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SCHWEIZERISCHE EIDGENOSSENSCHAFT CONFÉDÉRATION SUISSE CONFEDERAZIONE SVIZZERA CONFEDERAZIUN SVIZRA

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bundesamt für Migration BFM Direktionsbereich Asylverfahren MILA / Migrations- und Länderanalysen

Focus

Illegale Migration Für 60'000 Franken gibt es eine Garantieschleusung Stand 30.6.2004

Öffentlich

Sektion MILA Quellenweg 6 3003 Bern-Wabern

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Für 60'000 Franken gibt es eine Garantieschleusung Erschütternde Bilder von überladenen, gekenterten und sinkenden Flüchtlingsbooten vor der italienischen Küste rückten die illegale Migration über das Mittelmeer nach Europa in das Blickfeld des Interesses. Illegale Migration findet jedoch in allen Teilen Europas statt. Das Phänomen ist vielschichtig: Wirtschaftliche Not, kriminelle Profitgier, gesellschaftliche Struk-turen und politische Zwänge greifen eng ineinander. Und fast immer ist viel Geld im Spiel. Viele Wege führen nach Europa Nach Expertenschätzungen wandern jährlich mehr als 500'000 Menschen illegal nach West-europa ein. Manche gelangen auf Schlepperbooten, versteckt in Lastwagen, in Kofferräumen von Personenwagen, in den Dachhohlräumen von Zügen oder zu Fuss über die grüne Gren-ze nach Westeuropa. Andere reisen über die offiziellen Grenzstellen. Hierbei nutzen sie ver- und gefälschte Papiere, bisweilen verfügen sie auch über einen echten Reisepass mit er-schlichenem Visum. Solche Pässe können in verschiedenen Herkunftsländern über korrupte Beamte erworben werden; gefälschte Dokumente sind auf dem Schwarzmarkt käuflich.

Bei dieser irakischen Identitätskarte handelt es sich um eine Totalfälschung. Dokument und Stempel sind dem Original mehr oder weniger gut nachempfunden. Um ein Visum zu erlangen, sind Migrationswillige oft sehr einfallsreich: Sie beschaffen sich eine Einladung einer renommierten Firma, eines Bildungsinstituts, zu einem Sportanlass o-der einer kulturellen Veranstaltung. Viele Institutionen sind sich bei der Vergabe von Einla-dungen und dem Ausstellen von Empfehlungsschreiben der ganzen Tragweite ihres Tuns nicht bewusst und versenden solche Einladungen grosszügig und unbedarft. Viele Empfeh-lungsschreiben und Einladungen finden ihren Weg auf den Schwarzmarkt, wo sie nach Be-darf noch nachgebessert werden. Preise von 1'000 Euro und mehr sind für stichhaltige Ein-ladungen keine Seltenheit. Erhält ein Migrant aufgrund einer solchen Einladung ein echtes Visum in einen echten Pass, so ist die Gefahr, an der Einreise nach Europa gehindert zu werden, praktisch inexistent.

