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Lesekompetenz Impulse: Grundschule Behörde für Bildung und Sport

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Lesekompetenz

Impulse: Grundschule

Behörde für

Bildung und Sport

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Begriff der Lesekompetenz ist nach deninternationalen Untersuchungen PISA, IGLU,den Hamburg weiten Untersuchungen zurLernausgangslage (LAU, KESS) und der nochstattfindenden Untersuchung DESI immernoch in aller Munde. Wegen Überfrachtungmit Wunschvorstellungen über das, was sichalles in Schule ändern muss, um eine gezielteFörderung vorzunehmen, bedarf es einerKlarstellung und deutlichen Unterstützungdarin, welche Inhalte und Methoden vor-rangig gelten sollen.

Im Zentrum dieser Broschüre stehenneben den theoretischen Klärungen konkreteUnterrichtsanregungen zur gezielten Förder-ung der Lesekompetenz im Grundschul-unterricht verschiedener Fächer. Zu diesemZweck wurde die vorliegende Handreichungfür die Grundschule unter der redaktionellenLeitung von Dr. Gabriele Rabkin(Landesinstitut, Primarstufe Deutsch) erstellt.

Zunächst möchten wir die viel zitierteDefinition von Lesekompetenz aus der PISA-Studie noch einmal ins Gedächtnis rufen, davon dort ausgehend al le Bei träge der Hand-reichung konzipiert worden sind:

„Lesekompetenz (Reading Literacy)umfasst die Fähigkeit, geschriebene Texteunterschiedlicher Art (kontinuierliche unddiskontinuierliche Texte) in ihren Aus-sagen, ihren Absichten und ihrer formalenStruktur zu verstehen und in einengrößeren Zusammenhang einordnen zukönnen, sowie in der Lage zu sein, Textefür verschiedene Zwecke sachgerecht zunutzen.“ (C. Artelt u.a. Lesekompetenz:Testkonzeption und Ergebnisse; in:Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.), 2001). Wichtig ist, dass die PISA-Definition für

die 15-Jährigen gilt und in der Handreichungfür die Arbeit in der Grundschule „übersetzt“wurde. Daraus folgt, das Leseverständnisaltersgerecht und entsprechend den Erkennt-nissen der Didaktik des Lesenlernens und–förderns sowie der Schriftspracherwerbs-forschung im Grundschulbereich im Unter-richt systematisch zu fördern und denSchritt zum Deuten und Diskutieren vonTexten erst auf der Basis des Leseverständ-nisses zu vollziehen. Oftmals wurde dieserzweite Deutungsschritt vor dem ersten Ver-stehensschritt gemacht und so der eigent-liche Textinhalt aus dem Auge verloren.

Der Pippi-Langstrumpf-Text des Experten fürAnalphabetismus, Jürgen Genuneit (Redak-teur bei Ernst Klett Sprachen) eröffnet dieReihe der Beiträge. Hierin w i rd in anre g e n-

der Weise der enge Zusammenhang vonL e s e n l e rnen und Schuler folg bzw. dasEnt stehen v on funkt ionalem Analphabe-tismus deut l ich. Die unt erhaltsame To u rd’horizon durch d ie Kinder- und Jugend-b ü c h e r, d ie in Erzählzusammenhängen diehohe Bedeut ung des Lesens (von Büchern )und Schreibens für die Lern e n t w i c k l u n gvon Kindern themat isieren, eröffnet gleich-zei tig Perspektiv en für die Arbeit in derG rundschule. Es ist erstaunl ich, wie ähn-l ich d ie Ansätze zur Alphabetisieru n gE rwachsener und zum Lesenlernen in derG rundschule sind.

Als wichtige Voraussetzung für eine ge-zielte Förderung der Lesefähigkeit wird diegenaue Lernbeobachtung im Bereich Lesenaufgegriffen und auf die Möglichkeitenhingewiesen, wie von den Beobachtungs-erkenntnissen ausgehend individuelleFörderung folgen kann. Das Diagnose-i n s t rument „Hamburger Leseprobe“ wi rdvon Helga Arntzen (M i tautorin der Lese-probe) in seiner Konzeption und Anwen-dung v o rg e s t e l l t .

In der Bro s c h ü re findet sich eine Reiheu n t e rrichtspraktischer Anregungen, d ie Siein Ihrem Unterricht um setzen können. D enSchluss des ersten Tei ls bildet eine ausführ-l iche und mit vielen konkreten Umsetzungs-h inweisen versehene D arst el lung m ögl icherZugänge zur Lesekompetenz im FachDeutsch. Petra Dal ldorf und Renate Frank-Flies (Fachseminarlei t er innen am Landes-insti tut) geht es darum, Kinder beim Aufbauvon Lesestrategien zu unterstützen, sie mitHi l fe unterschiedl icher Zugangsweisen undTe x t a n re g u n g en für das Lesen zu gewinnenund damit Grund zu legen für eine erfolgrei-che Schullaufbahn.

Die Broschüre ist eng mit den neuenRahmenplänen Deutsch, Mathematik undSachunterricht für die Grundschule ver-knüpft, die den Schulen inzwischen füreinen Erprobungszeitraum von drei Jahrenvorliegen.

Die Bedeutung von Leseförderung in allenFächern der Grundschule sowie der AspektDeutsch als Zweitsprache sind Schwerpunktedes zweiten Teils.

Monika Grell (Landesinstitut, ReferatSprachen) erläutert den Aspekt Deutsch alsZweitsprache fächerübergreifend.

Die Beiträge zum Sachunterricht(Verfasserin: Anne Kolbe, Fachreferentin inder Behörde für Bildung und Sport sowie imLandesinstitut, Primarstufe Sachunterricht)und zum Mathematikunterricht

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(Verfasserinnen: Brigitta Hering,Landesinstitut, Primarstufe Mathematik undEva Rhein, Mathematikmoderatorin) enthal-ten fachbezogene Aussagen und Anregungenzur bewussten Wahrnehmung undVerstärkung des Lesens in diesen Fächern.Häufig wird die Lesekompetenz allzu selbst-verständlich vorausgesetzt, ohne dass sie -wie eigentlich notwendig – auch in diesenFächern systematisch vertieft, geübt undangewendet wird.

Ziel ist es, das Lernen in diesen Fächerndurch eine Verstärkung der Lesekompetenzzu sichern.

Zum Schluss wird durch den Beitrag vonSven Nickel (Universi tät Bremen) ein weitere rwichtiger – nur scheinbar außenstehender –Aspekt über die Programme zur Literalitäts-förderung in den Familien (Family Literacy)aufgegriffen. Hierin wird die Bedeutung vonLeseförderung in der Familie deutlich unddaraus ersichtlich, wie Schule ihre Rollesehen muss, wenn die elterliche Aufgabenicht oder nur unzureichend wahrgenom-men wird. Das Gespräch mit Eltern über dasLesen und Angebote für die Literalisierunginteressierter Eltern und Erzieher werden inZukunft eine wichtige Rolle spielen müssen.Alle Studien haben gezeigt, dass derBildungshintergrund des Elternhauses (z.B.Bestand an Büchern zu Hause) einenwesentlichen Einfluss auf die Entwicklungder Lesekompetenz und des Schulerfolgs hat.

Wir wünschen Ihnen für die Arbeit mitdiesem Heft ein vergnügliches Leseerlebnisund vor allem die Aufnahme einiger für Siewichtiger Anregungen für Ihren Unterrichtin der Grundschule. Viel wird erreicht, wennes gelingt, die Lesekompetenz jedes einzel-nen Kindes zu fördern, indem dieLehrerinnen und Lehrer aller Fächer derGrundschule den Kindern präzise Hinweisegeben, wie sie - anknüpfend an ihrem Lese-Können - weiter lernen können.

Für die Erstellung der Broschüre möchtenwir allen Verfasserinnen und Verfassern herz-lich danken und dem Vorhaben Förderungder Lesekompetenz an den HamburgerGrundschulen viel Erfolg wünschen.

Die Frage des Vaters in Roald Dahls„Matilda“, warum seine Tochter denn ein„verdammtes Buch“ benötige, wird dannnicht mehr gestellt werden müssen, weil dieAntwort aller frisch Alphabetisierten lautenkönnte: „Weil wir gern lesen und uns dieWelt ohne das Lesen gar nicht mehrvorstellen können!“ Gegen so eine Art Harry-Potter-Effekt wäre nichts einzuwenden.

Bernd-Axel WidmannReferatsleiter Deutsch und Künste Behörde für Bildung und Sport

Peter Daschner Direktor des Landesinstituts fürLehrerbildung und Schulentwicklung

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Als die Mutter entdeckt, dass ihr vierjähriger Sohnlesen kann, ist sie entsetzt und rennt aufgeregtmit ihm zum Arzt.

Doktor Santens kontrollier te, ob ich tatsäch-lich lesen konnte. Dann untersuchte er mich vonKopf bis Fuß.

... Als er damit fertig war, lehnte er sichbedächtig in seinem Stuhl zurück. ... Tiefe Faltenerschienen auf seiner Stirn. Schließlich blickte ermeine Mutter ernst an.

„ Sonja“ , sagte er, „ ich habe eine schlechteNachricht und eine gute. Die schlechte ist, daßLesenkönnen unheilbar ist. Die gute ist, daß mannicht daran sti rbt“ (Doorselaer, S. 8f.).

Doch Kaspars Mutter bleibt beunruhigt undfragt verwirr t:

„Aber das plötzliche Lesenkönnen, woher umHimmels willen kommt das? Das einzige, was wirlesen, ist die Fernsehzei tung. Wie ist daseigentlich, Doktor? Kann das Lesenkönnen plötz-l ich auf einen ru n t e rfallen? Wie Schwalben -scheiße?“ (ebda, S. 13)

Diese Szene stam mt aus dem niederländi-schen Kinderbuch „ Ich heiße Kaspar“ vonW il ly van Doorselaer, in dem „ Alphabetismus“eine Krankheit in einer von audiovisuel lenM edien beherrscht en Wel t ist, in der al len-f al ls noch d ie Fernsehzeit ung gelesen wird .

Kaspar ist ein w ürdiger Bruder von RoaldD ahls „M ati lda“, die sich ebenfal ls das Lesengegenüber den medienfix iert en Elterne r k ä m p f t :

Im Alter von drei Jahren hatte sich Matilda dasLesen beigebracht. (...) Im Alter von vier Jahrenkonnte sie rasch und fließend lesen und fing an,sich sehnsüchtig nach Büchern umzuschauen.

Das einzige Buch in diesem erleucht etenHaushalt war etwas namens „Kochen ist leicht“und gehörte ihrer Mutter. Nachdem Matilda esvon vorn nach hinten durchgelesen hatte,beschloss sie, sich nach etwas Interessanteremumzusehen.

„Vati“, sagte sie, „meinst du, dass du mir einBuch kaufen könntest?“ „Ein Buch?“, fragte er.„Wozu brauchst du denn ein verdammtes Buch?“„Zum Lesen, Vati.“

„Und was hast du gegen das Fernsehen, umHimmels willen? Wir haben einen fabelhaftenFernsehapparat mit einem Riesenbildschirm, undjetzt kommst du und willst ein Buch haben? Dubist ... verwöhnt, mein Mädchen!“ (Dahl 1997, S. 11)

M ati lda versorgt sich von nun an mi tB ü c h e rn aus der Bibl iothek. Doch immerwieder komm t es wegen des Lesens zuKonfl ikten mi t ihrem Va t e r, in denen sie sichschl ießl ich mit Bravour durc h s e t z t .

Besonders Kaspar m it seiner besorg t e nM u t t e r, aber auch Mat i lda mit ihre mSelbstbewusstsein und D u rc h s e t z u n g s v e r-mögen gegenüber ihrer leseunwi l l igen Fam il iest el len zum Teil Gegenwelten zur Kindheitmancher funktionaler Analphabet en dar,lassen aber auch Ähnl ichkeiten erkennen, dieunter ungünst igeren Bedingungen bei ihnenzu einem funktionalen Analphabet ism usg e f ü h rt hätten.

Die Zeiten, in denen sich El tern – wie dievon Kaspar und Mati lda – über ihre lesew üti -gen Kinder Sorgen m achen, sind inzwischenv o r ü b e r. Im mer mehr Kinder – aber auchJugendl iche – si nd Lesem uff el . Im merm ehr Kinder haben sogar Probleme beimLesen- und Schre i b e n l e rnen. Die Klagender Lehreri nnen und Lehrer sowi e derE l t e rn sind unüberh ö r b a r. Di e Fol ge:Im mer mehr Jugendl iche ver l assen dieSchule ohne ausreichende Lese- undS c h reibkennt nisse, w as d ie PISA-St udies c h m e rzhaft best ät igt . Vermehrt beschwertsich die Wirtschaft, dass diese Jugendlichennicht ausbildungsreif sind und deshalb keineLehrstel le erhal t en können. Inzwischenspr icht man von vier M i l l ionen (funk-tionalen) Analphabeten in Deutschland (vgl.Döbert/Hubertus, S. 25-40).

Die Ursachen dafür sind viel fäl tig. Einewicht ige Ursache ist das Fehlen von Vo r-b i l d e rn. Viele Kinder sehen ihre El t ern kaumnoch schreiben oder lesen. In vielen Familienw i rd – ähnl ich wie in denen von Kaspar undM at ilda – allenfalls noch die Fern s e h z e i t u n ggelesen. Deshalb wissen auch im mer wenigerK i n d e r, w arum und wozu sie eigent l ich lesenund schreiben lernen sol len. Das muss ihnenerst mühsam in der Schule beigebracht wer-den. D enn nur, wenn man das Warum undWozu weiß, lernt man gern. Das gilt beson-ders für das Lesen und Schreiben.

Ein Beispiel dafür ist Mäusefriederike inWilli Fährmanns Kinderbuch „Der überausstarke Willibald“:

Ihre Freundin Lillimaus hat sich das Lesen,als sie in der Bibl io thek eingesperrt war,s e l bst beigebracht. Stolz teilt sie dies Mäuse-friederike mit, als diese sie besucht: „Ich will

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dir ein großes Geheimnis anvertrauen. Denkdir, ich kann lesen.“ Doch Mäusefriederikekann mit diesem Geheimnis nichts anfangen.„Was ist das, lesen?“, fragt sie ratlos. „Ist dasetwas, was du fressen kannst?“ „ Nein, nein“ ,a n t w o rtete Li l limaus und lachte. „Lesen, dasist wie fl iegen, fliegen aus unserer Küchentürhinaus hoch über die Bäume im Garten hinund weiter, immer weiter in fremde Länderund ferne Welten“ (Fährmann, S. 35 f.).

Doch Mäusefriederike kann damit nichtsanfangen. Deshalb versucht Lillimaus, ihrerFreundin mit immer neuen Bildern zu er-klären, was das ist, lesen. Bis Mäusefriederikeendlich begreift – und dann will sie es auchkönnen: „Lesen müßte man können, seufzteM äusefr ieder ike. Ihr B l ick schwei fte sehn-süchtig über die tausend Bücher, die sich daRücken an Rücken drängten ...“ (Fährmann, S. 40).

„Und wie sollen wir unsere Kinder zumLesen und Schreiben bringen?“, fragen vieleEltern, Lehrerinnen und Lehrer verzweifelt.

Ein Weg, der hier vorgeschlagen werdensoll, ist es, mit schriftsprachfernen Kindernund Jugendlichen Bücher zu lesen, die dasLesen und Schreiben thematisieren. Bücher,die deut l ich m achen, w as Lesen- undSchreibenkönnen bedeutet und die dadurchzum Lesen und Schreiben motivieren. Bücher,die auf Schwierigkeiten hinweisen, die manmit dem Lesen und Schreiben haben kann.Bücher, die zeigen, dass Kinder und Jugend-liche mit ihren Lese- und Schreibproblemennicht allein stehen, die zeigen, dass es auchandere Menschen gibt, die diese Problemehaben. Das macht Mut, trotz Schwierigkeitenweiterzulernen oder immer wieder neu mitdem Lernen zu beginnen. Das macht auchMut, über die eigenen Lese- und Schreib-probleme zu sprechen, mit den Eltern, denFreunden, den Lehrern (vgl. Genuneit 2001).

Das Thema Lesen- und Schreibenlernenwird in Büchern für Kinder aufgegriffen, seites diese gibt. So spielt in dem ersten engli-schen Kinderbuch „The History of LittleGoody Two-Shoes“ (1765) dieses Thema be-reits eine wichtige Rolle (vgl. Goetsch, S. 250f.). Es wird auch in der deutschen Schwank-und Märchenliteratur behandelt, z.B. bei TylUlenspiegel , der versucht , einem Esel dasLesen beizubringen (29. Histori, S. 48 ff.). Inanderen Schwänken macht man sich über„Analphabetentölpel“ lustig (vgl. Moser-Rath,Sp. 482-484), und auch in frühen deutschenABC-Büchern hat Lesen- und Schreibenlernenals Thema einen wichtigen Platz. So heißt eszum Beispiel in dem gerade neu aufgelegtenund von Erlbruch neu illustrierten „NeuenABC-Buch“ von Karl Phi l ipp M ori tz(1790/1794):

Das Buch macht junge Kinder klug.

Ich will in diesem kleinen Buche fleißiglesen lernen, damit ich noch mehr Bücherlesen kann, wodurch ich klüger werde.

Ich muß beim lesen nicht zu dichte aufdas Buch sehen, weil man sich die Augendamit verdirbet.

Und zum Lesen sind gute Augen nöthig(Moritz 1794, S. 7 f.; vgl. auchMoritz/Erlbruch, o.p.).

An anderer Stelle zeigt das Buch einen aneinem Tisch sitzenden Mann, der in einemBuch gelesen hat und jetzt über das Gelesenenachdenkt: das Buch als Anlass zum Denkenund Nachdenken.

Hier klingen bereits einige Aspekte zumLesen und Schreiben an, die von nun animm er w ieder in der Kinderl i t eratur auf-tauchen und die f ür Kinder mit Lese-/Schreibproblemen Anstoß zur Reflexion undVeränderung ihrer Situation sein können –selbst wenn sie etwas moralisierend klingen:

• Lesenlernen ist wichtig, denn Lesenkön-nen und Lesen bedeutet gesellschaftlichenAufstieg: Nur wer fleißig l iest , kommtvoran.

Im Umkehrschluss folgt daraus, dass, wernicht lesen und schreiben kann, später alsErwachsener Probleme hat, nicht voran-komm t und dem Spott der Alphabeti -sierten ausgeliefert ist. Ein Beispiel dafüraus dem 18. Jahrhundert ist das „Schuldik-tat Nr. 5“ von Christian Friedrich DanielSchubart, das er zwischen 1766 und 1769seinen Schülern diktierte und in dem ereinen armen Jungen schildert, der nichtlesen und schreiben kann (Schubart, S. 240 f.):Der Reiche kommt durch sein Geld fort, aberdurch was sollen die Armen fortkommen? Istes nicht ein Jammer, wenn man einen armenKnaben sieht, der weder lesen noch schreibenkann und dem der Hunger und die Dummheitzugleich aus den Augen heraussieht? Verachtetvon jedermann, verschmäht und verworfenmuß er sein Brot vor der Tür suchen, und wennihn Krankheit und Alter drückt, noch froh sein,wenn er als ein Scheusal mit Bettelfuhren imLande herumgefahren wird und wie ein armerSünder sein Leben auf einem Karren endigenkann. O meine lieben Kinder, Gott bewahreeuch vor Armut, aber noch weit mehr vorDummheit.

Das „Schuldiktat“ von Schubart zeigt aberauch, dass Lesen- und Schreibenlernen schei-

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tern bzw. mit Schwierigkeiten verbunden seinkann. Die Gründe für das Scheitern sowie dieSchwierigkeiten und ihre Überwindung sindebenfalls von Anfang an ein wichtiges Themader Kinderliteratur.

• Lesen- und Schre i b e n l e rnen führt zuHumanisierung und Zivilisierung. (vgl. u.a.Goetsch, S. 253 ff.; Genuneit 1998). Nichtumsonst vermittelt Karl Phillipp Moritzdem lesen und schreiben lernenden Kind,dass das Buch nicht nur klug macht, son-dern auch das Denken und Nachdenkenfördert. Das Denken ist es aber, was denMenschen vom Tier unterscheidet. So stelltauch Joachim Heinrich Campe in seinem„Abeze- und Lesebuch“ (1806) in einemGespräch zwischen Großvater und seinemEnkel Karl heraus, dass Schreiben undLesen dazu dienen, Gedanken zu vermit -teln, und nennt ihm damit Gründe,warum es sich lohnt, lesen und schreibenzu lernen:

Großvater: (…) Durch das Schreiben könnenwir alles, was wir denken, vermittelst gewisserZeichen sichtbar machen, und es auf Papierheften, dass es gar nicht wieder verschwindenkann; durch das Lesen lernen wi r jene Zeichenverstehen, und werden dadurch in den Standgesetzt, die Gedanken Anderer gleichsam vorAugen zu sehen. ... Hatte ich nicht Recht, l ieberKarl , dieses Mittel ein herrl iches zu nennen?Karl : Ja! Lehre es mir, l ieber Gro ß v a t e r, wenn’snicht zu schwer ist (Campe, S. 40f.).

• Lesen- und Schre i b e n l e rnen führt zurDisziplinierung – und zwar sowohl zurKörper- als auch zur Sozialdisziplinierung(vgl. u.a. Genuneit 1998, S. 29). So führtKarl Phillipp Moritz in seinem ABC-Buchzur Körperhaltung des lesenden Knabenaus: Er „hält den rechten Zeigefinger aufdas Buch, damit er in der rechten Zeilebleibe“ und er sieht „nicht zu dichte“ aufdas Buch „weil man sich die Augen damitv e rd irbet“ (M or itz 1794, S. 7 f .). DieVorschriften, die sich Pädagogen für dieKörperhaltung beim Schreiben ausgedachthaben, sind al lerdings noch wesentl ichumfangreicher und rigider (vgl. Rude, S.499 f., zi t . bei Karweick, S. 88). ZumS o z i a l v e rhalten des lesen lern e n d e nKnaben weist Karl Phillipp Moritz daraufhin, dass der Knabe „sehr aufmerksam“ istund „nicht umher gaft“ und dass er mitFleiß lesen will (Moritz 1794, S. 7 f.).

Diese Humanisierungs-, Zivilisierungs- undDisziplinierungsfunktionen des Lesen- undSchreibenlernens gelten bis heute, auch wennPhilosophen sie für gescheitert halten wie

Peter Sloterdijk in seinem umstrittenen Essay„Regeln für den Menschenpark“. Sie sind einwichtiges Argument, um Kritikern des Lesen-und Schre i b e n l e rnens brei ter M assen, diedarin die Gefahr der Aufsässigkeit sehen, denWind aus den Segeln zu nehmen (v gl .Goetsch, S. 242).

Diese historische Diskussion wird auch inder heutigen Kinderl it erat ur aufgegri f f e n ,zeigt sie doch, • dass das Lesen- und Schreibenlernen lange

Zeit keine Selbstverständlichkeit für alleKinder in Europa war,

• dass das Recht auf Lesen- und Schreiben-lernen für alle nur mit Mühe durchzuset-zen war,

• dass mit diesem Recht nicht nur Ängste,sondern auch politische und wirtschaft-liche Ziele verbunden waren und

• dass Lesen- und Schreibenkönnen Machtbedeuten kann.Ein Beispiel für diese Diskussion in der

Kinderliteratur ist Susanne Ellensohns Buch„Der lange Hans oder Die heimliche Flucht“.Die österreichische Autorin schildert hier, wieschwer es im 19. Jahrhundert war, die allge-m eine Schulpfl icht – besonders auf demLande – für alle verbindlich durchzusetzen.Dabei sp iel t en nicht nur w i rt s c h a f t l i c h eGründe eine Rolle – die Kinder (auch der Helddes Buches Hans) w erden als b i l l igeArbeitskräfte gebraucht –, sondern auch poli-tische, wie die Auseinandersetzung zwischenP f a rrer und Bürg e rm eist er zeigt, als eineamtliche Mitteilung über die Einführung derSchulpflicht im Dorf eintrifft.

Der Bürgermeister steckte den Brief wieder indie Jackentasche zurück.

„Ich bin empört, Herr Pfarrer. Empört darüber,dass unser Kaiser persönlich dieses Gesetz gut-geheißen hat.“

„Nun, es ist ja nicht so schlimm, wenn alleKinder lesen und schreiben lernen, HerrB ü rg e rm e i s t e r. Dann können sie denKatechismus lesen und all die wunderbarenHeiligengeschichten. Das schafft eine gewissereligiöse Bildung im Volk. Und dies hat dasVolk dringend nötig, ganz besonders in derheutigen Zei t , deren Si tten losigkei t zumHimmel schreit. Meinen Sie nicht auch?“

Aber der Bürg e rm eister ist andere rMeinung:

„ Ganz was anderes werden sie lesen“ ,b rummt e er schlecht gelaunt, „ ganz wasanderes!“ Er blieb abrupt vor dem Pfarrer ste-hen. „Sie wissen doch, daß sich in Wien der

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Pöbel zusammenrottet? (...) Es sind die Sozial-demokraten, die Proletarier ! Sie geben sei tneuestem sogar eine eigene Zeitung heraus, die‚Volksstimme’. Die werden sie lesen! Und waswird das Ergebnis sein? Unruhe, Aufstand undRevolution gegen die von Gott gegebeneMonarchie, gegen unseren Kaiser! (...)Je gebi ldeter die Unterschicht ist, destogefährlicher ist sie auch. Ich verstehe n i c h t ,daß unser Kaiser das nicht erkennt!“(Ellensohn, S. 21-23).

Doch diese Kr i tiker setzten sich nichtdurch, machtpolitische und wirtschaftlicheGründe f ür eine brei t e Alphabetisieru n gwaren stärker als ihre Ängste: Denn ohneLese- und Schreibkenntnisse größerer Teileder Bevölkerung waren weder eine funktio-nierende Bürokratie als Instrument der Kon-tr olle und der Herrschaftssicherung noch dieEntwicklung einer funktionierenden, wach-senden (kapitalistischen) Wir tschaft möglich(vgl. u.a. Genuneit 1998). Das ist meinesErachtens auch ein Hauptgrund dafür, dassLesen- und Schre i b e n l e rnen sei t dem 18.J a h rh u n d e rt b is heut e als Thema in derKinder- und Jugendliteratur auftritt.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dassKinder über Bücher und auch andere Medienbereits im Vorschulalter oder in den erstenSchuljahren für das Lesen- und Schreiben-lernen und das Lesen und Schreiben selbstmotiviert werden sollen.

Dazu ein kleiner Überblick vom 19. bis ins21. Jahrhundert.

Viele Bilder- und Kinderbücher versuchen,durch einen Vorgriff auf die Schulsituation,Kinder neugierig auf das Lesen- undSchreibenlernen zu machen. Ein typischesBeispiel hierfür ist das Buch „Wie der Tigerlesen lernt“ von Janosch.

Hier funkt ioniert das Lesenlernen deskleinen Tigers offenbar problemlos, obwohldie Wörter, die der Lehrer Fuchs ihm in derWaldschule zum Erlesen präsentiert, aus lese-didaktischer Sicht nicht unpro b l e m a t i s c hsind.

Losgelöst von der Schulsituation versuchendie reich und sehr schön illustrierten Bücher„Bertram und Kasimir. Vom Abenteuer Lesen“(Jonas) und „Ein Buch für Bru n o “(Heidelbach), Lust auf Lesen und Bücher zuwecken. In „Bertram und Kasimir“ macht diekleine M aus Ber tram einen verbotenenAusflug in die Bibliothek und stößt dabei einBuch aus dem Regal. Das Buch beschwert sichbei ihr darüber. Doch Bertram kann mit demBuch nichts anfangen, weil er nicht weiß,„wozu dieses sonderbare Ding gut sein sollte“.Deshalb „w ol l te er seine kleinen, sp itzenZähne in den Buchdeckel schlagen“, um es zufressen. Das Buch hindert ihn daran, indem es

ihm eine Geschicht e erzähl t , eine ganzandere, als er bisher von den Mäuseelterngehört hatte. „So“, endete das Buch seineErzählung „Ich habe die Geschichte meinerSeiten erzählt. Hättest du mich gefressen,hättest du sie niemals gehört, hättest nichtsNeues erf a h ren und nicht s dazugelern t . “Bertram ist „überwältigt“, kennt er doch jetztzwei wichtige Funktionen eines Buches: etwasNeues erfahren und etwas dazulernen. ZurB e u n ruhigung seiner El tern verändert ihndiese H orizonterw e i t e rung: „ Sein Zuhauseerschien ihm plötzl ich zu klein, und erbeschloss wegzugehen. Schnell lief er los undbefand sich bald an einem Ort, wo er nochnie zuvor gewesen war.“ Bertram will seineVerwandten auf dem Speicher besuchen, wirdaber kurz vor deren Mäuseloch von dem KaterKasimir erwischt, der ihn fressen will. „AlsBertram sah, wie sich die Pfote auf ihn herab-senkte, nahm er all seinen Mut zusammen.Laut und entschlossen sagte er: ‚Wa rt e ,Kasimir! Ich w erde di r eine Geschicht eerzählen!’“ Und Bertram erzählt Kasimir dieGeschichte vom grünen Drachen, die er vondem Buch aus der Bibliothek gehört hatte.Während der Erzählung, die er mit immerneuen Episoden ausschmückt, spürt er, dassder Kater immer friedlicher wird. Die anderenMäuse kommen hinzu und erblicken etwas,was sie – so weit sie zurückdenken können –noch nie gesehen haben: „Ein winzigesMäuschen mit gekrümmten Schnurrhaarenerzählte einem riesigen Kater von grünenDrachen, während der m i t geschlossenenAugen leise schnurr te.“ Ber tram und diea n d e ren M äuse lernen hier eine wei tereFunktion von Büchern kennen: Bücher zäh-men, Bücher diszipl inieren – selbstgefährliche Kater. Die Mäuse ziehen ihreSchlüsse daraus: „Sie sind alle umgezogen, indie Bibliothek, und verschlingen dort denganzen Tag lang ... Bücher“ (Jonas, o.p.).

