Hubai, Ein Neues Apotropaion, GM 222

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GM 222 (2009) 27 Ein neues Apotropaion Eine hermeneutische Fragestellung Peter Hubai, Budapest †na blšpontej blšpwsin kaˆ m¾ ‡dwsin (Mk 4,12) Auf dem internationalen Kunstmarkt ist ein beachtenswertes, jedoch bisher unbekanntes Fragment eines Zaubermessers aufgetaucht. 1 Der Kunsthändler gab das Objekt auf seiner Webseite mit vier Farbphotos bekannt und gab die Größe mit 5¾ Inch Länge und 1½ Inch Breite an. Als Entstehungszeit wird, wie zu erwarten ist, Mittleres Reich, 12. Dynastie angegeben; über antike Provenienz gibt es keine Information. Die meisten Apotropaia wurden aus Nilpferdstoßzahn verfertigt, in diesem Fall wird dies zwar nicht erwähnt, die Photos scheinen aber dem nicht widerzusprechen. 2 Die Spitze des Zaubermessers scheint an der rechten Seite gewesen zu sein, da sich der Zahn in diese Richtung hin ein wenig verschmälert, das abgerundete Ende 1 Arte Primitivo, New York, Auktion am 29. Oktober 2008, Kat. Nr. 217. Herr Peter Gaboda lenkte meine Aufmerksamkeit auf dieses Apotropaion, wofür ich mich bei ihm herzlich bedanke. Für die Zeichnung danke ich Herrn Restaurator István Pankaszi, Museum der Bildenden Künste, Budapest, für die Photos bin ich Dorothea Arnold (The Metropolitan Museum of Art), Wafaa El-Saddek (Egyptian Museum) und Regine Schulz (The Walters Art Museum) zu Dank verpflichtet. 2 Die Breite des Stoßzahns ist die gewöhnliche, die einstige Länge ist leider unbekannt und kann nur mit Vorbehalt geschätzt werden, da beide Enden abgebrochen sind, sie mag etwa 35-38 cm betragen haben, der Stoßzahn wird also einst einem Nilpferdbullen gehört haben; die Farbe eines Photos kann diesbezüglich nie maßgebend sein.

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About a forged magic wand of Ancient Egypt.

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GM 222 (2009) 27

Ein neues Apotropaion

Eine hermeneutische Fragestellung

Peter Hubai, Budapest

†na blšpontej blšpwsin kaˆ m¾ ‡dwsin (Mk 4,12)

Auf dem internationalen Kunstmarkt ist ein beachtenswertes, jedoch bisher unbekanntes Fragment eines Zaubermessers aufgetaucht.1 Der Kunsthändler gab das Objekt auf seiner Webseite mit vier Farbphotos bekannt und gab die Größe mit 5¾ Inch Länge und 1½ Inch Breite an. Als Entstehungszeit wird, wie zu erwarten ist, Mittleres Reich, 12. Dynastie angegeben; über antike Provenienz gibt es keine Information. Die meisten Apotropaia wurden aus Nilpferdstoßzahn verfertigt, in diesem Fall wird dies zwar nicht erwähnt, die Photos scheinen aber dem nicht widerzusprechen.2

Die Spitze des Zaubermessers scheint an der rechten Seite gewesen zu sein, da

sich der Zahn in diese Richtung hin ein wenig verschmälert, das abgerundete Ende

1 Arte Primitivo, New York, Auktion am 29. Oktober 2008, Kat. Nr. 217. Herr Peter Gaboda lenkte meine Aufmerksamkeit auf dieses Apotropaion, wofür ich mich bei ihm herzlich bedanke. Für die Zeichnung danke ich Herrn Restaurator István Pankaszi, Museum der Bildenden Künste, Budapest, für die Photos bin ich Dorothea Arnold (The Metropolitan Museum of Art), Wafaa El-Saddek (Egyptian Museum) und Regine Schulz (The Walters Art Museum) zu Dank verpflichtet. 2 Die Breite des Stoßzahns ist die gewöhnliche, die einstige Länge ist leider unbekannt und kann nur mit Vorbehalt geschätzt werden, da beide Enden abgebrochen sind, sie mag etwa 35-38 cm betragen haben, der Stoßzahn wird also einst einem Nilpferdbullen gehört haben; die Farbe eines Photos kann diesbezüglich nie maßgebend sein.

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war demgemäß links. Das erhaltene Fragment ist der mittlere Teil, wo im Wesentlichen die Darstellungen von drei Figuren zu sehen sind: ein Greif, eine zooanthropomorfe Gottheit und ein Schlangenhalspanther. Die Rückseite des Apotropaions ist flach, unbearbeitet. Die künstlerische Ausführung der Darstellung ist mittelmäßig, durchschnittlich und erreicht nicht die Qualität der besseren Stücke.

Der fragmentarische Zustand dieses Zaubermessers überrascht nicht, ist doch unter den gegenwärtig bekannten, zerstreut aufbewahrten, 149 authentischen Apotropaia3 kein einziges in ungebrochener Form zu finden, und in etwa zwei Dritteln der Fälle sind auch kleinere oder größere Teile verlorengegangen. So sollte man froh sein, daß von den drei Hauptfiguren nur der Kopf des Schlangenhalspanthers fehlt, die zwei anderen sind unversehrt. Die Ausführung der am unteren und oberen Rand verlaufenden Rille zeigt die oben schon erwähnte mittelmäßige Qualität, entweder war das Ritzgerät nicht geeignet oder die Meisterhand ungeübt. Etwa 1 cm neben der linken Bruchlinie beginnt der nach links gerichtete Greif, ein falkenköpfiges Säugetier, welches gesprenkelte Haut hat (es handelt sich also um eine Gattung der felidae), auf vier Füßen schreitet und seinen schlangenartigen Schwanz emporhebt. An seinem Hals verlaufen zwei auffallende Querlinien. Über dem Rücken befindet sich die kurze hieroglyphische Inschrift sA hrw – Tagesschutz. Rechts neben dem Greif befindet sich eine senkrechte Zickzacklinie, danach schreitet eine rechtsgerichtete menschengestaltige Gottheit mit wAs-Zepter in seiner rechten und mit anx-Zeichen in seiner linken Hand. Die Fratze des Tierkopfes ist nicht leicht zu identifizieren, das fehlgezeichnete Mausgesicht scheint belanglos zu sein, die ikonographisch wichtigeren Hörner verweisen jedoch auf ein Rind. Da der Gott einen männlichen Schurz trägt, ist sein Kopf dementsprechend nicht der einer Kuh, sondern eines Stieres. Der letzte Vierfüßer läßt sich trotz des fehlenden Kopfes auf Grund des langen Halses als Schlangenhalspanther bestimmen. Es ist nicht einfach zu erraten, was vor dem Schlangenhalspanther gestanden hat, die drei parallelen Linien unten zeigen sehr wenig.