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Die Reisewege Die illegal reisenden Migranten gelangen auf drei Hauptwegen nach Westeuropa. Afrikaroute: Afrika – Mittelmeer – Westeuropa Ein beträchtlicher Teil derjenigen migrationswilligen Afrikaner, die keine Möglichkeit haben, auf legalem Weg nach Europa zu reisen, versuchen durch die Sahara an die nordafrikani-sche Mittelmeerküste zu gelangen, um von dort aus mit Booten nach Europa überzusetzen. Die Route ist gefährlich. Meist auf Lastwagen oder Geländewagen werden die Migranten quer durch die Sahara transportiert. Immer wieder verirren sich Fahrer in der Wüste oder die Schlepper laden ihre Passagiere bei Anzeichen von Gefahr einfach aus, obwohl diese ohne Nahrung und Wasser kaum eine Überlebenschance haben. In Küstennähe angelangt, sehen sich die Leute mit neuen Problemen konfrontiert. Die euro-päische Südgrenze wird immer besser überwacht. Die Route über Tunesien ist kaum mehr benutzbar, da die tunesischen und italienischen Behörden mittlerweile eng zusammenarbei-ten. In den letzen fünf Jahren wurden in Tunesien 179 Schleppernetzwerke zerschlagen. Die Strasse von Gibraltar hat aufgrund verbesserter Überwachungstechnik etwas an Attrakti-vität für Schlepper und die illegalen Einwanderer verloren. Allerdings haben in den letzten Monaten die Versuche, diese Meerenge zu überqueren, wieder zugenommen. Dies hängt unter anderem mit verstärkten Kontrollen in anderen Gebieten des Mittelmeeres zusammen, verdeutlicht aber zugleich auch den anhaltenden Wanderungsdruck aus dem Maghreb. Jähr-lich versuchen zwischen 15'000 und 20'000 Menschen auf diesem Weg nach Europa zu ge-langen. Rund die Hälfte davon sind marokkanische Staatsbürger, die in der Regel umgehend nach Marokko zurück gewiesen werden. Bei den übrigen Migranten handelt es sich praktisch ausschliesslich um Personen aus Schwarzafrika. Diese Personen werden von Marokko nicht zurück genommen. Sie werden nur kurz festgehalten, ermahnt, Spanien zu verlassen und auf freien Fuss gesetzt. Ein Teil dieser Leute dürfte in Spanien bleiben, ein anderer Teil in die übrigen europäischen Staaten weiter wandern. Weit mehr illegale Migranten versuchen über den Umweg via Kanarische Inseln nach Europa zu gelangen. Soweit es sich um Marokkaner handelt, werden diese auch hier umgehend wieder zurückgeführt. Die übrigen Personen werden in Aufnahmelagern auf den Kanarischen Inseln untergebracht. Vereinzelt tauchen Leute unter. Die Route von Libyen nach Süditalien (Lampedusa oder Sizilien) erweist sich derzeit als die durchlässigste. Die Überfahrt mit dem Boot ist jedoch gefährlich, die Schiffe sind überfüllt, die Nahrungsmittelvorräte meist sehr beschränkt. Bei einem Aufgriff werden die Flüchtlinge von den italienischen Behörden zunächst auf Lampedusa, dann in Sizilien oder auf dem Festland interniert. Sie erhalten jedoch in der Regel nach einer gewissen Zeit eine Auswei-sungsverfügung und werden aus der staatlichen Obhut entlassen mit der Auflage, Italien binnen 14 Tagen zu verlassen. Diese Personen können dann ungehindert weiterreisen, wo-hin sie wollen. Balkanroute Der Ausgangspunkt für die Einreise über Südosteuropa ist meist die Türkei. Auf verschiede-nen Wegen durch Südosteuropa gelangen die Migranten nach Westeuropa. Aufgrund der immer noch weit verbreiteten Korruption sind die Grenzen auf dem Balkan nach wie vor durchlässig. Hingegen hat die Route via Albanien und die Adria nach Italien – dank deutlich besserer Überwachung der Meerenge zwischen Bari und Otranto durch die italienischen Be-hörden und einer engen Zusammenarbeit mit albanischen Dienststellen – an Bedeutung ver-loren. Der Grenzübertritt von Slowenien nach Italien oder Österreich ist im stark bewaldeten Grenzgebiet relativ einfach zu bewerkstelligen. Eine Alternative stellt der Weg über Rumä-nien und Ungarn in die Slowakei und von dort via Tschechien nach Österreich oder Deutsch-land dar. Osteuroparoute (Russland – Weissrussland – Polen – bzw. Ukraine – Rumänien, Ungarn, Slowakei, Tschechien – Westeuropa)