In der Tat ein Buch, das neugierig aufBücher macht und zum Lesenlernen motiviert ,wenngleich es hier eigentlich nicht vordring-lich um das Lesen, sondern um das Erzählenvon Geschichten geht. Aber auch das ist einewichtige Vo r b e rei tung auf das Lesen, wasviele Eltern und Großeltern allerdings in-zwischen vergessen haben, sonst würden siei h ren Kindern viel mehr Geschicht enerzählen.

Auch Nikolaus Heidelbach versucht, mit„Ein Buch für Bruno“ Lust auf Bücher zuwecken, und es gelingt ihm dabei, ebenfallseine wichtige Funktion von Büchern deutlichzu machen: Sie regen die Fantasie an underlauben das Eindringen in neue unentdeckteWelten. Ulla, eine ausgesprochene Leseratte,w i rd t ägl ich von Bruno besucht, der ihrimmer etwas Neues zeigt, einen Aufkleber, ein

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T-Shir t, ein Rollbrett ..., um sich von ihrbewundern und bestätigen zu lassen. Dannhaut er wieder ab. Ulla wollte aber, dass erlänger bliebe, und zeigte ihm deshalb ihreeigenen Bücher: „Aber Bruno hatte nur einwenig geblättert und sie dann liegen lassen.‚Ph, Kinderbücher’, hatte er gesagt und schonwar er draußen gewesen.“

Ulla probierte es erneut, diesmal mit den„ gefährlichen“ Büchern, denn die habenAbbildungen, vor denen sie sich fürchtete.„ Aber Bruno hatte sich nicht gefürc h t e t .‚Langweilig’, hatte er gesagt, und wieder warer draußen gewesen.“

Jetzt versucht Ulla es mit einem Trick: Sietäuscht mit einem Pflaster einen Schlangen-biss vor und behauptet, die Schlange kommeaus einem Buch: „‘Da oben, das blaue. Ichglaube, es ist ein Zauberbuch. Alles drin kannlebendig werden, nicht nur die Schlangen.Man muss sehr vorsichtig lesen (...).’ ‚Glaubich nicht’, sagt Bruno. ‚Zeig!’“ Ulla holt dasBuch und beginnt daraus vorzulesen. Vonnun an gibt es keinen Text mehr, sondern nurnoch Bilder, die deutlich machen, dass Ullaund Bruno in eine Fantasiewelt eintauchen(Heidelbach, o.p.). Ein origineller Einfall, demsich kaum ein Kind, wenn seine Fantasiedurch die neue Medienwelt noch nicht völligabget öt et ist, entziehen k ann. Auch Er-wachsene werden sich diesem Einfall kaumentziehen können, schon wegen der vortr eff-lichen Illustrationen nicht.

Nicht unproblematisch ist die Geschichte„ W ie der Franz lesen lernt e“ , m i t derChristine Nöstlinger in ihrem Buch „Neuesvom Franz“ Neugier auf das Lesen macht(Nöstlinger, S. 5-34). Um seiner Freundin zuimponieren und ihr zu zeigen, dass er lesenkann, lernt Franz B ilderbücher auswendigund seine Freundin glaubt ihm. Von nun anmuss er Gabi immer wieder etwas vorlesen.„Der Franz tut das gern. Sehr schwer ist das jaauch nicht, wenn niemand daneben steht,der wirklich lesen kann.“ Auch das Lesebuchfür die erste Klasse liest er Gabi vor. Aber er i s t„ sich nicht ganz sicher, ob die Geschichten, dieer zu den Buchstabenzeilen erfunden hat,auch wirklich die Geschichten sind, die imLesebuch stehen“. Deshalb hat er ein biss-chen Angst vor dem Schulanfang (Nöstlinger,S. 34).

Sicherl ich eine l iebensw erte Geschichte,aber es fragt sich, ob die Fantasie, die durchunverstandene Buchstabenzei len herv o rg e-rufen wird, wirklich für das Lesen hilfreich istoder ob n icht die „ falschen B i lder“ dasVerstehen der richtigen Inhalte zumindestbehindern.

Eine ähnliche Situation findet sich auch inFrauke Nahrgangs Kinderbuch „Katja und dieBuchstaben“.

Katjas Leselern p rozess wi rd gerade dadurc hempfindl ich gestört, dass sie sich auf Grund derBi lder in der Fibel fant astische Geschichten aus-denkt und diese ihrer M utter vorl iest. Da ihreMutter sie nicht korr i g i e rt – sie kann es nicht,wei l sie Analphabetin ist, was Katja nicht weiß– denkt Katja, sie könne lesen und bekommtdeshalb in der Schule Probleme. Während sichdie M utter d ie aufregenden Abent euer von Ul ia n h ö rte und dazu zustimmend nickte, nickteFrau Braun, die Lehrerin , nicht:

Sie wollte von diesem Abenteuer nichts wissen.„Du sollst nicht raten, Katja, du sollst lesen!“„Aber meine Mama“, wollte sich Katja vertei -digen. Doch Frau Braun winkte ab. „Schieb esnicht auf deine Mutter. Du hast einfach nichtgenug geübt!“ Dann kam Jürgen an die Reihe,und er las:Uli sei leiseSo nun losNadine las dasselbe. Alle Kinder lasen:Uli sei leiseSo nun losUnd Frau Braun war einverstanden.Solche selt samen Dinge passier ten immerwieder. Katja las der Mutter von Uli, demSchatzsucher, vor. Aber in der Schule wollteFrau Braun hören:Uli und Waldiwollen in den Waldwau wau.Und von der aufregenden Geschichte von Uliund dem Geisterbahnmonster blieb n ichtsübrig als:Uli und Susi sausenHei das ist feinTut tutKatja war sehr verw i rr t. Zu Hause konnte siedie spannendsten Geschichten aus der Fibelvorlesen. Aber in der Schule standen dort nurnoch erbärml ich langwei lige Geschichten, undKatja konnte gar nichts mehr davon lesen. ( N a h rgang 1991, S. 19 f.)

„Katja und die Buchstaben“ ist nicht nureine gelungene Fibelkr itik (vgl . Genunei t 1995,S. 180), sondern auch eine vehem ente Krit ikan einer Schule, die mi t fantasiebegabtenK i n d e rn wie Katja nichts anfangen kann.

So erläutert die Autorin Frauke Nahrgangin einem Interview zu ihrem Buch:

„ Die Lehrer in in der Geschichte schadetKat ja gar nicht so sehr mit der Qual ität derFibel text e ... Auch das Lernen im Gleichschri tthätte Katja viel leicht verkraftet. Was sie aberwirkl ich erst arren läßt, ist d ie I ntere s s e-losigkei t der Lehrerin . Ich w ünsche nicht nurK i n d e rn mi t Schulproblemen Lehre r, d ieneugierig auf Kinder sind und jedes einzelnespannend finden“ ( H u b e rt u s / N a h rg a n g / S c h ö b e r, S. 16 f.).

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„Katja und die Buchstaben“ ist m.E. auchdeshalb interessant, weil hier eine analpha-betische Mutter und deren Beziehung zu ihrerTochter mit aller emotionalen Dramatik, aberauch voller Feingefühl dargestellt wird. „Katjaund die Buchstaben“ ist in diesem Punkt ver-gleichbar mit den Jugendbüchern von JochenZiem „Boris, Kre u z b e rg, 12 Jahre“ , Kare nHesse „Nennt mich einfach Jule“ und CarolinPhilipps „Wer lacht, hat keine Ahnung“, indenen ebenfalls die Beziehungen zwischenKindern bzw. Jugendlichen und ihren anal-phabetischen Elternteilen dargestellt werden.Das ist eine Thematik, die in der Schule beibetroffenen Kindern häufig aus Scham undaus Angst, von anderen wegen ihrer Elternausgelacht zu werden, tabuisiert ist. Das istaber auch für Lehrerinnen und Lehrer einsehr wichtiges Thema, um sie im Umgang mitanalphabetischen Eltern zu sensibilisieren.

Die heile Lesewelt hat Risse. Das zumin-dest machen diese Bücher deutlich. Und esscheint so, dass die Bücher, die sich mitdiesen Rissen beschäftigen, sei t kurz e mimmer mehr zunehmen.

Ein Beispiel dafür ist das Kinderbuch „Benniund d ie Wört e r. Eine Geschicht e zumL e s e n l e rnen“ von B iessels und Er lbruch. Bennig e h ö rt wie Katja zu den fantasiebegabtenK i n d e rn, die deshalb Probleme in der Schulebeim Lesen- und Schre i b e n l e rnen bekommen,weil die Lehrer innen und Lehrer sie nicht ver-stehen. Zuerst läuft al les problemlos, aber alsBenni das Wo rt „Schaf“ lesen soll , geht esnicht, wei l das geschriebene Wo rt „eigentlichnicht zu dem lieben Gesicht und weißenLocken eines Schafes passte. (...) ‚Da gehörenLocken dran’, sagte Benni. Seine Lehrerin er-klärte, wieso das nicht nötig sei . ‚Es sind dochnur Buchstaben, Benni’, sagte sie (...). Allesind sich darüber einig, dass Schaf so aussieht,wenn man es schreibt“ (Biessels/Erlbruch, S. 5 f.).

Aber Benni kann sich mit dieser Erklärungnicht zufrieden geben, denn er hat nochnicht verstanden, dass Lesen und Schreibenauf einer Abstraktionsebene stattfinden, de-ren äußere Form nichts mit der Realität zu tunhat. Von nun an verbindet Benni jede Personmit einem Tier: Der Arzt sieht aus wie einSchaf, Onkel Willi wie ein Hund, und er maltihre Gesichter neben die Worte. Die Lehrerinreagiert eher hilflos. „‚Benni ist zwar sehreifrig, was das Lesen und Schreiben betrifft’,sagte Bennis Lehrerin (zu seiner M utt er), ‚aberi rgendwie wil l es bei ihm nicht so gehen wiebei den anderen Kindern ’ “ (Biessels/Erlbruch,S. 24). Und damit trifft Carli Biessels denNagel auf den Kopf: Unsere Schulen könnenmit abweichenden individuellen Lernprozes-sen nicht angemessen umgehen. Wenigstensschick t die Lehrer in Benni zu H errn

Rosenbaum, der so eine Art Schulpsychologezu sein scheint und Verständnis für Bennihat. Bei ihm darf Benni die Worte schreiben,die er will und auch die Zeichnungen dazuanfertigen, die er will. Heimlich steckt Benniseine Ergebnisse in einen Umschlag, der ohnesein Wissen an den Schulm inister geht. Der istb e g e i s t e rt und wi l l daraus ein „neuesL e s e p rojekt für die Grundschule“ machen( B i e s s e l s / E r l b ruch, S. 30). Das kann zwarvordergründig Benni (und den Leserinnenund Lesern) Mut machen, ob es ihnen aberhi l ft, die nächste Stuf e im Prozess desS c h r i f t s p r a c h e rwerbs zu erreichen, bleibtoffen, denn das Buch endet etwas abrupt.

Es f äl l t auf, dass die meisten neuere nKinderbücher sich nur mit dem Lesenlernenund seinen Problemen beschäft igen. D asS c h re i b e n l e rnen und das Schreiben selbstwird viel weniger thematisiert. Hier folgen dieKinderbücher einem bildungspolitischen, jasogar allgemeinen politischen Trend, nachdem offenbar das Lesen als gesellschaftlichrelevanter angesehen wird als das Schreiben.

Wie ist es sonst zu erklären, dass sowohldie OECD -St udie „Literacy, Economy andSociet y“ (1995) als auch die PISA-Studie (2001)ledigl ich die Lesefähigkei t von Kindern ,Jugendl ichen und Erwachsenen abgetestethat, aber nicht deren Schreibfähigkeit? Ob dasdam it zusamm enhängt, dass eine Unt er-suchung zur Schreibfähigkeit noch wesent-lich katastrophaler ausfallen wird als die bis-herigen zur Lesefähigkeit? Oder spielen daganz andere Gründe eine Rolle: Lesen ist einerezeptive Tätigkeit – man liest, was anderegeschrieben haben. Schreiben hingegen isteine produktive Tätigkeit, die m.E. ein vielg r ö ß e res Entf al tungs- und Ve r ä n d e ru n g s-potenzial enthält als das Lesen. Ve r ä nd e-rungspotenziale sind aber selten erw ü n s c h t .

Wie dem auch sei, ich möchte diesemTrend mi t zwei Büchern gegensteuern, dieauch auf die Wichtigkeit des Schre i b e n l e rn e n sund -könnens eingehen. In Dietlof ReichesKinderbuch „Fre d d y. Ein wi ldes H amster-leben“ bringt sich der Hamster Freddy selbstdas Lesen bei. Um aber an ausreichend Lese-stoff heranzukommen, muss er sich mit denMenschen, deren Sprache er zwar beherrscht,aber nicht sprechen kann, schriftlich aus-einander setzen. Unter großen Mühen lernt erSchreiben, was ihm allerdings erst gelingt, alsihm dafür ein Computer zur Verfügung steht.Er erkennt nicht nur, dass Schreiben einwichtiges Komm unikationsmittel ist, umseine Ziele zu erreichen, sondern auch Spaßmacht und sich zur literarischen Produktioneignet. So beginnt er, sein eigenes Lesenaufzuschreiben. Ein Buch, das schreibunlusti-gen Kindern und Erw achsenen deut l ichmacht, dass Schriftsprache immer aus zwei

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Komponenten besteht: dem Lesen und demS c h reiben, und das gleichzeitig wichtigeFunkt ionen des Schreibens auf zeigt (vgl .Genuneit 2002).

Martin Baltscheit hingegen macht auf denindividuel len kommunikativ en Sinn desSchreibens, zum Beispiel beim Liebesbrief,aufmerksam in seinem liebenswerten Bilder-und Kinderbuch „Die Geschichte vomLöwen, der nicht schreiben konnte“.

Der Löwe konnte nicht schreiben. Aber dasstörte den Löwen nicht, denn der Löwe konntebrüllen und Zähne zeigen und mehr brauchteder Löwe nicht. Doch eines Tages verliebte ersich in eine lesende Löwin, die er sogleichküssen wollte. Doch dann fiel ihm ein: „EineLöwin, die liest, ist eine Dame. Und einerDame schreibt man Briefe. Bevor man sieküsst. Das hatte er von einem Missionar ge-lernt, den er gefressen hatte.Da der Löwe nicht schreiben konnte, ging er zudem Affen und beauftragte ihn, statt seinereinen Brief an die Löwin zu schreiben. Und derAffe schrieb:„Liebste Freundin, wollen Sie mit mir auf dieBäume klettern? Ich hab auch Bananen. Totallecker! Gruß Löwe.“ Doch der Löwe war nichtdami t zufrieden. „ Aber neiiiiiin!“, brüllte derLöwe, „ so et was hätt e ich doch niegeschr ieben!“ Auch das Ni lpferd, derMistkäfer, die Giraffe, das Krokodil und derGeier, die er nacheinander mit dem Schreibeneines Briefes an die Löwin beauftragt,s c h reiben d iesen immer nur aus ihre rPerspektive. Dem Löwen reichte es.„Nein!“ , brül l te der Löwe. „ Nei i ii ii in! Nein!und nochmals Nein!“ „ Ich würde schre i b e n ,wie schön sie ist. Ich würde ihr schreiben, wieg e rne ich sie sehen würde. Einfach zusammensein. Einfach faul unter einem Baum l iegen.Einfach in den Abendhimmel gucken! … Unddann brül l te der Löwe los. Brül lte all die wun -d e r b a ren Dinge, die er schreiben würde, wenn erkönnte. Das hörte seine angebetete Löwin undsie fragte ihn erstaunt: „Wa rum haben Siedenn nicht selbst geschr ieben?“ Undzerkni rscht muss der Löwe antworten: „ Ichhabe nicht geschrieben, wei l ich n icht schre i b e nkann.“ Da lächelte die Löwin, stupste denLöwen mit der Nase und nahm ihn mit.

Das letzte Bild zeigt die beiden unter einemBaum liegend, vor einem aufgeschlagenenleeren Buch, in das der Löwe mit Hilfe derLöwin ein großes A schreibt, A wie Anfang.

Ein liebenswertes Buch, dem sich wederKinder noch Erwachsene entziehen können.

Doch nicht nur Kinder- und Jugendbücher,die trotz bestehender Schwierigkeiten Mutzum Lesen- und Schreibenlernen machen,sind wichtig, sondern auch solche, in denen

das Lesen- und Schre i b e n l e rnen scheitert ,wenn sie gleichzeitig zeigen, dass die geschei-terten Kinder andere Fähigkeiten haben, mitdenen sie das Leben meistern.

Zu solchen Büchern gehören z.B. „PippiL a n g s t rum pf “ von Ast rid Lindgren und„Hilfe, die Herdmanns kommen“ von BarbaraRobinson. Pippi kann nur rudimentär lesenund schreiben, ihr ist noch nicht einmal dieFunktion der Komm unikat ion durc hSchriftsprache bekannt, denn sonst würde siesich nicht selbst einen Brief schreiben. Sie willaber nicht lernen und meistert trotzdem ihrLeben.

Ähnlich geht es den Herdmann-Kindern,über die Barbara Robinson schreibt.

„Die Hermann-Kinder waren die schlimm-sten Kinder aller Zeiten. Sie logen und klau-ten, rauchten Zigarren (sogar die Mädchen)und erzählten schmutzige Witze. Sie schlugenkleine Kinder, fluchten auf ihre Lehre r,mißbrauchten den Namen des Herrn undsetzten den alten verfallenen Geräteschuppenvon Fred Schumacher in Brand“ (Robinson, S.5) – so charakterisiert die Autorin ihre kleinenHelden gleich zu Beginn der Geschichte. Klar,dass sie in der Schule Probleme mit demLesen- und Schreibenlernen haben. Aber dasMerkwürdige ist, dass nie einer von ihnensitzen bleibt: „Am Ende der ersten Klassekonnte Klaus Herdmann weder das Abc nochdie Zahlen, er kannte keine Farben und konn-te ein Viereck nicht von einem Kreis unter-scheiden, er hatte weder gelernt, ‚Hänschenklein’ zu singen, noch mit anderen Kindernauszukommen.

Aber Fräulein Brendel versetzte ihn trotz-dem in die zweite Klasse:

Denn eines wußte sie: Im nächsten Jahrw ü rde sie Ol l i Herdmann in der Klasse haben.Das war eben die Sache mit den Herdmanns: Eskam im mer einer nach. Und kein Lehrer war sov e rrückt, sich mit zweien von ihnen auf ein-mal einzulassen“ (Robinson, S. 11 f.). Hier gibtdie Autorin einen wichtigen Hinw eis zurUrsachenforschung für funkt ionalen Analpha-bet ismus: Viel fach werden Kinder aus Bequem-l ichkeit einfach durch die Schulzeit „durc h g e-zogen“ , um Schwier igkeiten zu vermeiden, indie nächste Klasse – m eist aus Altersgründen –versetzt oder auf d ie Sonderschule „abge-schoben“ (vgl . Döbert 1997).

Pippi Langstrumpf und die Herd m a n n ssind alles irgendwo liebenswerte Kinder, diedeutl ich machen, dass es noch andereQualitäten gibt, als lesen und schreiben zukönnen. Aber haben sie eine Chance, in einervon Schriftsprache geprägten Welt zu über-leben? Kaum. Von den Herdmanns könnenwir nur ahnen, was aus ihnen wird. Pippikann nur überleben, glücklich und fröhlichbleiben, weil sie die Krummuluspille schluckt

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und so nie älter als neun Jahre wird. I n s o f e rnist sie die einzige glückl iche Analphabetin derWeltliteratur.

Hier stellt sich die Frage, ob die Lektüredieser Bücher Kindern mit Lese- und Schreib-problemen hilft. Bei der Überwindung dieserProbleme direkt wohl nicht, aber sie könnenihnen Selbstbewusstsein vermitteln, das fürden weiteren Lernprozess hilfreich sein kann.Und das ist doch auch schon etwas!

In die Kategorie der Bücher, die Selbstbe-w usstsein vermit teln, um trotz Lese- undSchreibproblemen das Leben zu meistern, fälltauch das Buch „Der Pastor von Nibbleswick“,das Roald Dahl im Auftrag des LondonerD yslex ie- Inst ituts f ür lese- und schre i b-schwache Kinder geschrieben hat und mitdem der Ü berbl ick beendet werden sol l .Hochwürden Lee hat als Kind unter Lese-/Rechtschreibschwäche gelitten, ist aber d u rc hdie Bem ühungen des Londoner Dyslexie-Institut s wei tgehend davon „gehei l t“ worden.Nur wenn er unter Stress steht, sucht sie ihnnoch heim, allerdings in einer merkwürdigenForm: Er spricht dann die wichtigsten Wörterrückwärts. So wird „dog“ zu „god“ – undu m g e k e h rt – und eine Zei le aus demVa t e runser lautet „ Und vergib uns unsereD luhcs, wie auch wi r vergeben unsere nNregidluhcs“ (Dahl 2000, S. 18). Kein Wun-d e r, dass dies in seiner neuen Kirc h e n-gemeinde zunächst Ve rw i rrung st i ftet. Dieerreicht dann ihren Höhepunkt, als er nacheiner Sonntagspredigt verkündet: „Die Straßevor unserer kleinen Kirche ist ausgesprochenschmal, und wie Sie wissen, ist kaum Platzgenug, um mit zwei Fahrzeugen aneinandervorbeizukommen. Deshalb erscheint es mirr ichtig, wenn ich die Mi t gl ieder unsere rGemeinde bitte ...“ – und dann folgte wiedereine dieser Wo rt v e r k e h rungen. Er w ol ltesagen: „... nicht vor dem Gottesdienst entlangder Vorderseite unserer Kirche zu parken.“Parken heißt aber im Englischen park, undrückwärts liest sich das Wort krap. Aber krapbedeutet scheißen. Also verstanden die Leute,sie sollten nicht vor dem Gottesdienst entlangder Vorderseite ihrer Kirche scheißen. Undweiter hörten sie den Pastor sagen: „Es istnicht nur ein unschöner Anblick, sondernauch gefährlich. Wenn ihr alle auf einmal amStraßenrand scheißt, könnt ihr leicht voneinem v orbeifahrenden Wagen überf a h re n

werden. Es gibt doch genügend Platz an derSüdseite der Kirche.“ (Dahl 1992, S. 19 f.)

Mit Hilfe des Dorfarztes gelingt es PastorLee, mit seinem Problem fertig zu werden: Ergeht bei der Predigt immer rückwärts, dannkommen nämlich alle Wörter vorwärts raus,und um sehen zu können, wohin er geht,bringt er einen kleinen Rückspiegel mit einemElastikband an der Sti rn an. „ Schl ießl ichwurde Hochwürden Robert Lee so gut imRückwärtsgehen, daß er gar nicht mehr vor-wärts lief, und für den Rest seines Lebens galter als ein liebenswerter Exzentriker und eineechte Stütze der Gemeinde.“ (Dahl 1992, S. 22)

Das Ermutigende an dieser Geschichte istnicht nur, dass Pastor Lee eine Lösung für seinProblem findet, sondern dass seine Gemeindeihn trotz seiner Schwäche ak zeptiert . DieRealität sieht bei uns heutzutage noch andersaus: Bei uns werden Menschen mit Lese/S c h re i b p roblemen immer noch verspot tetund an den sozialen Rand gedrängt. IhreExistenz w i rd geleugnet, tabuisiert oderheruntergespielt, sodass oft eine gezielte Hilfefür sie nicht möglich ist.

An dieser Stelle soll der Streifzug durch dieKinder- und Jugendliteratur abgebrochen wer-den, obwohl es noch viele interessante Titelund Aspek te gibt, d ie vorgest el lt werd e nkönnten.

Der Streifzug hat gezeigt, dass Lesen- undSchreibenlernen seit mehr als zweihundert-fünfzig Jahren ein Thema der Kinderliteraturist. Dabei stehen Motivation zum Lesen- undSchreibenlernen sowie die Überwindung derdabei auft ret enden Schwier igkei ten imMittelpunkt.

Deshalb sind diese Bücher in der heutigenZei t für Kinder wichtig. Sie erf a h ren, wozu manLesen und Schreiben braucht und werden som o t i v i e rt, es zu lernen und anzuwenden.

Sie erfahren aber auch, dass Lesen- undSchreibenlernen mit Schwierigkeiten verbun-den sein kann. Wenn sie selbst so lcheSchwierigkeiten haben, zeigen diese Bücherihnen, dass sie nicht die Einzigen sind, unddas macht Mut. Wenn sie keine Schwierig-keiten haben, erfahren sie, dass es Kinder gibt,die solche Probleme haben und dass mandiese Kinder nicht auslacht, sondern ihnenhilft und Rücksicht auf sie nimmt.

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Biessels, Carli / Erlbruch, Wolf. 2000. Benni und die Wörter. Eine Geschichte zumLesenlernen. Weinheim: Beltz & Gelberg.

Campe, Joachim Heinrich. 1830. Abeze- und Lesebuch. Braunschweig (Sämtliche Kinder- undJugendschriften, Bd. 1, Faks. Nachdruck, Die bibliophilen Taschenbücher, Dortmund 1979).

Dahl, Roald. 1997. Matilda. Reinbek: rororo rotfuchs.

Dahl, Roald. 1992. Der Pastor von Nibbleswick. Ravensburg: Otto Maier.

Doorselaer, Willy van. 1995. Ich heiße Kaspar. München: Carl Hanser.

Ellensohn, Susanne. 1999. Der lange Hans oder Die heimliche Flucht. Hamburg: Oetinger.

Fährmann, Willi. 61997. Der überaus starke Willibald. Würzburg: Arena.

Goldsmith, Oliver [?]. 1765: The History of Little Goody Two-Shoes.

Heidelbach, Nikolaus. 21997. Ein Buch für Bruno. Weinheim: Beltz&Gelberg.

Hesse, Karen. 2000. Nennt mich einfach Jule. München: dtv.

Janosch. 1994. Wie der Tiger lesen lernt. München: Mosaik.

Jonas, Anne. 1999. Bertram und Kasimir. Vom Abenteuer Lesen. Esslingen: Esslinger Verlag.

Lindgren, Astrid. 1987. Pippi Langstrumpf. Hamburg: Oetinger.

Moritz, Karl Philipp. 1794. Neues ABC-Buch. Berlin, Faks., München: Insel 1980.

Moritz, Karl Philipp / Erlbruch, Wolf. 2000. Neues ABC-Buch. München: Kunstmann.

Nahrgang, Frauke. 1991. Katja und die Buchstaben. Kevelaer: anrich.

Nöstlinger, Christine. 1985. Neues vom Franz. Hamburg: Oetinger.

Philipps, Carolin. 1997. Wer lacht hat keine Ahnung. Wien: Uebereuter.

Reiche, Dietlof: Freddy. 1998. Ein wildes Hamsterleben. Weinheim: anrich.

Robinson, Barbara. 1974. Hilfe, die Herdmanns kommen. Hamburg: Oetinger.

Schubart, Christian Friedrich Daniel. „Schuldiktat Nr. 5“. In: Schubarts Werke. Berlin/Weimar 1988, S. 258f.

Tyl Ulenspiegel. In: Deutsche Volksbücher. Berlin/Weimar: Aufbau 1968, Bd. 2, S.5-155.

Ziem, Jochen.1992. Boris, Kreuzberg, 12 Jahre. Berlin/München: Erika Klöpp.

Döbert, Marion. 1997. „Schriftsprachunkundigkeit bei deutschsprachigen Erwachsenen.“ In: Eicher, Thomas: Zwischen Leseanimation und literarischer Sozialisation. Oberhausen:Athena, S. 117-139.

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Wie kann im komplex en Arbeitsfeld desLesens das einzelne Kind in seiner Lesekom-petenz- und Lesestrategieentwicklung gezieltgefördert werden?

Dieser Frage widmet sich der folgendeBeitrag – • im ersten Teil durch eine kurze theoreti-

sche Bestimmung, was Lesen sei, welcheStrategien es zu erwerben gilt und warumli t erar ische Tex te zur Aneignung dieserStrategien besonders geeignet sind,

• im zwei t en Tei l durch eine Reihe vonPrax isbeispielen, in denen w esent l icheLesestrategien fokussiert sind und geübtwerden können.

Lesen ist ein komplizierter kognitiver Prozess,bei dem die gesamten sprachl ichen undaußersprachlichen Kenntnisse und Erfahrun-gen des Lesers oder der Leserin einbezogenwerden müssen:• Der Leser oder d ie Leserin m uss d ie

S t rukt ur eines Wo rtes, eines Tex tes er-f a s s e n .

• Der Leser oder d ie Leser in muss d ie imTex t vorhandenen Begri ff e m it ihren oderseiner Vorstel lung verbinden bzw. d ieseaus dem Tex tzusammenhang erschl ießenk ö n n e n .

• Es müssen viel fäl tige Ve r k n ü p f u n g s l e i s-tungen vol lzogen w erden, z.B. Ve r-knüpfungen von Wört e rn, von Abschni t -ten, Bezug v on Überschr i ft und Te x t ,Verbindung von Text anfang und -ende.

We rden genügend Verknüpfungs- undVorst el lungsleist ungen erbracht, so kann dieAussage des Text es, der Sinn, gefunden wer-den. Eine so lche anstrengende geist igeTätigkei t bedarf der M ot ivation, d.h., dieLesenden wenden sich dem Tex t zu, wei l sieSinngebung und Information erw a rt en, wei lsie auf das Ergebnis ihrer Lesebemühungengespannt sind.

Der Deutschunterricht in der Grundschulehat die Auf gabe, eine anhal tende Lesemotiva-tion aufzubauen (vgl. Rahmenplan der BBS).

Dafür sind die folgenden Aspekte konsti-tutiv:a) die Bedeutsamkeit der Inhalte (Wozu lese

ich diesen Text? Geht der Text mich etwasan? Was habe ich von ihm?),

b) die Möglichkeit der Rückkoppelung vonLeseerfahrungen im Gespräch mit anderen und in Lernzusammenhängen (Wie habeich den Text verstanden und was sagen dieanderen dazu? Da gibt es ja ganz vieleunterschiedliche Gedanken! Auf die wäreich allein nicht gekommen!) sowie

c) die Förderung der Erfolgszuversicht (Icherwarte Antworten auf meine Fragen. Ichkriege das heraus!).

Lesen ereignet sich immer auf zwei Ebenen:Auf der inhaltlichen (z.B. Informationsent-nahme) und auf der methodischen (z.B. Lese-technik). Unverzichtbar für die didaktischeKonzeption sinnvol ler Aufgabenst el lungenist es daher, dass die Sinnentnahme immermit M aßnahmen zur Förd e rung derLesestrategien verbunden wird. Wenn Kinderin dem komplexen Arbeitsfeld Lesen hierzusystematisch angeregt und angeleitet werd e n ,lernen sie, Wörter und Sätze in Teileinheitenzu gl iedern und d ie Beziehungen zwischendiesen Einhei ten zu erkennen, Inform a t i o-nen in einem Text auszumachen und diesezu bewerten, Begri ffe und Sinnzusam men-hänge zu klären, die Aufmerk sam kei t aufwesent l iche Gedanken in einem Tex t zulenk en usw. Sie lernen so, über genau jeneSt rategien des Text verst ehens zu verf ü g e n ,d.h. automatisch die St rat egie anzuwenden,die für das Verstehen notwendig sind (v gl .dazu Aebl i . I n: Gru n d f o rmen des Lernens. S.117 ff . und Baurmann / M ül ler in PD, S. 44) .

Das Interesse am Lesen und d ie Fähigkeitzur Anwendung v on Lesestrategien f ür dasTex tv erstehen bedingen einander.

Nur w enn bei des erk ennbar f ür d i eKinder mit einander verbunden ist, könnensie den We rt des Lesens f ür sich persönl ichentdecken, die für die Entwicklung der Strat e-gien not wendige Anstre n g u n g s b e re i t s c h a f ta u f - und ausbauen und Freude am Leseng e w i n n e n .

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Für die Ausbildung und Förderung einer wieoben verstandenen Lesekompetenz werdensowohl Sacht ext e als auch v erantw or-tungsvoll ausgewählte literarische Texte emp-fohlen. Reime, Rätsel , Gedichte undGeschichten bieten auf Grund ihrer sprach-lichen Gestaltung vielerlei Ansätze dafür, dief ür das Text verstehen erf o rd e r l i c h e nStrategien bewusst zu üben:

• Bildhaftigkeit, Klang, Reim und Sprach-rhythmus sprechen die Kinder emotionalan und machen sie neugierig.

• Besondere Gestaltungsweisen steuern dieAufmerksamkeit und fördern die Fähigkeit zur bewusst en Sinn- und Inform a t i o n s-entnahme.

• Reim und Rhythmus legen es nahe, Wörterund Sätze beim Lesen in Teileinheiten zugliedern.

• Die Kinder gewinnen auf Grund derBildhaftigkeit und der besonderen Sprach-gestaltung von literarischen Texten relativschnell Zugang zu Inhalten, die sie z u mNachdenken und Mi terleben anre g e n .

• Sprachl iche Prägnanz und Ve r k n a p p u n gwirken wie St o lpersteine und ford e rnzum N achdenk en und Fragen heraus.

• Die Überschaubarkeit der Texte wi rk te rm ut igend und ermögl icht unterschied-l iche unt errichtl iche Arrangem ent s fürdie Förd e rung des Textverstehens.

• Die Kinder begegnen Tex ten, die auf ihrWel t wissen und ihre Vorstel lungen undE rf a h rungen t re ffen und dieses erw e i t e rn .

• Reim e, Rätsel , Gedicht e und Geschichtenm o t i v i e ren zum Aust ausch sowi e zurD i f f e re n z i e rung und zum Überd e n k e nvon individuellen Leseerf a h run gen undVorstel lungen im Gespräch und imgem einsam en Tu n .

• Reime, Rätsel , Gedichte und Geschichteni n i t i i e ren, lei t en bzw. ergänzen Lern -z u s a m m e n h ä n g e .

• St rat egien für das Textv erstehen erh a l t e nim inhalt l ichen Kont ext und in Lern -zusam menhän gen ihre Bedeut ung; dasLesen m uss f ür die Kinder zu eineme r k e n n b a ren und erst re b e n s w e rten Zielf ü h ren.

• Die Begegnung mit den Tex ten, die gele-sen werden sol len, seien es Sachtexte

oder l i terar ische Tex te, muss spannungs-vol l sein, sie muss z.B . Erw a rtungen weckenund erfü l len, Vorstel lungen eröffnen undd i f f e re n z i e ren.

• I m Hinbl ick auf die Ausbi ldung vonStrategien zur Förd e rung des Te x t v e r-st ehens sind die Unt erschiede in derRezeption non-fikt ionaler und fiktionalerTexte nachrangig. (v gl. Hurrelmann, Bett ina.In: PD 176/ 02, S. 12).

• Es ist sinnvol l , auch l i terarische Text e soauszuwählen und den Unt erricht so zugest al ten, dass die Kinder m i t einergericht et en Auf merksamkeit lesen undsich über den Text verständigen können.

Ein Leseauftrag wie „Schlagt das Buchauf Sei t e ... auf. Wer beginnt mit dem Vo r-lesen?“ ist nicht m ot ivierend unds c h reckt Kinder ab, die noch nicht überein ausgebi ldetes Leseint eresse und -ver-mögen verf ü g e n .

• Vor dem lauten Vorlesen sol l ten dieKinder d ie M ögl ichkeit haben, den je-wei l igen Text für sich zu lesen. Wenn wird ie Kinder unbekannte Tex te ohne ausre i-chende Vo r b e rei tung vorlesen lassen,besteht d ie Gefahr, dass sie Lesen vor-nehml ich als ein Lautw erdenlassen vonSchri ft zeichen auffassen. Da sie M ühegenug haben, die Schri ft in Laute um-zuset zen, vernachlässigen sie angesicht sder Erw a rtung, m ögl ichst fehlerf rei vor-lesen zu so l len, das Eigent l iche und auchdas eigent lich M otivierende: Die durc hdie Laute bezeichnete Sinnsuche unter-b leibt oder wird zum indest vern a c h l ä s s i g t .

• Gleiches gi l t auch für m it lesende Kinder,da diese auf das Lesetempo der Vo r l e s e r i noder des Vorlesers festgelegt werd e n .D u rch b loßes Vo r- und M i tlesenlassen,d.h. ohne vorher iges individuel les Lesen,w i rd den Kindern d ie Si nnent nahmee r s c h w e rt oder gar verstell t .

• Das sinngestal tende Vorlesen der Lehr-kraf t erleichtert bzw. ermögl icht denK i n d e rn jedoch das Zuhören und dasTe x t v e r s t e h e n. Ein solches gestaltendesVorlesen trägt zur Lesem otivation beträcht-l ich bei .

• Individuel les Lesen al lein bietet al lerd i n g snicht die Gewähr für ein sinnerschl ießen-des Lesen, sondern die gem einsame Besin-nung ist notwendiger Bestandt ei l desL e s e u n t e rr i c h t e s .

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• Das Gespräch dient dem Klären desGelesenen sowie dem tieferen Eindringenin dessen Gehalt: Indem die Kinder dasjeweils von ihnen Erfasste benennen, es zuverstehen und zu deuten versuchen undindem durch Nachlesen Aussagen geprüft,Inhal te zusam mengefasst und Schlüssegezogen werden, indem Bezüge zur eige-nen Vorstellungs- und Erfahrungswelt undschl ießl ich Lernzusamm enhänge herg e-st el lt w erden, gelangen d ie Kinder zueinem Textverständnis, das ihnen auseigener Kraft und allein nicht erreichbarwäre.

• Handlungs- un d pro d u k t i o n s o r i e n t i e rt eVerfahren dienen dem vertiefenden Text-verstehen. Damit dies gefördert werdenkann, muss der Text selbst im Mittelpunktstehen. Die handlungs- und produktions-o r i e n t i e rt en Aufgabenstellungen müssendie Kinder zunächst zur vert i e f e n d e nAuseinanderset zung mit dem jewei l igenText herausfordern. Für das vertiefte Ver-stehen reicht es nicht, die vorgegebenenInhalte nach eigenem Ermessen umgestal-ten oder weiterentwickeln zu lassen, dieseszenisch darstellen oder sie mit Musik-instrumenten „vertonen“ zu lassen, viel-mehr sollten die Kinder während solcherProzesse zur kritischen Beobachtung ihrerAktivitäten angeregt werden, und ihnensollte dabei zunehmend klar werden, dassi h re Gestal tungsversuche Werkzeuge fürdas Textverstehen sind. Erst dann sind Ausgestaltungen, die überden Tex t hinausgehen oder ihn auchabwandeln, sinnvoll.

• Klang gestaltendes Lesen ist dem Kind eineHilfe, den Gehalt eines Textes zu erfassenund zu behalten. Es sollte jedoch nicht amAnfang der Lesebemühungen stehen, son-dern das Textverstehen begleiten und vor-läufig abschließen.

• Vorbereitetes Vorlesen sollte einen festenPlatz im Unterricht erhalten. Es ist einewichtige Übungsmögl ichkei t , und dieLehrerin oder der Lehrer erhält darüberhinaus durch die Art des Vortrags wichtigeHinweise, inwieweit der Text verstandenworden ist

• Für das individuelle Stöbern in Büchernund zum Austausch ihrer Leseerfahrungen mit anderen müssen die Kinder freie Lese-zeiten erhalten.

In den folgenden Praxisvorschlägen wirdjeweils eine wesentliche Strategie des Text-verstehens beispielhaft in den Vordergrundgestellt:

1. Sinnentnahme durch Antizipation(„Es klopft bei Wanja in der Nacht“)

2. Sinnentnahme vorbereiten durch Nachdenken über Wörter(„Fingel“, „Ich wünsch’ gute Nacht“)

3. Sinnentnahme durch Retrospektive(„Der süße Brei“)

4. Sinnentnahme durch Rekonstruktion(„Droben auf grüner Waldheid“, „Weiß wie Kreide“, Bodenbilder, Lesespur)

5. Sinnentnahme durch Gestaltung(„anege, hanege“, „Der Flügelflagel“, „De Dag de graut“, „Geschichten von Franz“)

Eine äußerl iche Bedrohung (ein nächt licherS c h n e e s t u rm) ist stärker als die Angst vor-einander und der Unfrieden untere i n a n d e r(von Mensch, Hase, Fuchs und Bär). Erst derneue M orgen lässt al le die Gefahr, die voma n d e ren ausgeht, erkennen, und jeder gehtwieder seinen eigenen Weg. Nur die Spuren imSchnee zeigen, dass sie die Nacht friedl ichmiteinander verbracht haben.

G rundschulkinder kennen Gef ühle w ieAngst in der N acht, Angst vor N atur-p h ä nomenen oder vor anderen, die stärkersind als sie. Dass es aus der Angst bzw. Notheraus Lösungen gibt, die anders sind alsu n s e re Erw a rtungen, erf a h ren sie imBi lderbuch „Es klopft bei Wanja in derNacht“ . Diese „ungewöhnl iche“ Lösungmacht Mut und schafft Ve rtrauen in dasLeben.

Das einfache Reimschema des Textes undder wiederkehrende Refrain gl iedern denText, unterstützen das Verständnis und sor-gen für eine große emotionale Nähe zu denFiguren.

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D ie Geschicht e wird vor al lem von denIl lustrat ionen her erschlossen. D ie Sinn-entnahme erfolgt durch:• Antizipation der Handlung,• Vorlesen und Mitsprechen,• Schreiben und• szenisches Spiel.

H aupt tätigkeiten beim gem einsamen Ken-n e n l e rnen eines B i lderbuches sind: dasBetrachten und Verweilen, das Reden, Vor-lesen und Zuhören.

Gemeinsam nachgedacht werden kannüber Abbi ldungen, Überschri f ten undTextteile (z.B. Einleitungssätze, Kernstellen,Schlusssätze etc.).

Für den Unterricht bedeutet das, dassbesonders viel Zeit für das Gespräch einge-plant werden muss.

Die Lehrkraft klebt Titel und Titelbild desBilderbuches zunächst zu. Die gemeinsameErarbeitung findet im Stuhlkreis statt:

• Die Lehrkraft betrachtet mit den Kinderndie Spuren im Schnee auf der Innenseitedes Einbandes. Die Kinder st el len Ve r-mutungen an, um was für Spuren es sichhandelt.

• Die Lehrk raf t l i est den Text v omE i n t re ff en des Hasen bis zum Ref rain„Bald w ird es sti l l im k leinen Haus ...“v o r. D ie Kin der beschreiben das Bi ld(Hase im Lehnst uhl neben dem Ofen)und st el len Ve rmut ungen an, wie sich derHase f ühl t .

• Die Lehrkraft liest bis zum Eintreffen desFuchses und der Bitte des Hasen, ihn nichteinzulassen, vor. Die Kinder äußernVermutungen dazu, wie Wanja sich ent-scheidet.

• Die Lehrkraft l iest die EntscheidungWanjas bis zum Refrain vor. Sie spricht undübt mit den Kindern den Refrain.

• Das Eintreffen des Bären wird bis zur Zeile„Was mach ich bloß? O Mann, o Mann.”v o rgelesen. Die Kinder bet racht en undb e s c h reiben das Bi ld und stel lenVermutungen an, was Wanja machen wird. Die Lehrkraft liest bis zur Entscheidung,den Bären auf zunehmen. Die Kindersprechen den abschließenden Refrain mit.

• Die Lehrkraft zeigt das Bild vom tobendenS c h n e e s t u rm und l iest dann bis zumVe rweis auf den nächsten M orgen vor.Danach erst wird das Bild von Wanja undden friedlich schlafenden Tieren gezeigt.

• Die anschl ießende Schreibaufgabe zum

Bild der friedlich schlafenden Tiere solltemöglichst offen formuliert sein bzw. dieAufgabenstel lungen könnten d i ff e re n-zierend eingesetzt werden (z.B.: Schreibeetwas zum Bild! oder: Am Morgen ist derS t u rm vorbei … oder: Wie könnt e esweitergehen?).

• Nach der Präsent at ion der Schülert e x t ekann der Schluss des Textes mit den eige-nen Lösungen verglichen werden.

Der Kinderbuchklassiker „Es klopft bei Wanjain der Nacht“ eignet sich besonders zumszenischen Spiel.

FINGEL(nach Klinger)

1.Fingel war ein Riese in Irland.

In Schottland lebte ein anderer Riese. Der hörte von Fingel und wurde darüberunruhig.„ Wer ist dieser Fingel?“ fragt e er sichimmer wieder.„Ich will zu ihm hinübergehen und ihnsehen.“ So machte er sich auf den Weg und gingüber den Irischen Kanal.

Fingel hörte davon und erschrak, dennman hatte ihm erzählt,dass der schottische Riese ihn umHaupteslänge überrage.

2.Als er den Riesen nun auf sein Hauszukommen sah,rannte er so schnell er konnte in die Küche. „Weib!“ rief er, „schnell, schnell. Der großeSchotte kommt!Ich lege mich rasch ins Bett,und wenn er fragt, wer da schläft, so sage,es sei dein Kind!“

Fingel sprang ins Bett und seine Frau hattegerade noch Zeit,ihm die Decke überzuwerfen, als der Riesehereinkam.„Wo steckt dieser Fingel!“ schrie er.

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„Schaff ihn mir herbei, ich will ihn ver-prügeln!“„Pst! Pst!“ wisperte die Frau. Du weckst mirdas Kind auf!“„Was für ein Kind?“„Fingels Kind“, flüsterte die Frau und neigte sich über den großen Körperunter der Decke.„O heiliger Andreas!“ schrie der Riese auf. „Wenn das sein Kind ist, wie groß mussFingel dann erst sein!“Damit stürzte er aus dem Haus und rannteohne Pause, bis er wieder sicher in seiner Heimat war.

3.Fingel aber stand auf und lachte so laut,dass es von den Wänden widerhallte.

Jemand ist kleiner als ein anderer und hatAngst. Diese Situation ist Kindern eines zwei-ten und dritten Schuljahres nicht fremd. Zuerleben, wie in der Geschichte von Fingel derKleinere zugibt, Angst zu haben, sich aber zuhelfen weiß, bereitet Vergnügen und entlastetvon eigenen Ängsten.

Die Verlagerung des Geschehens in dieF e rne und in unreal istische Größen-verhältnisse schafft den nötigen Abstand, umbeim Lesen über eigenes Erleben nachdenkenzu können.

N ach Schaff en anschaul icher sprachl icherGrundlagen durch Klärung von Begriffen undWörtern erfolgt die Sinnentnahme durch: • Antizipation,• Zusammenfassen des Inhalts,• szenische Gestaltung und• eine Schreibphase.

Schon beim ersten Satz „Fingel war ein Riesein Irland“ entwickelt der kompetente Leservon sich aus eine Vorstellung vom Ort undder Außerordentlichkeit des Geschehens undweckt Erwartungen, die ihn zum Weiterlesenveranlassen. Eine solche selbstständige Vor-st el lungsbi ldung, durch die Leseintere s s eerzeugt wird, kann bei Kindern eines zweitenbzw. dritten Schuljahres nicht vorausgesetztwerden. Es müssen im Vorfeld der Lesearbeitanschaul iche und sprachl iche Gru n d l a g e ngeschaffen werden.

• Die Kinder betrachten das Bild und findengemeinsam heraus, was es ihnen erzählt.Dies kann auch in Gruppen geschehen.

• W ä h rend der gemeinsamen Aussprachewird auf folgende Begriffe eingegangen:Irland – IreSchottland – SchotteIrischer Kanal (Irische See – die geogra-phisch gebräuchliche Bezeichnung)

• Wenn die Kinder von sich aus Vermutun-gen anstellen, was es mit den Riesen aufsich haben könnte, werden sie zum stillenLesen des ersten Teils der Geschichte auf-gefordert, um genau das herauszufinden:

• Tafelarbeit: Was erfahren wir über die Riesen?

• Ein Gespräch schließt sich an. Ziel ist, dassdie Kinder herausfinden: „Fingel sitzt inder Klemme.“ Die weiterführende Frage stellt sich vonselbst: Was kann er tun?

Die Kinder machen Vorschläge.• Sie lesen nun den vollständigen Text und

unterstreichen Stellen, die sie im Hinblickauf die Fragestellung besonders aufschluss-reich oder „spannend“ finden.

• Die Kinder lesen dann die entsprechendenZeilen vor. Das Erschrecken Fingels, seinlistiges Vorgehen und die Pfiffigkeit derFrau lassen sich gut sinngestaltend lesenund verdeutlichen.

• Das szenische Spielen einzelner Dialog-stellen kann der Vertiefung des Textver-ständnisses dienen, wenn es durch dasU n t e rrichtsgespräch, das auf den Te x tBezug nimmt, ergänzt wird. Das bedeutet:Spiel- und Reflexionsphasen wechseln kon-tinuierlich.

• M ögl icher Schreibim puls: „ Jemand istkleiner als ein anderer und hat Angst. Aberer weiß sich zu helfen“.

Die Kinder können bei dieser Schre i b-aufgabe entweder die Geschichte noch ein-mal oder aber abgewandelt erzählen. Sie kön-nen auch eine neue Geschichte erfinden bzw.eine Geschichte von sich erzählen.

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A n d e re Texte, die das Them a Angst zumInhalt haben, können mit der Geschichte vonFingel in Beziehung gesetzt werden. Die Kinderü b e rdenken dann noch einmal ihr bisherigesVerständnis und haben Gelegenhei t, es zue rw e i t e rn oder zu modi fizieren. Als Beispielseien die unten st ehenden Verse genannt. Sieheben jeweils einen Aspekt von Angst herv o r,der in der Fingel-Geschichte zwar mitschwingt,jedoch nicht ausdrückl ich Thema ist : Der ersteText st el lt humorvol l dar, auf welche We i s eAngstgefühle entstehen, der zweite Vers er-m utigt zur Überw i ndung von Angst.• Vorschlag für die Weiterarbeit:

Welcher der beiden Verse passt deiner Meinung nach zur Fingel-Geschichte?

Begründe deine Entscheidung.

Mother Goose

Mariechen auf der Mauer stund, sie hatte Angst vor einem Hund.Der Hund hatte Angst vor der Marie,weil sie immer so laut schrie.

Die Nacht Die Nacht ist ein großes schwarzes Loch.Glühwürmchen aber wagt es doch, zögertnicht, zündet an sein Licht.

(aus Japan)

Ich wünsch’ gute Nacht,von Rosen ein Dach,von Zimt eine Tür,von Rosmarin einen Riegel dafür.

Ich dank‘ für diesen Reim,die Rosen wachsen groß und klein,sie wachsen auf und nieder,eine geruhsame Nacht wünsch’ ich wieder.

(mündlich überliefert)

K i n d e rn im Grundschulal ter ist es ein Anl iegen,d ie Wel t in der Vorst el lung für sich soh e rzustel len, wie sie sein sol l . Es ist ihnen einB e d ü rfnis, Gefühle des Ungesicherten, desUnbehaust- und Ausgeliefertseins durch Bilderder Geborgenheit und der Harm onie auszuglei -chen. Diese werden in der ersten Strophe desGedichtes – als Wunsch an ein Gegenüberger ichtet – ausgesprochen. Der Wunsch als einelebendige und wirksam e Vorstel lung wi rd inder zwei ten Strophe als Dank zurückgegeben.

Das Gedicht ist jedoch in seiner Aussagenicht ohne gewisse Vorkenntnisse zu ent-schlüsseln. Die Kinder müssen erleben, nachMöglichkeit auch ausdrücken, welch ange-nehmes Empfinden der Duft der Rosen inihnen weckt, und sie müssen über die Bedeu-tung von Zimt und besonders von Rosmarinals Heilpflanze informiert werden oder sichinformieren können. Vor diesem Hintergrundsind die Kinder auch motiviert, über dasGedicht nachzudenken.

Nach Schaffen anschaulicher und sprachli-cher Grundlagen erfolgt die Sinnentnahmedurch:• Assoziation,• Markieren von Sinn tragenden Wörtern,• Erschließen von Wortbedeutungen aus

dem Kontext,• Gespräch,• dialogisches Lesen und Sprechen,• Textvergleich und• gegebenenfalls Einbettung in andere

Lernzusammenhänge (z.B.: unsere Sinne, Gewürze).

• Die Kinder erhalten die Gelegenheit, denspezifischen Duft der Rose, von Rosmarinund Zimt zu spüren und in Worte zufassen. Die Lehrkraft hebt die Bedeutung der Rose als Inbegriff der Schönheit und des Wohl-geruches hervor und informiert über dieBedeutung von Zimt und besonders vonRosmarin als Heilpflanze. Die Lehrkraft zeigt und erklärt gemeinsamm it den Kindern die Funk tion einesRiegels. (Die Bedeutung des Wo rt e s„Riegel“ könnt e spät er mögl icherw e i s eauch aus dem Kontext ermittelt werden.)

• Die Kinder lesen jedes für sich die ersteStrophe mit dem Auftrag: Lest und über-legt (evtl. zu zweit), was das, was wir ebenherausgefunden und besprochen haben,mit diesem Reim zu tun hat. Unterstreicht die Zeile, die ihr besonders schön findet.

• Die Kinder tauschen im Klassengesprächihre Leseerfahrungen aus.

• Die Kinder lesen die erste Strophe odersprechen sie auswendig.

• Die Lehrkraft wendet sich einem Kind zuund spricht die zweite Strophe so, dass der Dank, der darin enthalten ist, deutlich zumAusdruck kommt.

• D ie Kinder finden im Gespräch denZusammenhang zwischen erster und zwei-

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ter Strophe heraus (z.B. „ Der ist dankbarfür d ie Wo rte, dass er ihm was Gut esw ü n s c h t ! “ ) .

• Die Kinder lesen bzw. sprechen die beidenS t rophen im Dialog.

Außer der ursprüngl ichen ersten Stro p h ew e rden den Kindern noch zwei Va r i a n t e ngegeben mit dem Auf trag: Lest die beidenneuen Strophen genau und vergleicht sie mi td e r, die ihr zuerst zum Lesen bek om menhabt . Welche Strophe von den dreien gefäll teuch am besten? Begründet eure Wa h l .

Variante 1Ich wünsch’ gute Nacht,von Zimt ein Dach,von Rosen eine Tür,von Rosmarin einen Riegel dafür.

Variante 2Ich wünsch’ gute Nacht,von Rosmarin ein Dach,von Zimt eine Tür,von Rosen einen Riegel dafür.

DER SÜSSE BREI

1 .Es war einmal ein armes, f ro m m e sMädchen, das lebte mit seiner Mutter alleinund sie hatten nichts mehr zu essen.Da gingdas Mädchen hinausin den Wald 2.und es begegnete ihm eine alte Frau, die wusste seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollte es sagen: „Töpfchen koche“, so kochte es guten, süßen Hirsebrei,und wenn es sagte: „Töpfchen steh“, so hörte es auf zu kochen.Das Mädchen b r a c h t eden Topf seinerMutter heim,

3.und nun waren sie ihrer Armut und ihresHungers ledigund aßen süßen Brei, so oft sie wollten.Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegan-gen, da sprach die Mutter: „Töpfchen koche.“

4.Da kocht es und sie isst sich satt. Nun will sie, dass das Töpfchen wiederaufhören soll, aber weiß das Wort nicht. Also kocht esfor t,und der Brei steigt über den Rand undkocht immerzu,die Küche und das ganze Haus voll und das zweite Haus und die Straße, als wollt’s die ganze Welt satt machen, und ist die größte Not und kein Menschweiß sich zu helfen.

5.Endlich, wie nur noch ein Haus übrig ist, da kommt das Kind und spricht nur:„Töpfchen steh“, da steht es und hört auf zu kochen. Und wer in die Stadt wollte, der musstesich durchessen.

Die m aßvol le Handhabung desjenigenMittels, das die Existenz sichert, ist an dieKenntnis zweier Regelungen gebunden, diericht ig angewandt werden m üssen. I mMärchen ist es das Mädchen, das über dieseI n f o rmat ionen und auch über dere nHandhabung verfügt.

Die Sinnentnahme erfolgt durch:• Hören und Zuhören,• Formulieren von Erwartungen und• Markieren und Identifizieren von Sinn

tragenden Wörtern, um• einen Text szenisch darzustellen.

• Die Lehrkraft kündigt an, nur den erst enSatz des Märchens vorzust el len und denF o rtgang der Handlung ohne Wo rte undnur m it Hi l fe von Klängen zu erz ä h l e n .Vo rher stel lt sie die Personen und Dingev o r, die für dieses M ärchen konsti tutiv sind.An der Tafel stehen folgende Wörter, fürdie die K inder in ihren Ti s c h g ru p p e nentsprechende Bildsymbolen erhalten:

Die TochterDie MutterEin DorfDer WaldEine alte FrauEin Töpfchen mit Hirse

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• Die Lehrkraft spricht den ersten Satz desMärchens. Dieser erste Satz steht auch ander Tafel. Sie stellt das Märchen dann mitausgewählten Orff-Instrumenten dar.

• Parallel dazu entwickeln die Kinder ihreGeschichte(n). Sie orientieren sich dabeian den Personen und Bildern an der Tafelund an den Klängen, die die Lehrkraft mitden Orff-Instrumenten erzeugt.

• Die Kinder legen mit den Bildsymbolennoch einmal al lein, zu zwei t oder inGruppen ihre Geschichte.

• Die Kinder erhalten den Text ohne U nter-s t re i c h u n g e n .Aufgabe: „ Lest nun das M ärchen undu n t e r s t reicht d ie Stellen im Tex t, vondenen ihr meint, dass sie zu den Klängenbesonders gut passen. Wie würdet ihr jetztdie Bi lder legen? Hat sich etwas geän-d e rt ? “

• Es schl ießt sich ein Gespräch an, in demdas im M ärchen dargestel l te Geschehenzunehmend in den Vo rd e rg rund tri tt.

• Zum vertiefenden Verstehen des Märc h e n sw i rd d ieses szenisch dargest el l t. AlsVo r b e reit ung für d iese Aufgabe erh a l t e ndie Kinder den Auftrag: „ Unterstreicht dieW ö rt er und Stel len im Tex t, die euchbesonders gut daran erinnern, was in derGeschichte geschieht.“ D iese Arbei t sol l tein den Gruppen vorgenomm en werd e n .

• Die Arbeitsergebnisse sind Grundlage fürm e h re re Spielversuche, die jewei ls am Te x tüberprüft werden. Um mögl ichst vielenK i n d e rn Gelegenhei t zum Spielen zugeben, wi rd das M ärchen in Abschnitte(s.o.) untert e i l t .

DROBEN AUF GRÜNER WALDHEID(überliefert)

Droben auf grüner Waldheid,da steht ein schöner Birnbaum.Schöner Birnbaum trägt Laub.Was ist an demselbigen Baum?Ein wunderschöner Ast.Ast an dem Baum,Baum in der Erd. Was ist an demselbigen Ast?Ein wunderschöner Zweig.Zweig an dem Ast,Ast an dem Baum,Baum in der Erd.Droben auf grüner Waldheidsteht ein schöner Birnbaum,schöner Birnbaum trägt Laub.

Was ist an demselbigen Zweig? Ein wunderschönes Nest.Nest auf dem Zweig, Zweig an dem Ast, Ast an dem Baum,Baum in der Erd. Dr oben auf grüner Waldheidsteht ein schöner Birnbaum,schöner Birnbaum trägt Laub.

Was ist in demselbigen Nest?Ein wunderschönes Ei.Ei in dem Nest,Nest auf dem Zweig,Zweig an dem Ast,Ast an dem Baum, Baum in der Erd.Dr oben auf grüner Waldheidsteht ein schöner Birnbaum,schöner Birnbaum trägt Laub.

Was ist in demselbigen Ei?Ein wunderschöner Vogel.Vogel im Ei,Ei in dem Nest,Nest auf dem Zweig,Zweig auf dem Ast,Ast an dem Baum,Baum in der Erd.Droben auf grüner Waldheidsteht ein schöner Birnbaum,Birnbaum trägt Laub.

Das durch seine b i ldhafte Sprache, seinel iedhaft e Rhyt hmik und seinen klaren Auf-bau eingängige Ket tengedicht kann inInhal t und St rukt ur als Anlei t ung für sinn-erschl ießendes Lesen betracht et w erd e n .„Schön“ ist der Bi rnbaum. Er zieht d ieBl icke auf sich und weckt Erw a rtungen. Dieersten drei Zei len der ersten Strophe k ön-nen als Ant wort auf eine Frage angesehenw e rden, d ie (noch) nicht gestel l t word e nist, die aber nun, da sie da ist, zum weitere nFragen anregt . In einem sich stet ig wieder-holenden Frage- und Antw ortsp i el er-schl ießt sich sukzessive das „Geheimnis“des Baumes, der Grund für seine An-z i e h u n g s k r a f t .

K i n d e rn in der Grundschule berei tet dasLesen eines solchen Text es Ve rg n ü g e n .Schnel l lesende Kinder erkennen nach kur-zer Zei t den „Trick“ und ent wick eln dasGedicht dann v on sich aus weiter. Kindermit Leseschwier igkei ten ermutigt der Te x tauf Grund der vielen Wo rt w i e d e rh o l u n g e nund wenigen neuen W örter ( in jederS t rophe ledigl ich ein neues, Sinn tragendesWo rt) zum selbstst ändigen Lesen.

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N ach Schaf fen anschaul icher Gru n d l a g e nerfolgt die Sinnentnahme durch:• schrittweises Erlesen des Inhaltes,• Antizipation,• Ergänzen von Textstellen,• bildhaftes Umsetzen des Gelesenen und • Sprechen des Gedichtes.

• Das Gedicht wird den Kindern in seinerganzen Länge visuel l präsent iert . DieKinder betrachten es „von außen“. („Dasist aber lang!“ „Da sind immer Wörtergleich!“ „Da ist ganz viel gleich!“)

• Die Kinder lesen die erste Strophe still. • Sie gestalten in gemeinsamer Arbeit einen

großen Baum mit vielen Blättern. • Eine Partnerarbeit schließt sich an. Lese-

auftrag: „Wie müssen wir unseren Baumverändern, damit er zum Gedicht passt?Unterstreicht die Stellen im Gedicht, diedafür wichtig sind.“ Dieser Arbeitsauftragist in sich diff e re n z i e rend. Langsam ereLeserinnen und Leser werden über die ersteoder zweite Strophe kaum hinauskommen,w ä h rend die schnel len Leserinnen undLeser in der gleichen Zeit bis zum Ende desGedichtes vordringen können. Alle Kinderaber werden einen Beitrag zur Gestaltungdes Baumes leisten.

• Dadurch, dass die Kinder versuchen, dasGedicht auswendig zu sprechen – d ieskann sehr gut auch durch ein Reihum-sprechen geschehen – , werden sie auch fürseinen Aufbau sensibilisiert.

Rätsel:

Weiß wie Kreide,leicht wie Flaum,weich wie Seide,feucht wie Schaum.

Li terar ische Rätsel können zum sinner-schließenden Lesen anregen, sie erfordernjedoch geistige Aktivität und verlangen ver-stärkt Konzentration auf das Medium Spra-che; jede Art von optischer Unterstützungentfällt. Durch einfach strukturierte Rätsel-sätze, die das Sach- und Weltwissen der Kin-der treffen (z.B.: „Ich klettere auf Bäume undesse gern Bananen.“) besonders auch durch

g e reimte Rätsel , bei denen das Reimwort ,welches das Rätsel abschließt, zugleich dasL ö s u n g s w o rt ist oder bei denen mehre reLösungen möglich sind, können die Kinderan diese besondere Art des Textverstehensherangeführt werden.

z.B. Vom Himmel fällt’s,tut sich nicht weh,ist weiß und kalt,das ist _______.

Wickele wackele – was ist das:Hinterm Schrank, da krabbelt was -ist kein Fuchs und ist kein Has’ -wickele wackele – was ist das?

Das individuelle Lesen kann Vorbereitungfür Rätselrunden sein. Hier üben sich dieKinder in der Gemeinschaft im Rätselgebenund Rätsellösen – gerade auch von selbstgeschriebenen Rätseln.

Das Rätsel vom Schnee ist typischerweiseso aufgebaut, dass es den Leser zunächst ver-wirr t. Es geschieht deshalb auch häufig, dassdie Kinder in der ersten Zei le das Wo rt„Kr eide“ schnell als endgültige Antwort aufdas Rätsel ansehen. Wenn sie aber Zeile fürZei le wei t erlesen, bemerken sie die Vo r-läufigkei t ihrer Lösungen und erk ennenschließlich in der Situation, dass erst in derVerknüpfung al ler sprachl ich verm i t t e l t e nInformationen des Rätsels Lösung liegt.

Nach Schaffen anschaul icher und sprach-l i c her Grundlagen erfolgt die Sinnentnahmedurch• Aktivieren von Sachwissen,• Erkennen von Sinn tragenden Wörtern,• Prüfen von Informationen,• Einordnen von Erfahrungen und • Verknüpfen von Informationen.

• Die Lehrkraft gibt den Kindern Gelegen-heit, Kreide, weiche Federn und ein StückSeide anzusehen, zu befühlen und sichüber ihre Wahrnehmungen auszutauschen.Sie schreibt „Schaum“ an die Tafel undlässt die Kinder erzählen, an was sie dasWo rt er innert (z.B. Seifenschaum,Meeresschaum, er ist feucht).

• Jedes Kind erhäl t das Rätsel mit demAuftrag, es still zu lesen und die Wörter zuu n t e r s t reichen, an denen es besondersdeutl ich erkennen kann, wie das verr ä tselteDing beschaffen ist.

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• Die Kinder nennen die Wörter, die sieunterstrichen haben, und diskutieren ihreAuswahl.

• Die Lehrkraft klappt die Tafel auf, lässt dasRätsel noch einmal lesen und die „wichti-gen Wörter“ unterstreichen.

• Lösungsvorschläge der Kinder werden ander Tafel notiert.

• Die Kinder prüfen, auf welches Lösungs-wort alle vier Eigenschaften zutreffen. DieLehrkraft unterstützt Formulierungen wie:Es ist weiß wie Kreide, ist aber keine Kreide;denn Kreide ist nicht feucht.

• Im Verlauf einer Rätseleinheit sammelnoder schreiben die Kinder Rätsel undgestalten z.B. kleine Rätselhefte oder eineRätselecke für die Klassenzeitung.

D as Bodenbi ld eignet sich besonders fürVorschulkinder bzw. Erstklässer. Es unterstütztdas t ei lnehm ende Zuhören, erleichtertK i n d e rn, die die Vorlesesi tuation von zuHause nicht kennen, die Sinnentnahme undfördert die gemeinsame Erfahrung der Sinn-konstruktion.

Während des Vorlesens oder des freienErzählens eines Prosatextes (Erzählung, Mär-chen, kurze Geschichte) durch die Lehrkraftwir d der Sinn des Vorgetragenen durch denparallelen Aufbau eines Bodenbildes unter-stützt.

Das Bodenbild wird auf einem schwarzen,dunkelblauen oder weißen Tuch aufgebaut. Eskann aus zum Text passenden • naturalistischen Gegenständen, • symbolischen Gegenständen • oder auch aus farbigen Tüchern bestehen.

Die Gegenstände markieren die für dasVerständnis notwendigen Schlüsselstellen.

Die Sinnentnahme erfolgt durch:• visuelle Konstruktion,• Zuhören und Schauen und• Hervorhebung der Schlüsselstellen.

• Die Lehrkraft berei t et geeignete Gegen-stände vor und bringt sie für die Kindernicht sichtbar (z.B. in einer besonderenKiste) mit in die Erzählrunde. Die Kinder

setzen sich im Halbkreis um das in derMitte ausgebreitete Tuch.

• Die Lehrkraft liest (noch besser: erzählt) dieGeschichte und legt an geeigneter Stelleden passenden Gegenstand auf das Tuch.

• Unterschiedliche Formen der Weiterarbeitsind möglich:Jeder Gegenstand kann Ausgangspunkteines den Inhalt vertiefenden Gesprächssein oder: Die Lehrkraft will den Erzähl-fluss und Spannungsaufbau nicht bzw. nuran wenigen Stellen unterbrechen, dannsind nur einzelne Gegenstände Ausgangs-punkte eines Gesprächs.

• Das gestal tete Bodenbild b leibt für dieanschließenden Aktivitäten aufgebaut. Eskann für das freie mündliche Erzählen derKinder eingesetzt werden, oder es kannsich eine Schreibaufgabe an das Vortragender Geschichte und den Bau des Boden-bildes anschließen.

Im Verlaufe der Grundschule sol lten d ieKinder erste Erfahrungen mit einer Lektüremachen. Das stille Lesen zu Hause oder auchin der Klasse sollte während der Arbeit aneinem Buch die wichtigste Leseform sein.Sicherlich werden zentrale Stellen der Lektüreauch einmal von der Lehrkraft oder denSchülerinnen und Schülern, die sich daraufvorbereitet haben, vorgelesen. Den größtenTeil der Lektüre sollten die Kinder aber alleinin ihrem individuellen Lesetempo bewält igen.

Damit die Lehrkraft und die Kinder einenÜberbl ick darüber haben, an welcher Stel le desBuches jedes Kind gerade l iest, kann eineLesestraße im Klassenraum hängen.

Auf der Lesestraße sind die Kapitel (oderSeitenzahlen) des Buches mit Bildern oderdeutlichen Zeichen markiert. Oft lässt sicheine Lektüre auch unt er inhalt l ichen Ge-sicht spunkt en gl iedern und visual isiere n .Jedes Kind heftet eine Wäscheklammer mitseinem Namen an die Stelle, an der es geradein der Lektüre liest.

Die Lehrkraft sollte im Verlaufe der Lek-türe nach größeren Sinnabschnitten beson-ders für schwächere Leserinnen und LeserPhasen der gemeinsamen inhaltlichen Ver-ständigung schaffen. Dazu eignet sich dieL e s e s p u r, d ie wie das Bodenbi ld zent raleInhalte des Textes visualisiert.

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Die Sinnentnahme erfolgt durch:• visuell unterstützte Rekonstruktion,• mündliches Erzählen und Stellung

nehmen und• Arbeit an Schlüsselstellen.

• Die Lesespur w i rd von der Lehrkraft vor-b e rei t et : Sie sammelt wichtige Gegen-st ände, die in den Abschni tten des Te x t e s ,die re k a p i t u l i e rt werden sol len, einewicht ige Rol le spielen. Die Gegenständew e rden in der M itt e des Stuhlkreises aufeinem Tuch ausgebreitet, dabei wi rd keineReihenf olge vorgegeben. Die Kinder erh a l-ten genügend Zei t, um die Gegenständezu bet rachten.

• D u rch einen stummen Impuls ford e rt dieLehrkraf t d ie Schüler innen und Schülerauf, etwas zu sagen. Ein Kind nim mt einenGegenst and in die Hand und erzählt, w a sim Lekt üreabschnitt , in dem der Gegen-st and eine Rol le spielt, passiert. Das Kindlegt dann den Gegenstand zurück, undein anderes Kind nimm t sich einen Gegen-stand und setzt die Erzählung f ort. Ge-meinsam re k o n s t ru i e ren die Kinder soden Inhal t des Textabschnitt es. DieLehrkraft sol lte si ch in dieser Phasezurückhal ten und nur den äußeren Ablaufunt erstützen.

• Die Kinder werden sich im Nacherz ä h l e ndes Gelesenen gegensei tig ergänzen, korr i-g i e ren, den Aufbau f inden et c. Die Lehr-kraft bricht, wenn der Inhal t des Lek türe-abschni ttes erfasst ist, die Erzählphase ab.Wenn es nötig erscheint, können einzelneKinder nachfragen. D ie Gegenst ände so l l -ten danach noch eine Wei le im Raumsein, dam it sich einzelne Kinder nochüber d ie gemeinsame Phase hinaus orien-t i e ren können.

Ist die Methode der Lesespur den Kindernbek annt, k ann die Vo r b e rei tung einer sol -chen Phase auch einmal von Kindern, diedie Lek türe u.U. schon ganz bew äl t igthaben, gelei stet w e rden. D ie Lehrk raftk ann diesen Kindern einen b e g re n z t e nText ausschni tt nennen, den sie noch ein-mal genau lesen müssen, um geeigneteGegenstände zu f inden. D ie Lehrkraft so l l tedie Kinder bei der Auswahl der Gegenständegegebenenfalls beraten.

anege hanegeserige sirigeripeti, pipetiknoll

Markanter Rhythmus und kräftiger Sprach-klang sind Merkmale von Unsinnsversen. Esgibt davon viele und es entstehen immerwieder neue; denn auch Kinder w erd e nbegeisterte Reimeschmiede, sind sie erst ein-mal mit der Machart solcher Verse vertrautgeworden. Unsinnsverse, in denen Sprachezum Spielmaterial wird, verlangen genauesLesen und deutliches Sprechen, und Kinder inder Grundschule lassen sich gerne auf dieseSprachexperimente ein.

Auch in dem hier vorgestellten Reim ver-ä n d e rn sich die Wörter durch kleine Abwand-lungen des jeweils vorhergehenden Wortesund kreiseln so um ein rhythmisches Zen-trum, das jäh durch das aus dem Rahmen fal-lende letzte einsilbige Wort beendet wird –„knoll“.

• Hören und zuhören,• Silben markieren und silbengliedernd

lesen,• gleiche Buchstabengruppen erkennen und

markieren,• gemeinsam rhythmisch sprechen,• die eigene Stimme erproben und • selbst erdachte Unsinnsverse schreiben

und vorlesen.

• Die Kinder sitzen mit der Lehrkraft imHalbkreis vor der Tafel.

• Die Lehrkraft spricht den Text ein- oderzweimal vor. Die Kinder beginnen, denVers nachzusprechen.

• Einzelne Kinder versuchen jetzt, den Versgenau nachzusprechen. Zur Unterstützung steht der Vers an der Tafel . Die zuhöre n d e nKinder kontrollieren. Das sprechende Kind wird nicht unterbrochen. Erst wenn es sei-nen Vortrag beendet hat, werden even-tuelle Abweichungen genannt.

• Die Kinder sprechen den Vers in der„ Robotersprache“ und zeichnen Si lben-bögen ein.

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• Die Kinder sprechen den Vers und schwin-gen dabei die Arme im Kreis. Immer dieerste Si lbe in den Wo rtbi ldungen wirdbetont.

• Der Vers kann laut, leise oder auch nurlautlos gesprochen werden. Das lautloseLippensprechen bietet sich besonders dannan, wenn die Kinder schon mehre reUnsinnsverse kennen. Der jeweilige Verskann dann an den M undbew egungenabgelesen werden.

• Viele Kinder denken sich nach einer Ein-gew öhnungszei t ohne besondere Auf-forderung eigene Unsinnsverse aus, die sieder Klasse vortragen oder zum Lesen anbie-ten. Die Lehrkraft kann diese Kinder dazua n regen, kleine Reimhefte zu erstel len.Diese können unter den Kindern zum Lesenund Lernen ausgetauscht werd e n .

Christian MorgensternGRUSELETT

Der Flügelflagel gaustertdurchs Wiruwaruwolz.Die rote Fingur plaustertund grausig gutzt der Golz.

Dieser Vers von Chr istian Morg e n s t e rn lebtund erhält seinen Sinn durch den Klang derSprache. Indem der Vers gesprochen wird, ent-faltet sich seine „Bot schaft“. Diese kann sehrunterschiedlich ausfal len, je nachdem , welcheAssoziationen die oder der Lesende mit denWo rtbi ldungen im Zusam menhang mit denw enigen unmittelbar verst ändl ichen Wört e rnim Moment des Sprechens ent wickel t.K i n d e rn, deren M utt ersprache nicht Deutschist, berei tet das Lesen solcher Texte g ro ß e sVe rgnügen, wei l sie sich in ihrer gru n dl e g e n d e nFähigkei t , aus dem Klang der Sprac h eBedeutungen abzulei ten, den deutschspra-chigen Kindern ebenbürtig fühlen können.

Die Sinnentnahme erfolgt durch:

„Ermitteln der Textstimmung“ (vgl.Menzel. In: PD Sonderheft. Texte Lesen undVerstehen. S. 8),• vergleichendes Lesen,• Austausch von Leseerfahrungen,• Erkennen von Wortbedeutungen aus dem

Kontext und aus dem Wortklang,

• gestaltendes Lesen,• Auswendigsprechen und • Gestaltung des Textes in Schrift und Bild.

• Die Kinder erhalten den Text und lesen ihn still.

• Sie tauschen ihre ersten Leseeindrücke aus.Dafür ist es nicht unbedingt notwendig,dass alle Kinder den Text bis zum Endegelesen haben („Das klingt unheimlich“,„ Das ist komisch“ , „Das versteh’ ichnicht“ ...).

• Das Gedicht steht an der Tafel. Die Kinder erhalten den Auftrag, die Wörter zu nen-nen bzw. zu unt erst reichen, die ihnenunbekannt sind.

• Die Lehrkraft unterstüt zt während desGesprächs die spontanen Versuche derK i n d e r, die unbekannten Wörter mitBedeutung zu füllen.

• Auftrag: „Lies das Gedicht einmal so, dasswir hören können, was du dir vorstellst.“

• Gespräch• Die Lehrkraft bittet die Kinder, die unbe-

kannten Wörter zu „übersetzen“. Dafürmuss das Tafelbild so gestaltet sein, dasszwischen den Zeilen genügend Platz fürÜbertragungen ist. Es empfiehlt sich, dieseArbeit mit der gesamten Lerngruppe vor-zunehmen, weil dadurch unterschiedlicheÜ b e rtragungen gesammelt werden können.

z.B: Der Flügelflagel gaustertDas Gespenst geistertfliegt

... durchs Wir uwaruwolz.den Walddas Dickicht...Die rote Fingur plaustertFigur plustert sich aufHexe plaudert...und grausig gutzt der Golz.guckt der Gnomgluckst der Schlamm...

• Der Vers wird noch einmal von fre i w i l l i g e nLeser innen oder Lesern gesprochen. DerText an der Tafel dient zur Unt erst ützung. Im Gespräch wird erläuter t, eventuel l auchan der Tafel f estgehal ten, welche Stim-m ung das jewei ls lesende Kind erzeugt hat.

• Jedes Kind schreibt den Vers auf ein großesBlatt und gestal t et es nach seinenVorstellungen.

• Die Kinder stellen ihre Gedichtblätter vorund kommentieren ihre Illustrationen.

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Klaus GrothDE DAG, DE GRAUT

De Dag de graut,de Katt de maut,de Klock de sleit,de Hahn de kreit,de Hund de bellt,de Köksch de schellt,de Höhner de kakeltun all de Vageln in’n Boom spektakelt.

Platt deutsch ist heut e in der Regel auchKindern mit guten Kenntnissen der deut-schen Sprache weitgehend unbekannt. Ab-gesehen davon, dass das Plat tdeutsche inseinem ihm eigenen Charme, in seiner beson-d e ren Ausdrucksmögl ichkei t und in seinenbildhaften Form u l i e rungen einen Plat z imL i t e r a t u ru n t e rricht gerade auch der Gru n d-schule haben sol lte, bieten solche Texte inb e s o n d e rer Weise Gelegenhei t für genauesLesen, für d ie Mögl ichkei t des Sprachver-gleiches und damit für die Förd e rung derSprachaufmerksamkeit.

In dem plattdeutschen Gedicht von KlausGroth wird der Tagesanbruch in formelhafterEinfachheit dargestellt. Es zieht Kinder the-m atisch und in seinem Sprachduktus und-klang an und macht sie neugier ig. We n nK i n d e r, deren Muttersprache nicht Deutschist, m erken, dass ihre deutschsprachigen Klas-senkameradinnen und -kam eraden genausowie sie Schwier igkeit en haben, die W ört e ra u s z u s p rechen und zu verstehen, gibt ihnendies Mut und steigert ihre Anstre n g u n g s b e re i t-schaft.

Die Sinnentnahme erfolgt durch:• Verarbei ten von Hinterg ru n d i n f o rm a t i o n e n ,• Nutzen des Wortklanges für die

Ermittlung der Wortbedeutung,• Kontextarbeit, • Textvergleich,• genaues Hören,• genaues Lesen und Sprechen,• sinngestaltendes Lesen und Sprechen,• szenisches Spiel und bildnerisches

Gestalten.

• Die Lehrkraft macht die Kinder durch eineErzählung m it der Person Klaus Groth be-kannt. Das Gedicht steht an der Tafel . Nach

erst en Leseversuchen erkennen die Kinderandeutungsweise die Ve rwandtschaft derW ö rter mit dem Hochdeutschen.

• B i l d k a rt en, auf denen jewei ls die imGedicht genannten Tiere und die Köchindargestellt sind, werden in ungeordneterReihenfolge neben den Text geheftet.

• Die Kinder w erden aufgeford e rt, d ieBildkarten den entsprechenden Wörternzuzuordnen.

• Sie vermuten, um was es in dem Text gehtund

• übersetzen ihn in gem einsam er m ünd-l i c her Arbeit – in Gruppen oder im Klassen-gespräch.

• Der übersetzte Text wird neben den Text andie Tafel geschrieben.

• Beide Texte werden gelesen. Die Kindernennen Auffälligkeiten und Unterschiede,die sie während des Sprechens und Lesenswahrnehmen.

• Der plattdeutsche Text wird gemeinsamg e s p rochen. M ögl ichkei ten: Wir fangenganz leise an und werden al lmähl ichlauter; jeweils ein Kind ahmt eines der imGedicht genannten Geräusche nach; DasSpektakel der Vögel wird von mehrerenKindern produziert; Begleitung durch Orff-Instrumente.

• Ein Gedichtblatt wird gestaltet.

• Die Kinder gestalten ein Leporello.• Die Kinder üben in Gruppen das Vorlesen

des Gedichtes und präsentieren es dannvor der Klasse.

• Die Kinder sprechen das Gedicht undstellen es szenisch dar.

• Die Kinder erarbeiten mit Unterstützungder Lehrkraft ein Hörspiel und nehmen esmit dem Kassettenrekorder auf.

• Einige Kinder können sich über dasI n t e rnet oder aus Büchern über den DichterKlaus Groth inform i e ren und die Erg e b-nisse ihrer Recherche der Klasse vortragen.

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Christine Nöstlinger„FRANZ UND DIE EIFERSUCHT“

Die „Geschichten vom Franz“ von ChristineNöstlinger thematisieren allgemein gültige,Kinder (wie Erwachsene) beschäftigendeThemen wie Einsamkeit, Freundschaft, Angst,Eifersucht, Zorn, Sehnsucht, Liebe u.a., sodasshier ein St of fangebot vor l iegt, durch daslatente Befindlichkeiten der Kinder aktiviertund somit als Teil des eigenen Selbst erfasstwerden können.

In „ Franz und die Eifersucht “ werden d iet ypischen Probleme, die eine Dre i e c k s k o n s t el -lation mit sich bringen kann, geschildert. AlleGeschicht en sind aus der Perspektive desFranz geschrieben, sodass die Gefühle deranderen Personen erahnt bzw. vermutet wer-den müssen. Durch diese Aussparungen lässtsich der Text besonders gut handelnd er-schl ießen und eröffnet Kindern im Gru n d-schulal ter M öglichkeit en, sich in die Gefühls-welt eines anderen hineinzuversetzen unddiese differenziert mündlich und schriftlichauszudrücken.

D u rch den Einsat z der M ethode desStandbildes mit anschließender Schreibphasekommt es zu einer verzögerten Textbegeg-nung und einer intensiven gem einsamenLeseerfahrung.

Die Sinnentnahme erfolgt durch:• den lebensweltlichen Bezug,• die Rollenübernahme und• den Perspektivwechsel.

• Die Lehrkraft (oder ein darauf vorberei-tetes Kind) liest den Text „Franz und dieEifersucht“ vor. Während des Vorlesenserfolgt eine Visualisierung des Erzähltenanhand von Symbolkarten, die prägnanteStellen der Geschichte widerspiegeln (z.B.Königskronen, Zipfelmütze).

• Das Standbi ldverf a h ren mit anschl ießenderVerbalisierungsphase soll die Auseinander-setzung mit dem Text verzögern, zeitlichverlängern, intensivieren und dazu heraus-fordern, mehr zu verstehen, als äußerlichdargestellt wird.

Das Standbildverfahren:Die Lehrkraft wählt drei Kinder der Klasseaus und lässt sie sich der Szene ent-s p rechend zueinander aufstel len (Franzallein, die Mädchen in Freundschaft ver-eint). Anschließend bittet die Lehrkraft dieKinder, eine Haltung einzunehmen, wel-che ihrer Meinung nach für sie in dieserSituation charakteristisch ist.(Zur Orientierung der Darstellerinnen undDarsteller können Bilder der handelndenPersonen an die Tafel gehängt werden.)Um die Situation zu verdeutlichen, be-kommt jede Darstellerin und jeder Dar-steller als Requisit ein charakteristischesAttribut ihrer oder seiner Figur: Franz einePudelmüt ze, Gabi und Sandra jewei lsKönigskronen.

• Die Verbalisierungsphase:Die Lehrkraft ford e rt jetzt d ie Kinder nach-einander auf, nach vorne zu kommen, dieHand auf eine Figur ihrer Wahl zu legenund die möglichen Gedanken, die die je-w ei l ige Figur sich in dieser Situat ionm a c h e nkönnte, auszusprechen.Indem die Kinder den Figuren ihre Spracheleihen, geht es zugleich um ihre subjektivenP rojektionen, wie auch um den Nach-vol lzug der unterschiedlichen Perspektiven.

• Die mündlich geleisteten Beiträge werdenim nächsten Arbeitsschritt als Anregunggenutzt, jetzt auch auf schriftlicher Ebenedie Gedanken der Figuren zu fixiere n .Arbeitsblätter mit Denkblasen über derjeweiligen Figur werden angeboten. (Diffe-renzierende Schreibaufgabe für leistungs-s t ä r k e re Kinder: Wie f indest du dasVerhalten von Gabi und Sandra?)

• Die Ergebnisse der Schreibphase werd e nabschließend am St andbi ld präsentiert: DieKinder kommen nacheinander m it ihre nA r b e i t s b l ä t t e rn nach vorne, legen die Handauf die Figur ihrer Wahl und lesen ihre ver-schri ftl i chten Gedanken vor.

• Ein „Stimmenorchester“ zur Person desFranz kann die Standbildphase abschließen:Im Unterschied zum vorherigen Standbild-v e rf a h ren bleiben die Kinder hintere i n a n d e rhinter Franz stehen. Sind genügend„ Stimmen“ vorhanden, ruft d ie Lehrkraft dieGedanken in wechselnder Reihenfolge undLautstärke ab, indem sie z.B. auf d ie betre f-fende Schülerin oder den bet re ff e n d e nSchüler zeigt .D u rch dieses Ve rf a h ren wi rd den Kindern dieM öglichkei t gegeben, die M u l t i p e r s p e k t i-vi t ät einer einzelnen Figur nachzuvoll -ziehen und mitzuerleben.

Praxis Deutsch 127/1994.Leseförderung.

Praxis Deutsch 176/2002.Leseleistung –Lesekompetenz.

Praxis Deutsch. SonderheftLeseförderung in einerMedienkultur.

Lesen und Schreiben.Jahresheft Schüler 2003.Friedrich.

Wedel-Wolf, A. v. 2001.Üben im Leseunterricht.Braunschweig.

Rahmenplan DeutschGrundschule. 15. Sept.2003.BBS.

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PISA und IGLU haben das Thema Lesekompe-tenz neu in den Vo rd e rg rund der Diskussionum Erfassung der Schul leistungen gebracht.Kann man Leseleistung „ messen“? Da wäre ein-mal das Feststel len der „Lesetechnik“ – zuma n d e ren das Abfragen der „Sinnentnahme“.

Die gängigen Lesetests der letzten dreißigJahre haben den einen oder anderen Aspektin den Mittelpunkt gestellt, wobei die älterenTests überwiegend Zeit und Lesefehler zählen( B rem er Lesehi lfen, Zürcher Lesetest), währe n ddie bekannteren neuen Tests (ab Klasse 3)ausschließlich das Leseverständnis und dieSinnent nahme zum Schwerpunkt haben(Würzburger Lesetest, HAMLET).

Zunehmend wird auch die möglichst früh-zeitige Diagnostik und Förderung angestrebt,um günstige Voraussetzungen für alle Kinderf ür den Schr i ft spracherwerb anzubahnen.Bereits im Vorschulalter wird anhand des„Bielefelder Screenings” (BISC) die phonema-tische Bewusstheit beobachtet und gegebe-nenfalls werden mit dem Würzburger Lern-p rogramm „ Hören, lauschen, lern e n “(Küspers, Schneider) auffällige Kinder vor derEinschulung gezielt geförd e rt. Auch derHAVAS, der bei Vorschulkindern (vor allembei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache) diesprachlichen Voraussetzungen erheben soll,zielt in dieselbe Richtung.

Hier so l l ausführ l icher die H a m b u rg e rLeseprobe (Peter May / Helga Arntzen) vorge-stel l t werden, die sowohl das sinnentnehm en-de Lesen abfragt als auch im quantitativenBereich anhand von Lesepunkten und Lese-zeit Vergleichswerte für die gesamte Grund-schulzeit bietet (und zwar ab Ende Klasse 1).Bei der Hamburger Leseprobe handelt es sichum ein Beobachtungsverfahren, das gleich-zei t ig eine Fördersi t uation beinhal t et.Beobachtet wird das Pro b l e m l ö s e v e rh a l t e ndes lesenden Kindes, das Prognosen zulässtfür seine weitere Leseentwicklung.

Neben der Beschreibung des Te s t v e rf a h re n ssoll hier ausführ licher auf eine Schülerin undeinen Schüler eingegangen werden, deren Lese-l e rnentwicklung über einen langen Zeitraumbegleitet, beobachtet und analysiert wurd e .Diese beiden Lernenden verdeutl ichen exem-plar isch zwei unterschiedl iche Lern a u s g a n g s-lagen und somit berei ts frühzei tig erkennbareEntwicklungen und Förd e r p r ä f e renzen. Es sol lversucht werden, individuelle Förderpläne fürdiese beidenKinder vorz u s t e l l e n .

Die Hamburger Leseprobe ist ein Verfahrenzur Erfassung der Lesefertigkeit und zur Ana-lyse von Leseprozessen vom ersten bis zumvierten Schuljahr, bei Kindern mit gravieren-den Leseschwierigkeiten auch darüber hinaus.Die HLP w i rd sei t 1992 in H amburg e rGrundschulen – insbesondere im Rahmen derArbeit von Schriftsprach-Beraterinnen (PLUS)– eingesetzt. Seit 2003 ist die HLP erweitert um jeweils vierFragen pro Geschichte zum Textverständnis,die beim Kind Stufen der Lesekompetenzerkennbar machen sollen.

Die HLP ermöglicht das Beobachten vonLeseprozessen unter alltagsnahen Bedingun-gen und das Gewinnen von Ve rg l e i c h s-maßstäben zur Beurtei lung der Förd e r-b e d ü rft igkei t besonders schwacher Lese-lernerinnen und -lerner.

1. Die HLP enthält Geschichten, deren In-halt und Wortschatz den Erfahrungen derKinder entsprechen. Die Kinder mögen dieGeschichten, diese enthalten immer aucheinen kleinen Gesprächsanlass.

2. Neben den Geschichten werden auch Lis-ten mi t E i n z e l w ö rt e rn angeboten, die aus-schließl ich Nom en enthal ten, die den Kin-d e rn von der Bedeutung her vertraut sind.

3. Die HLP bietet zu allen Geschichten undWörterlisten jeweils drei Parallelformenan, die in Länge und Aufgabenschwier igkei tv e rgleichbar sind. Lern f o rt schri t te derKinder lassen sich so über Jahre dokumen-tieren.

4. Das Hauptanliegen der HLP ist die A n a l y s evon Leseprozessen jener Kinder, dere nLeseentwicklung sich kritisch gest al t et.B e rei ts eine leichte Geschichte u n d / o d e reine Wörterl iste reichen aus, um Ve r-gleichswerte zu den verschiedenen Zeit-punkten zu erheben. Die HLP umf asstGeschichten mit vier und Wörterlisten mitzwei Schwierigkeitsstufen.

5. Die HLP ist ein Verfahren für die Einzel-beobachtung, mit dem der Prozess desEr lesens und Sinnerfassens diff e re n z i e rtanalysiert werden kann. Er wird optimalmit einem Tonband dokumentiert.

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6. Die Auswertung der HLP umfasst nebenP u n k t w e rt en zur Kennzeichnung derLeseleistung und der Lesegeschwindigkeitauch eine qualitative Analyse des Lese-p rozesses m it Hi l fe eines vorg e g e b e n e nAuswertungsbogens.In diese qualitative Analyse geht die Er-fahrung ein, dass das Erlesen eines unbe-kannten und für das Kind noch schwieri-gen Textes als Problemlöseprozess aufzu-fassen ist, der verschiedenartige Teilpro-zesse umfasst. Außerdem werden nicht dieFehler, die das Kind beim Lesen macht,gezählt, sondern die einzelnen Wörter wer-den mit Hilfe einer Punktskala bewertet,sodass auch Teillösungen des Kindes in dieBeurteilung eingehen.

7. Ein besonderes Kennzeichen der HLP ist d iegewol l te I n t e r a k t i o n zwischen Lehrkraf tund Kind beim Erlesen. Das Kind wi rd beimLesen nicht sich selbst überlassen und d ieLehrk raft ist nicht nur dist anziert eTest lei t ung, sondern als H el fer in oderHel fer soll sie oder er geziel t in den Pro z e s sder Lösungssuche eingrei fen und dem KindHinweise für das weit ere Vo rgehen geben.D a d u rch wird einersei ts die Lesesit uationpsychologisch günstig gestaltet undLeist ungsblockaden bei prüfungsängst -l ichen Kindern vorgebeugt ; andere r s e i t serlaubt diese geziel t e Interak tion dieAnalyse der Lesesituation als Teil einesbeginnenden Förd e r p rozesses. Außerd e me rf ä h rt die Lehrkraf t, inwiewei t das Kind inder Lage ist, steuernde und korr i g i e re n d eHinweise in den eigenen Lösungsprozess zui n t e g r i e re n .

Es gibt zwöl f Geschichten in vierSchwierigkeitsstuf en (G1a bis G4c) und 6W ö rt er l isten in zwei Schw ier igkei tsstufen(W1a bis W2c).

Bei der Lesestufe 1(14 bis 16 Wörter, inSinnschr itte gegl iedert) gibt die Abbi ldungschon Hinweise auf den Inhalt der Geschichte.Selbst schwächere Leser der Klassen 1 und 2bewältigen diese Texte mit Hi l fe der Lehrkraft.

Die Geschichten der Lesestufe 2sind zwarauch noch bebildert, der Inhalt muss aberselbstständig erlesen werden. Die Schrift istschon etwas kleiner und stellt auch in Satzbauund Wortwahl schon höhere Anforderungenan die Lesefähigkeit.

Die umfangre i c h e ren Geschichten derLesestufe 3 (65 bis 71 Wörter) sind nicht mehri l l u s t r i e rt, die Sätze sind erhebl ich länger undaufw endiger st ru k t u r i e rt. Entsprechend denh ö h e ren Anford e rungen an die Lesefert i g k e i tist auch d ie Schri ft kleiner gedru c k t .

Bei der Lesest ufe 4 (90 bis 99 Wör ter) sind dieTexte komplexer stru k t u r i e rt und eng gedru c k tund sind somi t geeignet, die Lesefertigkei t vonS c h ü l e rn der Klasse 4 und auch darüber hinauszu überprüfen und zu messen.

Alle Geschichten werden von den Kinderngern gelesen. Die Texte bieten alle einenGesprächsanlass, der nach der Vorlesephaseim Gespräch Aufschluss geben kann über dasTextverständnis des Kindes.

Beim Erlesen der Einzelwörter (W1a bisW2c) kann das Kind sich bei der Bildung vonSinnhypothesen nicht auf den Kontextstützen, sondern es muss die lautsprachlichenE n t w ü rfe einzeln auf seine Sinnhaft igkei tüberprüfen. Das ist eine deutl iche Er-s c h w e rung der Aufgabe. Der Einsat z derW ö rterl isten kann aber sinnvoll sein beiKindern, die sich überwiegend am seman-tischen Kontext orientieren und raten.

Die Hamburger Leseprobe ist ein Einzelbeob-achtungsverfahren, das nicht mit allen Kin-dern einer Klasse durchgeführt werden muss,s o n d e rn nur mit solchen Kindern, dere nLeselernentwicklung sich als kritisch erwiesenhat oder w o dement sprechend Unsicher-heiten vorliegen.

Benötigte Ut ensi l ien für die Te s t d u rc h-führung:I. Bögen mit Geschichten (und evtl.

Wörterlisten)II. Kassettenrecorder

Für die Testauswertung zusätzlich:III. AnkreuzbögenIV. AuswertungsbogenV. Stoppuhr

Es ist aus verschiedenen Gründen zuempfehlen, die Lesung des Kindes aufTonband aufzuzeichnen: VI. Die Lehrkraft kann sich ganz dem Kind

widmen, kann Hilfestellungen geben und muss nicht nebenbei Notizen machen. Es kann keine belastende Testatmosphäre entstehen.

VII. Die Lesezeit kann vom Tonband gestoppt werden.

VIII. Die Lehrkraft hat die Möglichkeit, den Leseprozess mehrfach abzuhören. Gleichzei tig bekommt sie ein Dokument,mit dem sie Leseentwicklung lang-fristig dokumentieren kann.

IX. Sie kann mit dem Kind zusammen das Gelesene abhören und z.B. dem Kind seine Fortschritte aufzeigen.

Jedes Kind kann entscheiden, ob es erst leiseoder gleich laut lesen wil l . Beim geübt en Leser

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i st sinnentnehmendes Lesen norm a l e rw e i s eleises Lesen. Kinder in der Lernphase müssendie einzelnen Segment e der zu lesenden Wört e rerst laut sprachl ich art i k u l i e ren, um den Sinn zuentdecken; d.h. das Aussprechen der Laute,Wo rt tei le oder Wo rt v o rf o rmen geht demWo rtverstehen in der Regel voraus. So kann esgeschehen, dass Kinder der 3. oder 4. Klassebeim leisen Lesen den Inhal t der Geschichtenoch nicht verst anden haben, wei l sie längereund schwierigere W örter erst über die Art i k u l a-t ion verstehen.

Als Besonderhei ten der H a m b u rger Lesepro b esind die Interaktion und die Hi lfen durch dieLehrkraft herv o rzuheben. Die Lehrkraft istnicht – wie bei herkömml ichen Tests üb lich –passive Testlei terin oder passiver Te s t l e i t e r, son-d e rn sie grei ft aktiv in den Leseprozess ein,indem sie dem Kind Hi lfestel lungen gibt,wenn es d ie Leseaufgabe nicht selbstst ändigbewältigen kann. Diese Hi lf en werden späterbei der quantitat iven Punktbewertung mit ein-bezogen. Al lerdings sol l das Eingreifen derLehrkraft mögl ichst Hi l fe zur Selbsthi l fe sein.Kann ein Kind nach mehr als zwei Lehre rh i l f e nein schwieriges Wo rt nicht entschlüsseln, ist essinnvol l, das Wo rt zu sagen, dam it derL e s e p rozess wei tergehen kann.

In der Version von 2003 werden zu jederGeschichte nach dem Vorlesen vier Fragenzum Leseverständnis gestellt, deren Beant-wortung durch die Kinder vier Stufen derLesekompetenz zugeordnet werden kann.

Die Auswertung der HLP ermöglicht sowohleine quanti t ative Bestim mung der Lese-leistung (Richtigkei t der W i e d e rgabe undLesetempo) als auch eine qualitative Analyseder Lesefähigkeit.

Die qual itative Beobachtung desLeseprozesses dient der Beurteilung der indi-viduel len Leseschwierigk eiten und gib tHinweise auf Besonderheiten des einzelnenKindes, die in der Förderung berücksichtigtwerden sollten.

Die Ergebnisse der quanti tativen undqualitativen Analysen werden in den Aus-wertungsbogen eingetragen.

Für die Auswertung des Leseergebnisses wer-den nicht – wie bei herkömmlichen Tests –die Fehler gezähl t, sondern anhand einesPunktesystems werden auch Teilschritte beimErlesen und Selbstkorrekturen mitbewertet,auch die Zahl der benötigten Hilfen wird mitberücksichtigt . Für die Auswertung vomTon band gibt es für jede Geschichte/Wörterliste einen Ankreuzbogen.

Die Lesezei t wi rd von der To n b a n d-aufzeichnung gestoppt und auch auf demAnkreuzbogen eingetragen.

Anhand der Vergleichswerttabellen (imAnhang der Hamburger Leseprobe) wird dannfür Lesepunkte und Lesezei t der Pro z e n t-r a n g b e reich abgelesen und somit dieLeseleistung einer der Leistungsgruppen zuge-ordnet.

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Die qualitative Auswertung soll vor allemHinweise für eine gezielte Förderung liefern.Bei wiederholter Anwendung der HamburgerL e s e p robe k ann die Leselern e n t w i c k l u n geines Kindes nach einhei tl ichen Gesichts-punkt en dokumentiert werden, wodurc hauch wertvol le Einsichten für die Anfert i g u n gvon Zeugnisberichten und für die Erfolgskon-trolle des Förderunterrichts gewonnen wer-den können.

Nachdem die Ergebnisse der quantitativenAnalyse auf dem Ausw ertungsbogen ein-getragen worden sind, bietet die HLP diverseMerkmalsfragen zur Lernstandsanalyse.

Die sechs Bereiche, die der qualitativenAnalyse zugeordnet sind:I. Vorkenntnisse – Fertigkeiten –

Teilfertigkeiten,II. Zum Leseergebnis (dazu neu: Antw ort e n

zum Textverständnis, gegliedert in vierKompetenzstufen),

III. Zum Vorgehen beim Erlesen,IV. Zum Lesefluss und zum überschauen-

den Lesen,V. Weitere Beobachtungen zum Lesever-

halten,VI. Bemerkungen zur Sprachkompetenz,e rm ögl ichen die genaue Zustandsbeschre i-bung eines Leseprotokol ls zu einem be-stimmten Zeitpunkt und geben Hinweise aufdie Schwachstellen, deren Behebung gezieltgefördert werden sollte. Besonders wertvollw e rden d iese Kategor ien aber durch dieWi e d e rholung der HLP in bestimmtenZeitabständen, da sie dann konkret und dezi-d i e rt d ie Leselernentw icklung des Kindesaufzeigen.

Während der Entwicklung der HamburgerL e s e p ro b e w u rden 560 Hamburger Gru n d-schulkinder in ihrer Leselern e n t w i c k l u n gdurch die gesamte Grundschulzeit begleitetund dokumentiert. Die Tonbandaufzeichnun-gen der 28 schwächsten Leserinnen und Leserw u rden verschri ftet und ausgewert et übereinen Zeitraum von drei Jahren. Dabei wur-den wertvolle Erkenntnisse gewonnen überdie Besonderheiten der Kinder beim Lesen. Sosind auf Grund der Ergebnisse der qualitati-ven Analyse bereits in Klasse zwei Prognosenmöglich über die weitere Leselernentwicklungeines Kindes. Dazu ist besonders aufschluss-reich der Punkt drei der qualitativen Analyse.

• Das Kind versucht bei schwierigen Wörternverschiedene Zugriffsweisen. (Zum BeispielLautfolge, Wo rtteil , Wi e d e rholung des Gele-

senen, Wortvorgestalt; es nutzt ggf. denBild- und Satzkontext; nicht nur sukzessive Synt hese der Laute!)

• Das Kind erkennt Fehler und/oder falscheEntwürfe selbst und versucht selbst, sie zukorrigieren.

• Das Kind kann Hilfen weiterführend in seine Worterarbeitung einbeziehen.

Diese Kriterien geben Aufschluss über dasProblemlöseverhalten des lesenden Kindes,das dann auch Hinweise gibt auf die weitereLernentwicklung.

Anhand von zwei Schülerbeschreibungensoll diese These verdeutlicht und untermauertwerden.

Isa und JensBereits im zweiten Schuljahr werden auf

Grund der Beobachtungen der Leseprozesseunterschiedliche Prognosen hinsichtlich derw e i t e ren Lernent wick lung nahe gelegt .Während bei Jens auf Grund seiner vielfälti-gen, aktiven Zugriffsweisen in absehbarer Zeiteine St eigerung der Leseleistung zu erw a rten ist,lässt Isas eher passives Ve rhalten beim Erlesenl ä n g e rfristige Leseschwierigkei tenv e rm u t e n .

Beide Kinder erzielen im Februar der Klasse2 vergleichbare Ergebnisse in der quantitati-ven Auswertung (Lesepunkte und Lesezeit).Beide werden der Kategorie „sehr schwach”z u g e o rdnet. In der qual i t ativen Analysezeigen sich allerdings gerade beim „Vorgehenbeim Erlesen” signifikante Unterschiede, wasanhand einiger Verschr ift ungen darg e s t e l l twerden soll.

Isa kann man im Herbst der Klasse 2 fastals Nichtleserin bezeichnen. Sie braucht mitsehr viel Hilfe und Geduld für die ganz leichteGeschichte G1a fast acht Minuten. EinigeWörter liest (rät) sie spontan richtig mit Hilfedes Bild- und Satzkontextes (Maus, ruft, Tisch,

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Käse, M äuse). Bei al len anderen Wört e rnschweigt sie und muss jedes Mal aufgefordertwerden, sich auf das ihr unbekannte Worteinzulassen.

Zum einen kennt sie die Buchstaben nochnicht sicher (h und b). Darüber hinaus kannsie nicht mehr als zwei Laute synthetisierenund kommt so nicht zu einer Wortvorgestalt,die ein sinnvolles Wort nahe legt. Deshalbassoziiert sie schließlich zu dem Wort „sie”,das die Lehrerin ihr als semantische Hilfeanbietet, das Wort „sind”, was zwar seman-tisch und syntaktisch passen könnte, abernichts mehr mit der Wortvorlage zu tun hat.

D rei Monate später steht sie noch ähnl ichhi lflos vor der Leseaufgabe. „Uta und ru f t “(G1b) l iest sie spont an. Aber bereits bei Opaschweigt sie erst mal, so, wie sie viele Wört e rmit Schweigen und Seufzen beginnt. Nach wievor erschweren Buchstabenunsicherhei t unddas Buchstabieren (pe, es, ka) die Synthese.Aber sie versucht inzwischen häufiger, dieHi l fen in ihre Wo rterarbeitung einzubeziehen.

In der dritten Klasse hat Isa mit den sprach-lich anspruchsvolleren Texten noch großeSchwierigkei ten. Ihre schwach entwickel t eSprachkompetenz lässt sie bei unbekanntenund weniger leicht vorhersehbaren Wörternversagen: Sie schaut nicht genau hin, rätherum und bietet Pseudowörter an, sie achtetauch nicht auf semantische oder syntaktischeZusammenhänge.

Ein Schul jahr spät er geht sie selbstbe-wusst er an d ie Leseaufgabe heran. Die Te x t eder Lesestufe vier überf o rd e rn sie, eine G3-Geschichte schafft sie zwar mühsam, brauchtaber nur w enige Hi l fen. Trotz spürbare rL e rn f o rtschritte b leibt Isa eine schwacheLeserin, wei l ihr Pro b l e m l ö s e v e rhalten ehergering ist und sie nur wenige Strat egien zurVe rfügung hat.

Jens s c h a fft beim ersten Durchgang nur 28P rozent der erre i c h b a ren Punkt e und w ird d e rKategorie „ sehr schwach” zugeordnet. SeineVo rgehensweise unterscheidet sich aber vonAnfang an stark von Isas Lesebemühungen.

Es fäl l t auf, dass seine Zugri ff s w e i s e nvielfältiger sind als bei Isa. Auch Jens buchsta-biert (pe, es, ka, ha). Er kann sich gut seman-tisch orientieren (auch mit Hilfe des Bildes).Seine Vorgehensweise ist dennoch oft schwerzu analysieren, da er manchmal die Reihen-folge der Laute durcheinander bringt, oft rät(sehr starke Ratetendenz), oft Fehler selbstbem erkt und wieder neu ansetzt, manchmalScheinlösungen anbietet , d ie mit derWortvorlage kaum noch etwas zu tun haben.

A u f fal lend ist seine In itiat ive, sich immerwieder neu auf den Versuch einzulassen. M angewinnt den Eindruck, er jongl iert mit denBuchst aben (Reihenfolge ist zweit rangig), b iser eine akzeptable Lösung gefunden hat.

Im zweiten Durchgang, im April der Klasse2, hat Jens schon gute Fortschritte gemacht.Die Geschichte G1a schafft er mit nur drei

Mit dem Wort haben (Sie haben auch Hunger) ist Isa schon über-fordert.

Beispiel: sagt

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Hilfen, zehn der sechzehn Wörter liest erspontan richtig. Bei der Wörterliste hat ernoch größere Schwierigkeiten, weil er sichnicht am semantischen Kontext orientie re nkann, sondern sich auf jede Wo r t s t ruktur neueinlassen muss. Dabei zeigen sich sehr gut

seine viel fäl tigen Zugriff s w e i s e n .

Zur Ve rdeutl ichung fo lgen hier zw eiVerschriftungsbeispiele: Geschichte G1a:

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Jens‘ Lesen erlaubt einen guten Einblick inseine Strategien, da er alle Zwischenüber-legungen und -schritte laut äußert. Mit demlangen Wort „Bilderbuch” kann er spontannichts anfangen. Auf den Impuls der Lehrerinfängt er klein an und erarbeitet sich denWo rtt ei l „bi lder” . Den geratenen Wo rt t e i l

„bär” verw i rft er selbst w ieder. Die D -b-Vertauschung wird von der Lehrerin korri -giert. Nun experimentiert er wieder: bil, bul,buch – und kommt zum richtigen Ergebnis.

Bereits im Februar Klasse 3 kommt Jensallein zurecht und braucht keine zusätzlicheFörderung mehr. Seine „Verlesungen” sind

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fast immer semantisch akzeptabel. Inhaltlichnicht stimmige Falschlesungen bemerkt ermeistens selbst und korrigiert sich selbst.

In Klasse 4 ist Jens ein so sicherer Leser,dass er selbst mit schwierigen Wörtern, dienicht seinem aktiven Wo rtschatz ent spre-chen, problemlos zurechtkommt (Beispiele:Zylinder – Kopfbedeckung).

Die beiden Beispiele von Isa und Jens ste-hen für zwei unterschiedl ich v erlaufendeL e rnentw icklungen. Bei der Längsschnitt -untersuchung der Leselern e n t w i c k l u n gHamburger Grundschulkinder hat sich dieThese v iel fach bestätigt, dass Kinder m iteinem aktiven Problemlöseverhalten wie Jenseine günstige Prognose haben in Bezug aufihre weitere schulische Entwicklung, währendKinder wie Isa, die beim Leselernprozess übernur wenige Strat egien v er fügen (Lautegedehnt zusamm enziehen und Ganzwort-raten), voraussichtl ich langsam Lern e n d ebleiben und längerfrist ig pro f e s s i o n e l l eUnterstützung benötigen.

Zu Jens’ Förd e rung nach seinem sehrschwachen Leseergebnis in Klasse 2 seieneinige Förderhinweise genannt, die auch inder Handreichung der HLP nachzulesen sind:

Jens sollte sich aus einem Angebot vonBüchern solche Texte heraussuchen können,die für ihn persönlich besonders interessantsind (Jens hat z.B. eine Vorliebe für Autos).Die Texte sollten kurz, einfach geschriebenund klar gegl iedert sein sow ie m ögl ichstBilder enthalten, um die Sinnentnahme zuerleichtern.

Die Leseförd e rung sol lte in mögl ichstruhiger Atmosphäre in einer Kleinstgruppeoder allein mit der Lehrerin, aber vorläufignicht im Klassenverband stattfinden. So hätteJens die M ögl ichkei t, bei schwierigenTextpassagen Hilfe anzufordern. Jeder Kon-kurrenzdruck beim Lesen ist zu vermeiden,damit Jens nicht in Hektik gerät.

Zur Überwindung rein assoziativer Hypo-thesenbildungen sollte Jens bei schwierig zuerlesenden Wörtern den Inhalt des bisherGelesenen wiedergeben und Ve rm u t u n g e nüber den Fortgang des Satzes bzw. der Ge-schichte äußern. Um die Aufstellung ange-m essener H ypot hesen zu üben, k önnenKinder in einer Kleingruppe auch regelmäßigbeim Vorlesen einer Textpassage innehaltenund von den Partnern Vermutungen über dieF o rtsetzung anstel len lassen. Reizvol l sindauch Tex te m i t t ei lweise abgedecktenWörtern, bei denen zuerst die Sinnerwartunggeäußert und anschließend anhand der auf-geklappten Textstelle überprüft wird. Zumv o r l a g e g e t reuen Erlesen können ebensoschr i ft l iche Handlungsanw eisungen oderRätsel motivieren, die allerdings ohne Zeit-druck bearbeitet werden sollten.

Jens so l l te üben, bei längeren undschwierigen Wörtern, die er noch in mehre-ren Teilschritten erlesen muss, selbstständigkleinere Einheiten zu bilden.

Lesen und Schreiben sol lten auch im För-d e ru n t e rricht stets m iteinander verbundenw e rden, auch um die Geläufigkeit beimZusam menschmelzen mehre rer Laute undbeim Erfassen häufiger Buchstabenverbindun-gen zu erhöhen. So sol l te Jens eigene kleineSätze mit Buchstaben- und/ oder Wo rt k a rt e nlegen, seinen Entwurf lesend überprüfen undanschl ießend abschreiben. Dies wirkt auchgegen seinen impulsiven Arbeitssti l .

Bei Kindern wie Isa muss von längerfristi-gen Problemen beim Lesenlernen ausgegan-gen werden. Der signifikante Unterschied zuJens ist ihre mangelnde Anstre n g u n g s-bereitschaft und somit vermutlich auch ihrmangelndes Selbstwertgefühl. Sie muss vorallem motiviert w erden, dass erst ens dasLesen etwas für sie Bedeutsames sein kannund dass sie zweitens Hilfe anfordern kannund dass der Erfo lg ganz sicher ist. Dazu könn-ten u.a. folgende Angebot e h il freich sein:

Das Ziel der Förderung ist es, Isa die Er-fahrung zu vermitteln, dass sie selbst in derLage ist, Phonem-Graphem-Beziehungen zuentschlüsseln und Bedeutung aus Schrift zurekonstruieren. Da sie sich bisher noch voll-ständig auf andere verlässt, müssen die Übun-gen stets für Isa lösbar sein, damit sie selbst-ständig zum Erfolg kommen kann.

Isa sollte zu folgenden schriftsprachlichenÜbungen angeregt werden:• In ihrer A l l tagsumgebung Schri ft als

Bedeutungsträger erforschen (z.B. Logogra-pheme sammeln und entschlüsseln, ein-fache Wörter finden und lesen: Taxi, Post,Toto ...).

• Wörter mit sehr einfacher Struktur, mit nurwenigen verschiedenen Buchstaben u n dmöglichst eindeutiger Kontext bindung er-lesen. (Beisp iele: Einf achste Heft e der„Regenbogen-Kiste“ mit Bild und nur ei-nem Wort pro Seite, Spiele wie „GezinktesMemory“ – auf eine Bildrückseite wird derAnfangsbuchstabe geschrieben - ,in denender Sinnbezug eindeutig ist.

• Substi t utionsübungen m achen, um dieP h o n e m-G r a p h e m-Beziehungen zu klä-ren (z.B. Mama – Lama, Maus – Laus, Hose– Dose – Rose).

• Mit wenigen bekannten Buchstaben neue Wörter legen und lesen.

• Kleinst e schri ftl iche Bot schaf ten oderBriefchen mit Klassenkameradinnen und-kameraden oder der Lehrerin tauschen.

In Einzelsi tuationen sol lte I sa viele(lustvolle) Leseerfahrungen machen:

• Die Lehrerin liest vor, wobei Isa bei der

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Buchauswahl mit einbezogen werd e nsollte.

• Die Lehrerin liest sehr langsam vor, wobeiIsa die Wörter mit den Augen verfolgensoll.

• Die Lehrerin liest sehr leise und synchronmit Lisa – sie unterstützt nur und ver-stummt bei leichteren Wörtern.

• Isa wird ermuntert, leichte und schon ein-mal geübte Textstellen auf Tonband zulesen. Das anschl ießende Abhören desGelesenen soll Isa vom Wert des Übensüberzeugen.

• Sie sollte ein eigenes Tonband (mit ihremNamen) erhal t en und so ihre Lese-fortschritte selbst überprüfen und doku-mentieren können.

Empfehlenswert für Isa wäre auch dasMaterial von Bernd Ganser (Hrsg.): „Damithab ich es gelernt!” (Auer Verlag 2001). DasBuch enthält viele Kopiervorlagen und Anre-gungen zu den sich nach und nach aufbau-enden Stufen des Schriftspracherwerbs undm o t i v i e rende Anregungen (oft in sp ieler i -scher Form) zu selbstständigem Handeln undzu P a rt n e r- und Gruppenspielen. UnterA n l e i t u n gder Lehrerin – aber auch selbst-ständig in einer Kleingruppe könnte Isa nachund nach zu den angebotenen Them en-schwerpunkten arbeiten:

• Lesen/Rechtschreiben: alphabetische Stufe• Rechtschreiben: orthografische Stufe• Rechtschreiben: morphematische Stufe• Lesen: orthografisch-morphematische

Stufe• Rechtschreiben: wortübergreifende Stufe• Lesen: Stufe der Sinnentnahme.

Gerade für Kinder wie Isa mit Lese- undS c h reibschw ierigkei ten w urde das Pro j e k t„Wege zu Schrift und Kultur” entwickelt, beidem über das Gestalten von Bildvorlagen( S c h re i b a n re g u n g e n )hin zum schr i ft l ichenVe rfassen eigener Gedanken Schre i b b l o c k a d e nüberwunden werden können. In den Anfän-gen könnte man bei Isa ältere Schülerinnen(oder die Lehrerin) als „Schreibhilfe” ein-setzen, die Isas Gedanken zu Papier bringen.Nach und nach wird Isa in der Lage sein, selbstkleine Geschichten zu ihren Bi ldern zuschreiben und sie ihren Klassenkameradenvorzulesen. Dies ist ein vielfach erprobterWeg, emotionale Hemmschwellen zu über-winden und das Lesen und Schreiben alsetwas für sich selbst emotional Wichtiges zuempfinden und zu erleben.

(Hierzu: G. Rabkin: „Schreiben – Malen –Lesen”, „Der Engel fliegt zu einem Kind”,„D ie schöne Hexe”, erschienen im KlettVerlag.)

Die Hamburger Leseprobe erscheint im Eigenverlag und ist über die Autoren erhältlich:Dr. Peter May, Fax: 040 / 43 27 15 43, [email protected], Internet: www.peter-may.deHelga Arntzen, Fax: 040 / 279 45 95, E-Mail: [email protected]

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In den Beiträgen zum Sachunterricht undzum Mathematikunterricht wird übereinstim-mend gefordert, dass die Kinder so früh wiemöglich an das Lesen als Möglichkeit, In-formationen kennen zu lernen und zu ent-nehmen, herangeführt werden.

Die Kinder erhalten einen für sie interes-santen Auftrag mit Aufforderungscharakter,dessen Lösung sie finden können, wenn sieeinen dazu vorhandenen Text entschlüsselnund die darin „versteckten“ Angaben aufspü-ren. Dabei werden sie je nach der Aufgaben-stellung und je nach Alter mit unterschied-lichen Formen des Decodierens konfrontiert.Von anfänglichen Bildsymbolen und derenSinn geht es über das Deuten von Plänen undSkizzen weiter zu Lesekarteien und Bastel-anleitungen b is hin zu fachgebundenenTex ten mi t Fachwört e rn, die m i t unter-schiedl ichen Lesest rategien (z.B . orientiere n-des Lesen, selektives Lesen) erschlossen wer-den. Hierbei gi l t von Anfang an der Gru n d-sat z, dass Kinder selbst tätig w erden, dasssie i hre Auf gabe al lein erlesen. SichLesehi l fen bei M i t schülern oder derLehrk raf t zu holen so l l nur ei ne nach-rangige M ögl ichkeit sein.

Die Anbahnung der notwendigen Lese-k o mpetenz der Kinder wi rd zusätzl ich ge-stärkt durch ei ne l esef örderl iche Aus-st at tung der Schule, die zugleich Int ere s s e nder Kinder berücksichtigt und weck t, sodassdie Erschl ießung unterschiedl icher Te x t eden Kindern zum Bedürfnis w i rd .Anschl ießend lernen sie systematischv iel fäl tige Te x t s o rt en kennen und bekom -men gezielte Strategien zur Ent schlüsselungder einzelnen Te x t f o rmen an d ie Hand.

Wenn wir uns wegen der Pisa-Ergebnisseneu orientieren und die Leseförderung vielstärker und auch viel strukturierter auch imUnterricht dieser Fächer als unsere zentraleAufgabe annehmen, so kann die Bedeutungdes Lesens und des Leseverst ehens sehraufgewertet werden.

Aber ist der oben aufgezeigte Weg wirklichso für alle Kinder gangbar?

Überlegen wir uns doch einmal , w elchesBi ld vom Kind diesem Konzept der Leseför-d e rung zugrunde l iegt:

• Es handelt sich um Kinder, die Tex te lesende n t z i ff e rn und sinnerfassend lesen können,eventuel l noch nicht immer ohneSchwierigkei ten.

• Es handel t sich um Kinder, die über einegut ausgebi ldete Sprachfähigkei t in derAl ltagskomm unikation und spät er in derSchri ftsprache verfügen, sodass sie sich inSacht ext e in der M athem at ik und imS a c h u n t e rricht selbst st ändig einlesen kön-n e n .

• Es handel t sich um Kinder, denen dieInhalt e der Texte entweder vertraut sindo d e r, fal ls sie neu sind, für die Kinder dochsinnvoll in das bei ihnen vorh a n d e n eWissen einzuordnen sind.

• Es handelt sich um Kinder, d ie zur Te x t e r-schl ießung hauptsächlich in die in Te x t e nent hal tenen Fachbegri ffe eingeführt werd e nund nur die sachgerechte Ve rwendung derF a c h w ö rter einüben müssen.

• Es handelt sich schl ießl ich um Kinder, d ieI n t e resse für d ie M enschen und die Dingein ihrer Umwelt und ihre Zusam-m enhänge untereinander zeigen und sichw e i t e re I nform ationen dazu lesend er-o b e rn m öcht en.

K u rzum: Es handel t sich um Kinder, dere nM uttersprache Deutsch ist und die imN o rmal f al l die notwendige al tersgemäßeSprach- und Sachkom pet enz in dieser Spracheb e s i t z e n .

Deshalb bezieht sich die Aufgabe derLehrkräfte hauptsächl ich auf die Ve rm i t t l u n gder fachl ichen Inhal te und nur in dem M a ß eauf die sprachl ichen Inhal te, d ie über diealtersangemessene Sprache hinausgehen, wiedies eben meistens für den Fachw ort s c h a t zoder d ie Fachsprache (mit ungewohnt en Satz-s t ru k t u ren, wie z.B. kompl iziert en Passiv-k o n s t ruktionen) gil t.

I n unseren Schulen hat jedoch jedesdri t te Kind einen M igrationshinterg ru n d .Das bedeutet, es wächst eventuel l nicht odernicht nur m i t der deutschen Sprache auf .Wenn es das doch tut, so kann das tro t z d e mbedeuten, dass es die deutsche Sprache ineiner anderen Weise beherrscht als die ein-sprachig deut sch auf wachsenden deutschenK i n d e r.

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• Es handelt sich um Kinder, die Texte lesendentziffern und gut, teilweise oder gar nichtsinnerfassend lesen können.

• Es handelt sich um Kinder, die über einesehr unterschiedlich ausgeprägte Sprach-fähigkeit in der Alltagskommunikation ver-fügen. Ihr Verhältnis zur Schriftsprache isteventuell noch gar nicht angelegt wordenoder ist gering, sodass sie sich in Sachtextein der Mathematik und im Sachunterrichtnicht unbedingt selbstständig einlesenkönnen, selbst w enn sie daran gro ß e sInteresse haben.

• Es handel t sich um Kinder, denen dieInhalte der Texte nicht vertraut sind oderdie sie nur mit Zusatzinformationen sinn-voll in das bei ihnen vorhandene Wisseneinordnen können.

• Es handelt sich um Kinder, die zur Text-erschließung zusätzlich in die in Textenenthaltenen Fachbegriffe eingeführt wer-den und außerdem die sachgerechte Ver-wendung der Fachwörter einüben müssen.

• Es handelt sich um Kinder, die Interesse fürdie M enschen und die Dinge in ihre rUmwelt und ihre Zusammenhänge zeigenund sich weitere Informationen dazu le-send erobern möchten. Das Verhalten derMenschen in ihrer persönlichen Umweltkann sich jedoch erheblich unterscheidenvon dem der Menschen, die in deutsch-sprachigen Texten präsentiert werd e n .Auch können D inge vork ommen, mi tdenen diese Kinder noch wenig in Kontaktgekommen sind. Um die richtigen Zusam-menhänge herausfinden zu k önnen,brauchen sie die informierende Begleitungdurch die Lehrkraft.

Kurzum: Es handelt sich um Kinder, derenLesefähigkeit genauso ausgebildet ist wie diei h rer deutschen M i tschüler, deren Sprach-kom petenz aber in unterschiedlicher We i s eanders ausgebildet sein kann und dere nSachkompetenz gleichfal ls anders ausger ichtetsein kann und nicht unbedingt geprägt ist vonder deutschsprachigen Umwel t.

Bei diesen Kindern sind Lesenkönnenund Leseverstehen zwei unt erschiedl icheB e reiche. Lesenkönnen ist erst einmal derL e s e p rozess und schließt nicht automatischden Ve r s t e h e n s p rozess m it ein. DieAnnah me der Lehrkräf te, dass ein Kind nachabgeschlossenem Leselern p rozess undetl icher Übung auch gut verstehen kann,was es gut lesen oder vorlesen kann, hat fürzweisprachig aufw achsende Kinder keineal lgem eine Gült igkeit und ist individuel l zuüberprüfen.

Die Aufgabe der Lehrkraf t, die Kinder mitei ner anderen Erstsprache als Deutschu n t e rricht et , ist also zwingend viel kom -pl ex er als bei einsprachig deut sch Auf-wachsenden. Sie besteht immer in einersprachl i chen, f achsprachl ichen undinhal t l ich-sachl ichen Hinf ührung zumLesethema als Vorausset zung für di eEnt wi ck lung v on Lesekom petenz in derZweitsprache Deutsch.

W ä h rend im D eutschunterricht d ies p r a c h liche und die inhal t l iche Ebene imM itt elpunkt der Auseinanderset zung mitdem Text f ür al le Kinder gleichermaßen alsArbei tsauf trag stehen, auch wenn dabei diea n d e r s a rt igen Vorbedingungen der Kindermit einer anderen Erstsprache als Deutschnicht vorrangig gesehen werden, so ist bisjet zt der U nterr icht in den anderen Fächernhauptsächl ich abgest immt auf die Sacheund auf neue fachgeprägte sprachl i cheA u s d rucksweisen. Er m üsste in zunehmen-dem M aße die gesamte verwendete Spracheder Texte in den B l ick nehmen und dere nk u l t u rel le Sachinf orm at ionen deut l ichmachen, damit Kinder, deren Erstsprachenicht D eutsch ist , nicht nur lesen, sondernauch zum Leseverstehen komm en können.

Die von der Lehrkraft ausgehende Sprach-s t ru k t u r i e rungs- und Informationsarbei t wirdaber nur auf das eingehen können, von demsie auf Grund ihres eigenen Wissens an-nimm t, dass Kinder mit einer anderen Erst-sprache als Deutsch Hi lf e brauchen. D a dieseKinder in ihren Sprach- und Sacherf a h ru n-gen als eine sehr heterogene Gruppe anzuse-hen sind, wi rd es der Lehrkraft schwerl ichgel ingen, al le Bedürfnisse der K inder zuerkennen und auf sie einzugehen.

Deshalb ist es besonders für diese Kinderwichtig, Strategien zu erlernen und zu benut-zen, mit denen sie sich selbst und der Lehr-kraft gezielt signal isieren können, wo ihr Lese-verstehen eine Hürde nicht nehmen kann. DerUmgang mi t so lchen Erschl ießungsstrategienergibt sich nicht einfach durch das Tun, son-dern muss sorgfältig eingeführt und eingeübtwerden, damit er für die Kinder zur Selbst-verständlichkeit wird. Sie lernen, ihre eigenenLeseverstehensprobleme zu erkennen, wählenpassende Lesestrategien aus und wenden siesinngemäß an. Schon bevor der Leselern-prozess einsetzt, kann die Lehrkraft durchVorlesen von Tex ten gemeinsam mit denK i n d e rn Tex terschl ießung mit St rategienbetreiben.

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So planvol l an einen Tex t heranzugehen,e rgibt jedoch nur einen Sinn, wenn dieKinder gleichzeitig lernen, Fragen zu stellen,dort nachzufragen, wo sie bei der Arbeit fest-stellen müssen, dass sie etwas nicht odernicht sicher wissen. Fragen will auch gelerntund geübt werden und kann nicht als selbst-verständlich vorausgesetzt werden. Es fälltvielen Kindern schwer, Unsicherheiten oderNichtwissen zu artikulieren.

• Das Fragen kann am meisten fruchten, wenndie Lehrkraft den Kindern zu verstehen gibt,dass sie den We rt des Fragens sehr hoch ein-schätzt.

• Auf al le Fragen der Kinder zum Text wirds o rgfäl tig eingegangen.

• Der Lehrkraft ist bewusst , dass die Kindernicht immer genau wissen, was sie sicher wis-sen und was sie nicht wissen, wo sie also fra-gen sol l ten.

• Bei schwer zu verstehenden Fragen versuchtdie Lehrkraft herauszufinden, worum es geht,um eine passende Antwort geben zu können.

• Alle Fragen zum Text werden als berechtigtangesehen, auch wenn sie schon in ande-rer sprachlicher Form gestellt und beant-wortet wurden.

• Sprachliche Entdeckungen mit Nachfragenw e rden von der Lehrkraf t bewusst zurKenntnis genommen und kommentiert.

• Fragen zu Wort- und Satzbedeutungen wer-den ausführlich besprochen und eventuellmit Beispielen und Übungen verdeutlicht.

Das Prinzip des selbst entdeckenden undselbstst än digen Arbei tens w i rd durch dasPrinzip des Nachfragens nicht aufgehoben,denn geziel te Fragestel lungen erf o rd e rnselbstständiges Durchdenken eines Problemsund zeigen das eigenständige Arbeiten einerZweitsprachlerin oder eines Zweitsprachlersan ihrem oder seinem Leseverstehensprozess.

Schon durch die Art der Textpräsentationkann die Lehrkraft viel zur Textentlastungbeitragen. Einige solcher Strategien seien hiergenannt:• Klein geschriebene Text e können verg r ö ß e rt

und in deutl ich gegl iederte Abschnitt eeingeteilt werden.

• Die einzelnen Textreihen werden beziffert.• Schlüsselwörter aus dem Text werden, als

Poster gestaltet, zum Text hinzugefügt.• Das Fachvokabular wird durch Fettdruck

oder Unterstreichung herausgehoben.• Fragen, die die Textproblematik erhellen,

werden mit dem Text ausgegeben.• Texte werden zuerst in einer vereinfachten

F o rm gelesen und anschl ießend in derOriginalform bearbeitet.

• Texte werden mit Bildmaterialien verse-hen, sofern sie keines enthalten.

• Texte werden vorgelesen, bevor die Kinderselbst lesen.

• Texte werden von den Kindern gelesen unddann den Kindern vorgelesen.

Kinder m it einer anderen Erstsprache alsDeut sch lesen genauso gut und gern wiei h re deut schen M i tschül er innen und -s c h ü l e r, wenn ihre Sprach- und Sach-kompet enz ihnen das sinnerfassende Lesene rmögl icht. Lesen ohne die anschl ießendeM ögl ichkei t der Sinnentnahme aber demo-t i v i e rt nachhal t ig. Wenn zw eisprachigeKinder m erken, dass sie v erstehen, woru mes geht, unt ernehmen sie auch bere i t w i l l i gA n s t rengungen. Di e Leseaufgabe kanna n s p ruchsvol l sein. Die Kinder st el len sichi h r, solange sie das Gefühl haben, dass siee r l e rnen können, was sie f ür d ie Auf gabebrauchen. Wenn Ki nder aber zu derÜ b e rzeugung komm en, dass es an ihnenl iegt , dass sie zu dumm sind, dann habenwir sie als Leser ver lore n !

Inge Büchner / HeikoBalhorn. 2003.„Textverständnis ist schwerzu haben.“ In: GrundschuleSprachen 09, „Sache undSprache“, Kallmeyer.

Richard Meier. 2003. „DieSache (auch) durch dieTexte erschließen.“ Ebenda.

Helga Meier / MichaelaHein. 2003. „Sachtextegezielt nutzen.“ Ebenda.

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Es ist das Anliegen dieses Beitrages, aufUnterrichtsbeispiele hinzuweisen, die gleich-zeitig zum informativen Lesen anregen, dieSchülerinnen und Schüler über einen relativlangen Zeitraum so konsequent und kon-tinuierlich im Gespräch über Gelesenes fes-seln und die zur Auseinandersetzung miteiner Problemstellung aus der Mathematikanregen.

Eingefügt sind kritische Anmerkungenvon M. Grell, die aus der Sicht der Expertinfür Deutsch als Zweitsprache (DaZ) Lern-h ü rden im Prozess der Entw icklung derLesekompetenz im M athematikunt err i c h texemplarisch aufdeckt.

Die dort angegebenen Zi ff e rn verw e i s e nauf die angesprochene Them atik in denKapit eln d ieses Beit rags, sodass ein schnel lesN achlesen m ögl ich ist.

I n f o rmatives Lesen lernen Schüler innenund Schüler am besten durch Übungsformenzum• „orientierenden“ Lesen, um sich über den

S a c h v e rhal t einen Überbl ick zu verschaff e n ,• genauen Lesen, um Beziehungen zwischen

Textaussagen herzustellen,• selektiven Lesen, um für die Pro b l e m-

lösung die wesentlichen Inform a t i o n e nherauszupicken,

• kri t ischen Lesen, um t ext immanenteWidersprüche, aber auch solche zwischenTextaussage und eigener Erfahrung zu ent-decken,

• p roduktiven Lesen, um mit den I nfor-mationen zu operieren,

• „ w o rterschließenden“ Lesen (Kleinschmidt),um z.B. die Bedeutung von Fachbegriffenzu entschlüsseln,

• rückversichernden Lesen, um sich einesneuen Sachverhal t s zu verg e w i s s e rn(Erichson 1993, S. 18, Schipper 2000, S. 195).

L e h rerinnen und Lehrer sol lten auchungewöhnliche Wege nutzen, um Kommuni-kat ion und Interakt ion im M at hem at ik-u n t e rricht anzuregen. Es muss nicht eineumfassende Erzählung oder eine Ganzschriftsein, die zur Auseinandersetzung mit mathe-m atischen Problemen einlädt. Auch einek u rze Episode aus einer Geschichte, eineLesekartei, eine Bastel- oder Bauanleitung o.Ä.können Sinn stiftende Leseanregungen sein,

die zum Mathematisieren auffordern. Im Rahmenplan Mathematik ist gefordert,

die Lesekom petenz der Schülerinnen undSchüler zu förd e rn und zu ford e rn undLeseanlässe zu gestalten.

In der Einbindung von Aufgabenstel -lungen zur Lesekom petenz im M athe-m a t i k u n t e rricht verbirgt sich jedoch d ieG e f a h r, m athematische Inhal t e zu ver-s c h l e i e rn. N eben der Thematisierung vonbewusstem Textumgang ist unbedingt daraufzu achten, dass der eigentliche mathemati-sche Gehalt nicht verloren geht. Lehrerinnenund Lehrer sollten Möglichkeiten im Umgangmit Texten im Mathematikunterricht erkun-den, sie m i t Bedacht nutzen und ihre nEinfluss auf die Prozesse innerhalb desUnterrichts geltend machen.

In vielen Mathematik-Lernbüchern für dieGrundschule gibt es eine Fülle von substanz-losen Aufgaben, bei denen sich Kinder nachdem Erlesen des Textes fragen: „Was gibt eshier zu rechnen? Verstehe ich nicht!“ EineAufforderung zum erneuten, genauen Lesenhilft hier nicht. Die Kinder reagieren mitOrientierungslosigkeit. Will man Kinder anre-gen, etwas zu durchschauen, zu begreifen,muss man ihnen Inhalte anbieten, die ihrInteresse wecken.

Es müssen Schülerinnen und SchülernAufgaben angeboten werden, in denen esnach dem Erlesen f ür sie (nicht für denMathematikunterricht) etwas zu berechnengibt.

Aufgaben zum Entdecken, Argumentierenund Begründen sind in vielen Unterrichts-werk en bisher in deutl ich ger inger Zahlvertreten. Häufig handelt es sich bei denSachaufgaben überwiegend um eingekleideteAufgaben. Die Aufgabeninformationen sindin Bild- oder Te x t f o rm dargest el lt, sodassg e n e rel l eine mathematische Model l ieru n gauf der Basis einer textlich und/oder bildlichd a rgestel l t en Si tuation zu leist en ist . DasBearbeiten erfor dert von Schülerinnen undS c h ü l e rn bestimm te Kom petenzen: Einsatzvon Faktenwissen, einfache mathematischeB e g r i ffe, Fertigkeiten, St andard v e rf a h re n ,Zusammenfügen m ehre rer bekannt er re c h-

(DaZ = Deutsch als

Zweitsprache):Die Inhalte, für die man das

Interesse der Kindererwartet, müssen für Kinder

mit einer anderenErstsprache als Deutsch ver-ständlich sein, sonst können

sie ihr Interesse gar nichtzeigen. Es kann aber auch

wegen der unterschiedlichenkulturellen Lebensumstände

vorkommen, dass DaZ-Kinder an anderen Dingen

interessiert sind, als diedeutsche Schule es von ihnen

erwartet (s. Kap. 1.2).

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nerischer oder begrifflicher Lösungsschritteoder Lösungselement e zu einer Gesamt -lösung; schöpferisches Denken zur Überwin-dung v on Barr i e ren bei pro b l e m h a f t e nAufgaben.

Das „Anwenden“ von M athematik aufa u ß e rmathematische Situationen sol l n ichtauf das Lösen einfacher Rechenaufgabenbeschränkt werden. Ein al lgemein bildenderM a t h e m a t i k u n t e rricht muss auf die Ent-w icklung der M odel l ierungsfähigkeit vonSchülerinnen und Schülern ausgericht et sein.Zu verfolgen ist ein Bündel kom plexer kogni-t iver Prozesse, in dem etwa aus der gegebenentextlichen Präsentation der Situation zunächstein Verständnis der Sachsituation gew onnenund die zugrunde liegende Sachstruktur bzw.ein Realmodel l herausgeschäl t werden kann( W inter 1995) . In der Phase des M athe-m a t i s i e rens wird d ie Sachstruktur dann in dieSprache der Mathemat ik übersetzt.

H i e rfür erweisen sich Auf gaben mit authen-t ischen Informationen als besonders geeignet,die Inform ationen kri tisch zu hinterf r a g e nund die Daten rechnerisch zu überprüfen:Zeitungsausschni tte, Qui ttungen, Kalender-b l ä t t e r, Tabel len, Ausschnitte aus demGuiness-Buch der Rekorde, Sachtexte u.v. m .

D ie Geschicht e der HEXE ZENTIM OSI A(Simone Reinhold), ein Leseanlass in einemzweiten Schuljahr als fächerverbindender

Bei t rag zur Auseinandersetzung m i t demmat hematischen Thema „Längen undLängenmessung“, lädt ein zu einer hand-lungsorientierten Unterrichtseinheit mit demZiel der gemeinsamen Ent deckung dernormierten Maßeinheiten. Die mathemati-schen Aufgabenstellungen (Lesen – Problem –Handeln – Reflexion), die sich im Leseprozessstellten, sind hier beispielhaft vorgestellt:

Abb. 1: Zwei Messergebnisse der Kinder.Wer hat richtig gemessen?

Authentische Inhalte sind nurgut zu verwenden, wenn siesich für alle Kinder als„authentisch“ erweisen undauch von allen verstanden wer-den können (s. Kap. 1.2).Lehrerinnen und Lehrer sindaufgefordert, „sinnleere“Sachaufgaben aus Schul-büchern so zu verändern, dassdaraus „sinnvolle“ Aufgabenentstehen, die Kinder zumLesen anregen und über derenSachverhalt Kinder sprechenmöchten.

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Aus: Reinhold, Simone: „Geschichten alsKommunikationsanlass im M at hem at ik-u n t e rricht.“ In: Praxis Grundschule, Heft 2/ 2002, S. 26-30.

Ein unerschöpfliches Repertoire an authenti-schen Schnappschüssen (Wa h r- N e h m u n gvon Informat ionen m i t m athem at ischemGehal t aus al len Intere s s e n s b e reichen derKinder) findet sich in der Sachl i t eratur.Besonders geeignet zur St eigerung derLesemotivation sind u.a. Witze und Cartoons.

„Oh, wie schön ist Panam a“ , von Janoschumgewandel t in eine Rechengeschichte, regt zuL e s e b e reit schaft und zu Rechenleistung durc hdie Handlungen vertrauter Figuren (Ti g e re n t e ,Tiger und Bär) an. Die Einbeziehung bekannterund lieb gewordener Figuren und die verän-d e rte Te x t s t ruktur (wörtl iche Rede, Erzählsti l ...)regen zum Lesen an. Durch die Einbindungmat hemat ischer Probleme und durch Bilderzum Text wird das Textverständnis erleichtert ,und d ie Kinder werden zum Lösen der mathe-matischen Probleme m otiviert .

Franke, M.: „Mit Janosch besser rechnen.“In: Gru n d s c h u l u n t e rricht H ef t 10/ 2002,Material 1-6.

Schon die Überschri ft des Te x t e sweist auf seine „ Schwierigkei t“

hin. Das Verb „ brodeln“ hateine Wo rtbedeutung, die auchfür einsprachig aufwachsende

Kinder nicht bekannt sein muss.Die Geschichte ist dann auch in

einer gehobenen Schriftsprachev e rfasst, die mi t dem Gebrauch

des Präteri tums, der Ve rw e n-dung von Satzgefügen mit wech -

selnden Konjunktionen, mitAdjektiven, die gleichzei tig auch

adverbial benutzt werden, undmit Fragewört e rn und Frage -

sätzen einen sehr hohen sprach -l ichen Schwierigkei tsgrad

a u f w e i s t .Hinzu kommt derInhal t, der eindeutig kul ture l l

gebunden ist mit seiner positiven Darstel lung des

Z a u b e rwesens „ Hexe“ (s. Kap. 2, 3, 4).

Gerade Witze und Cart o o n shaben eine hohe Bindung an

den Kulturkreis, in dem sie ver -b rei tet werden. Figuren, die in

der deutschsprachigenLebenswel t wie selbstver -

ständlich in Äußerungen einbe -zogen werden, haben keine

Bedeutung für Menschen ina n d e ren kul turellen Umfeldern .

Daher sind für sie Texte mitdiesen Figuren „ nur an der

O b e rfläche“ decodierbar. DieFunktion der F iguren muss ein -

deutig verständl ich gemachtw e rden, weil sonst kein Lesever -stehen einsetzen kann, das aberfür die Lösung der mathemati-schen Aufgabe von Bedeutung

sein könnte. Auch beimJanosch-Rechenbuch sind „ diev e rtrauten Figuren“ gar nicht

al len Kindern bekannt,geschweige denn vertraut

(s. Kap. 1.2).

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Am Ende der Grundschulzeit sollten dieSchülerinnen und Schüler in der Lage sein, inAl l tagssituationen mathematische Aspekte undBeziehungen zu erkennen und durch Zahlenund M aße auszudrücken. I hre Sachre c h e n-fähigkeiten und ihre Lesekompetenz beziehensich dabei nicht nur auf reine Te x t a u f g a b e n ,sondern auch auf die Interpretation vonDiagrammen, Schaubi ldern und Ta b e l l e n .

Verschiedene Bearbei tungshil fen, z.B. Fragenstellen, Textstellen unterstreichen, Skizzena n f e rtigen sowie geeignet e Dars t e l l u n g s f o rm e nzur Präsentation von Lösungswegen sol lt enbekannt sein.

Textaufgaben, die sich in einem Rechen-schr itt lösen lassen, werden von den meistenK i n d e rn bewäl tigt . Zusam mengeset zte Te x t-aufgaben erf o rd e rn jedoch mehre re vern e t z t eund aufeinander aufbauende Rechnungen.Viele Kinder fühlen sich von der Komplexit ätsolcher Aufgaben überf o rd e rt. Sie haben dieE rf a h rung gemacht , dass sich jede Aufgabelösen lässt. Zahlenwerte werden manchmalgemäß dem Unterrichtsschwerpunkt zusam-menhanglos mit einander verrechnet, ohnei h ren Bedeutungsgehalt zu prüfen.

Folgende Beobachtungskriterien sollten dieL e h rer innen und Lehrer berücksicht igen,bevor sie diff e re n z i e rende M aßnahm energreifen:

Die angegebenenBearbeitungshilfen müssten dieKinder, insbesondere die DaZ-Kinder, durch dieMathematiklehrkraft im han-delnden Umgang, also auf demWeg zur Lösung der Aufgabekennen lernen und einüben.Nur die Fachkraft kannentscheiden, was ein Kind anStrategien für die fachlicheLösung braucht. Die Fachkraftmuss aber zusätzlich dienotwendigen sprachlich orien-tierten Strategien in denUnterricht einbringen, denn nurein Zusammenwirken vonSache und Sprache kann dieerforderliche Lesekompetenzaufbauen (s. Kap. 3, 4, 5).

Bei Kindern mit einer anderenErstsprache als Deutsch solltedas Kriterium: „Versteht er/sieden Text nicht?“ ausgeweitetwerden um die Aspekte: wegennoch fehlender Sprach-kompetenz imWortschatzbereich / imStrukturbereich, wegen andererkultureller Sichtweise, damitgezielt ausgeschlossen werdenkann, dass hier eventuelleStörungen für mathematischesNichtkönnen vorliegen (s. Kap. 4, 6).

(in Anlehnung an Radatz u.a. Handbuch fürden Mathematikunterricht 3. und 4. Schul-jahr, Kapitel 4: „Sachrechnen und Größen“,Schroedel 1999)

D ie folgenden Bearbei tungshi l f en wurd e nfavorisiert, weil sie die Phase des Verstehensvon Sachsituat ionen oder Sacht ext en inb e s o n d e rem Maße unterstützen. D ie An-forderungen bei der Arbeit mit Sachaufgabensteigen im Laufe der Grundschulzeit.

Der Schwierigkeitsgrad im Erfassen des zulösenden Problems erhöht sich zum einendurch ein erhöhtes Niveau der sprachlichenMittel in den Formulierungen (Steigerung desSchwierigkei t sgrades durch sprachl icheGestaltung), zum anderen durch die für dasLösen des Problems komplexer werdendenmathematischen Mittel bzw. Rechenschritte(Steigerung des Schwierigkeitsgrades in dermathematischen Struktur).

„ E rzähle den Inhalt m i t eigenen Wo rt e n .Begleit e die Erzählung m it Handlung oder fer-tige eine Skizze oder Tabelle zur Handlung an.“

Es ist sinnvoll, den Kindern Gelegenheit zubiet en, einen Sachverhal t aus ihre mVerst ändnis heraus neu zu form u l i e re n .M ögl iche fehlgedeut ete oder nicht ver-standene Begr i ff e/ Sprachelement e werd e ndeutl ich und können für den sich an-schl ießenden M athematisieru n g s p rozess er-l ä u t e rt werden. H inzu kommt , dass ver-schiedene Lernstände der Schülerinnen undSchüler fordern, Lerninhalte auf verschiede-nen Repräsentationsebenen zu durchdringen.Die Verknüpf ung von Text , Sprache undHandlung veranschaul icht besonders fürschwache Schüler den Sachverhalt.

Diese Übungsform dient dazu, sich einenÜberblick über die dargestellte Situation zuverschaffen. Es gilt, Textstellen als Belege zu

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finden, um die Fakten in den Mittelpunkt zurü-cken. Textstellen, bei denen es um die fürdie rechnerische Lösung relevanten Aspektegeht, werden hier nicht behandelt

D u rch das bewusste Ve r ä n d e rn vonSachaufgaben wird verdeut l icht, welcheAngaben wesentlich sind für die Problem-stellung. Variation der Sachaufgaben nachGesichtspunkten:• Zahlen, Maßzahlen ändern;• Personen, Gegenstände ändern;• G r ö ß e n a rten ändern, Sachsi t uation be-

lassen;• S a c h v e rhalt ändern, aber d ie f orm a l e

Struktur beibehalten;• Operative Umkehrung durchführen;• „Ausschmückung der Sachaufgabe und

umgekehrt Verkürzen“ des Aufgabentextes(Wagemann 1991, S. 203).

Karten mit Elementen einer Sachaufgabe:

Obwohl viele Komponenten ausgetauschtwerden könnten, bleibt die Rechenart erhal-ten. Es sol l deutl ich werden, dass einigeAngaben für den Lösungsweg unbedeutendsind. Wesentlich ist, dass bei allen Angabenzu einer v orhandenen M enge etw ashinzukommt.

Den Schülerinnen und Schülern werdenbereits fertige Lösungswege vorgegeben. Diesesollen sie miteinander vergleichen und ineiner „Strategiekonferenz“ besondere Merk-male herausstellen.

• Ähnliche Lösungswege• Fehleranfällige Lösungswege• Vorteilhafte Lösungswege• Kurze/lange Lösungswege• Richtige/falsche Lösungswege

Wie sehr „unscheinbareWörter“: „ber eits“, „schon“,

„noch“, „gerade“ einenBedeutungswechsel in

Aussagen hervorrufen, istbesonders in Fachtexten

gravierend. Wenn nun mehrSprache in den Mathematik-unterricht einbezogen wird,

muss die Sprache von denFachkräften auch mehr

beachtet werden.Spracharbeit kann geleistetwerden, indem die Klärung

von Wort- undSatzbedeutungen eine zen-

trale Rolle neben den mathe-matischen Lösungswegen

erhält (s. Kap. 3, 4, 5).

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Es sollen Textstellen als Belege gefunden undauf das Wesentliche reduziert werden, um dierechnerische Lösung anzubahnen.

Lies die beiden Sachaufgaben genau.Vergleiche anhand der Unterstreichungen dieInteressen der beiden Jungen. Durch welcheU n t e r s t reichungen w ird eine re c h n e r i s c h eLösung vorbereitet?

Die Schülerinnen und Schüler erfahren,dass die Selektion von wichtigen Textteilenabhängig ist von der damit verbundenenIntention: Wenn eine rechnerische Lösungdes Problems angestrebt ist, sind andereKomponenten wichtiger als wenn die Ferien-erlebnisse zusammengetragen werden sollen.

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Das Beziehungsgef lecht von Daten kannbesonders gut in Form von Lück ent extenangebot en werden. Es m uss durch genauesLesen herausgefunden werden, wie die Lückensinnvoll ausgefü l lt werden können. Es m ussvom Kontex t auf die Daten geschlossen wer-den. Erst eine „Lesekont rol le“ durch die Schü-lerinnen und Schüler schl ießt die Übung ab.

Te x t u n t e r s t reichungen und „ Schlüsselwort -f indungen“ dienen dazu, d ie f ür dieProblemstellung wesentlichen Komponentenhervorzuheben.

Zu welchen Fragen findest du wesentlicheI n f o rmationen im Text ? Unt erst reiche dieStelle im Text farbig und kreise die dazuge-hörige Frage in der gleichen Farbe ein.

Beispiel:

Mögliche Fragen:• Wer kauft neue Geräte?• Wie viele Geräte werden gekauft?• Warum werden neue Geräte gekauft?• Wofür werden die Geräte gekauft?• Welche Geräte werden gekauft?• Welche Person bezahlt die Geräte?• Wie teuer sind die Geräte zusammen?• Bleibt Geld übrig?

Arithm etische Sachverhal t e können geo-metrisch veranschaulicht werden. Umgekehrtwerden geometrische Sachverhalte mit arith-metischen Mitteln tiefer durchdrungen.

Ein wichtiges Ziel der Grundschularbeit ist es,Ref lexionsfähigkei t von Kindern zu ent-w ickeln. Deshalb sollen sie angehalten wer-den, sowohl ihre Lösungen als auch ihreAntworten zu überprüfen.

• Passt die Antwort zum Text?• Passt meine Antwort zu der Frage?• Zu welchen Fragen findest du Antworten

im Text? Unterstreiche die Stelle im Text farbig und kreise die dazugehörige Frage inder gleichen Farbe ein.

Beispiel:

Mögliche Fragen:• Wie lange dauern die Osterferien?• Wer verbr ingt zwei Wochen auf dem

Reiterhof?• Wo sind Nadja und ihre Freundin?• Wie alt ist Nadja?• Hat Nadja noch andere Freundinnen?• Hat Nadja ein Pferd?• Wie lange verbringen die Freundinnen auf

dem Reiterhof?• Wie viele Tage sind Osterferien?• Wie lange bleibt Nadja zu Hause?

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Kinder suchen in Sachkontexten nach dem„rationalen Kern“ und schießen dabei auchmanchmal über das Ziel hinaus. Sie konstru-i e ren recht unerw a rtet e Rechnungen. Esb e d a rf hier sicher l ich einer v erändert e nUnterrichtssituation: den Kindern nicht ein-fach eine Aufgabe vorlegen und re c h n e nlassen, sondern die Kinder darauf hinweisen,dass einige Aufgaben lösbar sind, anderenicht zum Rechnen auffordern.

Woran liegt es, dass folgende Aufgabennicht lösbar sind?

Kannst du die Aufgaben verändern, um sielösen zu k önnen, indem du event uel lfehlende Angaben hinzufügst oder überflüs-sige weglässt?

Ein weiterer Aspekt ist das Lesen, Deuten undI n t e r p re t i e ren von Tabel len und Diagram-m en. Die „ Informationsent nahm e“ beiTabellen und Diagrammen muss zunehmend

ein Bestandtei l des M athem at ikunt err i c h t ssein. Daten, Zahlen, Größenangaben lassensich leichter interpretieren, wenn man sie inübersichtlicher Form darstellt.

Ein mögl iches Beispiel : Die folgendeTabelle zeigt, wie viele Jungen und Mädchenaus den drei 3. Klassen bereits schwimmenkönnen:

Tom hat angefangen, zu dieser Tabelle einSäulenbild zu malen. Vervollständige es.

Daten, Zahlen, Größenangaben usw. lassensich leichter interpretieren, wenn man sie inübersichtlicher Form darstellt. In der Grund-schule bieten sich Darstellungen in Form vonSäulendiagrammen oder Tabellen an.

Weitere Beispiele: • Proportionale Zuordnungen in Tabellen-

form (z.B. Preise/Gewicht)• Befragungen durchführen• Säulendiagramm erstellen• Schaubi lder lesen, interpre t i e ren und

zeichnen

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Morteza nimmt sich eine Aufgabenkarte ausder Löwenzahn-Werkstat t. Eine Karte miteinem dicken rot en Klebepunkt – eine„Mussaufgabe“. Er kommt zu mir an denBeratertisch. „Was muss ich da machen?“ Ichschüt tele den Kopf und erinnere ihn anunsere Regeln: „Versuche erst, selber zu lesen.Wenn es zu schwierig ist, bitte ein anderesKind, dir zu helfen. Wenn ihr beide es nichtschafft, dann darfst du zu mir kommen.“*

Er geht wieder und macht sich an die fürihn noch mühevolle Arbeit, die Buchstabenzu Wörtern zusammenzufügen. Er kann esschaffen. Das weiß ich. Deshalb muss er eszuerst alleine versuchen. Nach einiger Zeitsteht er auf und lacht mich an. „Ich weißjetzt“, sagt er, hängt sich den Fotoapparat ausder Forscherecke um den Hals und geht aufsSchulgelände.

F o t o g r a f i e re den schönsten Löwenzahn,den du finden kannst.

Täglich gibt es solche Situationen. Und wieoft sind wir versucht, den Kindern die kleineAufgabenstellung schnell mal vorzulesen!

Eine Stärkung der Lesekompetenz in derGrundschule bedeutet aber auch, möglichstv iele dieser sich t ägl ich erg e b e n d e nGelegenheiten zum Üben zu nutzen.

Die in der Pisa-Studie getestete Lese-k om petenz ziel t auf d ie Fähigkeit, imAlltagsleben mit Texten unterschiedlicher Art– und dazu gehören Fließtexte, aber auchSymbole, Tabellen, Verzeichnisse usw. – prak-tisch umzugehen. Eine so beschriebene Lese-kompetenz wird besonders im Sachunterrichtgebraucht und muss deshalb in diesem Fachauch besonders gefördert werden.

Es ist das Ziel des Sachunterrichts, denKindern zu ermöglichen, sich ihre Lebenswelt

zunehm end selbstständig zu erschl ießen(Bi ldungsplan Grundschule, RahmenplanSachunterricht).

Dieser Anspruch ist sehr komplex undfordert eine große fachliche und methodischeKompetenz bei der Auseinandersetzung mitnatürlichen, gesellschaftlichen und techni-schen Gegebenhei ten. Dement spre c h e n dvielfältig sind die Darstellungsformen schrift-licher Informationen, die für die Kinder dabeivon Bedeutung sind. Sie müssen lernen, • diese Informationen zu dekodieren, • sie aufgabenbezogen zu bewerten und• sie für den Erwerb und für die Anwendung

ihres Wissens zu nutzen.

Genauso vielfältig sind die Möglichkeitenund die Notwendigkeiten im Sachunterricht,eigene Text e in ganz unterschiedl ichenFormen selbstständig zu verfassen. Auch diesträgt bedeutend zur St ärkung der Lese-kompetenz bei.

Zunächst einmal sind hier für einigeGrundsätze im Schulalltag zu beachten:

• Die Kinder so of t wie m ögl ich anre g e n ,sich mit schri ft l ichen Inf ormat ionen –und seien sie noch so klein – auseinanderzu set zen: d ies aber nicht nur nebenbeiund unverbi ndl ich, sondern imZusammenhang mi t einem Auftrag, derzum Entschlüssel n mot iviert ; so lcheI n f o rm ationen können Hinw eisschi lderauf dem Schulgelände sein, M erkzet tel ,Aufgabenst el lungen im Ta g e s p l a n .

• Dabei und bei al lem Geschriebenen gi l tfür d ie Kinder die Regel: Ich muss zuerstal leine versuchen, den Text zu lesen, erstdann darf ich mir Hi l fe holen.

• M it Arbeitsergebnissen, d ie im Sachunter-r icht entst ehen, ei ne lesef örd e r l i c h eUmgebung in der Schule gest alten: Sokönnen z.B. ein Post er m i t einem Rätselzum Sachunt errichtst hem a (m i t Gewinn-chance!), Infos zu Freizei tangeboten imStadtt ei l , eine Tauschbörse am schwarz e nB ret t „ Suche – b iete“ u.Ä. im Klassen-

Bei „Musa“ oder „Emel“ hättedieser Arbeitsauftrag aber auchein anderes Szenario auslösenkönnen: Ein hilfloses Kind, dasnicht weiß, was es tun soll, undlustlos und untätig herumsitzt.Denn der vorgegebene Arbeits-auftrag ist nicht so einfach zubewältigen, wie es scheint. DasErlesen der Aufforderungbedeutet noch nicht, dieAufgabe zu verstehen. Und dasVerständnis kann an unbekann-ten Wortbedeutungen und anSprachstrukturen scheitern. DerFachbegriff „Löwenzahn“ wirddurch die Zeichnung verdeut -licht, aber die Satzstruktur desImperativs mit einemanschließenden Relativsatz istnicht der all-tagskommunika-tiven Sprache der Kinder ent-nommen. Auch das Adjektiv imSuperlativ ist in seinerBedeutung eventuell nochsprachlich genau zu definieren. Die Lehrkraft muss beiK i n d e rn, deren Erst sprachenicht Deutsch ist , einenBalanceakt vol lziehen zwi -schen dem aufmuntern d e n„ D as kannst du schon al lein !“und einem ebenso bestärken -den „ Da brauchst du nochmeine Hi lf e, das kannst dunoch nicht allein können!“Das Kind, für das der zweit eSatz gi l t, darf n icht zu langdas Gef ühl haben, rat - undhi l flos zu sein, wei l sonst seinI n t e resse an der Aufgabe spür -bar nachlässt. S. Kap. 1, 2, 4.

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raum, auf den Fluren, in der Pausenhal lea t t r a k t i v, also Int eresse weckend präsen-t i e rt w erden. Diese Präsent at ionen müs-sen aber gepflegt, das heißt re g e l m ä ß i gausgewechselt bzw. akt ual isier t w erd e n ,sonst guck t kein M ensch mehr hin!

• Zu jedem Thema einen Büchertisch ein-richten.

Solch e und ähnl iche Grundsätze sindwichtig, um immer wieder zum selbstständi-gen U mgang m i t Geschriebenem auf zu-fordern. Sie allein sichern aber noch nichtden Erwerb der Lesekom petenz, die imSachunterricht gebraucht wird. Deshalb ist esnotwendig, darüber hinaus die Begegnungmit ganz unterschiedlichen Textformen unddie Schulung der M ethoden für ihreErschließung systematisch zu organisieren.

„Es gehören auch anscheinend einfachemethodische Schulungen wie die Benutzungeines Inhaltsverzeichnisses oder die Prüfungder Hinweise im Index eines Buches dazu. (...)Wenn solche Werkzeuge fehlen, bleibt es beider Beschwörung des Zieles >Selbst-ständigkeit<, die sich nicht von allein ein-stellt.“ (Meier 2002, S. 305)

Einige Textformen, die im Laufe der vierGrundschuljahre im Sachunterricht vorkom-m en können, sol len hier vorgestel lt undZugangs- und Übungsmöglichkeiten beschrie-ben werden. Die gewählte Reihenfolge istbeispielhaft zu sehen. Selbstverständlich kannes sich ergeben, dass der Umgang mit einerbest immten Te x t f o rm, z.B . mi t Ta b e l l e n ,nicht wie hier beschrieben erst im 3./ 4.Schuljahr eingeführt, sondern schon im 1.Schuljahr gebraucht wird. Dann muss diem ethodische Schulung auch zu diesemZeitpunkt stattfinden – dem Lesevermögender Kinder angepasst.

Wichtig ist es, alle sich ergebenden Chan-cen zur Förderung der Lesekompetenz so frühwie möglich zu nutzen, mit dem Ziel, damitdas Vermögen der Kinder zu stärken, sich dieWelt zunehmend selbstständig zu erschl ießen.

. . . aber lernen können sie es dabei!

Der Sachunterricht kann den Schriftsprach-erwerb • durch die Einführung und Nutzung von

Bildsymbolen, • durch einfache Pläne und Skizzen, • d u rch „Fachwört e r l e rnen“ als wichtige

G rundlage zum Verständnis von Sach-texten

• und durch motivierende Leseanreize unterstützen und begünstigen.

„Wir lernen uns und unsere Schule kennen“ –das ist das Sachunterricht -Thema in denersten Schulwochen und eine wicht igeVoraussetzung für gemeinsames Arbeiten undSpielen. Also haben alle Kinder ein Namens-schildchen, auf dem auch ein Bildsymbol fürdie Gruppenzugehörigkeit gestempelt ist. Diesist schon in den ersten Tagen häufig Anlassfür Kennenlerngespräche.

An vielen Stellen im Klassenraum findensich Kärtchen mit unterschiedlichen Zeichen:Symbole für das, was die Kinder dort tun kön-nen, für die vielfältigen Handlungsmöglich-keiten in diesem Raum:

ein Stift als Symbol fürs Schreiben .

ein Buch als Symbol für die Leseecke

Zahlen als Symbol für Mathematikmaterialien

eine Lupe für die Forscherecke . . .

Es gibt Symbolkarten für alle Aktivitäten desSchulvormittags: ein Kreis aus Köpfen für denMorgenkreis, Bausteine für die Spielzeit, einBrötchen und eine M i lchflasche für dasgemeinsame Pausenfrühstück.

Bald, w enn die Kinder sich im Klassen-

Für Kinder mi t einer andere nErstsprache als Deutsch stell t

sich die Erschl ießung derLebenswel t nicht nur als eine

fachlich und methodisch komplexe Aufgabe dar, sondern

oft auch als eine ebenso komplexe sprachl iche Aufgabe.

Verstärkt soll ten sie mi t derStrategie der selbstständigenNachfrage vertraut gemacht

w e rden, damit sie sprachl icheHi l fen rechtzeitig bekommen.

Für sie sol lte eher derG rundsatz gelten: Ich muss mirHi lfe holen, anstatt wie für ein -

sprachig aufwachsende: Erstdann darf ich mir Hil fe holen.

Das gi l t besonders für dasVe rfassen eigener Texte. Ohne

h i n reichende sprachliche Mi ttelist das Schreiben von eigenen

Texten nur eine große – zug roße ? – Last für Kinder undw i rd wenig zur Stärkung ihre r

Lesekompetenz beitragen (s. Kap. 4).

Förderung derLesekompetenz sollte fürDaZ-Kinder immer auch

Förderung derSprachkompetenz beinhal-

ten, und zwar auch so frühwie möglich

(s. Kap. 1.2, 2).

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raum auskennen, w ird es eine Liste m i t ver-schiedenen Aufgaben für die Klassen-gemeinschaf t geben, auch hier Symbole fürdie verschiedenen Dienste, dazu Fot os vonden Kindern mit ihrem Namen daru n t e r. Al ldies – die Namensschi lder mit demG ruppensym bol , d ie Beschri ftung derKlassenecken, der Tagesplan, d ie Auf gaben-l iste – sol lte jedoch nicht nur schöneD ekoration sein, sondern immer w ieder mitA u ff o rd e rungen und Auf gabenstel lungenv erbunden werden w ie: • Wer hat in dieser Woche Milchdienst? • Die Schilder der Ecken sind durcheinander

geraten! • M i t welcher Aufgabe v om Ta g e s p l a n

möchtest du heute anfangen?

So lernen d ie Kinder, d ie Symbole zudeuten und für die eigene Orientierung zunutzen.

Die Eigenständigkei t, mi t der sich dieKinder, die ja „noch nicht lesen können“, mitH i l fe dieser Sym bole im Klassenraumzurechtfinden und so ihre Arbeit und ihr Spielschon ein Stück selbstständig organisierenkönnen, ist auch eine Entlastung für dieLehrkraft. Bei der fünften Frage „Wann habenwir heute Turnen?“ ist sie sicherlich gelasse-ner, wenn sie auf den an der Tafel dargestell-ten Tagesplan zeigen kann, als wenn sie zumf ünften M al antworten m uss: „Nach derzweiten Pause!“

Für d ie Ordnung ihrer eigenen Schul-sachen finden die Kinder selber Zeichen oderBildsymbole. Das stärkt ihre Kompetenz imU mgang m i t Sy mbolen und das Sich-zurechtfinden mit ihren Heften, Stiften undBüchern. Damit wird auch das Sammeln undO rdnen, eine weitere M ethode des Sach-unterrichts (vgl. Meier 2003), von Anfang angeübt und mit in die Verantwortung derKinder gelegt. Anders als durch eine vor-gegebene, evtl. von ihnen nicht nachzuvoll-ziehende Ordnung ist durch das selbstständi-ge Stru k t u r i e ren und selbst ständige Kenn-zeichnen ihrer Sachen die Chance vielleichtgrößer, das übliche Chaos im Ranzen und inAblagekörben zu verringern.

Nach der Orientierung im Klassenraum undder Strukturierung der eigenen Schulsachenist die Orientierung auf dem Schulgelände ander Reihe. Die Kinder erforschen die Gebäude,was man in ihnen tun kann und wo gearbei-tet wird. Sie lernen die Menschen kennen, diefür sie wichtig sind und sie erkunden dasGelände: Wo kann man spielen und welcheRegeln gibt es da? Wo darf man nicht sein?

Welche Besonderheiten gibt es an unsererSchule?

Alles Erforschte soll festgehalten werden,soll zueinander in Beziehung gesetzt werden,damit das Ganze sichtbar wird und damit eszur vertiefenden Orientierung genutzt wer-den kann. Ein Plan oder ein Modell wird alsomit den Kindern, vielleicht im Sandkasten inder Klasse, gebaut. Probleme tauchen auf:„Wie können wir zeigen, dass dieses Haus diePausenhalle ist? Wie können wir darstellen,dass im Gebüsch hinter der Turnhalle nichtgespielt werden darf?“ Sie werden diskutiert,und die Kinder finden Lösungen, die ihremeigenen Darstellungsvermögen entsprechen:ein Bi ld, ein Symbol , ein Anlaut (P wiePausenhalle) oder schon das ganze Wort.

Sehr motiviert stehen sie in der nächstenZeit vor ihrem Schulplan und „lesen“ dieInformationen, die sie dort gemeinsam festge-halten haben.

Ein nächster Schritt zur Erweiterung derLesek ompetenz kann im Sachunterr i c h tdurch die Orientierung im Wohngebiet er-reicht werden.

„Hier wohnen wir“ heißt das Thema. DieHäuser aller Kinder werden besucht, die Wegedorthin erkundet, um sich bald nachmittagsalleine besuchen zu können. Dabei üben siedie Orientierung an markanten Gebäuden, anParks, an Brücken, an Straßenschildern. Dasal les w i rd auf einem verg r ö ß e rten St adt-tei lp lan wiedererkannt , gelesen also. DieKinder entdecken dabei Kartenzeichen: einKreuz für die Kirche, der Park ist grün, derkleine See blau gezeichnet.

Erste „Einführung ins Kartenverständnis“also – und nicht erst in der 3. Klasse!

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I n al len Sachgesprächen müssen wir aufB e g r i ff s k l ä rung, auf d ie Einf ührung neuerF a c h b e g r i ffe und auf ihre sachgemäßeVe rwendung acht en. Auch dies von Anfangan. Es d ient der Erw e i t e rung des Wo rt-schatzes und st ärk t somit die Lesekom -petenz, denn Fachwörterkennt nis ist einewicht ige Vorausset zung zum Ve r s t ä n d n i svon Sachtexten.*

Eine gute Möglichkeit für die Kinder, ihrenWortschatz zu erweitern, ist dabei die Arbeitmit „Hosentaschenwörtern“.

Kümmere dich um dein Wort und erzähl unsmorgen, was du darüber herausgefunden hast.

Thema Bäume. Die Kinder haben schonviel über ihren Klassenbaum herausgefun-den. Sie w issen, wie die Teile des Baum esheißen: Stamm, Rinde, Äste, Zweige, Knos-pen, Blätter, Blüten. Nun sol len sie wei tereW ö rt e r, die al le etw as mi t Bäum en zu tunhaben, kennen lernen.

Jeden Tag bekommen immer drei Kinderein Kärtchen mit einem „Baumwort“ – so,dass die anderen Kinder es nicht sehen kön-nen. Sie nehmen es – am besten in der Hosen-tasche – mit nach Hause mit der Auff o r-d e rung, sich darum zu küm mern. N ichtimm er können sie es schon selber lesen. Dannm üssen sie jemanden bi tten, es ihnen vorz u l e-sen. Sich darum kümmern heißt, herausf i n d e n ,was das Wort bedeutet, was es mit dem Baumzu tun hat und es anderen erklären können.Häufig wird so ein Begriff zum Gesprächs-thema für die ganze Familie.

Am nächsten Tag stellen die drei Kinderihre Wörter den anderen im Morgenkreis vor.Die Erklärungen, die sie dazu geben, schreibtdie Lehrerin oder der Lehrer mit undanschl ießend in Schönschri ft auf eineKarteikarte. Das Wortkärtchen wird mit aufdie Kart e gek lebt, und zur wei tere nAuseinandersetzung mit seinem Wort maltdas Kind noch ein Bild dazu. Alle so gestal-teten Kart e i k a rt en w erden an die Wa n dgehängt und ergeben im Laufe der Zeit, wennal le Kinder nach und nach ein Wo rtv o rgestel lt und erklärt haben, ein gro ß e s„Wandlexikon“. Wie oft stehen die Kinderdavor, suchen ihr Wort und die Wörter ihrerFreunde und unterhalten sich als „Experten“mit Wörtern aus der „Baumfachsprache“!

Immer wieder zum Lesen, zur Auseinan-dersetzung mit Geschriebenem anregen – dasist ein täglicher Grundsatz im Schulalltag.Dafür sind Dokumentationen von gemein-samen Erlebnissen und Aktivitäten in derersten Klasse besonders geeignet: • „ R e g e n s p a z i e rgang“ , dokum entiert m i t

den Bildern und den kleinen Texten derKinder auf einem Poster

• „ A u f regende Geschicht en aus unsere rKlasse“ – festgehalten in einem Klassen-tagebuch

• „Unser Laternenfest“ – Fotos, dazu von denKindern geschriebene Bildunterschriften

All das würdigt die Mühe und Arbeit derKinder. Sie sind stolz darauf, ihre Beiträge soschön präsentiert wiederzufinden unddeshalb motiviert, sie immer wieder zu lesen.

Den Fachwortschatz desSachunterrichts einzuführen,

zu erläutern und Bedeu-tungen zu klären, sodass er

von den Kindern sachgerechtverstanden und benutzt wer-

den kann, ist ein zentralesAnliegen des Unterrichts mit

Kindern anderer Erst -sprachen, denn das Fach-

vokabular ist eine Domäneder Schule und kann haupt-sächlich nur dort von ihnen

erworben werden.Es macht aber einen großen

Unterschied, obFachausdrücke auf der Basis

intui tiv beherrschter deutscherStrukturen oder aber aufnoch nicht abgesichertenSprachkenntnissen einerZweitsprache eingeführt

werden. Hier sollten Übungs-formen und Überprü-

fungsmöglichkeiten bereit -gestellt werden, ob jedes

Kind die notwendigenBegriffsklärungen auch tat-

sächlich verstanden hat (s. Kap. 2, 3, 4).

Alle Kinder haben Freude anso ungewöhnlichen Dingen

wie „Hosentaschenwörtern“.Trotzdem ist zu überlegen,

ob die hier vorgestelltenArbeitsformen für DaZ-

Kinder nicht eher eineErschwernis beim Lernen

darstellen. Wenn es in ihrerFamilie niemanden gibt, der

über das notwendigeFachwortwissen verfügt, kön-nen die Kinder ihre Aufgabe

nicht oder eventuell nurfalsch lösen. Beides ist

gleichermaßen misslich. Beisolcher Aufgabenstellung

sollten für alle KinderMöglichkeiten gefunden wer-

den, sich zu informieren,sodass kein Kind sich wegen

seiner familiären Lebens-umstände zurückgesetzt

fühlen muss (s. Kap. 1, 2, 3).

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. . . und auch schreiben. Deshalb bekommendie Kinder m ögl ichst viele Auf gaben-st el lungen und Arbeitsanw eisungen imSachunterricht in schriftlicher Form, und siewerden möglichst häufig aufgefordert, auchihre Arbeitsergebnisse schriftlich darzustellen.Eine Unterr i c h t s f o rm, die dies besondersbegünstigt, ist die Werkstattarbeit.* Hier wer-den zu einem Thema vielfältige Materialien,Anregungen und Arbeitsaufträge in unter-schiedl ichen Te x t f o rm en angebot en. Dase rf o rd e rt von den Kindern große Lesean-strengungen, bietet ihnen viel Lesetrainingund fördert das selbstständige Lernen.

Der Umgang mit Sachtexten im 2. Schuljahrk ann die Lesek ompet enz der Kinderwesentlich steigern, aber nur dann, • wenn sie eine Chance haben, die Texte

auch entschlüsseln und nutzen zu können,d.h. wenn diese ihrem jeweiligen Lesever-mögen entsprechen,

• und wenn sie „Texte und Bilder nutzen“ alseine M ethode im Sachunterr icht (vgl .Meier 2003) durch verschiedene Übungenimmer wieder trainieren können.„Auch die Prüfung eines Textes mit der

Frage nach seiner Ergiebigkeit für ein be-stimmtes Thema oder eine spezifische Frageist eine dieser vorberei t enden Arbei t en.Diesen Text dann zu lesen, im Sinne desWortes zu erschließen und für die gefragteSache auszuwerten, ist eine nicht gerade ein-fache Aufgabe. Sie muss bewusst und überlange Zei t bearbeitet und als Fähigkeitentwickelt werden.“ (Meier 2002, S. 305)

Deshalb sollte mit dieser Aufgabe auchmögl ichst früh begonnen werden. DasAngebot an Sachtexten für Kinder ist für fastalle Themen sehr groß. Es gibt viele schöngestaltete Sachbücher mit informativen Fotosund Texten. Häufig sind diese Texte aber fürLeseanfänger zu schwierig und zu umfang-reich. V iele Bücher haben zudem keinI n h a l t s v e rzeichnis, mi t dessen Hi l f e dieKinder sich im Buch or ient ieren könnt en.Wir m üssen d ie Bücher also, wenn dieKinder sie als Arbei t sm ater ial nutzen sol len,p r ä p a r i e ren. Ei n zu umf angreicher Te x tk ann zum Beispiel durch einen vere i n f a c h-t en und gekürzten ersetzt werden, der aberimm er noch d ie wichtigsten Inform a t i o n e nent häl t . Dieser gekürzte Text wi rd auf eineK a r t e i k a rt e geschrieben und mi te n t s p rechender Sei tenkennzeichnung zumBuch gelegt . Der Or iginal t ex t ist dann ein

Angebot f ür „ lesestarke“ Schülerinnen undS c h ü l e r.

D ie Suche nach einer bestimmtenI n f o rmat ion in einem Buch kann durch einI n h a l t s v e rzeichnis, das in Form ei nesFragenkat alogs f orm u l i e rt ist , sehr er-l e i c h t e rt werden. So können die Kinder ganzgeziel t nach Ant wort en auf ihre Fragensuchen.

Dazu ein Beispiel zum kleinen Buch überMeerschweinchen von J. Reichen:

Man braucht eine Sammlung ausgesuchterkleiner Sachtexte z.B. aus Kinderzeitschriften.Die Kinder wählen sich daraus einen Text aus,der sie besonders interessiert. Sie lesen ihn,überlegen: „Was habe ich Neues, Wichtiges,I n t e ressantes erf a h ren?“, entwerfen Fragendazu, üben das deutliche Vorlesen des Textesund lesen ihn bei Gelegenheit, vielleicht imAbschlusskreis am Ende des Schulvormittags,den anderen Kindern vor. Diese müssen sogut zuhören,** dass sie die anschl ießendgestellten Fragen zum Text beantworten kön-nen. Gut eignen sich dafür auch eigene Texteder Kinder, die bei der Bearbeitung einesThemas entstanden sind. Sie erfahren so nocheinmal eine besondere Würdigung.Diese Übung fördert: • den Erwerb von Sachkenntnissen, • die Fähigkeit, sachbezogene Fragen zu for-

mulieren, • die Vorlesekompetenz und • bei den Zuhörern das Hörverstehen.

Wenn die Kinder, derenErstsprache nicht Deutsch ist,bei der Werkstattarbeit gezieltdie Möglichkeit bekommen, inPartner- und Gruppenarbeit fürihre Lese- und SchreibaufgabenAnregungen, Verbesserungs -vorschläge und sprachlicheHilfe zu erhalten, werden siedie für sie schwierigenAufgaben auch bewältigenkönnen.Für die höheren Klassenstufengilt das in verstärktem Maße(s. Kap. 2, 5).

Mit dem guten Zuhören ist esnur dann getan, wenn manal les verstehen kann, wasgesagt wi rd. Genau das ist aberdas eventuelle Problem beiK i n d e rn mi t einer andere nErstsprache als Deutsch, dasswir als Lehrkräfte und dieKinder selbst nicht sicher wis -sen, ob und was sie al les ver -standen haben. Hier muss dieLehrkraft außero rd e n t l i c hb e h a rrl ich und auch erf i n -d u n g s reich nach We g e nsuchen, die das Te x t v e r s t e h e ne rmöglichen (s. 1 , 2).

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D as Erarbeiten eigener Te x t d a r s t e l l u n g e nträgt, wie schon erwähnt, viel zur Stärkungder Lesekompetenz bei. Hierfür eignen sich abKlasse 2 kurze Textformen wie: • B e o b a c h t u n g s p rotokol le, z.B . vom Ent -

wicklungsprozess einer Blume, von jahres-zeitlichen Ve r ä n d e rungen des Lieb lings-baums,

• eigene Begr i ff s e r k l ä rungen (z.B. für einPferdelexikon),

• E r k u n d u n g s e rgebnisse (z.B. Fre i z e i t m ö g-lichkeiten im Stadtteil),

• Kartei-Seiten nach gemeinsam aufgestell-ten Kriterien („Kleine Tiere auf unseremSchulgelände“).

Der Umgang mit allen bisher eingeführtenTe x t f o rmen wird in beiden Klassenstufenweiter vertiefend geübt und neue Textformenwerden eingeführt.

„Bei der Arbeit an einem Thema empfiehltes sich, die Arbeit mit Texten und Bildernimm er wieder einzuplanen. D ie unter-schiedl ich ent wickel t e Lesefähigkeit derKinder und der sachliche Anspruch der Texteerfordern Zeit und Mühe. Es empfiehlt sich,immer wieder Phasen einzuplanen, in denenindividuel l und gemeinsam an der Er-schließung von Texten gearbeitet wird. Dazusind Arbeitstechniken wie Unt erstre i c h e n ,H e r a u s s c h reiben, Not izen machen (z.B .Fragen notieren), Nachschlagen einzuübenund gezielt zu nutzen.“ (Meier 2003, S. 23)

Ebenso wie im Deutschunterr icht derUmgang mit dem Wörterbuch systematischeingeübt werden muss, müssen die Kinderauch im Sachunterricht lernen, mit Nach-schlagew erken umzugehen: mit Bestim -m u n g s b ü c h e rn, Schüler lexika, K inder-Suchmaschinen u.Ä. Dabei werden grundle-gende Fähigkei t en wie alphabetischeReihenfolge beachten, Schlagwörterverzeich-nisse nutzen und geziel t es, aufgabenbezo-genes Recherchieren trainiert. Entscheidendfür erf o l g reiches Arbei ten und f ür eineStärkung dieser Methodenkompetenzen istauch hier wiederum die Kompatibilität vonLesefähigkeit und Text.

„Kinder brauchen in ALLEN SchuljahrenL e h rer Innen, (...) d ie sich um dre i e r l e ibemühen: • sich zu verg e w i s s e rn, welche Lese-

fähigkeiten sie voraussetzen können, • die Leseanforderungen den Fähigkeiten der

Kinder anzupassen, • sich nicht abzufinden mit Rückständen,

s o n d e rn für die Entwicklung der Lese-fähigkeiten zu sorgen.“ (Andresen 2002, S. 141)

Den sehr unt erschiedl ichen Lesefähig-keiten in diesen beiden Klassenstufen mussalso Rechnung get ragen werden. MancheKinder brauchen Unterstützung, anderebrauchen Herausf ord e rungen zur wei t ere nEntwicklung ihrer Lesefähigkeit.

Deshalb müssen wir bei der Arbeit mitNachschlagewerken die Auf gaben dif f e re n-ziert stellen und Hilfe anbieten. Solche Hilfekönnen et wa gelei tet e Aufgabenstellungensein, die besonders bei der selbstständigenI n f o rm a t i o n s b e s c h a ffung der Kinder ausumfangreicheren Büchern, aus dem Internetoder auf CD-ROMs sinnvoll sind. Die Kinderw e rden dabei durch gezielte Fragen oderAnweisungen unterstützt. So wird besondersbeim Umgang mit den neuen Medien einq u a l i f i z i e rtes Erlernen dieser Te c h n i kg e f ö rd e rt und eine Zei t raubende,abschweifende Suche verhindert.

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Bei vielen Sachunterricht-Themen ergibt essich, dass die Kinder über längere Zeit Datensammeln, diese vergleichen, mit den Datena n d e rer in Beziehung set zen und sieauswerten. Dafür sind Tabellen nützlich. DerWeg zum Tabel lenlesen geht über dasm o t i v i e rende eigene Tabel lenanlegen. EinBeispiel:

Übersichtlich dargestellte Daten erleichternden Vergleich. So macht es Sinn, die Kinderim Zusammenhang mit solchen Aufgabenauch in die grundlegenden Ta b e l l e n-f unktionen des Wo rd - P rogramm s einzu-führen.

Wann immer sich eine Gelegenheit ergibt –und es sind im Laufe von vier Schuljahrenviele – sollten diese Fähigkeiten geübt wer-den. Voraussetzung für ein kontinuierlichesTraining dieser und aller anderen Textformen,die im Sachunterricht vorkommen, ist aller-dings eine Grundausstattung in jeder Klasse.Wenn die Kinder mit brennenden Fragenetwa zu Beobachtungen auf ihrem Schulweg,zu aktuellen Ereignissen (Erdbeben, Vulkan-ausbruch, Sonnenfinsternis…) in die Schulekommen, dann sollten sie auch möglichstzeitnah nach Antworten suchen können. DasVertrösten auf spätere Gelegenheiten lässt dasInteresse verblassen und eine motivations-reiche Situation ungenutzt verstreichen. DieKinder brauchen also neben den M ög-l ichkei t en handelnd zu f orschen, z.B. anExperimentiertischen in den Klassen oder ineiner Sachunterricht werkst att der Schule,auch eine „Handbibliothek“ bestehend ausS a c h b ü c h e rn für Kinder, Lexika und Be-stimmungsbüchern. Und sie brauchen dieM ögl ichkei t , sich jederzeit auf einem Stadt -

teilplan, auf dem Stadtplan von Hamburg, aufeiner Deut schlandkart e, Euro p a k a rte undWeltkarte orientieren zu können. Eine solcheGrundausstattung für die Klassen ist leidernoch nicht in allen Schulen vorhanden. DerSachunterricht sollte aber wenigstens bei derLehr- und Lernmittelverteilung im gleichenM aße bedacht w erden wie d ie andere nFächer.

Viel fäl t ige Te x t f o rmen sind dam it imSachunterricht eingeführt und der Umgangmit ihnen ist geübt worden. Nun gilt es, dieerworbenen Kompetenzen der Kinder auch zunutzen, d.h. ihnen die Anwendung ihre sWissens in authentischen Sit uationen zuermöglichen, z.B.: • die Bahnverbindungen für den Ausflug ins

Museum aus dem Streckenplan des HVVheraussuchen

• „Wie kommen wir vom Bahnhof Blanke-nese ins Treppenviertel?“ – den Weg imStadtplan finden

• „ Welche Informat ionen b iet et unswww.sachunterricht-online.de zum The-ma Feuerwehr?“

• Tabellen zum Strom- oder Wasserverbrauchder Schule anlegen

Solche Aufträge geben dem Erwerb derLesefähigkeiten erst einen Sinn und fördernden praktischen und selbstständigen Umgang

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mit unterschiedlichen Textformen in realenAlltagssituationen. Genau diese Lesekompe-tenz hat PISA getestet.

„ Z u rech t wird in der angelaufenenDiskussion nach PISA… die kritische Frage anunsere Schule gestellt, ob unsere Kinder undJugendlichen im Unterricht wirklich lernen,

selbstständig und problemorientiert schrift-liche Texte zu nutzen.“ (Spinner 2002, S. 93)

Eine Schule, die sich in der dargestelltenWeise oder ähnlich im Sachunterricht um dieFörderung der Lesekompetenz bemüht, würdedazu wohl ein Stück beitragen können.

Bildungsplan Grundschule, Rahmenplan Sachunterricht, Hamburg.

Andresen, U. „Wenn Kinder nicht „rechtzeitig“ lesen gelernt haben“, in: Sprachliches Handelnin der Grundschule.

Meier, Richard. 2002. Freie Arbeit im Sachunterricht. In: Drews, U., Wallrabenstein, W. (Hrsg.).Freiarbeit in der Grundschule, Frankfurt a.M.

Meier, Richard. 2003. „Methoden im Sachunterricht“. In: Grundschule Sachunterricht, Heft 18.

Reichen, J. „Meerschweinchentext.“ In: Heimtiere.

Spinner, Kaspar H. 2002. „Kann man Leseleistung messen?“ In: Sprachliches Handeln in derGrundschule.

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D ie kindl iche Lese-Schre i b s o z i a l i s a t i o n(»early l i teracy«) beginnt in der Fami l ie.E l t e rn schauen mit ihren Kindern Bi lder-bücher an und f ühren vor lesebeglei tendeD ialoge, die eine spezi fische I nteraktions-struktur aufweisen. So gilt Vorlesen als kom-p r i m i e rteste Spracherw erbssituat ion über-haupt. Entsprechend bezeichnet Hurrelmann(1994) den Umgang mit Kinderbüchern als„Schaukelstuhl“ zwischen Mündlichkeit undSchriftl ichkei t. K inder entdecken beimBetrachten von Bilderbüchern Bezüge zwi-schen Erlebtem und Abgebildetem (»Dekon-textualisierung«). Und in (oftmals ritualisier-t en) Sing- und Sprachspielen lernen siezudem, Sprache unter formalen Kriterien zubetrachten, w obei sie beim Vor lesen aufGemeinsamkei t en und Unt erschiede zwi -sc h e nmündlicher und schriftlicher Spracheaufmerksam werden. Eine alltägliche Schrift-verwendung in der Familie hilft den Kindernalso, die Funktion und den Gebrauchswertv on Schr i ft zu erkennen und somitSchriftnutzung als Sinn stiftend zu erleben.

Das Ausmaß der frühen literalen Erleb-nisse, in denen Bücher dem einzelnen Kindpersönl ich bedeut sam werden, bestimmtdaher die Einstellung des Kindes zur Schriftmaßgeblich. Aus zahlreichen Untersuchun-gen mit Kindern, Jugendlichen sowie lese-und schreibunk undigen Erwachsenen istbekannt, dass M enschen mit gro ß e nP roblemen im Schri f tspracherw erb d iesefrühen literalen Erfahrungen nicht gemachthaben und sie auf Grund ihrer nur sehr geringausgeprägten Lese- und Schreibkompetenzendie Funktion von Schrift für sich nicht nutzenk onnt en (daher auch der Begri f f »funk-t ionaler« Analphabet ism us)1. M angelndeErfahrungen mit Sprache und Schrift sowie –infolgedessen – eine gering ausgebildete pho-nologische Bewusstheit gelten nach heutigemErkenntnisst and als bedeutendst e Risiko-f a k t o ren innerhalb des komplexen Be-dingungsgefüges des Schriftspracherwerbs.

Nun ist Schrift nicht gegen die Alltagsweltder Kinder durchsetzbar (Dehn 1996). Darauslassen sich prinzipiell mehrere pädagogisch-didaktische Schlüsse ziehen:1. Es gi l t, d ie schul ische Al l t agsw el t der

Kinder literal zu gestalten (Bambach 1989)und so d ie Tei lhabe an »element are rSchri f tkultur« (D eh n 1996) in denMittelpunkt des Unterrichts zu stellen, umden Kindern l i terale Erf a h rungen zuermöglichen, denen sie in ihrer vorschuli-schen Sozialisation verschlossen blieben2.Bewährt hat sich ferner eine enge Zusam-m enarbeit von Schule und B ib liothek(Milhof fer 1991).Im weiterführenden Lese- und Literatur-unterricht hat sich eine handlungs- undp ro d u k t i o n s o r i e n t i e rte M axime (Haas/Menzel/Spinner 1994) durchgesetzt, die esermöglicht, Kinder auch mit ihren persön-l ichen Gefühlen und Erf a h rungen anLiteratur Anteil haben zu lassen und Textesomit persönl ich sinnvol l w erden zulassen.

2. Diese schulischen Bestrebungen könnenihre Wirkung am besten dann entfalten,wenn ihre Inhalte bei den Kindern auf» f ru c h t b a ren Boden« fal len, sodass dieKinder an bisherige Erfahrungen anknüp-fen können. Insofern wäre es wichtig, be-reits vor der Schule Wert auf literale Er-fahrungen zu legen. Umgang mit Büchernwar schon immer Bestandteil von elemen-tarpädagogischer Arbeit (St if tung Lesenu.a. 1998), ebenso wie ritualisierte Sprach-und Singspiele, die eine wichtige Funktionf ür d ie metasprachl iche Ent wick lunghaben. Der gezielte Einbezug von Schrifthingegen w i rd häufig als »Schulvor-bereitung« verdammt, während insbeson-dere sozial-emotionale Ziele betont werden(Kretschmann 2003). Dabei könnte Schriftals Visualisierung der ansonsten flüchtigenLaut sprache Kindern helfen, ihre Auf-merksam kei t zunehm end von der

1 In Abgrenzung zum natürlichen, primären An-Alphabetismus, der wörtlich übersetzt bedeutet, dass jemandnicht des Alphabetes kundig sei. Davon kann bei den betroffenen Menschen, die jahrelang eine Schulebesucht haben, nicht die Rede sein (vgl. zum Thema: Döbert/Hubertus 2000, Hubertus/Nickel 2003, Egtoff 1997).

2 Das Prinzip der Sel ekt ion von Kindern mit geringen li teralen Erf a h rungen und deren Separierung auf Sonder-schulen muss angesichts der erwiesenen Ineffizienz von Sonderschulmaßnahmen (Wocken 2000) - für die eseine Reihe systemischer Gründe gibt - als nicht angemessen und kontraproduktiv angesehen werden.

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Bedeutungsebene der Sprache auf die laut-liche Ebene zu richten1 (Osburg 1997) undzudem ein Schriftbewusstsein auszubilden.Erste Ansätze hierzu sind mittlerweile zuerkennen (Ulich 2003, Tenta 2002).

3. Da Kinder nur eine begrenzte Zeit in insti-tutionellen Lernarrangements verbringen,w ä re es angebracht, den Interv e n t i o n s-horizont weiter zu ziehen und das famili-äre Wirkumfeld von Kindern stärker in denBlick zu nehmen. Eine frühe Interventionist angezeigt, w ei l aus diversen Unter-suchungen hinlänglich bekannt ist, dassdie Gruppe der bei Schuleintri tt schwächstenSchülerinnen und Schüler ihre re l a t i v ePosition beibehalten bzw. der Unterschiedzu der Gruppe der durc h s c h n i t t l i c h e nSchülerinnen und Schüler oft noch größerwird (Helmke 1997). Dieser Effekt wird oftals »Matthäus-Effekt« (»Wer hat, dem wirdgegeben«) bezeichnet: Alle Schülerinnenund Schüler verbessern ihre Fähigkeiten,aber die Schülerinnen und Schüler mi t re l a-tiv hohen Kompetenzen pro f i t i e ren wesent-lich stärker vom schul ischen Angebot alsa n d e re: Die Leistungsschere öffnet sich. Auseiner Reihe von Unt ersuchungen ist fern e rbekannt , dass präventive bzw. interv e-n i e rende Maßnahmen dann am eff e k t i v s t e nsind, wenn sie (a) mögl ichst früh einsetzenund (b) mögl ichst lange, also bis in dieSchulzeit hinein, durc h g e f ü h rt werd e n .

Dieser Zusammenhang ist in den angelsäch-sischen Ländern schon längst erkannt wor-den. Auch hier zu Lande w urden ersteProgramme aufgelegt, die gezielt soziokul-turell benachteiligte Familien in den Blicknehmen. »Mama lernt Deutsch (Papa auch)«ist an Eltern mit M igrationshinterg ru n dgerichtet und soll ihnen helfen, ihre Kinderbesser bei der schul ischen Integration zu

unterstützen. Solche reinen Elternbildungs-maßnahmen wurden in letzter Zeit erweitertum Programme, die sowohl Eltern als auchihre Kinder einbeziehen.

»HIPPY« richtet sich ebenfalls an Elternmit Migrationshintergrund. In einem zwei-jährigen Hausbesuchsprogramm w erd e nM üt ter durch geschul t e Laienhel ferinnenangeleitet , tägl iche Aktivitäten m i t Bi lder-büchern oder Arbeitsblättern durchzuführen.Die m i ttlerwei le recht große Ve r b re i t u n gdieses Programms spricht für seinen Erfolg.

»Opstapje« wird zurzei t evalu iert , dochzeichnet sich auch hier ein ähnlicher Erfolgab. Dieses Programm richtet sich an Elternund ihre 2-4jährigen Kinder aus Familien inbelasteten Lebenslagen. Dies schließt explizitsozial benachteiligte Familien ohne Migra-t i o n s h i n t e rg rund ein. Auch hier w ird einzweijähriges Hausbesuchsprogramm durchge-f ü h rt. Geschul te Laienhel fer innen (M ütteraus der Zielgruppe) stel len altersgere c h t e ,a n regende M aterial ien bereit und zeigenmodellhaft entwicklungsfördernde elterlicheVerhaltensweisen auf. Die Ziele richten sichauf eine Stärkung der el t er l ichen Er-ziehungskompet enz, die Ve r b e s s e rung derE l t e rn-Kind-I nteraktion und auf die För-derung der kognitiven, motorischen, sozialenund emotionalen Entwicklung der Kinder.

Keines der Programme jedoch legt seinenSchwerpunkt auf Sprach- und Litera-l i t ä t s f ö rd e rung. Solche fami l ienzentriert e nLiteralitätsprogramme sind hingegen unterdem Oberbegriff »Family Literacy« in denUSA und Großbritannien weit verbreitet. DieVielzahl von Variationen solcher Programmeist schier unüberbl ickbar, die Eff i z i e n zvielfach beschrieben. Entsprechend der vielenVariant en unterscheiden sich auch derk o n k rete Aufbau und die Zielsetzung dereinzelnen Projekte zum Teil beträchtlich. Dert h e o retische Hint erg rund sowie die wis-senschaftlichen Forschungsergebnisse dieserProgramme in den angelsächsischen Ländern

1 In jüngster Zeit werden Trainings der phonologischen Bewusstheit populär (Küspert/Schneider2000). Trotz der erwiesenen Erfolge im statistisch-psychologischen Sinne (Schneider et al. 1998;2000) wird vor allem aus (sprachheil-)pädagogischer Sicht (Schmid-Barkow 1999) Kritik geübt.Trainings zur phonologischen Bewusstheit reduzieren metasprachliche Entwicklung auf den metaphonolo-gischen Aspekt. Andere Aspekte bleiben unberücksichtigt,

• bleiben als Handlungen, in denen metaphonologische Operationen gefördert werden ohne subjektiveBedeutung für die schriftsprachliche Tätigkeit. Der einzige Sinn, Phoneme aus dem kontinuierlichen Stromder Lautsprache zu isolieren, ist, den alphabetischen Aufbau der Schriftsprache zu erfassen, Sprache somit zuverschriften und die eigenen Handlungskompetenzen erweitern zu können,

• bewerten die Lese- und Schreibtätigkeit als technische Angelegenheit (-Kulturtechnik-) und blenden die Rolleder Teilhabe an Schriftkultur aus. Dass die technische Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht automatischzur kompetenten Nutzung dieser Fähigkeit führt, belegt u.a. ein Detail der PISA-Studie (Baumert et al. 2000),nach der 42 Prozent der befragten Jugendlichen nie zum Vergnügen lesen. Einen derart hohen Anteil vonLeseunlust konnten die PISA-Forscher in keinem anderen Land finden.

Zudem kann die diesbezügliche Forschung leider keine Daten zum Einfluss literaler Erfahrung anbieten. Es ist zuvermuten, dass Kinder aus literal geprägten Familien stärker von einem Training der phonologischenBewusstheit profitieren können als Kinder ohne Schrifterfahrungen.

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sind stärker entfaltet in Nickel (2004 i.V.). Andieser Stelle soll der Fokus auf die praktischenInhalte derartiger Programme begrenzt wer-den.

Mit »Family Literacy« kann prinzipiell derGebrauch l i t eraler Praktiken, d ie Zusam-menarbeit von Schule und Familien, oder eskönnen generat ionsüberg rei fende Interv e n-tionsprogramme gemeint sein. Die folgendenA u s f ü h rungen w erden sich auf letztere sbeziehen, also auf die übergreifende Arbeit.Z i e l g ruppe des Ansatzes sind El t ern mitgeringer formaler Bildung und/oder negati-ven Schulerfahrungen samt ihrer Kinder imVorschulalter. Für diese Familien – so dieErfahrung – wirkt Family Literacy häufig als„bridge to literacy« »from generation to gene-ration«.

Das Charakteristische an Family-Literacy-Programmen ist ihr Aufbau in drei Teilen:• In den Sitzungen mit Eltern verbessern die

E l t e rn ihre eigenen Gru n d b i l d u n g s-kompetenzen. Zudem erhalten sie Infor-mationen darüber, wie ihr Kind in sprach-licher und literaler Hinsicht lernt und wiesie dieses Lernen unterstützen können. Inden Elternsitzungen bereiten die Eltern daswöchentliche gemeinsame Treffen vor.

• In den Sitzungen mit Kindern wird derSchwerpunkt auf sprachliche, kreative undliterale Aktivitäten gelegt.

• In den gemeinsamen Sitzungen führen dieEltern lern- und entwicklungsförderlicheAktivitäten mit ihren Kindern durch. DieKursleiterinnen sind dabei supervisorischtätig. In den kommenden Sitzungen mitEltern werden die gemachten Erfahrungenreflektiert.

Im Wesentlichen basiert Family Literacyauf drei Säulen für zwei Generationen, diek ooperativ miteinander und am gemein-samen Gegenstand tätig werden. Dabei bringtf a m i l i e n o r i e n t i e rte Li teral isierung Elem enteaus Vorschulpädagogik, Erwachsenenbildungund Elternbi ldung zusam men, entf al t etjedoch durch seinen generationsübergreifen-den, systemischen Charakter eine höhere

Qualität als jede dieser einzelnen Komponen-ten für sich getrennt. Die konkrete Praxis vonFamily Literacy könnte beispielhaft wie folgtaussehen, wobei eine Reihe weiterer Bereichedenkbar ist:1

• In der »Elternsitzung« erfahren die Elterndie Bedeutung von kreativen Aktivitätenfür die kindliche Entwicklung. Dabei wer-den sie mit einer Reihe kre a t i v e rArbeitsweisen vertraut gemacht wie z.B.M alen, M odel l ieren, Anf er tigen vonCollagen etc. Es wird besprochen, wie dieseAktivitäten einfach und kostengünstig zuHause durchgeführt werden können.

• In der »Kindersitzung« werden die Kinderermutigt zu experimentieren. Ihnen wirddie Möglichkeit gegeben, möglichst vieleGeräte, Werk zeuge und M at er ialenauszuprobieren.

• In der »gemeinsamen Sitzung« probierenEltern etc. kreative Aktivitäten zusammenmit den Kindern aus.

• D ie »El ternsi tzung« dient dazu, diegesellschaftliche Bedeutung der Schrift impersönlichen Umfeld zu erkennen. Es wirdgemeinsam erarbeitet, an welchen Stellenim persönl ichen Al ltag Lesen undSchreiben eine Rolle spielt oder spielenkönnte.

• D ie »Kindersi tzung« sol l den Kindernhelfen, sich der Sprache und der Schrift ini h rer Umwel t bewusst(er) zu werd e n .Beispielsweise werden mit Hi l f e einerEinkaufsliste die Namen der Lebensmittelerarbeitet. Dabei können Geschmack unddie Beschaffenheit der Lebensmittel verbalbeschrieben werden.

• Die »gemeinsam e Si tzung« könnte auseinem Einkaufsgang best ehen, bei demEltern zusammen mit ihren Kindern ver-schiedene Lebensmittel auf der Grundlageeiner gem einsam erstell t en Einkauf sl istebesorgen und probieren. Auf dem Wegzum Supermarkt k önnten Schi lder,Symbole und Straßennamen aufmerksam

1 Die folgende Übersicht geht partiell zurück auf die Zuarbeit von Yvonne Zirra und Markus Rahde, beideStudierende an der Universität Bremen. Vgl. auch: Brooks et al. 1996, NCFL 2000 sovle: The Basic SkillsAgency (o.J.). Developing Family Literacy. Four 30minute Training Programmes for Teachers (Video),London. Weitere Bereiche könnten sich beispielsweise auf die sprachlich-kommunikative Entwicklung (z.B.durch den Einsatz von Handpuppen), die Entwicklung des Wortschatzes, die Entwicklung von Weltwissenoder die indviduelle Entscheidungsfähigkeit richten.

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betrachtet werden. Alternativ bietet sichdie Erkundung der Schriftvielfalt in derNähe der häuslichen Wohnung oder/undauf dem Weg zum Kindergarten an.

• In der »El t ernsitzung« erf a h ren El t ern ,welche Spiele w elche speziellen Fert i g-keiten fördern können und wie diese Spielesowohl im Kindergarten bzw. in der Schuleals auch zu Hause durchgeführt werdenkönnen.

• In der »Kindersitzung« liegt der Fokus aufsozialen Fertigkei t en, die zum Spielenbenötigt werden. Dazu zählen beispiels-weise: teilen können, gewinnen und ver-l i e ren können, mit einer mögl ichenWendung der Spielsituation umgehen kön-nen usw.

• In der »gemeinsamen Sitzung« betrachtenEltern und Kinder eine Reihe von Spielenfür zu Hause oder für den Schulgebrauch,um später einige dieser Spiele gemeinsamauszuprobieren.

• Die »Elternsitzung« soll den Eltern zu einerBewusstseinsbi ldung bezügl ich der Be-deutung regelm äßigen Vorlesens bzw.Betrachtens von Bi lder- und Kinder-büchern dienen. Sie können somit einenÜberblick über das Angebot an Kinder-b ü c h e rn und -kassett en erhalten unddadurch die Möglichkeiten erkennen, diesich ihnen und ihren Kindern bieten.

• Die »Kindersitzung« macht die Kinder miteiner Bibliothek vertraut; sie können sichd o rt Bücher anschauen oder mit nachHause nehmen. Ziel ist es, einer Geschichtezuhören zu können, sie nacherzählen zukönnen oder einen möglichen weiterenVerlauf antizipieren zu können.

• Die »gemeinsam e Sitzung« können dieEltern nutzen, um mit ihren Kindern eineBücherei zu besuchen. Dort können sieeine Reihe von Büchern und Kassettenbetrachten und einer Geschichte zuhören,die von der Bibliothekarin vorgelesen wird.Vorlesebegleitende Dialoge werden modell-haft erlebt. Natürlich können die Elternauch selbst vorlesen oder sich Bücher zumVorlesen mit nach Hause nehmen.

• In der »Elternsitzung« erfahren die Elterndie Wicht igkeit der einzelnen Entwick-

lungsstufen des Schriftspracherwerbs. DieEltern lernen Mittel und Wege kennen, wiesie ihre Kinder auf ihrem jew ei l igenEntwicklungsniveau unterstützen können.F e rner gewinnen die Eltern einenÜberblick über eine Reihe von Materialienund Akt ivi tät en, w elche die Schre i b-fertigkeit ermutigen und unterstützen, wiebeisp ielsw eise: Um gang mit Schere n ,Kreide, Farben, Filz, Zeichenstiften jederA rt , Gemälden, Bi ldern, Geschicht en,Reimen, Liedern etc.

• In der »Kindersitzung« verfassen Kindererste »Br iefe« und können m i t al lenmöglichen Materialien ihre gestalterischenQual ität en ent wick eln; durch Bast eln,Schneiden, M alen usw. entwickel t sichzudem ihre Fingerfertigkeit.

• In der »gemeinsamen Sitzung« können dieEltern mit Kindern verschiedene Aktivi-täten aus dem Bereich des Malens und desfrühen Schreibens auspro b i e ren. Dabeierkennen sie die jeweiligen Entwicklungs-niveaus ihres Kinder.

Auch d ie Stif tung Lesen re s ü m i e rt: „»DieEltern unterrichten und die Kinder erreichen«ist ...p der zurzei t Er folg verspre c h e n d s t eAnsatz zur Ve r b e s s e rung der Lese- undSchreibkompetenz in breiten, sozial benach-teiligten Bevölkerungsschichten“ (Franzmannu.a. 2002, 186).

Die angelsächsischen Erf a h rungen mitdem familienzentrierten Ansatz zeigen, dassFamilienprogramme sinnvoll an bestehendeBildungsinstitutionen (Kindergarten, Schule,E rwachsenenbi ldung) angebunden werd e nkönnen. Die Ergebnisse ermutigen, diesenBereich systematischer und auf eine möglicheAdaptation hin zu untersuchen. Es bleibt zuhoffen, dass diese Aktivitäten in ein größeresForschungs- und Modellprogramm münden.

Daneben wäre es wünschensw ert, dassschul ische Einr ichtungen die Bedeutungdieses Ansatzes für sich erkennen und ihn imRahmen ihrer Möglichkeiten, also auf lokalerBasis, praktizieren. Erste eigene Ansätze lassensich in Hamburg sowie in Graz vernehmen.Auf wissenschaft l icher bzw. bi ldungspol i ti -scher Ebene finden diese Aktivitäten ihreE n t s p rechungen in Auffassungen derUniversität Bremen und des BundesverbandesAlphabetisierung.

I n s b e s o n d e re f ür Schulen in sozialenBrennpunkten bietet sich eine Einbindungfamilienorientierter Bildungsarbeit in das je-weilige Schulprogramm an. Wenn es möglichist, die Chancen auf B i ldungst ei lhabesoziokulturell benachteiligter Kinder durch

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eine Veränderung ihrer Alltagswelt zu ver-g r ö ß e rn, dann sol lte überlegt werden, inwelcher Form Schule zur Bildungsinstitutioneines Stadtteils werden kann. Dabei soll nichtverschwiegen werden, dass die Erfahrungenmit ähnl ichen Ansät zen auch Gre n z e naufzeigen, z.B. wenn ökonomische, psychi-sche und soziale Probleme der Familien sosehr kum ul ieren, dass an dieser Stel leMaßnahmen der Sozialarbeit und der psy-chotherapeutischen Unterstützung notwen-dig wären. Gleichzeitig gi l t es, d iesesozialpädagogische und -therapeut ischeArbeit stärker mit schulischer Bildungsarbeitzu verknüpfen.

Es könnte sinnvo ll sein, El ternbi ldung hier zuLande als or iginäre Aufgabe staat l icherBi ldungsinstitutionen zu sehen. Generel l bedarfes dazu meiner Ansicht nach einer gru n d l e g e n-den Änderung in Richt ung einer „famil ienzen-t r i e rten Bildungspol i ti k“ (Achenbach 2003)und damit einer Änderung der gesamtge-sellschaftlichen Auffassung von Schule. Ineiner solchen Auffassung könnte sich Schule –mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet –für alle Menschen in ihrem Einzugsgebietzuständig fühlen und sich als Lern- wie auchals Lebensmittelpunkt eines Stadtteils odereiner Kommune begreifen.

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