Im Buch bl¤ttern (PDF) - WIENAND KUNSTBUCH VERLAG

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Vorwort Ulrike Groos Rasterfahndung Das Raster in der Kunst nach 1945 Simone Schimpf Plastic Fantastic Hannah B Higgins Die Bildwelt im Raster Das „mediale“ Raster im Werk von Roy Lichtenstein, Sigmar Polke und Chuck Close Ilka Voermann Der Fehler im System Raster, Wurzelbaum und Rhizom Julia Bulk Rasterstadt und Utopie Annett Zinsmeister Programm und Raster Zur Ausbreitung analoger und digitaler Techniken des Rasterns Andrea Sick Das Raster Seine Bedeutung für Musik und andere Künste Ulli Götte English Appendix Preface Essays Artists AK Artists LR Artists SZ Impressum 272 273 274 304 314 319 326 I II A–K L–R S–Z Apx Carl Andre Frank Badur Horst Bartnig Thomas Bayrle William Betts Enrico Castellani Michiel Ceulers Chuck Close Gianni Colombo DAG Hanne Darboven Günther Förg Katharina Gaenssler K. O. Götz Eva Grubinger Raymond Hains Mona Hatoum Katharina Hinsberg Jürgen Klauke Michael Klier Attila Kovács Christina Kubisch Sol LeWitt Roy Lichtenstein Max H. Mahlmann Piero Manzoni Agnes Martin Pia Maria Martin Gerold Miller Manfred Mohr François Morellet Sarah Morris Carsten Nicolai Chris Oakley Sigmar Polke Gerhard Richter Peter Roehr Fiene Scharp Astrid Schindler Jan J. Schoonhoven Tina Schulz Tim Stapel Esther Stocker Günther Uecker Timm Ulrichs Reinhard Voigt Simone Westerwinter Christopher Wool Annett Zinsmeister Heimo Zobernig Beat Zoderer 84 86 90 92 98 102 104 108 112 116 122 124 128 132 136 138 140 144 148 156 158 162 168 170 172 174 176 178 180 182 184 188 194 198 200 206 208 214 218 222 226 232 234 238 240 242 248 252 256 260 266 20 22 31 43 50 59 67 73 III IV V VI VII

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VorwortUlrike Groos

Rasterfahndung Das Raster in der Kunst nach 1945 Simone Schimpf

Plastic FantasticHannah B Higgins

Die Bildwelt im RasterDas „mediale“ Raster im Werk von Roy Lichtenstein, Sigmar Polke und Chuck Close Ilka Voermann

Der Fehler im System Raster, Wurzelbaum und RhizomJulia Bulk

Rasterstadt und UtopieAnnett Zinsmeister

Programm und RasterZur Ausbreitung analoger und digitaler Techniken des RasternsAndrea Sick

Das Raster Seine Bedeutung für Musik und andere KünsteUlli Götte

EnglishAppendix

PrefaceEssaysArtists A – KArtists L – RArtists S – Z

Impressum

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A–K

L–R

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ApxCarl Andre Frank Badur Horst Bartnig Thomas Bayrle William BettsEnrico Castellani Michiel Ceulers Chuck CloseGianni ColomboDAGHanne DarbovenGünther FörgKatharina GaensslerK. O. GötzEva GrubingerRaymond HainsMona HatoumKatharina HinsbergJürgen KlaukeMichael KlierAttila KovácsChristina Kubisch

Sol LeWittRoy LichtensteinMax H. MahlmannPiero ManzoniAgnes MartinPia Maria MartinGerold MillerManfred MohrFrançois MorelletSarah MorrisCarsten NicolaiChris OakleySigmar PolkeGerhard RichterPeter Roehr

Fiene ScharpAstrid SchindlerJan J. SchoonhovenTina SchulzTim StapelEsther StockerGünther UeckerTimm UlrichsReinhard VoigtSimone WesterwinterChristopher WoolAnnett ZinsmeisterHeimo ZobernigBeat Zoderer

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I. Der Mythos vom RasterDer berühmte Brand in Chicago wütete vom 8. bis zum 10. Oktober 1871 und

nahm seinen Anfang in einem Schuppen an der De Koven Street 137 mit Mrs. O’Learys berühmter Kuh, die eine Laterne umtrat, die ein paar Funken entfachte, die ein paar Heureste entzündeten, die den Schuppen, den Häuserblock, das 13 Tage alte Palmer House Hotel und mit ihm den Großteil der Innenstadt in Flammen aufgehen ließen. Damals schon hieß es, es seien noch andere Ursachen im Spiel gewesen: Daniel „Pegleg“ O’Sullivan hatte bei den O’Learys nach dem Besuch einer Feier in der Nachbarschaft, wo er einen über den Durst getrunken hatte, Milch gestohlen. Bei der Auslösung des Alarms mit manuell bedienten Glocken ertönte außerdem der falsche Stadtteilcode, sodass die Löschfahrzeuge in ein anderes Viertel geleitet wurden. Der Komet Biela passierte zu diesem Zeitpunkt gerade die Erde und hatte wohl, wie schon in der Nacht zuvor, für Brände gesorgt, und so waren in der jungen Stadt nur wenige Feuerwehrfahrzeuge einsatzbereit. 1883 – zwölf Jahre nach dem Brand – schrieb der Astronom und Schriftsteller Ignatius Donnelly: „Es gibt Grund zur Annahme, dass die gegenwärtige Generation den Gasen eines verlängerten Kometen-schweifs ausgesetzt war und dass Hunderte von Menschen ums Leben kamen.“1 All diese Ursachen sind von der Geschichtsschreibung weitgehend ignoriert worden, was bereits direkt nach dem Feuer der Fall war. Mein Interesse an Rastern macht nun die von uns allen geteilte Begeisterung für die Geschichte von Mrs. O’Leary und den Brand von Chicago zum Ausgangspunkt, und ich frage: Weshalb ist die O’Leary-Geschichte wohl besser als die Fakten, die sie richtigstellen?