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Von Moskau aus reisen die Migranten via Weissrussland oder die Ukraine – zuweilen mit einem Umweg über Rumänien – in die EU-Beitrittsländer ein. Sie profitieren dabei von den relativ schlecht gesicherten Ostgrenzen der mittel-osteuropäischen Staaten. Die deutsche Ostgrenze ist – dank den Grenzflüssen Oder und Neisse – verhältnismässig gut kontrollierbar. Dennoch gelingt es zahlreichen Migranten, auf diesem Weg nach Westeu-ropa zu gelangen. Das Überwinden der grünen Grenze zwischen Tschechien und Deutsch-land bzw. Österreich war nach dem Fall des eisernen Vorhanges zunächst relativ leicht. Das erwünschte Näherrücken von Ost und West sollte nicht durch Grenzschikanen und Stachel-drahtzäune erschwert werden. Mittlerweile hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine gezielte Grenzüberwachung diesem erklärten politischen Ziel zuträglicher ist als ein eher undifferenziertes "laisser faire". Dennoch ist es für Kleingruppen weiterhin relativ ein-fach, die Grenze illegal zu überwinden.

Die wichtigsten Schleusungsrouten nach Westeuropa Einreise in die Schweiz Ein Teil der illegalen Migranten reist – mit echten oder gut gefälschten Papieren – über die normalen Grenzübergänge ein. Täglich überqueren 320'000 Personenwagen und über 600'000 Personen legal die Schweizer Grenze. Es ist weder möglich noch erwünscht, alle diese Fahrzeuge und Personen systematisch zu kontrollieren. Auch die grüne Grenze bietet viele Möglichkeiten zur illegalen Einreise. Es gibt in diesem Bereich mehrere hundert grenzüberschreitende Wege, knapp 400 sind mit Autos befahrbar. Während der Rhein und die Alpen die illegale Grenzüberschreitung besonders in der kalten Jahreszeit erschweren, finden Migranten im dicht bebauten Umland von Basel und Genf,

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aber auch im Jurabogen und in der Region Schaffhausen beinahe ideale Bedingungen – dicht besiedelte oder bewaldete und damit schwer kontrollierbare Gebiete, die verkehrstech-nisch relativ gut erschlossen sind – zur illegalen Einreise in die Schweiz. Wer schlecht zahlt, lebt gefährlich! Schlepperbanden stehen ihren "Kunden" mit Rat und Tat zur Seite. Sie bringen sie zu den Grenzabschnitten, welche von Grenzschutzbehörden schlecht einsehbar und nur mit gros-sem Aufwand zu überwachen sind, sie hören den Funkverkehr der mobilen Einsatzkräfte ab, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen. Auch Hightech-Material wie Nachtsichtgeräte und Restlichtverstärker gelangen bei Schleusern zum Einsatz. Professionelle Banden stören bis-weilen sogar den Funkverkehr der Grenzschutzbehörden, um ihnen die Arbeit zu erschwe-ren. Oft schicken sie harmlos aussehende – als Angler, Wanderer oder Mountain Biker ge-tarnte – Späher aus, welche eine für eine Schleusung vorgesehene Strecke über die grüne Grenze vorher austesten. Die Geschleusten selber erhalten Skizzen mit Wegmarkierungen ("hinter der Holzhütte rechts in den Wald") und eine Handy-Telefonnummer, an welche sie sich nach erfolgreichem Überschreiten der Grenze zu wenden haben. Heute finden sich so-gar im Internet detaillierte Routenbeschreibungen, die aufzeigen, wie und wo die Grenzen am einfachsten überwunden werden können. Grundsätzlich gilt: Je mehr man zahlt, desto risikoärmer ist die Schleusung. Mittellose Migranten sind oft die Leidtragenden: Sie werden bisweilen bewusst auffällig – beispielsweise in einer grösseren Gruppe – in einem bestimm-ten Sektor über die Grenze geschickt, damit die Grenzorgane auf sie aufmerksam werden. Mittlerweile wird etwas weiter entfernt unbemerkt eine Garantieschleusung mit einer finan-ziell besser ausgestatteten Person abgewickelt.

