II. Spätantikes Kirchenrecht in Rätien

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II. Spätantikes Kirchenrecht in Rätien Zur Verwandtschaft von Tuberiensis und Weingartensis als Tradenten des ältesten lateinischen Corpus canonum Von Hubert Mordek Die Erforschung frühmittelalterlicher Fragmente gewinnt zunehmend an Gewicht. Haben wir Glück und bieten die Bruchstücke einen ausreichend signifikanten Text, so läßt sich mit ihrer Hilfe oft Wesentliches rekonstruieren und damit auch auf diesem Wege ein Urteil abgeben über die historische Bedeutung des einstigen Ganzen. Daß bei dem ans Visionäre grenzenden Verfahren nicht vorsichtig genug zu Werke gegangen werden kann, zeigt einmal mehr die Geschichte jener Münchener Doppelblätter und Fälze, die gegen Ende des Mittelalters in Taufers (Vintschgau) aus einer alten rätischen Kirchenrechtshandschrift zu Einbandmakulatur verarbeitet wurden 1 ). ') CLM 29550/1 konstituiert sich aus insgesamt acht fragmentarisch erhaltenen Doppelblättern: vier früher unter der Signatur CLM 29168 a aufbewahrte zeigen je ein in bezug auf den Text vollständiges und je ein am Außenrand samt Text um einige Zentimeter beschnittenes Blatt, das fünfte ist stärker lädiert (ein Blatt gar zu einem kleinen Rest verstümmelt) und die drei übrigen Doppelfolien setzen sich bruchstück- haft aus 20 schmalen, im Horizontalschnitt gewonnenen Fälzen zusammen — sech- zehn voll und vier nur mit Buchstabenresten beschriebenen ( 7 + l ; 3 + l;6 + 2); fehlende Fälze sind heute durch leere Papierimitate ersetzt, so daß wieder der Eindruck von Doppelblättern entsteht. Alte Maße etwa: 200 χ 130 mm (160 χ 110 mm), 20-25 Zeilen. — Alle Fragmente fanden sich im Einband des CLM 21053 (siehe auch unten Anm. 4), eines aus dem Kloster Thierhaupten/Diözese Augsburg stammenden Brought to you by | provisional account Unauthenticated | 137.120.4.50 Download Date | 6/20/14 7:26 AM

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I I .

Spätantikes Kirchenrecht in Rätien

Zur Verwandtschaft von Tuberiensis und Weingartensis als Tradenten des ältesten lateinischen Corpus canonum

V o n

Hubert Mordek

Die Erforschung frühmittelalterlicher Fragmente gewinnt zunehmend an Gewicht. Haben wir Glück und bieten die Bruchstücke einen ausreichend signifikanten Text, so läßt sich mit ihrer Hilfe oft Wesentliches rekonstruieren und damit auch auf diesem Wege ein Urteil abgeben über die historische Bedeutung des einstigen Ganzen.

Daß bei dem ans Visionäre grenzenden Verfahren nicht vorsichtig genug zu Werke gegangen werden kann, zeigt einmal mehr die Geschichte jener Münchener Doppelblätter und Fälze, die gegen Ende des Mittelalters in Taufers (Vintschgau) aus einer alten rätischen Kirchenrechtshandschrift zu Einbandmakulatur verarbeitet wurden1).

' ) C L M 29550/1 konstituiert sich aus insgesamt acht fragmentarisch erhaltenen Doppelblättern: vier früher unter der Signatur C L M 29168 a aufbewahrte zeigen j e ein in bezug auf den Text vollständiges und j e ein am Außenrand samt Text um einige Zentimeter beschnittenes Blatt, das fünfte ist stärker lädiert (ein Blatt gar zu einem kleinen Rest verstümmelt) und die drei übrigen Doppelfolien setzen sich bruchstück-haft aus 20 schmalen, im Horizontalschnitt gewonnenen Fälzen zusammen — sech-zehn voll und vier nur mit Buchstabenresten beschriebenen ( 7 + l ; 3 + l ; 6 + 2); fehlende Fälze sind heute durch leere Papierimitate ersetzt, so daß wieder der Eindruck von Doppelblättern entsteht. Alte Maße etwa: 200 χ 130 mm (160 χ 110 mm), 2 0 - 2 5 Zeilen. — Alle Fragmente fanden sich im Einband des C L M 2 1 0 5 3 (siehe auch unten Anm. 4), eines aus dem Kloster Thierhaupten/Diözese Augsburg stammenden

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Kirchenrecht in Rätien 17

Die Paläographie erkannte rasch ihre Bedeutung. Geschrieben wohl im späteren 8. Jahrhundert, darf CLM 29550/1 als „wahrscheinlich das älteste Schriftdenkmal" des zwischen 780 und 786 gegründeten Benediktinerklo-sters Tuberis (später rätoromanisch Müstair) gelten2). Hier, im kulturell äußerst fruchtbaren Grenzland zwischen Rätien, Bayern und Italien, haben neben den weltberühmten karolingischen Bauten und Fresken wohl nur wenige Handschriften überlebt3).

Schwieriger als die codicologische Bestimmung der Fragmente gestaltete sich die Klärung des Inhalts und seiner Provenienz. Immerhin wies bereits ein erster Orientierungsversuch, den ich 1975 anhand eines Teils des heute

theologisch-kanonistischen Sammelwerks (vgl. Catalogue codicum latinorum biblio-thecae regiae Monacensis II, 3 = Catalogus codicum manu scriptorum bibliothecae regiae Monacensis IV, 3, 1878, S. 291), dessen Niederschrift Jakob Kröpfl von München, Priester der Diözese Freising und Vikar zu Taufers jenseits des,Kahlkopfs', am Vorabend des 2. Februar 1437 beendet hatte (fol. 209vb: Anno domìni 1437 in vigilia purißcationis beate Marie virginis Jacobus Kröpß de Monaco presbiter Frisingensis diócesis nec non vicarius in Tuffers ultra Calvenam complevit scripta). — Der Text der Fragmente hat besonders da gelitten, wo sie untereinander bzw. mit ihrem Untergrund verleimt waren. Von einem Leimabdruck auf dem Innenholzdeckel, der heute in CLM 21053 wieder zugeklebt und daher nicht mehr sichtbar ist, existiert ein in den Codex eingelegtes Foto. Andere Abdrücke haben sich auf den Fragmenten selbst erhalten und erschweren dort die Lesung des laufenden Textes.

2) B e r n h a r d B i s c h o f f , Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit 1 : Die bayrischen Diözesen, 31974, S. 52; Datierung „aus der zweiten Hälfte des VIII. Jhs." ebd. S. 51, vgl. auch Codices latini antiquiores (künftig abgekürzt CLA), hg. von E l i a s A very L o w e , 9 (1959) Nr. 1341 (S. 30); B e r n h a r d Bisch o f f , Panorama der Handschriftenüberlieferung aus der Zeit Karls des Großen, in: Karl der Große, Lebenswerk und Nachleben, hg. von Wolfgang Braunfels, 2: Das geistige Leben, hg. von Bernhard Bischoff, 1965, S. 245 Anm. 87, wiederabgedruckt in : Ders. , Mittelalterliche Studien 3,1981, S. 23 Anm. 87. Nach dem von S c h i e f f e r (wie unten Anm. 6) S. 165 mit Anm. 7 mitgeteilten Urteil schränkt Bischoff die Datierung der Fragmente nun auf saec. VIII3/3 ein. Für das „1. Drittel des 9. Jhs." und damit für eine zu späte Entstehung plädiert A l b e r t B r u c k n e r , zitiert bei I s o M ü l l e r , Karl der Große und Müstair, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 26 (1976) S. 278 Anm. 29.

