Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte...

20
_

Transcript of Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte...

Page 1: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

_

Page 2: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Die Karriere der Tochter eines Armeelieferanten, ihr Auf-stieg aus dem Bürgertum zur Geliebten des Königs vonFrankreich und zur Gesprächspartnerin von Fürsten undPhilosophen ist beispiellos. Am Anfang war es Voltaire, derihre Liebesbriefe korrigierte, später befand Madame dePompadour (1721 –1764) über Krieg und Frieden in Europaund pflegte Kontakte mit dem Papst. Am Ende ihrer neun-zehnjährigen Herrschaft war der junge Mozart zu Gast inihrem Pariser Stadthaus, dem Élysée-Palast. Gestaltungs-wille und der Drang nach bleibendem Ruhm prägten diePompadour, die einen Feldherrn wissen ließ: »Ich erröte,wenn Sie weniger Mut haben als ich.« In ihren Briefen ent-faltet sich nicht nur ein großer Charakter, sondern auch eineder glänzendsten Epochen Europas. Ihre Korrespondenzführt tödliche Spiele der Macht vor, doch ebenso gibt sie Aus-kunft über die große Melancholikerin, deren Sehnsucht nachRuhe sich nie erfüllte. Hans Pleschinski hat die lange aufdeutsch nicht greifbaren Briefe neu übersetzt und durchZwischentexte zu einem spannenden Lebens- und Epochen-bild gestaltet.

Hans Pleschinski, geboren 1956 in Celle, studierte Germani-stik, Romanistik und Theaterwissenschaften in München.Er arbeitete für Galerien, Oper und Film. Seit 1985 ist erMitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk in München, wo erals Journalist und Autor lebt. Er erhielt zahlreiche Auszeich-nungen, darunter zweimal den Buchpreis der Stadt Mün-chen. Weitere Werke bei dtv: ›Ostsucht‹ (13090), ›Voltaire –Friedrich der Große. Briefwechsel‹ (13195), ›Brabant. EinRoman zur See‹ (13194); ›Bildnis eines Unsichtbaren‹(13276).

Page 3: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Ich werde niemals vergessen,Sie zärtlich zu lieben

Madame de PompadourBriefe

Aus dem Französischenübersetzt und herausgegeben

von Hans Pleschinski

_

Page 4: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Neuausgabe Mai 20052. Auflage 2015

2001 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, MünchenLizenzausgabe mit Genehmigung des Carl Hanser Verlags

© 1999 Carl Hanser Verlag München · WienUmschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Umschlagbild: ›Madame de Pompadour‹von François Boucher (© Artothek)

Gesetzt aus der Walbaum 9,5/11. (QuarkXPress)Satz: Fotosatz Reinhard Amann, Memmingen

Druck und Bindung: Druckerei C.H.Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany · isbn 978-3-423-13333-3

Ausführliche Informationen überunsere Autoren und Bücher

www.dtv.de

Von Hans Pleschinskisind im dtv erschienen:

Ostsucht.Eine Jugend im deutsch-deutschen Grenzland (13090)

Brabant. Roman (13194)Bildnis eines Unsichtbaren. Roman (13276)

Leichtes Licht (13666)Verbot der Nüchternheit (13789)

Ludwigshöhe (13937)Königsallee (14416)

Page 5: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Paris, den . September

Mein herzlieber Vater,ich bitte Sie, seien Sie nicht länger wegen meiner Gesund-heit besorgt; es geht mir jetzt sehr gut; ich habe zwei Anfällevon Viertagefieber gehabt, aber seit Tagen kann davonkeine Rede mehr sein; jetzt bin ich es ganz los. Ich habe vielChinarinde eingenommen, Aderlässe und reichlich Medi-zin haben mir wieder auf die Beine geholfen. Ich sage Ihnendas nicht zuletzt, um mich selbst über den Gebrauch all die-ser üblen Heilmittel zu trösten, und heute abend werde ichmich in der Oper amüsieren. Der Bote mit Ihrem Brief hatmich wohlauf gefunden und kann Ihnen mein Wohlbefin-den bestätigen . . .

Es ist der erste erhaltene Brief. Seine Absenderin war neun-zehn Jahre alt.Neben Eva, neben Kleopatra ist Madame de Pompadourwohl die berühmteste Frau der Geschichte. Der Name Pom-padour bedeutet überall etwas, löst Vorstellungen aus, diesich meist mit einem Lächeln verbinden. Doch dann verliertsich alles rasch in ein paar ungenauen Bildern: . . . Perük-ken . . . Sünde und Orgien . . . Rokoko . . . schließlich das Endeeiner Welt, die unter das Fallbeil geriet.War sie ein Vamp? Die größte Verschwenderin aller Zeiten?Eine glückliche Frau? War Madame de Pompadour früh undwissend todgeweiht? Verdanken wir ihr eher Gutes oder nurSchlechtes? Mehr als den nach ihr benannten Tragebeuteloder Tee und den ihr zugeschriebenen Satz: »Nach uns dieSintflut!«?». . . ich bin von Besuchen und Schreibarbeiten erschöpft;trotzdem habe ich noch sechzig Briefe zu schreiben«, teiltesie nach einem gewöhnlichen Arbeitstag in Versailles ihremVater mit. In Briefen ist die Lebensgeschichte der Mademoi-selle Poisson, der späteren Madame d’Étiolles, späteren Ma-

