„HOMO NEUROBIOLOGICUS“ Menschenbild der modernen Hirnforschung und die...
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„HOMO NEUROBIOLOGICUS“Menschenbild der
modernen Hirnforschung und die
philosophisch-anthropologische Kritik
F. Tretter Psychologie, LMU, München
1. Menschenbild – was ist das?
- kognitives, heuristisches Schema, dient der Orientierung - „als-ob“-Konzept („Ist“), keine Wesensaussage (Ontologie)- typisierendes Leitkonzept, u.U. normativ („Soll“)- in Einzelwissenschaften entwickelt- Anthropologie und MB:
- philosophische A.- empirische (differenzielle u. integrale) A. (Gadamer u. Vogler)-„bio-psycho-soziales“ MB -“(human-)ökologisches“ MB
2. Die Neurobiologie und ihr Bild vom Menschen als „geistiges Wesen“
Materialismus- „Mensch ist nichts anderes als ein Haufen Neurone“
(sinngem. Nobelpreisträger Francis Crick) - Die Neurobiologie kann „Gedankenlesen“ = materiell
Kausalität / Determinismus - Das Bewusstsein ist Produkt des Gehirns / kommentiert
Verhalten im Nachhineien- „Wir tun nicht was wir wollen, sondern wir wollen was wir tun“
(Psychologe Wolfgang Prinz)
Identitätstheorie, Reduktionismus- „Der Geist ist das Gehirn, das Gehirn ist der Geist“ (Identitätstheorie)
NEUROBIOLOGIE: „Willens“-Experimente von Libet
- Versuchspersonen drücken Knopf (TD), wann sie wollen
- sie sollen sich Zeigerstellung einer Uhr merken, bei der sie den Impuls zu handeln verspüren (W, „Wille“)
- zugleich EEG-Ableitung
300 msec vor TD „Willsimpuls“ , 500 msec vor TD „Bereitschaftspotential“ im EEG
- (vgl. Kornhuber u. Deecke)
TD = tatsächlicher Tastendruck W = Wahrnehmung des Handlungsabsicht Bereitschaftspotential zeigt bereits ca. 500 ms vor dem Tastendruck eine Auslenkung aus der Grundlinie
NEUROBIOLOGIE: „Willens“-Experimente von Libet
?
Intentions-initiierung
Abwägen
RUBIKON
HandelnPlanen Bewerten
Rubikon-Modell nach Heckhausen 1989
3. PSYCHOLOGIE: Rubikon-Modell des willentlichen Handelns (nach Heckhausen 1989)
I II III IV
4. NEUROPSYCHOLOGIE
??
GEIST
GEHIRN
Produkt ?Identität ?
1. „Ich habe ein Gehirn“ => Dualität
2. „Ich bin mein Gehirn“ => Identität (Typen, Token)
3. „Ich, Gehirn“ => Substitution
1 32
Checkliste/ Fragenliste - Differenzierungen
I) DAS „WESEN“ VON GEHIRN UND GEIST (Ontologie)
1. Materialismus - Idealismus - Gibt es zwei wesensverschiedene „Entitäten“, gibt es
überhaupt einen „Geist“? Wenn nicht zwei E. , welche einzelne „Entität“ „erklärt“ die andere? z.B. Physik: Ist ein „Magnetfeld“ etwas „Materielles“?
2. Dualismus - Monismus - Besteht die „Dualität“ in einem Objekt- oder Eigenschafts-
Dualismus? - Ist ein methodologischer Dualismus vertretbar ?- Schlüssigkeit des Monismus (Annahmen, Begründung) ?
PHILOSOPHIE – WISSENSCHAFTSTHEORIE-(nach Tretter 2007)
II. DIE BEZIEHUNGEN (METHODOLOGIE) 3. Innensicht - Außensicht (Erste Person-Perspektive / Dritte Person-Perspektive)- keine vollständige Substitution der Innensicht möglich (innen ist
nicht außen); Innensicht ist sogar Voraussetzung für das Thema und das Problem
- Bevorzugung der wissenschaftlichen Außensicht nur bei Elimination des Subjektiven möglich und führt zum „monistischen Materialismus“
4. Korrelation - Kausalität (Wenn-dann)- nur Korrelationen (bzw. Koinzidenz) zwischen biologischen und
psychologischen Variablen methodologisch zulässig - Aussagen zu Kausalitäts-Zusammenhängen (Ursache,
Produzent, Determinante…) sind (theoretische) Hypothesen, nicht „Fakten“
- Geh => Gei / Gei => Geh ODER: Geh Gei ? (Supervenienz)
5. Determinismus – Probabilismus
- Aussagen über die Determiniertheit von Gehirnprozessen sind Hypothesen (Dämon von Laplace)
- Es gibt noch keine deterministische Theorie der Gehirn-Funktionen (jedoch für Prozesse – Aktionspotenziale)
- Notwendige / hinreichende Bedingung ! 6. Reduktionismus und das Mikro-/Makro-Problem
- Erklärung neu auftretender („emergenter“) Makrophänomene durch Mikrophänomene gelingt nicht immer.