Wie bekannt, sind die Apotropaia – deren eigentlicher Name unbekannt und eine treffende moderne Benennung weiterhin ein Desiderat ist4 – religiöse/kultische Schutz- und Hilfsmittel. Viel mehr kann kaum gesagt werden. Die allgemeine

3 H. Altenmüller, Die Apotropaia und die Götter Mittelägyptens. Eine typologische und religionsgeschichtliche Untersuchung der sogenannten „Zaubermesser” des Mittleren Reichs. Inaugural-Dissertation, München 1965 zählte noch 139 Stücke. Sein inzwischen weitergeführter, unpublizierter Katalog, welchen ich dankenswerterweise vom Autor zur Benutzung erhielt, enthält 162 Apotropaia. Meines Wissens sind heute 149 authentische Zaubermesser bekannt; welche Stücke nicht dazu zu rechnen sind und aus welchem Grund nicht vgl. Peter Hubai, Der zerbrochene Zauberstab. Vom Nutzen der Magie oder das Apotropaion zu Budapest, SAK 37 (2008) 169-198 (in der beigefügten Liste [CD-ROM, im Ordner „Hubai”, Unterordner „Zaubermesser”] sind alle 149 Stücke jeweils mit Aufzählung der Darstellungen tabellarisch aufgeführt). 4 Diese konventionelle Unterscheidung zwischen Apotropaion und Amulett ist sehr praktisch, aber ob eine sachliche Differenz zwischen den beiden existiert oder nicht, sei dahingestellt. Zauberstab kann m.E. irreführend sein, Zaubermesser ist es sicherlich nicht.

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Auffassung ist, dass sie Schutzmittel der Mütter und Säuglinge bzw. Kleinkinder seien.5 Daß mit Hilfe der Apotropaia Schutzkreise auf den Boden gezeichnet würden,6 bleibt auch, wenn es immer häufiger wiederholt wird, bis zum heutigen Tag unbewiesen. Die letztere Annahme, die auf der vermuteten Abgenutztheit der Spitze einiger Apotropaia basiert,7 fällt dadurch weg, daß nicht die Spitze des Zaubermessers, sondern die des Stoßzahns des lebendigen Nilpferdes schon abgenutzt und stumpf ist, wie dies durch einen Besuch im Zoo oder im Naturhistorischen Museum überzeugend geprüft werden kann. Die Interpretation der religiösen Vorstellungswelt, die an den Zaubermessern dargestellt ist (Dämonen, die nach der Ersten Zwischenzeit erst hier markant erscheinen und also eine neue, bisher unbekannte Station in der „Entwicklungs”-Linie der ägyptischen Religionsgeschichte signalisieren), ist in der ägyptologischen Forschung bei weitem nicht zum Ruhepunkt gelangt. Wüßten wir mehr über Gebrauchsweise, Funktion und hauptsächlich über den Sinn des Apotropaions, könnten wir evtl. mehr über das jetzt aufgetauchte Zaubermesser und dessen Authentizität aussagen. So bleibt nichts anderes, als nach der Ikonographie zu fragen, um dieses neue Zaubermesser zu interpretieren.

Hierdurch wurde das Wesentliche ausgesagt: Das neue Apotropaion ist m.E. „nagelneu”, wahrscheinlich kaum vor 1903 entstanden, es kann aber auch wesentlich jünger sein.8

Ägyptologen pflegen über neuzeitliche Kunstgegenstände selten zu schreiben, manchen erscheint es aber gelegentlich lohnenswert, Fälschungen,9 Nachahmungen, ägyptisierende Objekte10 zu behandeln. Mir persönlich geht es auch nicht anders,

5 Einige Zaubermesser weisen tatsächlich in diese Richtung, siehe George Steindorff, Magical Knives of Ancient Egypt, Journal of the Walters Art Gallery 9 (1946) 41-51, 106-107. Einerseits tragen etwa 77% der bekannten Apotropaia keine Inschrift, und die meisten, die beschriftet sind, sprechen von „Schutz”, ohne die Mütter zu benennen. Es werden jedoch Frauen (oft nb.t pr) und manchmal ihr Sohn erwähnt. Andererseits kommen zu wenig Stücke aus einer archäologisch authentischen Ausgrabung, die Frauengräber sind also nicht gesichert; die Zaubermesser, die Bestandteile einer männlichen Bestattung waren, scheinen die obrige Hypothese auch nicht zu unterstützen. 6 W. C. Hayes, The Scepter of Egypt, Bd. I., New York 1953, 248-249; Peter Lacovara in: Mummies and Magic. The Funerary Arts of Ancient Egypt, Boston 1988, No. 59.; „...perhaps by scratching a circle in the earth around the area where they slept” James P. Allen, The Art of Medicine in Ancient Egypt, New York 2005, 29. 7 In wenigen Fällen stimmt diese Beobachtung (z.B. MMA Rogers Fund 1908, 08.200.19), allerdings lassen sich Beispiele finden, wo das breitere, abgerundete Ende abgerieben ist (BM AE 17078, BM EA 58794, wahrscheinlich Cambridge FM E-40-1926 auch), beide Enden abgerieben sind (BM AE 24425), oder die vom Anfang an so verfertigt wurden (evtl. BM 17185; Madrid 1980/102/Nub/34 aus Argin, Ende abgerundet, aber nicht abgerieben). 8 Nach der Auskunft des Verkäufers stammt das Apotropaion aus der Sammlung des verstorbenen Julius Carlebach, „acquired pre-1964”. 9 The head that grew a face: Notes on a fine forgery, in: Egyptian Art. Selected writings of Bernard V. Bothmer, edited by Madeleine E. Cody, Oxford 2004, 289-298. 10 Siehe die Ausstellungen der letzten Dekaden, z.B. Ägyptomanie. Ägypten in der europäischen Kunst 1730-1930. Die Sehnsucht Europas nach dem Land der Pharaonen, Kunsthistorisches Museum Wien

