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DIE LINKE. im Rat der Stadt Bonn www.linksfraktionbonn.de © Nikolas Müller, nikolas.mueller.art

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Viva Viktoria - was bleibt?

Erfolgsgeschichte eines Bürgerbegehrens

DIE LINKE. im Rat der Stadt Bonnwww.linksfraktion­bonn.de

© Nikolas Müller, nikolas.mueller.art

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mit einem in Bonn seit langer Zeit erst­

mals wieder erfolgreichen Bürgerbegeh­

ren sorgte die Initiative Viva Viktoria für

Furore. Sie stoppte die Pläne des Inves­

tors SIGNA. Eine Shopping­Mall im

Viktoriakarree? Das wollten zehntausen­

de Bonnerinnen und Bonner nicht, was

auch eine knappe Mehrheit im Stadtrat

beeindruckte. Heute sieht man, dass der

Kampf um die Entwicklung des Viertels

noch andauert: die Leerstandspolitik der

SIGNA zwang jüngst die Kultkneipe

Blow Up zur Aufgabe – als vorerst letztes

einer ganzen Reihe von Geschäften, de­

nen durch die SIGNA der Pachtvertrag

nicht verlängert wurde.

Verantwortlich hierfür sind nicht die

Aktivisten von Viva Viktoria, sondern al­

lein der „Investor“, der rücksichtslos die

eigenen Interessen durch aggressive Leer­

standspolitik durchsetzt. So soll wohl der

Boden bereitet werden, um die eigenen

Mallpläne später unter Verweis auf den

Leerstand wieder reaktivieren zu können.

Das verlangt weiter Widerstand! Von

Stillstand im Viertel kann derweil bei al­

lem Entwicklungsbedarf keine Rede sein,

wie etwa das Fiesta Viktoria­Event zeigt.

Zugleich gilt es, die gemachten Fehler

bei Politik und Stadtverwaltung aufzuar­

beiten. Hier wurden von Anfang an die

Weichen der Stadtentwicklung falsch ge­

stellt. Die Linksfraktion war zunächst die

einzige Stimme im Stadtrat, die schon bei

der Aufstellung des Bebauungsplans

großflächigem Einzelhandel eine Absage

erteilte und dem eine eigene Vorstellung

für die Zukunft des Karrees entgegen­

setzte: ein vielfältiges Miteinander von

innerstädtischem Wohnen, kleinflächi­

gem Einzelhandel, gastronomischen An­

geboten, kultureller wie universitärer

Nutzung und historischem Gedenken.

Nach und nach kamen Grüne und

schließlich in einer Last­minute­Ent­

scheidung auch die SPD zu dem Schluss,

dass eine Shopping­Mall mehr schadet als

nutzt. Tatsächlich stehen Malls für an­

onymen Kommerz, für fantasielose und

uniforme Stadtentwicklung, die Kom­

munen ihren spezifischen Charakter

nimmt.

Angesichts der Stilllegung des Viktoria­

bades schon vor über sechs Jahren kam

der Kurswechsel des Stadtrates spät, aber

nicht zu spät. Dass es hierfür erst des

Aufbegehrens von Viva Viktoria bedurfte,

ist für uns Grund zu fragen: Viva Vikto­

ria – was bleibt? Welche Lehren können

wir aus diesem erfolgreichen Begehren

ziehen, sowohl konkret in unseren Forde­

rungen an eine ausgewogene und kreative

Liebe Leserinnen und Leser,liebe Bonnerinnen und Bonner,

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Der Verein Viva Viktoria e.V. wurde

nach Beginn des Bürgerbegehrens im

Herbst 2015 gegründet. Der Verein er­

gänzt als anerkannte „juristische Person”

die gewachse­

ne, nicht for­

malisierte

Initiativstruk­

tur, um die fi­

nanzielle Seite

des Bürgerbe­

gehrens korrekt abwickeln zu können.

Im Januar 2016 haben wir uns entschie­

den, den Verein als solchen zu erhalten

und bis zum Sommer 2016 um eine

„Fördermitgliedschaft” zu erweitern.

Der Vereinszweck besteht in der Förde­

rung und Gestaltung einer bürgernahen

Stadtentwicklung. Dabei genießt das

Viktoriaviertel weiter Priorität, unser

Engagement endet aber nicht an den

Grenzen des Blocks. Wir wollen, dass

die Stadt Bonn ihre eigenen Leitlinien

zur Bürgerbe­

teiligung ernst

nimmt und

zukünftig ak­

tiv umsetzt.

Stadtent­

wicklung für

Menschen geht nicht ohne diese Men­

schen – sondern nur mit ihnen!

Als Fördermitglied kann jede/r unsere

Arbeit unterstützen. Infos und Anträge

unter www.viva­viktoria.de.

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Zum Verein

Stadtentwicklung im Viertel als auch für

den Prozess einer konsequenten Bür­

ger/innenbeteiligung allgemein?