Auszug aus einer Website, auf welcher verschiedene Schlepperrouten zwischen Tschechien und Ös-terreich ausführlich erklärt werden. Nebst einer detaillierten Routenbeschreibung (samt einer Karte mit eingezeichneten Wachtürmen) enthält die Website kurze Videosequenzen mit den Schlüsselstellen der einzelnen Routen. Vermutlich um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, wird die Seite als "Kunstprojekt" bezeichnet. Auch Schlepper kennen Güteklassen Je nach Preislage unterscheiden sich die Schleusungen im Qualitätsangebot ganz erheblich.

Eine Normalschleusung findet in mittelgrossen Gruppen statt. Die Reise vom Herkunfts- ins Zielland dauert einige Wochen bis Monate. Bisweilen ist die Reise mit Strapazen verbunden. Mit gelegentlichen Aufgriffen an Grenzen ist zu rechnen. Die Preise befinden sich im Mittel-feld. Falls gefälschte Pässe zum Einsatz gelangen, so sind die Fälschungen eher plump und als solche durch geschultes Personal leicht zu erkennen. Für Übernachtungsmöglichkeiten ist in der Regel gesorgt. Die Asylvorbringen, welche die Schlepper ihren Kunden mitgeben, sind stereotype Dutzendgeschichten ohne jegliche Individualität.

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Bei Discountschleusungen sind die Dienstleistungen der Schlepper minimal. In kritischen Momenten denken die Schlepper nur an sich und ihre eigene Sicherheit. Die Grenzen müs-sen die Migranten oft auf sich allein gestellt überschreiten. Es werden grössere Gruppen gebildet, was das Risiko der Entdeckung bei Grenzübertritten deutlich erhöht. Dafür sind die Preise eher günstig bis ausgesprochen billig. Hilfsmittel – wie z.B. gefälschte Dokumente – stehen nicht zur Verfügung. Die Übernachtungsorte werden jeweils spontan bestimmt - unter Brücken, in Parks, in Billigstabsteigen oder in Wartesälen.

Die Garantieschleusungen sind sehr teuer, dafür aber bequem und sicher. Die Reise wird im Flugzeug und in Autos durchgeführt. Die benutzten ge- und verfälschten Dokumente sind von ausgezeichneter Qualität. Für eine angemessene Unterkunft unterwegs ist gesorgt. Die Asylsuchenden werden bei Bedarf mit einem kompletten Asylvorbringen ausgestattet und allenfalls mit ergänzenden Dokumenten zur Stützung der Glaubwürdigkeit versehen.

Man unterscheidet Komplettschleusungen und Abschnittsschleusungen. Die Komplett-schleusung umfasst die Reise vom Herkunftsland bis ins Zielland. Abschnittsschleusungen bringen einen Migrationswilligen nur etappenweise voran. An jedem Zwischenziel muss er sich nach neuen Schleppern umsehen.

