Ingar Solty: Chinas "Sozialismus", der Große Widerspruch. Eine Reise ins Land der Mitte...

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36 Hintergrund 1/2014 AUSLAND Ein Land des Großen Widerspruchs – futuristisch an- mutende Neubauten (Bahnhof in Peking, li.), arme Arbeiter. Mao und Modernisierung. China ist weder auf dem direkten Weg zum Sozialismus noch hat es sich zum autoritären Staatskapitalismus entwickelt.      I     n     g     a     r      S     o      l     t     y      (      6      ) 36 Hintergrund 1/2014

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Vom 9. bis 12. November 2013 wurde in Beijing das Dritte Plenum des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) abgehalten. Traditionell werden auf dem Dritten Plenum die großen Weichenstellungen in der chinesischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik gestellt. Neue Präsidenten wie der seit März amtierende Xi Jinping deuten hierbei die allgemeine Richtung an, in die sich das Land in den nächsten Jahren entwickeln soll. Schon im Vorfeld wurde dem Plenum eine Reichweite wie jenem des 11. Zentralkomitees der KPCh vom Dezember 1978 beigemessen, wo der damalige Staatspräsident Deng Xiaoping die Grundlagen für die wirtschaftliche Liberalisierungspolitik legte. Am Ende schloss es damit, dass die Liberalisierungspolitik besonders bei den Staatsmonopolen wie u.a. Energie und Telekommunikation weitergehen solle; der Markt solle nicht mehr bloß eine „grundlegende“, sondern eine „entscheidende“ Rolle bei der Allokation von Ressourcen spielen.Ich hatte das Glück, die Diskussionen von Intellektuellen und Funktionären um das Dritte Plenum direkt in China verfolgen zu können, weil ich zur selben Zeit auf Einladung des China Center for Contemporary World Studies (CCCWS), des Think Tanks beim International Department des ZK der KP, einen Vortrag auf der internationalen Konferenz „Neuere Entwicklungen der globalen Linken im Kontext der internationalen Finanzkrise und die Perspektiven des weltweiten Sozialismus“ halten und im Anschluss als Teil einer Reisedelegation westchinesische Dörfer, Fabriken und Agrarindustrieanlagen besuchen sollte.

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    AUSLAND

    Ein Land des Groen Widerspruchs futuristisch an

    mutende Neubauten (Bahnhof in Peking, li.), arm

    Arbeiter. Mao und Modernisierung. China ist wede

    auf dem direkten Weg zum Sozialismus noch hat e

    sich zum autoritren Staatskapitalismus entwickelt

    IngarSolty

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    Chinas Kommunismus zwischen

    Errungenschaften und IrrtmernEine Reise ins Land der Mitte

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    AUSLAND

    Von Ingar Solty

    Vom 9. bis 12. November 2013wurde in Beijing das Dritte Ple-num des 18. Zentralkomitees derKommunistischen Partei Chinas

    (KPCh) abgehalten. raditionell werden au

    dem Dritten Plenum die groen Weichenstel-lungen in der chinesischen Wirtschas- undGesellschaspolitik gestellt. Neue Prsiden-ten wie der seit Mrz amtierende Xi Jinpingdeuten hierbei die allgemeine Richtung an,in die sich das Land in den nchsten Jah-ren entwickeln soll. Schon im Voreld wur-de dem Plenum eine Reichweite wie jenemdes 11. Zentralkomitees der KPCh vom De-zember 1978 beigemessen, wo der damaligeStaatsprsident Deng Xiaoping die Grundla-gen r die wirtschaliche Liberalisierungs-politik legte. Am Ende schloss es damit, dassdie Liberalisierungspolitik besonders beiden Staatsmonopolen wie u.a. Energie undelekommunikation weitergehen solle; derMarkt solle nicht mehr blo eine grundle-gende, sondern eine entscheidende Rollebei der Allokation von Ressourcen spielen.

    Ich hatte das Glck, die Diskussionen vonIntellektuellen und Funktionren um dasDritte Plenum direkt in China verolgen zuknnen, weil ich zur selben Zeit au Einla-dung des China Center or ContemporaryWorld Studies (CCCWS), des Tink anks

    beim International Department des ZK derKP, einen Vortrag au der internationalenKonerenz Neuere Entwicklungen der glo-balen Linken im Kontext der internationalenFinanzkrise und die Perspektiven des welt-weiten Sozialismus halten und im Anschluss

    als eil einer Reisedelegation westchinesische

    Drer, Fabriken und Agrarindustrieanlagenbesuchen sollte.