Wir freuen uns, dass der zwischenzeit­

lich gegründete Verein uns und Ihnen auf

den folgenden Seiten seinen Weg nach­

zeichnet – von den Anfängen als loser

Zusammenschluss von Geschäftsinhabern

im Viertel bis zur schlagkräftigen Gruppe

von Aktivist/innen – und auch Schluss­

folgerungen vorschlägt. Viva Viktoria hat

es vermocht, gegen große Widerstände

Kommunalpolitik, Stadtverwaltung und

potenten Wirtschaftsakteuren Grenzen

aufzuzeigen und zugleich vielen auch

jungen Bonner/innen das Erlebnis zu

vermitteln, dass Engagement und Aufbe­

gehren für das Gemeinwesen tatsächlich

etwas bewirken kann. Dieser Erfolg bleibt

und macht hoffentlich in Bonn weiter

Schule.

Dr. Michael Faber, Fraktionsvorsitzender

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Als ich vor neun Jahren von Köln nachBonn ins Viktoriaviertel zog, war ich be­geistert: Die Lektüre der städtischen Zei­tung versprach tolle städtebaulicheAkzente, die ich in Köln zu vermissen ge­lernt hatte: der neue Bahnhofsvorplatz,ein neues Festspielhaus und das allesüberstrahlende WCCB erzeugten einendynamischen und zukunftsorientiertenersten Eindruck, der mir den Abschiedaus dem geliebten Ehrenfeld etwas er­leichterte.

Etwa fünf Jahre später stellte ich dieLektüre des städtischen Anzeigers ein.Die Themen hatten sich nicht geändert,es gab immer noch Bahnhofsvorplatz,Festspielhaus und WCCB, allerdings wardie Dynamik des ersten Eindrucks einerewigen Wiederholung gewichen. Ab undzu tauchte auch schon ein „Viktoriakar­ree” auf, aber es gab keinen Anlass zu derVermutung, dass die Entwicklung dort

zielgerichteter sein sollte als bei anderenBonner Bauprojekten.

Der Ratsbeschluss zum Verkauf derstädtischen Liegenschaften im Viktoria­viertel an den Investor SIGNA vom18.06.2015 kam so gesehen einigerma­ßen überraschend: Sollte es jetzt dochnoch konkret werden? Zu der Verwunde­rung über die plötzliche Entscheidungs­freudigkeit des Bonner Rates gesellte sichunterschwellig einiger Ärger darüber, mitwelcher Ignoranz gegenüber den direktBetroffenen diese Entscheidung getroffenwurde. Natürlich nimmt man für über­geordnete Interessen auch größeres Un­bill in Kauf, ein kleines „Sorry für dieUmstände” wird dann aber gerne als an­gebracht empfunden. Und dass am Ran­de der Bonner Innenstadt ausgerechnetein Einkaufszentrum fehlen sollte, er­zeugte ungläubiges Kopfschütteln.

Zum Autor

Bernd Eder wohntmit seiner Familieim Viktoriaviertelund hält Ein­kaufszentren fürüberholt. Zusam­men mit AxelBergfeld ist erVorstand des Ver­

eins Viva Viktoria! e.V. und kümmertsich dort neben der Strategie um die di­gitalen Aspekte: Homepage, Facebookund Co. Als ausgebildeter Mediator fas­zinieren ihn vor allem der Einblick indie vielen verschiedenen Facetten einerStadtgesellschaft sowie die Frage nachder unterschiedlichen politischen Rele­vanz einzelner Meinungen.

Vorweg

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Am 18.06.2015 beschloss der Bonner Rat,die städtischen Flächen im Viktoriaviertelan den Investor SIGNA zu verkaufen. Aufder Suche nach O­Tönen initiierte ein Jour­nalist ein Gespräch mit mehreren Einzel­händlern und Gastronomen im Viertel,deren Geschäfte vom geplanten Abriss di­rekt betroffen waren. Dabei trafen sich AxelBergfeld (Bergfeld’s Biomarkt), Lui Eick(Café Blau), Johannes Roth (FahrradladenKlingeling) und Marcos Rivera y Mirkes(Antiquitäten) zum Gespräch mit demBonner Lokalredakteur und äußerten hierzum ersten Mal den Gedanken, den Ratsbe­schluss mit einem Bürgerbegehren zu stop­pen.

Am 10.07.2015 wurde der Artikel imBonner Generalanzeiger veröffentlicht. EineWoche später war die Idee um eine Grafike­rin, einen Web­Entwickler und einen Face­book­Enthusiasten reicher. Damit hatte sichin kürzester Zeit ein Team gefunden, das inder Lage war, eine (gemeinsame) Idee wir­kungsvoll in die Öffentlichkeit zu bringen.Dieses Tempo sollte ein wesentliches Merk­mal der Initiative Viva Viktoria! bleiben:Durch die Fokussierung auf das gemeinsa­me Ziel wurden störende Einflüsse persön­licher Eitelkeiten und anderer üblichergruppendynamischer Prozesse weitgehendminimiert. Aber wie initiiert man nun einBürgerbegehren?

Am Anfang war … ein Interview

Von der ersten Demo bis zurUnterschriftensammlung

Ein Bürgerbegehren muss angezeigt wer­den. Dies erfolgte am 15.07. durch AxelBergfeld, Lui Eick und Johannes Roth. Essollte dann aber fast noch einen Monat biszur ersten Demonstration dauern. Am10.08.2015 trotzten circa 250 Menschendem Regen und schützten das Viertel sym­bolisch mit einer Menschenkette. Das me­diale Echo war vielversprechend, allelokalen Medien berichteten über den sichdort formierenden Widerstand.

