd das Ding selber sehen, hängt wesentlich davon ab, das Spiegelbild von Gemälde und Fotografie zu unterscheiden; siehe Peters a.a.O.

63 J. König, a.a.0., S. 117.64 J. König, a.a.O., S. 119. Dieses Argument läßt sich durch die Überlegung von K. Peten,

a.a.O., S. 43, noch verstärken: »Nehmen wir an, vor uns stehen ein Ding und ein Spiegel, in dem wir das Ding sehen sei; das Spiegelbild sehen wir dann dort, wo sich das eine von beiden verän­dern kann, ohne daß sich damit zugleich auch das andere verändert; das Ding selbst sehen wir dort, wo sich das eine von beiden nicht verändern kann, ohne daß sich das andere zugleich mit

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(5 Vgl- H.H.Ho)/, Kritische Theorie des ästhetischen Gtpiuund], Katalog Documenta S.«t An der Fiktion dn Bildnisses des Dorian Grajrwäre dieser Unterschied genauer herauszu-

„fciwn. — Man könnte geradezu das Spiegelbild dazu benutzen, um zu definieren, was ein Ce- jkk oder eine Fotografie ist; und ohne sich auf das in der Spiegelung vorliegende Sciiuverhült-tu beziehen, ist es vielleicht Oberhaupt nicht möglich zu sagen, was dn Zeichen, eine Bedeu-

Jang oder ein Bild sei.0 Vgl. W R. Beyer, Der Spiegelcharakier der Rechtsordnung. Meisenheim/Glan l9S1;dazu

^ H-Holt kn Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie XXXIX/4, S. 556 ff.(S Vgl. Geoig Lukais, Ästhetik, Werke Band 11/12, Neuwied und Berlin 1%). — Thomas

¡tktffher, Kunst und sozialer Prozeß, Köln 1977.«9 AMgemcin: »Der dialektische und historische Materialismus... bezieht alle Formen der gei-

*f(i> Aneignung der Welt in die Widerspiegelung ein. Nicht nur die theoretische Aneignung, ^Jto i auch die ästhetische, moralische, religiöse Aneignung der Welt und ihre Resultate wer- ¿n iU Widerspiegelung der materiellen Weh im gesellschaftlichen Bewußtsein der Menschen fanden, als verschiedene Arten der Widerspiegelung, die sich wechselseitig beeinflußen und jurthdringen... Widerspiegelung in diesem weiten Sinne vollzieht sich durch das gesellschaftli- (he Bewußtsein als Ganzes«. Alfred Kosing in Autorenkollektiv, Marxistisch-leninistische Phi* toopbie, Berlin und Frankfurt am Main 1979, S. 274.70 Marxistisch-leninistische Philosophie, äjlO .. S. 138. Als allgemeine Merkmale jeder

Form von Widerspiegelung werden genannt: -Emens... kommt dem widergespiegelten System pjenöber der Widerspiegelung das Primat zu._ Zweitens: Notwendige Bedingung für das Zu- jttndikommen der Widerspiegelung ist die materielle Einwirkung des einen Systems auf ein an- jerts... Drittens... werden Strukturen des abgebildeten Systems in der Struktur des abbildenden Sj-siems in veränderter oder verarbeiteter Form erhaken«. Ebd., S. 138 (Herbert Korch).

71 Ebd., S. 138.U »Die große Grundfrage aller, speziell neueren Philosophie ist die nach dem Verhältnis von

Denken und Sein«. F. Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klastischm deutschen Philosophie, MEW 21, S. 274.

73 Diß Engels nach dem Komma den bestimmten Artikel nicht wieder aufgreift, also nicht schreibt: »...aller, speziell der neueren...« muß beachtet werden. Er reißt damit die vorcaitesiani* «he und nachcartesianische Philosophie nicht auseinander als zwei gegeneinander abgehobene philosophiephasen (und -arten), sondern läßt das Kontinuum der Philosophie unangetastet. Die neuere Philosophie ist eine Besondemng innerhalb dieses Kontinuums.74 Vgl. dazu die Darstellung von W. Nestle, Vom Mythos zum Logos, Stuttgart 19422.7$ Inwieweit dieser Spiegel-Blick schon im Schatten-Sehen des platonischen Höhlengleich*

nisses gemeint ist, brauchen wir hier nicht zu überprüfen. Erst seit Descanes wird die intentio obliqua zur herrschenden Erkenntniseinstellung der Philosophie.

76 «Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit den Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, über­haupt beschäftigt«. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 25.

77 Parmenides B 3. Zur Deutung vgl. die Bemerkungen bei H.H.Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, a.a.O., S. 11 ff.7« F. Engels, a.a.O., MEW 21, S. 274 ff.79 Vgl. RH-Holz, Hegel—vom Kopf auf die Füße gestellt, in M. Buhr/T J . Oiserman, vom

Mute des Erkennens, Berlin 1981, S. 46 ff.«0 MEGA IV, Abt. Band 1, Berlin 1976, S. 183 ff.81 Was es für den Begriff der Materialität bedeutet, daß das Bespiegelte stets präsentisch sein

muß, kann erst später erörtert werden. Das Verhältnis von Sein und Zeit stellt sich materiali­stisch jedenfalls anders dar als bei Heidegger, aber auch anders als bei Bloch. Zu letzterem vgl. H.H.Holz, Logos spermatikos, Darmstadt und Neuwied 1975, S. 189 ff.

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82 Die Untervheidung von relativer und absoluter Wahrheit in Lenins Erkenntnis» lalit «ich ontologisch aus dem Widerspiegelungstheorem begründen.

83 Im einzelnen hat J. König, a.a.O., besonders S. 89 ff, dies am ‘Sein’-Denken gezagt v, H.H .Holz, Josef König und das Problem einer spekulativen Logik, in Formbestimmtheilen Sein und Denken, a.a.O., S. 13 ff. hier: S. 19 ff.

84 Dies ist näher, wenn auch keineswegs vollständig analysiert in H.H.Holz, Die Selbstintff pretation des Seins, a.a.O.; weiter fuhrt die mir im Manuskript vorliegende Ausarbeitung ei^ Vorlesung zur Viderspiegelungstheorie von Klaus Peters.

85 Zum Charakter notwendiger Metaphern vgl. H.H.Holz. Vom Wesen metaphorischen Sprechens, a.a.0.

86 Mit einer gegen sich selbst rücksichtslosen Konsequenz hat E. Husserl diesen Wi , sprach in »Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die Idee der transzendentalen PJ nomenologie«, Husserliana VI, den Haag 1953, dargestellt.

8? Auf höchstem Niveau wird dies in Kants Kritik der reinen Vernunft deutlich. Vri H.H.Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, a.a.O., S. 9 ff und 22 ff. Ders., Bemerkungen m Kants Analogien der Erfahrung, Vortrag beim Internationalen Kant-Symposium zu Rigi, r l 1981.

88 E. Husserl, Die Krise der europäischen Wissenschaften, a.a.O. pass.89 Die Ideologietheorie hat folglich schon in der Beantwortung der Grundfrage durch d«

Widenpiegelungstheorem ihr Fundament. Vgl. Marxistisch-leninistische Philosophie, a -a.0n$. 613 ff (Erich Hahn).

90 D. Whtich in Wittich/Gössler/Wagner, Marxistisch-leninistische Erkenntnistheorie, Berlin 1980, S. 168 f, hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Terminus Widerspi lung ab Metapher oder Analogie zu begreifen sei, wobei er aufJ.H. Horns Kritik an meiner An», lyse des Spiegel-Bildes als einer »aufschließenden Metapher« (in »Widerspiegelung und Begriff,, Berlin 1958) Bezug nimmt. Ich stimme Wittich im Ergebnis zu, daß »diesem Streit ein nur schein- barer Gegensatz zugrunde« liegt. »Die Bezeichnung von Bewußtseinsinhalten als ’Abbild der objektiven Reahität* bzw. des Erkenntnisprozesses als «Widerspiegelungsprozeß« ist also eioj Metapher, die auf einer partiellen Analogie zwischen Gegebenheiten des physikalischen Spiege- lungsprozesses und solchen des menschlichen Erkenntnisprozesses beruht«. Eine Metapher kann immer in eine Analogie verwandelt werden, in gewisser Weise mag die Analogie als diel», gische Form der Metapher betrachtet werden, die dann allerdings — wie logische Formen steu gegenüber den von ihnen erfaßten Gegenständen — den Verlust sinnlicher Konnotationeoin Kauf nehmen muß. Denn Analogien haben es prinzipiell mit StnikturiibereinstimmungenzQ tun (vgl. Thomas Brandt, Ana ton auton logon, Marburger Dissertation 1977). Allerdings kann ich Wittichs Argument, »Analogie ist etwas, das zwischen verschiedenen Gegebenheiten steht Hingegen bezieht sich das Wort ‘Metapher’ stets auf etwas Sprachliches«, in dieser Form nicht akzeptieren: Analogie wie Metapher sind Denk- und Redefiguren (wobei ich zum mindesten für diesen Fall aus Gründen, die ich in den schon häufiger zitierten Arbeiten über Metaphern und über die Spiegel-Metapher expliziert habe, auf der Übereinstimmung von Denk- und Sprach- form insistieren möchte). Die ihnen entsprechende Seinsrelation ist die partielle Übereinstim­mung oder Ähnlichkeit. Die Analogie drückt eine Übereinstimmung oder Ähnlichkeit in we­sentlichen Merkmalen oder Verhältnissen innerhalb der gleichen Gattung aus (zum Beispiel werden ärztliche Diagnosen meist aufgrund von Analogie der Krankheitsbilder von Patienten gestellt; oder es wird eine Analogie zwischen dem Sektenwesen der Spätantike und der Gegen­wan konstruiert). Die Zuverlässigkeit und Aussagekraft einer Analogie hängt davon ab, dißwe- sentliche Verschiedenheiten nicht unbeachtet bleiben bzw. die Reichweite der Analogie per de- Gnitionem festgestellt wird. — Metaphern hingegen (und hier kann es sich nur um notwendige, nicht um die bloß schmückenden handeln), machen einen unsinnlichen und in seiner Verfas­sung an sich gar nicht einsehbaren Sachverhalt durch ein Bild intelligibel; sie sind das Instrument der Bildung abstrakter Begriffe und Gegenstände. Alles Denken verfährt im Übergang vom sinn-

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, ifwtisbaren zum Unsinnlichen metaphorisch — auch wenn wir uns dessen bei lang ge- J^jitrt* Begriffen nicht mehr bewußt sind.

G.W. Leibniz, Neues System der Natur, in Kleine Schriften zur Metaphysik, a.a.O., S. 200 i karr: S. 203.■ ?j Icibniz. Metaphysische Abhandlung, Kleine Schriften zur Metaphysik, a.a.O., S. 56 ff,

^ ,n -,, MEW I, S. 499 ff, hier: S. 513.L |U;W EBI, S. 510 f.J MEW 3, S. 533.- Vgl. Anin. 31 zu Kapitel 1.

MEW EBI, S. 511 ff.^ Vgl- Hxns Heinz Holz, Herr und Knecht bei Leibniz und Hegel, Neuwied und Berlin

;4t&1 fi Hepl hit in der WdL erstmals den Realitätscharakter des Scheins festgestellt. Daran *pie Mir* bei der Entwicklung der Realdialektik von Sein und Schein anknöpfen. Vgl. A. Fi-

Qef reale Schein und die Theorie des Kapitals, Zürich 1978.\flO Spiegel-Ebene (mit Bindestrich) bezeichnet nicht die ebene Fläche des Spiegels, sondern m ontologische Ebene, auf der sich die Spiegelung vollzieht.|0| Hierzu sind die einschlägigen Kapitel in den Werken Emst Blochs zu vergleichen, dessen

fwnkeo um ‘*en ontologischen Status des Noch-Nicht-Seins kreiste, z.B. Das Prinzip Hoff- >jnjiGe«mlausßa^e Band 5, Frankfurt am Main 1959, Kap. 15,17,18; Tübinger Einleitung in ^ P h ilo so ph ie , Gesamtausgabe Band 13, Frankfun am Main 1970, Kap. 23 — 26. VgJ. jjjl.Holz, Logos spermatikos, a.a.O., S. 91 ff; den., Über den Ertrag der Philosophie Emst ¡¡ochs für den Marxismus, SOPO 44, S. 131 ff. Hcranzuziehen ist auch, was Leibniz über Mög- khkeit und Wahrscheinlichkeit sagt.

102 Vor mehr als zwanig Jahren glaubte ich diesem Einwand dadurch gerecht werden zu sol- ^ ich die Spiegel-Metapher in ihrem Geltungsumfang begrenzte und sie durch andere Bil-

tfgSozte — z.B. das Fahrtmotiv der Erfahrung nach E. Blochs vergleichender Analyse von 'ffusttund »Phänomenologie des Geistes«. Ich habe dabei übersehen, daß eine solche metabasis '¿Jlogtnos(Überspmng von einer Gattung in eine andere)die Spiegel-Metapher entwertet und jjjait das Widerspiegelungstheorem entkräftet. Diese Konsequenz war falsch und auch gar ¿ht notig, da in Anknüpfung an die Leibnizsche Ontologie der Möglichkeit sich eine Auflö- jjaj der Aporie auf dem Boden des Widerspiegelungstheorems angeboten hätte. (Vgl. HÜ-Hoki Die Selbstinterpretation des Seins, a.a.O., S. 110 ff).

10) Daß mit den Mitteln der formalen Logik, die zwischen Sein und Nicht-Sein kein Drittes pjißt, die Modalität Möglichkeit (und das Tempus Zukunft, d.h. die Zeit schlechthin) über- kiup» nicht als ontologischer Status zu denken ist—gleichwohl mit praktischem Erfolg gedacht

_ ist eines der stärksten Argumente für die Notwendigkeit des Hinausgehens über die for- nuli Logik. Von verschiedenen Seiten führen dahin die Arbeiten von Gotthard Günther, Emst ¡goch und Josef König.IM Vgl. dazu Aristoteles, Physik III.105 Vgl. HJH.Holz, Kategorie Möglichkeit und Moduslehre, in Ernst Bloch zu ehren,

frinkfurt am Main 1965, S. 99 ff. Erheblich für diese Frage sind auch die Erwägungen von R. firner Zur Frage der Lokalisierbarkeit, in H.H.Holz (Hg), Formbestimmtheiten von Sein und Denken, a.a.0., S. 54 ff.106 Leibniz, Opuscules et fragments inedits, ed. Louis Couturat, Paris 1903, S. 18. Vgl. hierzu

¡ad zum folgenden H.H.Holz, Die Konstruktion des Kontingenten, a.a.O.107 Leibniz, Kleine Schriften zur Metaphysik, a.a.O., S. 17.|C8 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, a.a.O., S. 260: »Mögliches ist partiell Bedingtes, und

Car als dieses ist es möglich... Jedes Mögliche... bedeutet eine Offenheit infolge eines noch nicht tollständig zureichenden, also mehr oder minder unzureichend vorliegenden Bedingungsgrun­

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des«.109 Leibniz, Kleine Schriften zur Metaphysik, a.a.O., S. 177.1 10 Emst Bloch, Da» Prinzip Hoffnung, a.a.O., S. 274: »Reale Möglichkeit ist daska

Vor-Mch der materiellen Bewegung als eines Prozesses; sie ist der spezifische Gebiet^i^H gerade der Wirklichkeit, an der Front ihres Geschehens«. Vgl. auch Experimentum samtausgabe Band 15. Frankfurt/Main 1975, S. 139 ff.