    Am 5. November war es so weit. VonAmsterdam aus flog ich nach Beijing. Audem Weg dorthin gehen mir Fragen durch

    den Kop. Was wei ich eigentlich wirklichber China? Ich ertappe mich dabei, dasses mir schwerllt, in den Chor der Chinabaut die sozialistische Marktwirtscha au-Analytiker wie Giovanni Arrighi, TeodorBergmann und Wolgang riebel oder in dasChina ist autoritrer Staatskapitalismus von

    David Harvey, Helmut Peters oder obiasten Brink einzustimmen. In Das Argument,jener Zeitschri r Philosophie und Sozi-alwissenschaen, r die ich seit 2005 ttigbin, nannten wir China in einem Doppelheeinmal den Groen Widerspruch und ver-

    suchten uns an einem Mittelweg zwischenden beiden Positionen. Ist das noch Dialek-tik oder schon der Unwille, sich zu positio-nieren? Das allerdings muss man, gerade alsSozialist. Denn schlielich ist China mit allseinen Widersprchen, mit seinen durchaus

    vorhandenen Errungenschaen und zugleich

    groen Irrtmern ein eil der Geschichte desKommunismus im 20. Jahrhundert.

    Werksttte der Welt

    Die groen Fragen sind zahlreich, wennes um China geht: Gibt es einen Rckgangder Rolle der Vereinigten Staaten, und wirdChina die USA als globale Hegemonialmachtablsen? Folgt au das Amerikanische gar einChinesisches Jahrhundert? Die Politikwissen-

    schalerin Susan Strange unterschied einmalvier Ebenen strukturaler Macht: Wirtscha,Finanzen, Politik und Wissen. China ist heu-te die Werksttte der Welt; mit der Chiang-Mai-Initiative einem chinesisch dominier-ten ostasiatischen Whrungswechsel hatsich China einen Mechanismus geschaffen,der vielleicht tatschlich einmal den Dollarals globale Leitwhrung der Welt (und hie-rau beruht schlielich ein Groteil der US-Macht) ablsen knnte; politisch(-militrisch)

    allerdings ist die US-Macht immer noch vllig

    unbestritten, und beim Betrachten des Film-programms im Flugzeug wird noch einmal

    klar, welche kulturelle Strahlkra Hollywoodund mit ihm der American Way o Lie bisheute hat auch und gerade r Chinas neueMittelklassen. (atschlich basiert die Poli-tik des Chinesischen raums au Familie,Haus und Auto.) Damit knnen chinesischeKampsportarten, Meditationen und chine-sisches Essen nicht wirklich mithalten we-nigstens nicht im Westen.

    Die Reise mit der Delegation hrt michzunchst ins mehr als 1 000 Kilometer sd-westlich von Beijing gelegene Xian, die alte

    dynastische Hauptstadt, wo einst die Seiden-strae begann. Heute sind Xian und die Pro-vinz Shaanxi das or zum rmeren WestenDer Weg nach Xian lsst noch nicht erahnen,

    wohin es geht. Der Hochgeschwindigkeitszug

    legt die Strecke in weniger als n Stundenzurck und erreicht dabei ber den Gro-teil der Strecke 300 Stundenkilometer. DieBahnhe am Wegesrand auerhalb dervorbeifliegenden Stdte gelegen, um die Ge-schwindigkeit nicht zu beeintrchtigen sind

    so elegant wie gigant(oman)isch. Sie sindauch bitter ntig, denn die Straen nicht nur

    Mit Atemschutzmaske zur Arbeit: Die Lsung drn-gender Umweltprobleme wird immer wichtiger fr

    das Land der Mitte

    IngarSolty

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    in Beijing, sondern auch in Xian oder Yanansind unabhngig von der ageszeit, ja, selbstnoch an einem Samstagabend, zumeist vl-lig verstop. Und der Smog Beijing ist anrund 150 agen im Jahr mehr oder wenigersichtgetrbt gehrt genauso zum Alltag wiedas Hupkonzert, das auch in Provinzorten wie