3) Sichere Lokalisierung der Handschriften im rätischen Schriftstil ist bisher wohl nur für Chur möglich, vgl. B i s c h o f f , Panorama (wie Anm. 2) S. 244f. bzw. 22f. und zuletzt U r s u s B r u n o l d , Neu entdeckte Handschriftenfragmente in rätischer Minuskel, in: Churrätisches und st. gallisches Mittelalter, Festschrift für Otto P. Clavadetscher, hg. von Helmut Maurer, 1984, S. 7 — 21, hier S. 7 (mit Literatur). Zur rätischen Buchornamentik jetzt A n t o n von E u w , Liber Viventium Fabariensis: Das karolingische Memorialbuch von Pfafers in seiner liturgie- und kunstgeschicht-lichen Bedeutung, 1989, besonders S. 84 ff.

2 Zeitschrift für Rechtsgeschichte. CX. Kan. Abt. Brought to you by | provisional accountUnauthenticated | 137.120.4.50

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18 Hubert Mordek

Erhaltenen vorgelegt habe, mit der Aussage , „die noch sichtbare Version des

N i c a e n u m steh(e) der Interpr. Isid. nahe (Col lect io Frisingensis prima oder

verwandte Sammlung?)" 4 ) , auf die richtige Quelle, auf das älteste lateinische

Corpus canonum 5 ) , so d a ß nicht recht verständlich ist, wie R u d o l f

S c h i e f f e r bei seiner verdienstvoll breiten Rekonstrukt ion der S a m m l u n g

fünf Jahre später im Obertext bemerken konnte , „ m a n (habe) sich bisher

k a u m bemüht , den Inhalt der ehrwürdigen Fragmente über eine b loße

Charakterisierung als ,Kanonessammlung' hinaus zu bestimmen" 6) . D a s

Wörtchen „kaum" bedeutet hier die für jeden Kenner eindeutige Verifizie-

rung der Version und damit zugleich der Herkunf t der Fragmente aus einer

ganz best immten Gruppe verwandter Sammlungen 7 ) .

A u c h nach Schieffer ist das neue Werk aus einer Vorstufe der oben

erwähnten S a m m l u n g der Handschri f t v o n Freising (Col lect io Frisingensis

[prima])8) kompil iert; Zeugnis v o n einer zweiten Vorlage gebe aber — so

4) H u b e r t M o r d e k , Kirchenrecht und Reform im Frankenreich: Die Collectio Vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien, 1975, S. 251. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nur die vier fragmentarischen Doppelblätter des damaligen C L M 29168a einsehen; die für eine genauere Rekon-struktion der Sammlung hilfreichen weiteren Teile wurden erst 1978 aus C L M 21053 gelöst (ein arg beschädigtes Doppelblatt aus dem Rückeinband und zahlreiche Fälze aus dem Blockrücken; siehe oben Anm. 1).

s) Dazu jüngst H u b e r t M o r d e k , Karthago oder Rom? Zu den Anfangen der kirchlichen Rechtsquellen im Abendland, in: Studia in honorem Em.mi Card. Alphonsi M. Stickler, 1992, S. 3 5 9 - 3 7 4 .

6) R u d o l f S c h i e f f e r , Spätantikes Kirchenrecht in einer rätischen Sammlung des 8. Jahrhunderts, Z R G Kan. Abt. 66 (1980) S. 1 6 4 - 1 9 1 , hier S. 165f. (danach im folgenden Lagen- und Blattzählung des C L M 29550/1).

7) S c h i e f f e r relativiert seine zuvor zitierte Aussage selbst, wenn er meinen Hinweis in den Anmerkungen — freilich auseinandergerissen an zwei voneinander entfernten Orten (Anm. 11 und 58) — zitiert. Über die Analysen Mordeks und Schieffers zusammenfassend H a r a l d S i e m s , Zu Problemen der Bewertung frühmittelalter-licher Rechtstexte, Z R G Germ. Abt. 106 (1989) S. 294 mit Anm. 20.

8) Erhalten in CLM 6243, der Ende des 8. Jahrhunderts in Alamannien (Raum Konstanz?) geschrieben wurde und spätestens um 800 nach Freising kam, vgl. CLA 9 (1959) Nr. 1255, S. 8 und 62; CLA Suppl. (1971) S. 63; B i s c h o f f , Schreibschulen (wie Anm. 2) S. 86 ff. Zur Frisingensis ist die verwandte, gleichfalls auf das alte Corpus canonum zurückgehende Collectio Wirceburgensis zu stellen (Cod. Würzburg, Universitätsbibliothek, M. p. th. f. 146, saec. IX'/î , mainfränkisch; vgl. B e r n h a r d B i s c h o f f / J o s e f H o f m a n n , Libri Sancti Kyliani: Die Würzburger Schreibschule und die Dombibliothek im VIII. und IX. Jahrhundert , 1962, S. 50 und 111 f.). Beide Sammlungen figurieren in der Literatur auch unter dem Oberbegriff Collectio Maassen(iana).

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Kirchenrecht in Rätien 19

seine weitergehende Behauptung — die Sammlung der Handschrift von Saint-Maur9). D a letztere aus Gallien stammt, kam Schieffer zu dem Schluß, die mit der Collectio von Saint-Maur gemeinsamen Bestandteile „dürften . . . irgendwann im 6. Jahrhundert und tatsächlich am ehesten auf dem Boden Galliens eingeschaltet worden sein". Die Collectio Tuberiensis hätte dem-nach „bereits eine jahrhundertelange Entwicklung und einen Weg von Afrika über Italien nach Gallien hinter sich (gehabt), als sie in einem bestimmten geschichtlichen Augenblick geeignet erschien, bei der kirchlichen Integration Rätiens in das Reich Karls des Großen mitzuhelfen"10).

U m sofort auf den Punkt zu kommen: Es ist unnötig, die werdende Collectio Tuberiensis zur Tochter der Collectio Sancti Mauri zu erklären und so auf die weite Reise nach Gallien zu schicken11). Nicht die ferne gallische

9) Ihr wichtigster Vertreter ist Cod. Den Haag, Museum Meermanno-Westreenia-num, 10 Β 4, saec. VIII2, nach B i s c h o f f , Panorama (wie Anm.2)S. 241 Anm. 57 bzw. S. 18 Anm. 57 von S. 17 eventuell aus Bourges, während L o w e , CLA 10 (1963) Nr. 1572 a, S. 39 die Schrift ins Nordfranzösische setzt. Von der Den Haager Handschrift hängt die übrige erhaltene Tradition ab: Cod. Par. Lat. 1451 (auf diesen früher Saint-Maurer Codex führt sich der Name der Sammlung zurück) und Cod. Vat. Reg. Lat. 1127, vgl. dazu und zum verlorenen Exemplar von Laon J o h n J. C o n t r e n i , Two descriptions of the lost Laon copy of the 'Collection of Saint-Maur', BMCL N. S. 10 (1980) S. 4 5 - 5 1 ; auch M o r d e k (wie Anm. 4) S. 55f. Anm. 81 mit dem Hinweis auf weitere Teilkopien.

10) S c h i e f f e r (wie Anm. 6) S. 188 f. Die von mir eingeführte Bezeichnung »Collectio Tuberiensis« richtet sich nach dem alten Namen des Klosters und dem spätmittelalter-lichen, Anm. 1 zitierten Provenienzvermerk ; zu Onomastik und Topographie Müstairs und des heutigen Taufers: I s o M ü l l e r , Geschichte des Klosters Müstair. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1978, S. 9 ff.