111 Leibnil, Kleine Schriften zur Metaphysik, aa.O ., S. 179.112 Vgl, Ernst Bloch, Experimentum Mundi, a.a-O-, S. 88 ff. Charakteristisch sindfg,.

Sätze wie die folgenden: «Die Gegenwan setzt Zukunft wie Vergangenheit voraus... Z u l ^ ist nicht das, was auf den Menschen zukommt, sondern dasjenige, wohin er sich, worfo wendet, ia was überall den nur so vorhandenen Gang des Zeitlichen ausmacht« (S. ggVgl. H.H.Holz, Logos spermatikos, a.a.O.. S. 59 ff und 189 ff. So bestechend die Arpulj^ Blocks für den Vorrang der Zukunft sind und wie sehr sie sich auch durch die Möglichkeit als Kategorie des Wehinhalts (mit Wirklichkeit als einem kleinen Auuchnii^L^ mien sehen, bleibt doch der Rang der Gegenwan zu bedenken: Ist sie nicht der Bereich ^ auch die Zukunft als Möglichkeit anwesend ist? Eine dialektische Theorie der Zeit hätte, t che Fragen zu achten. ^

Anmerkungen zu Kapitel III

1 Die Basisstrukturen der Vergesellschaftung untersucht Karl Marx in Kapitel i .Kapital«.

kühler (Hg), Die Wissenschaft der Erkenntnis und die Erkenntnis der Wissenschaft, Stvn 1978, S. 249 ff. Entsprechend dem Verhältnis von Natur und Gesellschaft, in dem die übergreifendes Allgemeines ist, sind Natur- und Gesellschaftswissenschaften in ihrer w i^schädlichen Rationalität Unterschiedene (differentia), während die Disziplinen der eioeg o<u der anderen voneinander Verschiedene (diversa) sind. Diese Differenz wäre in einer *n,c< - über die Einheit der Wissenschaften zu explizieren.

3 Vgl. H.H.Hoh, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, Köln 1980, S. 25 ff.4 Zur Diskussion des Konzepts einer Einheitswissenschaft und ihrer physikalistischen Ln

pretation vgl Ludovico Geymonat, Fdosofia e filosofía delle scienze, Milano 1975, S. 29 ff Schreiter, Zur Kritik der philosophischen Grundpositionen des Wiener Kreises, Berlin 1977

5 Zur dialektischen Intetpmation und Transformation klassischer metaphysischer Systetäe habe ich 1969 einen Vorschlag gemacht in meinem noch ungedrockten Vonrag an der Univtr* tat Bern »Was sind und was leisten metaphysische Modelle?«.

6 L Geymonat, Marxismo e scienza della natura, in Contro il moderatismo, Milano 197g £ 146 ff, hier S. 154 und 150. -

Ludovico Geymonat ist im deutschsprachigen Raum wenig bekannt. Es mag darum sinnvoll sein, hier einige Daten zu seiner Person und seinem Werk mitzuteilen. Schüler und Mitarbeiter des Mathematikers Giuseppe Peano (der am Anfang der Axiomatisierung der Arithmetik steht); hat Geymonat seine Studien in Wien bei Moritz Schlick, Friedrich Waismann und HansR» chenbach fongesetzt. Dann versuchte er in einer Zeit, ab die italienische Philosophie ganz unttr der Vorherrschaft des Neuhegelianismus stand, dem Empirismus des Wiener Kreises in Beachtung zu verschaffen, allerdings bereits mit einer für seine spätere Entwicklung nicht un­wichtigen Modifikation: Er insistiene auf der Realität der Objektwelt, die uns durch die verwis­senschaftliche Erfahrung des Alltagsverhaltens gegeben und gesichcn sei; die Wissenschaft xi nur eine Vertiefung und Präzisierung der Subjekt-Objekt-Beziehungen. Wenn auch diese Pro- sierung — seiner damaligen Auffassung nach — zur Strenge wissenschaftlicher Aussagen da­durch fühn, daß Systemvoraussetzungen und operationale Regeln festgesetzt werden, so weode-

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0 «ich doch gegen die Vorstellung, es handele sich dabei um beliebig wählbare Axiome. Viel* *.}.f stien diese Festsetzungen problcmgeschichtlich bedingt und besäßen also eine Art Quasi* ^<*efldigkeit.(Vvnionits strikte Weigerung, sich mit dem Faschismus zu arrangieren, führte zunächst zu

Entfernung aus der Universität, 1941 auch zum Verbot, als Lehrer an einer Privatschule . rfken. Unter dem Eindruck des Abessinienkrieges suchte Geymonat den Anschluß an die

^■¿rtTtaodsbewcgung und stand später auch in den Reihen der Partisanen.It Jff Nachkriegszeit wurde er zum Begründer einer wissenschaftsgeschichtlich und wissen* ¿ftjtheoretisch orientierten philosophischen Schulrichtung an der Universität Mailand. Oie

^¡trigkeiten, von den konventionalist¡sehen Positionen her Oberhaupt zu einem sinnvollen ^riwitsbegriff zu kommen, führten Gey monat dazu, die Leninsche Wahrhehsiheorie zu ak- rfjtrta und von da aus zu einem mit den Ergebnissen der heutigen Naturwissenschaften über- glimmenden Begriff materialistischer Wissenschaft vorzudringen. Dabei versucht er, die me* ^logischen und wissenschaftstheoretischen Vorzüge der axiomatischen Methode mit den

des dialektischen Materialismus zu verbinden. Die Verknüpfung Wissenschaftstheo- jacher Probleme auf dem höchsten Niveau mathematischer und physikalischer Theorienbil* tjif mit dem durch eigene politische Erfahrungen geschärften Bewußtsein für historisch* llsehaftliche Entwicklungen ist die aus der Biographie Geymonats entspringende Vorausset-

^ für sein umfassendes Philosophieverständnis. Dieses ist für Geymonai die Voraussetzung ^ die Einheit der Welt — und das heißt auch die Einheit von Natur und Gesellschaft—reprä- ifOtiirtnde Dialektik der Natur. Vgl. W. Bütiemeyer, Der Denkweg Ludovico Geymonats, in: Geymonat, Grundlagen einer realistischen Theorie der Wissenschaften, Köln 1980, S. 9 ff.1 L. Geymonat, Storia del pensiero filosofico e scientifico, Milano 1970 ff, Nuova edizione

j jyjJI-IX, 1975 ff. In diesem Abschnitt wird dieses Werk im Text zitiert mit dem Kürzel St +jyx). und Seitenzahl.j Zur Frage der Rationalitätstypen vgl. J . Zeleny, Studien über Dialektik, Prag 1975; sowie

jeDnfe:hst eine systematische Entwicklung seines Forschungsprogramms in den Studien zurnulektik, Köln (in Vorb.).9 Vgl. St. VII, S. 83 ff.10 Lenin, Werke 20, S. 130 f.11 Thomas S. Kuhn, The structure of scientific revolutions, Chicago 1970 2 . Vgl. dazu W.

ßrtdtnch (Hg) Beiträge zur diachronischen Wissenschaftstheorie, Frankfurt/Main 1974, K. iiytiu (Hg.), Wissenschaftsgeschichte und wissenschaftliche Revolution, Köln 1981.

12 L. Geymonat, Probleme der Wissenschaftsgeschichte — Dialektik der Wisscnschaftsent* klung, ¡n M. Hahn/H.J.Sandkiihler, Gesellschaftliche Bewegung und Naturprozeß, Köln

171 ff, hier: S. 174 (In diesem Abschnitt wird dieses Werk im Text mit dem Künel GBN + Seitenzahl zitiert).

13 L Geymonat, Galileo Galilei, Torino 1975, S. 261. In diesem Abschnitt wird dieses Werk flTat mit dem Kürzel G + Seitenzahl zitiert).

14 Vgl. Anm. 9. Gey monat hat die Bedeutung Lenins für Philosophie und Wissenschaftsauf- fgsuogSt. VII, S. 83 — 111 genau analysiert und hoch bewertet.15 Geymonat, Marxismo e scienza della natura, a.a.O., S. 154 und 155 f.16 Giulio Giorello, Mathematische Abstraktion, Dialektik der wissenschaftlichen For-

Khuogsprogramme und Naturerkenntnis, in P.Plath/H.J.Sandkühler, Theorie und Labor, Köln 1978, S. 270 ff, hier: S. 271 f.17 Giorello, a.a.O., S. 274.18 Giorello, a.a.O., S. 285.19 Zur Klassifikation der Wissenschaften als Widerspiegelung ihres Realnexus vgl. B.M. Ke*

inv, Klassifizierung der Wissenschaften, deutsch Köln 1975. Unverständlicherweise hat Ke- ¿ryw keine Notiz genommen von den Klassifikationsentwürfen bei Leibniz, die bereits ein tie­fes Verständnis des dialektischen Zusammenhangs der Wissenschaften als Ausdruck der ontolo-

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glichen Gliederung der % eh und damit zugleich il> Organiwtionsform der Produktion v Wissen und technischen Anwendungen, ein Verständnis von Wissenschaft als Produktivkl!t! zeigen. Vgl. dazu Han» Heinz Holz, Leibniz. Leipzig 1983, Seite 121 ff. ^

20 MEW 20.520.21 Vgl. Autorenkollektiv, Geschichte der Dialektik M. — 18. Jahrhunden, deutsch Be r

1979. ' 'n22 Vgl. Han» Jörg Sandkühler, Freiheit und Wirklichkeit, Frankfun am Main 196g.

F. V.J. Schilling. Stuttgart 1970. Steffen Diet zsch (Hg.), Natur—Kunst — Mythos, Berlin Ito’ Hans Heinz Holz, Der Begriff der Natur in Schellings spekulativem System, in H.H.SandkühU (Hg.), Natur und geschichtlicher Prozeß, Studien zur Naturphilosophie Schellings, a . * . o . ( \ milla Wamke, Svstemdenken und Dialektik in Schellings Naturphilosophie, jn ft, mann/Hcdtke/Riiben/Wamke, Dialektik und Systemdenken, Berlin 1977. ^

23 MEV 20,345 f.24 MEW 20,316 und 320.25 Vgl. Herben Höre in Hörz-Röseberg (Hg ), Materialistische Dialektik in der phy«^.

sehen und biologischen Erkenntnis, Berlin und Frankfurt am Main 1981, S. 30: »Die matenaligj sche Dialektik kann in ihrer methodologischen Bedeutung keine der im Methodengcfoge haltenen oder neu entstandenen Methoden ersetzen. Sie zeigt deren Bedeutung und relatjV{ Grenzen, untersucht ihren inneren Zusammenhang, ihre Veränderung und Entwicklung erweist sich somit als Grundlage wissenschaftlicher Methodenkritik«.

26 Die Alternative wäre ein intuitivistisches Verständnis vom Ursprung einzelwissenschafc. licher Methodenkritik - also ein Rück/all in ¡nationalistische Begründungstheorien.

27 VgLH. Hörz, a.a.0., Seite 29 f: »Der methodologische Aspekt der materialistischen Dialek- tik lorden die dialektische Analyse des Systems der einzelwissenschaftlichen Methoden, umden Zusammenhang, die Veränderung und Entwicklung der verschiedenen Methoden a erkennen... Als Hypothese wollen wir formulieren, daß das System der Met hoden innerhalb der Eckpunkte der experimentellen, der logisch-mathematischen und der historischen Methode be­griffen werden kann und alle anderen Methoden als Beziehungen zwischen diesen Eckpunkten zu erklären sind«.

28 F. Engels, MEW 19, S. 203 f.: »Für den Metaphysiker sind die Dinge und ihre Gedanken­abbilder, die Begriffe, vereinzelte, eins nach dem ändern und ohne das andre zu betrachtende, f«. ste, narre, ein für lUemaJ gegebene Gegenstände der Untersuchung. Er denkt in lauter unvermit­telten Gegensätzen; seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, ist vom Übel. Für ihn eii- stiert ein Ding entweder, oder es existien nicht: Ein Ding kann ebensowenig zugleich es jelbs und ein anderes sein«.

29 Engels, MEW 19, S. 205: »Die Natur ist die Probe auf die Dialektik, und wir müssen esder modernen Naturwissenschaft nachsagen, daß sie für diese Probe ein äußerst reichliches, sich tag. lieh häufendes Material geliefen und damit bewiesen hat, daß es in der Natur, in letzter Instanz, dialektisch und nicht metaphysisch hergeht, daß sie sich nicht im ewigen Einerlei eines stets wie- derholten Kreises bewegt, sondern eine wirkliche Geschichte durchmacht.

30 Engels unterscheidet »zwei philosophische Richtungen, die metaphysische mit fixen Ka­tegorien, die dialektische (Aristoteles und Hegel besonders) mit flüssigen«. MEW 20, S. 472. Da­mit wird metaphysisch das genannt, was heute im allgemeinen Sinne als »positivistisch« bezeich­net wird. Auf diese Besonderheit des Engelsschen Sprachgebrauchs hat schon Ernst Bloch, Das Materialismusproblem, Gesamtausgabe 7, Frankfurt am Main 1972, S. 360, aufmerksam ge­macht: »Das Beharren auf starrer Empirie nennt Engels, nun mit völlig umgedrehtem Spiess, gar noch ‘metaphysisch*... Metaphysisch ist ihm... jedes Verdinglichte, Statische, auch schon die hard and fast line der niedrigeo Mathematik zum Unterschied von den variablen Größen der hö­heren, kurz: Metaphysik soll hier der Gegensatz zur Dialektik sein«.