Page 6: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

dame de Pompadour festgehalten. In diesem Leben mischensich unaufhörlich alltägliche und fast unglaubliche Szenenund Ereignisse. Vieles davon hatte für das Leben und SterbenHunderttausender Menschen, für die politische Landkartebis heute, für den Glanz der Zivilisation, für Filme, Romane,für die Lebenskunst weitreichende Folgen. Vor allem aberläßt sich verlernte Lebenskunst am Fall der Pompadour er-messen.Hätte Jeanne-Antoinette de Pompadour an manchen Tagenandere Erwägungen angestellt, andere Entscheidungen ge-troffen, dann wäre Französisch heute wahrscheinlich dieAmtssprache der Vereinigten Staaten. Diese Frau führtehemmungslos ihr Recht auf maximales Glück vor. Doch siestiftete auch Hospitäler, versorgte Waisenkinder. Nebenbeigilt Jeanne-Antoinette de Pompadour auch als Erfinderin desshopping. Um sich zwischen ihren Einkaufsfahrten zu erho-len, kaufte sie in Paris ein Palais und ließ es umbauen. Eswurde das Élysée-Palais.Wenige Jahre nach dieser Erwerbung löschte ein Aprilregendie Fackeln ihres Totenzugs, den zweiundvierzig Diener undvier Schweizer Wachen nach Paris geleiteten. Hinter einemder vielen Fenster von Versailles fiel bei diesem Leichenbe-gängnis der weltberühmten, glanzvollen Frau wahrschein-lich die königliche Bemerkung: »Madame hat sich einenschlechten Reisetag ausgesucht.«

Es war eine lukrative Geschäftskumpanei. Sie mochte ineinem Pariser Wirtshaus begonnen haben. François Poisson –zu deutsch: Franz Fisch – war das neunte Kind einer Weber-familie aus Nordfrankreich. Die Berufspläne von FrançoisPoisson gingen dahin, Kutscher oder Lakai beim Gouverneurder Picardie zu werden.In Paris lernte er jedoch die Brüder Pâris kennen. Ihr Stamm-vermögen hatten die vier Gastwirtssöhne mit Getreidespe-kulationen während einer Hungersnot in ihrer Heimatpro-vinz, der Dauphiné, gemacht. Antoine, Claude, Jean undJoseph Pâris belieferten bald die französische Armee mitLebensmitteln. Keine Regierungsstelle prüfte exakt die Ab-rechnungen.

Page 7: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Die Brüder stellten François Poisson als Lagerverwalter ein.Aber nicht nur das.Zum Freundeskreis der Karrieristen, die sich Adelstitel kauf-ten, gehörte auch Louise Madeleine de la Motte. Ihr Vaterwar Metzger und Fleischlieferant für ausgemusterte Sol-daten im Pariser Invalidendom. Auch bei diesen Staatsaufträ-gen ließen sich beachtliche Gewinne abschöpfen.Louise de la Motte war »eine Venus«. Die schöne Zwanzig-jährige lebte freizügig. Zu ihren Liebhabern zählten derStaatssekretär Le Blanc und sein Bruder, der Bischof vonAvranches sowie Jean Pâris de Montmartel – eine großeClique mit wachsendem Einfluß.Die Fleischlieferantentochter Louise de la Motte und der La-gerverwalter François Poisson verliebten sich und gaben sich das Jawort.Die Verbindung war heikel. Das junge Paar aus einer Auf-steigerschicht lebte mit einem Aufwand, der ärmere Bürgerneidisch machte, und legte einen Stolz an den Tag, über dender Adel die Nase rümpfte.Dazu kamen die wohl nie beendeten Liebschaften der jun-gen Frau.Doch es waren ohnehin unruhige Zeiten. Neuartige Finanz-spekulationen mit Aktien, Handel mit Überseepapierenschufen über Nacht Millionäre und konnten ebenso überNacht ruinieren. Über dies lebenspralle Frankreich – nachdem Tod des Sonnenkönigs – regierte bis zur Volljährigkeitseines Urenkels der Prinzregent Philippe von Orléans. DerRegent – Sohn der Liselotte von der Pfalz – vermied Krieg.Er war kein schlechter Verwalter, er ließ ein freies geistigesLeben zu und schränkte auch dann seine Privatgenüsse nichtein, als sein Verhältnis mit der Herzogin von Berry bekanntwurde, seiner Tochter. Frankreich war Großmacht in einerdynastischen Zwischenphase.Die Familie von François und Louise Poisson wuchs unter-dessen auf etwas ungeklärte Weise. Am . Dezember wurde Jeanne-Antoinette Poisson geboren.Möglicherweise war ihr leiblicher Vater der reiche Steuer-einnehmer Charles Le Normant de Tournehem. François Pois-son liebte seinen ersten Familienzuwachs dennoch ungebro-