") Ungeachtet der folgenden Beweisführung sei schon hier festgehalten, daß die gallischen Synoden, die in der Collectio Sancti Mauri hinter den griechischen, afrikanischen und römischen Konzilstexten eingestreut sind, in der Collectio Tuberien-sis nicht wiederkehren. Unter den Kanones v o r dem Kapitelverzeichnis der Tuberien-sis (Cánones apostolorum c. 25 [Dion.], Statuta ecclesiae antiqua cc. 40, 73 — 75, Concilium Agatense c. 5, Concilium Aurelianense I cc. 30, 19, 24—27, Synodus Romana [a. 595] c. 5, zum Teil überarbeitet, verkürzt oder fragmentarisch) tauchen zwar einige gallische auf; diese systematischen Exzerpte gehören aber nicht zur historisch geordneten Sammlung, und der Nachweis ihrer Herkunft aus der Collectio Sancti Mauri wäre noch zu führen. Sie wurden unabhängig vom Hauptwerk zusammengestellt, irgendwann zwischen 595 (Datum des jüngsten erhaltenen Kanons) und dem endenden 8. Jahrhundert (Niederschrift der Fragmente) — wo, muß völlig offenbleiben. Denn Material gallischer Provenienz war weit über seine Heimat hinaus im Abendland verbreitet. So begegnete z. B. im Rätien des 8. Jahrhunderts die typisch gallische Collectio Vetus Gallica, siehe unten bei Anm. 61.

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20 Hubert Mordek

S a m m l u n g der H a n d s c h r i f t von S a i n t - M a u r steht den rä t i schen F r a g m e n t e n a m nächs ten . Sie zeigen vie lmehr engste Verwand t scha f t mi t der d a m a l s e twa gleichzeitig in Rä t i en wi rkenden Collect io Weingartensis1 2) , einer in den U r s p r ü n g e n woh l römischen , jedenfa l l s i tal ischen, F re i s ing-Würzburge r wie St. M a u r e r E lemente vere inenden Kompi la t ion 1 3 ) . Beide S a m m l u n g e n über-liefern, soweit sie uns e rha l ten sind, die gleichen Texte. M e h r noch : M i t Hi l fe der Weingar tener S a m m l u n g läßt sich der A u f b a u der Collect io Tuberiensis entschieden zuverlässiger rekons t ru ie ren , als es a n h a n d der bis lang herange-zogenen s ekundä ren Verwandten mögl ich w a r (synopt ische Übers i ch t im Anhang) 1 4 ) .

D a s beginnt schon bei der nu r diesen beiden S a m m l u n g e n eigenen Cap i tu l a t io zu den n ikänischen Kanones . Gel ingt es d o c h n u n , Text lücken der f r agmen ta r i s chen Tuberiensis (Tb) n a c h der Weingar tener Vollform (Wg) sicherer zu schließen1 5):

12) Cod. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB. VI. 113 (aus Weingar-ten), saec. VIII ex., wahrscheinlich Chur, schriftverwandt mit der weltlichen Rechts-handschrift St. Gallen, Stiftsbibliothek, 722 (Lex Romana Curiensis und Capitula Remedii); vgl. CLA 9 (1959) Nr. 1360(S. 35), B i s c h o ff, Panorama (wie Anm. 2) S. 245 Anm. 86 bzw. S. 23 Anm. 86, M o r d e k (wie Anm. 4) S. 294. Die historisch geordnete Sammlung füllt den ersten Teil von Cod. Stuttgart HB. VI. 113 (foil. 1 - 8 9 , 9 7 - 9 8 , 90-91) .

13) Die Collectio Weingartensis wurde erstmals vorgestellt von J o h a n n F r i e d -r i c h v o n S c h u l t e , Vier Weingartner jetzt Stuttgarter Handschriften, Sitzungsbe-richte der philos.-hist. Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 117, 11. Abh., Wien 1889, S. 1 ff. mit Abb. nach S. 30; dort S. 3 bereits Hinweise auf Bezüge zur Collectio Sancti Mauri (Cod. Par. Lat. 1451), S. 5 zur Frisingensis und Wirceburgensis; vgl. auch H u b e r t W u r m , Studien und Texte zur Dekretalensammlung des Dionysius Exiguus, 1939, S. 99. In der mustergültigen Konzilienedition C u t h b e r t H a m i l t o n T u r n e r s fehlt die Weingartener Überlieferung, da Turner erst kurz vor seinem Tode auf den Schulteschen Beitrag aufmerksam wurde; vgl. Turner, Ecclesiae Occidentalis Monumenta Iuris Antiquissima I, 2, 3,1930, S. Xf.; die eingehende, ansonsten breites Vergleichsmaterial heranziehende Weingartensis-Studie von J o s e p h Van d e r S p e e t e n , Quelques remarques sur la collection canonique de Weingarten, Sacris erudiri 29 (1986) S. 25 —118 weiß nichts von der Tuberiensis; unbefriedigend auch das von Van der Speeten gewählte Verfahren der eklektischen Transkription statt einer vollständigen Wiedergabe der Weingartensis oder wenigstens ihrer Incipits und Explicits.

14) Mit der Weingartensis als zweiter erhaltener Tradition relativieren sich auch die Bemerkungen S c h i e f f e r s über Unikate der Collectio Tuberiensis bzw. Sancti Mauri (S. 169, 175, 180).

15) Eine genaue Prüfung des Münchener Originals brachte zudem weitere Klarheit bei der Lesung schwieriger Stellen.

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Kirchenrecht in Rätien 21

Tb16)

IÑC Τ ITULACIONIS

CANONUM NICENI.

I

II

III

Wgl7) _ IN CIP CAPITOLACI

CAN NICENI.

IUI

DE EUNUCIS.

DE NEOFITIS.

NULLUM CLERICUM

HABE(RE) S EC UM

EXTRANEÄ MULIE(REM).

SINE EPO TRES NON

LIC(EAT) ORDINARE(davor in Minuskel nachgetragen: epm).

DE HIS QUI EXCOMMU-

NI(CAN)TUR AB ALIIS

NON RECIP(I).

DE EPÏS M ETROPO LIT A {ΝIS).

ILLO ORDINARE EPM IN

QU(0 Ρ LU) RES FUE-

RINT SA CERDO T(ES>. _

DE HIERO SOL Y MIT ANO (EPO).

DE HIS QUI SE IPSO S

IUSTI(FICANT) QUO-

MODO SUSCIPIANTUR.

IN UNA CIU IT ATE NON DE-

(BE)RE DUOS ESSE EPOS.

DE PRES BETE RIS QUI

CONS(E)CRATI SUNT.

DE LABSIS.

De his qui preuaricati sunt.

De his qui recideru(nt ex)

corpore.

De catecumenis.

Propter multas pturbationis uel eps

pEr diacunus non debet de sua

ecclesia ad alia transiré.

Si quis in respectu agentes et

timorem.

(X) VIII Nullum clericum accipere

usuram.

(X) Villi Diacono non communicare

stantae pbrô ad altâ.

(X)X De paulianistas.

VI

VII

VIII

vim

χ

XI

XII

XIII

XIIII

XV

(X)VI

(X)VII

I

II

III

IUI

VI

VII

Vili

vim

De eunuchis.

De neophitis.

Nullum clericum

habere secum

extraneam mulierem.

Sine epls tres ñ

liceat epm ordinare.

De his qui excommunicantur

ab aliis ñ recipi.

De e pis metropolitanis.

Ilio ordinare epm in quo plu-

res fuerint sacerdotes.

De hierusolimitano epö.

De his qui se ipsos iustificant

quomodo suscipiantur.

X In una ciuitä ñ debere II epos

esse.

XI De pbrls qui consecrad sunt.

XII De lapsis.

XIII De his qui puaricati sunt.

XIIII De his qui reciderunt ex cor-

pore.

XV De caticuminis.

XVI Propt multas pturbationes /

eps pBr diaconus ñ debet de

sua eccl ad[a] alia transí.

XVII Si q in respectu agentes et

timorem.

XVIII Nullum clericum accipere

usuram.

XVIIII Diacoñ ñ communicä stante

pbrô ad altare.

XX De paulianistas.

1δ) Lage A fol. 3r_v. Die schon vor c. X I I I der Capitulatio partiell auftauchenden Minuskelformen des Monacensis sind im Druck nicht als solche wiedergegeben, wie umgekehrt die wenigen nach c. XI I noch vorkommenden Majuskeln, abgesehen von den Versalien der Rubrikenanfange, zu Minuskeln transponiert wurden.