Fast jeder Besucher Chicagos kennt den Mythos von der Gründung der Stadt mit einer unregelmäßigen Straßenführung, die den Fährten der Indianer und den natürlichen Landschaftsformen folgte. In der berühmten Namensverleihung des Jahres 1833 wurden die idyllischen Anfänge Chicagos bestätigt: Der Name der Stadt leitet sich von „shikakwa“ her, wie der Potawatomie-Stamm das Gelände nach der am Ufer wachsenden, intensiv riechenden Wildzwiebel benannt hatte. Wir haben eine organische und lose geknüpfte Stadtgemeinschaft mit sich schlängelnden Straßen und Kuhpfaden vor unserem geistigen Auge. Was nicht mit diesem imaginierten Chicago übereinstimmt ist die Tatsache, dass der rasterförmige Straßenplan nach der Bauverordnung von 1785 für alle künftigen Stadt-gründungen in den USA praktisch zum Gesetz geworden war. Dies bedeutet im Wesent- lichen, dass Chicago zum Zeitpunkt seiner Gründung 1834 durch den Immobilienspeku- lanten John Wright bereits in der Rasterform vorausgedacht worden war. Ebenso wie die komplexen Ursachen des Brandes von Chicago finden diese Tatsachen in den touristi- schen Darstellungen zur Stadtgründung aber meist keine Beachtung. Die Frage lautet auch hier wieder: Warum?

Beide Erklärungen stehen miteinander in Zusammenhang. Als Mythos etabliert die O’Leary-Geschichte die unvermeidliche Geburt der Moderne aus der Asche des Pas- toralen. Auch fehlt das prämoderne Raster der Stadt fast ganz in den euphorischen Berich-ten über den „Chicago Plan“ mit seinen „parallel angeordneten Gebäuderiegeln“, der zur scheinbar freien Form der Kuhstadt des Mittleren Westens im Widerspruch steht. Diese Miss-deutungen stützen sich auf die Gleichsetzung der Rasterform mit der aufkeimenden Mo- derne, während man sich die Vormoderne als deren Gegenteil vorzustellen hatte.

1893 publizierte ein Verleger gängiger Landkarten namens Rand McNally Bilder eines neuen und modernen Chicago in gitterförmiger Anordnung, in denen das städte- bauliche Raster eine Verbindung mit der regelmäßigen Fensterverteilung in den damals auf-kommenden modernen Gebäudefassaden eingeht (damals entstanden die ersten Wolken-kratzer), und damit auch mit den Innenräumen der Bauten [Abb. 1]. Diese Gebäude galten als Zentren der Betriebsamkeit, als Orte einer neuen, erfolgreichen und hoch dynamischen Produktionsökonomie. Von dort konnten Waren mittels eines funkelnagelneuen Eisen- bahnnetzes in die ganze Welt transportiert werden. In der Tat bilden solche ineinandergrei-fenden Rastersysteme das Gitternetz der Moderne im 20. Jahrhundert: Von der Stadt- planung bis hin zu Bürogrundrissen, Grafik, Containern und Computergrafik nimmt faktisch jede wirtschaftliche Unternehmung des modernen Zeitalters die Form eines Rasters an. Wie ich in The Grid Book2 ausgeführt habe, bestärkten die aus der Malerei vertrauten Raster-muster die generelle Gleichsetzung des Rasters mit der Modernität.

1Donnelly, Ignatius: Ragnarok: The Age of Fire and Gravel, New York 1883.

2Higgins, Hannah B: The Grid Book, Cambridge, MA, 2009.

[Abb. 1]

Wie man weiß, folgen die orthodoxen Interpretationen der modernen Malerei – ganz gleich, ob sie nun spirituell oder rationell ausgerichtet sind – einer purifizierenden Logik. Dieser Vorstellung folgte bekanntlich auch die Kunsthistorikerin Rosalind Krauss in ihrem beispielhaften Essay „Raster“ aus dem Jahr 1978:

„Flach, geometrisch, geordnet, ist es anti-natürlich, anti-mimetisch, anti-real. So siehtKunst aus, wenn sie der Natur den Rücken kehrt. Mit seiner durch die Koordinatenbedingten Flächigkeit verdrängt das Raster die Dimensionen des Realen und […] ist […] das Ergebnis […] ästhetischen Dekretierens.“3

Wie hier beschrieben, macht das moderne Raster eine zunehmend abstrakte Kunst erst möglich. Die gute Moderne wird dementsprechend in den planen, geordneten Flächen und Rastern des niederländischen Künstlers Piet Mondrian deutlich ausgedrückt.