    Yanan selbst nach Mitternacht nicht abebbt.Der Zweck der Reise ist, einen Eindruck

    von der Entwicklung des Westens zu bekom-men. In Shaanxi wehrten sich konservativeVerteidiger des revolutionren Erbes lngerals in anderen Provinzen gegen die Marktff-nung. Fhrt man aus Xian heraus, so wird der

    Wohlstandskontrast zu Beijing ein doppelter:Er verlu zwischen Norden/Osten und Wes-

    ten/Sden und zwischen Stadt und Land.Im Gegensatz zu Indien hat China mit derrestriktiven Ein-Kind-Politik, die allerdingsau dem Land nicht gilt und au dem DrittenPlenum nun gelockert wurde, die Bevlke-rungsexplosion unter Kontrolle gehalten.rotzdem ist mit der Industrialisierung einedramatische Umweltdegradation einherge-gangen. Die Bden sind berlastet, China istweitgehend entwaldet, die Flsse in Shaanxihren nicht nur jahreszeitlich bedingt wenigbis zum eil berhaupt kein Wasser und dieFeinstaubbelastung ist gerade im Norden sodramatisch, dass US-Forscher in einer Studiezu dem Schluss kamen, dass die 500 Millio-nen Einwohner Nordchinas durchschnittlich

    neinhalb Jahre an Lebenserwartung einb-en. (Immerhin: Whrend meines Auenthal-

    tes ist der Himmel berwiegend blau.)

    Die kologische Fragerckt ins Zentrum

    Aus diesem Grund ist die kologischeFrage binnen weniger Jahre ins Bewusstseinder Funktionre gelangt und spielte auch auder Konerenz trotz der konomischen wiepolitischen Wachstumsabhngigkeit Chinas

    eine bergeordnete Rolle in Form des In-teresses an kosozialistischer Teoriebildung

    und dem von der Geschshrenden Di-rektorin im ecuadorianischen Wirtschas-ministerium, Patricia Cervantes, vorgetra-genen Konzept des Sozialismus des GutenLebens: Aufforstungsbemhungen und eine

    durchaus kluge Umweltpolitik gehren heute

    zur chinesischen Politik. So vergte die Re-gierung vor den Olympischen Spielen 2008beispielsweise, dass das Heizen mit Holz oder

    Kohle in Beijing verboten ist. Der Handel mit

    Kohle, die der Bevlkerung im Norden jah-

    relang gratis zur Vergung gestellt wordenwar, wurde im Stadtgebiet untersagt; im Ge-genzug dar wurde der Strom r Gas- undElektroheizungen im Jahreszeitraum vom15. Oktober bis zum 15. Mrz mit starkenSubventionen au ein Fnel des Normal-preises gesenkt. hnlich veruhr die Regie-

    rung mit benzinbetriebenen Motorrdern,dem bis dahin hauptschlichen Fortbewe-gungsmittel der Arbeiterklasse in Beijing.Diese sind augrund hherer Steuern mittler-

    weile so gut wie vollstndig aus dem Stadt-bild enternt und haben den unzhligen vonKleinhndlern und Lieerdiensten benutztenE-Bikes Platz gemacht.

    Entwicklung auf dem Land

    Auch vergt die Regierung bei besonders

    schlimmen Smog-Bedingungen, dass tage-weise alternierend nur die Autos mit geraden

    oder ungeraden Kennzeichen ahren dren,oder schliet wie im Januar 2013 Hun-derte Fabriken im Stadtgebiet auch einmalwochenlang. Allgemein verdeutlicht dieUmweltpolitik die enormen politischen Ka-pazitten des chinesischen Staates, die sichaus der weiterhin hohen Staatsquote sowieder in China als kollektive Fhrung be-zeichneten Einparteienherrscha ergeben.Man versteht, warum es der raum von To-mas L. Friedman ist, die USA mgen doch

    r einen ag so sein wie China (so das Ab-schlusskapitel in seinem letzten Buch), oder

    warum Francis Fukuyama angesichts derDysunktionalitt des US-politischen Systems

    augrund der Macht Lobbypolitik treibenderKapitalinteressen mittlerweile die Tese ver-tritt, die US-Demokratie habe China we-nig beizubringen.

