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Karl Heller ZUR SOLOGESTALTUNG IN SPÄTEN VIOLINKONZERTEN VIVALDIS: PHRASENBILDUNG,MOTIVARBEIT ,STELLUNG DER SOLOTEILE IM SATZGANZEN Von allen Schaffensbereichen Vivaldis hat das Solokonzert und speziell das Violinkonzert nicht nur am frühesten das Interesse musikhistorischer Forschung auf sich gezogen, es ist auch späterhin stets ein bevorzugter Gegenstand form- und stilgeschichtlicher Untersuchungen geblieben, und dies sowohl in der auf die Konzertgattung ausgerichteten Forschung als auch in der Vivaldi-Spezialforschung. Erklärungen dafür müssen angesichts der von der Musikgeschichtsschreibung früh erkannten herausragenden Bedeutung Vivaldis als Konzertkomponist nicht gegeben werden. So darf man heute – nach rund einhundertjähriger Forschungsgeschichte auf diesem Feld – konstatieren, dass das Solokonzert Vivaldis hinsichtlich seiner Formidee, seines musikalisch- stilistischen Profils und seiner gattungsgeschichtlichen Stellung vergleichsweise gut erforscht ist. Dies gilt vorab für die generellen Struktur- und Stilmerkmale des Vivaldischen Solokonzert-Typus und dabei speziell des in sogenannter „Ritornellform” („Ritornellsatzform”) angelegten Konzertallegros, betrifft mittlerweile aber auch Momente der personalstilistischen Entwicklung innerhalb des mehr als drei Jahrzehnte umspannenden Konzertschaffens des Komponisten, d. h. Unterscheidungsmerkmale zwischen einem frühen, mitt- leren und späten Konzertstil Vivaldis. Zu diesen die individuelle Stilentwicklung betreffenden Fragen besteht gleichwohl neulich erschienenen Forschungsbedarf. Solche Problemstellungen gezielt anzugehen, wurde und wird z. T. noch heute dadurch erschwert, dass, wie bekannt, nur für einen sehr geringen Teil des großen Konzert-Œuvres gesicherte Entstehungsdaten überliefert sind. Die etwa 225 erhaltenen Soloviolinkonzerte liegen zu rund zwei Dritteln in fast ausnahmslos undatierten Handschriften vor, denen zunächst – ohne spezialisierte philologische Forschungsarbeit – keine Hinweise auf die Entstehungsdaten zu entnehmen sind, und auch die durch die Forschung relativ früh ermittelten Erscheinungsjahre der Konzertdrucke erlauben ja nur in einem sehr eingeschränkten Sinne Rückschlüsse auf die effektiven Kompositionsdaten der in ihnen enthaltenen Werke. So lag den beiden Forschern, die in den 1950er Jahren die ersten größeren monographischen Darstellungen über Vivaldis – 73 – – 1 di 16 – Karl Heller, Liskowstrasse 15, 18059 Rostock, Germania. e-mail: [email protected]

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Karl Heller

ZUR SOLOGESTALTUNG IN SPÄTEN VIOLINKONZERTEN VIVALDIS:PHRASENBILDUNG, MOTIVARBEIT, STELLUNG DER SOLOTEILE

IM SATZGANZEN

Von allen Schaffensbereichen Vivaldis hat das Solokonzert und speziell dasViolinkonzert nicht nur am frühesten das Interesse musikhistorischerForschung auf sich gezogen, es ist auch späterhin stets ein bevorzugterGegenstand form- und stilgeschichtlicher Untersuchungen geblieben, und diessowohl in der auf die Konzertgattung ausgerichteten Forschung als auch in derVivaldi-Spezialforschung. Erklärungen dafür müssen angesichts der von derMusikgeschichtsschreibung früh erkannten herausragenden BedeutungVivaldis als Konzertkomponist nicht gegeben werden. So darf man heute – nachrund einhundertjähriger Forschungsgeschichte auf diesem Feld – konstatieren,dass das Solokonzert Vivaldis hinsichtlich seiner Formidee, seines musikalisch-stilistischen Profils und seiner gattungsgeschichtlichen Stellung vergleichsweisegut erforscht ist. Dies gilt vorab für die generellen Struktur- und Stilmerkmaledes Vivaldischen Solokonzert-Typus und dabei speziell des in sogenannter„Ritornellform” („Ritornellsatzform”) angelegten Konzertallegros, betrifftmittlerweile aber auch Momente der personalstilistischen Entwicklunginnerhalb des mehr als drei Jahrzehnte umspannenden Konzertschaffens desKomponisten, d. h. Unterscheidungsmerkmale zwischen einem frühen, mitt-leren und späten Konzertstil Vivaldis.

