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    Ilse Aichinger: Die grere Hoffnung

    Die groe Hoffnung

    Ellen, ein schtzungsweise fnfzehnjhriges Mdchen, hat zwei "falsche" Groeltern. Weil die Mutterdeshalb emigrierte und der ater die !amilie erlie, um seine #ffiziers$arriere nicht zu gefhrden, lebtEllen bei ihrer "falschen" Gromutter und %ante &onja in einem schbigen 'uartier.

    Ellen trumt daon, ihrer Mutter nach (meri$a zu folgen, und als sie erfhrt, dass dafr ein isumerforderlich ist, schleicht sie sich nach )ienstschluss ins *onsulat. )ort reit sie eine Welt$arte on der

    Wand, breitet sie auf dem !uboden aus, faltet ein weies +aierschiff und sticht on -amburg aus in&ee. nterwegs nimmt sie auch noch andere "*inder mit falschen Groeltern" /&eite 01 an 2ord.

    (ls der *onsul gegen Mitternacht on seinem &chreibtisch aufsteht und seine (mtsrume erlsst,stolert er im )un$eln ber etwas. Er macht wieder 3icht und sieht ein Mdchen, das auf eine3and$arte liegt und schlft. orsichtig bettet er Ellen auf ein &ofa und wartet geduldig, bis sie aufwacht.)as gewnschte isum $ann er ihr nicht ausstellen, aber er rt ihr, es selbst zu tun4

    "Wer sich nicht selbst das isum gibt, bleibt immer gefangen. 5ur wer sich selbst das isum gibt, wirdfrei." /&eite 601

    Der Kai

    2ibi, Georg, *urt, 3eon, -anna, 7uth und -erbert haben nicht nur zwei "falsche" Groeltern wie Ellen,sondern drei oder ier. 8hnen ist deshalb fast alles erboten, und sie haben stndig (ngst or der"geheimen +olizei". &eit sieben Wochen sitzen sie am *ai und warten darauf, dass ein *lein$ind insWasser fllt, damit sie es retten und zum 2rgermeister bringen $9nnen. )er wird sie loben, und danndrfen sie auch wieder im &tadtar$ sielen und auf den 2n$en sitzen.

    Whrend ein &chiebudenbesitzer die *inder zum 7ingelsielfahren einldt und mitnimmt, bleibt Ellen

    am *ai sitzen4 )er 2udenbesitzer hat sie zurc$gelassen, weil sie im Gegensatz zu den anderen *indernauch sonst *arussell fahren darf. Whrend Ellen wartet, $ommt eine !rau mit zwei *indern orbei, ondenen eines noch im *inderwagen liegt. +l9tzlich ac$t das gr9ere *ind den &ugling, luft zumWasser hinunter und $lettert in einen alten *ahn. )ie &tr9mung erfasst das 2oot: es $entert. &ofort renntEllen hinterher und rettet die *inder.

    2ibi, Georg, *urt, 3eon, -anna, 7uth und -erbert, die gerade om ;ahrmar$t zurc$$ommen, finden es

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    ungerecht, dass Ellen in der $urzen Ellens ater, "der Mann, der Ellen gebeten hatte, ihn zu ergessen" /&eite A01. &ie strec$t die -and nachihm aus, er weicht zurc$, doch Ellen um$lammert ihren ater, damit die anderen *inder daonlaufen$9nnen.

    Das heilige LandWeil die *inder den &tadtar$ nicht betreten drfen, sielen sie auf dem !riedhof, und statt auf 2n$ensitzen sie auf Grbern.

    Ein *utscher nimmt sie in seinem erbeulten, schwarzen Wagen mit rissigen 3ederbezgen mit. )ie*inder hoffen, dass er sie ins heilige 3and bringt, aber die Grenze bleibt immer gleich weit entfernt, undam Ende stellt sich heraus, dass die !ahrt im *reis erlief.

    Im Dienst einer fremden Macht

    Weil -erberts %asche ein 3och hat, erliert er auf der &trae ein englisches o$abelheft. (ufgeblttertliegt es im 7egen, und die %inte erluft. Ein ;unge, der eine niform trgt, bleibt stehen, hebt daso$abelheft auf, blttert darin und nimmt es mit. Er betritt dasselbe -aus wie -erbert, doch whrenddieser fnf %reen hinauf zur Mansarde geht, gesellt sich der uniformierte ;unge zu den anderen in+arterre, die gerade das 3ied on den blauen )ragonern singen.