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mich bewegt die Frage nach dem Sinn, und ich glaube, daß neuzeitliche Objekte (egal, ob sie als bewußte Fälschung durch Betrug von Nicht-Kennern Geld ergaunern wollen, oder ob sie als Nachahmung mit ihrem ästhetischen Wert den Betrachter ergötzen sollen) rückläufig das Altägyptische ins Scheinwerferlicht stellen können. Es geht also hier nicht um eine ethische Be- oder Verurteilung, auch nicht um eine Fahndung, wer und warum mit welchem hinterlistigem Zweck das Objekt herstellte – dies könnte man dem Moralisten, Psychologen oder Ermittlungsbeamten überlassen.11 Dies sind natürlich von einem anderen Blickwinkel her gesehen wichtige Fragen; die sachliche Herausforderung für den Ägyptologen besteht aber darin, mit Unterscheidungsvermögen Altägyptisches von Pseudoägyptischem zu trennen. Man soll davon ausgehen, daß auch unser zeitgenössischer Meister (selbst bei der besten Qualität kein Künstler!) ein anständiges Werk anfertigen möchte und man fragt sich, woran dies scheitert, um durch diese Fragestellung das Altägyptische besser verstehen zu können.12

Hinter dem modernen Objekt wird also das „Originale” gesucht. Der Nilpferdstoßzahn des angebotenen Apotropaions kann aus dem Niltal stammen und mit Hilfe von C14 läßt sich sein Alter relativ zuverlässig bestimmen. Unbeschriebene flache Stoßzähne sind auch in den Museen zu finden,13 und so ist es auch nicht auszuschließen, daß solche auch frei unter Interessenten oder Sammlern kursieren. Ein gegebenenfalls 4000 Jahre alter Knochen ist für den Paläozoologen zwar interessant, aber dem Ägyptologen, der die religiöse Vorstellungswelt der alten Ägypter forschen möchte, sagt er kaum etwas, denn seine Fragestellung ist eine andere. Ein bebildertes Zaubermesser ist jedoch wertvoller. Was ist aber an einem Zaubermesser, wo eine nicht festgelegte Zahl (8-10-12-14) der etwa 72 verschiedenen Figuren14 in einer undurchschaubaren Sequenz aufeinander folgen, original? Wie kann es geprüft werden? Was macht es für den Ägyptologen interessant? Was macht es zum „Original” oder zur „Fälschung”?

1994 (früher in Paris und Ottawa). Die Renaissance Ägyptens ist seit der Römerzeit und besonders in im 19-20. Jh. ständig präsent. James Stevens Curl, Egyptomania. The Egyptian Revival: a Recurring Theme in the History of Taste. Manchester – New York 1994. 11 Die (bewußte) Intention eines Fälschers verliert sich in der Zeit; der Besitzer, der 50-100 Jahre später das Objekt anbietet, will über die Tatsache der Fälschung keine Information haben; und umgekehrt, ein harmloses Übungsstück eines ehemaligen Skulptors kann heute als Fälschung in Verdacht gebracht werden. Der Ägyptologe besitzt kein Instrument, um die Intention der Herstellung zu untersuchen. 12 In einer früheren Arbeit versuchte ich in ähnlicher Weise, die Sinnfrage bei einer hervorragenden Kanne mit west-ungarischer Provenienz zu erforschen, die ägyptische Stilelemente reichlich aufweist, jedoch beunruhigende Fragen stellt: Peter Hubai, Wie authentisch ist die Kanne von Egyed? in: H. Győry (Hrsg.), Aegyptus et Pannonia II., Acta Symposii anno 2002, Budapest 2005, 59-98. 13 London UC 27649; UC 58601; UC 58633; Liverpool 1977.109.153; Glasgow 1901.78.j.; Hildesheim F 14 usw. 14 Siehe die Liste bei P. Hubai, Der zerbrochene Zauberstab, SAK 37 (2008) 169-198 ([CD-ROM, im Ordner „Hubai”, Unterordner „Zaubermesser”]).

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Vielleicht die „Abstammung”? Kann auch ein originales Stück falsch werden?15 Wie, bzw. wodurch gewinnt ein „von der Straße” (mit unbekannter Provenienz) ins Museum geholtes Objekt Wert? Was versichert seine Authentizität?