Zu diesen die individuelle Stilentwicklung betreffenden Fragen bestehtgleichwohl neulich erschienenen Forschungsbedarf. Solche Problemstellungengezielt anzugehen, wurde und wird z. T. noch heute dadurch erschwert, dass,wie bekannt, nur für einen sehr geringen Teil des großen Konzert-Œuvresgesicherte Entstehungsdaten überliefert sind. Die etwa 225 erhaltenenSoloviolinkonzerte liegen zu rund zwei Dritteln in fast ausnahmslosundatierten Handschriften vor, denen zunächst – ohne spezialisiertephilologische Forschungsarbeit – keine Hinweise auf die Entstehungsdaten zuentnehmen sind, und auch die durch die Forschung relativ früh ermitteltenErscheinungsjahre der Konzertdrucke erlauben ja nur in einem sehreingeschränkten Sinne Rückschlüsse auf die effektiven Kompositionsdaten derin ihnen enthaltenen Werke. So lag den beiden Forschern, die in den 1950erJahren die ersten größeren monographischen Darstellungen über Vivaldis

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Karl Heller, Liskowstrasse 15, 18059 Rostock, Germania.e-mail: [email protected]

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Konzertform erarbeiteten – Walter Kolneder1 und Rudolf Eller2 – nur erst einMinimum an chronologischem Wissen vor. Aus dieser Situation herausentschied Kolneder sich dafür, Form und Stil der Solokonzerte Vivaldis unterweitgehender Ausklammerung entwicklungsgeschichtlicher Aspekte zuuntersuchen und zu beschreiben, während Eller ungeachtet der geringenHinweisdichte auf ungefähre chronologische Daten gerade auch die„Wandlung” des Vivaldischen Konzertstils im Blick hatte und dabei zu überausbemerkenswerten Beobachtungen gelangte.

Auch wenn die Datierungsproblematik sich vom Grundsätzlichen her heutekaum anders darstellt, so hat die in den 1960er Jahren einsetzende Vivaldi-Quellenforschung im einzelnen doch bedeutende Forschritte erbracht. In allenSchaffensbereichen, auch in sämtlichen instrumentalen Gattungen, gibt esmittlerweile eine beträchtliche Zahl von Einzelwerken oder Werkgruppen, diesich auf Grund philologisch ermittelter Daten wenn nicht auf das Jahr genau, sodoch auf einen relativ eng begrenzten Zeitraum datieren lassen. Damit aberhaben sich die Voraussetzungen für Untersuchungen über Wandlungen despersönlichen Kompositionsstils Vivaldis entscheidend verbessert. Mit Blick aufdie hier verfolgte Fragestellung zum Spätstil im Solokonzert sind dabeiinsbesondere die Quellenforschungen Paul Everetts hervorzuheben. Dank dervon ihm in mehreren Studien aus den späten 1980er Jahren3 vorgelegtenErgebnisse lassen sich – neben Werken anderer Gattungen – annähernd dreißigSolokonzerte, darunter zehn Violinkonzerte, den 1730er Jahren (einschließlichder Zeitmarke „um 1730”) zuordnen, und dies bietet zweifellos die Chance,signifikante Stilmerkmale des späten Vivaldischen Solokonzerts weitverlässlicher und präziser als solche zu benennen und zu beschreiben.

Eine Darstellung, die sich gezielt und auf breiter Grundlage dieser Aufgabestellt, liegt bisher nicht vor. Es müsste dies eine Studie sein, die – entsprechenddem komplexen Charakter der zur Sprache stehenden Merkmale – alle Seitender Komposition in den Blick nimmt, Formanlage, Ritornellbau undSologestaltung ebenso wie Spezifika der Themenbildung, der Satzstruktur unddes Verhältnisses von Tutti und Solo. Wohl liegen zu all diesen Aspektenwertvolle Einzelbeobachtungen vor, es fehlt indes eine detaillierte undkomplexe Behandlung des gesamten Fragenkreises.

1 Vgl. WALTER KOLNEDER, Die Solokonzertform bei Vivaldi, Strasbourg/Baden-Baden, Heitz, 1961(„Sammlung Musikwissenschaftlicher Abhandlungen”, Band 42).

2 Vgl. RUDOLF ELLER, Das Formprinzip des Vivaldischen Konzerts. Studien zur Geschichte desInstrumentalkonzerts und zum Stilwandel in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Habil.-Schrift, Leipzig,1957 (maschr.); siehe auch ders., Geschichtliche Stellung und Wandlung der Vivaldischen Konzertform, inBericht über den Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongress Wien Mozartjahr 1956, hrsg. von E.Schenk, Graz-Köln, Böhlaus Nachf., 1958, S. 150-155.

3 Vgl. PAUL EVERETT, Towards a Vivaldi Chronology, in Nuovi studi vivaldiani, hrsg. von AntonioFanna und Giovanni Morelli („Quaderni vivaldiani”, 4), Firenze, Olschki, 1988, II, S. 727-757; ders.,Vivaldi’s Paraphrased Oboe Concertos of the 1730s, „Chigiana”, 41, 1989, S. 197-216; ders., Vivaldi’sMarginal Markings. Clues to Sets of Instrumental Works and their Chronology, in Irish Musical Studies, I:Musicology in Ireland, hrsg. von G. Gillen and H. White, Dublin, Irish Academic Press, 1990, S. 345-359.