Was kostet eine Schleusung? Bei den untenstehenden Angaben handelt es sich um Mittelwerte. Die effektiv zu bezahlen-den Beträge können im Einzelfall – je nach Umfang der im Preis inbegriffenen Leistungen – deutlich nach unten oder nach oben abweichen. Bezahlt wird in US-Dollars, Euro und in Landeswährung. Frankreich – Schweiz 200 Euro (300 CHF) Marokko – Kanarische Inseln 400 Euro (600 CHF) Tschechien – Deutschland 400 Euro (600 CHF) Somalia – Jemen 500 Euro (750 CHF) Tunesien – Italien 700 - 1'500 Euro (1’050 – 2’250 CHF) Tschechien – Hamburg 800 Euro (1’200 CHF) Libyen – Italien min. 800 Euro (1’200 CHF) Marokko – Spanien 1'000 – 1'500 Euro (1’500 – 2'250 CHF) Armenien – Westeuropa 1'000 – 2'500 Euro (1'500 – 3'750 CHF) Tschechien – Frankreich 1'400 Euro (2'100 CHF) Irak – Türkei 1'400 Euro (2'100 CHF) Niger (Agades) – Libyen (Tripolis) bis zu 2'000 Euro (3'000 CHF) Senegal – Europa (Seeweg) 3'000 – 4'000 Euro (4'500 - 6'000 CHF) DR Kongo – Europa 3'500 Euro (5'250 CHF) Irak – Deutschland 4'000 – 9'000 Euro (6'000 – 13'500 CHF) Sri Lanka – Europa (Seeweg) bis 4'500 Euro (6'750 CHF) Pakistan (Peschawar) – Westeuropa 13'000 Euro (19'500 CHF) Garantieschleusung China – Europa 25'000 - 50'000 Euro (37'500 – 75'000 CHF) Schätzungen gehen davon aus, dass in Westeuropa mit Menschenschmuggel Jahresumsät-ze von 8 bis 13 Milliarden CHF erzielt werden. Diese Beträge liegen über den vergleichbaren vermuteten Jahresumsätzen im Drogenhandel. Warum gehen Somalis nach Grossbritannien und Bosnier in die Schweiz? Verschiedene Pushfaktoren im Herkunftsland und zahlreiche Push- und Pullfaktoren in den verschiedenen Transit- und Zielländern beeinflussen die Reisewege und die Wahl des Ziel-landes. Pushfaktoren im Herkunftsland können sein:

• Desolate Wirtschaftslage, allg. Perspektivelosigkeit

• Schlechte Menschenrechtslage

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• Instabile politische Situation

• extreme klimatische Verhältnisse

• Bevölkerungsexplosion

• usw. Pull- (bzw. Push-) Faktoren für ein Transitland können sein:

• Kaum vorhandene (strenge) Grenzkontrollen

• Fehlende Visumpflicht (strenge Visumauflagen)

• Geographisch (un-) günstige Lage

• Gute (schlechte) Verkehrswegeanbindungen

• Korrupte (unbestechliche) Beamte

• (fehlende) Implementierung von Schlepperbanden

• usw. Pull- (bzw. Push-) Faktoren für ein Zielland könnten sein:

• Transitlandkriterien und

• (Nicht-) Vorhandensein einer Diaspora

• (stagnierende) boomende Wirtschaftslage

• (rasche) langwierige Asylverfahren

• (tiefer) hoher Fürsorgestandard

• Landessprache im Zielland (nicht) identisch mit der Sprache im Herkunftsland

• Gute (schlechte) Reputation eines Landes

• Xenophile, offene (xenophobe, geschlossene) Gesellschaft

• Fehlende (bestehende) Möglichkeiten zur unfreiwilligen Rückkehr ins Herkunftsland

• usw. Obwohl die verschiedenen Push- und Pullfaktoren für die meisten Länder teilweise im Detail bekannt sind, bleibt es weiterhin extrem schwierig, zuverlässige Prognosen zu stellen, wel-che Migrantengruppen sich in welcher Zahl vorzugsweise in welche Zielländer begeben. Für jeden einzelnen Migranten individuell bildet sich ein äusserst komplexes Geflecht von dut-zenden von Einflussfaktoren. Überdies spielen die finanziellen Mittel des Migrationswilligen eine ganz entscheidende Rolle. Anhand von Bosnien und Somalia sei summarisch gezeigt, wie die Push-/Pull-Faktoren zu-sammen wirken. Bosnien: Das Land ist strukturschwach. Schon vor dem Zerfall Ex-Jugoslawiens kamen zehntausende Bosnier dank der Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften in die Schweiz, um hier zu arbeiten. Geographisch liegt unser Land nahe bei Südosteuropa und ist auf dem Landweg mühelos erreichbar. Die Schweiz geniesst in Bosnien einen ausgezeich-neten Ruf als Land, das Menschen in Not hilft. Insbesondere Kranke und Angehörige von sozial schwachen Gruppen erhalten häufig ein vorläufiges Bleiberecht. Heute leben über 55'000 Menschen aus Bosnien in der Schweiz, davon zählen etwa 46'000 Menschen zur ständigen ausländischen Wohnbevölkerung, rund 9’600 Personen sind im Asylbereich. Somalia: 300'000 Flüchtlinge und Asylsuchende aus Somalia leben in mehr als 20 Staaten der Erde. Als ehemalige Kolonialmacht ist Grossbritannien in Europa das wichtigste Zielland für Somalier. Dies hat neben der angestammten grossen Diaspora vor allem sprachliche Gründe. Zudem ist die Fluganbindung für Migranten nach Grossbritannien (z.B. über die e-