31 Je nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse insgesamt gibt diese Widerspiege- ung des Gesamtzusammenhangs in der Begriffs- und Theorienbildung der Einzelwissenschaf-

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„flfinhistorisch relatives Weltmndell.eine relative Wahrheit. Die Wissenschaftsgeschichte isto Geschichte der Entwicklung de* Subjekt-Objekt-Verhältnisse* im Bereich der Erkenntnis j ¡¡ffert das Material für das Verständnis der metaphysischen Integrationsentwürfe, wie diese

" gtlirhrt die Verfassung der wissenschaftlichen Theorien beeinflußen.S,t B.M. Kedrow, Friedrich Engels über die Dialektik der Naturwissenschaft, Berlin und Hito 1979 (Chrestomathische Ausgabe der Engelsschen »Dialektik der Natur«), S. 506. — Die ¿¿tik an Kedrows Interpretation sagt indessen nichts gegen seine großartige Leistung der Re- ^gjtrukuort des Aufbaus und Argumentationszusammenhangs der Engelsschen »Dialektik

Niiur». durch die eine Diskussion Uber die Interpretation der Intention dieses nur in Frag­t e n und Noti/en vorliegenden Werks überhaupt erst systematisch ermöglicht wird, j, Kedrow, a.a.O., S. 506 f.14 Kedrow, a.a.O.. S. 425 ff. j5 Kedrow, a.a.O., S. 426.^ Kedrow, a.a.O., S. 427. Engels an Marx: MEW 33, S. 80 f. j7 Kedrow, a.a.O., S. 428.

Engels an Marx, MEW 33, S. 80.}9 Engels,MEW 20,S. 519. Lenin greift diesen Gedanken dannauf, wenn er Materie als »phi-

ttfonhische Kategorie« bezeichnet. LW 14, S. 124.40 Kedrow, a.a.O., S. 436,438,439.41 Kedrow, a.a.O., S. 450 f.41 Kedrow, a.a.O., S. 487. Der zitierte Artikel von Engels MEW 20, S. 354 ff.4) MEW 20, S. 355.44 Siehe dazu B.M. Kedrow, Klassifizierung der Wissenschaften, a.a.O., insbesondere Band

fl, 2.Teii.45 Die Aussonderung des Überholten und die Bewahrung des Grundsätzlichen hat J.B.S.

Hildine in dem Kommentar zu seiner 1940 erschienen englischen Ausgabe der »Dialektik der Natur« angestrebt; Kedrow ist in den Anmerkungen zu seiner Zusammenstellung der Texte die- jfDi Prinzip gefolgt. Dafür können sich Haldane und Kedrow auf Engels selbst berufen: »Darü­b er sind wir adle einig, daß auf jedem wissenschaftlichen Gebiet in Natur wie Geschichte von den pjebenen Tauachen auszugehn ist, in den Naturwissenschaften also von den verschiednen sach­lichen und Bewegungsformen der Materie, daß also auch in den theoretischen Naturwissen­schaften die Zusammenhänge nicht in die Tatsachen hineinzukonstruieren, sondern aus ihnen iu entdecken und, wenn entdeckt, erfahrungsmäßig so weit dies möglich nachzuweisen sind«. \(EW 20,334. Das bedeutet natürlich, daß eine Dialektik der Natur, soweit sie sich nicht auf die grundlegenden ontologischen Prinzipien, sondern auf das einzelwissenschaftliche Material be- nibt, von dem jeweiligen Forschungsstand dieser Wissenschaften abhängt und nur diesen re­flektieren kann, mithin auch keinen endgültigen, sondern nur einen vorläufigen Stand von Welterkenntnis im Gebiet dieser Wissenschaft formuliert.

46 Es handelt sich um zwei Theorie-Typen, denen jeweils verschiedene Typen der Bewäh­r u n g entsprechen. Vgl. Kurt Bayern, Zum Verhältnis von erkenntnistheoretischen und ontolo- gjsihcn Aspekten der materialistischen Naturdialektik, in Plath/Sandkühler(Hg.), Theorie und Labor, Köln 1978, S. 36 ff. »Naturdialektik ist daher als Teil eines materialistischen Systems der Philosophie zu verstehen, das auf der Basis der Einzelwissenschaften eine zusammenfassende Sicht der Welt ermöglicht und gesellschaftlich-praktische Orientierungen zu formulieren ver­mag. Die Aussagen der Naturdialektik sind insofern nicht mit solchen der Einzelwissenschaften identisch oder auf sie reduzierbar, können aber auf der anderen Seite auch nur um den Preis idea­listischer Verabsolutierungen oder dogmatischer Verengungen von den Resultaten der Einzel- nsenschaften abgelöst werden: sie sind Ergebnis einer philosophischen Verarbeitung dieser Raulute und der Wege ihrer Gewinnung«. Ebd., S. 54 f.

47 Ober den Charakter der »bestimmten Abstraktion« als Form einer dialektischen Logik vgl. Galvano della Volpe, Logica come scienza storica, Opera, Roma 1972/73, vol. 4. Allerdings

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bedürfen die Ansätze della Volpes noch eingehender Erörterung und Klärung. Insbesondere ¡_ zu kliren, inwieweit ein antihegclianisches und positivistisches Element bei della Volpe insSp j kommt, das auf seine Intention möglicherw eise verzerrend einwirkt.

48 Zur Dialektik der Natur gehören nach Engels. MEW 20 ,349, einmal der Nachweis, »djg die dialektischen Gesetze wirkliche Entwicklungsgesetze der Natur, also auch für die fheontj. sehe Naturiorvhung gültig sind« — also die allgemeine Ontologie der Natur und ihre speziell Anwendung auf die Einzelwissenschafien; zum anderen die Reflexion »auf den innem 7».^ menhang jener Gesetze unter sich» — also die wissenschaftslogische Widerspiegelung dei umtzusammenhangs.

49 Mit dem Terminus »spekulativ« ist hier nicht der abwertende Sinn des bloß Ausgedad,. ien. Spintisierten verbunden, sondern die Bedeutung der rationalen, dialektischen Konstn . tion transempirischer Gegenstände, die ihre Begründung aus der Widerspiegelung der Welt ¡m Bewußtsein herleitet und selbst eine Art Widerspiegelung ist. Vgl. Hans Heinz Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze, Köln 1980.

50 Die hier auf den Ebenen 2—4 formulierten Sachverhalte bezeichnet Kurt Bayertz, a.a_0S. 36 f. ab den »Kem der materialistischen Naturdialektik« und faßt »deren Gehalt« zusamme »a) Die Naturdinge sind keine festen Kristalle, sondern in ständiger Wechselwirkung umereio. ander; die Materie ist daher keine Gesamtheit starrer Strukturen, sondern eine Gesamtheit Bewegungsprozessen (Prinzip der Einheit von Materie und Bewegung), b) Diese Wechsel* , kungsprozesse erschöpfen sich nicht in stationären Austausch vorgängen, sondern führen zu ii. reversiblen Veränderungen, die die Entstehung qualitativ neuer Strukturen und Formen der Materie einschließen (Prinzip der Geschichtlichkeit der Natur). Die Naturdialektik ist demnach die philosophische Widerspiegelung der Dialektik der Natur; sie ist die philosophische Theorie der Selbstbewegung und geschichtlichen Entwicklung der natürlichen Materie. Zugleich ist die Naturdialektik aber auch Theorie der Erkenntnis der Natur und der Voraussetzungen dieser Er- kenntnis: nkhi außerhalb ihrer Bewegungen sind die Naturdinge erkennbar, sondern nur inso­fern und insoweit sie untereinander wechselwirken und, so muß hinzugefügt werden, insofern und insoweit sie mit dem erkennenden Subjekt wechselwirken. Die materialistische Natunt,. lektik umfaßt daher zwei unlösbar miteinander verbundene Komponenten: als philosophische Konzeption von der allgemeinsten Struktur der Realität sagt sie die Natur als eine Gesamtheit von Wechselwirkungsprozessen aus (ontologischer Aspekt) und, indem sie die Wechselwirkung zwischen Subjekt und Objekt als besonderen Fall dieser allgemeinen Wechselwirkung auffaßt, liefen sie zugleich Elemente einer Theorie der Produktion der naturwissenschaftlichen Er­kenntnis (gnoseologischer Aspekt)«.

51 Engels, MEW 20,230: »Die empirische Naturforschung hat eine ungeheure Masse von po­sitivem Erkenntnisstoff angehäuft, daß die Notwendigkeit, ihn auf jedem einzelnen Untersu- chungsgebiet systematisch und nach seinem inneren Zusammenhang zu ordnen, schlechthin unabweisbar geworden ist. Ebenso unabweisbar wird es, die einzelnen Erkenntnisgebiete unter sich in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Damit aber begibt sich die Naturwissenschaft auf das theoretische Gebiet, und hier versagen die Methoden der Empirie, hier kann nur das theoretische Denken helfen«... Und MEW 21,295: »Das Gesamtbild zu liefern, war früher die Aufgabe der sogenannten Naturphilosophie. Sie konnte dies nur, indem sie die noch unbekann­ten wirklichen Zusammenhänge durch ideelle, phantastische ersetzte, die fehlenden Tatsachen durch Gedankenbilder ergänzte, die wirklichen Lücken in der bloßen Einbildung ausfüllte.. Demgegenüber brauche man heute »die Resultate der Naturforschung nur dialektisch, d.h. im Sinn ihres eignen Zusammenhangs aufzufassen..., um zu einem für unsere Zeit genügenden ‘Sy­stem der Natur’ zu kommen«. Also trete die Dialektik der Natur das Erbe der Naturphilosophie an, deren Wiederbelebung sei nicht nur überflüssig, sondern wäre ein Rückschritt.

52 Engels, MEW 20,473: »Die Dialektik des Kopfes nur Widerschein der Bewegungsformtn der realen Welt«. Vgl. auch MEW 20,330 f: »Grade die Dialektik ist aber für die heutige Natur­wissenschaft die wichtigste Denkform, weil sie allein das Analogon und damit die Erklärung!.

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. für die in der Natur vorkommenden Entwicklungsprozesse, für die Zusammen- m mnzen und großen, für die Übergänge von einem Untcrsuchungsgebiet um anderen«.

^ Damit wird auch Sartre* Einwand hinfällig, die Naturdialektik habe nur den Status einer . njrneinung. Vgl. Jean Paul Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Reinbek bei Ham-

^ l967_ s.33.^ H3rt/Rö*berg (Hg.), a a ° * zu den Regionen Physik und Biologie.■ Termini viriii de fait und viriti de raison entnehmen wir der Philosophie von Leib- ' Vgl r.Ii-Ingetrud Pape, Leibniz—Zugang und Deutung aus dem Wahrheiuproblem, Stutt-

*4 j949,* u D*ß diese Auffassung eine Begründung erfordert, warum das Real-Allgemeine »Welt« ge-

{jbtrden Besonderen und Einzelnen ontologische Priorität besitzt (was eine materialistische i*4. ^ht-nominalistischc Lösung des Universalienproblems einschließt), ist mir bewußt. Eine

Begründung kann ich hier nicht liefern — ich weiß auch nicht, ob die mir vorschwebende mit,j4tjon stichhaltig ist. Darum formuliere ich meine These ausdrücklich als eine persön-

K, Vermutung. — Meine Auffassung trifft sich, wenn ich recht sehe, mit der von Joachim "V.^ 1 in seinem Marburger Vortrag »Dialektik der Natur und natürliche Zahlen« ausgespro­chen These, die Dialektik der Mathematik sei herzuleiten aus der dialektischen Genesis der• glichen Zahlen. — Die hier vertretene Auffassung wird auch gestützt durch die Ausführun- ;il v0„ V. Ambarzumjan/V. Kasjutinski, Die Revolution in der modernen Astronomie und vjJejne der Weltanschauung, in: Der philosophische Ideenkampf in der modernen Naturwis- rftfchaf«. a-i-O., S. 37 ff, hier vor allem 44 ff. Der logische Vorrang des allgemeinen Seins der Ma- \Tvor den besonderen »kosmischen Systemen« wird hier deutlich.1 57 Vgl. H.H. Holz, Leibniz, a.a.O., pass. Anna Simonovics, Dialektisches Denken in der niiUsophie von Leibniz, Berlin und Budapest 1968. Aron Gurwitsch, Leibniz, Berlin und New 5 7 ,7 4 . bes. S. 372 ff.jg V g l . Josef König, Das System von Leibniz, in Vorträge und Aufsätze, Freiburgund Mün-

ijn 1978, S. 27 ff.j9 Vgl. H.H. Holz, Die Konstruktion des Kontigenten, in K. Peters/W. Schmidt/H.H.

Hob. Erkenntnisgewißheil und Deduktion, Darmstadt und Neuwied 1975, S. 129 ff. Leibniz ¡ja der aristotelischen Lehre von der unmittelbaren Gegebenheit von Bewegung / Verände­r e (Pbys. UI), versucht aber dieser Erfahrung selbst noch einen apriorischen Charakter von Notwendigkeit zu verleihen: Gäbe es keine Erfahrung des Vielen, dann gäbe es überhaupt keineEffihniflg.jO G.W. Leibniz, Kleine Schriften zur Metaphysik, es. H.H. Holz, Darmstadt und Frank­

l s an Main 1965, S. 269.$1 Hörz/Röseberg (Hg), a.a.O., S. 151. Der Verfasser dieses Abschnitts, Fritz Gehlhar, sagt

^lig, daß Engels diese Auffassung abgelehnt habe. Andererseits hat Engels an »Körpern« als seriellen Existenzen«, also an Substraten der Systembeziehungen festgehalten, z.B. MEW $ 5.355. Ich halte dies nicht für eine mikrophysikalisch unterlaufbare facon de parier, sondern (¡¡rein kategoriales Problem,

y H.H. Holz, Leibniz, a.a.O., cap. 2.Ö Autorenkollektiv, Marxistisch-leninistische Philosophie, Berlin und Frankfurt am Main

m s . 89.64 Ich benutze hier bewußt Termini mit doppelter Bedeutung. Auftxehmen kann sowohl ak-

tivisch verstanden werden wie in der Wendung »Fritz nimmt Kontakt mit Karl auf«, oder medial viein der Wendung »Der Fotoapparat nimmt Fritz auf« oder »Die Tonne nimmt das Regen was- j<rauf«. Und ebenso kann darstellen aktiv verstanden werden wie in der Wendung »Schauspieler X «eil« den Hamlet dar« (und als Sonderfall: »er stellt sich selbst dar«) oder »der Chemiker stellt <jjt Harnsäure dar« oder »Darstellung Jesu im Tempel«, aber auch medial wie in der Wendung Jis Gemälde stellt den Boulevard des Capucines dar«. Im ersten Fall ist die Darstellung das Dar­leihe selbst (auch Hamlet existiert nicht getrennt von dem Schauspieler, der ihn darstellt —

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obwohl d t« noch eine besondere Variante de» ersten Falls ist), im zweiten Fall ist die Dant«t|u unterschieden vom Dargettelhen (worauf zum Beispiel Magritte mit seinem Bildtitel » ( ^ pas une pomme« hinweist — vgl. dazu H.H. Holz, Kritische Theorie des ästhetischen Zciche T Katalog Documenta 5, Teil 1, hier S. 1. 45 ff)- ^

65 A. Scheptulin, L» filosofia marusu-leninista, Moskau 1977 (russ. Moskau 1970), Im > Widerspiegelung als universelle» Seinsverhältnis aus der Bewegung der Materie hergeleitet: .Q* Materie existiert in der Form der materiellen Seienden, die räumlich und zeitlich unendlich und die nicht nur existieren, «ondent aufeinander ein wirken. Interagierend übertragen sie Jj, spektiven Veränderungen aufeinander. Diese Veränderungen werden einerseits durch diedes materiellen Seienden, aus dem sie hervorgehen, bestimmt, andererseits durch die BesonJ*,. beit des Körpers, der auf es einwirkt. Die Besonderheiten der Wirkenden hinterlassen einen Ei«, druck auf diese Veränderungen und drücken sich in ihnen auf die andere oder andere Weise Und darin besteht das Wesen einer Eigenschaft wie der Widerspiegelung, die für alle materiell Seienden charakteristisch ist. Die Widerspiegelung ab universelle Eigenschaft der Materie stcQ, auf diese Weise die Fähigkeit eines materiellen Seienden dar, in den Veränderungen dieser oder jener seiner Eigenschaften, dieser oder jener seiner Zustände die Besonderheiten der anderen Körper, die auf eseinwirken, zu reproduzieren.« A.a.O., S. 89 f. Indem die Widerspiegelung m, der wechselwirkenden Bewegtheit abgeleitet wird, fungiert sie nicht mehr ab eine willkürlich Hypothese, sondern ab Titel für die Erscheinungsform des konstituierenden Prinzips der mat* riellen Einheit einer bewegten Vielheit. Vgl. dazu auch T. Pawlow, Die Widerspiegelungsthto- rie, Berlin 1973.