Und dennoch gelingt Mondrians klassischen Werken der 1930er-Jahre keine Stabilisierung in der Art, wie sie die Beschreibung von Krauss fordert. Nehmen Sie sich ein wenig Zeit für die intensive Betrachtung eines klassischen Bildes von Mondrian. Auf den ersten Blick ist da ein einfaches Quadrat, bedeckt von einem schwarzen Raster und einigen Bereichen in flachen Primärfarben. Doch gerät nach ein paar Sekunden eine schwebende Bildebene aus diagonalen Energien sowie horizontalen und vertikalen Streifen, die als Fotonegative gedeutet werden, auf und um das schwarz gemalte Gitter des tatsächlichen Objektes in Bewegung. Diese feinen Linien bewegen sich in schwindelerregendem Tempo über die umherschwimmenden Felder der Primärfarben hinweg, die über die Begrenzungen des flachen Gitterwerks, aus dem die bemalte Oberfläche besteht, hinauszuquellen schei- nen; sie bewegen sich auch an den Rändern dieser Primärfarben-Felder entlang. Hinter diesem Gitter eröffnet sich ein scheinbar unendlicher Raum mit kaum fassbaren Bereichen aus Weiß und / oder Primärfarben, die vom Fenstergitter des schwarzen Rasters gerade noch eingefasst werden. Dieses Seherlebnis steht in klarem Widerspruch zu der geordneten Welt, die das Trägermaterial bei einer von seiner optischen Wirkung unabhängigen Be-trachtung bietet und die in orthodox-modernistischen Beschreibungen gewünscht wird. Im Gegensatz dazu besteht das von uns betrachtete Bild aus dem Zusammenspiel zwischen Bildfläche und dem von ihr beinflussten Raum.

Mondrians späteres Gemälde Broadway Boogie Woogie (1943) [Abb. 2] nutzt diese Wirkung für sich, ein Hinweis darauf, dass die paradigmatischen Raster der Kunst der Mo-derne nicht ganz so „irreal“ sind, wie die obige Beschreibung zunächst vermuten ließe. In diesem späten Mondrian treten weiße Quadrate als städtische Häuserblocks in Erschei-nung. Spuren von Gelb und Rot sowie die Illusion von Grün (wo Blau an Gelb grenzt) erinnern an Ampeln und Autoscheinwerfer auf dem New Yorker Broadway. Im eigentlichen Bild vib- rieren Quadrate über das Gitternetzwerk hinweg und stellen den von Ampeln gesteuerten Verkehrsfluss im urbanen Straßenraster dar. Zusammenfassend gilt: Die Quadratformen von Broadway Boogie Woogie stabilisieren sich nicht; sie vibrieren ungleichmäßig über die Bildoberfläche. Diese dynamischen Formen verlagern sich im Takt, üben formalen Druck auf die geometrische Ordnung und die Flächigkeit aus, die das Gemälde auf den ersten Blick zu vermitteln scheint. Auch geben die gelben Linien die Mittelmarkierungen auf der Straße in Fernsicht wieder: Es handelt sich im Wesentlichen um ein mimetisches Bild von der Zeit-Raum-Erfahrung einer modernen Metropole, die von oben gesehen wird.

Da ist es keine Überraschung, wenn Mondrians späteres Schaffen von der mo-dernistischen Kritik meist als „schlecht“ abgetan wird. Genau das sagte Clement Greenberg:

„Ich habe Mondrians ,Boogie-Woogie-Bilder‘ überschätzt. Ich war eingeschüchtert, und das war mir eine Lehre. Alle Personen, deren Auge ich damals respektierte, hatten Ehrfurcht vor Mondrian. Und die ,Boogie-Woogie-Bilder‘ – ,Broadway Boogie Woogie‘ und ,Victory Boogie Woogie‘ – waren schlecht. Ich erkannte, dass esmit Mondrians Kunst seit Mitte der Dreißiger bergab gegangen war, aber gesagt wurde das nicht.“4

3Krauss, Rosalind E.: „Raster“, in: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam und Dresden 2000, S. 51 / 52.

4Clement Greenberg, Russell Bingham, Graham Peacock und Michel Smith im Gespräch (1991), in: The Edmonton Contemporary Artists’ Society Newsletter, Bd. 3, Nr. 2 und Bd. 4, Nr. 1, 1995.

[Abb. 2]

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Rand McNally (Verleger)Illustration depicting build- ings from Adams Street, North on Dearborn, Chicago, Illinois, 1893, Publisher: Rand McNally and Co., Reproduc- tion of Illustration ICHi-5 1542

Buckminster FullerGeodesic dome building Expo ’67 (Montreal)

Grid Cell

[Abb. 1] [Abb. 3] [Abb. 4]

III. Plastic FantasticSo hat etwa der kinetische Künstler Gianni Colombo anstelle von festen geo-

metrischen Körpern elastische Rasterwürfel geschaffen, deren drei Dimensionen langsam gedehnt und komprimiert werden und so ein sich beständig wandelndes geometrisches System hervorbringen, in dem der Kubus hinter Fläche, Linie und Punkt zurücktritt [Abb. 5]. Beim Betrachten eines solchen Werkes ließe sich nur schwer eine spezifische geometrische Ordnung beschreiben – dort gibt es keine Viereckraster. Dennoch entsteht, wie auch bei Fullers Formen, ein geometrischer Eindruck von Ordnung durch den ins Gleichgewicht gebrachten Austausch von Dehnung und Spannung entlang der Drähte. Diese Zuggeometrie ist quasi-regelmäßig und offenbart beinahe ein zugrunde liegendes System, aber doch nicht ganz – zumindest nicht für das bloße Auge. Insbesondere schafft Colombo eine Form, die unregelmäßig und regelmäßig zugleich ist – eine unheimliche Geometrie, gebildet aus den Verbindungsmustern benachbarter elastischer Würfel.