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hemalige britische Kolonie Kenia) relativ einfach. Somalische Migranten, die aufgrund be-schränkter finanzieller Möglichkeiten gezwungen sind, auf dem Landweg nach Europa zu kommen, überqueren das Mittelmeer oftmals von Libyen aus. Da an unfreiwillige Rückführungen angesichts der fehlenden staatlichen Strukturen und der Situation allgemeiner Gewalt in grossen Teilen Somalias derzeit nicht zu denken ist, fehlt für abgelehnte Asylbewerber in Europa ein Sachzwang einer freiwilligen Rückkehr. Ohne Netzwerke geht gar nichts! Legale und illegale Migration funktioniert in aller Regel unter Zuhilfenahme von Netzwerken. Insbesondere bei der illegalen Migration spielen sie eine nicht zu unterschätzende Rolle. Im Wesentlichen lassen sich fünf Typen unterscheiden: • Private Netzwerke umfassen die (Gross-) Familie, Angehörige desselben Clans, Bekann-

te und Nachbarn. Diese helfen einem Migrationswilligen mehr oder weniger uneigennüt-zig und erwarten lediglich Aufwandsentschädigungen.

• Kommerzielle Netzwerke sind Agenturen und spezielle Reisebüros mit einer breiten Pa-lette von Dienstleistungen, welche eine illegale oder halblegale Aus-, Durch- und Einreise ermöglichen (z.B. das Übernachten in Kontrakthotels ohne Ausfüllen eines Meldeschei-nes oder das Beschaffen von Flugtickets mit günstigen Routings). Die Preise richten sich nach Angebot und Nachfrage, dem gewünschtem Komfort und dem Schwierigkeitsgrad der erbrachten Dienstleistung. Im Vordergrund der Geschäftsbeziehungen steht klar die Zufriedenheit des Kunden – letztlich in der Hoffnung auf Weiterempfehlung.

• Bei kriminellen Netzwerken stehen die Interessen der Organisation im Vordergrund. Die Preise sind überhöht, versprochene Leistungen werden oft nicht erbracht, die Kunden werden getäuscht. Den Migrationswilligen werden Arbeitsmöglichkeiten in Aussicht ge-stellt. Junge Frauen, die als Kindermädchen und Haushaltshilfen angeworben wurden, enden in der Prostitution. Drohungen und Zwangsmassnahmen gegen nicht kooperative oder zahlungsunfähige Personen sind die Regel. Die kriminellen Netzwerke sind oft ver-knüpft mit der Organisierten Kriminalität.

• Hinzu kommen vereinzelt politische Netzwerke. Diese ermöglichen es Personen mit glei-chem ideologischem Hintergrund, sich in einen Ruheraum zurückzuziehen oder sich in einen neuen Wirkungsraum zu begeben (z.B. PKK-, Ennahda- oder Al Kaida-Angehörige).

• Humanitäre Netzwerke schliesslich werden gebildet von Personen, die aus ihrer ethi-schen Überzeugung heraus Menschen in Not helfen und Flüchtlingen einen Zugang zum Asylverfahren ermöglichen wollen.