66 ln der Geaellschaftstheorie ut die Realität des bloß Erscheinenden — zum Beispiel von Ideologien, Ferischen (Geldfetisch, Warenfetisch)—durch den realen Status des Bewußtseins Seinsforra und mithin der Erscheinungsform ab Wesensform begründet. Vgl. Anton Fischet, a-i.O.

6? Hier ist nicht der Ort, auf den kategorialen Status der »messtheoretischen Voraussetöm. gen einer physikalischen Theorie« (Borzekowski-Wahsner, Dialektik 1, a.a.O., S. 70)einzuge­hen. Natürlich ist jede Messung ein Widenpiegelungsvorgang — und zwar in doppelter Hin- sicht: Das Meßgerät muß erstens («ne das Arbeitsgerät) ertou am Gegenstand spiegeln, sonst er- brächte es kein Ergebnis; ob es allerdings du spiegelt, was ich aus dem Messergebnu zu erkennen erwarte (oder glaube), hängt davon ab, ob ich zuvor die zu untersuchenden GegenstandsmeHc- male angemessen bestimmt und das Maßverhältnis (zwischen Gegenstand und Meßvorpng bzw. Meßgerät) richtig festgelegt habe. Zweitens spiegelt das Meßmittel ein Verhältnis des Bnb- achten zur Wirklichkeit (und zwar insoweit es quantitativ ausdruckbar ist), zum Beispiel seinen Standort im Bezugssystem oder zum Bezugssystem. Ein Messergebnis ist dann korrekt, wenn die Instrumente sachgemäß verwendet und korrekt abgelesen worden sind. Ob das Ergebnis sinnvoll, das heißt über die materielle Wirklichkeit aussagekräftig ist, hängt indessen von dem WiderspiegeJungsmodus des Meßgeräts ab. Es scheint mir darum problematisch, den Erkennt- nisgehait der Physik von der Funktion der Eulons oder Standards her definieren zu wollen, oh­ne dabei die Seinsweise des Gegenstands zu berücksichtigen (wie dies Rüben zu tun scheint, wenn er aj.O ., Seite 172, formuliert: »Mit den Größen besitzt die Physik ihre Objekte«. Sind die Größen nicht vielmehr Widerspiegelungen bestimmter Aspekte der Objekte, erscheint deren qualitative Eigenheit nicht — wie Pierre Jaegle, Raum und Zeit, Köln 1980, bemerkt — in den »Naturkonstanten«? Eine Theorie des Erkenntnistypus der Wissenschaften (und auch des nicht-wissenschaftlichen Erkenne») erfordert jedenfalls noch mancherlei Überlegungen und Abklärungen.

68 Borzekowski/Wahsner, Dialektik 1 , a.a.O., S. 65 ff. R. Wahsner, Das Aktive und das Pas- sive, Berlin 1981, S. 63; »Am Anfang der Newtonschen ‘Prinzipien’ stehen Definitionen, die der Theorie von vornherein eine physikalische Bedeutung geben, da sie nämlich die Grundbegriffe der Mechanik, die ab physikalische Größen auftreten, durch Meßvorschriften definieren«. Zu Kanu Raum-Begriff vgl. dann auch ebd., S. 130 ff, wo R. Wahsner in einer Erörterung des Ge-

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. fng»ng$ der »Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwiisenschaft« über dir transzen- Je Ästhetik hinaujfühn und den absoluten Raum alt eine spekulative Idee aufweist.

^ Albert Einstein, Vorwort zu Max Jammer, Das Problem des Raumes, Darmnadt I960, S.

picrre Jaegli, Raum und Zeit, Grundfragen der naturwissenschaftlichen und philosophi- fcn Erkenntnis. a.a.O., S. 109: »Man gerät, jedesmal wenn man die Probleme der Erkenntnis

* Jen modernsten physikalischen Theorien angeht, in Gefahr, ein der unabgeschlossenen iwoftf innewohnendes Problem mit einem philosophischen Problem zu verwechseln. Die y^-he, daß eine Theorie noch keine umfassende Antwort gegeben hat auf alle Fragen, die sie jl,, ist zuerst ein dieser Theorie selbst zugehöriges Problem. Gewiß kein Problem ohne Bezug

Philosophie. Aber zunächst ein Problem dieser Theorie; ¡hm den Status eines philosophi- Problems zu geben und es dann lang und breit als philosophisches Problem zu verhandeln,

^ meiner Ansicht nach das Risiko, die Reflexion stranden zu lassen und falsche Ansichten ^jber in die Welt zu setzen, wie die Philosophie sich konstituieren kann, indem sie wirklich leihen bei der Wissenschaft macht«. Dies scheint mir eine bemerkenswerte Einsicht in den !-i rikter philosophischer Kategorien zu sein, deren spekulativer Gehalt, artikulierende Form- Limmungen der Welt im ganzen zu sein, sich zwar nicht im Gegensatz zu gesicherten einzel- ^fljchaftlichen Erkenntnissen befinden darf, aber auch nicht einfach aus diesen hervorge- *g, «erden kann. Wir erinnern uns hier der Leibnizschen Verteidigung der »eingeborenen

gegen Locke: in ihnen werden Erfahrungen des Denkens mit sich selbst aus Anlaß derEr- Uflingder Gegenstände formuliert, die in jede äußere Erfahrung eingehen und die Struktur der rfJLnpiegelung von Welt im Bewußtsein ausmachen.*, Jaegli, a.a.O., S . 78.j) V gl. die Definition 212a20: »Die unbewegte erste Grenze des Umfassenden ist der Ott«

Ui tou periechontos peras akineton proton, tout’ estin ho topos). Was Aristoteles gemeint hat, bingt im Verständnis von periechein.

5 Einstein, a.a.O., S. XIII. Vgl. insgesamt zu dieser Dichotomie Max Jammer, Das Problem ja Raum«. a.a.O., insbesondere cap. 1, S. 5 — 26. zum Ursprung in der Antike. Prähistorisch- „{biologisch ist diese Dichotomie des Raumbegriffs bis in die Frühzeit menschlicher Welter- {jhrung zurückzuverfolgen. Vg). Guido von Kaschnitz-Weinberg, Die mittelmeerischen fra g e n der antiken Kunst, Frankfurt am Main 1944. Dazu demnächst auch H.H. Holz, 5ffUtture primordiale della visualitä, Varese-Milano, in Vorb. für 1984.

74 Diese Dialektik ist nun allerdings nicht nach An der ersten Antinomie Kants zu denken, beide Raumvorstellungen nicht auseinanderhält und darum in der Thesis mit der Synthesis

,Qer möglichen Örter, in der Antithesis mit dem ln-sein des Seienden im leeren Raum operiert. [„ «■.■»1 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 454 ff. Auf den methodologischen Fehler des {opirismus, der die Konstruktion der Antinomien selbst allererst möglich macht, brauchen wir bitr nicht einzugehen; vgl. dazu Engels, Antidühring 1,5, MEW 20.75 Jaegle, a.a.O., S. 80.

76 Man sieht, daß die philosophischen Bestimmungen von Raum und Zeit, die Jaegle aus der Analyse ihrer Bedeutungen in der klassischen und relavistischen Physik gewinnt, auch die Inter­pretation des quantentheoretischen Dualitätsmodells zulassen, ohne dessen theoretischen An- gB als Begründung in Anspruch nehmen zu müssen.

77 Leibniz hat richtig erkannt, daß die Simultaneität der Ereignisse nur dann die Ganzheit ja Welt darstellt, wenn in sie das Vergangene qua Nachwirkung und das Zukünftige qua Mög­lichkeit einbezogen wird. »Man kann sogar sagen, daß... die Gegenwart mit der Zukunft lAwngergeht und mit der Vergangenheit beladen ist,... und daß so durchdringende Augen wie

Gottes in der geringsten Substanz die ganze Abfolge der Dinge des Universums lesen kön- oeo: Quae sint, quae fuerint, quae mox futura trahantur«. G. W. Leibniz, Nouveaux Essais sur Patendement humain, hg. und übers, von Wolf von Engelhardt und Hans Heinz Holz, Darm- aak und Frankfurt am Main 1959, S. XXV.

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.’ 8 Nicht, wie Jaegli a.a.O.. S. 80. <agt. als -Möglichkeit der Bewegung«.79 Vgl. hierzu die Erwägungen von Reiner Winter, Zur Frage der Lokalisierbarkeit, in H h

Hob (Hg). Fonnbcstimmtheiten von Sein und Denken, Köln 1982, S. 54,80 Vgl. H. Minkowski. Raum und Zeit, in Lorenz/Einstein/Minkowski, Das Relaiivjtj,

prinzip, Dannstadt 1958*, S. 54 ff *■81 Jaegle, a.a.O„ S. 81 f.S2 Jaegli. a.a.O., S. 83.83 Vgl. Dietrich Mahnke, Unendliche Sphäre und AUmittelpunkt, Halle 1937.84 MEW 20. S. 504.85 Jaegle, a.a.O., S. 82.86 Vgl. Alexander von Pechmann, Die Kategorie des Maßes in Hegels 'Wissenschaft der U

gik’, Köln 1980.87 Jaegle, a.a.O., S. 130.88 Scheptulin, a-a-O., S. 86.89 Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, München 1947. Hier wird ditffl,.

sion von der Sonderstellung des Menschen, vom Menschen als dem aller Welt Enigegenge*u. ien mit äußerster metaphysischer Zuspitzung ausgesprochen: «Das, was den Menschen aUog zum ‘Menschen ’ macht, ist nicht eine neue Stufe des Lebens,—erst recht nicht nur eine Stuieder einen Manifestaiioruform dieses Lebens, der ‘Psyche’ —, sondern es ist ein allem w d jedem Leb, überkdupt, such dem Leben m Menschen entgegengesetzte Prinzip, eine echte Wesenstatsacht,<& als solche überhaupt nicht auf die ‘natürliche Lebensevolution1 zurückgeführt werden kann«(i 35V

90 Hans Jörg Sandkühler, Praxis und Geschichtsbewußtsein, Frankfurt am Main 1973, S. 108 f. Es wird allerdings schnell sichtbar, daß ungeachtet des Bemühens, die primäre Selbständigkeit der Natur gegenüber dem Menschen in den Praxisbegriff einzubringen, doch der arbeitend* Mensch der transzendentale Bezugspunkt bleibt: Die Natur ist gegenständliches Glied im Nj- turverhältnis des Menschen — und der Genitiv hat den Charakter eines Subjektivus; der Mensch erzeugt, oder wenigstens er bestimmt sein Naturverhältnis in der Arbeit: »Die materielle, »aa­le, ökonomische und politische Voraussetzung dieser Kategorie ist ein Subjekt, welches entma- lig seine Praxis nicht als Offenbarung der Natur selbst auffaßt, sondern als Arbeit an der Natur, als Stoffwechsel mit der Natur«. A-a.O-, S. 109. So wird der Naturbegriff in drei »Dimensionen, immer wieder vom historisch-gesellschaftlichen Subjekt her bestimmt: »Dimension A: die Ma­terie ist für den Menschen gegenständlich in der Natur... Dimension B: die Natur ist... immer ein Element des Stoffwechsels, der sich in individuell-gesellschaftlicher Arbeit vollzieht... Dirnen- sion C: Natur, über die Erkenntnisse gewonnen werden können, ist immer Natur auf einem spe­zifischen Stand ihrer geschichtlichen Veränderung durch menschliche Aneignung, durch die Arbeit« (S. 1 10 f.).

91 Sandkühler, a.a.O., S. 109und 114.Zum zweiten Aspekt vgl. auch H.H. Holz,Grund«* lieh« zu Naturverhähnis und ökologischer Krise, in IMSF (Hg),»... einen großen Hebel der Ge­schichte«, zum 100. Todestag von Karl Marx: Aktualität und Wirkung seines Werks, Frankfun am Main 1982, S. 155 ff.

92 Sandkühler, a^.O., S. 115. Allerdings macht Sandkühler die thematische Einschränkung seiner Blickrichtung namhaft: Er notiert, daß »dieses Buch in erster Linie sich niit den Aspekten der ‘Dialektik’ der Natur befaßt, die von Belang für die Perspektive ‘Praxis und Geschichube- wußtsein* sind: die ‘Dialektik’ der Natur wird hier notwendigerweise —aber ohne bewußte Ver­einseitigungstendenz —ab *Dialektik’ des menschlichen Natur-Verhältnisses und als 'Dialektik’ der Arbeit geschrieben; dabei kann nie vergessen werden, daß die Praxis und die Bildung eines Geschichtsbewußtseins nicht nur gesellschaftlich arbeitende Subjekte voraussetzen, sondern auch jenen objektiven Prozeß, in dem die Natur zur materialistischen Produktionsgrundbge und — als technisch-industrielle Natur — zum Produktionsmittel wird; und nicht zu vergessen die Vor-Geschichte der noch nicht für den Menschen bedeutungsvollen Kosmos-Niiur«

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V116). Unsere Blickrichtung geht nun gerade auf jene »nicht zu vergebende« Kosmos-Natur,' VtJing» nicht als bloße Vor-Geschichte, vor allem aber auch nicht im Sinne einer spekulativen l)tf«ithese über ihre Inhalte, sondern all den ontologischen Boden und Horizont jeder mögli-

Theorie über Teilregionen der Welt und als die reale Bedingung der Möglichkeit von Dia- überhaupt.