    "Wem geh9rt das -eftC"")enen da oben, die $eine niform tragen drfen. )en anderen=""Ein englisches o$abelheftC""Weshalb lernen sie EnglischC"?...@ Weshalb lernt man Englisch, wenn man sterben mussC /&eite 0Af1

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    Die Angst vor der Angst

    Ellen leidet darunter, dass sie nicht zu den anderen *indern geh9rt, die drei oder ier "falsche"

    Groeltern haben und einen &tern auf der *leidung tragen. -eimlich nimmt sie einen solchen &tern ausder 5hschachtel ihrer Gromutter, stec$t ihn ans *leid und betrachtet sich im &iegel. )ann luft siehinunter auf die &trae, um fr Georg eine %orte zu $aufen, denn er hat Geburtstag.

    Ellen ?...@ lief durch die alten, nebligen Gassen, orbei an Gleichgltigen und Glatten ?...@ )er &tern anihrem Mantel beflgelte sie. 3aut $laerten ihre &ohlen auf dem harten +flaster. &ie lief durch dieGassen ?...@ Erst die %orte im halbhellen &chaufenster der *onditorei brachte sie zum &tehen. )ie %ortewar wei und glnzend, und darauf stand mit rosa

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    +olen.

    Das groe Spiel

    )ie *inder sielen Maria und ;osef, den Engel und die )rei *9nige. Es lutet, aber sie 9ffnen erst, alses wieder aufh9rt. )rauen steht Ellen.

    "Weshalb habt ihr nicht aufgemachtC"")u hast das

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    !l"geltraum

    )rei Minuten or der lanmigen (bfahrt eines Munitionszugs $ann der 3o$fhrer sich l9tzlich nicht

    mehr an das nimmt sie in seinem (uto mit. (ls er indie &chulter getroffen wird, erstec$en sie sich in einem leer stehenden -aus. ;an sollte eine 5achrichtzu einer Einheit bei der um$mften 2rc$e bringen und weil er dazu nicht mehr in der 3age ist, bitteter Ellen, es fr ihn zu bernehmen. 2ei der 2rc$e liefert Ellen den 2rief einem +osten ab. Eine !rau,die einen blutbesritzten weien Mantel trgt, warnt Ellen4 "5icht dorthin=" (ber das Mdchen reitsich los.

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    )ie brennenden (ugen auf den zerslitterten 7est der 2rc$e gerichtet, srang Ellen ber eine aus dem2oden gerissene, emor$laffende &traenbahnschiene und wurde, noch ehe die &chwer$raft sie wiederzur Erde zog, on einer eJlodierenden Granate in &tc$e gerissen." /&eite IBB1

    &eitenanfang

    $uch%esprechung:

    8lse (ichingererzhlt on jdischen *indern, die einen ;udenstern tragen mssen und nicht mehr im&tadtar$ sielen drfen. &chlielich holt die Gestao sie ab und deortiert sie in einernichtungslager.

    Ein fnfzehnjhriges Mdchen, dem dieses &chic$sal ersart bleibt, weil es nicht drei oder ier, sondernnur zwei "falsche" Groeltern hat, wird am Ende on einer Granate zerfetzt.

    Weder der 5ame -itler noch die 2egriffe ;uden oder5ationalsozialismus$ommen in 8lse (ichingerseinzigem 7oman or: auch der 5ame der &tadt /Wien1 wird nicht genannt4 ")ie gr9ere -offnung" ist$eine $on$retKrealistische )arstellung der )emtigungen, der (ngst und der erzweifelten -offnungangesichts des nationalsozialistischen %errors, sondern eine allegorische )ichtung in zehn chronologischangeordneten 2ildern aus der +erse$tie eines fnfzehnjhrigen Mdchens mit autobiografischen

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    %ochter einer (rztin und eines on &teinmetzen und &eidenwebern abstammenden 3ehrers.ol$sschule

    und GLmnasium in Wien.