Page 8: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

chen und nannte das Kind »Ma reinette«, »Meine kleine Kö-nigin.«Eine zweite Tochter starb kurz nach der Taufe. kamAbel-François Poisson zur Welt. Niemand konnte ahnen, daßer Jahrzehnte später aus der Hand des Papstes geweihte Ro-senkränze geschenkt bekäme, um sie seiner mächtigenSchwester zu überreichen. Abel-François kam dem Wunschdes Papstes widerwillig nach. Der Bruder der Madame dePompadour endete in großer Schwermut: »Beklagen Sie denunglücklichsten aller Menschen!« Einiges im Leben derberühmten Frau – wenn auch nicht vieles – wirkt nichtübermäßig erstaunlich. Über die Schwester schrieben hun-dertfünfzig Jahre später die Brüder de Goncourt: »MadamePompadour! Uns ist das kein Name mehr, es ist eine Verkör-perung, ein Begriff.«Das Ehepaar Poisson – das immer aufwendigere Wohnungenbezog – wollte seiner Tochter eine erstklassige Erziehung an-gedeihen lassen. Jeanne-Antoinette wurde bei den Ursuline-rinnen im Kloster von Poissy untergebracht. Mit anderenKlosterschülerinnen lernte sie Sticken, Malen und erhieltGrundkenntnisse höherer Bildung. Die Töchter armer Leutehingegen wurden im Internat Poissy auf Berufe wie Schnei-derin, Hutmacherin oder Haushälterin vorbereitet.Es trifft die neureiche Familie des Lebensmittellieferantenwie ein Donnerschlag: wird François Poisson der Verun-treuung von Staatsgeldern überführt. Er hatte die immenseSumme von über französischen Pfund unterschla-gen. Trotz aller guten Beziehungen der Brüder Pâris zur Ju-stiz wird ihr Mitarbeiter zum Tod durch den Strang verur-teilt. Im letzten Moment gelingt François Poisson die Fluchtins Ausland. Bis zu seiner Rückkehr Jahre später meldet ersich aus England oder auch aus Hamburg bei seiner Familie.Seine Frau Louise Madeleine leitet die noch eilig mit ihremMann vereinbarte Gütertrennung ein und muß sich jetzt al-lein um ihre zwei heranwachsenden Kinder kümmern.Die kleine Jeanne-Antoinette erhält Gesangsunterrichtbeim berühmten Sänger Jélyotte aus der nahegelegenenOper. Im Blaßgelben Salon der Mutter bringt der Tanzmei-ster Guibaudet ihr gute Haltung, Menuett und den Hüpftanz

Page 9: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Gavotte bei. Schließlich besucht das hinreißend schöne Mäd-chen zur geistigen Vervollkommnung den Gesprächskreisvon Madame de Tencin, bei der sich der Dichter Mari-vaux, der Philosoph Fontenelle oder auch der StaatsrechtlerMontesquieu treffen. Der Dramatiker Crébillion wird ihrlebenslanger Freund. Offenbar gefällt die Tochter des ent-flohenen François Poisson durch ihr Gesprächstalent, ihreAnmut, durch ihr Äußeres, mit ihrem Haar »von fast asch-farbenem Kastanienbraun, dem Teint von blendender Weiße,den Wangen mit zwei Grübchen«, wie ein Augenzeugeschreibt.Eine gute Partie ist für das Mädchen geplant. Ihr möglicherleiblicher Vater Charles de Tournehem kommt oft zu Besuch.Er ist ein Wohltäter der Familie und hat einen Neffen. Dieserrecht attraktive Charles Guillaume Le Normant ist vierund-zwanzig Jahre alt und hat – wie sein Onkel Tournehem –einen gewinnbringenden Posten. Er ist Steuereinnehmer.Überdies hat ihm sein Onkel das Schloß und die Ländereienvon Étiolles als Erbe versprochen. heiraten Charles Le Normant und Jeanne-AntoinettePoisson. Das junge Paar bezieht Étiolles an der Seine. In denAugen der adeligen Nachbarschaft ist der Herrensitz nun voneiner Metzgerstochter und einem Steuerpächterneffen inBeschlag genommen. Wie hatten sich Braut und Bräutigamund die Verwandten diese Ehe vorgestellt?

Ernste und zarte Pompadour,Denn im voraus kann ich Ihnen gebenDiesen Namen, der sich reimet auf amour,bald wird er Frankreichs schönster Name sein,

Die Verse dichtete Voltaire. Nicht nur dieser Literat und Phi-losoph verbrachte gerne ein Landwochenende in Étiolles.Vor allem die junge Ehefrau galt als Attraktion. Ein Besu-cher berichtete nach Paris: »Ich habe eine der schönstenFrauen entdeckt, die ich je erblickt habe.«Die gut zwanzigjährige Madame d’Étiolles bekam vonihrem Mann ein kleines Theater geschenkt. Auf dieserPrivatbühne spielte und sang Jeanne-Antoinette selbst mit

Page 10: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Freunden und Gästen. Nach menschlichem Ermessen schiendas Glück an den Ufern der Seine vollkommen. wurdedie Tochter Alexandrine geboren.Voltaire hielt jedoch noch etwas ganz anderes und Verblüf-fendes über die Hausherrin von Étiolles fest: »Sie war gut er-zogen, klug, liebenswürdig, voller Grazie und Talent, gebo-ren mit gesundem Menschenverstand und dem Herzen aufdem rechten Fleck. Ich kannte sie recht gut: ich war sogar derVertraute ihrer Liebe. Sie gestand mir, immer eine geheimeAhnung gehabt zu haben, vom König geliebt zu werden, unddaß sie eine heftige, unklare Neigung zu ihm verspürt habe.Diese Idee, die angesichts ihrer Lebensverhältnisse verrückterscheinen mochte, gründete darauf, daß man sie oft zu denJagden mitgenommen hatte, die der König im Wald von Sé-nart veranstaltete. Tournehem, der Liebhaber ihrer Mutter,besaß in der Nähe ein Landhaus. Man fuhr Madame d’Étiol-les in einer hübschen Kalesche spazieren. Dem König fiel sieauf, und er schickte ihr des öfteren Wildbret. Ihre Mutterwurde nicht müde, ihr zu sagen, daß sie hübscher sei als Ma-dame de Châteauroux, und der brave Tournehem rief häufigaus: Geben wir zu, die Tochter von Madame Poisson ist einBissen für den König.«