Allgemein gilt, dass das Raster für den orthodoxen Modernisten ein viereckiges Fanal der Ordnung und rationales Materialmaß war, in den Händen zeitgenössischer Künst- ler aber eher als Mechanismus dient, um zwischen Ordnung und Chaos zu verhandeln. Wenn es denn überhaupt Bannerträger für etwas sein soll, dann für eine statistisch regelmäßige Unregelmäßigkeit beziehungsweise im engeren Sinne als Hilfsmittel für den Zugang zu gleichzeitig homogenen und inhomogenen Informationen in einer Weise, die den Doppel-charakter beider wahrt. Der Digitalkünstler Michael Field findet dafür diese Worte: „Belie- bigkeit besteht neben Form und Struktur und wirft Licht auf sie – genau das Gegenteil der konventionellen Ansicht, dass Chaos die Antithese von Struktur ist.“8

Ein schneller Vergleich der Werke von Sol LeWitt und Colombo zeigt auf, was die moderne Schachtel und skalare Netzwerkraster voneinander unterscheidet. Die Kuben und gebrochenen Kuben LeWitts weisen dem Betrachter einen Platz zu, der eindeutig außer-halb des Systems liegt. Er ist „extern“ zum geometrischen Objekt. Dieses ist skulpturaler Ausdruck einer geometrischen Abstraktion und von glatter euklidischer Geometrie. Im Gegensatz dazu wird Colombos Spazio elastico als kontinuierlich zur Geometrie des Gegen-stands aufgefasst: Der Betrachter befindet sich innerhalb und außerhalb des Systems. Dasselbe gilt für eine ganze Reihe von Künstlern in dieser Ausstellung: Esther Stocker [Abb. 6] und Katharina Hinsberg [Abb. 7] wären da zu nennen. Wir sind Teil dieser Rasterkonstruk- tionen und einbezogen in das System des Werkes, vor allem weil die Oberflächen am Rand keine abschließende Ebene bilden und somit die Fortführung der Formen in den Raum des Betrachters bedingen.

Ein physikalischer Begriff für dieses Schwanken zwischen den Dimensionen ist Rauheit, und ihn hätte Fuller gewiss als einen ethischen Imperativ verstanden, da er das Individuum zur Umgebung in Beziehung setzt und die euklidische Geometrie stört. Fuller de-finierte menschliche Erfahrung in der Überführung zwischen individuellen und externen Systemen: „Das Leben ist, kurz gesagt, ‚Bewusstsein‘, welches inhärent pluralistisch ist […] es besteht aus dem individuellen System, das […] [seines] ‚Andersseins‘ […] [als] ent-weder integriert-intern oder separat-extern vom Beobachtungssystem gewahr wird.“9 Anders formuliert, erfordert Wahrnehmung laut Fuller ein zweifaches Bewusstsein des Selbst: als Teil des Beobachtungssystems und getrennt von ihm.

Wir könnten auch sagen, dass LeWitt dem Betrachter eine universale Absolut- heit anbietet, ein Bild der euklidischen Form an sich, das verschieden ist von der chaotischen Geometrie des gelebten Lebens. Die Werke LeWitts drücken mehrere voneinander sepa- rate Dimensionen aus: die eindimensionale Linie, die zweidimensionale Fläche und der drei-dimensionale Würfel sind benachbarte, doch verschiedenartige Eigenschaften [Abb. 8]. Den-noch könnten wir hier fragen: Wo finden sich dimensionsreine Linien, Flächen und Würfel in Kunstwerken wie den eben genannten? Stockers gebrochene Linien und Flächen wandeln sich, wenn wir mit ihnen in Beziehung treten. Die gebrochene Fläche wird, wenn wir sie um-runden, zur Linie, die Linie zum Punkt, wenn wir am Ende der linearen Strukturen vorbeigehen. In ähnlicher Weise krümmen sich auch Hinsbergs Raster und verweisen damit auf die Un-möglichkeit einer wahrhaft reinen Planarität. Von einem euklidischen Blickwinkel aus gese-hen fallen diese Raster aus der Rolle. Sie verändern die Weise, wie wir Geometrie sehen und kennen. In jedem dieser Werke ist die Geometrie fraktal, was bedeutet, dass sie eine zu-gleich regelmäßige und unregelmäßige Form annehmen.

8Field, Michael: Art of the Digital Age, hrsg. von Bruce Wands, London 2006, S. 175.

[Abb. 5]

[Abb. 6]

[Abb. 7]

9Fuller, Richard Buckminster: „‚Prologue‘, from Tetrascroll: Goldilocks and the Three Bears (1975)“, in: Zung, Thomas T. K. (Hrsg.): Anthology for the New Millenium, New York 2001, S. 179.

[Abb. 8]

Piet MondrianBroadway Boogie Woogie 1942 – 43The Museum of Modern Art, New York© 2012 Mondrian / Holtzman Trust c / o HCR

[Abb. 2]

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Jeden Morgen, wenn wir die Zeitung aufschlagen, begegnen wir – ohne es zu merken – dem Raster. Die massenhafte Verbreitung von Bildmaterial, die für uns heute selbstverständlich ist, basiert maßgeblich auf der Zerlegung fotografischer Vorlagen in eine gerasterte Struktur. Den Grundstein hierfür legte 1881 Georg Meisenbach mit der Entwicklung der Autotypie – ein Verfahren, mit dessen Hilfe sich Fotografien aufrastern und im Hochdruck reproduzieren lassen.1 Die Tonwerte der Fotografie werden dabei in einzelne, druckfähige Punkte unter-teilt, die im Auge des Betrachters zusammen das reproduzierte Bild ergeben. Das Druckraster ist auf frühen entsprechenden Reproduktionen häufig noch sehr gut zu erkennen. Doch mit der Weiterentwicklung der Drucktechnik verschwand die Rasterstruktur immer mehr, auch wenn sie nach wie vor die Grundlage für die Wiedergabe fotografischer Vorlagen bildet. Die neue Technik wurde seit dem späten 19. Jahrhundert nicht nur für die Illustration von Nach-richten, sondern auch für die Verbreitung von werbewirksamen Bildern genutzt.