Offensichtlich ist das Kriterium nicht die (manchmal aristokratische) Qualität (wie Budapest 2005.1-E), oder die (unüberbietbare) Ausarbeitung (wie Berlin 9611). Ebenso wenig kann das Vollendetsein (was bei Edinburgh E 1921.89316 oder bei Baltimore W.A.G. 71.51017 jeweils anders fehlt) das Kriterium darstellen. Die Stilkritik ist ungenügend, weder Fehlen noch Finden der Analogien kann dezisiv sein. Die einzige Antwort, die ich geben kann, ist der Sinn (besser: die Sinngebung der alten Ägypter), wie sie ihre eigenen Zaubermesser verstanden hatten. Dieser Sinn muß erforscht werden, dieser soll gefunden werden, um sagen zu können, ob das Apotropaion „original” ist oder nicht. Die Schwierigkeit entsteht durch den hermeneutischen Zirkel, da der Forscher jenen Sinn als Kriterium der Echtheit des Kunstgegenstandes besitzen soll, den er erst kennenlernen möchte. Sollte der moderne Meister (wegen Gelehrtheit, Instinkt oder Zufall) diesen Sinn nicht verfehlt haben, kann m.E. der Ägyptologe kaum bestimmen, ob das Stück altägyptisch oder modern ist. Erst dann hält er sich im Sattel, wenn der moderne Meister ein Dilettant war, dem wenigstens ein Fehler unterlaufen ist.

Der Meister des New Yorker neuen Zaubermessers war ein tüchtiger Handwerker, der sogar über ägyptologisches Grundwissen verfügte, der mit einiger Hilfe und Übung hätte auch noch besser arbeiten können, denn ein Fehler ist ihm wenigstens unterlaufen. Er hat wahrscheinlich echte Materie bekommen, um daraus ein Apotropaion herzustellen, er fand eine gute Vorlage und mehrere Ergänzungen dazu. Er arbeitete nicht vorzüglich, jedoch nicht die schwache Qualität ist das Entscheidende, denn in jeder Epoche, so auch im alten Ägypten werden bzw. wurden hervorragende und mittelmäßige Kunstgegenstände hergestellt. Viel wichtiger ist in

15 Museumskuratoren kennen das Phänomen, daß durch Verarbeitung aus einem (wenig attraktiven) authentischen Stück im 19-20. Jahrhundert ein „schöneres” Werk hergestellt wurde. Der Zweck einer „Verbesserung” ist nicht immer die Geldgier der Fälscher. In der Ägyptischen Sammlung des Museums der Bildenden Künste ist z.B. ein Holzsargdeckel verlagert, der Anfang des 20. Jhs. von einem Dilettanten in der Weise „restauriert” wurde, daß er dadurch das Altägyptische verlor. Seit den 60-er Jahren des 20. Jhs. ist er nicht ausgestellt. Das Holz ist „original”, das Kunstwerk ist jedoch vollkommen wertlos. Ein interessanter, aber in den Ausstellungen gar kein seltener Fall ist, daß aus zwei altägyptischen Fragmenta ein nie-gewesenes Kunststück „rekonstruiert” wird (z.B. ein Harpokrates im Schoße einer ungefähr entsprechend großen Isis). Diese Ausstellungsobjekte mögen einem didaktischen Zweck dienen, nämlich dem Besucher ein Vorstellungsbild zu geben, sie ermangeln jedoch der Historizität. So ist heute das eigentlich spitzenlose Apotropaion JE 6155 = CG 9437 („Drah abou l’naggah, janvier 1860. Tombeau de Neferhotep” – G. Daressy, Textes et dessins magiques, Kairo 1903, 46; Pl. XII. mit Photo) mit einer historisch nicht dazugehörigen, dazugeklebten Spitze aus „Eléphantine 1909” (zeitgenössische Tintenschrift an der Rückseite des Knochens) ausgestellt. 16 Janine Bourriau, Pharaohs and Mortals. Egyptian art in the Middle Kingdom, Cambridge 1988, No. 102. 17 George Steindorff, Magical Knives, a.a.O. – hier fehlt die geplante Inschrift.

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unserem Falle das cur und quomodo dieser Qualität. Zuerst wurden die Gestalten

CG 9437 (Rückseite)

herausgemeißelt, die Rillen, die eigentlich als Rahmen hätten dienen müssen, wurden später gezogen, dies läßt sich an den Hörnern und an den Sohlen der Stiergottheit prüfen, wo die Hörner in der Rille verschwinden bzw. die Rille dem geometrischen Bogen nicht folgen kann. Man beachte das Ringen des Meisters mit der Materie am sich rollenden Schwanz, der (eigentlich weiche)18 Nilpferdknochen widerstand dem Spitzmeißel in den Kurven der Spirale, der Meißelnde musste das Gerät absetzen und durch den mehrfachen Neubeginn der Linie ist diese abgehackt und faserig geworden. Daraus läßt sich schließen, daß der Meister mit einem V-förmigen Meißel arbeitete, den er mit einem Hammer oder einem anderen Gerät immer wieder anschlug. Es ist anzunehmen, daß der Nilpferdstoßzahn während des Herstellungsverfahrens befestigt war, anders ging es kaum, da der Meister sich mit beiden Händen des Meißels bediente. Bei solcher Methode kann das Abrutschen des Meißels trotz erwünschter Vorsichtigkeit nicht verhindert werden. Untersuchen wir die anderen Apotropaia, unter denen sich auch minderwertige befinden, sehen wir, daß einige Darstellungen die inneren Proportionen verfehlen, bei anderen mangelt es an der ästhetischen Linienführung, die faserige Meißelung ist jedoch gar nicht typisch. Jene Apotropaia wurden mit einer anderen Technologie hergestellt: Der Meißel wird nicht angeschlagen worden sein, sondern der Knochen mag in einer Hand gehalten worden sein, der dadurch beweglich war und mit der anderen Hand 18 Zoologisch wird jedoch der Nilpferdstoßzahn als „hart”, d.h. fast so hart wie das Elephantelfenbein, angesehen. Je später nach dem Ableben des Tieres der Stoßzahn bearbeitet wird, desto mehr Feuchtigkeit verliert er, dementsprechend wird er härter, und desto schwieriger wird die Bearbeitung des Materials. (Ich danke für diese Information Herrn Kustos Gábor Csorba, Naturhistorisches Museum, Budapest.) Seine „absolute Härte” bleibt unter 5 (vergleichsweise ist die des Diamanten 140000).