- z.B. Physik: Erklärung der Temperatur eines Körpers durch die mittlere Bewegungs-Energie der Moleküle
- Analoge Konstruktionen fehlen in der theoretischen Hirnforschung
7. Neurobiologische Methodenpluralität und Generalisierungen
- es gibt unterschiedliche Bilder vom Gehirn z.B. durch Kernspintomographie (funktionelle Anatomie) und EEG (Neurophysiologie) usw.: unterschiedlich Zeit- u. Raumskalen => Beschränkung der expliziten Generalisierbarkeit der Befunde
8. Struktur / Funktion: Gibt es eine „neuropsychologische Unschärferelation“?
- Schwierigkeiten der Differenzierung der Kategorien „Geist“ und „Gehirn“
- „Strukturähnlichkeiten“ oder „Differenzen“ der funktionell unterschiedlichen Cortices ?
- Je genauer der neurobiologische Ort im Gehirn bestimmt wird, desto ungenauer wird die dortige psychologische Funktion bestimmbar (Multifunktionalität von Gehirnorten, Unspezifität von Ionenkanälen oder Striatum f. Zwänge, Schizophrenie, Sucht etc.)
- Je genauer die Funktion bestimmt wird, desto ungenauer wird die Ortsbestimmung (Multilokalität von Funktionen; über 40 Kortexareale für Sehen)
=> Adaequate Ebene der „Erklärung“?
GEHIRN UND GEIST- Begriffsdifferenzierungen -
NetzwerkMehr-Ebenen- Konzept „Psyche“
Basal Ganglien
Limbisches System
Hirnstamm
Hypothalamus
Kortex
Verhaltens-programme
Angst, Lust
Triebe
Wachheit
Gedanken
III) DISZIPLINÄRE PROBLEME
9. Disparität der Repräsentanz der fachlichen Kompetenz in der Diskussion
( Empirie, Theorie und Metatheorie)
- Hirnforschung hat Alleinvertretungsanspruch, die „Wirklichkeit“ des Menschen zu erfassen
- nicht sehr überzeugend, wenn z.B. Philosophen „Selbsttheorien“ ohne Psychologie entwickeln
- Psychologie als Wissenschaft des Erlebens und Verhaltens ist kaum an der Diskussion beteiligt; - Mangelnde Mitwirkung der theoretischen Physik,
Mathematik und vor allem Systemtheorie / Informatik als Theorie-kompetente Disziplinen
10. Sprachprobleme –Fachsprache versus Alltagssprache
(Grenzen d. Sprache = Grenzen der Welt..…)
- Für interdisziplinäre Kommunikation wird gehobene Alltagssprache verwendet- wegen ungenau formulierter Begriffe => bekannte Probleme der Missverständnisse (Wittgenstein)
- Aussagenstruktur zeigt wenig Systematisierung und damit Mängel an logischer Stringenz
(determiniert / nicht linear / komplex )
- Dichotome nominale Kategorienpaare („Determinismus/ Indeterminismus“) können durch „Skalierung“ in „stark“, “mittel“ und „schwach“ zu polaren, aber moderateren und damit adäquater anmutenden Positionierungen führen („starker“, „bedingter“ Determinismus…, Kausalität…)
11. Defizite einer Theorie des Gehirns
- Neurobiologie: ein Ensemble von Theoremen (Theoriebausteinen) dar
- nur wenige umfassende Theorien zu Gehirnfunktionen (Edelmann u. Tononi)
- es mangelt an systemwissenschaftlicher Formulierung (Netzwerkmodelle der Gefühle, des Ichs…); bietet SW „Brückenkonzepte“ nach ?
- Besondere Rolle der Mathematik (Didaktik, „Sprachproblem“; Taschner !)
FAZIT: „NEUROPHILOSOPHIE“ - Disziplinäre Basis
EMPIRISCHEWISSENSCHAFTEN
THEORETISCHEWISSENSCHAFTEN
GEHIRN UND GEIST
PSYCHOLOGIE
(NEURO)PHILOSOPHIE
BIOLOGIE
PHYSIK MATHEMATIK
INFORMATIK
? GEIST ALS „AUSDÜNSTUNG“ DES GEHIRNS ?
WER STEUERT ?
DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT
Quellen: u.a. Tretter 2008: Ökologie der Person