Der Einfluss des Druckrasters auf die Kunst machte sich erstmals in den 1960er- Jahren bemerkbar, als mit der Pop Art alltägliche Gegenstände und Bilder Einzug in die Welt der hohen Kunst hielten. Künstler wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein nutzten für ihre Arbeiten druckgrafische Vorlagen aus Zeitungen, Werbebeilagen und Katalogen. Das Druckraster bot diesen Künstlern vielfältige Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit den Fragen nach unserer Wahrnehmung und unserer Gesellschaft, die die gerasterte Bilder- flut hervorbrachte.

Die Reihe der Künstler, die sich in ihren Werken mit dem Druckraster und anderen medialen Formen des Rasters beschäftigt haben, ist lang und eine Übersicht über die Ent-wicklung auf diesem Gebiet im Rahmen eines Aufsatzes kaum zu leisten. Ein Blick auf das Werk von Roy Lichtenstein, Sigmar Polke und Chuck Close kann jedoch einen Einblick in die künstlerischen Möglichkeiten des Druckrasters geben. Denn auch wenn die Werke dieser drei Künstler auf den ersten Blick einiges gemeinsam haben, gibt es doch große Unter-schiede in der Herangehensweise und in der Aussage ihrer „medial gerasterten“ Kunst.

Roy Lichtenstein: „Die Punkte sind ganz wichtig.“2

Nachdem Roy Lichtenstein mit mehreren malerischen Stilen experimentiert hatte, begann er 1961 mit seiner am Druckraster orientierten Malerei. Innerhalb kurzer Zeit ent- wickelte er aus dieser Technik seinen eigenen malerischen Stil, der bis heute unverwech- selbar ist. Die malerische Grundlage seiner Gemälde sind scharfkantige schwarze Linien, die den Gegenstand beschreiben, und schwarze, ans Druckraster erinnernde Punkte – sogenannte Benday Dots –, die die Flächen füllen. Diese sehr grafisch orientierte Grundlage wird in den Gemälden durch kräftige Farben vervollständigt (siehe Modern Painting with Wedge) [Abb. 1]. Als Vorlagen für seine Gemälde nutzte Lichtenstein sowohl Comics als auch Darstellungen aus der Werbung. Das berühmte Girl with Ball [Abb. 2] von 1961 ist beispiels- weise einer Sonntagsbeilage der New York Times entnommen.3

Lichtenstein folgte bei der Herstellung seiner Gemälde stets der gleichen auf-wendigen Technik. Zunächst fertigte er eine Zeichnung des Motivs an, die er entweder freihändig entwarf oder durch Abpausen erstellte. Mit Hilfe eines Episkops projizierte er die vergrößerte Zeichnung auf eine Leinwand. Anschließend übertrug er die Darstellung per Hand auf den Bildträger.4 Seine Markenzeichen – die Benday Dots – trug er zunächst mit einer Hundebürste oder mit einer Konstruktion aus zusammengebundenen Pinseln auf. Da ihm das Ergebnis jedoch zu unregelmäßig ausfiel, fertigte er eine Aluminium-Schablone an. Später experimentierte er mit industriell hergestellten Metallsieben und Papierschablo-nen.5 Ziel dieser Versuche war es, einen Herstellungsprozess zu finden, mit dem die Benday Dots regelmäßig und gleichförmig gelangen. Lichtenstein ging es dabei primär darum, die eigene Handschrift oder die Spuren des handwerklichen Arbeitens weitestgehend zu ver-wischen. Das Resultat sollte in seiner glatten, perfekten Oberfläche an seine technisch pro- duzierte Vorlage erinnern.6 Die Gemälde sollten wie eine extreme Vergrößerung der Vor- lage aussehen. Diesen Anspruch karikierte Lichtenstein selbst in seinem 1963 entstandenen Gemälde The Magnifying Glass [Abb. 3]. Das schwarz-weiße Gemälde zeigt eine Lupe, die einen gepunkteten Untergrund vergrößert. Auf ähnliche Weise verarbeitete der Künstler die Vorlagen seiner Werke.

1Einen ausführlichen Überblick über die Ent- wicklung des Druckrasters bietet Peters, Dorothea: „Die Welt im Raster. Georg Meisenbach und der lange Weg zur gedruckten Photographie“, in: Gall, Alexander (Hrsg.): Konstruieren, Kommu- nizieren, Präsentieren. Bilder von Wissenschaft und Technik, Göttingen 2007 (= Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte, Neue Folge Bd. 23), S. 179 – 244.

2Zitiert nach Pincus-Witten, Robert: „Connecting the Dots. Eine Verbindung der Punkte“, in: Mercurio, Gianni (Hrsg.): Roy Lichtenstein. Kunst als Motiv, Ausst.-Kat. Museum Ludwig, Köln, Köln 2010, S. 71.

3Ebd., S. 51.

4Holben Ellis, Margaret und Lindsey Tyne: „Lichten-steins technische Zeichnungen im Zeitalter der Drucktechnik“, in: Dervaux, Isabelle (Hrsg.): Roy Lichtenstein. Black and White 1961 – 1968, Aust.-Kat. Albertina, Wien, Ostfildern 2011, S. 58 – 62.

5 Pincus-Witten 2010 (wie Anm. 2), S. 71.

6Paparoni, Demetrio: „Lichtenstein, das Raster, das Schweigen und die Kunst nach Manet“, in: Ausst.-Kat. Köln 2010 (wie Anm. 2), S. 49.