    5ach dem Einmarsch -itlers in Nsterreich im Mrz 6H0 erlor die jdische Mutter sofort+raJis,

    Wohnung und ihre &tellung als stdtische (rztin. )ie &chwester $onnte im (ugust 6HH nachEngland

    emigrieren, der *riegsausbruch erhinderte die gelante (usreise der restlichen !amilie4 )ieGromutter

    und die jngeren Geschwister der Mutter wurden 6HAI deortiert und ermordet. 8lse (ichingerwar

    whrend des *rieges in Wien diensterflichtet: nach *riegsende 2eginn einesMedizinstudiums, das sie

    6HAB abbricht, um den 7oman O)ie gr9ere -offnungO zu schreiben. (rbeit im 3e$torat des &.!ischer

    erlages in Wien und !ran$furtPM. anschlieend an der on 8nge &choll geleiteten lmer

    ol$shochschule, wo sie an orbereitung und Grndung der O-ochschule fr GestaltungOmitarbeitet.

    6HFI +reis der Grue AB fr die O&iegelgeschichteO. 6HF -eirat mit Gnter Eich, zwei *inder,

    Qlemens /6HFA1 und Mirjam /6HFB1. 5ach einigen ;ahren in #berbaLern /3enggries undQhiemsee1

    mzug nach Grogmain bei &alzburg 6H. 6HBI starb Gnter Eich: 6H0A bis 6H00 lebte 8lse(ichinger

    in !ran$furtPM., seit 6H00 in Wien.

    Wichtige (uszeichnungen4 +reis der Grue AB /6HFI1, GeorgK%ra$lK+reis /6HBH1, +etrarcaK+reis/6H0I1,

    !ranzK*af$aK+reis /6H01, +reis der Weilheimer &chlerjurL /6H001, &olothurner 3iteraturreis/6HH61,

    Groer 3iteraturreis der 2aLrischen ($ademie /6HH61.

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    Weitere Wer$e4 )er Gefesselte

    Eliza Eliza

    &chlechte W9rter

    *leist, Moos, !asane

    (uc$land

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    damit Obeschmc$tO in eine *onditorei um eine Geburtstagstorte fr Georg zu $aufen. Man wirftsie aus

    der *onditorei hinaus. 5un wird ihr bewut, was der &tern bedeutet und was es heit ihn tragenzu

    mssen.

    Ellens Gromutter begeht &elbstmord, da sie glaubt das sie on der Geheimolizei abgeholtwerde.

    )ie *inder sielen gemeinsam das *riensiel. Es lutet. 5ach lngerem

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    +l9tzlich sieht Ellen Georgs Gesicht ber sich. &ie erzhlt ihm das die 2rc$e nicht mehr steht,wo sie

    immer gesessen sind, in der -offnung ein *ind m9ge hineinfallen und sie $9nnten es retten.

    Georg tr9stet sie und ersricht ihr eine neue 2rc$e zu bauen, mit dem 5amen O)ie gr9ere-offnungO.

    Ellen sringt ber eine gerissene &traenbahnschiene, und wird, noch beor sie wieder am2oden

    auf$ommt, on einer eJlodierenden Granate in &tc$e gerissen.

    +ers9nliche Gedan$en

    8lse (ichinger beschreibt in ihrem 7oman O)ie gr9ere -offnungO die 5azizeit aus der &icht der

    *inder.

    Ellen m9chte genauso sein wie ihre !reunde, einen ;udenstern tragen und mit ihnen sielen.)och sie

    $ann noch gar nicht abschtzen was dies eigentlich bedeutet und was dies fr !olgen hat.

    8n der 2iograhie on 8lse (ichinger steht geschrieben, da ihre Mutter ;din ist. 8n diesem7oman sind

    sicher auch Erfahrungen aus ihren 3eben enthalten. (lleine die orstellung in so einer

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    (ls ich in der &chule ber die Greueltaten des zweiten Welt$riegen erfahren habe, habe ich zu-ause

    gleich meine Mutter mit !ragen Ogel9chertO. &ie war, als dies alles geschah zwar erst sieben ;ahrealt, aber

    es blieben ihr sehr iele )inge im Gedchtnis. )ie &traen die bedec$t waren on 3eichen.%agelange

    (usgangserbote bis alle 3eichen beseitigt waren. )ie jungen Mdchen die am )achbodenerstec$t

    wurden und die meine Mutter nicht $annte. 8ch stellt mir immer wieder die !rage warum dafremde

    Mdchen am )achboden waren. Meine Mutter $onnte mir diese !rage aber nicht beantworten.