17) Fol. Γ. Die m- und ur-Haken der Handschrift wurden aufgelöst.

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22 Hubert Mordek

Gemeinsame Textvarianten von Tb und Wg gegen die Freising-Würzburger (Fr) und St. Maurer (SM) Sammlung belegen des weiteren den nahen Zusam-menhang18). Identisch oder doch sehr ähnlich zeigen sich auch die Überschrift zum Glaubensbekenntnis19), das Symbolum selbst20), die Unterschriften21)

1S) Fr und SM sind konsultiert nach CLM 6243 bzw. Cod. Den Haag 10 Β 4 (siehe oben Anm. 8 bzw. 9). T u r n e r s fettgedruckte Obersiglen M für die Collectio Frisingensis und F für die Collectio Sancti Mauri werden bewußt vermieden, da sie in diesem Zusammenhang falsche Assoziationen wecken könnten. Abweichungen der eng mit der Frisingensis zusammenhängenden Würzburger Sammlung sind nicht eigens aufgeführt.

") Text nach Wg, fol. 2' (Tb, Lage Β fol. lv in Klammern): INCIPIT (INT Tb) FIDES QUAE EDITA EST APUT (APOT Tb) NICEAM AB (ABE Tb) EPE CCCXVIII(Rasur etwa dreier Buchstaben Tb) CONSTANTINIAUGUE (AUG Tb) ET LICINII (LICINUJ CA ES) ÄTZ Tb); etwas anders Fr, fol. 13r: INÜ FIDES CATHOLICA QUAE APUTNICHEAM BYTHINIAE CONSCRIBTA CCCXVIII EFTS CONSTANTINO AUG ET LICINIO CAESARE CONSULIB;. S c h i e f f e r (wie Anm. 6) S. 174 rekonstruiert für Tb am Schluß, Fr folgend, „LICINI(0 CAES}AR(E CONSS?}". Doch steht ÄK unmittelbar vor einem Loch, das — wieder sonst unversehrte Text auf der Vorder- und Rückseite zeigt — ursprünglich im Pergament gewesen sein muß. Über das Loch konnte nicht hinweggeschrieben werden. Die Ergänzung CO Ν SS läßt sich also nicht halten.

20) Tb: Lage Β foil. Γ—2 r; Wg: fol. 2 r_v. Übereinstimmende Varianten (soweit in Tb lesbar) im Vergleich zur isidorischen Version bei T u r n e r (wie Anm. 13), Bd. I, 1,2, 1904, S. 175, 177, jeweils Sp. 2:

Z. 9 á e ] e í T b W g Ζ. 10 Patri] patris Tb Wg Z. 13 ei] add. propter (ppt Tb) Tb Wg Z. 16 tertia] tertio (ttio Tb) Tb Wg Z. 21 et] fehlt Tb Wg

Das Addendum Z. 24 uel subsistentia (uel sub, Rest abgeschnitten Tb) wird außerdem von SM tradiert, der Zusatz Z. 25 aut mutabilem von SM und der Collectio Vaticana.

21) Text nach Wg, fol. 2V: Osius eps cordobeç dix: sic credo. Bithon et iuuentius presbiteri romani pro uenerabile uiro papa no subscrìpsimus ita credentes sicut supra scriptum est. Zunächst zu Bithon: In Tb ist heute Bitor zu lesen. Sollte das kleine Loch vor t erst später ins Pergament hineingekommen sein, wäre die Ergänzung von c denkbar, sonst nicht; das Schluß-/· sieht aus wie korrigiert und als ob eigentlich η dagestanden hätte. Doch dürfte der Entscheid dieser Frage schwerfallen. Dagegen ist mit ziemlicher Sicherheit in Tb statt Siluestro ( S c h i e f f e r , wie Anm. 6,S. 174inZ. 14) nostro zu ergänzen, denn nostro, vielleicht abgekürzt ño oder nro, paßt von der Länge her wesentlich besser in die schmale verbleibende Textlücke. Fr schreibt verderbt: Hosius eps cordoue sic credo, uictor et iuuentius prbi pro uenerabili uero papa episc siluestrio. Cánones ecclesiae siue statuta concilii niceni... urbis romaeprobanda. Facta autem synodus ê et nos subscrìpsimus (korrigiert) ita credentes sic supra scribtum ë ... Zur Klärung des Textgemisches anhand Wg schon E d u a r d S c h w a r t z , Die

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Kirchenrecht in Rätien 23

und die Praefatio brevis22). D a s Gleiche gilt für die Cánones Nicaeni. Einige signifikante Abweichungen zur Versio Isidori antiqua und speziell zur Frisingensis-Wirceburgensis (nach dem Druck von T u r n e r , wie Anm. 1 3 , 1 , 1 , 2, jeweils Sp. 2)23):

S. 193 Z. 10 ergo haec] hec er (Rest abgeschnitten) Tb, hec ergo Wg S. 199 Z. 22 numero fuerint sacerdotes] numerus (nimerus Tb) fuerit (fuerint Tb)

sacerdotum Tb Wg S. 205 Z. 19 urbibus] urbe Tb W g _ S. 207 Z. 37 f. et ne in una — epi (als c. Villi gezählt, folgender Kanon

ursprünglich c. AT)] Ne in una — epi als c. X gezählt (auch in der Capitulatio) Tb Wg

S. 209 Z. 2 f. confessi] professi Tb Wg S. 221 Z. 9 ex] fehlt Tb Wg

Es ist klar: Die Freising-Würzburger Sammlung mit ihrer verworrenen Textfolge tritt gegenüber der Weingartensis in bezug auf Tb zurück.

Weiter noch entfernt sich die Collectio Sancti Mauri, und zwar schon beim ersten mit Tb gemeinsamen Text, den afrikanischen Exzerpten. Die „als offenbarer Einschub einer mißverstandenen Rubrik" gedeuteten Worte de res ecclesie} uindites24), eine signifikante Eigenart der Sammlung, fehlen in SM, sie lassen sich aber in W g belegen25), übereinstimmend auch das Lemma

Kanonessammlungen der alten Reichskirche, ZRG Kan. Abt. 25 (1936) S. 65 Anm. 2, wiederabgedruckt in: Ders . , Gesammelte Schriften 4: Zur Geschichte der Alten Kirche und ihres Rechts, 1960, S. 225 Anm. 2.

22) Am Anfang und am Ende der Praefatio stimmen Tb (Lage Β fol. 2Γ) und Wg (fol. 2") — letztere läßt allerdings ï ï weg — mit Fr überein (fol. 13rb); vgl. T u r n e r (wie Anm. 13), Bd I, 1, 2, S. 173:

Incipiunt] fehlt Tb Wg Fr consolatu Constantini Augusti et Licini] cons ss Tb, consulib; Wg, consulib; supra-scribtis Fr. 23) Tb: Lage Β foil. 2V-6V (endet fragmentarisch); Wg: foil. 2 v - 9 r , mit Subskrip-

tionsliste und Anhang bis fol. 11 '. Wg könnte eine weitere Quelle konsultiert haben, wie interlineare Varianten nahelegen: zu sinaticis] id mulierib; (vgl. T u r n e r S. 187 Z. 1), zwischen stomachi und absentes] epi abiecti sunt (S. 193 Z. 9), zwischen et und examinait] postea (S. 209 Ζ. 29), etc.

24) dites verbessert aus tites (Lage C fol. l r); S c h i e f f e r (wie Anm. 6) S. 178 Anm. 76 liest de res ecclesium lites (verb, aus tites), doch steht in Tb (unter der Quarzlampe klar zu erkennen) -uin, nicht -um, und die eingefügte Oberlänge soll rätisches t wohl zu d, nicht zu l machen.