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konnte die Linie fließend vertieft werden.19 Stil und Qualität beeinträchtigen die Authentizität eines Zaubermessers nicht, das plötzliche Auftauchen eines in seiner Zeit unbekannten, neuen technologischen Verfahrens ist aber mehr als verdächtig.

Noch wichtiger ist, daß der Meister des New Yorker Zaubermessers die Details nicht sinngemäß zusammenfügen konnte, er ist an der Sinnfrage gestolpert. Er entnahm die Details den verschiedenen Vorlagen, veränderte sie ein wenig hauptsächlich durch Wegnehmen, Hinzufügung, Umdrehung usw. und fügte diese dann zusammen. Die kleineren verräterischen Zeichen – die erst dann auffallen, wenn jemand die Unechtheit des Zaubermessers (und die konkreten Vorlagen) erkannt hat – würde der Forscher vielleicht als neue, bisher noch nicht inventarisierte, aber vorstellbare ikonographische Charakteristika zur Kenntnis nehmen. Einige dieser verräterischen Zeichen sind für sich genommen nicht unbedingt Fehler, sie verletzen aber die Syntax der ägyptischen Regeln der Apotropaia. Hierdurch entsteht ein Sinnfehler. (So z.B. im Falle der „richtigen” Inschrift.) Man denke nur an das Wort „auf daß sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen”: Deshalb mag jener Grundfehler unterlaufen sein, der auf Grund der klaren Vorlage hätte nicht passieren dürfen, denn es ist unerklärbar, wie der nicht unerfahrene moderne Meister (dessen erste Arbeit nicht das Apotropaion war) den Sinn verfehlen konnte.

Wenn die Ähnlichkeit zu weit geht Das Hauptvorlage war nämlich CG 9434 aus Kairo. An jenem Apotropaion

CG 9434

19 Fragen der technischen Ausführung konnte ich mit Herrn István Pankaszi besprechen, der mit seinen Beobachtungen und fördernden Ideen die Untersuchung unterstützte.

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sind sieben Dämonen dargestellt, unter ihnen sind ein Greif20 am linken Teil des Zaubermessers, der stierköpfige Gott in der Mitte und ganz rechts ein Vierfüßer, der zu den felidae gehört, dessen Kopf aber abgebrochen ist, es läßt sich jedoch annehmen, daß es sich um einen Schlangenhalspanther handelt. Die Adaptation ereignete sich durch Selektion, damit nicht nebeneinander stehende Figuren gewählt werden; die dazwischen stehende Nilpferdgottheit, die Löwengottheit und „Ahat” (eine „Beset-förmige” Figur) wurden weggelassen. Der Kairoer Greif wurde umgedreht und an demselben linken Platz des New Yorker Exemplars schaut er nach links, seine sehr charakteristischen Flügel und der Menschenkopf, der sich fast immer zwischen den Flügeln befindet, wurden „abmontiert”. Weder die Schlange im Schnabel noch das Messer bei den Füßen des Greifen wurden gezeichnet. Auch hinter dem Kairoer Greifen kann die Inschrift sA hrw gelesen werden. Der Kragen des Kairoer Greifen wurde vereinfacht, so entstanden die zwei Querlinien am Hals des New Yorker Greifen. Der Stierköpfige Gott wurde genau nachgeahmt: Die Richtung ist dieselbe, die merkwürdige Spitzmaus-Fratze mit dem Stierhorn, das anx-Zeichen in der Linken und das wAs-Zepter in der Rechten sind geblieben. Die Qualität ist ärmer als die des Kairoer Exemplars (man beachte die fehlgezeichneten Ohren, die Differenz bei der Zeichnung des Horns, die Hand, die das wAs-Zepter ergreift, die mißverstandenen Insignia seien besonders erwähnt, da sie stärker ins Gewicht fallen, das wAs-Zepter ist unten nicht gabel-förmig, das anx-Zeichen ist bei Vergrößerung eindeutig ein Kreuz; man vergleiche auch Rumpf und Hals der beiden Greifen, um wie viel schlanker der Kairoer ist, der eine ist grazil, der andere ist unzierlich) die Kairoer Vorlage ist nämlich sehr schön. Der am rechten Ende schreitende, rechtsgerichtete Schlangenhalspanther folgt im Wesentlichen der Kairoer Vorlage. Bemerkenswerterweise ist der New Yorker Schlangenhalspanther nicht gesprenkelt. Sollte der Meister die Sprenkel – falls er diese überhaupt in Kairo per Autopsie beobachtet hat – nicht einfach weggelassen haben (wie z.B. die Flügel des Greifen), könnte angenommen werden, daß er mit Hilfe von „Textes et dessins magiques” von M. G. Daressy arbeitete. Das Buch erschien 1903 und an der schwarz/weiß Aufnahme können die Sprenkel kaum gesehen werden.21 In diesem Catalogue General Band wurde das Bild dieses Zaubermessers zuerst abgebildet, dadurch ergibt sich der

20 Die älteste Darstellung eines Greifen soll die am Gebel el-Tarif Messer (CG 14265) befindliche sein. Jenes Fabeltier hat etwas sonderbar Flügelartiges (ohne Menschenkopf), die Fratze ist schwer zu entnehmen und ob sie einen Schnabel oder eher ein Gebräch hat, läßt sich kaum entscheiden. Welchem anderen Säugetier – sollte es sich doch nicht um eine Katze handeln – der Rumpf gehört, sei dahingestellt. Das Getier kann der Vorfahr der Greifendarstellung des Mittleres Reiches sein und zwar hauptsächlich aus dem Grund, weil es an die Darstellung eines Geschöpfs mit Falkenschnabel und mit Flügel an der Hundepalette zu Oxford (Ashmolean Museum E 3924) erinnert. 21 Das heute im Saal 22 des Obergeschosses ausgestellte Zaubermesser sieht nicht ganz genau so aus, wie es bei Daressy (und bei F. Legge, siehe unten) aussah. Der auf die Spitze des Stoßzahnes aufgesteckte hölzerne Wüstenfuchskopf ist ein anderer, als derjenige vor hundert Jahren.

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wahrscheinliche terminus post quem der Herstellung des neuen Apotropaions.22 Es ist aber mit gutem Grund anzunehmen, daß der Meister nach 1927 arbeitete, weil dann eine Linienzeichnung dieses Apotropaions erschien,23 die den Rumpf des Schlangenhalspanthers vakant – eindeutig ohne Sprenkeln – darstellt.

Doch all diese Umänderungen bewegen sich noch im Rahmen dessen, was prinzipiell auch in einem altägyptischen Atelier, bei einem anderem Meister hätte passieren können.24 Selbst das Befolgen einer Vorlage wäre nicht mit voller Sicherheit auszuschließen, obwohl die Apotropaia viel mehr auf die freie Variation der Gestalten verweisen.

Unikat Es waren aber auch andere Vorlagen am Werk, denn der Zweck war die

Vorlage CG 9434 unkenntlich zu machen und dadurch verschwinden zu lassen. An den von uns registrierten Apotropaia haben wir 61 Greif-Darstellungen, fast alle haben einen Schwanz wie von Großkatzen, es gibt nur einen einzigen, dessen Schwanz eine sich aufbäumende Kobra ist: Baltimore W.A.G. 71.510. Schaut man

Baltimore W. A. G. 71.510a

22 Zeitlich nahe erschien F. Legge, The magic ivories of the Middle Kingdom, PSBA 27 (1905) 130-152 und die zugehörigen Tafeln, besonders Tafel VII. Abb. 10. Das Photo ist ähnlich. Meine eigene Aufnahme von Juli 2008, die ich mit der dankenswerten Erlaubnis Zahi Hawass’ machen konnte, zeigt unwidersprüchlich die Sprenkel. 23 Fl. Petrie, Objects of daily use, London 1927, plate XXXVI, dort als B.M. 9434 bezeichnet. (B.M. kann kaum Boulaq Museum heißen, denn es bestand nur 1863-1889, das darauf folgende Giza Museum wurde 1890 eröffnet, das jetzige Museum existiert seit 1902.) 24 Das mißlungene anx-Zeichen und das nur visuell kopierte, aber unverstandene wAs-Zepter gehören nicht zu dieser Gruppe. Diese wären in einem altägyptischen Atelier, wo der Meister die Bedeutung der tatsächlich Dargestellten noch kannte, kaum in dieser Weise gezeichnet worden.

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diese Seite des (zweiseitigen) Apotropaions gründlicher an, wird man am rechten Ende auf einen Geier mit Flagellum aufmerksam. Stellt man sich vor, daß der Geier statt sich nach links zu wenden, seinen Kopf nach rechts richtet, wird auch das Flagellum umgedreht. Dies hilft, die am New Yorker Zaubermesser fragmentarisch erhaltenen drei „parallelen” Linien zu verstehen. Diese sind nämlich beinahe parallel, werden jedoch die Linien verlängert, laufen diese zusammen. Die Reste dürften Reste eines ähnlichen Flagellum sein, wahrscheinlich von einem Geier gehalten. Es gibt zwar auch an anderen Zaubermessern Darstellungen anderer Dämonen mit Flagellum, diese sind jedoch anders geartet.25 Der Meister benutzte das gewählte Zaubermesser zu Baltimore als Beispiel zweier Figuren. Der Bruch und der quer laufende Abbruch wurde durch einen von oben (rechts vom Kopf der Schlangenhalspanther) ereigneten Hieb (an den Meißel?) verursacht und wegen des Bruches ist eine Gestalt (oder ein noch größerer Teil) verlorengegangen, denn die vertieften Linien der Riemen des Flagellum machen beim Bruch keinen Halt, sie setzen sich in einer tieferen Schicht des Knochens fort. Sollte das Malheur sich während der Herstellung ereignet haben, ist es mit der Fixierung des Knochens zu erklären, denn ein solcher Fall kann mit einem in der Hand gehaltenen Stoßzahn weniger passieren.

Ähnlich verhält es sich mit dem nicht weniger atypischen Schlangenhals-panther-Schwanz des neuen Zaubermessers. Bei den meisten der 30 Schlangen-halspanther-Darstellungen26 an einem Zaubermesser ringelt sich sein Schwanz nicht, falls er sich aber im seltenen Fall doch zusammenrollt, dann macht er eine Spirallinie höchstens mit einem anderthalbmal gezeichneten Kreis. Schon diese Länge ist zoologisch unwahrscheinlich (sofern man bei mythologischen Tieren biologische Charakteristika in die Diskussion einbeziehen darf), weil der zu lange Schwanz die Bewegung und Balancierung des Tieres behindert. Da ein Schwanz, der zweiundhalbmal einen Kreis zeichnet, nur einmal dokumentiert ist (an einem Apotropaion, das gerade dort beim After gebrochen ist, der Schwanz ist also nicht zu auffällig), ist eine Verwandschaft mit dem New Yorker Apotropaion nicht zu ignorieren. Dieser Typ befindet sich in New York, MMA 22.1.79. (Das Apotropaion wurde m.W. erst 1953 in einer Linienzeichnung publiziert,27 sonst war es aber für eine Autopsie in New York zugänglich.)

25 Es sei gleich der schöne Geier mit Flagellum des Apotropaions zu Budapest 2005.1-E erwähnt. Es gibt weiterhin mumifizierte Kuh-Dämonen mit Flagellum (Brüssel E 293 und E 7064, Kairo 56273; Pennsylvania E 2914), deren Flagellum aber anders gezeichnet ist. Ähnlich stehen die Darstellungen Boston MFA 12.1519 oder New York MMA 22.1.103, MMA 08.200.19, MMA 30.8.218 ein wenig ferner (entweder ist das Flagellum höher gestellt, ist nicht mit drei Linien gezeichnet oder es fehlt die diametrale Linie). Die Riemen des Flagellum des New Yorker Zaubermessers bilden einen größeren Winkel und hängen tiefer als die Mittellinie des Apotropaions. 26 Die ältesten Schlangenhalspanther-Darstellungen finden sich an der Narmer Palette (mit einem sich ringelnden Schwanz) und an der Oxford Palette (anders). 27 W. C. Hayes, The Scepter of Egypt, Bd. I., New York 1953, 249.

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The Metropolitan Museum of Art, Rogers Fund and Edwards S. Harkness Gift, 1922 (22.1.79a,b) Image©The Metropolitan Museum of Art

Zwar sind die erwähnten Merkmale selten zu finden, und der Forscher darf

von der Beziehung überzeugt sein, eine rein theoretische Möglichkeit besteht aber noch immer, daß etwas, was schon einmal vorkam, auch noch einmal vorkommen kann. Der Kobra-Schwanz und der sich zweiundhalbmal rollende Schwanz sind doch nicht unägyptisch.

Kommt an einem bekannten Objekt nie vor Wahrscheinlich blieb dem Meister des New Yorker Zaubermessers völlig

unbekannt, daß über dem Rumpf des Schlangenhalspanthers, wie in Hieroglyphenschrift in einem imaginären Quadrat geschrieben, ziemlich häufig noch ein zusätzliches Zeichen dargestellt ist. In den meisten Fällen handelt es sich um eine Schlange,28 seltener um eine auf Beinen schreitende Sonnenscheibe,29 auch je eine Hwt-xpr30 und eine Hwt-db(?)31 Inschrift. Am interessantesten ist die Q7 (Flamme) 28 Berlin 6709 und 14207a, Boston MFA 12.1519, Florenz MA 6883, Leiden 2003.12.1-1, London BM EA 38192, BM EA 65439 und UC 35310, München 2825, New York MMA 15.3.179 und MMA 22.1.103, Quibell, Ramesseum (bei Legge No. 59.), Tübingen 1845. 29 Baltimore W.A.G. 71.510a, London UC 16381, New York MMA 22.1.103. MMA 22.1.153 mag ein naher Verwandter sein, zwar ist die Sonnenscheibe nicht über dem Schlangenhalspanther, aber unmittelbar dahinter. 30 Brüssel E 7065.

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Hieroglyphe (Gardiner Zeichenliste),32 die hier vielleicht als srf (dem Namen des Greifen entsprechend) zu lesen ist und einen Fieberdämon oder ein Fieberheilmittel bedeutet.33 Dagegen kommt aber eine Inschrift über dem Greifen nie vor. Diese wäre umso weniger möglich, als über dem Rumpf des Greifen normalerweise die hier weggelassenen Flügel und ein Menschenkopf dazwischen dargestellt sind, und dadurch bleibt viel zu wenig Platz für eine Inschrift. Das sA hrw am New Yorker Apotropaion ist falsch platziert.

Ein Indiz dafür, daß unser Meister nicht ohne ägyptologische Sachkenntnisse auskommen mußte, ist die hieroglyphische Inschrift. Da mittelmäßige Lehrlinge der Fälscherzunft dieses gefährliche Territorium nicht gerne betreten, weichen die Freischaffenden unter ihnen, die nicht einfach kopieren, diesem Weg lieber aus. Unser Mann gehört nicht zu ihnen. Die Lesung an unserem Zaubermesser heißt sA hrw und ist von links nach rechts zu lesen. „Tagesschutz” oder „Schutz am Tage” soll der daneben schreitende Dämon leisten. Diese Inschrift (oder die erweiterte Version: sA grH sA hrw) ist nur an fünf Zaubermessern dokumentiert: Berlin 6709, New York MMA 15.3.197, MMA 22.1.154, MMA 30.8.218 und Kairo CG 9434 (die Hauptvorlage), allerdings immer mit einer anderen Orthographie, denn sA ist mit (Gardiner Zeichenliste) V17 und nie mit dem hier gebrauchten V16 (Knotenamulett) geschrieben. Der Meister oder sein Gehilfe wußte, daß der phonetische Wert beider Hieroglyphen identisch ist und sah vielleicht auch, daß V16 regelmäßig an den Apotropaia vorkommt. Nicht aber in diesem Zusammenhang! Das jj.n stp-sA Hr NN „ich bin gekommen, damit ich NN schütze/eskortiere” und seine Variante werden oft, wenn zwar nicht immer mit V16 geschrieben. Sollte die abweichende Orthographie nicht bloße Willkür sein, läßt sich annehmen, daß diese nach einer mißverstandenen Vorlage geboren wurde. Das einst Wilhelm Spiegelberg gehörende Apotropaion,34 heute München 2826 hat an seiner Rückseite eine von rechts nach links laufende Inschrift, deren erste Zeichen so zu beginnen scheinen: gleich nach der Bruchlinie, zwischen zwei geritzten Bogen oben V16, darunter ein Kreiszeichen, links davon ein Ideogrammstrich (Z1) und danach sA.t nsw.t Mntw-htp anx wDA snb. (Es ist m.E. gar nicht selbstverständlich, daß der Meister des New Yorker Apotropaions das Knotenamulett nicht so gezeichnet hat, wie es in den gedruckten Schulbüchern geschrieben ist, sondern genau in der Weise mit Punkten vereinfacht, wie es von einer geübten Hand kursiv geschrieben wurde und es tatsächlich am Zaubermesser zu sehen ist. Er könnte es detaillierter ausgeführt haben.) Die vom Münchener Zaubermesser übernommenen ersten drei Hieroglyphen wurden spiegelverkehrt 31 New York MMA 26.7.1288. 32 New York MMA 22.1.154 und das Apotropaion einst in Liverpool Public Museum. Im Falle des Ersteren kann nicht mit völliger Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die Inschrift sich auf den darauffolgenden Greifen bezieht. 33 Gesetzt den Fall, daß der Schlangenhalspanther ein Fieberdämon ist, können die anderen Dämonen auch entsprechende Krankheiten bzw. Heilmittel repräsentieren. 34 F. Legge, The magic ivories of the Middle Empire, PSBA 28 (1906) plate II. London 1893, plate XVI.

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angeordnet, um dadurch die Vorlage zu vertuschen. Die Idee schien umso mehr geglückt zu sein, als die Hauptvorlage (CG 9434) auch einen Greifen und daneben die Inschrift sA hrw hatte. Ein Fehler ist dem Meister jedoch unterlaufen: Er glaubte den Augen, während er den Sinn nicht verstand. Hätte er gewußt, daß der fragmentarischen Inschrift (sA.t nsw.t Mntw-htp anx wDA snb) ein stp-sA Hr vorangeht, hätte er sofort erkannt (und auch gesehen!), daß das Kreiszeichen nicht hrw N5 (Sonnenscheibe), sondern Hr D2 (Gesicht) ist.

Schaut man unseren Greif genauer an, erweist er sich als Weibchen, da dies durch das Gesäuge unzweideutig ausgedrückt wird. An keinem Apotropaion, welches einen Greifen prozessieren läßt, kommt ein Greif-Weibchen vor. Der Meister des New Yorker Zaubermessers arbeitete entweder instinktiv oder mit einem seriösen ägyptologischen Fachwissen ausgerüstet, da m.W. nur eine, nicht zu auffallende Darstellung einer Greifin am Wande des Grabes des Cheti in Beni Hasan existiert.35 Sie hat dort nicht nur sehr charakteristische Zitzen,36 sondern auch einen Schwanz, welcher – divergierend von dem der etwa 60, an Apotropaia vorkommenden Artgenossen, die einen Katzenschwanz haben – in einer Lotosblüte endet.

Ungewöhnliche Darstellungen, Lösungen, die sonst früher nicht belegt waren, können zwar Verdacht wecken, sind aber noch nicht zwangsläufige Zeichen einer modernen Herkunft. Es gibt sehr viele unvergleichbare altägyptische Kunstgegenstände, die keine Analogien aufweisen können, deren Authentizität aber nie angezweifelt werden kann.37 Besonders bei solchen Kompositgestalten, die von mehr oder weniger realistisch dargestellten einzelnen Körperteilen dann zu einem Phantasiewesen zusammengesetzt werden, können Grenzen schwierig gezogen werden. Jedoch das altägyptische Puzzle scheint eingeschränkt gewesen zu sein – dies nennen wir heute Ikonographie – und war der freien Assoziation nicht völlig ausgeliefert.38

Dem Altägytischen zuwiderlaufend, Vorlage nicht verstanden Das vollkommen Unägyptische ist aber die senkrechte Zickzacklinie vor dem

wAs-Zepter haltenden Stierköpfigen Gott, die in der Vorstellungswelt der Apotropaia nicht zu finden ist. Diese Linie ist weder im Rahmen der ägyptischen religiösen Vorstellungswelt, noch als eine Darstellung in der ägyptischen Kunst des Mittleren Reiches zu deuten. Sie ist umso unerklärlicher, weil sie weder eine altägyptische Figur noch eine Neuschaffung des Meisters ist, sondern eine Imitation des von uns 35 P. E. Newberry, Beni Hasan II., London 1893, plate XVI. 36 Das Greifen-Weibchen von Beni Hasan ist mit acht Zitzen dargestellt, das New Yorker mit vier. Die „Mythobiologie” der beiden dürfte stimmen, wenn die empirische Tatsache erwogen wird, daß die Familie der Katzen rechts und links je vier mammae haben. 37 Man denke nur an die emblematische Büste von Nofretete mit ihrer ungewöhnlichen Krone. 38 Ein Schlangenhalspanther mit Flügeln und mit einem Kopf dazwischen – welche bei Greifen geläufig sind – wäre kaum als authentisch empfunden worden, ganz zu schweigen beispielsweise von einer Schildkröte mit weißer Krone oder einem Fisch mit Flagellum.

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wohlbekannten Vorbildes und am Vorbild (CG 9434) ist eindeutig eine Schlange zu sehen. Ob er diese nicht erkannte? Vielleicht wollte der Meister das einfache Kopieren, welches seiner Meinung nach das Objekt hätte verdächtig machen können, vermeiden und wollte diese unverstandene senkrechte Wellenlinie verändern. Dieses Abweichen von der altägyptischen Vorlage muß als seriöses Symptom bewertet werden, das über das Ungewöhnliche (aber immer noch möglicherweise im Rahmen des alten Ägypten) hinausgeht und die moderne Herkunft eindeutig beweist.

Das neue Zaubermesser wird als Zeuge moderner Ägyptomanie, als Zeichen der Sympathie gegenüber dem alten Ägypten bewertet müssen, ägyptologisch läßt es sich jedoch nicht interpretieren. Der Ägyptologe interessiert sich für die Historie, das Objekt ist für ihn interessant als Zeuge dieser Historie. Er darf nicht, anders als viele Museumsbesucher, durch das Alter des Objekts verzaubert werden und in jenem Rausch die Frage seines Faches vergessen. Des neuen Apotropaions Aussagekraft spricht über das alte Ägypten nicht, nur über unsere Zeit, die eine un/greifbare Neigung zu Ägypten und eine fast fetischistische Verehrung gegenüber alten Objekten aufweist. Paradoxerweise entstehen diese neuen Nachamungen durch den Glauben an die immanente Kraft, die den alten Objekten naturgegeben innewohnte. Das Zaubermesser des Meisters des New Yorker Apotropaion ist statt eines beredten Zeugen nur ein Stück stummer Knochen, jedoch als Zeichen der modernen Ägyptomanie will es seinen Platz in der Vitrine unter didaktischem Schulmaterial, Fälschungen und Kuriositäten einnehmen.

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