[Abb. 1]

[Abb. 2]

[Abb. 3]

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Roy LichtensteinModern Painting with Wedge 1967[≥ S. 171, Abb. 1]

Roy LichtensteinGirl with Ball 1961The Museum of Modern Art, New York

[Abb. 1]

Roy Lichtenstein The Magnifying Glass 1963 Privatsammlung

[Abb. 3]

Sigmar PolkeRasterzeichnung (Porträt Lee Harvey Oswald) 1963Privatsammlung

[Abb. 5][Abb. 2]

Roy Lichtenstein Non-Objective II 1964Privatsammlung

[Abb. 4]

Sigmar PolkeLupe 1986Privatsammlung

[Abb. 6]

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Titelo. T.

Jahr2011

Leihgeberim Besitz des Künstlers

Titelo. T.

Jahr2010

Leihgeberim Besitz des Künstlers

Material, TechnikBrushpens und Fineliner auf Nessel

Format80 × 80 cm

Material, TechnikBrushpens und Fineliner auf Nessel

Format80 × 80 cm

[Abb. 3] [Abb. 4]

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199198

Geburtsjahr 1971

Geburtsort Chester

AufenthaltsorteChesterund Oxford

Chris Oakley TitelThe Catalogue

Jahr2004

Leihgeberim Besitz des Künstlers

Material, Technik1-Kanal-Video

Format5:30 min

[Abb. 1]

1

Das Raster ist für viele Fahndungs- und Beobachtungsstrukturen eine wichtige Struktur, um Daten zu erfassen. Was hat Dich daran interessiert, gerade dieses Thema künstlerisch umzusetzen?

In Bezug auf meinen Film The Catalogue [Abb. 1] gibt es keine eindeutige (oder kur-ze) Antwort auf diese Frage. Ausgangspunkt war wohl meine Überzeugung, dass die Mo-derne keineswegs tot ist, und – ästhetisch gesehen – was könnte die Ästhetik der Moderne besser verkörpern als das Raster? Als ich noch studierte, tat ich mich mit der postmodernen Theorie der Zeit sehr schwer, mit der Vorstellung, dass der Wert des Konsens nun durch eine ganze Fülle von Betrachtungsweisen ersetzt worden sei. Dies schien mir ein höchst ab- surder Gedanke zu sein und beschränkt auf den Bereich der Kultur. Mit dem Funktionieren von Politik und Gesellschaft hat das nur sehr wenig zu tun. Was ist die globalisierte Wirtschaft von heute denn anderes als der größte Konsens aller Zeiten? Der Begriff „übermodernis-tisch“ wäre doch besser geeignet, um unser Zeitalter zu beschreiben. So ist das Raster im Werk in dem Sinne präsent, dass es das unserer heutigen Welt zugrunde liegende Raster re- präsentiert. Dies stützt sich nicht nur auf die Idee einer alles beherrschenden Computer-technik, sondern auch auf die wesentlichen Prinzipien des Austauschs, die der Funktionsweise unserer Gesellschaft zugrunde liegen. Ich sehe das Raster in The Catalogue nicht als Fang-netz, sondern als Darstellungsmodus einer Gesellschaft, in der sich unser Wert reduziert hat auf unsere Produktions- und Konsumfähigkeit, gemessen und aufgezeichnet in Echtzeit.

In Deinem Film The Catalogue schlüpft der Betrachter in die Rolle einer im Verborgenen arbeiten- den Agentur, die das Konsumverhalten von Kunden in einer Mall beobachtet und einstuft – ein Szenario, das nicht weit von unserer Realität entfernt ist. Macht Dir diese Zukunftsvision selbst Angst?

Ein solches Vorgehen ist eher traurig und unvermeidlich als erschreckend. War-um sollten Unternehmen so etwas nicht tun? Es mag zwar beunruhigend sein, dient aber nun einmal ihrem Daseinsgrund. Das Operieren globalisierter Ökonomien führt zu einer Ent-wertung des Individuums. Seit dem Entstehen des Films erscheint mir die Explosion der sozialen Medien bei Weitem erschreckender. Die Vorstellung, dass ganze Bevölkerungen einem potenziell globalen Publikum persönliche und vertrauliche Informationen über- lassen, ist erstaunlich; insbesondere wenn man bedenkt, dass dies nachweislich negative Auswirkungen auf das Leben von Menschen haben kann. Abgesehen davon fördert die Natur des Mediums noch eine Entwertung zwischenmenschlicher Beziehungen. Nein, ich habe keinen Facebook-Account.

Interessanterweise stammen die meisten Techniken, mit denen unser Kaufverhalten heute ana- lysiert und eingestuft wird, aus dem Bereich des Militär oder der Verbrechensbekämpfung. Woher rührt Deiner Meinung nach die Verbindung von Kriminalität und Konsum?

Ich glaube, er ist in der Tatsache begründet, dass sich in den Machtstrukturen von Unternehmen und auch von Regierungen eine ähnliche Haltung gegenüber der Be- völkerung zeigt. Für Unternehmen sind wir schlicht und einfach Beute. In den 1990er-Jahren verwendeten Konzerne zunehmend Begriffe wie „Synergie“ oder „Symbiose“ zur Beschrei-bung ihrer Beziehung zu den Verbrauchern. Das ist blanker Zynismus und lachhaft, denn unser einziger Wert für sie besteht in der exakten Bezifferung der Mengen, die wir konsumie-ren können. Letztlich ist die Profilbildung von Individuen gleichermaßen anwendbar, ob man nun einen Bankräuber fangen, jemandem eine Kreditkarte verkaufen oder eine Stimme für sich gewinnen möchte. In diesem Sinne sind alle eine Form von Beute.