25) Fol. 43'; korrekte Wiedergabe von Wg bei Van d e r S p e e t e n (wie Anm. 13) S. 60: de res ecclesie uinditis. Weitere Varianten gegenüber SM, fol. 108' (Zeilenangabe wie C h a r l e s M u n i e r , Concilia Africae a. 345 - a. 525, CCL 149, 1974, S. 313; Edition einzig nach SM):

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Page 9: II. Spätantikes Kirchenrecht in Rätien

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zu den — wie sie hier bezeichnet werden — EX EM Ρ LA SINODI ROMANI AD GALLOS EPOS26). Von den historisch geordneten Sammlungen überlie-fern das Dokument außer SM27), soweit wir wissen, nur noch Tb28) und Wg2 9) — wobei sich die Tb-Version klar zu W g gesellt30). Einige Textbeispiele (Seiten- und Zeilenangaben nach der freilich ungenügenden Ausgabe B a b u t s 3 1 ) , der die hier benutzte alte Haager Handschrift der SM nicht herangezogen hat):

S. 70 Z. 9 pcibus] add. fiant Tb Wg Z. 10 difficilia] dificiliora Tb Wg Z. 13 dahitur uob] accipiatis Tb, accipietis Wg Z. 16 non q;rit] q; (quae Wg) non (ñ Wg) querit Tb Wg Z. 18 pelitur] petierit (petuerit Tb) Tb Wg

S. 71 Z. 1 reuelatur] reuelando Tb Wg Z. lOf. gquirere. Nunc igitur non explorandi] ¡¿qu ;runt quirunt Wg), nö igitur

quoniä (qm Wg) nö (ñ Wg) ploradi (plorandi Wg) Tb Wg Z. 11 f. causa sed fidei (korr. aus fides) et confirmandi gratia sanctitudo uestra et

sedis] fehlt Tb Wg (causa fides [?] interlinear nachgetragen Tb; kleine Schriftlücke in Wg)

Z. 16 queritis et] querit esse (ëë Wg) Tb Wg Z. 17 se plebis] se prebit (pbet Wg) Tb Wg

Z. 28 uü cc\ fehlt Tb Wg Z. 31 f. et ad locum. Placuit] et locum placuit Tb Wg Z. 33 insinuandum] insinuando Tb Wg

primate] primati Tb Wg Z. 39 Placuit ut quoquo] It (Item Wg) placuit eö (eu Wg) Tb Wg Z. 40 constitutione, scientib;] constitudi niscientib: (Stelle oben beschnitten, mit

interlinearen Korrekturen) Tb, constituti nescientib ; Wg Es gibt allerdings auch sekundäre Wg-Lesarten, z. B. deteneatur (davor Lücke) im Vergleich zu uidatur teneatur Tb und uindetur teneatur SM ( M u n i e r S . 313 Z. 37) oder Z. 39 terram (Wg) statt rem Tb SM.

26) Zitiert nach Wg, fol. 79r (voraufgehend: INCIP); fast gleichlautend, doch in haarsträubender Orthographie Tb, Lage C fol. Γ : Incepit exsinpla sinados romane ad galos eps. Dagegen SM, fol. 112v: INCIPIVNT CANON SYNODÜ ROMANORV AD GALLUS EPS.

27) Foli. 112v— 119v. 28) Lage C fol. V bis Lage D fol. 2V. 29) Foli. 79r —8Γ. 30) Schon optisch fällt der Zusammenhang zwischen Tb und Wg auf durch die

gemeinsamen Initialen D bei Domini (Tb: Lage C fol. Γ; Wg: fol. 79r), M bei Mul-tos (Tb: Lage C fol. 2Γ; Wg: fol. 79v) und Q bei Queritur (Tb: Lage C fol. 2V; Wg: fol. 80").

31) E r n e s t Ch. B a b u t , La plus ancienne décrétale, Thèse présentée à la Faculté des Lettres de l'Université de Paris 1904.

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Kirchenrecht in Rätien 25

S. 72 Z. 5 podoris] pudicicia Tb, pudicitiae Wg Z. 10 iudicatum sit] iudicand (-candum Wg) ë Tb Wg

etc.

Kongruenz zwischen Tb und Wg herrscht auch in der eigentümlichen Gliederung des Konzilstextes von Serdica. Zwar hat sich in den Tb-Fragmenten nur ein Teil der Capitulatio erhalten, während Wg die serdi-censischen Kanones ohne Capitulatio überliefert32), doch beziehen sich die Rubriken der Tb-Capitulatio inhaltlich exakt auf die Kanoneseintei-lung von Wg:

Capitulatio (Tb)53)

(beginnt fragmentarisch) debeant ad comitatu fre-quentare15).

CCLXXIIII Ut quia prohibeti sunt conue(n)ire11') antestites ad commitatus11).

CCLXXV Nisi pro uiduas et orfanos nullus debeat ad commitatus epl.

CCLXXVI Statutum ë ut quicumqui eps ad comitatu1') äbitiose festinat.

CCLXXVll De qui non fuerint in sinodo admoneant eos qui fuerunt.

CCLXXVI1I Nullus ad episcopatum ueat nisi per grados.

CCLXXVIIII Ut eps si de sua ciuitate ad altera transiré uoluerit.

Kanones (Wg)34) (vgl. T u r n e r , wie Anm. 13, S. 462ff.)

VII Hosius eps dix inportunitas nä ni-miaq: — placito statuatur.

VIII Hosius eps dx hoc quoq: prudentia urïï — honestum ëë consilium.

Villi Alippius eps dx sipropt pupilles — ad commitatum.

X Gaudentius eps dx ea quae salubriter — hanc constitutionem.

XI Hosius eps dix sed et moderatio — in prouintia sua.

XII Hosius eps dx et hoc necessarium arbitrer — piacere sibi haec.

XIII Hosius eps dx et hoc quoq: statuere debeatis — dixer piacere sibi.

32) Dafür stellt Wg, sozusagen als bessere Capitulatio, die Epitome der serdicensi-schen Kanones voran (nach dem Freising-Würzburger Traditionsstrang ediert von T u r n e r , wie Anm. 13, S. 542 — 544).

" ) Lage Β fol. 1Γ"ν. 34) Zitiert sind hier zum Vergleich nur die foli. 74r —79' überlieferten cc. 7 — 20

(cc. 5 — 13 bei Turner ) . 35) Nach fre Rasur (wohl que, da doppelt). 36) ue (eventuell noch großes n) über der Zeile nachgetragen; am Ende ire fast

ausgewischt. " ) Μ. E. nach kleinem Abstand noch schwach s zu erkennen. 38) m-Strich über u radiert?

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Page 11: II. Spätantikes Kirchenrecht in Rätien

26 Hubert Mordek

CCLXXX Ut si quis eps in alterius territurium habierit39).

CCLXXXI Ut si quis clericorum a suo epd fuerit excomunicatus.

CCLXXXII _ Quod si pbr pro alico reatu fuerit excommunicato.

CCLXXXIII Nullus alienum clericum sulleciti(t).

(CC)LXXXIIII Nullus eps alienum clericum sine consinsum epi suscipiat.

(CCL)XXXV Sicut de epis ut non amplius tres eb(dom)adas pbr in alienas40) debeat resedere ecclesias39).

<CCLyXXXVl Si quis ad alienam fugerit ciuitatë.

XIIII Hosius eps dx nihil ptmitti opor-tet — dixer piacere sibi.

XV Hosius eps dx hoc quoq: omnib; placeat — concordiam custodii.

XVI Hosius eps dx qd me adhuc mouit — exhibere obsequium.

XVII Ianuarius eps dx illut qq statuai — audeat facere.

XVIII Hosius eps dx et hoc uniuersi consti-tuimus — et coerci.

XVIIII Aetius eps dxñ ignoratis quanta — ob-seruare debet.

XX Hosius eps dx suggerente fratre — ë exhibenda.