Ludwig XV. ist fünfunddreißig Jahre alt. Er gilt alseiner der schönsten Männer Frankreichs. Für seine Nation ister uneingeschränkt ›der Vielgeliebte‹.Unterstützt von ihrer Mutter und vom Onkel-Vater Tour-nehem – unverdächtig für ihren jungen Ehemann – arbeitetMadame d’Étiolles an ihrem ›Unternehmen L‹, dem ›Pro-jekt Ludwig‹.Die Lichtungen im Wald von Sénart sind dafür bestensgeeignet. Hier finden sich regelmäßig Schaulustige ein,wenn die meist vielhundertköpfige Jagdgesellschaft einesder mächtigsten Männer der Welt, wenn die Hofdamen inriesigen Jagdwagen – den sogenannten Gondeln – und dieHundemeuten vorbeikommen. Aus einiger Distanz, aber guterkennbar folgt auch die Kalesche von Madame d’Étiollesden Jägern und Jägerinnen. Und dem König. Einmal er-scheint die Herrin von Étiolles mit einem rosa Kleid in einer

Page 11: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

blauen Kalesche, dann, als Augenfang, mit einem blauenKleid in einem rosa lackierten Wagen.Als Madame de Pompadour wird sie später der Pariser Wahr-sagerin Lebon eine Pension von Livres aussetzen. DieKartenlegerin hatte ihr als Kind prophezeit – aber wahr-scheinlich nicht nur ihr –, sie werde dereinst die Geliebte desKönigs von Frankreich.Die verheiratete junge Frau mit den beiden Wangengrüb-chen, die für ihre Zeitgenossen unvergeßlich wurden, setztfür ihr Lebensziel weitere Hebel in Bewegung. Zu den Gä-sten auf Étiolles gehört auch ein königlicher Stallmeister,mit dem Jeanne-Antoinette d’Étiolles gelegentlich ausreitet,Nicolas Augustin de Briges.

. An Monsieur de Briges ()

Ich danke Ihnen, mein lieber Briges, für all die Mühe, die Siesich meinetwegen gemacht haben. Ihre Stellung, die Siebeim König innehaben, erlaubt Ihnen, mir gefällig zu sein,und ich zähle auf die zarte Freundschaft, die Sie mir ver-sprochen haben. Aber dieser besondere Fall von Ehrgeiz ver-langt völlige Vertraulichkeit: der Plan, wenn er denn gelingensollte, muß ganz als ein Ergebnis des Zufalls erscheinen.Der König sah mich gestern und beobachtete mich flüchtig:er bemerkte meine Unruhe; aber noch blickt er nicht mitIhren Augen, und ich weiß nicht, wann das geschehen wird.Er ist fortwährend von schönen Frauen umgeben, die abernicht mein Herz haben; ach, daß ihm dieses Herz unbekanntist!Man erzählt, Madame de Mailly sei gottesfürchtig gewor-den. Sie lebt jetzt ganz nach den Anweisungen des Paters dela Vallette, des Generals der Oratorianer. Ach! wie benei-denswert ist sie, falls sie tatsächlich von ihrer Leidenschaftgeheilt sein sollte! Glücklich sind die Gleichgültigen! Esheißt, sie sei kürzlich zur Predigt in Notre-Dame erschienen;doch da sie etwas zu spät kam, mußte sie, ehe sie zu ihremPlatz gelangte, einige Leute stören. Darunter befand sich einrohes Subjekt, das laut zu rufen begann: He! Ganz schön viel

Page 12: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Krach für eine H . . . Die Gräfin wandte sich zu ihm um underwiderte ganz sanft: Monsieur, da Sie mich so gut kennen,seien Sie so gütig, für mich zu Gott zu beten. In der Tat, einewahrhaft sehr achtenswerte Frau. Falls meine Schwäche –oder mein Stern – mich dieselben Fehler begehen lassen soll-ten, so hoffe ich, daß ich am Ende bereuen werde wie sie.Adieu, Monsieur, besuchen Sie mich morgen: ich habe Ihneneine Menge mitzuteilen und noch viel mehr zu verbergen.

: die erste englische Briefausgabe und weitere Ausgaben nennen fürdie beiden ersten Briefe das Jahr . Ihr erstes Ziel hatte Madamed’Étiolles aber bereits im Jahr zuvor erreicht. Als Adressat wurde einMonsieur Bridges angegeben. Dieser Name ist sonst nicht nachweisbar.Es kann sich also nur um den Stallmeister de Briges handeln. – Madamede Mailly: die erste aus dem berühmten ›Schwesternreigen‹, die ältesteder Töchter des Marschalls de Nesle, die sich als Geliebte Ludwigs XV.ablösten. – Oratorianer: Orden zur Ausbildung geistlichen Nachwuch-ses, von Filippo Neri gestiftet.