Die Grenzen zwischen diesen Netzwerken sind meist fliessend. Tatsache ist, dass jeder ille-gale Migrant, der sich schliesslich im Schweizer Asylverfahren befindet, irgendwann im Laufe seiner Migration aus seinem Herkunftsland in die Schweiz eines oder mehrere dieser Netz-werke in Anspruch genommen hat. Das Streben nach Verbesserung der eigenen Lebensumstände liegt in der Natur des Men-schen. Ist der erwünschte Fortschritt nicht im eigenen Land zu erzielen, so wird das Glück fern der Heimat gesucht, auf legalen und – insbesondere wenn der Leidensdruck gross ge-nug ist – auch auf illegalen Wegen. Werden die Hürden gegen illegale Wanderungsbewe-gungen erhöht, so lassen sich diese vorübergehend durchaus abschwächen oder umlenken. Der gewünschte Effekt lässt jedoch rasch nach. Die Tatsache bleibt: Illegale Wanderung liesse sich auf Dauer nur zum versiegen bringen, wenn das bestehende Wohlstands- und Demokratiegefälle zwischen den Herkunfts- und Zielstaaten ausgeglichen werden könnte. Dies wird in absehbarer Zukunft nicht der Fall sein. Jgnaz Civelli und Christoph Curchod

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Nigeria – idealer Nährboden für Schlepperorganisationen Benjamin Frey, Länderreferent BFM Ethnisch, religiös und wirtschaftlich bedingte Konflikte, die oft in gewaltsame Auseinander-setzungen ausarten, sowie fehlende wirtschaftliche Perspektiven treiben viele Menschen in Nigeria dazu, ihre Dörfer zu verlassen und Schutz in der Anonymität der Grossstädte zu su-chen. Die Armut und die harschen Lebensbedingungen, die sie dort vorfinden, sind jedoch zum Teil noch schlimmer als in den ländlichen Gebieten. Da die Arbeitslosigkeit in den Bal-lungszentren extrem hoch ist, sind grosse Teile der Bevölkerung darauf angewiesen, sich im informellen Sektor durchzuschlagen. Dazu kommt, dass den in die Städte zugewanderten Menschen häufig die Unterstützung des familiären und sozialen Netzwerkes fehlt. Um jeden Preis weg aus Afrika Diese Faktoren führen dazu, dass viele nur ein Ziel vor Augen haben: nach Europa oder Nordamerika auszuwandern. Diese Möglichkeit ist jedoch den meisten verwehrt, da ein Vi-sum und die finanziellen Mittel für ein Flugticket nur schwer beschaffbar sind. Demnach gibt es für die meisten Nigerianer keine Möglichkeit, ihr Land auf legalem Wege in Richtung west-liche Welt zu verlassen. Sie sind darauf angewiesen, sich mit verbrecherischen Organisatio-nen einzulassen, die es sich zu ihrem Geschäft gemacht haben, Menschen auf extralegalem Weg von Nigeria nach Europa zu schleusen. Diese Schlepperorganisationen sind häufig eng mit der organisierten Kriminalität vernetzt und nutzen die Wegleitungsbedürftigen aus, indem sie sie für kriminelle Taten in den Zielländern einbinden. Prostitution… So werden zum Beispiel junge Frauen von "Vermittlern" auf der Strasse angesprochen, die ihnen gute Verdienstmöglichkeiten in Europa versprechen. Schliesslich werden aber die Frauen zur Prostitution genötigt und können sich aufgrund der finanziellen Abhängigkeit nur schwerlich diesem Milieu entziehen. Viele der jungen Frauen sprechen nicht einmal genü-gend Englisch, um sich ausserhalb ihres Lebens- und Sprachraumes verständigen zu kön-nen. …und Drogenhandel Ähnlich verhält es sich mit denjenigen Personen aus Nigeria, die sich für Geschäfte des in-ternationalen Drogenhandels einspannen lassen. In der Heimat rekrutiert, dienen sie von dort aus einem global tätigen Netzwerk. Nigerianische Organisationen haben gute Kontakte in den Drogenanbauländern sowie den Transitländern. Die Anwesenheit einer grossen nige-rianischen Gemeinschaft in den jeweiligen Ländern unterstützt die Tätigkeit dieser Organisa-tionen. Verstärkte Wahrnehmung und Vorurteile Zusammen mit den in der Prostitution tätigen Personen sorgen die Drogendealer dafür, dass in der Schweiz ein Vorurteil über die Menschen aus diesen Ländern gebildet wird. Der Ein-druck, dass viele dieser Leute in unlauteren Geschäften tätig sind, erschwert somit die Integ-ration von vielen anderen Personen dunkler Hautfarbe, die versuchen, sich in der Schweiz eine legale Existenz aufzubauen.