Trotz all dieser aussagekräftigen Übereinstimmungen unterscheidet sich die Collectio Weingartensis von ihrem rätischen Pendant aber doch in einem wichtigen Punkt: Sie tradiert die Exempla sinodi Romani ad Gallos episcopos mehr gegen Ende der Sammlung4 1). Warum? Wie sich aus dem Textbild leicht erkennen läßt, ist in der Weingartener Handschrift einiges durcheinandergeraten; Capitulatio und Beginn der Exempla sind durchge-strichen, und der Text selbst bricht schon nach knapp vier Seiten auf eigenartige Weise ab: nur etwa zwei Drittel der vorletzten Seite (fol. 8 l r ) sind noch beschrieben, die siebte Zeile von oben zeigt — wie auch sonst des öfteren zu beobachten — ein größeres Spatium, und kurz vor dem Ende klafft gar eine Lücke von zweieinhalb Zeilen42). Womöglich war die Vorlage

39) Die Angaben S c h i e f f e r s (wie Anm. 6) S. 173 Anm. 46 und 52 (auch Rekonstruktion S. 191), der die Rubriken cc. 280 und 285 nicht den an diesen Stellen zu erwartenden, inhaltlich passenden und nun auch durch Wg bestätigten Serdica-Kanonescc. 10undl3 , 1. Teil ( = cc. 14 und 19 in Wg) zuordnete, sondern cc. 3 u n d l 0 , sind danach zu korrigieren.

40) -e- über der Zeile nachgetragen. 41) Siehe Anhang unten S. 33. 42) Durchstreichungen zu Beginn fol. 79r; Exempla-Text fol. 8Γ bis poenitentiam,

dann noch ein kleines Stück von timuisset bis ergo (siehe Abb. 2 nach S. 24); fol. 81"

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Kirchenrecht in Rätien 27

schwer zu lesen oder beschädigt. Jedenfalls berechtigt die Tilgung der Capitulatio zu der Annahme, der Urheber der Weingartensis habe seine Entscheidung, das Stück an dieser Stelle einzureihen, bereut und zu revidieren versucht.

Die Tuberiensis kann ihren Text nicht diesem Torso entnommen haben. Näher liegt vielmehr die Annahme, die Weingartensis leite sich von der Tuberiensis her.

Zum Beweis dieser These sei Kapitel I der Exempta sinodi Romani ad Gallos episcopos angeführt, das über Nonnen handelt, die ihr Gelübde brechen. Korrekt müßte der Text etwa so aussehen43):

Si uirgo uelata iam christo ... siue incestum commiserit furtim, seu uolens crimen

protegere adultero mariti nomen imposuit, tollens membra christi, faciens membra

meretricis, ut quae sponsa christi fueritu) coniux hominis diceretur, in eiusmodi mullere

quot ausa sunt*5), tot reatus.

Den Schreiber des Tuberiensis verleitete die Passage gleich zu zwei Lesesprün-gen — von uolens zu tollens, nachdem er furtim seu zu forte verunstaltet hat, und von (membra) christi zu (sponsa) christi46):

... comiserit forte tulens menbra xpi fuerat coniux homines dicere-tur in eiusmodi mulierem quod cause sunt tot reatus ...

Interlinear aber (über der zweiten Zeile) und dann marginal wurde das Übersehene, wenn auch in wirrer Reihenfolge, nachgetragen:

faciens menpra (kleines Loch) / meretricis se e (uni) uolens crimene protegere atolte-riü mari di nomin inposuit ut q: spon-<,sa>

war ursprünglich leer, fol. 82 beginnt eine neue Lage. Wohl wegen des vorzeitigen Abbruchs der Exempla findet sich in Wg auch nicht der Text des unidentifizierten Tb-Fragments rçm dormerit. s(i) quis presumserit comunione priuetur.

43) Ed. B a b u t (wie Anm. 31) S. 72. u ) Jacques Sirmonds Konjektur fuerat (B a b u t S. 72, Apparat Anm. g) wird von Tb

bestätigt; fie ret Wg. 45) Nach Sirmond quoi sunt causae ( B a b u t S. 72, Apparat Anm. h); quod(qd Wg)

cause sunt (s Wg) Tb Wg. Lage C fol. 2V, 3. Streifen; siehe Abb. 1 nach S. 24.

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Das konnte zu Mißverständnissen führen. U n d in der Tat scheint der Autor der Weingartener Version aus Tb die erste Zeile transkribiert zu haben, dazu noch das erste Wort der zweiten Zeile (christi), um dann — an unsinniger Stelle zwar, doch gemäß der Vorlage — den Nachtrag einzu-fügen47) (im Zitat unterstrichen):

Si uirgo uelata iam xpö ... seu incestum commiserit, forte tollens membra xpl faciens membra meretricis sieum uolens crimine protegere adulterium mari di nom inposuit atq; de sponsa xpi fierit coniux hominis dicere tur in huiusmodi mulierem qd causae s tot reatus.

Die Stelle zeigt zweifelsfrei, daß die Collectio Tuberiensis gegenüber der Weingartensis die ursprünglichere Fassung bewahrt hat48). Ersterer ist also die Priorität zuzusprechen, ja, es scheint nicht ausgeschlossen, daß eine Vorlage des Stuttgartensis jene Handschrift der Tuberiensis gewesen ist, von der uns die Münchener Reste noch Zeugnis geben, und zwar trotz oder gerade auch wegen ihrer ungewöhnlichen Textverderbnisse49), die teilweise im Stuttgartensis weiterleben. Die Bedeutung der Weingartensis würde damit in keiner Weise geschmälert, bietet sie doch nach wie vor weit mehr Text und verrät so — wie im Anhang demonstriert — etwas v o m Aussehen der verlorenen Teile der Tuberiensis50). Zudem hat sie ein eigenes Profil gewonnen durch Überarbeitungen51), Zusätze, Umstel lungen u. ä.52), so daß sie zu Recht als selbständige Sammlung geführt wird.

47) Fol. 80v. 48) Ein ähnlicher Fall begegnet beim Zeilensprung zu Β a b ut S. 71 Ζ. 11 f. (siehe

oben S. 24): Tb schreibt interlinear causa fides (?), Wg läßt eine Lücke für etwa 9 Buchstaben — als ob causa fides noch eingetragen werden sollte. Siehe auch die Wg-Varianten deteneatur und terram oben Anm. 25.

49) Zuweilen sind nahezu abenteuerliche Texte entstanden, von denen einige Beispiele oben S. 24 wiedergegeben sind. Zur inferioren Schriftqualität von Tb schon B i s c h o f f , Schreibschulen (wie Anm. 2) S. 51 f., zur unkontrollierten Rechtschrei-bung siehe auch oben Anm. 26. Immerhin dienen als Schmuck der Textanfänge größere, leicht verzierte Initialen mit gelben Füllungen, während eine Vielzahl von Kanonessammlungen sonst nur in einfachen Gebrauchshandschriften überliefert ist. Der Kopist ( = Sammler?) war sich offenbar der Bedeutung seiner Aufgabe bewußt, ohne ihr freilich gewachsen zu sein.

50) Es sei jedoch nachdrücklich betont, daß die Textfolge in Wg nicht einfach unbesehen auf Tb übertragen werden darf.

51) Die beiden Sammlungen unterscheiden sich ζ. B. im Aufbau dadurch, daß an der Spitze des konsequent durchgezählten Textcorpus in Tb eine Gesamtcapitulatio von 286 Kapiteln steht, während Wg dieses Inhaltsverzeichnis in für sich gezählte Einzelcapitulationes auflöst, die dann für gewöhnlich den jeweiligen Konzilen und Dekretalen im Corpus selbst vorangestellt sind.

52) Auch die wilde Orthographie von Tb ist weitgehend bereinigt. Dies deutet ebenso

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Kirchenrecht in Rätien 29

Auch der Weg, den das kirchenrechtliche Material nach Rätien nahm, läßt sich mit Hilfe der Weingartensis nunmehr besser verfolgen. Wie eingangs erwähnt, stammt der Kern der Sammlung aus Italien (Rom?). Die Schrifthei-mat des Weingartener Codex weist zweifelsfrei ins nördliche Alpenland, nach Rätien, wahrscheinlich nach Chur53). Eine chronikalische Notiz im Anschluß an die Collectio bringt zudem Trient als mögliche „Zwischenstation" ins Spiel54):

A principio usque ad passionem domini sunt anni V milia CCXXVIIII, passo christo usque in presente anno sunt DLI1II... Acta sunt suprascripta omnia in ciuitate tredentina in loco anagnis, presedente agnello episcopo anno III expleto. Ego secundus seruus christi scripsi hec conuersionis sacre relegionis mee anno XVmo, imperium tiberii anno primo mense iunio indicione XIII.