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Was in diesem Beitrag versucht werden soll, ist die Beschreibung einesbisher kaum beachteten Teilphänomens, einer einzigen, wenngleich besonderscharakteristischen Komponente des späten Solokonzertstils, nämlich derkompositorischen Struktur der Soloteile in den schnellen Konzertsätzen undeiniger damit einhergehender Veränderungen im Satzverständnis und in derSatzanlage. Als Untersuchungsfeld dienen dabei zunächst Violinkonzerte,deren Entstehungszeit nicht vor „um 1730” liegt. Die Beschränkung allein aufdie Gattung (oder Untergattung) des Violinkonzerts wurde durchaus bewusstgewählt; denn Ziel ist nicht eine Charakterisierung und Bewertung genereller,gattungsübergreifender Spätstilmerkmale im Œuvre Vivaldis, sondern dieBeschreibung konkret-gattungsbezogener Veränderungen, die sich in einerbestimmten Schaffensperiode am Violinkonzert beobachten lassen. Insofernist der Ansatz ein gänzlich anderer als der, den Michael Talbot in seinerneulich erschienenen Studie Vivaldi’s ‘Late’ Style: Final Fruition or TerminalDecline verfolgt.4

Die generellen Merkmale der Sologestaltung in Violinkonzerten späterEntstehung sind am klarsten bisher von Cesare Fertonani herausgearbeitetworden.5 Der von ihm eingeführte Begriff des „virtuosismo lirico”6

charakterisiert treffend den Grundzug der zuerst in gedruckten Konzerten ausden opera 9 und 11 (1727, 1729) beobachteten neuartigen Solobehandlung, diesich vor allem in folgendem äußere: „in distese e ornamentate frasi cantabili nelregistro acuto e sovracuto” [...], „in una sensibile diversificazione ritmica emelodica”,7 oder, wie es an anderer Stelle heißt, in einer „scrittura solisticaraffinatissima e spesso addirittura preziosa nella diversificazione figurale, nellavarietà dell’articolazione e del fraseggio”.8 Damit (und mit weiteren vonFertonani benannten Eigenschaften) sind die entscheidenden Wahrneh-mungsfaktoren dieser veränderten Sologestaltung treffend charakterisiert; wasindes weitgehend fehlt, sind Aussagen dazu, auf welche strukturellen VerfahrenAufbau und Verlauf so gearteter Soloteile sich in vielen Fällen gründen, undeben auf die Verdeutlichung dessen zielen die folgenden Ausführungen.

Als Ausgangspunkt meiner Demonstrationen wähle ich das erste Solo ausdem 1. Satz (Allegro molto) des Violinkonzerts e-Moll RV 278, das nach PaulEverett zu der Gruppe der 1730/31 in Böhmen komponierten Instru-

4 Vivaldi, ‘Motezuma’ and the Opera Seria: Essays on a Newly-Discovered Work and its Background,hrsg. von Michael Talbot, Turnhout, Brepols, 2008, S. 147-168. Ich danke Michael Talbot dafür, dasser mir das Manuskript seiner Studie zugänglich gemacht hat.

5 Vgl. CESARE FERTONANI, La musica strumentale di Antonio Vivaldi („Quaderni vivaldiani”, 9),Firenze, Olschki, 1998, S. 358-362 u. a.

6 Ebda., S. 359.7 Ebda., S. 358f.8 Ebda., S. 397.

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mentalwerke gehört.9 Der in Notenbeispiel 1 vorliegende Werkausschnitt10 magüber die von Fertonani benannten Eigenschaften hinaus noch einen weiterenWesenszug erkennbar werden lassen – jene besondere Qualität nämlich, die ichals organisches Sich-Entfalten der Musik, als ein zwanglos-selbstverständliches„Gleiten” von Phrase zu Phrase beschreiben möchte.Notenbeispiel 1. RV 278, Satz 1, Solo 1

9 PAUL EVERETT, Towards a Vivaldi Chronology (wie Anm. 3), S. 739.10 Aus Platzgründen wird in den Notenbeispielen nur der Text der Violino-concertato-Stimme

wiedergegeben. Vorliegender Werkausschnitt wurde im Vortrag als Klangbeispiel dargeboten.

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Verfolgt man den musikalischen Verlauf des eben gehörten Solos in denNoten, so wird deutlich, worauf der beschriebene Eindruck eines „organischenSich-Entfaltens” sich gründet: auf Techniken und Verfahren der Motivarbeit, diein höchst bemerkenswerter Weise Formen und Elemente der klassischen„thematischen Arbeit” vorwegnehmen – unbeschadet dessen, dass dieseVerfahren sich zumindest partiell von der dem Solospiel eigenen spielerisch-variativen Umgehensweise mit einem Ausgangsmaterial herleiten lassen.Wertvolle Beobachtungen zu der Rolle, die Vivaldi im Vorfeld der klassischen„thematischen Arbeit“ gespielt hat, hat bereits vor vier Jahrzehnten Karl H.Wörner mitgeteilt,11 ohne dass sein Untersuchungsansatz von der Vivaldi-Forschung weiterverfolgt worden wäre.

Um die angesprochenen kompositorischen Verfahrensweisen zuverdeutlichen, bedienen die nachfolgenden Beschreibungen sich eines Schemasvon Motivbenennungen, zu dessen Verständnis eine kurze Erläuterungangebracht erscheint. Der alleinige Zweck der von mir benutzten (und in dieNotenbeispiele eingetragenen) Benennungen besteht darin, bestehendeMotivzusammenhänge sichtbar zu machen, und diesem Ziel dient die gewählteForm der Benennung. Die Bezeichnungsformen m1.0, m1.1 usw. erscheinengeeignet, verschiedene Varianten (Ableitungen) eines Ausgangsmotivs oderAusgangs-Teilmotivs (m1.0, m2.0) zu kennzeichnen. Der Einschluss zweierMotiv-bezeichnungen in Klammern zeigt an, dass die betreffenden Motive hiergemeinsam eine größere musikalische Einheit – gewöhnlich als Phrasebezeichnet – bilden. Des durchaus behelfsmäßigen Charakters sowie mancherInkonsequenzen des Bezeichnungsverfahrens bin ich mir voll bewusst; es istalles andere als ein durchgebildetes System, will vielmehr allein das Erfassenbestimmter Motivbeziehungen und -ableitungen erleichtern helfen.