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Irak: Abflauen der Migrationsströme? Isabel Herkommer, Länderreferentin BFM Der Irak war auch im Jahr 2003 eines der Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden in Euro-pa und gehörte auch in der Schweiz zu den Top 10-Ländern. Der dritte Golfkrieg hat zwar nicht zu der vielerorts erwarteten Flüchtlingswelle geführt und die in den Nachbarländern des Irak vorbereiteten Flüchtlingslager blieben weitgehend leer, doch die Migration von Irakern setzte sich – wenn auch in geringerem Ausmass als zuvor – nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein fort. Viele Iraker, die jetzt in Westeuropa ein Asylgesuch stellen, haben ihr Land schon vor dem letzten Krieg verlassen, blieben zunächst in der Region und wander-ten erst später nach Europa weiter. Das wichtigste Transitland für Iraker auf dem Weg nach Europa ist die Türkei. Von dort führt der Weg über Griechenland und Italien, über die Balkanroute oder auch direkt per Flugzeug nach Europa. Kaum je lässt sich die Reise ohne die Hilfe von Schleppern organisieren. Die Preise richten sich nach den Risiken sowie nach Angebot und Nachfrage. So steigen die Preise bei Verschärfungen der Grenzkontrollen. Viele Menschen haben 5’000 US-Dollar und mehr bezahlt, um das Land zu verlassen. Gerade im kurdischen Nordirak, woher die Mehr-heit der irakischen Asylgesuchsteller in der Schweiz stammt, ist die Nachfrage nach Schlep-perdiensten nach dem Sturz des Regimes gesunken und dort haben die Menschenschmugg-ler, deren skruppelloses Geschäft früher sehr lukrativ war, einen Grossteil ihres Umsatzes eingebüsst. Ob sich dies wieder ändern wird, hängt von der weiteren Entwicklung im Lande ab. Nicht nur die Situation im Heimatland, auch die Gegebenheiten in den Zielländern bestim-men den Verlauf der Wanderungsbewegungen von Irakern. So führte die Schliessung des französischen Flüchtlingslagers Sangatte Ende 2002 zu einer deutlichen Abnahme iraki-scher Asylgesuche in Grossbritannien, da damit ein wichtiger Verbindungsweg unterbrochen wurde. Mit weiteren Umverteilungen innerhalb von Europa ist zu rechnen, sollten die europä-ischen Länder ihre neue Asylpraxis gegenüber Irakern sehr unterschiedlich ausgestalten. In der heutigen Situation und nach der Festnahme Saddam Husseins hoffen viele Exiliraker, in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehren zu können und sich am Wiederaufbau ihres Landes zu beteiligen. Für die meisten Iraker in Europa sind die Voraussetzungen für eine Rückkehr noch nicht gegeben, doch wenn es gelingt, im Irak stabile Verhältnisse zu schaffen und das Land wiederaufzubauen, dürften in Zukunft viele Iraker die Migrationswege in um-gekehrter Richtung einschlagen.

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