Trient um 580, das Trient des Secundus, eines regen Geistlichen und Chronisten, der es bis zum Täufer Adaloalds, des ersten katholischen Thronfolgers der Langobarden, bringen sollte55). Wo anders als in oder um Trient — Anagnis, dessen Übertritt zu den Franken um 577 einen wechselvol-len Grenzkrieg nach sich zog, ist im Val di N o n zu lokalisieren56) — wo anders wird der Secundus-Passus in die über die Tuberiensis laufende Weingartener Tradition hineingeraten sein als im Bistum Trient57)? Kombiniert man die

wie die gleichmäßig schönen Schriftzüge auf eine höhere Bildungsstufe des Weingar-tensis-Bearbeiters.

" ) Siehe oben S. 20 mit Anm. 12. 54) Fol. 92r, also nach JK 636, dem Schlußstück der eigentlichen Collectio

Weingartensis, von derselben Hand wie der Haupttext (auf Rasur; Abbildung bei E n r i c o Q u a r e s i m a , Il frammento di Secondo da Trento, Studi trentini di scienze storiche 31,1952, S. 73). Die Notiz wurde häufig, aber selten korrekt gedruckt, zuletzt von V a n d e r S p e e t e n (wie Anm. 13) S. 27 f. Anm. 14. Die zahlreichen Abkürzungen sind in unserer Teilwiedergabe aufgelöst.

55) Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 27, edd. L u d w i g B e t h -m a n n / G e o r g W a i t z (MGH SS rer. Lang.) 1878, S. 125.

56) B e t h m a n n / W a i t z (wie Anm. 55) S. 97 Anm. 2 zu Paulus Diaconus III, 9; hierüber eingehend R i c h a r d H e u b e r g e r , Frankenheere im Langobardenherzog-tum Trient, Tiroler Heimat N. F. 4(1931) S. 142 — 154, der Secundus für einen Bürger von Anagnis hält (S. 146 mit Anm. 51), und — ohne Kenntnis Heubergers — P i e r M a r i a C o n t i , La spedizione del „Comes Langobardorum de Lagare" contro il „Castrum Anagnis", Archivio per l'Alto Adige 58 (1964) S. 305 — 318 (zustimmend J ö r g J a r n u t , Prosopographische und sozialgeschichtliche Studien zum Langobar-denreich in Italien (568-774), 1972, S. 365 mit Anm. 250).

" ) T u r n e r (wie Anm. 13) S. X hielt die Secundus-Notiz für ein aus dem tridentinischen Archetypen übernommenes Kolophon. Dem stehen freilich die Worte acta sunt suprascripta omnia entgegen, die einen Bericht voraussetzen, hier wohl aus

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naheliegende Vermutung mit der Herkunft der Tuberiensis-Fragmente, so läßt sich bei allem Vorbehalt eine erstaunlich klare, seit alters gern benutzte Route nachzeichnen: von Trient das Etschtal aufwärts über den Vintschgau und das Engadin nach Chur58). Der rätische Vintschgau mit dem zur Zeit der Niederschrift unserer Sammlung gegründeten Kloster Tuberis eignete sich ideal als Horchposten und Transitschiene für kulturelle Importe aus dem Süden59).

Nicht nur für das römische Recht erwies sich Rätien als ein günstiger Nährboden. Seit langem ist bekannt, daß dort auch wichtige Kirchen-rechtssammlungen Beachtung fanden60) in systematischer (Breviatio cano-num des Ferrandus; Concordia canonum des Cresconius; Vetus Gallica61)) wie in historisch geordneter Form (Weingartensis; Dionysio-Hadriana6 2)) ,

Secundus' verschollener Langobardengeschichte. Für Trienter Herkunft würde freilich auch dies sprechen.

58) Vgl. etwa O t t o P. C l a v a d e t s c h e r , Churrätien im Übergang von der Spätantike zum Mittelalter nach den Schriftquellen, in: Von der Spätantike zum frühen Mittelalter, Aktuelle Probleme in historischer und archäologischer Sicht, hg. von Joachim Werner und Eugen Ewig (Vorträge und Forschungen 25) 1979, S. 167, 176. Die Diözesangrenze lag wohl auf der Höhe Merans ( C l a v a d e t s c h e r S. 167 f.).

59) Vom Vintschgau und aus Trient kamen, nebenbei bemerkt, sogar Marmorblöcke nach Chur (Bündner Urkundenbuch, bearbeitet von E l i s a b e t h M e y e r - M a r t h a -ler und F r a n z P e r r e t , 1, 1955, S. 8f., Nr. 11 und 12).

S c h i e f f e r s Annahme, „über das dort ( = in Rätien) verbreitete Kirchenrecht <war> bisher anscheinend nichts bekannt" (wie Anm. 6, S. 187), trifft nicht zu.

" ) Die Sammlungen des Fulgentius Ferrandus und des Cresconius bietet der rätische, mit norditalienischen Glossen durchsetzte Cod. Montpellier, Bibliothèque Interuniversitaire (Section Médecine), 233 (saec. IX1/,), vgl. R a y m u n d K o t t j e , Einheit und Vielfalt des kirchlichen Lebens in der Karolingerzeit, Zeitschrift für Kirchengeschichte 76 (1965) S. 339 Anm. 69 Nr. 3. Zur Vetus Gallica, die den zweiten Teil des oben zur Weingartensis vorgestellten Cod. Stuttgart HB. VI. 113 (ab fol. 92v) einnimmt, schon M o r d e k (wie Anm. 4) S. 9 mit Anm. 31, S. 294 f. u. ö.

62) Zur Weingartensis (Cod. Stuttgart HB. VI. 113) siehe die Literatur oben Anm. 12 und 13. Zur Dionysio-Hadriana: Die Fragmente Solothurn, Staatsarchiv (vgl. A m b r o s K o c h e r , Mittelalterliche Handschriften aus dem Staatsarchiv Solothurn, 1974, Nr. 2, mit Abbildung, aber ohne Identifizierung) und die dazugehörenden Teile Zürich, Staatsarchiv, A. G. 19, No. VI (fol. 18 = pp. 49/50) + C VI 1, No. IV 2 (fol. 5) stammen nicht, wie im Supplementband der CLA (1971) S. 27 angegeben, aus einer Handschrift der Hispana. Sie sind vielmehr — dies zeigt neben der Textform vor allem der Hilarius-Brief in der Züricher Überlieferung — Reste einer um 800 in Rätien (wohl Chur) geschriebenen Dionysio-Hadriana, erneute Zeugen dafür, daß der weit von der Zentrale entfernte rätische Raum sich voll auf die vom Hof geforderte geistige Erneuerung einließ. In deren Dienst wurde nicht zuletzt auch das kanonische Recht gestellt.

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Kirchenrecht in Rätien 31

und eine wünschenswerte Studie zum kirchlichen Recht in Rätien im frühen und hohen Mittelaltér, analog zu M e y e r - M a r t h a l e r s eponymer Studie zum römischen Recht63), würde wohl noch zusätzliches Material zutage fördern. Mit der Tuberiensis kennen wir heute schon ein weiteres bedeut-sames Werk, das in der geistig so regen Region reüssierte.