Zu einigen motivischen Details in Notenbeispiel 1. Das Solo beginnt miteiner eintaktigen Phrase, die einem zweimal erklingenden punktiertenAuftaktmotiv (m1.0) eine Variante dieses Motivs mit weicher Vorhalts-Endungfolgen lässt (m1.1). Nach diastematisch veränderter Wiederholung dieser Phrasebeginnt in Takt 26 eine neue, wiederum eintaktige, Phrase, die das Motiv m1.0durch ein Figurationsmotiv (m2.0) ersetzt, als Schlussmotiv indes das Motivm1.1 aus den beiden vorhergehenden Phrasen beibehält. Phrase 3 und derenstufenversetzte Wiederholung bilden zusammen den Nachsatz zu dem aus denPhrasen 1 und 2 gebildeten Vordersatz. Der Solobeginn vollzieht sich also nichtnach dem Verfahren, für das der Begriff „Fortspinnung” steht (d. h. mit eineraus dem Themenkopf unmittelbar herauswachsenden „Fortspinnung”),sondern wird durch ein Thema aus korrespondierendem Vorder- und Nachsatz,

11 Vgl. KARL H. WÖRNER, Das Zeitalter der thematischen Prozesse in der Geschichte der Musik,Regensburg, Bosse, 1969 („Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts”, 18), S. 67-73. Wörnerbeschreibt unterschiedliche Formen der von Vivaldi praktizierten „Abspaltungsprozesse” und hebthervor, in „welch hohem Maß die thematische Verarbeitungstechnik bei Vivaldi bereits in die Höhe deskompositorischen Bewusstseins gehoben ist” (S. 71).

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dazu in durchgehend paariger Taktordnung, markiert. Die Weiterführungerfolgt in Zweiunddreißigstel-Figurationen, zu denen eine Ableitung aus Motivm2.0 hinführt (T. 28, m2.1). (Der auftaktige Achtel-Sprung zu der in derOberquarte einsetzenden Zweiunddreißigstel-Kette macht den Rückbezug aufm.2.0 evident.) Ihren Abschluss findet diese erste Phase des Solos durch eineHalbschluss-Kadenz mit nachfolgender Pause.

Ob es sich bei dem punktierten Auftaktmotiv, mit dem in Takt 31 die zweitePhase des Solos beginnt (m1.2), um ein bewusstes Anknüpfen an dasInitialmotiv der ersten Phrase (m1.0) handelt, mag vielleicht als strittigerscheinen. Auf jeden Fall aber führt diese motivische Entsprechung zu einerVerklammerung der beiden Soloabschnitte – als eines der Elemente, die jenenEindruck eines selbstverständlichen „Gleitens” der Musik von Phrase zu Phrasebewirken. Ist es Zufall, dass der Komponist bei der Sequenzierung dieser Phrase(Auftakt zu T. 34) auf die Punktierung des Initialmotivs verzichtet hat? – Vonbesonderem Interesse ist in dieser zweiten Phase des Solos ein motivischerVorgang, der auf geradezu exemplarische Weise durch jenes Verfahren geprägtist, das mit dem auf die klassische Motivarbeit bezogenen Begriffsapparat als„Motivabspaltung” – auch „motivische Verkürzung” – bezeichnet wird, und indem sogar Ansätze dessen sichtbar werden, was als „entwickelnde Variation”verstanden wird: das unablässige, fortschreitende Weiterbilden einerAusgangsgestalt. Gemeint ist die mit den Sechzehntel-Triolen in Takt 37 Mittebeginnende Entwicklung. In ihr wird das mit einer Seufzerwendung endendeSchlussglied (m4.1.) der sich empor schraubenden Triolenkette (m4.0)abgespalten und unter Zwischenschaltung von Pausen isoliert sequenziert (beiUmwandlung der auftaktigen Sechzehntel-Triolen in Zweiunddreißigstel =m.4.2), um dann zuletzt über eine verknappte Variante (ohne Seufzer-Achtel =m.4.3) in einen neuen Motivkomplex überzuleiten. In einer Komposition von1730 ein wahrhaft bemerkenswertes Beispiel fortgeschrittener Motivarbeit!

Die in diesem Solo beobachteten Formen der Motivarbeit finden sich inunterschiedlichen Ausprägungen auch in den folgenden Notenbeispielen. Ichwerde in meinen Kommentierungen auf solche Techniken wie Motivabspaltungund motivische Verkürzung nicht nochmals ausdrücklich hinweisen, sondernnur auf solche Merkmale kurz eingehen, die im Eingangsbeispiel weniger eineRolle spielten. Dies ist in Beispiel 2 und noch mehr in Beispiel 3 – beide ebenfallsaus RV 278 stammend – das Moment einer quasi permanenten Motivvariationund damit eines von starker innerer Logik geprägten Fortschreitens der Musik.Dafür steht in Beispiel 2 die Vierundsechzigstel-Schleiferfigur (nach über-gebundener Achtel), die bei ihrer Einführung das zweite Motivelement einereintaktigen Phrase bildet (m2.0). Das Motiv endet die beiden ersten Male ineiner Viertelnote, mündet die weiteren Male in zwei fallende Achtelnoten, dienach sofortiger Wiederholung, d. h. nach Abspaltung und Verkürzung drängen,und führt schließlich in eine in spannungsvollen Schritten aufsteigendeexpressive melodische Geste.

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Notenbeispiel 2. RV 278, Satz 1, Schlussplase Solo 2

Notenbeispiel 3. RV 278, Satz 3, Ausschnitt aus Solo 1

In Beispiel 3 wird das Motiv m1.0 im Zuge einer freien Sequenzierungvariiert und erhält dabei eine neu hinzutretende zweitaktige Schlusswendung(m2.0, Takte 63-64). Diese Schlusswendung wird abgespalten und bestimmt ineiner variativen Umbildung das weitere motivische Geschehen. Die Umbildungbesteht darin, dass an die Stelle der vordem ausgehaltenen Endnote als einsignifikantes neues Element ein in weiten Achtel-Sprüngen niederfallendesDreitonmotiv tritt (Takt 66). Das so entstehende Zweitaktmotiv m2.1 mündet

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nach zweimaliger, durch stufenweises Ansteigen des Schlusstones„gesteigerter”, Wiederholung bei der vierten Wiederkehr in eine über einefallende Skalenfigur erreichte Zwischenkadenz (m2.2, Takt 71-74). Danach aberwird dieses Zweitaktmotiv m2.1 erneut aufgegriffen, und zwar diesmal mitvariativer Umbildung seines ersten Taktes (m2.1.1).

Mit der vergleichsweise detaillierten Beschreibung dieser Beispiele aus demKonzert RV 278 sei die Einzelbeschreibung der Motivverarbeitungstechnikenbeendet. Die Beispiele stehen für eine erhebliche Zahl ähnlich gestalteterSoloteile in Violinkonzerten aus der letzten Schaffensperiode des Komponisten,deren Betrachtung naturgemäß noch weiteres und ergänzendes Beobachtungs-material erbringen würde. Genannt seien hier die Konzerte RV 177, 282, 330,367, 380 und 390, die sich auf Grund philologischer Befunde mit hinlänglicherSicherheit dem letzten Lebensjahrzehnt des Komponisten zuordnen lassen.

Die an Ausschnitten aus dem Konzert RV 278 exemplifizierte Soloanlagegeht nun einher mit weiteren Profil-Veränderungen der Soloteile und letztlichdes Gesamtgefüges des schnellen Konzertsatzes. Die Veränderungen betreffenin ganz auffallender Weise zunächst das Verhältnis von Solostimme undBegleitfundament. Anders als in Solokonzerten früher und mittlererEntstehung, in denen die Solobegleitung meist dem Continuo übertragen ist,nicht selten aber auch die Ripieno-Streicher mit ritornellmotivscher Begleitungoder durch intermittierende Ritornell-Einwürfe am Sologeschehen beteiligtsind, herrscht in den späten Violinkonzerten weit überwiegend ein andererBegleittypus vor: eine stereotyp, oft in gleichbleibenden Achteln verlaufende„neutrale” Bassetchen-Begleitung ohne das geringste eigenmotivische Profil –eine Begleitform, wie man sie aus vielen Arien neapolitanischer Opern kennt.Der erste Solotakt in Notenbeispiel 1 (T. 24) zeigt eine besonders häufige Formdieses Begleittypus. All dies heißt aber: In den Soloteilen ist das musikalischeGeschehen allein auf die Solostimme fokussiert, und dies ist zweifellos inWechselwirkung zu deren motivisch reicherer und differenzierterer Anlage zusehen.

Zum Verständnis der neuen Rolle, die den so gestalteten Soloteilen imHinblick auf das Gesamtprofil des Konzertsatzes zuwächst, ist es notwendig,noch einmal auf die Gestaltung des Solobeginns zurückzukommen. Es gehtdabei um die an Notenbeispiel 1 beschriebenen Verfahren der Phrasen-undThemenbildung, die den ersten Sologedanken eines Satzes in die Form einesvollausgebildeten und dabei klar strukturierten „Themas“ fassen – in einen ausVorder- und Nachsatz bestehenden „Satz” (so der Terminus der deutschenMusiktheorie), der oft einer „quadratischen” Bauform folgt. Diese Solothemen