9j H-H. Hol?, Die Selbstintcrpretation des Seins, a.a.O., S. 107 ff: Das Spiegel-Bild als Sehe-

94 Engels, MEW 20, S. 504. Dies entspricht ganz und gar der Auffassung, die schon der junge \Ur* gewonnen hatte: »Die Naturwissenschaft wird später ebensowohl die Wissenschaft von

Menschen wie die Wissenschaft von dem Menschen die Naturwissenschaft unter sich sub- ^mxren; Es wird eine Wissenschaft sein«. MEW, EBI, S. 544.

95 Ich übernehme den Terminus von Josef König.% Vgl. Hans Jörg Sandkühlcr, Gesellschaft ab Naturprozeß, in Sandkühler/Plath (Hg),

jlKorie und Labor, Köln 1987, S. 148 ff. »Die verständige Differenzierung zwischen Natur und (¡jjtllschift unterscheidet zwischen Strukturen der Wirklichkeit gemäß dem materialistischen pniuip der materiellen Einheit der Welt und der Besonderheit bewußter zweckgcrichteter Pra- mjinder Geschichte des menschlichen Stoffwechsels mit der Natur...« Dieser verständigen Ab­duktion steht die vernünftige, durch die »Kritik an der Arbeitsteilung im wissenschaftlichen ^«nntnisprozeß« vorbereitete Reintegration entgegen: »‘Natur* wird zur Kategorie der Ge- *Bschafiswissenschaft und ‘Geschichte’ zur Kategorie der Naturwissenschaft« (ebd., S. 150 und 169). Von daher begründet sich auch die Einheit von Natur- und Gesellschaftswissenschaft als ¿heit von Unterschiedenen. Vgl. dazu auch Hans Heinz Holz, Zur Einheit von Natur- und gaelljehaftswissenschaften, in H.J. Sandkühler (Hg), Die Wissenschaft der Erkenntnis und die ifkenotnis der Wissenschaft, Stuttgart 1978, S. 249 ff.

97 Vgl. G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, $§ 189 - 208, Theorie- fferk-Ausgabe, Band 7, Frankfun am Main 1970, S. 346 ff. Vgl. dazu auch Hans Heinz Holz, tftn« und Bedürfnisse, in VDI (Hg), Masstäbe der Technikbewertung, Düsseldorf 1978, S. 107 ff.-Vgl. neuerdings auch die Anmerkungen von Hermann Klenner in seiner Ausgabe der He­ktischen Rechtsphilosophie, Berlin 1982, S. 479 ff.

9g Vgl. G. Rückriem / F. Tomberg / W. Volpert, Historischer Materialismus und menschli­che Natur, Köln 1978.

99 Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin und New York 19733. Vgl. dazu auch Hagen Pleger, Natur und menschliche Natur. Vortrag beim Plessner- Kolloqium der Rijksuniversiteit Groningen.

100 F. Engels, Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, MEW 20,444 ff.101 H. Plessner, Der Aussagewert einer philosophischen Anthropologie, in Wirklichkeit

und Reflexion, Festschrift Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen S. 335 ff, hier. 349.102 Ebd., S. 351.103 Plessners Konzept einer philosophischen Anthropologie hat überhaupt nichts zu tun

mit dem Mißbrauch der Anthropologie zur Begründung einer subjektiv-idealistischen Beant­wortung der »Grundfrage der Philosophie«. Dies zu verdeutlichen, dient der diesem Abschnitt »gefügte Exkurs zur Kritik der philosophischen Anthropologie.

104 H. Plessner, Die Einheit der Sinne, Bonn 1923.105 H. Plessner, Die Stufen des Organischen, a.a.O., S. XX.106 Ebd., S. XX f.107 Ebd., S. XX.108 Insofern entspricht dieser utopische Standort dem des ersten Bewegers oder dem archi­

medischen Punkt. Der Mensch kann darum auch Gott denken.109 Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW EB 1,515: »Die Universa­

lität des Menschen erscheint praktisch eben in der Universalität, die die ganze Natur zu seinem tmorgmischen Körper macht, sowohl insofern sie 1) ein unmittelbares Lebensmittel, als inwie­

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fern sie 2) die Materie, der Gegenstand und dos Werkzeug \<?iner Lebenstätigkeit iq. £)j( jy ist der unor/pnuct* Lahdes Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selb« menKhlirk!! Körper ist. Der Mensch Ith von der Natur. heißt: die Natur ist sein Leib, mit dem er in b t y ^ gern Progreß bleiben muß, um nicht zu sterben. Daß das physische und geistige Leben des M sehen mit der Natur mammenhängt, hat keinen anderen Sinn, ab daß die Natur m it sich selb« zusammenhingt, denn der Mrntch ist ein Teil der Natur«.

1 10 Plessner, Die Stufen des Organischen, a.a.O.. cap. 7, 3 — 5.111 M E W F.B 1, S . S ’ S1 12 Plessner, Die Stufen des Organischen, a.a.O., S. 291 f.113 Karl Marx, a.a.O., ME W E B 1, S. 515 und 516: »Das Gattungsleben, sowohl beim Mo,,

vrhen wie beim Tier, besteht physisch einmal darin, daß der Mensch (wie das Tier) von d«r unor ganischen Natur lebt... Das Tier ist unmittelbar eins mit seiner Lebenstätigkeit. Es unterscheid sich nicht von ihr. Es ist sie. Der Mensch macht seine Lebenstätigkeit selbst zum Gegenstand^ nes Wollen* und seines Bewußtseins. Er hat bewußte L«benstätigkeit. Es ist nicht eine Bewinm,. heit, mit der er unmittelbar zusammenfließt. Die bewußte Lebenstätigkeit unterscheidet d*a Menschen unmittelbar von der tierischen Lebenstätigkeit. Eben nur dadurch »st erGattungsvj, sen. Oder er ist nur ein bewußte* Wesen, d.h. sein eignes Leben ist ihm Gegenstand, eben weil« ein Gattungswesen ist. Nur darum ist seine Tätigkeit freie Tätigkeit«. »Indem die entfremdete Arbeit dem Menschen 1) die Natur entfremdet, 2) sich selbst, seine eigne tätige Funktion, sein« Lebenstätigkeit, so entfremdet sie dem Menschen die Gattung«.

114 Das Ganungswesen definiert Marx so: »Der Mensch ist ein Gattungswesen, nicht nur io. dem er praktisch und theoretisch die Gattung, sowohl seine eigne als die der übrigen Dinge zv seinem Gegenstand macht, sondern —und dies ist nur ein andrer Ausdruck für dieselbe Sache - sondern auch indem er sich zu sich selbst als der gegenwärtigen, lebendigen Gattung verhält, in- dem ex sich ru sich als einem universellen, darum freien Wesen verhält.

115 Plessner, Die Stufen des Organischen, a.a.O., S. 325.116 Zur Kategorie Möglichkeit vgl- Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Werke Band 5,

Frankfurt am Main 1959, S. 258 ff. Dazu H. H. Holz, Logos spermatikos, Darmstadt und Neu­wied 1975, pass. Ders., Kategorie Möglichkeit und Moduslehre, in Emst Bloch zu ehren, Fest- schrift zum 80. Geburtstag, Frankfurt am Main 1965, S. 99 ff.

117 Nach dem 2. Weltkrieg knüpfte die anthropologische Diskussion unmittelbar noch an die Autoren aus der Nazi-Periode und deren Veröffentlichungen aus den frühen vierziger Jah­ren an und erlebte im ersten Nachkriegsjahrzehnt einen ersten Höhepunkt mit der Ausbreitung der Wirkung der Schriften von Otto Friedrich Bollnow, Arnold Gehlen und Hans Lipps(undei- ner Renaissance der von den Nazis aus der Diskussion verdrängten Nachwirkung Max Schelen; Scheler darf man, ungeachtet seines jüdischen Herkunft und seiner späteren Wendung zum Ka­tholizismus, durchaus in die Welle des präfaschistischen Irrationalismus rechnen, den Georg Lu- kacs. Die Zerstörung der Vernunft, Darmstadt und Neuwied 1962, Kap. 4, IV, bei ihm herausge­arbeitet hat). Zu den genannten Autoren vgL deren Hauptschriften: Otto Friedrich Bollnow, Das Wesen der Stimmungen, Frankfurt am Main 1942. Hans Lipps, Die menschliche Natur, Frankfurt am Main 1941. Arnold Gehlen, Der Mensch. Berlin 1940. — In den späteren sechziger Jahren gab es dann eine Konjunktur dessen, was man den »humanen Sozialismus« nannte, der sich (zu Unrecht)auf die Jugendschriften von Marx berief und von einer früh einsetzenden reli­giös gefärbten Marx-Rezeption im linken Protestantismus bis etwa zur jugoslawischen Praxis- Gruppe reicht. In den siebziger Jahren knüpft eine neue philosophische Anthropologie an die »Negative Dialektik« Theodor W. Adornos an (wie Ulrich Sonnemann und Dietmar Kam per - s. nächste Anmerkung), an die stnikturalistische Ethnologie (wie Wolf Lepcnies) oder an die Psychonanalyse (wie Alfred Lorenzer). Vgl. hierzu G. Rückricm/F. Tomberg/W. Volpen (Hg) Historischer Materialismus und menschliche Natur, Köln 1978, und die dort zu den einzelnen Beiträgen angegebene Literatur. Die Ausstrahlung dieser Strömungen war und ist außerordent­lich groß und reproduziert sich in den weltanschaulichen Oriemierungsakzenten, die von den

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c—jiJItftons d*rr jyroßei» Zeitungen für dis gebildete Publikum gesetzt werden. Vgl. außer Rück-a.a.O., auch vor allem zu Gehlen W. Rügemer, Philoiophiiche Anthropologie und

£*hcnkn sc.K öln 1979.Il(t Vor dieses Dilemma gestellt, bleibt die Entw icklung eines theoretischen Selbstverstind- kH.s der Human Wissenschaft cn eine noch zu lösende Aufgabe. Die »Kritische Theorie« in in

£g beiden umfassenden systematischen Versuchen, diese Aufgabe zu lösen — Th.W. Adornos Dative Dialektik«, (Frankfurt am Main 1966) und Ulrich Sonnemanns »Negative Anthropo­i d (Hamburg 1969) — zu keinem Ergebnis gekommen, und sie konnte von ihren Vorausset- •anpn *u* auch nur eine Destruktion systematischer Anthropologie erreichen, ohne mehr als i . Trimmer einer philosophischen Theorie vom Menschen übrig zu behalten. In »Geschichte 'nJ menschliche N atur. Die Tragweite gegenwärtiger Anthropologiekritik« (München 1973) ¿hi Dietmar Kamper bei seinem Entwurf einer »kritischen Anthropologie« von diesen Apo-

aus. Er entwickelt seine Fragestellung aus der Unzulänglichkeit jener Positionen, die von jfi Eiistenzphilosophic und von der »Frankfurter Schule« bezogen wurden. Der Ablösung** „muß von diesen Positionen gehört zu den Inhalten einer möglichen Neukonstituierungphilo- l^hischer Anthropologie, die sich nicht durch fixierbare Resultate ausweisen will, sondern den licmstitulionsprozeß selbst als kritische Auflösung einer Wesenslehre vom Menschen voran- irtibt. Bei diesem kritischen Verfahren kommt die Konvergenz existentialistischer Anthro­pologie und kritischer Anthropologie der Frankfurter Schule deutlich heraus — eine Konver- pni,die sich sozusagen unter der Hand bei den Vertretern der älteren Generation der kritischen ftcorie auch sonst einstellt: Adornos wie Marcuses Positionen schlagen vielfach in existenziali- ¿seht um, ohne daß beide sich darüber Rechenschaft geben wflrden-

An diesem theoriegeschichtlichen Befund muß sich das Problembewußtsein einer kritischen Anthropologie schärfen. Diese kann sich nicht auf eine Destruktion herrschender Lehren be* (cbränken, sondern müßte — wenn sie auch die Erfahrung des Scheitems einer positiv verfestig- Ko Idee vom Menschen »an sich« zur Voraussetzung hat — daraus die Perspektive eines eigenen inhaltlich zu erfüllenden Verfahrens entwickeln.

Zentrum des Kamperschen Ansatzes in dieser Richtung ist der Begriff der »anthropologischen Differenz«, der terminologisch zwar an Heideggers Begriff der ontologischen Differenz an- Hiiigi, mit diesem sonst jedoch wenig gemein hat. Vielmehr umreißt Kamper das Gemeinte: »Ein Begriff vom Menschen, der die Unmöglichkeit eines Begriffs vom Menschen begrifflich Djcbweist, steht noch aus. Dies genau wäre der Inhalt der anthropologischen Differenz«. Für (irnper erfüllt sich ein solches Programm in einer Theorie der Reflexion und der Reflexivität. Konstruierte Hegel die geschichtliche Systematik der Gattungsnatur des Menschen in der »Phä­nomenologie des Geistes« als ein geschlossenes Reflexionssystem, so ist nach Marx ein analoger Entwurf einer philosophischen Anthropologie nicht mehr möglich. Die Reflexivität muß viel­mehr als eine »unabschließbare Struktur« beschrieben werden, »weil sie jeweils gesellschaftlich UKlg$schichtlich vermittelt ist«. Was Reflexion ist, kann ohne die inhaltlichen Momente, durch Jiesich die Vermittlung vollzieht und die die Vermitteltheit der Reflexion ausmachen, nicht be­stimmt werden. Der Vermittlungsprozeß ist aber prinzipiell unendlich und reproduziert sich immer wieder auf neuen Ebenen und in neuen Formen und mit neuen Inhalten. So kommt die Entfaltung des menschlichen Wesens nie zum Abschluß einer sich selbst genügenden Wesensbe- oimtnung, sondern bleibt in einem stetigen Prozeß der Veränderung, die zugleich eine von au- jen bewirkte Veränderung durch die gesellschaftlichen Verhältnisse und eine Selbstverände- nag mit Rückwirkung auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Allerdings kann eine Anthro­pologie, die vom Primat der gesellschaftlichen Prozesse ausgeht, nicht beim »individuellen« Menschen anheben (und auch nicht bei ihm enden); die Mängel der Feuerbachschen Konzep­tion, die Marx schon deutlich genug ausgesprochen hat, müßten sich sonst reproduzieren.

119 Zu Althusser vgl. Friedrich Tomberg in Rückriem u.a., a.a.O., S. 181 ff, Louis Althussers ittihumanisiische Kapital-Lektüre. Ferner Bodo Grimm, Konstitutionsbedingungen, Inhalt and Funktion der Theorie Louis Althussers, Köln 1980. H.J. Sandkühler (Hg), Betr. Althusser,

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Köln |9T\ Piei Srecnbakherx, Over kcitnis en ic/eologie bij L. Airhusscr, Groningen 198}120 Ludwig Feutrhach zeichnet in Jen .Vorläufigen Thesen zur Reform der Philoiopfc

das Programm der Umkehrung vor man müsse nur immer das Prädikat zum Subjekt machen, gelange man zur Wahrheit der spekulativen Philosophie. Marx hat dann in den Pariser skripten die« Formulierung von der Vertauschung von Subjekt und Prädikat aufgenomme^

121 Feuerbach berührt sich hier mit Nietzsche — und mit dem Pragmatismus; und bei Gt|>. len (ließen die<c beiden Einflüsse wiederum zusammen, sodaß es bei Gehlen auch wiederme Verbindungen jru Feucrbach gibt.