207206

Gerhard Richter

„Farben passen genauso zusammen wie die richtigen Lottozahlen.“1

Gerhard Richters Farbtafeln bilden eine in sich geschlossene Werk-gruppe und entstanden in drei Serien von 1966 bis 1974. Inspiriert wurde Richter durch eine einfache Farbmusterkarte für Lacke, die er in einem Düsseldorfer Farbengeschäft gesehen hatte. Wäh- rend die ersten Farbtafeln nur 6 bis 192 Farben aufweisen, zeigen die späteren bis zu 4096 Farbtöne. Das 1973 entstandene Werk 1024 Farben [Abb. 1] gehört zur letzten Serie der Farbtafeln, die Richter nach einem auf Zufall und Kalkulation basierenden System anfertigte. Grundlage für die Komposition ist ein Raster, dessen Feldern per Los ein bestimmtes Mischverhältnis der Farben Rot, Gelb und Blau zugeordnet wird. Die mathematische Grundlage dieses Konzepts und das strenge Äußere der Farbtafeln rücken sie in die Nähe der Minimal Art. Für Richter selbst, der für die Farbtafeln handels-übliche Autolacke verwendete, waren sie eher an die Ideen der Pop Art und damit an die reale Welt gebunden. Darüber hinaus bein-haltet die Farbzusammenstellung nach Losverfahren ein spieleri-sches Element, durch das Richter Kritik an den durchdachten Farb-kompositionen der Nachkriegskunst, wie er sie an der Akademie kennengelernt hatte, übte. 2006 / 07 griff Gerhard Richter für sein Fenster des Kölner Doms und die Arbeit 4900 Farben nach einmal auf sein kalkuliertes Spiel mit den Farben zurück.

Titel 1024 Farben

Jahr 1973

LeihgeberKunstmuseen Krefeld

Material, TechnikLackfarbe auf Leinwand

Format299 × 299 × 5 cm

[Abb. 1]

Geburtsjahr 1932

Geburtsort Dresden

AufenthaltsortKöln

1 Zitiert nach Obrist, Hans-Ulrich (Hrsg.): Gerhard Richter Text, Leipzig und Frankfurt am Main 1993, S. 18.

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Reinhard Voigt

Das Raster ist bei Ihnen elementare Grundstruktur für Ihre gegenständlichen Motive. Wie kam es zu dieser Faszination für das Raster?

Es fing eigentlich ganz harmlos an. Während ich meiner Mutter zuschaute, wie sie ihre Nadelarbeiten verrichtete, erkannte ich, dass ein vollkommen rationales Prinzip die Grundlage für diese Handarbeiten bildete. In einem systematischen Vorgehen wer- den farbige Garne in ein gitterartiges – da ist es: das Raster – Trägermaterial, den Stramin, eingestickt.

Das war eine brauchbare Entdeckung. Mit einer gewissen Nähe zur damals an-gesagten Minimal Art und auch zur Conceptual Art. Ich war allerdings besessen von der Idee, das Raster repräsentativ zu benutzen. Und mir dabei eine gewisse Unhängigkeit zu bewahren.

Rosalind Krauss behauptet, dass das Raster für die Moderne eine symbolische Struktur sei und entsprechend nicht narrativ sein könne, sondern das „Schweigen der Moderne“ verkörpere. Ich finde, dass Ihr Werk diese These widerlegt. Wie sehen Sie das?

Um Morgenstern mal verfälscht zu zitieren: „Dass nicht sein kann, was nicht sein kann …“. Der Essay von Rosalind Krauss ist aus dem Jahr 1978, und es gibt darin eine Passage, in der es heißt: „Da das zentrifugale Argument die theoretische Kontinuität von Kunstwerk und Welt postuliert, stützt es viele verschiedene Anwendungsmöglichkeiten des Rasters. Sie reichen von rein abstrakten Darstellungen dieser Kontinuität bis zu Projek- ten, die Aspekte der ,Realität‘ aufreihen, wobei diese Realität selbst mehr oder weniger abs-trakt aufgefasst wird.“ Ich sehe darin eine Öffnung in meine Richtung.

In den 1960 / 1970er-Jahren spielt das Raster auch bei Polke, Bayrle und Roehr eine wichtige Rolle, die damit die mediale Bildgenerierung und die Medienwelt reflektierten. Spielte das für Sie auch eine Rolle? Gab es eine Wechselwirkung mit diesen Künstlern oder der amerika- nischen Pop Art?

Selbstverständlich kannte ich die Arbeiten von Thomas Bayrle und Sigmar Polke. Später auch die von Peter Roehr. Es gab vereinzelt Interpretationen, die meine Arbeiten in Bezug zu den von Ihnen genannten Künstlern beziehungsweise Begriffen stellten. Die Frage nach der Beeinflussung durch die amerikanische Pop Art möchte ich mit einem unbedingten Ja beantworten.

TitelPorträt Ute M.