Die in Rätien kopierten Kanonessammlungen der historischen Ordnung bezogen ihren Stoff aus Italien — ein, wie sich im nachhinein herausstellt, exzellenter Griff. Denn die lateinische Fassung der griechischen Kanones in Tuberiensis und Weingartensis gehört zusammen mit jener der Sammlungen von Freising und Würzburg sowie einiger weniger, andernorts versprengter Überreste zu den ältesten und wertvollsten überhaupt. Es ist keine Frage : Die durch die beiden rätischen Sammlungen repräsentierte Versio Raetica antiqua nimmt in der Geschichte des kanonischen Rechts einen hervorragen-den Platz ein — als Kronzeugin für das älteste Corpus canonum des lateinischen Westens.

A n h a n g : Der A u f b a u der C o l l e c t i o T u b e r i e n s i s

Als sichere Bestandteile der Collectio Tuberiensis (Tb) sind — da in Text und/oder Capitulatio ausgewiesen — die Kanones von Nikäa (mit Beiwerk), Ankyra, Karthago, Rom (Exempla synodi Romani) und Serdika anzusehen sowie die Siricius-Dekretale mit dem voraufgehenden unbekannten Überlie-ferungsrest. Darauf konnte schon S chief fer bei seinem Rekonstruktions-versuch bauen1), dessen Angaben sich jetzt im Vergleich zur Weingartener Sammlung (Wg) nachprüfen und präzisieren lassen.

Nichts mehr zu sehen ist in den Tuberiensis-Resten des CLM 29 550/1 von den Cánones Neocaesarienses, Gangrenses, Antiochenses, Laodicenses und Chalcedonenses sowie von den beiden Dekretalen Innocenz' I. Die Kanones von Neocäsarea bis Laodicea — der Rest des von S c h w a r t z entdeckten Corpus canonum Antiochenum — dürfen wir aber so gut wie sicher aus Wg übertragen. Chalkedon, das in der Wg weiter hinten piaziert ist, paßt vom Kapitelverzeichnis her genau zwischen Laodicea und Karthago und ergänzt so bestens das östliche Corpus canonum; es wäre die jüngste identifizierbare Quelle (a. 451) der Tuberiensis. Die Innocenz-Dekretalen schließlich scheinen zwar die Kanones-zahl um insgesamt zwei zu verfehlen, doch läßt sich die genaue Zählung anhand der hier ohne Capitulationes aufwartenden Weingartensis nicht verifizieren,

63) E l i s a b e t h M e y e r - M a r t h a l e r , Römisches Recht in Rätien im frühen und hohen Mittelalter, 1968.

') Wie oben Anm. 6, S. 190f.

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32 Hubert Mordek

leicht möglich, daß die beiden recht umfangreichen Praefationes des Innocenz — in W g ohne Nummer — ursprünglich mitgerechnet wurden.

Damit entspricht der Umfang von Tb fast lückenlos dem von W g bis fol. 81 (danach neue Lage). Lediglich die W g foil. IV—12' tradierte Epitome des Konzils von Serdika sucht man in Tb vergebens2), und auch vom W g fol. 82 einsetzenden Tomus Damasi mit Gelasius I. J K 636 findet sich in Tb keine Spur.

Collectio Tuberiensis Collectio Weingartensis (Fragmente CLM 29550/1)3) (Cod. Stuttgart HB. VI. 113)4)

1) Nikäa

2) Ankyra

3) Neocäsarea

4) Gangra

5) Antiochia

6) Laodicea

7) Chalkedon

1 - 2 0 Lage A fol. 3 ' _ v

(Capitulatio) Lage Β foil. 1 V - 6 V

(Text bis c. 14) 21 — ( 4 5 )

Lage A fol. 3V

(Capitulatio bis c. 23) < 4 6 - 5 9 )

< 6 0 - 7 9 )

< 8 0 - 1 0 4 )

< 1 0 5 - 1 6 4 )

< 1 6 5 - 1 9 0 )

1 - 2 0

foil. l v - l l r

(mit Capitulatio, Unterschriften und Zusätzen)

2 1 - 4 5 foil. l l r - 1 6 " (ohne Capitulatio)

4 6 - 5 9 foli. 16v —19' (mit Capitulatio)

6 0 - 7 9 foli. 19Γ—24r

(mit Konzilsschreiben und Capitulatio)

1 - 2 5 foli. 2 4 ' - 3 3 " (mit Capitulatio und Konzilsschreiben)

1 - 6 0

foil. 33v —40v

(mit Capitulatio und Kanon der biblischen Bücher)

1 - 2 6 (Capitulatio) 1 - 2 7 (Text)

foil. 63'—66", 68' - 7 0 " (fol. 67 falsch eingebunden)

2) Die Capitulatio von Tb bezieht sich auf einen Volltext des Serdicense wie Wg foil. 72r—79', nicht auf die Epitome, siehe oben bei Anm. 32.

3) Die eindeutig erkennbaren Tb-Kapitel werden im folgenden fett gedruckt (keine Angaben zu verlorenen Worten, Zahlen, Zeilen oder auch Kapiteln, sofern ihre einstige Existenz durch Nachbartexte erwiesen ist).

4) Reihenfolge der Texte in Wg: 1 - 6 , 8, 1 1 - 1 3 , 7, 14, 9.

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Page 18: II. Spätantikes Kirchenrecht in Rätien

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1 Cod. München, Bayerische Staatsbibliothek, Lat. 29550/1, Fragmente (8. Jh., 3. Drittel, rätisch [wohl Tuberis]), Lage C fol. 2": Collectio Tuberiensis, Exempla synodi Romani ad Gallos episcopos mit Interlinear- und Marginalnachtrag (siehe S. 27 f.).

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Page 19: II. Spätantikes Kirchenrecht in Rätien

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2 Cod. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB. VI. 113 (8. Jh., Ende, rätisch [wohl Chur]), fol. 81r: Collectio Weingartensis, lückenhafte und unvoll-ständig abbrechende Exempla synodi Romani ad Gallos episcopos (siehe S. 26).

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Page 20: II. Spätantikes Kirchenrecht in Rätien

Kirchenrecht in Rätien 33

Tabelle (Fortsetzung)

Collectio Tuberiensis (Fragmente CLM 29550/1)

Collectio Weingartensis (Cod. Stuttgart HB. VI. 113)

8) Karthago

9) Rom (Exempla syn. Rom.)

10) unbekannt

11) Siricius (JK 255)

12) Innocenz I. (JK 286)

13) Innocenz I. (JK 293)

14) Serdika

<191>—200 Lage C fol. 1' (Text ab c. 198)

201-216 Lage C foil. l ' - 2 v

Lage D foil. l r - 2 v

(Text cc. 2 0 1 - 2 1 6 ) 217

Lage D fol. 3r

(nur die letzen Worte erhalten: rçm dormerit. s( i/ quis presumserit comunione priuetur)

2 1 8 - < 2 3 8 ) Lage D foli. 3 r - 4 v

(Rubrik: INCEPIT SEQUENCIA CANONUM; Text bis c. 228)

< 2 3 9 - 2 5 5 )

< 2 5 6 - 2 6 6 )

< 2 6 7 ) - 2 8 6 Lage Β fol. l ' - l " (Capitulatio ab c. 273)

1 - 1 0 foli. 4 0 " - 4 3 ' (mit Capitulatio)

1 - 1 6 (Capitulatio) foil. 79 '—8Γ (Text bricht unvollständig ab)

1 - 2 1 foil. 4 3 ' - 5 2 ' (fol. 52v leer) (mit Capitulatio)

1 — 16 ( + 1?) foil. 5 3 ' - 5 8 " (ohne Capitulatio, Zählung im Text fehlt teilweise)

1 - 1 0 ( + 1?) foil. 58v —63' (ohne Capitulatio, weitgehend fehlende Zählung im Text nach den Initialen erschlossen)

1 - 2 0 foil. 7 2 ' - 7 9 ' (ohne Capitulatio, dafür Epitome foil. 7 1 ' - 7 2 ' )

3 Zeitschrift für Rechtsgeschichte. CX. Kan. Abt . Brought to you by | provisional accountUnauthenticated | 137.120.4.50

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