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sind bevorzugt kantabler Natur, auf jeden Fall haben sie – um eineFormulierung Arnold Scherings aufzugreifen – „die Kraft eines Zitats”,12 unddies wird dem Satzgeschehen dienstbar gemacht: Der in der Schlussphase desSatzes übliche Rückbezug auf den Satzbeginn, also der Effekt quasi einer„Reprise”, erfolgt in den späten Konzerten oft mit dem Eintritt des letzten Solosund nicht mit einem Dacapo des Anfangsritornells. Es ist dies Ausdruck dafür,dass die durch motivische Profilierung und differenziertere Strukturenaufgewerteten Soloteile erhöhte Bedeutung auch für das Verständnis desFormganzen des Konzertsatzes erlangen. Bezugspunkt der „Quasi-Reprise” istnunmehr der erste Sologedanke, mit dessen Wiederaufnahme in der Tonika dasletzte – meist das dritte – Solo einsetzt. Nach diesem ostentativen Brückenschlaglöst das Schluss-Solo sich im weiteren Verlauf zumeist allerdings weitgehendvon der motivischen Bindung an das erste Solo; jedenfalls ist diese keineswegsimmer so relativ eng wie im Beispielpaar 4a/4b, das dem wohl um 1737entstandenen B-Dur-Konzert RV 367 entstammt.Notenbeispiel 4a. RV 367, Satz 1, Beginn Solo 1

12 ARNOLD SCHERING, Geschichte des Instrumentalkonzerts bis auf die Gegenwart, Leipzig, Breitkopf& Härtel, 1905 („Kleine Handbücher der Musikgeschichte nach Gattungen”), S. 75. ScheringsFormulierung bezieht sich auf den „Ritornellgedanken” Albinonis.

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KARL HELLER

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Notenbeispiel 4b. RV 367, Satz 1, Beginn Solo 3

Hervorhebenswert erscheint mir an diesem Beispiel das hohe Maß anBewusstheit, das sich in den variativen Umbildungen des Ausgangsmaterialsausdrückt – unbestreitbar ein Beispiel entschieden planvollen Komponierens.

Das in diesem Satz auf das dritte Solo folgende Schlussritornell besteht ausnichts weiter als aus wenigen Kadenztakten, nämlich dem Epilog desEingangsritornells, und auf diese oder ähnliche Weise schließen dieAllegrosätze der hier behandelten späten Violinkonzerte in den weitaus meistenFällen. Das in den Konzerten früherer Entstehung für den Satzschlussbevorzugte Dacapo des gesamten Eingangsritornells begegnet nur noch alsAusnahme. Dies alles bedeutet aber, dass die formale Anlage dieser Sätze in denEckpunkten weitgehend der Konzertsatzform entspricht, wie Johann JoachimQuantz und Joseph Riepel sie in den 1750er Jahren beschreiben:13 vier „Tutti”und drei Solopartien als Norm, eine Art Reprisenfunktion des dritten Solos unddrastische Schrumpfung des Schlussritornells, das „manchmal nur in 2 oder 3Tacten (bestehet)”.14 Auffassungen, nach denen die so beschriebeneKonzertsatzform sich von der Vivaldischen in maßgeblichen Aspektenunterscheide,15 gründen auf der vereinfachten Vorstellung eines quasi

13 Vgl. JOHANN JOACHIM QUANTZ, Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen, JohannFriedrich Voß, Berlin, 1752, S. 295-297; JOSEPH RIEPEL, Grundregeln zur Tonordnung insgemein,Frankfurt a. M. und Leipzig, Christian Ulrich Wagner, 1755, S. 93ff. und S. 105f. Siehe auch ERICHREIMER, Zum Strukturwandel des Konzertsatzes im 18. Jahrhundert, in Analysen. Beiträge zu einerProblemgeschichte des Komponierens. Festschrift für Hans-Heinrich Eggebrecht zum 65. Geburtstag, hrsg.von W. Breig, Stuttgart, R. Brinkmann u. E. Budde, Franz Steiner Verlag Wiesbaden, 1984 (= „Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft”, XXIII), S. 202-216.

14 JOSEPH RIEPEL, a.a.O., S. 105. Zum Umfang der Binnenritornelle bemerkt Riepel in diesemZusammenhang: „Die Mittel-Tutti werden freylich wohl gar nicht lang gemacht; allermassen sichnur das Solo hören lässt, und nicht das Tutti.”

15 So geht etwa Erich Reimer davon aus, dass „im Vivaldischen Konzertsatz” das letzte Ritornell„in der Regel aus einer vollständigen Wiederholung des Anfangsritornells (bestand)”; a.a.O., S. 214.

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unveränderlichen Standardtyps der „Vivaldischen Ritornellform” und bedürfensomit deutlicher Relativierung.

Wie weit sich in Konzerten später Entstehung das Konzept des schnellenKonzertsatzes von der im allgemeinen Bewusstsein als einer feststehendenGröße verankerten „Vivaldischen Ritornellform” und deren Ritornell-Episoden-Struktur entfernen kann, mag ein Blick auf den ersten Satz (Andante molto) desKonzerts RV 380 – eines der in Böhmen entstandenen Werke – zeigen. In diesemrelativ kleinen Satz sind alle drei Soloteile durch das gleiche Basismotivverbunden, das seinerseits der ersten Motivgruppe des Ritornell-Hauptteils(nach einer sechstaktigen Einleitungspartie) entnommen ist. Die Notenbeispiele5a – 5d mögen dies demonstrieren und zugleich den besonderen Reichtumphantasievoller und dabei satzüberspannender variativer Motivarbeitveranschaulichen. Auf Einzelheiten der vielfältigen Motivableitungen und-neukombinationen hinzuweisen ist weder möglich noch erforderlich; lediglichauf ein Detail sei die Aufmerksamkeit gelenkt: auf die Art der Phrasenbildungam Beginn des ersten Solos (Notenbeispiel 5b). Der hier zu beobachtendeAufbau der zweitaktigen Eingangsphrase aus zwei voneinander deutlichabgehobenen – ja in Kontrastnähe sich bewegenden – Motiven ist einverbreitetes Merkmal der Sologestaltung in den späten Konzerten.Notenbeispiel 5a. RV 380, Satz 1, Ritornellbeginn (T. 7-10)