    Heute lebt noch rund die Hle der Be-

    vlkerung au dem Land. Um dieses nichtzu entvlkern und indische Shantytownsals eil eines Slumplaneten (Mike Davis)zu produzieren, versucht die Regierung, dieProduktivitt des Landes zu steigern und dasLeben au dem Land auch allgemein attrakti-

    ver sowie durch den weiter voranschreitenden

    Auau der Land-Sozialversicherung sozialerzu machen. Wir besuchen nun die staatlicheAgrarhochtechnologie-Anschauungsanlageim etwa neunzig Kilometer westlich vonXian gelegenen Yangling. Hier sollen dieBauern aus dem Umland neueste internati-onale echnologien kennenlernen und ihrelandwirtschaliche Produktion, die seit demEnde der Kollektivagrarbetriebe von Klein-bauern dominiert ist, umstellen. Als wir inYangling eintreffen, ist dort gerade Markttag.Die reicheren Landwirte kauen sich einenKleinbus r umgerechnet ungehr 8 000bis 10 000 US-Dollar und transportieren ihreProdukte so au den Markt. Die meisten je-doch schaffen ihre Produkte mit den auchin Beijing allerdings nicht in diesem Maedominanten dreirdrigen Kastenwagen oder

    mit dem Motorrad herbei. Der Markt siehtnoch so rmlich und entwicklungsbedrig

    Rasante Industrialisierung in wenigen Jahrzehnten schaffte China den Aufstieg zu einer der fhrenden

    Wirtschaftsnationen der Welt

    I S l t

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    aus wie viele der buerlichen Siedlungen. DieYangling Modern Agricultural Demonstra-tion Park Development & Construction Co.,Ltd. soll die Bauern dazu animieren, ihre Pro-

    duktionsweise und auch ihre Produktpaletteau hherpreisige Gter umzustellen. Auchwird eine genossenschaliche Produktions-

    weise gerdert. Zur Anschauungsanlage ge-hren vor dem Hintergrund des Mangels an

    ruchtbaren Bden zum einen erdlose An-bauweisen, die allein au Irrigationssystemenmit geschlossenen Zirkeln beruhen, in denendie Pflanzen aus einem mit Stickstoff versetz-ten Wasserbassin wachsen. Zugleich soll dieAnlage den Beweis erbringen, dass auch diebeliebter werdenden ropenpflanzen in Chi-na angebaut werden knnen, um so die man-gelnde globale Wettbewerbshigkeit der Bau-

    ern durch eine Veredelung der Produktpalette

    zu berwinden. Auerdem gehrt zur Politikder Regierung der Auau von stdtischemGlitzer und Bildungsmglichkeiten in denDrern. So werden ffentliche Bibliothekengebaut, proessionelle nzer in den Stdtenausgebildet, um anzveranstaltungen in denDrern zu etablieren, und auch Karaoke-Einrichtungen werden in die Drer gebracht.

    KP-Funktionr alsHigh Risk Manager

    Ein weiterer Halt im knapp 300 Kilome-

    ter nrdlich gelegenen Yanan verdeutlicht,mit welchen Mitteln das Land erner moder-nisiert werden soll. Wir sind in einem neunKilometer auerhalb Yanans gelegenen Dorin ein Versammlungszentrum der lokalenKP eingeladen. Dieses liegt in einer amerika-nisch-vorstdtisch anmutenden Einkausmei-

    le. Vom gro gewachsenen, gut aussehendenund gut gekleideten Investor, der mit seinemMercedes vorgeahren kommt, wird uns einBaumodell gezeigt. Die Einkausmeile sollabgerissen werden. Augebaut werden soll

    eine gigantische Anlage an 400 Eigentums-wohnungen, Ladenlokalen und Groein-kauszentren. Diese soll genossenschalichbetrieben werden. Der Investor, der zugleichKP-Vorsitzender ist und sich im Baugewerbeein greres Vermgen erwirtschaet hat,kehrt als vermeintlicher Wohltter in seinHeimatdor zurck und bietet seinen Dorfe-

    wohnern, denen er auch als KP-Vorsitzendervorsteht, einen Deal an: Die Dorewohner,von denen viele verschuldet sind, tun sich alsGenossenscha zusammen und beteiligensich an der Hypothek des Investors. Aus die-

    sem Projekt entstand zunchst die Einkaus-meile, die nun dem Grobauprojekt weichensoll. Die Dorewohner erhalten zu einemViertel des Marktpreises eine Wohnung undprofitieren vom Verkau der brigen Woh-nungen und der Wirtschaseinheiten zumregulren Marktpreis. Ein KP-Funktionr

    zugleich als High Risk Manager? Shi Xiaohu,Direktor der Abteilung Internationale Par-teipolitikorschung beim CCCWS, sieht hierkein Problem. Business sei immer riskant,sollte das Projekt scheitern, besen die Bau-ern immer noch genossenschalich das Land;

    dann kme einach ein anderer Investor. Einchinesischer Mitarbeiter im Regionalbro der

    Rosa-Luxemburg-Stiung (RLS) in Beijingsieht das Problem woanders: Es mangele ander ransparenz. In einer anderen Provinz sei

    schon einmal solch ein Projekt gescheitert,weil die Projektmanager die Gelder verun-treut und zum Glcksspiel in Macao verwen-det htten. Immerhin: Das (neben dem nochimmer nicht geffneten Bankensektor) letzteBollwerk des Sozialismus der gemeinscha-

    liche Land- als Staatsbesitz bleibt weiterhinbestehen, auch wenn im Voreld des DrittenPlenums von Economist (Go On, Bet theFarm) bis Spiegel Onlineeine ffnung dies-bezglich vehement geordert worden war.Sollte er allen, gbe es in China soort wie-der jenen Grogrundbesitz, der nach der Chi-

    nesischen Revolution 1949 bzw. dem Beginn

    des Neuen China und der Verjngung, wiees im offiziellen Sprachgebrauch heit, abge-schaf worden war, indem nicht zuletzt alleSchuldscheine ffentlich verbrannt wurden.

    Und doch gehrt auch zur Entwicklung des

    Landes die Durchsetzung von Kapital-Arbeits-

    Beziehungen, das heit, von Lohnarbeit: Un-ser nchster Halt ist eine lokale Pilzabrik. Dort

    werden tglich 100 onnen Pilze produziert.Der Staat baute die Anlage mit einem Investi-tionsvolumen von 50 Millionen Yuan au undprivatisierte sie dann. Die Anlage profitiert

    von niedrigen Lhnen in der Region und be-schigt 600 Arbeiter. In den Produktionsan-lagen (der Inrarotwachstumsanlage, der Ver-packungsproduktionsanlage etc.) dren wirnicht otografieren. Erst in der ordistischenEinttungsanlage dren wir Aunahmen ma-chen. Die Arbeitszeiten sind trotzdem ormalnicht entgrenzt: Chinaweit gilt der Achtstun-dentag und die Fnagewoche.

    Die nchsten anderthalb age sind voneiner Reise in die Vergangenheit geprgt.Wir bleiben im 440 000 Einwohner zhlen-den Yanan jener uerst unzugnglichen

    Provinz also, in die sich die KommunistischePartei nach dem Langen Marsch zurckzogund von der aus sie den bewaffneten Kampzuerst gemeinsam mit den Kuomintang ge-gen den japanischen Imperialismus und imAnschluss bis zum Sieg der Revolution dann

    gegen sie begann. Hier besichtigen wir das2009 eingeweihte Revolutionsmuseum, dassich vom Nationalmuseum in Beijing rechtdeutlich unterscheidet: In Beijing ist der e-nor, Mao der 1980 in den Prozessen gegendie Viererbande von der Schuld an denAusschreitungen der Kulturrevolution teil-weise reigesprochen wurde (die offizielleFormel zu seiner Politik lautet: 70 Prozentrichtig, 30 Prozent alsch) war als Staats-grnder ntig, um mit dem Imperialismuszu brechen und die Grundlagen r die so-

    zialistischen Marktwirtschas-Reormen1978/79 zu legen. In Yanan vom Revoluti-onsmuseum bis zu den entlegenen Hhlen-verstecken der KP whrend des Antijapani-schen Krieges in Yangjiang ist dagegen dieGeschichte Maos eher eine reine Heldenge-schichte. Dass dieses Museum 2009 entstand

    deutet auch darau hin, wie stark die beidenWelten der Chinesischen Revolution und des

    heutigen Sozialismus chinesischer Prgung

    doch auseinanderstreben, selbst wenn vieleIntellektuelle und nicht wenige hrende ZK-

    nahe Kader und Funktionre, die wir au der

    Kapitalistische Industriali-

    sierung als Knigsweg zum

    Sozialismus? In der

    Pilzfabrik in Xian arbeitet

    man nach Ford, am

    Tiananmen-Platz gedenkt

    man der Revolutionre

    vergangener Zeiten.

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    Ingar Soltystudierte Poli-

    tikwissenschaft, promoviert

    und lehrt als wissenschaft-

    licher Mitarbeiter an der

    York University in Toronto/

    Kanada. Er ist Politikredak-

    teur bei der Zeitschrift Das

    Argument. Im Mrz 2013 erschien sein neues Buch

    Die USA unter Obamaim Argument Verlag.

    privat

    zweitgigen Konerenz traen, wirklich ehr-liche Kommunisten sind wie Huang Huagu-ang, der Direktor des International Depart-ment beim Zentralkomitee der KPCh, undernstha glauben, dass sie die Widerspr-che unter Kontrolle halten knnen und die

    Entesselung der Marktkre (einschlielichder Entstehung einer kapitalistischen Klasseund eines rapiden Wandels Chinas von ei-nem der egalitrsten in einen der sozial ammeisten ungleichen Staaten der Erde) nurder notwendige Schritt einer nachholendenbrgerlich-kapitalistischen Entwicklung sei beruhend au der von Marx und der ausdem sowjetischen Projekt gewonnenen Er-kenntnis, dass der Sozialismus nun mal ebendie kapitalistische Entwicklung voraussetze.Schon Deng hatte Anang der 1990er Jahre

    die neue soziale Ungleichheit damit gerecht-ertigt, dass es nicht schlimm sei, wenn einige

    eben eher wohlhabend werden als andere.Doch was ist mit der Fhrung selbst? Ist

    diese hnlich desillusioniert wie die letzteGeneration der KPdSU? Gibt es hier nochKommunisten? Marxistische Intellektuellewie Zhang Guangming, Proessor an der re-nommierten Universitt Beijing, der au derKonerenz die Rckkehr von ausbeuterischen

    Kapital-Arbeits-Beziehungen vehement kriti-

    sierte, oder Liu Shuchun, Research Fellow ander Chinesischen Akademie der Sozialwis-

    senschaen, die monierte, dass die Regierung

    sich mehr um Staaten und Machtparteien alsum ideologisch nahestehende kommunisti-sche Bewegungen weltweit kmmere, sind da

    skeptisch: Zhang zum Beispiel argumentierte,

    er habe seine Meinung als einacher Brger

    kundgetan, was in der Fhrung passiere, seidas Geheimnis der Eliten.

    Keiner wie Mao oder Deng

    Wenigstens unterstreichen die Kritik unddie Aussagen beider die von mehreren Seiten

    betonte, zunehmende Offenheit in der chi-nesischen Debatte. Dazu gehrt auch, dass

    viele Intellektuelle offen sagten, dass sie Sym-

    pathien r den wegen Korruption und Ver-tuschung einer Kapitalstraat (seiner Frau)

    verurteilten Bo Xilai hatten. Dieser wurdegeschasst nicht, weil er korrupt war. Dieswar er offenbar, aber auch nicht in einem gr-

    eren Mae als andere hohe KP-Funktionre

    auch. So berichtete zuletzt kurz nach demDritten Plenum des 18. Parteitages der KPdie New York Timesdarber, dass die ochter

    des im Mrz zurckgetretenen Ministerprsi-

    denten Wen Jiabao von der Wall-Street-Bank

    JPMorgan Zahlungen in Hhe von 1,8 Mil-lionen US-Dollar erhielt. Geschasst wurdeXilai, dessen Anhnger nun eine neue Parteimit ihm als (Ehren-)Vorsitzenden grndeten,

    vielmehr, weil er die Korruption geielte und

    dazu offenbar eine politische Karriere auer-halb der hierr vorgesehenen Austiegswege

    suchte, indem er sich an das Volk selbst unddirekt wandte. Der chinesische Mitarbeiterder RLS ist skeptisch: Ich bewundere Mao,

    denn er lernte von anderen (...). Im heutigenZK sehe ich niemanden wie Mao oder DengXiaoping. Sie haben alle private Interessenund kmpen nicht r die einachen Leute.Nicht mal Bo Xilai? Nein, der hatte auchpersnliche Interessen. Denken Sie, andere

    sehen das genauso wie Sie? Seine Antwort:Ja.

    Nach zwei Wochen in China, die mit ei-nem Vortrag an der Chinesischen Akademieder Sozialwissenschaen enden, ist eines ge-wiss: Wer sich mit China auseinandersetzt,

    muss einen ausgeprgten Sinn r Wider-sprche haben!

    IngarSolty

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