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Baustatik und Stahlbau Stahlbau II Übung 5 1 1 TRAGSICHERHEITSNACHWEIS NACH THEORIE II. ORDNUNG Grundsätzlich sind Knicknachweise nach dem Ersatzstabverfahren oder nach Theorie II. Ordnung möglich. Bei verschieblichen Systemen, wie z.B. Rahmen, sind Nachweise nach Theorie II. Ordnung häufig vorzuziehen, da hier die Knicklängen der Stäbe nicht mehr auf einfache Weise berechenbar sind (siehe Stahlbau I-Übung 8: Knicklängen bei Rahmentragwerken). 1.1 BERECHNUNG VON TRAGWERKEN MIT DRUCK UND BIEGUNG NACH EC 3 Für die Berechnung von Tragwerken mit Druck und Biegung bietet der EC 3 drei Berechnungsverfahren: a) Berechnung nach Theorie II. Ordnung ohne Ersatzstabnachweise [nach DIN EN 1993-1-1, 5.2.2 (7)a]: Berechnung nach Theorie II. Ordnung mit vollständiger Berücksichtigung aller Imperfektionen. Also: - Systemschiefstellung (globale Systemimperfektion) - Stabvorkrümmung (Bauteilimperfektion) - Imperfektion für Biegedrillknicken (Bauteilimperfektion) Hinweis: Diese Methode ist vorteilhaft wenn Tragwerke aus Stahlhohlprofilen bestehen, bei denen kein Biegedrillknicken berücksichtigt werden muss. Bei Auftreten von Biegedrillknicken sind spezielle Rechenverfahren erforderlich, wie z.B. die Berechnung mit nichtlinearer Biegetorsionstheorie oder nichtlinearer FEM mit Elementen der Kontinuumsmechanik. b) Berechnung nach Theorie II. Ordnung mit Ersatzstabnachweisen [nach DIN EN 1993-1-1, 5.2.2 (7)b]: Berechnung nach Theorie II. Ordnung für ein ebenes Teiltragwerk (z.B. ein Rahmen einer Halle). Imperfektionen werden in der Berechnung des Gesamttragwerkes nicht vollständig berücksichtigt: - In der Tragwerksebene wird eine Systemschiefstellung (globale Systemimperfektionen) angesetzt. - Stabvorkrümmungen (Bauteilimperfektion) werden nicht berücksichtigt außer zur Bestimmung von Einspann- oder Eckmomenten wenn . Hierin wird mit der Annahme beidseitig gelenkiger Lagerung bestimmt [DIN EN 1993-1-1, 5.2.2 (6)]. Die Berechnung nach Th.II.O. liefert die Eingangswerte für nachfolgende Bauteilnachweise. Diese sind als Stabilitätsnachweise mit dem Ersatzstabverfahren zu führen. Hierbei ist für die Knicklänge des Stabes die Systemlänge zu verwenden (nach DIN EN 1993-1-1, 5.2.2 (7)b).

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Baustatik und Stahlbau Stahlbau II

Übung 5

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1 TRAGSICHERHEITSNACHWEIS NACH THEORIE II. ORDNUNG

Grundsätzlich sind Knicknachweise nach dem Ersatzstabverfahren oder nach Theorie II. Ordnung

möglich. Bei verschieblichen Systemen, wie z.B. Rahmen, sind Nachweise nach Theorie II. Ordnung

häufig vorzuziehen, da hier die Knicklängen der Stäbe nicht mehr auf einfache Weise berechenbar

sind (siehe Stahlbau I-Übung 8: Knicklängen bei Rahmentragwerken).

1.1 BERECHNUNG VON TRAGWERKEN MIT DRUCK UND BIEGUNG NACH EC 3

Für die Berechnung von Tragwerken mit Druck und Biegung bietet der EC 3 drei

Berechnungsverfahren:

a) Berechnung nach Theorie II. Ordnung ohne Ersatzstabnachweise [nach DIN EN 1993-1-1,

5.2.2 (7)a]:

Berechnung nach Theorie II. Ordnung mit vollständiger Berücksichtigung aller

Imperfektionen. Also:

- Systemschiefstellung (globale Systemimperfektion)

- Stabvorkrümmung (Bauteilimperfektion)

- Imperfektion für Biegedrillknicken (Bauteilimperfektion)

Hinweis: Diese Methode ist vorteilhaft wenn Tragwerke aus Stahlhohlprofilen bestehen,

bei denen kein Biegedrillknicken berücksichtigt werden muss. Bei Auftreten von

Biegedrillknicken sind spezielle Rechenverfahren erforderlich, wie z.B. die Berechnung mit

nichtlinearer Biegetorsionstheorie oder nichtlinearer FEM mit Elementen der

Kontinuumsmechanik.