122 Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Phj]* «ophie, MEW 21. Seite 271.

1 2 3 Alfred Schmidts Feuerbach-Adaption, Emanzipatorische Sinnlichkeit, München 197j ist eio guter Beleg dafür aus jüngster Zeit.

124 Engels, a.a.O., MEW 21, Seite 291 f.125 Genau dahin führt nun in der Tat D. Kampers Versuch (a.a.O., S. 131 ff), in einem ersten

Schrill der Kategorialisierung die .anthropologische Differenz« als Individualität, Perso/uJitj, und Indifferenz zu fassen. Wenn die wissenschaftliche Begrifflichkeit immer auf Allgemein,, ausgeht, so stößt sie in der individuellen Praxis immer auf ein Anderes, das sie nicht repräsent*. ren kann und aus dem doch in der gesellschaftlichen Praxis wieder die Allgemeinheit der Real^ straktionen hervorgeht. »Ehe Unbegreiflichkeit des erst zu sieh selbst kommenden Menschen, die in der anthropologischen Reflexion begrifflich nachgewiesen wurde, zeigt ihre methodolog). sehe Relevanz gerade darin, daß die humanwissenschaftliche Theorie ihren Momentcharakttr festhält und auf Praxis nicht mehr in der Weise eines totalen Entwurfs wirkt, sondern sich selb« begrenzend, menschliche Universalität praktisch freigebend und die Reflexität jedes einzelnen konkreten Individuums postulierend. Historische ‘Experimente’ müssen von denen ‘kontrol­liert’ werden können, die sich aktiv und passiv erfahren« (a.a.O., S. 237). Dieses Postulat stelle' die Vermittlung von Spontaneität und Organisation, von Individuum und Institution als immer neu zu leistende Aufgabe — aber es stellt sich eben als Aufgabe des Individuums. Anders gesagt; Kam per verwickeh sich in die Paradoxie, die »Unmöglichkeit der Anthropologie« anthropolo­gisch begründen zu wollen und so durch die Annulierung der Anthropologie die Anthropologie zu restituieren. — Ob gegenüber der Behauptung von der »Unbegrifflichkeit des Menschen« nicht Josef Königs Dialektik von praktischem und theoretischem Dieses (vgl. H.H. Holz, Josef König und das Problem einer spekulativen Logik, in H. H. H olz (Hg), Formbestimmtheiten von Sein und Denkeo, Köln 1980, S. 33 ff) einen tieferen Blick auf die ursprüngliche Begrifflich- keit des Menschen freilegt, müßte von der Anthropologie noch beantwortet werden.

126 Karl Marx, Thesen über Feucrbach, MEW 3,5.127 Josef König. Sein und Denken, Halle 1937. Vgl. dazu H. H. Holz (Hg), Formbestimmt­

heiten von Sein und Denken, a.a.O.128 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft pass.129 König, Sein und Denken, a_a.O., S. 90.130 Ebd.. S. 90.131 Ebd., S. 92.132 Ebd., S. 1 1 1 .133 Ebd., S. 113.134 Daß im Hinblick auf den ontologischen Status des Scheins, der sich als transzendentaler,

anthropologischer oder wie auch immer manifestiert, das Verfahren der »Umkehrung« möglich ist, wäre ein noch näher zu untersuchendes Problem, das auf den Fetischismus als prinzipielle Formalstmktur des Bewußtseins verweist. Vgl. Alessandro Mazzone, Der Kapitalfetischismuj, in SOPO Heft 42,43 und 45,1978.

135 Engels, a-a.O., MEW,136 Das Problem der sog. »Kehre« und das Verhältnis des späteren Heidegger zu »Sein und

Zeit muß hier unerönert bleiben. Die vorliegenden Bemerkungen beziehen sich auf die Position

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-a .Sein und Zeit«.1)7 vg*- H. Holz, Die abenteuerliche Rebellion, Darmstadt und Neuwied 1976.

jitinterkungeti zu Kapitel IV

I Vgl- zum primordialen, dem Basis-Überbau-Verhältnis noch vorgeordneten Statiu der cnrKhf J-W. Stalin, Marxismus in der Sprachwissenschaft, Berlin 1951. Dazu auch Hans Heinz tfol*. Sprach« und Welt, Probleme der Sprachphilosophie, Frankfurt am Main 1953, S. 30 ff.I Vgl. H. H. Holz, Sprache als Aufklärung und Verschleierung, in E. Niekisch (Hg), Der Ge-

¿hukreis, München 1956, S. 186 ff.I G. W. F. Hegel, Rechtsphilosophie $ 182.4 Dirin liegt der verbindliche Sinn des kategorischen Imperativs: »Handle so, daß du die

Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden ändern zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest«. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Rigi 17862,$.66.

5 Hegel, Wissenschaft der Logik, a.a.O., S. 392,393 und 399.6 Hegel, Enzyklopädie $ 424.7 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke, a.a.O., Band 3, S. 147 ff.g Selbstverständlich setzt Kommunikation, die Identisches benennen muß, eine höhere Ent­

wicklung des senso-motorischen Apparats, des Nervensystems, des Gehirns voraus und ist mit­hin in der natürlichen Entwicklung der Primaten begründet.

9 MEWEB 1,516.10 Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen, a.a.O., S. 288.I I Zu aktuellen Aspekten dieser Frage vgl. H. H. Holz, Naturverhältnis und ökologische

jCnse, Jahrbuch des IMFS, Frankfurt am Main 1982, Sonderband Karl Marx, a.a.O.12 MEW EBI, S. 579. Dies entspricht der »natürlichen Künstlichkeit«« bei Plessner.13 Zu diesem Doppelaspekt vgl. auch Plessner, Die Stufen des Organischen, a.a.O., S. 292.14 MEW EB I, S. 516.15 Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, MEW,

21, hat das umgekehrt proportionale Maß von »Familienbinduog« und Arbeitsproduktivität an- gedeutet: »Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Mo­ment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist a b e r selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenstän­den der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andererseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Ein­richtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und ein« bestimm­ten Landes leben, werden bedingt durch die beiden Arten der Produktion: durch die Entwick­lungsstufe einerseits der Arbeit, andererseits der Familie. Je weniger die Arbeit noch entwickelt ist, je beschränkter die Menge ihrer Erzeugnisse, also auch der Reichtum der Gesellschaft, desto überwiegender erscheint die Gesellschaftsordnung beherrscht durch Geschlechtsbande«.

16 MEW EB 1, S. 515. Daß hier auch die Begründung für den Realitätscharakter von Univer­salien gegeben wird, sei nur am Rande angemerkt.

17 Hier folgt Marx der Argumentation Hegels im ersten Kapitel der »Phänomenologie des Geistes«.

18 Vgl. dazu die Unterscheidung von »praktischem« und »theoretischem Dieses« bei Josef König, Vortrage und Aufsätze, Freiburg und MUnchen 1978, S. 88 ff und S. 154 f. Dazu Hans Heinz Holz, Josef König und das Problem einer spekulativen Logik, in H. H. Holz (Hg), Form- bestimmtheiten von Sein und Denken, a.a.O., S. 25 ff.

19 Leibniz betont darum, daß jedes Individuum selbst schon eine unterste Art, also ein Allge­meines ist.

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20 Ei mag trivial scheinen, darauf hinzu weisen, tbß es die Gemeinsamkeit von S;, 5 j usw. ist, die das Allgemeine ausmacht; sie alle stehen in einer und derselben Situation. Nicht vial wird dieser Hinweis jedoch, wenn daraus hergeleitct wird, daß hier Universalien ihren Re,];, tätsgehalt darin haben, daß wir in etner Welt leben, in der wir gemeinsam Gegenstände undRel». (ionen haben. Dialektik als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs ist auch die Wissenjchjft vom Realititsmodus der Universalien.

21 Hierzu finden sich schon die grundlegenden Einsichten bei Hcrakiit, zum Beispiel 6* n113 und B 89.

22 H. Plessner, a.a.O., cap. 5-23 Das Univerelienproblem wird damit zu einem Zentralproblem für die materialistische

Erhellung des spekulativen Verhältnisses des Denkens zum Sein.24 HeraklitB73.25 MEW 23, S. 192.26 MEV 23, S. 193.27 Georg Lukacs, Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins — die Arbeit, Neuwied und

Darmstadt 1973, legt zu einseitig das Gewicht auf den teleologischen Charakter der Arbeit, oluw den Ursprung der Zwecksetzung selbst zu untersuchen und im Naturverhältnis des Menschen zu begründen.

28 Die Äquivalenz dieses Sachverhalts, der sich in der Arbeit bei der tätigen Bestimmung ei- nes Objekts durch ein Subjekt zeigt, und der logischen Bestimmung eines Gegenstandes in der Prädikation, wird in Hegels Erläuterungen zur Idee, Enzyklopädie $ 214, Werke, a.a.O., Band 8,5. 370, deutlich, wenn er in Kooirapoa'tion zur Verstandesleistung von der vernünftigen Refl«! xion sagt: »Der Verstand», übersieht... die Natur der Kopula im Urteil, welche vom Einzelnen, dem Subjekte, aussagt, daß das Einzelne ebensosehr nicht Einzelnes, sondern Allgemeines in«. Ebd., S. 371. Lenin bemerkt dazu: »NB. Das Einzelne - dem Allgemeinen«, ein Gedanke, der des öfteren bei Lenin als fundamental für Dialektik formuliert wird. LW 38 pass. Die »praktische Idee«, als welche sich die Idee des Wahren schließlich erweist, ist letztlich das Spiegelbild der als Arbeit wirklichen Refleiioosbezichung: »In der praktischen Idee aber steht er (seil, der subjekti­ve Begriff) als Wirkliches dem Wirklichen gegenüber; die Gewißheit seiner selbst, die das Sub­jekt in seinem An-und-für-skh-Bestirann-sein hat, ist aber eine Gewißheit seiner Wirklichkeit und der Unvirldubkeii der Welt; nicht nur das Anderssein derselben als abstrakte Allgemeinheit ist ihm das Nichtige, sondern deren Einzelheit und die Bestimmungen ihrer Einzelheit. Die Ob- ftknvitii hat das Subjekt hier sich selbst vindiziert; seine Bestimmtheit in sich ist das Objektive, denn es ist die Allgemeinheit, welche ebensowohl schlechthin bestimmt ist; die vorhin objektive Weh ist dagegen nur noch ein Gesetztes...«. Hegel, Wissenschaft der Logik, Werke, a.a.O., Band6, S. $42. Hegels idealistische Lesart dieser Beziehung wird dann in $ 213 der Enzyklopädie klar formuliert: »Die Idee ist das Wahre an und für sieb, die absolute Einheit des Begriffs und der Objekti­vität. Ihr ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriff in seinen Bestimmungen; ihr reeller Inhak ist nur seine Darstellung, die er sieb b der Form äußerlichen Daseins gibt«. A.a.O., Band 8, S.367. Nichts schließt jedoch aus, daß dieser Ausdruck auch umgekehrt gelesen werden kann: der Begriff ist die Darstellung des reellen äußerlichen Daseins. Welche philosophischen Operatio­nen nötig and, um diesen Umkehrungsprozeß zu vollziehen, ist Thema einer materialistischen Dialektik.

29 Die Spiegelbildlichkeit ab konstitutives Merkmal des Ubergreifens und das heißt die sym­metrische Verdopplung der Figur habe ich in meinem Vortrag beim Symposion der Internatio­nalen Gesellschaft für dialektische Philosophie — Societas Hegeliana, 30.10. — 1.11.1982 in Lo­carno, näher untersucht. Siehe Annalen der Internationalen Gesellschaft für dialektische Philo­sophie, Band 1, Köln 1983.

30 MEW 13, S. 8 (K. Marx, Vorwon zur Kritik der politischen Ökonomie).31 VgL Kapital l, cap. 5 (MEW 23).32 Dies hat Hegel im Auge, wenn er von Idee spricht: »Die Idee kann als die Vernunft...,ia-

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r

^ ¿ s S u b / e k l - O b je k t , als die E in h e i t des Id e e lle n u n d R e e lle n , des E n d lic h e n u n d U n e n d lic h e n ... ge- werden«. Enz. $214, Werke, a.a.O., Band 8. S. 370. Und: «Die Idee hat aber nicht nur den all*

^peincren Sinn des w a h r h a f te n S e i ru , der Einheit von B e g r i f f u n d R e a l i tä t , sondern den be- ¿¡nunteren von s u b je k t iv e m B e g r if fe und d e r O b je k t iv i t ä t «. Wissenschaft der Logik, Werke,II.O-. Band 6 , S. 466. Die Realität der Einheit des Vielen ist nur im Begriff, nicht in der Anschau-

ai*itF bcn-33 Vgl. Autorenkollektiv, Grundlagen des historischen Materialismus, Berlin 1976.14 Zum sinnvollen Gebrauch einer Metapher gehöre es, daß die Übertragung von einer

yintsphäre in eine andere mitgedacht und die Modifikation des Bildes als Moment seines metho­dischen Gebrauchs bestimmt und begründet wird.