    &ie hatte

    ihre Mutter nie danach gefragt, weil sie so froh war das alles orbei war. 8ch fragte also meineGromutter,

    ob das auch alles stimme. (ber meine #ma gab mir $eine (ntwort auf diese !rage. &ie sagte nures war

    eine &nde was mit Odiesen MenschenO assiert ist und sie schmt sich ber solche )inge zusrechen. Es

    ist besser nicht alles zu wissen was damals assiert ist. (ber das einzig wichtige ist es aus denielen

    !ehlern zu lernen. 5ur weilein Mensch ein ;ude ist, ist er nicht anders als alle anderen Menschennd sie

    wrde immer wieder so handeln, auch wenn sie wiederihre eigene !amilie gefhrden wrde 8cherstand

    erst iel ster, was dies alles zu bedeuten hat. 8ch srach meine #ma noch iele Male zu diesem%hema

    an, aber sie gab mir nie eine genaue (ntwort.

    Mich hat dieses 2uch sehr fasziniert, aber auch zutiefst betroffen gemacht. Was $9nnenunschuldige

    *inder dafr, wenn Erwachsene *riege fhren. 8ch den$e mir immer man wird immer wieder!ehler

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    machen, das $ann man leider nicht erhindern. (ber darum mu man doch aus seinen !ehlernlernen.

    Warum tun das die Menschen nichtC Warum gab es diese Grausam$eiten, die im zweitenWelt$rieg

    assierten, nun in ;ugoslawien wiederC 8ch $ann dies alles nicht erstehen=

    Es ist erstaunlich, wie genau 8lse (ichinger die Gefhle der *inder beschrieben hat.

    )as Mitgefhl, das Ellen trotz ihrer eigenen aussichtslosen 3age allen anderen Menschenentgegenbrachte.

    8ch finde or allen regt dieses 2uch sehr zum 5achden$en an.

    Es ist das erste 2uch und der einzige 7oman 8lse (ichingers, der Grande )ame der

    9sterreichischen 3iteratur. Manch einer hat sie schon sitzen sehen im QafR )emel am *ohlmar$t,und iele werden ihre $urzen Erzhlungen, Gedichte oder -9rsiele $ennen. S)ie gr9ere-offnungT war ihre erste +ubli$ation4 6HA0, noch in (msterdam erschienen, machte der 7oman8lse (ichinger zur neuen, groen 3iteratin der %rmmerK und 5ach$riegsliteratur und mit einem&chlag berhmt.

    )amals war die (utorin I ;ahre alt und wollte nur, be$ennt sie in einem aber eines der wichtigsten Wer$e der deutschsrachigen 3iteratur ist esielleicht gerade deshalb geworden. S)ie gr9ere -offnungT erzhlt aus *indersicht on denGrueln des

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    -erzanfllen starb, und dessen S+rsenzT 8lse (ichinger weiterhin SsrteT. &eit sie 6HFI den3iteraturreis der Grue AB erhielt, $amen unzhlige Ehrungen hinzu4 om 5ellLK&achsK+reisbis zum Nsterreichischen &taatsreis fr 3iteratur. 8lse (ichinger ist eine Meisterin derer$naung. (uch S)ie gr9ere -offnungT wurde mehrfach berarbeitet, zuletzt noch IDDB.)ie *onzentration stand dabei im ordergrund. Wo es beisielsweise 6HA0 noch hie S)er

    -immel war blau. 2lau noch immer= )as -aus gegenber war weggerissenT, so liest man insteren (usgaben4 SMan sah den -immel gut. )as -aus gegenber war weggerissen.T Esscheint fast wie in der -om9oathie4 8lse (ichinger otenziert und sublimiert ihre %eJte immerstr$er, bis sie endlich ins &chweigen hinbergleiten > einer &tille, die auch in den leider seltenwerdenden er9ffentlichungen der (utorin mer$bar wurde. S)ie gr9ere -offnungT aber, dieserunter die -aut gehende S2erichtT, wird noch lange und oft gelesen werden.