Jahr 1968

LeihgeberBQ, Berlin

Material, TechnikÖl auf Leinwand

Format 116 × 110 cm

[Abb. 1]

Geburtsjahr 1940

Geburtsort Berlin

AufenthaltsortNew York

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TitelLet your fantasy flow. Sucess is at your side (aus der Serie: Erziehung durch Dekoration)

Jahr2012

Leihgeberim Besitz der Künstlerin

Material, TechnikAcryl auf Baumwolltuch

Format3-teilig, gesamt 200 × 610 cm

[Abb. 2]

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ApxSeveral of the artists invited to participate were taken aback by the title of the exhibition, Rasterfahndung, or Tracing the Grid. A composite term consisting of the words Raster (‘grid’ or ‘net’) and Fahndung (‘search’), it describes ‘dragnet’ or ‘grid investigation’ policing tac-tics developed during the 1970s. Reduced to this historical context to the present day, Rasterfahndung continues to refer to the nationwide search by West Germany’s Federal Criminal Police Office for RAF terrorists in hiding. To this end, a tremendous amount of data was examined for individual, distinctive fea-tures that were thought to apply to the terrorists. The list of suspects was narrowed down by continuously tightening the net; the metaphorical sieve was tapped until only a small number remained. In fact, we encounter dragnet tactics every day in a variety of contexts. The only difference is that we do not call them by the same name. Big internet pro-viders, for example, use algorithms to learn about our buying and search habits, from which they gener-ate product offers that might be of interest to us. Such algorithmic processes are nothing other than a form of Rasterfahndung, or grid investigation tactics. The term Rasterfahndung can also take on a dif-ferent meaning, however, referring to the ‘search’ for the ‘grid’. In the case of this exhibition, this ambi-guity is intentional. A look at modern art reveals that the grid has been one of the central themes in the visual arts since Piet Mondrian, and it continues to fascinate many artists to this day. The consistency with which some artists have worked with this struc- ture over the course of several decades is quite re-markable and calls out for a detailed examination of the numerous artistic approaches. This exhibition presents fifty artists, a selec- tion that is by no means exhaustive. During the pre- paratory period alone, we were contacted by other artists almost daily: they assured us that they had made the grid the subject of their work for many years. This exhibition is therefore an attempt to illustrate particular tendencies using representative positions. Most people can probably call to mind the image of a clearly identifiable grid, be it a chain-link fence, a sieve or a façade. The attempt to establish a precise definition points to the complexity of the object. The German language differentiates between masculine (DER Raster) and neuter (DAS Raster) grids. The masculine form is defined as belonging to three spheres: architecture, printing and photog- raphy (where it describes diaphragms in front of light sources). In architecture, for example, the Duden dictionary refers to a ‘system of lines intersecting at right angles as the plan or layout for a frame con-struction’ as a Raster. The same dictionary starts by defining the neuter form as a phenomenon in tele- vision technology: ‘the collectivity of points that form a television picture’. The distinction between the two definitions thus centres on the medium and on spatiality. In the case of the architectural drawing, a Raster is used to transfer three-dimensional space onto a two-dimensional surface. The electronic Raster of the CRT monitor, on the other hand, refers to the virtual space that is opened up by this medium, and which also makes the grid appear as a model for the virtual world. The Duden dictionary gives one more definition for the neuter form of Raster: ‘A [thought] sys-

tem consisting of a limited number of specified cat- egories [of thought], into which particular phenomena can be integrated’. Our exhibition draws on this last meaning, looking beyond individual phenomena to the organising principle of the Raster, or grid. For this reason, the translation into German of Rosalind E. Krauss’s important essay ‘Grids’ (first published in The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths, 1978) uses the neuter form DAS Raster, re-flecting the superordinate dimension that deals with structure, principle and system. There has been no comparable presentation on the subject of grids. The grid has appeared in many forms and applications since 1945, and this exhibition has been divided into four chapters in order to mas-ter this multiplicity. ‘Gridlock’ describes the math-ematical approach to the grid, as it is classically found in Concrete art. The art of the ZERO movement, too, featured countless grids, whose aim is to add dyna-mism to the surface. Op art and Kinetic art would have been unimaginable without the grid. The serial principle of Minimal art could not have been achieved without it, either. This chapter shows that the grid permits tremendous variety, even when it is used as a strict organising principle. It appears disordered and chaotic, however, when the grid-like halftone dots are subordinated to the pictorial subject in printing. Since the 1960s, artists have been increasingly fascin- ated by the grid principle underlying the screen-printing technique. The transmission of images using a variety of media, and accompanying questions about perception and the generation and manipula-tion of images, are the subject of the chapter en- titled ‘Media Networks’. Contemporary art faces us with an increasing number of disrupted grids, charac-terised by conspicuous glitches. Here, the young artists frequently make reference to the ‘classics’ of geometric art while distancing themselves from these by means of their intentional irregularity. ‘Falling Through the Net’, with all of its pessimistic conno- tations, appears to be one possible response to an in-creasingly complex world that can, above all else, be experienced as a virtual reality. There are, however, also numerous young artists who work with orderly grids. In the final chapter, artworks shed light on the political dimensions of data collection and surveil- lance within the ‘dragnet’. The invisible net through which we move both on the Internet and in public spaces (positioning through electro-magnetic rays) is one of the areas explored. For this exhibition, numerous new artworks were created inside the museum. I would like to express my heartfelt thanks to the participating artists, and to those who have generously supported us with loans from their collections. We would not have been able to hold such a large exhibition, spread out across 2,500 square metres, without financial assistance. In particular, I would like to thank the Kulturstiftung des Bundes foundation and the Froehlich Stiftung for its sponsorship. I am also very grateful for the support of our partner of many years, Hugo Boss GmbH & Co. KG. I would also like to thank the graphic designers stapelberg&fritz, the publishing company Wienand Verlag, and büroberlin for the exhibition architec-ture. I would like to express my gratitude to the Kunst- museum Stuttgart team, which carried out the plan with great dedication. And my particular thanks go to the curator, Simone Schimpf: this exhibition was her idea, and she realised her concept with great knowledgeability.

English Appendix

Preface Ulrike Groos

PrefaceEssaysArtists A – KArtists L – RArtists S – Z

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