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Althusser, Leuts 118Aristoteles 10, 42. 43, 78, 101, IW i, 107, 121 Bloch, Emst 78, 114 Cmanus, Nicolaus 54 Demokrit 70Descartes, Ren«? 14, 22, 23. 51, 66 f. 69, 71, 90, 126, 138 Einstein, Albert 84, 104, 105, 107Engels,Fricdrich71.9f, 1 1,13,14,25.26.28,37,39,40, 66.67,72,80,90,91,92-95,100,10 7

Euklid 105 ’Feuerbach, Ludwig 11, 21, 22, 72, 73, 118-120, 121, 124 f Fichte, Johann Gonlieb 25, 45, 59 Galilei, Galileo 84, 85, 86 I Geymonat, Ludovico 81-88, 90 Giorello, Giulio 88 ÍHegel, Georg Wilhelm Friedrich 7, 12 f, 15,20 f, 22, 24,29-32, 41, 52 f, 54-58, 59-fti

107, 108, 118, 119, 121, 124, 125, 129 f, 139 * 67. ?J, 74

Heidegger, Martin 114, 125 HeraJdit 51, 135 Hobbes, Thomas 72, 87, 90 Husserl, Edmund 70, 128 Huyghens, Christian 104 JaegJé, Pierre 104,108Kant. ImmanueJ 8, 12, 14, 15, 19, 22, 25, 27 f, 89, 91, 94, 103, 113, 119, 122, 124 n 8Kednow, B.M. 92-96König, Josef 27, 54 f, 63,122-124Leibniz, Gottfried Wilhelm 20,27,29 f, 37,42,44,54,63,68,71,76-78,90,99 f ini (

107, 114, 121, 137,139 ’ 103 f> 106,Lenin, Wladimir lljitsch 7 {, 13, 14, 20, 27, 37, 67, 82, 85, 89 Lobatschewski, Nikolai Iwanowitsch 105 Lukács, Georg 40M irx ,K irl7 ,9 f,13 ,î4 ,t5 ,21 ,22f,24 ,25 ,26 ,39 ,4 l-43 ,46 ,61 ,67 ,72f,74 95 109 i,c

128,130,132, 135,138 f. 140 ’ ’ 5* ,20> 121,Minkowski, Hermann 106 Newton, Isaac 10 , 71, 91,103 /, 105,107,108 Nietzsche, Friedrich 126 Parmenides 67, 78,120 f, 12 2 Platon 7, 12, 53 /, 121Plessaer, Helmuth 26, 44 f, 112-115, 116, 125Rheinberger, Hans Jörg 29Riemann, Bernhard 89,105Rousseau, Jean Jacques 87Russell, Bertrand 20Sandkühler, Hans Jörg 109 fSartre, Jean Paul 14Scheler, Max 125Schilling, Friedrich Wilhelm Joseph 59, 90 Spinoza. Baruch 24, 90,121 Tomberg, Friedrich 34 Wolf/, Christian 71 Zenon 12 , 7g

Index der Eigennamen

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W -

Arnim RegenbogenjtiiR DIDAKTISCHEN VERWENDUNG VON TEXTEN DER MARXISTISCHEN PHILOSOPHIE

nie hier vorgestellten Texte demonstrieren modellhaft die materialIsti- schen Voraussetzungen der Philosophie des Menschen bei Marx und Engels, für den Fachlehrer der Philosophie stellen sie darllber hinaus Materia­lien dar, wie sie bei der Einführung 1n die marxistische Philosophie ja Unterricht verwendet werden können.

toer “Tendenzen der Marx-Beschäftigung 1n Schulen der Bundesrepublik Deutschland" schrieb erst kürzlich HORST-DIETER STRONING 1n seiner •Analyse von Marx-Texten in philosophischen Textsammlungen fUr den Schul gebrauch“ (vgl. DIALEKTIK 6 - Karl Marx, hg. Kurt Bayertz/Hans Jörg S a n d k ü h le r , Pahl-Rugenstein-Verlag, Köln 1983). Die dort aufge- je lg te n Defizite können durch einen solchen Textanhang w ie hier kaum ausgeglichen werden. E in erster Versuch einer konmentlerten Präsen­tation von Marx-Texten nach den Kriterien jener Analyse ist in dem gleichen DIALEKTIK-Band gemacht worden. Hier w ie dort wird auf d i e Vor­stellung einer Stundensequenz verzichtet (ausführlich zu Kriterien ei­ner solchen Textauswahl, vgl.: Regenbogen, A.,Zur didaktischen Ver­wendung von Marx-Texten 1m Unterricht, 1n: DIALEKTIK 6 ) . .Die hier vorgeschlagenen Themen der Texte sind orientiert an Kapiteln des hier vorgelegten Bandes, Insbesondere an der Einleitung sowie an den Kapiteln III und IV.

a) Anmerkungen zu Karl Marx, Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß

Kontext: Oer vorliegende Textausschnitt aus "Kapital I" wird häufig zu fleJHTTTtiert und benutzt als Dokunent der reifsten Fassung von Marx* Anthropologie der Arbeit. Es ist zu berücksichtigen, daß die forma­tionsunspezifischen .Bemerkungen zum Arbeitsbegriff in "Kapital“ später nicht wieder aufgegriffen werden. Sie stehen hier den eigentlichen The- ca von Marx, der Theorie des Verwertungsprozesses, gegenüber.

Kriterien für die Auswahl des Textausschnitts: Statt eine abstrakte (jrxsche "Anthropologie der Arbeit'* zu dokumentieren, sollte der Argu- *entdt1onszusammenhang beibehalten bleiben (Konstrastierung des Arbeits­prozesses mit den historischen Bedingungen des Verwertungsprozesses).Nach den Thesen zur Philosophie der Arbeit (2. Abschnitt) sind 6 weite­re Abschnitte zu den Begriffen Arbeitsmittel, Arbeitsgegenstand und Produkt aufgenommen. Der Textausschnitt greift den marxschen Gedanken­gang dort wieder auf, wo er die Unterordnung des Arbeits- unter den Verwertungsprozeß (Konsum der Arbeitskraft) demonstriert. So bleibt die thematische Verbindung beider Momente des Prozesses erhalten, wo­durch die selektive Anthropologisierung der marxschen Theorie er­schwert wird. Fremdsprachige Wendungen wurden in deutscher Obersetzung präsentiert.

Notwendige Voraussetzungen: Begriffe Arbeitskraft, Ware (einschließlich Rare Arbeitskraft), Gebrauchswert, Wert, Konsumtionsprozeß, Eigentum, Veniertungsprozeß, Natur, Instinkt, Zweck.

Problemformulierungen im Zentrum des Textes:• Definition Arbeitsprozeß als Stoffwechsel, Aneignung-, Veränderung der äußeren und inneren Natur des Menschen

- Unterschied tierischer und menschlicher Arbeit; die Rolle des Bewußt­seins bei der Produktion

Problemformulierungen im Kontext: - Kauf und verkauf, Gebrauchswert und Wftrt der Arbeitskraft- Unterschied zwischen natürlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses und gesellschaftlichen Bedingungen des Verwertungsprozesses

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t>) Anmerkungen zu: Friedrich Engels, Material Ismus und Agnostizismus

Kontext: Engels geht in seiner Einleitung zur englischen Ausgabe sei» ner Schrift "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissen­schaft" davon aus, daß der Materialismus im aufstrebenden revolutlonä- ren Bürgertum einst die vorherrschende Weltanschauung war, die jedoch (ub 1892) im Bürgertum zunehmend von einer religiös gefärbten agnosti- zistischen Sichtwelse verdrängt wurde. Engels hebt zwar den materia­listischen Kern dieser Theorie hervor (Anerkennung der Existenz mate- Heller Dinge), stellt der These von der Unerkennbarkeit der Außenwelt jedoch sein Widerspiegelungskonzept gegenüber.

Kriterien für die Auswahl des Textausschnittes: Auf die Dokumentation des historischen Kontextes des Abschnitts wird verzichtet (Engels er­innert hier an materialistische Aufklärungstraditionen im europäischen Bürgertim und entlarvt den Rückgriff auf religiöse Ideologien als Rück­schritt hinter frühbürgerliche Positionen). Nach dem ersten Abschnitt entkräftet Engels Vorstellungen von einem höchsten Wesen. Auf diese Stelle wurde hier verzichtet, um das Gewicht des Textes auf das Wider- spiegelungstheorera zu legen statt auf Fragen der Gottesbeweise. Der folgende Abschnitt zu erkenntnistheoretischen Unterschieden zwischen Materialismus und Agnostizismus wurde ungekürzt übernommen. Er endet dort, kurz bevor sich Engels noch auf den zeitgenössischen neukantiani­schen Agnostizismus kritisch bezieht, der den Schülern heute jedoch kaum bekannt sein dürfte.Notwendige Voraussetzungen: Begriffe Agnostizismus, Materialismus; er- kenntnistheoretische Bedeutung der Begriffe Wirklichkeit, Ding, Eigen­schaften, Wahrnehmung, Vorstellung, Außenwelt.

Problemformui ierungen:- unterschied zwischen Dingen und Wahrnehmungen- Kriterien der Oberprüfung von Sinneswahrnehmungen (Praxis)- Unterschied zwischen erkenntnistheoretischem Realismus des dialekti­schen Materialismus und der skeptischen Position des Agnostizismus

- Legitimation des wissenschaftlichen Erkenntnisoptimismus bei Engels.

c) Anmerkungen zu: Friedrich Engels, Naturwissenschaft und Naturbeherr­schung

Kontext: In seinem Essay "Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ wird deutlich, daß Engels den Trennungsstrich zwischen tieri­scher Tätigkeit und menschlicher Arbeit nicht nach physiologischen oder psychologischen Kriterien zieht. HEs versteht sich übrigens von selbst, daß es uns nicht einfällt, den Tieren die Fähigkeit planmäßiger, vor­bedachter Handlungsweise abzustreiten" (MEW 20, S. 452). Er könnt im letzten Satz vor dem Textauszug zu dem Ergebnis: "Aber alle planmäßige Aktion der Tiere hat es nicht fertiggebracht, der Erde den Stempel ihres Willens aufzudrücken. Dazu gehörte der Mensch" (ebendort). Nach Schluß des Textauszugs zieht Engels das Fazit: "Alle bisherigen Pro­duktionsweisen sind nur auf Erzielung des nächsten, unmittelbarsten Nutzeffekts der Arbeit ausgegangen... Die einzelnen Produktion und Aus­tausch beherrschenden Kapitalisten können sich nur um den unmittel­barsten Nutzeffekt ihrer Handlungen küimern" (MEW 20, S. 454 f.).

Kriterien für die Auswahl des Textausschnitts: Es handelt sich um einen Exkurs, der seinen Stellenwert in der Argumentation von Engels für ei­nen materialistischen Begriff der menschlichen Arbeit hat. Dieser Kon­text bleibt im ersten Absatz erhalten. Das Schwergewicht des Textes liegt jedoch auf der Unfähigkeit der Menschen zur Kontrolle der unbe­absichtigten Folgen der Naturbeherrschung in vorsozialistischen Ge­sellschaftsordnungen. Wegen der Anschaulichkeit der Oarstellung wurde

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r

innere KUrzungen Im Text verzichtet.

..„»wendiae Voraussetzungen: Vorkenntnisse 1n der Ökologie-Problematik !örrur5acHerproblem, Problem von Spätfolgen), Kenntnis von Beispielen L Fortschritts naturwissenschaftlicher Erkenntnisse im 19. Jahrhun- %rt Kenntnisse von Beispielen des Untergangs eingeborener Völker ln ¿Ardamerika, Vorkenntnisse Uber den wissenschaftlichen Anspruch gesell­schaftlicher Planung 1n nachkapitalIstlschen Ordnungen.

o,nhlemfornuil ierungen:«"Unterschiede zwischen tierischer und menschlicher Tätigkeit ' (jicht-Beherrschbarkeit unbeabsichtigter Folgen menschlicher Erfln- ' düngen ohne Kenntnis der Natur- und Gesellschaftswissenschaften . Nicht-Beherrschbarkeit des Proletariats durch die Bourgeoisie unterschied zwischen Erkenntnis von natur- und gesellschaftswissen-

* s c h a f tUchen Gesetzen und deren Anwendung ln der Planung nach einer •Uiwälzung unserer bisherigen Produktionsweise”.

Oie hier vorgeschlagenen Texte repräsentieren die Aspekte Widerspiege­lung. Naturbeherrschung und Praxis. Sie liefern kein brauchbares Modell mr Einführung 1n das Begriffsverständnis von "Dialektik". Soll Im Rah­nen einer Stundensequenz an einer Stelle durch einen Klassiker-Text ge- dlärt werden, was mit "Dialektik" gemeint ist, so treten folgende Pro­biere auf: Jede Demonstration eines Modells dialektischer Argumentation jetzt die vorherige Bekanntschaft des Gegenstandes voraus, dessen Bewe­gungen oder Interne logische Beziehungen beschrieben werden. Es gibt bei Engels und Marx hervorragend geeignete Texte zur Einführung in das,*as mit "Dialektik" und "Bewegung" gemeint ist (Engels, ln: MEW 20,S, 3 2 8 -3 3 6 , 3 4 8 - 3 5 3 sowie 3 5 4 ff.). Für den Schulgebrauch bedürfen sie jedoch der Oberarbeitung, zumal. die historischen BezUge der Theoriegeschichte der Dialektik vom Ato- mlsmus bis Hegel aus dem Text nicht einfach rekonstruiert werden kön­nen

. die aktuellen Bezüge zum Forschungsstand der Naturwissenschaften sich auf die Physik und Chemie des 19. Jh. und nicht auf heute be­kannte Problemformulierungen beziehen.

Geeigneter als jeder Text, in dem "über“ Dialektik geschrieben wird, scheinen mir Passagen zu sein, in denen demonstriert wird, wie mit Hil­fe dialektischer Denkfiguren ein sachliches Problem gelbst wird. Bei­spiele:. "Das Geheimnis der spekulativen Konstruktion (aus: Marx und Engels,Die heilige Familie, in: MEW 2, S. 60-62 unter Meglassung des Zeit­bezugs: Szeligas Kulturkritik im Anschluß an Sue, Die Geheimnisse von Paris)

• 'Produktion und Konsumtion" (aus: Marx, Einleitung zur Kritik der po­litischen Ökonomie, in: MEW 13, S. 622-626 - vgl. auch: Marx, Grund­risse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin-DDR, 1953, S. 11-16). Auf den Abdruck dieser Texte wird hier verzichtet, weil auch sie nur verständlich sind, wenn Theoriekenntnisse bei Schülern vorausgesetzt werden dürfen (z. B. Denkfiguren des spekulativen Idealismus, Verhält­nis von Produktion, Distribution und Konsum in der klassischen bürger­lichen Ökonomie).

Oie hier vorgelegten Texte können im DIN-A4-Format (als Typoskript, wie Hier abgedruckt, ohne Verlagsangaben) von interessierten Lehrern und Lehramtsbewerbern in Klassensatzstärke (30 Exemplare pro Text) bestellt werden bei:Studien zur Dialektik - leserdienstc/o Arnim Regenbogen, Quellwiese 8, 0-4500 Osnabrück.

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KARL MARX, Arbeitsprozeß und Verwertungsprozefl

Oer Gebrauch der A rbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käufer der Arbeitskraft konsumiert sie, Indem er Ihren Verkäufer arbeiten läßt, letztrer wird hierdurch tatsächlich sich betäti-

5 gende Arbeitskraft, Arbeiter, was er früher nur dem Vermögen nach war. Ukn seine Arbeit ln Haren darzustellen, muß er sie vor allem in Gebrauchs­werten darstellen. Sachen, die zur Befriedigung von Bedürfnissen irgendeiner Art dienen. Es Ist

10 also ein besondrer Gebrauchswert, ein bestimm­ter Artikel, den der Kapitalist vom Arbeiter an­fertigen läßt. Die Produktion von Gebrauchswer­ten, oder Gütern, ändert ihre allgemeine Natur nicht dadurch, daß sie für den Kapitalisten und

15 unter seiner Kontrolle vorgeht. Oer Arbeitspro­zeß ist daher zunächst unabhängig von jeder be­stimmten gesellschaftlichen Form zu betrachten.

Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch

20 seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert.Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Natur­macht gegenüber. Oie seiner Leiblichkeit ange- hörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und

25 Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Natur­stoff ln einer Tür sein eignes Leben brauchba­ren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewe­gung auf die Natur außer ihm wirkt und sie ver­ändert, verändert er zugleich seine eigne Natur.

30 Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eig­nen Botmäßigkeit. Wir haben es hier nicht mit den ersten tierartig instiktmäßigen Formen der Arbeit zu tun. Dem Zustand, worin der Arbeiter als Ver-

35 käufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem Waren­markt auftritt, ist in urzeltlichen Hintergrund der Zustand entrückt, worin die menschliche Ar­beit ihre erste Instinktartige Form noch nicht abgestreift hatte. Wir unterstellen d ie Arbeit

40 in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließ­lich angehört. Eine Spinne verrichtet Operatio­nen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein

45 den schlechtesten Baumeister vor der besten Bie­ne auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kom t ein Resultat her­aus, das beim Beginn desselben schon in der Vor-

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50 Stellung des Arbeiters, also schon Ideell vor­handen war. Nicht daß er nur eine Formverände­rung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht 1m Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Welse seines Tuns als Ge-

55 setz bestlimnt und dem er seinen Vtlllen unterord­nen muß. Und diese Unterordnung Ist kein verein­zelter Akt. Außer der Anstrengung der Organe, die arbeiten, Ist der zweckmäßige Wille, der sich als Aufmerksamkeit Äußert, fUr die ganze

60 Oauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je• weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art

und Welse Ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, je weniger er sie daher als Spiel sei­ner eignen körperlichen und geistigen Kräfte ge-

65 nießt. ...

Der Arbeitsprozeß, wie er als Konsuntlonsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten vorgeht, zeigt nun zwei eigentümliche Phänomene.

-»n Arbeiter arbeitet unter der Kontrolle des Ka- 70 pitalisten, dem seine Arbeit gehört. Der Kapita­

list paßt auf, daß die Arbeit ordentlich vonstat­ten geht und die Produktionsmittel zwecknäßig verwandt werden, also kein Rohmaterial vergeudet und das Arbeitsinstrument geschont, d. h. nur so

75 weit zerstört wird, als sein Gebrauch 1n der Ar­beit ernötigt.

Zweitens aber: Das Produkt ist Eigentun des Kapi­talisten, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters. Der Kapitalist zahlt z. B. den Ta-

80 geswert der Arbeitskraft. Ihr Gebrauch, wie der jeder anderen Ware, z. 6. eines Pferdes, das er für' einen Tag gemietet, gehört ihm also für den Tag. Dem Käufer der Ware gehört der Gebrauch der Ware, und der Besitzer der Arbeitskraft gibt in

85 der Tat nur den von ihm verkauften Gebrauchswert, indem er seine Arbeit gibt. Von dem Augenblicke, wo er in die Werkstätte des Kapitalisten trat, gehörte der Gebrauchswert seiner Arbeitskraft, also ihr Gebrauch, die Arbeit, dem Kapitalisten.

90 Der Kapitalist hat durch den Kauf der Arbeitskraft die Arbeit selbst als lebendigen Gärungsstoff den toten ihm gleichfalls gehörigen Bildungselementen des Produkts einverleibt. Von seinem Standpunkt ist der Arbeitsprozeß nur die Konsumtion der von

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f . : ■ ■

95 1hm gekauften Ware Arbeitskraft, die er jedoch nur konsumieren kann, indem er ihr Produktions­mittel zusetzt. Oer Arbeitsprozeß ist ein Prozeß zwischen Dingen, die der Kapitalist gekauft hat, zwischen ihn gehörigen Dingen. Das Produkt die-

100 ses Prozesses gehört ihn daher ganz ebensosehr, als das Produkt des Gärungsprozesses in seinem Weinkeller.

Das Produkt - das Eigentum des Kapitalisten - ist ein Gebrauchswert, Garn, Stiefel usw. Aber obgleich

105 Stiefel z. B. gewissermaßen die Basis des gesell­schaftlichen Fortschritts bilden und unser Kap1- talist ein entschiedener Fortschrittsmann ist, fa­briziert er die Stiefel nicht ihrer selbst wegen. Der Gebrauchswert ist überhaupt nicht das Ding,

110 das man un seiner selbst willen liebt in der Wa­renproduktion. Gebrauchwerte werden hier Überhaupt nur produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwertes sind. Und unse­rem Kapitalisten handelt es sich un zweierlei. Er-

115 stens will er einen Gebrauchswert produzieren, der einen Tauschwert hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Ware. Und zweitens will er eine Ware produzieren, deren Wert höher als die Wertsumme der zu ihrer Produktion erheischten Waren, der

120 Produktionsmittel und der Arbeitskraft, für die er sein gutes Geld auf dem Warenmarkt vorschoß. Er will nicht nur einen Gebrauchswert produzieren, sondern eine Ware, nicht nur Gebrauchswert, son­dern Wert, und nicht nur Wert, sondern auch Mehr-

125 wert.

aus: Marx, Karl, Das Kapital, Kritik der politi­schen Ökonomie, Erster Band (zuerst 1867) - Text­auszug nach: Harx-Engels-Werke, Bd. 23, Berlin- DDR 1968, S. 192-93, 199-201.

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FRIE0R1CH ENGELS, Materialismus und Agnostizismus■I * ............... m—mmmm, i . . l “ - T - - , . -r i - - i “ i — n « r .* -« ■

In der Tat, was Ist Agnostizismus anders als ver­schämter Materialismus? Die Naturanschauung des Agnostikers Ist durch und durch materialistisch. Oie ganze natürliche Welt wird von Gesetzen be-

5 herrscht und schließt jederlei Einwirkung von außen absolut aus. Aber, setzt der Agnostiker vorsichtig hinzu, wir sind nicht Imstande, die Existenz oder Nichtexistenz Irgendeines höchsten Wesens jenseits der uns bekannten Welt zu bewel-

10 sen. ...

Ebenso gibt unser Agnostiker zu, daß all unser Wissen beruht auf den Mitteilungen, die wir durch unsere Sinne empfangen. Aber, setzt er hin­zu, woher wissen wir, ob unsere Sinne uns rlch-

15 tlge Abbilder der durch sie wahrgenoomenen Dinge geben? Und weiter berichtet er uns: Wenn er von Dingen oder ihren Eigenschaften spricht, so meint er ln Wirklichkeit nicht diese Dinge und Ihre Ei­genschaften selbst, von denen er nichts Gewisses

20 wissen kann, sondern nur die Eindrücke, die sie auf seine Sinne gemacht haben. Das ist allerdings eine Auffassungsweise, der es schwierig scheint, auf dem Wege der bloßen Argumentation beizukom­men. Aber ehe die Menschen argumentierten, han-

25 delten sie. "Im Anfang war die Tat." Und mensch­liche Tat hatte die Schwierigkeit schon gelöst, lange ehe menschliche Klugtuerei sie erfand. Man prüft den Pudding, indem man ihn ißt. In dem Au­genblick, wo wir diese Dinge, je nach den Elgen-

30. schäften, die wir in ihnen wahrnehmen, zu unserem eigenen Gebrauch anwenden, ln demselben Augen­blick unterwerfen wir unsere Sinneswahrnehnwngen einer unfehlbaren Probe auf Ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit. Waren diese Wahrnehmungen unrich-

35 tig, dann muß auch unser Urteil über die Verwend­barkeit eines solchen Dings unrichtig sein, und unser Versuch, es zu verwenden, muß fehlschlagen. Erreichen wir aber unseren Zweck, finden wir, daß das D1ng unserer Vorstellung von ihm entspricht,

40 daß es das leistet, wozu wir es anwandten, dann ist dies positiver Beweis dafür, daß innerhalb dieser Grenzen unserer Wahrnehmungen von dem Ding und von seinen Eigenschaften mit der außer uns bestehenden Wirklichkeit stimmen. Finden wir da-

45 gegen, daß wir einen Fehlstoß gemacht, dann dau­ert es meistens auch nicht lange, ehe wir die Ur­sache davon entdecken; wir finden, daß die unse­rem Versuch zugrunde gelegte Wahrnehmung entwe­der selbst unvollständig und oberflächlich oder

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50 mit den Ergebnissen anderer Wahrnehmungen in ei­ner durch die Sachlage nicht gerechtfertigten Weise verkettet worden war. Solange wir unsere Sinne richtig ausbilden und gebrauchen und un­sere Handlungsweise innerhalb der durch regel-

55 recht gemachte und verwertete Wahrnehmungen ge­setzten Schranken halten, solange werden wir fin­den, daß die Erfolge unserer Handlungen den Be­weis liefern für die Obereinstinmung unserer Wahrnehmungen mit der gegenständlichen Natur der

60 wahrgenomnenen Dinge. Nicht in einem einzigen Fall, soviel bis heute bekannt, sind wir zu dem Schluß gedrängt worden, daß unsere wissenschaft­lich kontrollierten Sinneswahrnehmungen in unse­rem Gehirn Vorstellungen von der Außenwelt erzeu-

$5 gen, die ihrer Natur nach von der Wirklichkeit abMeichen, oder daß zwischen der Außenwelt und unseren Sinneswahrnehmungen von ihr eine angebo­rene Unverträglichkeit besteht.

aus: Engels, Friedrich, Einleitung zur englischen Ausgabe (1892) "Oie Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft1* - Textauszug nach: Harx-Engels-Werke, Bd. 19, S. 530 f.

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FRIEDRICH ENGELS, Naturwissenschaft und Natur- Beherrschung

Das Tier benutzt die äußere Natur bloß und brtngt Änderungen ln ihr einfach durch seine Anwesenheit zustande; der Mensch macht sie durch seine Ände­rungen seinen Zwecken dienstbar, beherrscht sie.

5 Und das Ist der letzte, wesentliche Unterschied des Menschen von den übrigen Tieren, und es Ist wieder die Arbeit, die diesen Unterschied be­wirkt.

Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unse- 10 ren menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden

solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat 1n erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerech­net, aber 1n zweiter und dritter Linie hat er ganz andere, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu

15 oft jene ersten Folgen wieder aufheben, Oie Leu­te, die 1n Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder leg-

20 ten, indem sie Ihnen mit den Wäldern die Ansanra- lungszentren und Behälter der Feuchtigkeit ent­zogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirges so sorgsam gehegten Tan­nenwälder am SUdabhang vernutzten, ahnten nicht,

25 daß sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, daß sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahres das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütendere Flutströme über die

30 Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kar­toffel in Europa wußten nicht, daß sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur be-

35 herrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk be­herrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen, und daß unse­re ganze Herrschaft über sie darin besteht, im

40 Vorzug vor allen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.

Und in der Tat lernen wir mit jedem Tag ihre Ge­setze richtiger verstehn und die näheren und ent­fernteren Nachwirkungen unserer Eingriffe in den

45 herkömmlichen Gang der Natur erkennen. Namentlich seit den gewaltigen Fortschritten der Naturwis­senschaft in diesem Jahrhundert werden wir mehr und mehr in den Stand gesetzt, auch die entfern-

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teren natürlichen Nachwirkungen wenigstens unserer 50 gewöhnlichsten Produktionshandlungen kennen und

damit beherrschen zu lernen. Je mehr dies aber ge­schieht, desto mehr werden sich die Menschen wie­der als Eins mit der Natur nicht nur fühlen, son­dern auch wissen, und je unmöglicher wird jene

55 widersinnige und widernatürliche Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Seele und Leib, wie sie seit dem Ver­fall des klassischen Altertums ln Europa aufge­kommen und Im Christentum Ihre höchste Ausbildung

60 erhalten hat.

Hat es aber schon die Arbeit von Jahrtausenden er­fordert, bis wir einigermaßen lernten, die entfern­teren natürlichen Wirkungen unserer auf die Pro­duktion gerichteten Handlungen zu berechnen, so

65 war dies noch weit schwieriger in bezug auf die entfernteren gesellschaftlichen Wirkungen dieser Handlungen. Wir erwähnten die Kartoffel und in ihrem Gefolge die Ausbreitung der Skrofeln. Aber was sind die Skrofeln gegen die Wirkungen, die

70 die Reduktion der Arbeiter auf Kartoffelnahrung auf die Lebenslage der Volksmassen ganzer Länder hatte, gegen die Hungersnot, die 1847 1m Gefolge der Kartoffelkrankheit IHand betraf, eine Mil­lion kartoffel- und fast nur kartoffelessender

75 Irländer unter die Erde und zwei Millionen über das Meer warf? Als die Araber den Alkohol destil­lieren lernten, ließen sie sich nicht im Traum einfallen, daß sie damit eines der Hauptwerkzeu­ge geschaffen, womit die Ureinwohner des damals

80 noch gar nicht entdeckten Amerikas aus der Welt geschafft werden sollten. Und als dann Kolumbus dies Amerika entdeckte, wußte er nicht, daß er damit die in Europa längst überwundene Sklaverei zu neuem Leben erweckte und die Grundlage zum Ne-

85 gerhandel legte. Die Männer, die im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert an der Herstellung der Dampfmaschine arbeiteten, ahnten nicht, daß sie das Werkzeug fertigstellten, das mehr als je­des andere die Gesellschaftszustände der ganzen

90 Welt revolutionieren und namentlich in Europa durch Konzentrierung des Reichtums auf Seite der Minderzahl, und der Besitzlosigkeit auf Seite der ungeheuren Mehrzahl, zuerst der Bourgeoisie die soziale und politische Herrschaft verschaffen,

95 dann aber einen Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat erzeugen sollte, der nur mit dem Sturz der Bourgeoisie und der Abschaffung aller Klassengegensätze endigen kann. - Aber auch auf diesem Gebiet lernen wir allmählich, durch lange,

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100 oft harte Erfahrung und durch Zusaimienstellung und Untersuchung des geschichtlichen Stoffs, uns über die mittelbaren, entfernteren gesellschaft­lichen Wirkungen unserer produktiven Tätigkeit Klarheit zu verschaffen, und damit wird uns die

105 Möglichkeit gegeben, auch diese Wirkungen zu be­herrschen und zu regeln.

Un diese Regelung aber durchzufUhren, dazu gehört mehr als die bloße Erkenntnis. Dazu gehört eine vollständige Umwälzung unserer bisherigen Pro-

110 duktlonsweise und mit ihr unserer jetzigen gesam­ten gesellschaftlichen Ordnung.

aus: Engels, Friedrich, Dialektik der Natur - An­teil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen (geschr. 1876, Erstveröffentlichung 1896 ln "Die Neue Zeit“ Jg. XIV, Bd. 2.)- Textauszug nach Marx-Engels-Werke, Bd. 20, Berl1n-DDR 1973,S. 452-454.

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