. An Monsieur Binet ()

Ich bin sehr verwundert, von Briges nichts zu erfahren: viel-leicht hat er nur Schlechtes zu melden, und Sie wollen michalle beide in meiner Schwäche nur schonen. Beinahe möchteich über meine Verrücktheit losweinen: aber dennoch, ichkönnte keine Reue empfinden. Was sagt der König? Sprichter von mir? Hat er keine Lust, mich zu sehen? Fühlt er etwaswie Wertschätzung für Ihre Cousine? Gnade, helfen Sie miraus der schrecklichen Ungewißheit, in der ich lebe. Ach! Ichbeginne zu fühlen, daß Ehrgeiz die größte Marter ist, vorallem wenn er im Herzen einer Frau keimt. Für einen neuenVersuch, der mir in den Sinn gekommen ist, erbitte ich IhrenRat; und ich brauche Sie, genauso wie den dienstbaren Her-zog, der mir weiterhin versichert, daß der Grandseigneurmich liebt. Ich erwarte Sie beide. Meine kleine Alexandrineumarmt Sie herzlichst: Ich hoffe, sie wird weiser und glück-licher sein als ihre Mutter. Seien Sie umarmt, mein lieberCousin; kommen Sie unbedingt.

Page 13: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Binet: Gérard, Erster Kammerdiener des Königs und Vetter von Jeanne-Antoinette d’Étiolles. – Dienstbarer Herzog: der Duc d’Ayen hatte vor,im März im Pariser Rathaus einen großen Ball zur Thron-folgerhochzeit zu veranstalten. – Alexandrine: Madame d’Étiolles hatte einen Sohn bekommen, der im selben Jahr starb; Alexandrine wardrei Jahre später zur Welt gekommen.

Der König war ein Kind der Trauer. In seinen frühen Lebens-jahren hatte eine Serie von ungeklärten Todesfällen Frank-reich heimgesucht.Innerhalb eines Monats waren im Jahr der Thronfolger,seine Frau und beider sechsjähriger Sohn gestorben, also Va-ter, Mutter und der ältere Bruder Ludwigs. Das zweijährigeKind war mit einem Mal die letzte Hoffnung des alten Son-nenkönigs auf den Fortbestand seiner Dynastie. Mit »Monpapa roi« redete das Waisenkind seinen Urgroßvater an.Ludwig XIV. starb .Der alte französische Ruf »Der König ist tot! Es lebe der Kö-nig!« ließ keinen Augenblick des Machtvakuums zu, dasstaatspolitisch Anarchie hätte bedeuten können. Dieser Rufforderte kontinuierlich einen Herrscher und damit Ord-nung. übernahm der Herzog von Orléans, der Neffe LudwigsXIV., die Vormundschaft für den neuen und erst jährigenKönig.Umsorgt von seinen Erziehern, Bediensteten und seinen Wa-chen wuchs Ludwig XV. in Paris, Saint-Germain und Vin-cennes auf. Seine Gouvernante war die freundlich-korrekteMadame de Ventadour. Nach den frühen Jahren unter derObhut dieser Frau wählte der Bischof von Fréjus als nächsterErzieher die Spielgefährten, Lehrer, den Beichtvater für denZögling aus und ließ vor dem Königskind auch die Ko-mödien Molières, die Tragödien Racines aufführen, damitder Knabe Geschmack, Stilempfinden entwickle und Frank-reichs Traditionen kennenlerne.Das höchste Kind Frankreichs erwies sich als aufnahmefähigund intelligent. Es blieb allerdings schweigsam. Für allespürbar fehlten Ludwig die Mutter und der Vater. Doch derZehnjährige beeindruckte durch seine königliche Schön-

Page 14: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

heit. Als Peter der Große Frankreich besuchte, wich der Zarkaum von der Seite des Knaben. Bei einer Audienz, die demtürkischen Gesandten Mehmet Effendi gewährt wurde, um-schlang dieser das Kind und erdrückte es beinahe vor hellerBegeisterung.Schon mit fünf Jahren mußte Ludwig mit auswendig gelern-ten Worten eine Sitzung des Parlaments eröffnen. Ab seinemachten Lebensjahr wurde er als Zuhörer zu den Sitzungendes Staatsrats geführt. Der Junge lernte den Verlust seinerEltern, die Anforderungen an seine kleine Person durchSelbstbeherrschung und dank der Liebe und Aufmerksam-keit seiner Erzieher allmählich auszugleichen.Mit dem größtmöglichen Prunk, tagelangen Festen für Tau-sende von Menschen wurde der Zwölfjährige in Reimsschließlich zum König von Frankreich und Navarra gekrönt.Er wurde mit einem heiligen Öl gesalbt, das wundersameTauben im . Jahrhundert vom Himmel selbst nach Frank-reich gebracht haben sollten. Der junge Monarch war einegeheiligte Person. An seinem Krönungstag trug Ludwig XV.purpurfarbene Gewänder. Sie symbolisierten, daß in seinenAdern das Blut seines Volks floß und sich in ihm vereinte.Nach altem Glauben, nach dem geltenden Staatsrecht, warer für die Menschen die personifizierte Nation: Der LeibFrankreichs.Noch vor seiner Salbung zum Allerchristlichsten König warLudwig verlobt worden. Die Braut des Elfjährigen war einespanische Infantin. Sie war drei Jahre alt. Die Erbfolge sollteso früh wie möglich geregelt sein. Weil es aber bis zur drin-gend erwünschten Nachkommenschaft doch noch zu langegedauert hätte, schickte man die Prinzessin bald wieder nachMadrid zurück. Die Spanier waren über diese Behandlungeiner königlichen Tochter ihres Landes empört.Die nächste Braut, die man für den jungen König aus einerListe von neunundneunzig heiratsfähigen Prinzessinnen her-aussuchte, war etwas älter. wurde der fünfzehnjährigeLudwig mit der Tochter des vertriebenen Königs von Polenvermählt, mit Maria Leszczynska. Ihr machtloser Vater, deram Rhein im Exil lebte, konnte sich nicht in die französischePolitik einmischen. Das war ein großer Vorteil. Seine Tochter