b) Berechnung nach Theorie II. Ordnung mit Ersatzstabnachweisen [nach DIN EN 1993-1-1,

5.2.2 (7)b]:

Berechnung nach Theorie II. Ordnung für ein ebenes Teiltragwerk (z.B. ein Rahmen einer

Halle). Imperfektionen werden in der Berechnung des Gesamttragwerkes nicht vollständig

berücksichtigt:

- In der Tragwerksebene wird eine Systemschiefstellung (globale Systemimperfektionen)

angesetzt.

- Stabvorkrümmungen (Bauteilimperfektion) werden nicht berücksichtigt außer zur

Bestimmung von Einspann- oder Eckmomenten wenn √ . Hierin wird

mit der Annahme beidseitig gelenkiger Lagerung bestimmt [DIN EN 1993-1-1, 5.2.2

(6)].

Die Berechnung nach Th.II.O. liefert die Eingangswerte für nachfolgende Bauteilnachweise.

Diese sind als Stabilitätsnachweise mit dem Ersatzstabverfahren zu führen. Hierbei ist für

die Knicklänge des Stabes die Systemlänge zu verwenden (nach DIN EN 1993-1-1, 5.2.2

(7)b).

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Hinweis: Diese Methode ist für ebene Stabwerke mit torsionsweichen Stäben geeignet, bei

denen Biegedrillknicken eine Rolle spielt.

c) Berechnung nach Theorie I. Ordnung mit Ersatzstabnachweise [nach DIN EN 1993-1-1,

5.2.2 (7)c]:

Das Tragwerk wird nach Th.I.O. ohne Ansatz von Imperfektionen zu berechnet. Der

Nachweis erfolgt in beiden Tragwerksebenen mit Hilfe des Ersatzstabnachweises. Die

Knicklängen sind aus der Knickfigur des Gesamttragwerkes zu ermitteln.

Hinweis: Das Verfahren ist nur beschränkt anwendbar, da Knickfiguren aus

Gesamttragwerk nicht immer ohne weiteres zu ermitteln sind (siehe Stahlbau I-Übung 8)

und für den Biegedrillknicknachweis in jedem Fall Stabendmomente nach Th. II. O.

erforderlich sind. Damit empfiehlt es sich dieses Verfahren bei einfachen Systemen wie

Einzelstäben oder Durchlaufträgern anzuwenden.

Das Verfahren b) wird im nächsten Abschnitt weiterverfolgt.

1.2 BERECHNUNG NACH THEORIE II. ORDNUNG MIT ZUSÄTZLICHEN ERSATZSTABNACHWEISEN

1.2.1 VORGEHENSWEISE

1) Aufbringen einer Systemschiefstellung und umrechnen der Systemschiefstellung in eine

zugehörige Ersatzlast:

∑ .

Die Schiefstellung muss mit den geometrischen Randbedingungen nicht verträglich sein.

Das heißt sie kann für alle Stiele gleich angesetzt werden um die Ersatzlast zu berechnen.

2) Der Ansatz einer Stabvorkrümmung ist erforderlich wenn folgende beide Bedingungen

erfüllt sind:

und mind. ein Bauteilende ist eingespannt

Wenn beide Bedingungen erfüllt sind, erfolgt die Bestimmung der Stabvorkrümmung

und das Umrechnen der Stabvorkrümmung in eine zugehörige Ersatzlast:

.

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3) Bestimmung der Schnittgrößen nach Th.I.O. aus den Ersatzlasten und .

4) Aus den Schnittgrößen nach Th.I.O. wird die Verformung bestimmt.

5) Aufgrund der Verformung entstehen bei Druckstäben Zusatzmomente. Das

Zusatzmoment kann berechnet werden, indem in eine Abtriebskraft:

umgerechnet wird.

6) Die Abtriebskraft wird dann von außen auf das System angesetzt, woraus sich

wiederum berechnet.

7) Bestimmung des Momentes nach Theorie II. Ordnung. Aus folgt wiederum eine

Verformung . Hieraus ergibt sich dann und so weiter. Das Moment nach Theorie

II. Ordnung ergibt sich letztlich aus der Aufsummierung des Momentes nach Theorie I.

Ordnung und den Zusatzmomenten: Die Iteration

wird abgebrochen, wenn die Änderung von sehr gering ist.