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ZUR SOLOGESTALTUNG IN SPÄTEN VIOLINKONZERTEN VIVALDIS

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Notenbeispiel 5b. RV 380, Satz 1, Beginn Solo 1

Notenbeispiel 5c. RV 380, Satz 1, Beginn Solo 2

Notenbeispiel 5d. RV 380, Satz 1, Beginn Solo 3

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An der Gesamtgestalt dieses Satzes16 interessiert über die Art derSologestaltung und die satzübergreifenden Motivbeziehungen hinausinsbesondere auch die Relation zwischen Ritornell- und Soloanteilen, konkret:das deutlich verringerte Gewicht der Tutti-gegenüber der Solokomponente. Mitseinen nur vier Takten ist das dritte Ritornell kaum mehr als ein kurzesRitornell-Zitat, und das Satzende bietet sodann ein typisches Beispiel für dieoben beschriebene in späten Konzertsätzen übliche Reduzierung desSchlussritornells auf den Ritornell-Epilog.

Ist es bei einem solchen Satz noch angemessen, die Soloteile als „Episoden”zu bezeichnen? Schon im Blick auf die fast zur Regel gewordene Praxis, erstesund letztes (meist drittes) Solo motivisch aufeinander zu beziehen, erscheint esgeboten, diese Terminologie zu überdenken – eine Terminologie, die eher dazubeiträgt, den großen Abstand, der zwischen diesen späten Solokonzertsätzendes Komponisten und denen seiner frühen und auch noch seiner mittleren Zeitliegt, zu verdecken.

Die mitgeteilten Beobachtungen zur Solo- und zur Satzgestaltung in spätenViolinkonzerten ziehen mancherlei Fragen und Überlegungen nach sich, die indiesem Beitrag nicht weiterverfolgt werden können. Einiges sei abschließendstichwortartig angedeutet.

1. Naturgemäß stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt, an dem sich derÜbergang zu dem beschriebenen späten Konzertstil vollzogen hat. EineAntwort darauf kann vorerst nur mit aller Vorsicht gegeben werden. Immerhinlässt sich aus der Beschäftigung mit den Violinkonzerten der Druck-sammlungen ab op. 8 (1725) mit einiger Sicherheit ableiten, dass dieVeränderungen kaum vor 1725 ihren Ausgang genommen haben dürften unddass als die maßgebliche Phase der stilistischen Umprofilierung in derKonzertsatzgestaltung wohl die späten 1720er Jahren anzunehmen sind. EineBestätigung erfährt diese Vermutung durch die Konzerte, die in dem Mitte der1720er Jahre angelegten Stimmbuch der Pietà-Geigerin Anna Maria überliefertsind:17 Nur in dreien der zwanzig Soloviolinkonzerte dieser Quelle (RV 179a,286, 349) treten Merkmale der beschriebenen Sologestaltung (mehr oderweniger) signifikant hervor, am klarsten in dem vielleicht im September 1726eingetragenen18 San Lorenzo-Konzert RV 286, das der Komponist 1728 in diehandschriftliche La cetra-Sammlung übernommen hat. Auch in den Konzertendes 1727 gedruckten op. 9 treten die neuen Merkmale eher noch „keimhaft” und

16 Die Satzanlage wurde im Vortrag durch zwei längere Klangbeispiele veranschaulicht.17 I-Vc, Busta 55, vol. 133.18 Vgl. MICHAEL TALBOT, Anna Maria’s Partbook, in Musik an den venezianischen Ospeda-

li/Konservatorien vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Symposion vom 4. bis 7. April 2001, Venedig,hrsg. von Helen Geyer und Wolfgang Osthoff, Roma, Ed. di Storia e Letteratura, 2004, S. 23-81, bes. S. 38-41. Talbot entwickelt hier die einleuchtende These, dass die Reihenfolge der Konzerte in AnnaMarias Stimmbuch der Reihenfolge der Lieferung der Konzerte an die Pietà entspricht und dass dieEintragungen sich auf den Zeitraum Juli 1723 bis September 1726 erstrecken.