Page 15: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Maria war überdies fromm und durfte sich wegen ihres Auf-stiegs zur Königin von Frankreich glücklich schätzen.Ludwig XV. ging als träger und vergnügungssüchtiger Mannin die Geschichte ein, der in seinem berühmten ›Hirschpark‹Orgien veranstaltete und den Staat in den Ruin gleiten ließ.Nach seiner Herrschaft mußte unabwendbar die Große Re-volution hereinbrechen.Nichts stimmt so.Ludwig »sah ganz klar, wie jede seiner Gesten, das kleinsteWort von einer Menge von Intriganten in ihrem Sinne inter-pretiert und skrupellos ausgeschlachtet wurden, wie sie ihntäglich mit ihren Klagen, Forderungen, Umtrieben und Strei-tereien quälten. Der schon von Kindheit an zur Verschwie-genheit erzogene Monarch sah nur eine Möglichkeit, sichgegen all dies abzusichern: eine reservierte, rätselhafte, ver-schwiegene und immer geheimnisvolle und äußeren Ein-flüssen unzugänglich scheinende Haltung zu zeigen. Wieviele schüchterne Menschen scheute er sich, seine Gefühlezu offenbaren . . . dadurch entstand in der Öffentlichkeit derfalsche Eindruck, er interessiere sich nicht für die Angele-genheiten des Königreichs.« (Peter Claus Hartmann)Seine Frau Maria Leszczynska gebar Ludwig XV. bis zumJahr zehn Kinder. Nur einer der beiden Söhne über-lebte. Die acht Töchter – Mesdames de France, vor denenspäter Mozart spielen durfte – wurden der Einfachheit hal-ber durchnumeriert und hießen gemeinhin Madame Pre-mière, Madame Seconde . . . Madame Huitième. Die Liebezwischen den Töchtern und ihrem Vater blieb zeitlebens»groß und rührend«.Unter den Premierministern des jungen Königs, zuerst demKardinal Dubois, dann dem Kardinal Fleury prosperierteFrankreich. Das einzige Mal bis nach Napoleons Tod wies dasLand einen ausgeglichenen Staatshaushalt auf. Der schweig-same Ludwig XV., der sich – anders als sein Urgroßvater –nach viel privatem Leben sehnte, war ein Aktenarbeiter, derum sieben Uhr morgens am Schreibtisch saß. Und er war einattraktiver Mann, ausgestattet mit der Aura absoluterMacht, ein idealer, faszinierender homme à femmes.An Ludwigs vielen Jagden durch die Wälder um Versailles

Page 16: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

konnte seine Frau, bei zehn Schwangerschaften verständ-licherweise, selten teilnehmen. Verstört, ja gekränkt zog sichder König schließlich von Maria Leszczynska zurück, als ernach einer langen Abwesenheit erstmals wieder eine Nachtmit ihr verbringen wollte: Maria Leszczynska hatte sich ihmverweigert und in ihrer Überraschung nicht erklärt, daß dieÄrzte ihr »die Turbulenzen des Beischlafs« für einige Zeituntersagt hatten. Es kam nie wieder zu einem »Beischlaf«der Ehegatten. Die fromme Polin, mit ihrem persönlichenHofstaat von Personen, war treu, gutmütig, hatte jedochkeinerlei Talent zu Geselligkeit. Selbst manche ihrer Hofda-men schliefen bei ihr ein. Über die Jahre verbreitete diesesPhlegma Trostlosigkeit. Bald verbrachte die Königin vonFrankreich die meisten Abende bei ihrer Freundin, der Her-zogin von Luynes, welche sie »mein Huhn« nannte.Es war üblich, daß Fürsten Geliebte, Ratgeberinnen hatten,eine Art Nebenehe mit aufmunternden Frauen führten, dieallen übrigen Glanz durch ihre Schönheit und ihren Charmevermehrten. So fragte um auch ein Ratsherr in Gotha:»Taugt unser Herzog nichts, oder wieso hat er keine Maitres-se?«Die offizielle Geliebte des Königs, die maîtresse-en-titre, warin Frankreich unter dem Sonnenkönig zu einer festen Institu-tion geworden. Ohne Maitresse fehlte ein Juwel, ein Geheim-nis, ein schillernder Fixpunkt am Firmament des Staates.Ludwig XV. hatte früh Favoritinnen gehabt. Spontane Liebe,Gewinnsucht von Eltern, die für ihre Töchter eine Karriereplanten, Liebeskandidatinnen von Hofcliquen spielten beidiesen Affairen unterschiedliche Rollen.

Die eine fast vergessen, die andere fast schon Staub;Die dritte auf dem Sprunge; die vierte wartet auch,Um Platz der letzten dann zu machen.Eine ganze Familie sich auszuwählen,Heißt das denn untreu sein oder höchst beständig?

Das Chanson kursierte, als nacheinander die fünf Töchterdes Marschalls de Nesle Liebhaberinnen des ›VielgeliebtenLudwig‹ wurden. Alle fünf Nesle-Töchter waren verheiratet:

Page 17: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Madame de Mailly, Madame de Vintimille, Madame de laTournelle, Madame de Lauraguais und Madame de Flava-court. Sie drängten sich zu ihrem wichtigen Amt am Thronund im Bett. Madame de Vintimille aber starb schon mitneunundzwanzig Jahren. Der König zog sich, das einzige Malin seinem Leben, für Tage völlig aus der Öffentlichkeit zu-rück, um sie zu betrauern. Eine der Schwestern Nesle, Ma-dame de la Tournelle, erhob er zur Herzogin von Château-roux.Madame de Châteauroux glänzte für ein Jahr. Dann begingsie einen entscheidenden Fehler. Die schöne Geliebte beglei-tete allzu dreist, wie eine Herrscherin, den König an dieRheinfront. Hier kam es zu den berühmten ›Szenen vonMetz‹. In der lothringischen Stadt, wo ein eigens gebauterKorridor das Quartier des Königs mit der Unterkunft derMaitresse verband, erkrankte Ludwig plötzlich so schwer,daß die Ärzte den Vierunddreißigjährigen aufgaben.Auf seinem Krankenlager – unablässig von Geistlichen be-drängt – willigte Ludwig ein, im Falle seiner Genesung vorGott und der Welt öffentlich seine Sünden zu bereuen undjeder außerehelichen Beziehung für immer zu entsagen. Ma-dame de Châteauroux mußte aus Metz, wo die strenge Frak-tion der Geistlichkeit gesiegt hatte, vor einer möglichenVerfolgung Hals über Kopf fliehen. Sie starb ein Jahr später.Ludwig genas. Als tiefgläubiger Mensch faßte er ein sitten-strengeres Leben ins Auge. Vor allem jedoch schwor er sich,niemals wieder – gleich von wem – sich zu öffentlicher Reueerniedrigen zu lassen! Er verließ Metz noch verschlossener,schwermütiger, als er es zuvor gewesen war, mit bleibendemHaß auf die Menschen, die ihn quälten. In sich trug er wahr-scheinlich nun eine noch größere Sehnsucht nach Geborgen-heit, Lust nach Schönheit, nach Vornehmheit – und nachsorgenfreier Unterhaltung. Alles Ingredienzien des StilsLouis Quinze, der sich in vielerlei Beziehung entwickelte.Es geschah nicht Schlag auf Schlag. Ludwig hatte täglicheRatssitzungen zu absolvieren, Ordensverleihungen, Manu-fakturgründungen vorzunehmen. Dazu kamen Vorträge derMinister, Empfänge der Botschafter. Er war bei den Lagebe-sprechungen über Truppenbewegungen in Deutschland da-

Page 18: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

bei. Dort kämpfte Frankreich an der Seite Preußens gegendie Habsburger um den Besitz von Schlesien. Drei- bis vier-hundert Unterschriften leistete Ludwig täglich. Das könig-liche Arbeitspensum bedeutete, ein Land mit MillionenEinwohnern und Provinzparlamenten, mit Kolonien inIndien und Amerika, einen Hofstaat und ein Verwaltungs-zentrum, in dem Menschen beschäftigt waren, zu diri-gieren.

Madame,M. le Duc de Richelieu hat vom König den Befehl erhalten, Siezu benachrichtigen, daß am Mittwoch, dem . Februar um Uhr abends zu Versailles ein Ball stattfinden wird.Seine Majestät rechnet damit, daß Sie sich dazu einfinden. Dietanzenden Damen sind gehalten, en grandes boucles frisiertzu sein.

Madame d’Étiolles erhält dieses Schreiben am . Februar.»Wie dem auch sei, drei Herbste mit Jagden hatten ihr dienatürlichste Gelegenheit gegeben, vom Herrscher erblicktzu werden . . . Mit Hilfe ihrer Mutter brachten die BrüderPâris und Madame de Tencin sie auf ihre ›Umlaufbahn‹ . . .Der Karneval schien lebhafter als sonst zu werden, denn zu-fällig fiel er mit der Hochzeit des Thronfolgers mit derInfantin Marie-Thérèse-Raphaëlle zusammen, welche dieglückliche Allianz zwischen Frankreich und Spanien be-siegelte.« (Danielle Gallet)Nun geschieht es Schlag auf Schlag.Am . Februar findet ein berühmter Maskenball statt, derauf Stichen und in der Literatur verewigt und variiert wird.Jeanne-Antoinette d’Étiolles erscheint als Jagdgöttin Diana.Nach Mitternacht mischen sich der König und sieben Höf-linge – alle als Eiben, als geschnittene Parkbäume verkleidet –unter das halbe Tausend Gäste in den Sälen von Versailles. Aufirgendeine Weise kommt es hier zum ersten Gespräch zwi-schen Ludwig XV. und Jeanne-Antoinette d’Étiolles.Wenige Tage später veranstaltet die Stadt Paris ein Fest. Die

Page 19: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

neue Liebeskandidatin läßt auf dem Ball ihr Schnupftuch fal-len. Der König hebt es auf. Die Szene wird beobachtet, und dieBemerkung »Das Schnupftuch ist geworfen!« wird zu einemstehenden Begriff. Wahrscheinlich im Stadthaus des OnkelsTournehem verbringt das neue Liebespaar, der König und dieSteuerpächtersgattin, die erste gemeinsame Nacht.Jetzt entwickeln sich die Dinge noch schneller.Am . April nimmt Jeanne d’Étiolles das erste Mal mitdem König das Frühstück in Versailles ein.Am selben Tag wird ihr im Schloß die Wohnung der erstenmaîtresse-en-titre, Madame de Mailly, zugewiesen. DieseWohnung »umfaßte ein hübsches, aber sehr kleines Schlaf-zimmer mit nur einem Fenster und einem Bett in einerNische, einen Eckraum, wo der König früher Pläne ausgear-beitet hatte, schließlich einen Salon in einem Winkel desMarmorhofs.« (Danielle Gallet)Am . Mai ließ Jeanne-Antoinette d’Étiolles vor einem PariserGericht die Gütertrennung von ihrem Mann festlegen undforderte ihre Mitgift von Livres zurück. Als er hörte,was seine Frau von ihm wollte, »fiel Herr von Étiolles in Ohn-macht. Da man fürchten mußte, er werde sich ein Leid antun,brachte man alle vorhandenen Waffen außer Reichweite. Ersprach dann zuerst davon, daß er nach Versailles gehen undseine Frau aus den Armen des Königs reißen wolle. Endlichaber entschloß er sich, ihr durch Herrn von Tournehem einenflehentlichen Brief zu senden, den Madame d’Étiolles aberungerührt las und dem König weiterreichte.« Der betrogeneEhemann wurde in die Provinz verbannt »und gewöhnte sichan sein Schicksal«. (Herzog von Luynes)Es war nicht einfach, die neue Liebesverbindung öffentlich,das heißt gesellschaftsfähig zu machen.Ohne einen verbrieften, alten Adelstitel durfte die Tochtereines François Poisson bei Hofe niemandem vorgestellt wer-den, nicht öffentlich erscheinen. Doch es traf sich gut.Eine Françoise de Pompadour, die letzte Trägerin dieses al-ten Namens – den Madame d’Étiolles von seinem Klang herliebte – war gestorben. Ludwig XV. kaufte Land mitNamen und Wappen der Familie Pompadour und schenkte esder neuen Geliebten.

Page 20: Ichwerdeniemalsvergessen,...Louise de la Motte war Èeine VenusÇ. Die sch ne Zwanzig-j hrige lebte freiz gig. Zu ihren Liebhabern z hlten der Staatssekret r Le Blanc und sein Bruder,

Die Königin mußte erneut eine Nebenfrau hinnehmen undresignierte mit den Worten: »Wenn es denn eine sein muß,dann lieber diese als eine andere.«Die frischgebackene Madame de Pompadour, die vierund-zwanzigjährige Schönheit, die soeben ihren Ehemann verjagthatte, durfte sich am Hof jedoch noch nicht offiziell zeigen.Im fein abgestuften Ritual der alten Welt war dies nur mög-lich, wenn sie zuerst eine ›Patin‹ von königlichem Blut fand,damit diese sie auch der Königin offiziell vorstellte.Niemand erklärte sich bereit, für die ja vielleicht nur flüch-tige Leidenschaft des Königs und für eine Frau aus dem Bür-gertum einzustehen und vor die Königin und die Elite derNation hinzutreten, um Madame de Pompadour damit öf-fentlich zu präsentieren. Auf Befehl des Königs wurde nacheiner bereitwilligen Adeligen gefahndet. Schließlich spürteman aus höchster Familie die alte, bankrotte Princesse deConti auf. Die Greisin war für die Belohnung dankbar undwilligte ein, die unbekannte Favoritin hoffähig zu machen,indem sie sie offiziell vorstellte.Am . September standen sich Jeanne de Pompadourund die Königin Maria Leszczynska vor Hunderten von Zu-schauern gegenüber.Die Königin mußte stets als erste das Wort an Anwesenderichten, also auch an die Maitresse. Maria Leszczynska ent-täuschte die vielen Hoffnungen auf einen Skandal. Mit Mühebrachte sie eine Belanglosigkeit hervor: »Geben Sie mir dochNachricht von Madame de Saissac, ich habe sie gerne vonZeit zu Zeit in Paris gesehen.«Sichtlich unsicher antwortete die vierundzwanzigjährigePompadour: »Madame, ich habe den leidenschaftlichenWunsch, Ihnen zu gefallen.«Der Form war Genüge getan. Die Präsentation war, wie dasGespräch, beendet.Ohne sich in ihrer Schleppe zu verfangen – eine schwierigeÜbung –, trat Jeanne-Antoinette de Pompadour rückwärts indie Reihe der Zuschauer zurück. Sie war jetzt Teil des Hofesvon Frankreich.