8) Mit wird der Spannungsnachweis nach dem Verfahren elastisch-elastisch oder

elastisch-plastisch geführt [Querschnittsnachweis an Bauteilenden ist immer zu führen DIN

EN 1993-1-1/6.3.3 (2)].

9) Im Nachlauf werden mit den Stabendschnittgrößen nach Th.II.O. Ersatzstabnachweise für

die Bauteile (Stützen) geführt. Die nicht angesetzten Bauteilimperfektionen werden über

die Ersatzstabnachweise berücksichtigt. Das globale Systemverhalten wurde mit der

Berechnung nach Th.II.O. bereits erfasst. Deshalb darf als Knicklänge die Stablänge

angesetzt werden [nach DIN EN 1993-1-1, 5.2.2 (7)b].

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1.2.2 BEISPIEL: EINGESPANNTE STÜTZE MIT ANGEHÄNGTER PENDELSTÜTZE

Berechnung anhand der angegebenen Vorgehensweise aus Abschnitt 1.2.1:

1) Systemschiefstellung

Die Ersatzlast ergibt sich zu ∑

2) Stabvorkrümmung: als vernachlässigbar angenommen

3) Schnittgrößen nach Th.I.O.:

4) Verformung aus Schnittgrößen nach Th.I.O.:

5) Abtriebskraft: ∑

6) Zusatzmoment:

7) Weiter wie unter Abschnitt 1.2.1 beschrieben…

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Übung 5

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2 ÜBERSICHT ZU STABILITÄTSNACHWEISEN VON I-PROFILEN

Nachfolgend werden die gängigsten Interaktionsformeln des Ersatzstabnachweises angegeben. In

der Regel tritt bei einachsiger Biegung das Moment um die starke Achse ( ) auf, da dies die

effektivste Variante ist den Träger auszunutzen. Hinweise zu nachfolgend angegebenen Verfahren:

- Die tief gestellten Indizes y und z bedeuten immer senkrecht zur y- oder z-Richtung.

- Die Formeln gelten für Querschnittsklasse 1,2 und 3.

- Die Nachweise für Biegedrillknicken erfolgen nach DIN EN 1993-1-1/6.3, für Stäbe mit I-

förmigen Querschnitten. Stabendmomente müssen hierbei nach Theorie II. Ordnung

ermittelt werden, wenn dies für das System zutreffend ist (wie z.B. in dieser Übung).

2.1.1 STÄBE MIT ZENTRISCHEM DRUCK

- Biegeknicken nachweisen:

mit (min. ).

- Bei offenen Profilen (i.d.R. nur L, T und U-Profile im gedrungenen Bereich) kann der

Biegedrillknicknachweis auch bei zentrischer Belastung maßgebend sein. Der

Biegedrillknicknachweis wird dann formal wie der Biegeknicknachweis geführt. Anstatt des

bezogenen Schlankheitsgrades wird jedoch die Vergleichsschlankheitsgrad verwendet.

2.1.2 STÄBE MIT EINACHSIGER BIEGUNG

- Biegeknicken entfällt. Biegedrillknicken nachweisen:

2.1.3 STÄBE MIT EINACHSIGER BIEGUNG UND NORMALKRAFT (FÜR VERDREHWEICHE STÄBE)

- Biegeknicken + Biegedrillknicken mit Hilfe der Interaktionsformeln nach EC3:

2.1.4 ZWEIACHSIGE BIEGUNG MIT NORMALKRAFT (FÜR VERDREHWEICHE STÄBE)

- Biegeknicken + Biegedrillknicken mit Hilfe der Interaktionsformeln nach EC3:

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Übung 5

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3 AUFGABE

1. Führen Sie für den unten dargestellten Rahmen den Spannungsnachweis unter

Berücksichtigung der Schnittgrößen nach Theorie II. Ordnung.

2. Führen Sie den Biegedrillknicknachweis (Die Formeln und Tabellen hierfür finden sich in

den meisten Tabellenwerken). Der Riegel des Rahmens ist senkrecht zur gezeichneten

Ebene in den Eckpunkten gelenkig gelagert (zur Bestimmung der Knicklänge).