Angefangen mit dem 19.08. führten wirbis zur Abgabe der Unterschriften jedenMittwochabend eine Demo durch, mal mit

100, mal mit 300 Teilnehmer/innen. Indem Zeitraum bis zum Start der Unter­schriftensammlung versuchten die Grünen,verlorenes Vertrauen in die Stadtverwaltungdurch Akteneinsicht und die Einschaltungdes Rechnungsprüfungsausschusses wieder­herzustellen. Sah die Stadtverwaltung da­durch schon nicht gut aus, so stellte sie sichanschließend bei der Erstellung der Kos­tenschätzung ein echtes Armutszeugnis aus(siehe Seite 16). Durch diese vielenNebenschauplätze war das Thema„Viktoriaviertel” beim Start derUnterschriftensammlung schon gut medialverankert.

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Unterschriftensammlung

Acht Tage vor der Unterschriftensamm­lung konstituierte sich unser „Team10.000” zur Koordination der Aktion.Zum Auftakt am 05.09. organisierte esetwa 50 Aktivisten/innen, die an 26 Stän­den Unterschriften überall im Stadtgebietsammelten. Das Ergebnis war überwälti­gend: Mehr als 3.000 Unterschriften amersten Tag ließen nun wirklich jede/nglauben, dass das Ziel von knapp 10.000gültigen Unterschriften für das notwendi­ge Quorum innerhalb von vier Wochenerreichbar war.

In der folgenden Woche wurden zahl­reiche Ladengeschäfte, Cafés und Knei­pen darum gebeten, Unterschriftenlistenauszulegen und einzusammeln. Nicht nur

im Viktoriaviertel, sondern stadtweit.Diese dauernde Sammlung wurde ergänztvon einzelnen „Läufern/innen”, die aufeigene Faust mit Klemmbrett und Unter­schriftenlisten loszogen. Als festen, regel­mäßigen Termin etablierten wir denMittwoch, zu dem jeweils alle ausliegen­den und ausgefüllten Listen eingesam­melt und die Unterschriften gezähltwurden.

Die Resonanz war rundweg positivund einte die Stadtgesellschaft in der Ab­lehnung einer Shopping­Mall. Bis zum02.10.2015 konnten wir 20.212 Unter­schriften sammeln und diese – durchausein bisschen stolz – an den damaligenOberbürgermeister Nimptsch übergeben.

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Oberbürgermeister Nimptsch hatte eineschnelle Bearbeitung zugesagt, so dassder Rat in seiner nächsten Sitzung am22.10.2015 entscheiden könne. Tat­sächlich gab die Stadtverwaltung zweiTage vor der Ratssitzung eine Be­schlussvorlage in Umlauf. Auf gut zehnSeiten wird das Bürgerbegehren aus ver­schiedenen Blickwinkeln beleuchtet,nur um am Ende darauf hinzuweisen,dass das Schriftstück keine „vertiefendePrüfung” sei und dass eine solche nurvon externen Gutachtern vorgenommenwerden kann. Der Rat nahm das alswillkommenen Grund für die Verta­gung. Nichts ging los.

Da die Interessenlage der Stadtver­waltung ja mittlerweile bekannt war,hatten wir anschließend große Sorge,

dass ein gut gewählter Gutachter dasBürgerbegehren auf kaltem Wege aus­bremst. Das wäre für die Befürwor­ter/innen wie für den Bonner Stadtratdie einfachste Lösung gewesen: nichtdrüber nachdenken müssen, keine Stel­lung beziehen müssen, nicht entschei­den müssen.

In der Folge konnten wir DIE LIN­KE dafür gewinnen, eine Sondersitzungdes Bonner Rats zum Thema Bürgerbe­gehren Viva Viktoria! zu beantragen.Diese sollte dem Rat die Möglichkeitgeben, den Punkt ausführlich zu erläu­tern und gleichzeitig den herrschendenSchwebezustand so bald wie möglichbeenden. Nach einigem Geplänkel mitder Stadtverwaltung wurde der Terminfür die Sondersitzung auf den 30.11.festgelegt.

Jetzt geht’s los: Ratssitzung am 22.10.2015

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In den folgenden Wochen formiertensich die Lager. CDU, FDP und BBBglaubten immer noch an die Sinnhaftig­keit eines innerstädtischen Einkaufszen­trums, Grüne, LINKE und Piratenhatten sich dem Bürgerbegehren schonangeschlossen. Dazwischen rang dieSPD um ihre Fraktionsmeinung. Am23.11. entschied sich die SPD auf ihrerFraktionssitzung mit knapper Mehrheitdafür, sich unserem Bürgerbegehren an­zuschließen. Mit dieser Nachricht be­gann Kalenderwoche 48.

Die Befürworter/innen der Shopping­Mall­Pläne der SIGNA hatten sich dar­auf verständigt, es zu einem Bürgerent­scheid kommen zu lassen. Manargumentierte, ein Bürgerentscheid gäbedann allen Bonnerinnen und Bonnerndie Gelegenheit, sich ausgiebig zu infor­mieren und zu entscheiden. Mit derEntscheidung der SPD­Fraktion hattedieser Plan plötzlich keine politischeMehrheit mehr. Die Alarmglockenschrillten, jetzt waren alle da.

KW 48 gab uns einen kleinen Vorge­schmack darauf, was bei einem Bür­gerentscheid auf uns zugekommen wäre.Und was wahrscheinlich – nach einerBürgerwerkstatt in 2016/2017 – nochauf uns zukommen wird. Auf Facebook,auf Twitter, in der Tagespresse: Überalläußerten sich jetzt die jeweiligen Vorsit­zenden von Vereinen, Verbänden und

etablierten Interessengruppen und ent­deckten im Einkaufszentrum die Lösungaller echten und herbeigeredeten Proble­me. Die Hauptargumente dabei wareneher sachfremd: gegen den drohendenStillstand (womit man ja nun wirklichalles begründen kann) und für die För­derung des städtischen Einzelhandels(als wenn man diesen nicht anders för­dern könnte).

Die IHK, das Stadtmarketing, dieEinzelhändler – alle warnten vor demdrohenden Niedergang der Innenstadt.Selbst die SIGNA intervenierte ange­sichts des drohenden Aus für ihre Shop­ping­Mall­Pläne plötzlich öffentlich undgab Interviews im WDR und beim Ge­neralanzeiger. Glaubte man der Tages­presse, sollte die SIGNA die Stadtendlich von dieser Schmuddelecke be­freien. Den Höhepunkt bildete eineganzseitige Anzeige in allen BonnerPrintmedien am Samstag vor der Rats­sitzung. In AfD­Farben wurden licht­durchflutete Bilder eines SIGNA­Entwurfs gegen verregnete Fotos par­kender Autos gestellt. So also sieht esaus, wenn man informieren möchte.Dieser ganze Aufwand diente nur einemZweck: wenigstens drei Ratsmitgliederder SPD bei der Abstimmung im Ratzum Dafürstimmen zu bewegen.

Freudig unterstützt wurde diese Ka­kophonie von der Bonner Tagespresse.

Kalenderwoche 48

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Freute diese sich bis dahin über frischenDünger aus Kreisen der Bürgerinnenund Bürger im Blätterwald, so blies unsnun der raue Wind der Mall­Befürwor­ter/innen mitten ins Gesicht. Wir hattenals Geschichtenlieferanten ausgedient,nun wurde wieder über, von und mitden altbekannten Wirtschafts­ und Wer­bepartnern berichtet.

Dieses mediale Tohuwabohu stieß nichtnur bei uns, sondern auch bei anderenBürger/innen auf Befremden. Etwa 100IHK­Mitglieder distanzierten sich miteinem offenen Brief von ihrer Kammerund wollten sich nicht damit abfinden,dass ihre IHK einseitig und undifferen­ziert einen Teil ihrer Zwangsmitgliederin den wirtschaftlichen Ruin redet.

Sondersitzung des Bonner Ratsam 30.11.2015

In dieser leicht aufgeheizten Atmosphäretraf man sich dann zur Sondersitzungdes Rats am Abend des 30.11.2015. Estat gut, dass das Thema in einer eigenenSitzung abgewickelt wurde. So kam jederzu Wort, alle gaben sich etwas mehr Mü­he als sonst und die Reden beider Lagerwaren gut vorbereitet. Politik zum An­

fassen. Die Fans des Einkaufszentrumswollten sich mit der Ablehnung desBürgerbegehrens in einen Bürgerent­scheid retten. Es sei gut – und nur dassei wirklich demokratisch – wenn alleBürger/innen über das Einkaufszentrumabstimmen könnten, argumentierten sie,dann könne man die Bürger/innen auch

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Im Herbst 2016 ist die Bürgerwerkstattsoweit, dass aus den vorliegenden Bewer­bungen für die Moderation ein/e geeigne­te/r Kandidat/in ausgesucht werdenkonnte. Die Erwartungen an die Bürger­werkstatt sind so unterschiedlich, wie eseben geht. Während Vertreter/innen derCDU die Ergebnisse des Einzelhandels­gutachtens für unumstößlich halten, undauf dieser Basis „ergebnisoffen” offenbardie Anzahl der Quadratmeter verhandelnmöchten, steht anderen der Sinn nach ei­ner ergebnisoffenen Bürgerbeteiligung,die auch jenseits des Einzelhandels nachguten Lösungen für die Stadt suchendarf.

Klar ist, dass ein Ergebnis immer nur einVorschlag an den Bonner Rat ist. Diesestrukturelle Schwäche zieht dem Verfah­ren schon vor Beginn den Zahn und es istzu befürchten, dass die Bonner Traditionder im Endeffekt ergebnislosen Bürger­werkstätten (Ermekeil, Bahnhofsvor­platz) lediglich eine Fortsetzung findenwird.

Immerhin ist die nun anstehende Bür­gerwerkstatt Anlass für die erstmaligeKonstituierung des Beirats Bürgerbeteili­gung. Eigentlich hätte dieser Beirat ge­mäß der städtischen Leitlinien schon vorcirca zwei Jahren eingerichtet werden sol­len ... Ein kleiner Erfolg auf dem Weg zueiner bürgernahen Politik.

vorher noch informieren. Allerdingsblieb die Frage offen, was denn an einemim Rat entschiedenen Bürgerbegehrenundemokratisch sei. Sind etwa alle Rats­beschlüsse undemokratisch? Interessan­ter Gedanke …

Als es nach gut zweistündigem Aus­tausch der Meinungen an die Abstim­mung ging, erhöhte die CDU dieSpannung durch ihren Antrag auf gehei­me Abstimmung. Aber auch das halfnichts; mit 42 zu 41 Stimmen entschiedder Bonner Rat mehrheitlich, sich demBürgerbegehren anzuschließen; und revi­dierte damit seinen Ratsbeschluss vom18.6.2015.

In der gleichen Sitzung beauftragte derRat die Verwaltung, einen Vorschlag füreine ergebnisoffene Bürgerbeteiligungzur Zukunft des Viktoriaviertels zu erar­beiten – ein Verfahren, bei dem die Mei­nung der Bürger/innen eingeholt wird.

Die Befürworter/innen der Shopping­Mall, die bis vorhin noch vehement fürden einzig demokratischen Bürgerent­scheid stritten, ließen nun das demokra­tische Feigenblättchen fallen undstimmten geschlossen gegen die vorge­schlagene Bürgerbeteiligung.

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Bürgerwerkstatt

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Was ist schlecht an einem Einkaufszen­trum und warum wehren wir uns DA­GEGEN? Und müssten wir nicht FÜRirgendetwas sein? Neben inhaltlichenArgumenten gegen eine Shopping­Mallgibt es auch einige verfahrenstechni­sche Fragen, die bei der Entscheidungfür die Shopping­Mall offen gebliebensind. So könnte man es besser machen:

die Ausschreibung. In der Ham­burger Speicherstadt existiert – wieim Viktoriaviertel – auch eine Ge­denkstätte. Dort wurde der Erhaltund die räumliche Ausstattung derGedenkstätte als Bedingung in dieAusschreibung aufgenommen. Wasfür eine einfache Lösung …Warum nicht auch in Bonn?

das Auswahlverfahren. Bei einemAuswahlverfahren gab es mit derFirma HochTief nur ein einzigeskonkurrierendes Angebot. Auf derBewertungsskala konnten maximal6 Punkte erreicht werden; der Vor­schlag der SIGNA erreichte 2,5Punkte, der von HochTief wenigerals 2 Punkte. Wir wundern unsdarüber, dass mangelhafte oder garungenügende Vorschläge mit einerso schlechten Bewertung über­haupt weiter diskutiert werden –bei Prüfungen ist es eigentlich üb­lich, dass ein Ergebnis unter 50 %

der erreichbaren Punktezahl zu derBewertung „nicht bestanden”führt.

die frühzeitige Bürgerbeteiligung.Am 27.03.2014 hatte der Rat be­schlossen, dass im Rahmen desBauleitplanverfahrens eine frühzei­tige Bürgerbeteiligung stattfindensoll. Dieser Beschluss wurde dannvon der Stadtverwaltung nichtumgesetzt. Ein Jahr später wurdedies auf Nachfrage mit wettbe­werbstechnischen Argumenten be­gründet. Diese Gründe könnennicht richtig sein, weil dann einefrühzeitige Bürgerbeteiligungprinzipiell unmöglich wäre.

der Investor. Schon einmal hatdie Stadtverwaltung sich von ei­nem windigen Investor blendenlassen. René Benko hat das Fir­mennetzwerk um die SIGNA in­nerhalb von 15 Jahren aus demBoden gestampft und auch malversucht, diese Entwicklung mitHilfe von Bestechung illegal zu be­schleunigen. Es ist bekannt, dassdie SIGNA Geld durch Luxem­burg schleust, um Steuern zu spa­ren. An der SIGNA beteiligt sindder Abu­Dhabi­Staatsfond sowieeinzelne Unternehmer, z.B. Wen­delin Wiedeking, Niki Lauda und

Es gibt Besseres als eine Shopping­Mall

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Roland Berger. Ein seriöser Partnerfür eine nachhaltig orientierteStadtentwicklung sieht anders aus.

die Privatisierung. Immer mehrgehen Kommunen in Finanznotdazu über, kommunalen Grund anprivate Investoren zu verkaufen.Diese Entwicklung ist offensicht­lich nicht ohne Risiko: Zum einenist diese Form der Geldbeschaf­fung endlich und überhaupt nichtnachhaltig, zum anderen verlierendie Städte immer mehr an Einflussund legen die Stadtentwicklungzunehmend in die Hände privaterInvestoren. Wir finden, dass mangerade solche zentralen Grund­

stücke nicht ohne Not aufgebensollte, sondern als Stadt Sorge da­für zu tragen hat, dass auch künf­tige Generationen Erträge aus denstädtischen Grundstücken für dieAllgemeinheit erwirtschaften kön­nen.

die Stadtentwicklung. Stadtent­wicklung soll von den Menschenausgehen. Nicht von Investoren.Das Ziel der Pläne von SIGNA istdie Gewinnmaximierung für SI­GNA. Das ist für eine Stadtent­wicklung viel zu wenig, eine Stadthat viele weitere Ziele.

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Ein Argument für die Shopping­Mallist immer wieder zu hören: Der inner­städtische Einzelhandel soll gefördertwerden, und man möchte konkurrenz­fähig zu den Innenstädten und Ein­kaufsmöglichkeiten in denumliegenden Ge­meinden bleiben.Dagegen ist nie­mand. Wir bezwei­feln aber, dass dieSchaffung zusätzli­cher Einkaufsflä­chen der einzigeWeg zu diesem Zielist.

Es ist möglich,die einkaufendenMenschen auch mitanderen Angeboten in die Innenstadtzu locken. Ein Schwimmbad wie dasViktoriabad war ein solcher Magnet.Aber auch andere Angebote (Kino,Markthalle, Hotel, Museum usw.) ho­len Menschen in die Innenstadt, diedort dann auch einkaufen.

Der Einzelhandel ist momentan ei­nem starken Wandel unterworfen, im­mer größere Anteile des Umsatzeswerden online erzielt. Der weiteremassive Ausbau von Fläche scheint daanachronistisch.

Die geplante Shopping­Mall ist eineInsellösung. Shopping­Malls sindstrukturell so konzipiert, Menschenaus dem Umfeld in die Mall zu ziehenund diese dann dort zu halten. EineMall hat deshalb in der Regel negative

Auswirkungen aufdie übrige Innen­stadt, wie in zahlrei­chen Städten amNiedergang des be­stehenden Einzel­handels zu beobach­ten ist. DieMenschen fahren mitdem Auto in dieTiefgarage, geben inden oberen Etagendas Geld aus undverlassen das Gebäu­

de, wie sie es betreten haben: durchdie Tiefgarage. Die Innenstadt wirdentvölkert und so zarte Blüten wie dieFriedrichstraße verdorren.

Um sich von der Konkurrenz derumliegenden Einkaufszonen und ­zen­tren abzuheben, bedarf es nicht mehrFläche, auf der letztendlich identischeProdukte feilgeboten werden. Wirwünschen uns einen nachhaltigen,längerfristigen Ansatz, zum Beispielüber die Qualität (auch Lebensquali­tät) der Bonner Innenstadt.

Förderung des innerstädtischenEinzelhandels

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Engagement trifft auf Kommunalpolitik

Nach dem auch für uns überraschen­den Erfolg der Unterschriftensamm­lung für unser Bürgerbegehren VivaViktoria! ist klar: Die Bonner Bevöl­kerung steht einem neuen Einkaufs­zentrum im Viktoriaviertel eherskeptisch gegenüber.

Da die letzte Ent­scheidung für odergegen den Verkaufstädtischer Flächenaber im Rat undnicht auf der Straßegefällt wird, war esnotwendig, dieseErkenntnis auch inden Köpfen unsererParlamentarier/in­nen zu verankern.

„Darf ich fragen, wie Sie zu der Sachegekommen sind?” „Ich wohne dortund …” Die Augen des Volksvertre­ters wandern zur Decke, verweilendort kurz und senken sich dann fra­gend auf den Sitznachbarn.„Ich betreibe dort mein Geschäft und…” Die Augen des Volksvertreters …

Was ich sagen will: Uns wurde im­mer wieder gesagt, dass bürgerschaft­liches Engagement ja prinzipiell tollsei. Aber am Ende haben wir diesen

Bekenntnissen nicht mehr so rechtglauben können. Denn bürgerschaft­liches Engagement ist dort, wo eskonkret wird, dann in der Regel garnicht mehr so toll: weil es häufig dieVorhaben, die unsere Politiker/innen

in bester Absichtgeplant und vorbe­reitet haben, in Fra­ge stellt oder garverhindert. Dabeiwird die eigene Po­sition noch dadurchgeschwächt, dassman „Betroffener”ist. Das Wort „Par­tikularinteresse”mussten wir erstnoch lernen. Es ist –glaube ich – ein

Schimpfwort.

Es war uns nur selten möglich, denVolksvertreter/innen eine komplexeInteressenlage zu vermitteln. Natür­lich sind die Aussichten auf einenBagger im Innenhof nicht die bestenund ein funktionierendes Ladenge­schäft gibt man ungerne auf. Aber Vi­va Viktoria! steht nicht für denbedingungslosen Erhalt des Bestehen­den, sondern für eine ergebnisoffeneEntwicklung des Viktoriaviertels un­ter Bürgerbeteiligung. Viva Viktoria!

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streitet für Partizipation, für Transpa­renz und gegen das Gefühl von Ohn­macht und Ignoranz.

Wir haben viele Politiker/innenkennengelernt, die etwas bewegenwollen, die verbessern wollen, die dieStadt voranbringen wollen. Wir habendiese in der Regel als resigniert undfrustriert erlebt. Frustriert darüber,dass all der Einsatz, all das Engage­ment für große Projekte in Bonnmeist scheitert, bisweilen aucham bürgerlichen Widerstand. Ständigsteckt man ein, angefangen beim WC­CB, beim Bahnhofsvorplatz, bei Fest­spielhaus und Beethovenhalle undjetzt auch noch im Viktoriaviertel.Leider führt dieser verständliche Frust

momentan nicht zu einem Neuan­fang, sondern eher zur Abkapselungund verstärkt sich dadurch selbst. Wirschlagen stattdessen einen Mentali­tätswechsel vor: Nehmt die Bür­ger/innen doch mit. Beteiligt sie. Werbeteiligt ist, wer sich einbringenkonnte, wird eventuell einem konkre­ten Ergebnis skeptisch gegenüberste­hen. Aber wenn das konkreteErgebnis von einer breiten Mehrheitgewollt ist, dann ist es so gut in derStadtgesellschaft verankert, dass esandere Meinungen erträgt, ohne di­rekt komplett in Frage gestellt zuwerden.

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Freude. Joy. Joie. StadtverwaltungBisher war uns die Stadtverwaltung von

den üblichen Bürgerdiensten bekannt.

Klar, manchmal musste man etwas län­

ger warten, und manchmal brauchte

man viel Kraft, um Verständnis für die

bürokratischen Mühlen aufzubringen.

Aber bislang zweifelte bei uns niemand

daran, dass die Stadtverwaltung für die

Bürger/innen da ist. Und als gewisser­

maßen „neutrale” Instanz Ratsbeschlüs­

se und ­vorgaben umsetzt. Bis zum

Herbst 2015.

Für die Unterschriftensammlung ei­

nes Bürgerbegehrens ist eine Aufklä­

rung darüber nötig, welche Kosten im

Falle des Erfolgs entstehen würden.

Diese Kostenschätzung wird von der

Stadtverwaltung erstellt, und die Frist

bis zur letztmöglichen Abgabe von Un­

terschriften wird um den Zeitraum zur

Erstellung der Kostenschätzung verlän­

gert.

In der ersten Kostenschätzung vom

02.09.2015 bezifferte die Stadtverwal­

tung eine mögliche Schadensersatzfor­

derung der SIGNA auf 1 Mio. EUR

und eigene Kosten von jährlich 144

TEUR für den Erhalt der Gebäude.

Wir wunderten uns, dass den Kosten

der Stadt nicht auch die Erlöse durch

Vermietung gegenübergestellt wurden,

und baten die Stadtverwaltung, diese

zu ergänzen. Zwei Tage später erreichte

uns eine neue Kostenschätzung, die

unter Berücksichtigung der Mietein­

nahmen aus den städtischen Gebäuden

im Viktoriaviertel mit städtischen Kos­

ten in Höhe von (gemittelten) 90

TEUR pro Jahr rechnete.

Nun zahlen ja einige bei Viva Vikto­

ria! engagierte Menschen als Mieter

städtischer Gebäude im Viktoriaviertel

Miete an die Stadt. Ein kurzer Über­

schlag ergab dabei deutlich mehr als die

von der Stadtverwaltung angesetzten

Mieteinnahmen pro Jahr, so dass wir

nochmals bei der Stadtverwaltung

nachhakten. Am 11.09.2015 erreichte

uns dann, zusammen mit einer Ent­

schuldigung des Amtsleiters Beißel und

der Begründung „klassisches Bürover­

sagen”, die zweite Korrektur der Kos­

tenschätzung. Ergebnis: KEINE (!)

Kosten für die Stadt bei einem erfolg­

reichen Bürgerbegehren.

Dieses merkwürde Verhalten der

Stadtverwaltung warf doch einige Fra­

gen auf: Ist die Stadtverwaltung wirk­

lich so schlecht organisiert, dass sie

einfache Kosten und Erlöse nicht rech­

nen kann? Oder wollte sie gar bewusst

die Unterschreibenden täuschen?

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Durch die mehrfache Korrektur der

Kostenschätzung war nun die Dauer

der Fristverlängerung unklar. Immerhin

hatten wir mit den falschen Kosten­

schätzungen ja schon Unterschriften

gesammelt – welche Frist gilt denn

nun? Unsere Anfrage an die Stadtver­

waltung wurde mit einem einfachen

Hinweis beantwortet: Zu dieser Infor­

mation sei man

nicht verpflich­

tet. Spätestens

jetzt war klar,

dass Teile der

Stadtverwal­

tung die Un­

terstützung

ihrer Bürgerin­

nen und Bürger

nicht als ihre Aufgabe sehen.

Zum guten Schluss gingen in der

Stadtverwaltung auch noch Unter­

schriftenlisten verloren. Gewundert hat

das niemanden mehr, und sie tauchten

ja auch wieder auf, als bekannt wurde,

dass wir zuvor Kopien angefertigt hat­

ten.

Der Lernprozess war kurz und

schmerzvoll: Die – theoretisch richtige

– Annahme, dass die Stadtverwaltung

von der Politik (dem Rat) kontrolliert

und mit der Umsetzung des dort for­

mulierten Bürgerwillens beauftragt

wird, erwies sich in der Praxis als

schlicht falsch. Die Stadtverwaltung

entzieht sich stattdessen vielfach der

Kontrolle, betreibt ihre eigene „Politik”

mit den ihr zur Verfügung stehenden

Mitteln und ist „Partei” im Verfahren.

Dabei ist die Verwaltung gegenüber der

Politik im Vorteil: Ratsmehrhei­

ten kommen und gehen, die

Stadtverwaltung bleibt, kann

politische Prozesse aussitzen,

verzögern oder forcieren – und

hat im Zweifel den längeren

Atem. Im Fall Viktoriaviertel versuchte

die Politik noch, durch Akteneinsicht­

nahme und Einschalten des Rech­

nungsprüfungsamtes verloren

gegangenes Vertrauen wiederherzustel­

len.

Die Ergebnisse waren vorhersehbar:

Leider war die Aktenführung nicht

ordnungsgemäß und nur Weniges do­

kumentiert. Dies wurde angemahnt.

Punkt.

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Ausblick

Mit Ratsbeschluss vom 30.11.2015wurde der Verkauf der Fläche an dieSIGNA gestoppt. Zeitgleich wurdedie Stadtverwaltung beauftragt, „un­verzüglich einen Vorschlag zur Um­setzung einer Bürgerbeteiligung miteinem Zeitplan” vorzulegen. NachAbstimmung des Ausschreibungstex­tes hat die Stadtverwaltung im Mai2016 eine Ausschreibung für eineneutrale Moderation und Durchfüh­rung der Bürgerwerkstatt Viktoria­viertel auf den Weg gebracht, die am23.6.2016 vom Hauptausschuss ver­abschiedet wurde. Mittlerweile ist einModerator ausgewählt. So rechnenwir heute (11/2016) damit, dass dieBürgerwerkstatt im Frühjahr 2017stattfinden wird.

„Stillstand” im Viktoriaviertel istallerdings auch jetzt nicht eingetre­ten. Denn die SIGNA hat ihr Vorha­ben nicht aufgegeben und arbeitetmit allen Mitteln am alten Ziel, umihre Mall­Pläne im zweiten Anlaufdurchzusetzen. Der Oberbürgermeis­ter wurde aufgefordert, den Ratsbe­schluss zurückzunehmen, und bei derBezirksregierung wurde Beschwerdegegen den Ratsbeschluss eingelegt(mittlerweile zurückgewiesen). Derim Bürgerbegehren gescheiterte In­vestor gibt sich gesprächsbereit (ohneauf Terminvorschläge einzugehen)

und vermietet der Stadt großzügigeinen kleinen Teil des jahrelang be­stehenden Wohnungsleerstands zurUnterbringung von Flüchtlingen. DieLadenzeile im Dahm­Gebäude wirdentmietet, die ohnehin zweifelhaftenund auf ein Jahr befristeten Mietver­träge von Schlüsseldienst, Café Kurz­lebig, Copy­Shop, Bäckerei Schell,Uni­Burger und Schuhdorf werdennicht verlängert. Ebenso wurde demBlow Up in der Rathausgasse 10grundsätzlich eine Bleibeperspektiveverwehrt, bis konkrete Rahmenbe­dingungen für die Zukunft des Vier­tels in der Bürgerwerkstatt erarbeitetund in einen Bebauungsplan gegossensind. Kurzum: Die SIGNA setzt seitJahresbeginn 2016 eine Abwärtsspira­le aus Leerstand und Verwahrlosungim Viertel in Gang ­ um die eigenenHochglanzpläne noch hochglänzen­der scheinen zu lassen.

Blaupause für Bonn ist dabei dieStrategie, die die SIGNA in Bozenangewendet hat, um ihr Bauprojektvor dem Hauptbahnhof trotz einesgegenteiligen Stadtratsbeschlussesdurchzusetzen: Auch in Bozen plantedie SIGNA ein Einkaufszentrum mit­ten in der Stadt, das der GemeinderatEnde Juli 2015 mit knapper Mehrheitablehnte. Danach wurde Bozen miteiner beispiellosen PR­Kampagne

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überzogen ­ und nach einem Zerfalldes Gemeinderats und der Zustim­mung des vom Land Tirol eingesetz­ten Kommissärs scheint die ZukunftBozens nun eng mit dem Einkaufs­zentrum verknüpft. Ähnliches wirduns in Bonn erwarten.

Viva Viktoria! hat währenddesseneine „freie” Bürgerbeteiligung imViktoriaviertel initiiert und gestaltetaktiv und kreativ mit den Menschenvor Ort das Viertel: Mit der erstenFiesta Viktoria! am 23.01.2016 ge­lang ein schöner Erfolg, der im No­vember wiederholt werden konnte

und viele Menschen bei freier Kulturund Getränken zusammenführte.Unsere rote Info­Box auf der EckeFranziskaner­/Stockenstraße dientseit März 2016 als zentrale Anlauf­stelle im Viktoriaviertel und zur Bür­gerinformation. Dort werden auchIdeen und Vorschläge von Bürgerin­nen und Bürgern zur Zukunft desViktoriaviertels gesammelt, deren Er­gebnisse später in die offizielle Bür­gerbeteiligung der Stadt einfließenwerden. Viva Viktoria! ist bezüglichder kommenden Bürgerbeteiligungimmer wieder in Kontakt mit derStadtverwaltung.

Eine breite und ergebnisoffene Bürgerwerkstatt für das Viktoriaviertel

Die erstmalige konsequente Umsetzung der selbst entwickelten

Leitlinien Bürgerbeteiligung

Die praktische Umsetzung der erarbeiteten Ergebnisse in

Entscheidungen des Bonner Rats

Die Schaffung eines Begleitgremiums für die Bürgerwerkstatt, in dem

wir – neben vielen anderen Interessengruppen – vertreten sind

Das Viktoriabad als zentralen Ort der Bürgerbeteiligung zur Zukunft des

Viktoriaviertels („Genius Loci“)

Eine neue Beteiligungskultur für Bonn mit umfassender

Bürgerbeteiligung von Anfang an

Zusammengefasst: Was wir wollen

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Herausgeberin:Linksfraktion im Rat der Stadt BonnAltes Rathaus, Rathausgasse 5­753111 BonnTel: 0228­7740­80/­81Mail: [email protected]: linksfraktion­bonn.deFotos auf den Seiten 1,4,6,7,9,12,13,15,19 und 20von Nikolas Müller, nikolas.mueller.art

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