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ZUR SOLOGESTALTUNG IN SPÄTEN VIOLINKONZERTEN VIVALDIS

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keineswegs durchgehend zutage, in der Wiener Dedikationshandschrift La cetravon 1728 und in dem 1729 erschienenen Druck op. 11 finden sich dannKonzerte,19 in denen, wie die in den Notenbeispielen 6 und 7 wiedergegebenenSolo-Ausschnitte aus den Konzerten RV 277 und RV 202 zeigen, die neue Art derSologestaltung voll ausgeprägt ist.Notenbeispiel 6a. RV 277, Satz 1, Solo 1

Notenbeispiel 6b. RV 277, Satz 1, Beginn Solo 4

Notenbeispiel 7. RV 202, Satz 1, Schluss Solo 1

19 Zu nennen sind hier vor allem die Konzerte RV 189, 202, 277, 286 und 390.

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In dem in Notenbeispiel 6a mitgeteilten Soloausschnitt fesselt insbesonderedie Art, wie das Initialmotiv (m1.0) mit stets neuen Motivelementen (m2.0, m3.0,m4.0) kombiniert wird, in der in Beispiel 7 wiedergegebenen Satzpartie das„entwickelnde” Variieren eines Ausgangsmotivs (m1.0). – Dass in derSatzdisposition noch die Anlage mit fünf Ritornellen und vier Soloteilenüberwiegt, könnte als Indiz für eine gewisse Übergangsstellung der damalskomponierten Solokonzerte gewertet werden. Unzweifelhaft ist bei all dem miteiner diskontinuierlich verlaufenden Entwicklung zu rechnen, und keinesfalls istes so, dass die beschriebenen strukturellen Merkmale in den späten Konzertennun generell und durchgehend zur Gestaltungsgrundlage werden.

2. Es liegt nahe, die an datierten beziehungsweise datierbaren Konzertenerkannten spezifischen Spätstil-Merkmale ihrerseits im Sinne von Datie-rungshilfen heranzuziehen. Ziel kann dabei selbstverständlich nicht eine mehroder weniger präzise Datierung einzelner Konzerte sein, wohl aber sollte derNachweis entsprechender markanter Gestaltungsmerkmale in einem bishernicht datierbaren Konzert ein hinreichendes Argument für dessen Zuordnungzum Schaffen „kaum vor ca. 1728” abgeben. Bei der analytischen Beschäftigungmit einer eher zufälligen Auswahl zeitlich nicht einzuordnender Violinkonzerteergab sich für eine größere Gruppe von Werken eine solche Zuordnung.20 Zuihnen gehört auch das Konzert RV 191, aus dessen erstem Solo Notenbeispiel 8die Anfangsphase wiedergibt. Phrasenbildung und Motivarbeit verkörpern hierbesonders sinnfällig die neue Art der Sologestaltung.Notenbeispiel 8. RV 191, Satz 1, Beginn Solo 1

3. Selbstverständlich wird es notwendig sein, die für diesen Beitrag aufViolinkonzerte beschränkten Untersuchungen auch auf Konzerte für andereSoloinstrumente auszudehnen. In erster Linie bieten sich dafür die beidengroßen Gruppen der Violoncello- und der Fagottkonzerte an. Bei derenkursorischer Durchsicht formte sich der Eindruck, dass bestimmte Seiten der anspäten Violinkonzerten beobachteten Solobehandlung hier deutlich weniger

20 Genannt seien hier die folgenden Konzerte: RV 190, 191, 201, 222, 235, 273, 295 und 375.

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ZUR SOLOGESTALTUNG IN SPÄTEN VIOLINKONZERTEN VIVALDIS

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zum Tragen kommen, beim Solokonzert für Violine – für den Geiger Vivaldifraglos die ureigenste Form seiner Konzertkunst – vielmehr durchaus eigeneund spezifische Tendenzen der Sologestaltung gewirkt haben dürften.

4. Nicht zuletzt gilt es die hier isoliert betrachteten Veränderungen imKonzertstil Vivaldis in den Kontext des italienischen Konzertschaffens um undnach 1730 einzuordnen. Dabei wäre einerseits zu fragen, inwieweit dieseVeränderungen auf Einflüsse „von außen” zurückgehen könnten und ob esmöglich ist, stichhaltige Indizien für konkrete Formen einer derartigenBeeinflussung beizubringen; desgleichen wäre aber auch zu prüfen, ob undinwieweit Vivaldis späte Konzerte ihrerseits eine stilistische Vorbild-Funktionerlangt haben könnten. Auf das Violinkonzert bezogen liegt es nahe, dabeizuerst an den um eine halbe Generation jüngeren, in engem Kontakt zu Venedigstehenden Giuseppe Tartini zu denken, der um 1730 mit seinen erstenKonzertdrucken an die Öffentlichkeit trat. Dass es zwischen Tartinis Konzertstilund dem des späten Vivaldi vielerlei Berührungspunkte gibt, lassen schon diein der Literatur gegebenen Merkmalsbeschreibungen der Konzerte Tartiniserkennen21 – Cesare Fertonani nennt Tartinis Namen im Zusammenhang mitseiner Charakterisierung des Vivaldischen „virtuosismo lirico” denn auchausdrücklich22 –; detaillierte vergleichende Untersuchungen zu strukturellenAspekten der beiderseitigen Sologestaltung liegen meines Wissens indesbislang nicht vor. Diese Arbeit anzugehen könnte sich als durchaus lohnenderweisen.

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21 Vgl. vor allem MINOS DOUNIAS, Die Violinkonzerte Giuseppe Tartinis als Ausdruck einer Künstler-persönlichkeit und einer Kulturepoche, Wolfenbüttel-Berlin, Georg Kallmeyer-Verlag, 1935, sowie PIERLUIGIPETROBELLI, Artikel Tartini, Giuseppe, in The New Grove Dictionary of Music and Musicians, London,Macmillan, 2001, Band 25, S. 108-114.

22 CESARE FERTONANI, a.a.O., S. 359.