System:

3.1 ZUSAMMENSTELLUNG DER ITERATIONEN

3.1.1 OHNE BERÜCKSICHTIGUNG VON IMPERFEKTIONEN

MI = 45,000 kNm → w = 7,130 cm

M = 12,833 kNm → w = 2,033 cm

M = 3,660 kNm → w = 0,580 cm

M = 1,044 kNm → w = 0,165 cm

M = 0,298 kNm → w = 0,047 cm

M = 0,085 kNm → w = 0,013 cm

M = 0,024 kNm → w = 0,004 cm

M = 0,007 kNm → w = 0,001 cm

M = 0,002 kNm → w = 0,000 cm

M = 0,001 kNm → w = 0,000 cm

M = 0,000 kNm → w = 0,000 cm

MII == 62,953 kNm w

II = = 9,974 cm

Vergleich mit den Ergebnissen aus dem Stabwerksprogramm RSTAB:

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MII = 63,55 kNm wII = 10,39 cm

Die Unterschiede resultieren daraus, dass Normalkräfte programmintern mit angepasst werden.

Dies wird beim Näherungsverfahren nicht berücksichtigt.

3.1.2 MIT BERÜCKSICHTIGUNG VON IMPERFEKTIONEN

MI =

48,834 kNm → w = 7,737 cm

M = 13,927

kNm → w = 2,207 cm

M = 3,972

kNm → w = 0,629 cm

M = 1,133

kNm → w = 0,179 cm

M = 0,323

kNm → w = 0,051 cm

M = 0,092

kNm → w = 0,015 cm

M = 0,026

kNm → w = 0,004 cm

M = 0,007

kNm → w = 0,001 cm

M = 0,002

kNm → w = 0,000 cm

M = 0,001

kNm → w = 0,000 cm

MII == 68,317 kNm w

II = = 10,824 cm

Vergleich mit den Ergebnissen aus dem Stabwerksprogramm RStab:

MII = 68,97 kNm wII = 11,27 cm

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3.2 LÖSUNG DES ERSATZSTABNACHWEISES MIT BIEGEDRILLKNICKEN

3.2.1 VORAUSSETZUNGEN

Der Nachweis erfolgt nach den Tabellen des Eurocode 3. Die Tabellen finden unter anderem auch

in den Schneider Bautabellen.

Annahme: Gabellagerung an den Stabenden. Daraus folgt die Kipplänge für das Biegedrillknicken.

Der rechte Stiel ist maßgebend für den Nachweis.

Die Knicklänge entspricht der Systemlänge des Stiels, da die globalen Systemimperfektionen

bereits enthalten sind (siehe Abschnitt 1.1 Nachweisverfahren b).

3.2.2 RECHENGANG FÜR ERSATZSTABNACHWEIS MIT BIEGEDRILLKNICKEN

Die Abminderungsbeiwerte für Knicken und Biegedrillknicken und die Interaktionsbeiwerte

müssen zuerst berechnet werden. Mit diesen Beiwerten können dann die Interaktionsformeln

nach EC 3 angewendet werden.

Ermittlung des Abminderungsbeiwertes

für Biegedrillknicken

Verzweigungslast :

Drehradius :

Ideales Biegedrillknickmoment :

Mit:

(wobei dem Verhältnis der

Stabendmomente entspricht)

(Abstand des Lastangriffspunktes der Querbelastung vom Schwerpunkt des

Trägerquerschnittes. ist Null da eine reine Belastung durch Stabendmomente

vorliegt)

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Bezogene Biegedrillknickschlankheit :

Ablesen des Abminderungsbeiwertes für Biegedrillknicken aus Tafel:

Gewalztes I-Profil mit

Zur Berücksichtigung der Momentenverteilung zwischen den Gabellagern darf weiter

abgemindert werden zu :

( )

Abgelesener Korrekturbeiwert:

Damit ist:

Und:

Ermittlung des Abminderungsbeiwertes

für Knicken senkrecht zur y-Achse:

Bezogene Schlankheit :

Ablesen des Abminderungsbeiwertes aus Tafel:

Gewalztes I-Profil mit

Ermittlung des Abminderungsbeiwertes für Knicken senkrecht zur z-Achse:

Bezogene Schlankheit :

Ablesen des Abminderungsbeiwertes aus Tafel:

Gewalztes I-Profil mit

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Ermittlung der Interaktionsbeiwerte und für Interaktion zwischen Biegung und Druck:

Anmerkung: Da die Stiele des Rahmens nicht gegen Verdrehen gesichert sind, also

Biegedrillknicken auftritt, ist im Gegensatz zu Stahlbau I/Übung 8 nun auch der

Interaktionsbeiwert zu ermitteln.

Äquivalenter Momentenbeiwerte nach Tabelle:

Hinweis: für gilt der Momentenverlauf

Interaktionsbeiwerte nach Tabelle:

[ ( )

] [

]

[

]

Interaktionsnachweis: