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1 DAS ARGUMENT 296/2012 © Ingar Solty Die China-Politik der USA zwischen Einbindung und Eindämmung Als Barack Obama das Amt des Präsidenten der USA mitten in der größten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren antrat, sprach sein Berater Rahm Emanuel den bemerkenswerten Satz: »You never want a serious crisis go to waste.« Sein Rücktritt dürfte damit zusammenhängen, dass der Ratschlag nicht beherzigt wurde. Das kohärenteste Projekt zur Erneuerung der US-Hegemonie war der klassen- und spektrumsübergreifend geforderte Green New Deal. Diesen Weg hat der Übergang zur Austeritätspolitik blockiert. Damit hat sich die Herausforderung geändert, die der Aufstieg Chinas für die USA darstellt. 1. Austerität statt grüner New Deal – und die Folgen Das grünkapitalistische Wachstumsmodell bestimmt bis heute Obamas Rhetorik. In seiner Rede zur Lage der Nation 2012, mit der er den Kampf um seine Wiederwahl begann, versprach er ein Programm der grüntechnologischen Reindustrialisierung. Sie verfolgt das doppelte Ziel von Basisinnovation und »Energieunabhängigkeit«. Die Rolle des Staates sieht Obama nur in Infrastrukturinvestitionen (Breitband fürs Hinterland, öffentliche Aufträge für die Bauwirtschaft), Requalifizierung der durch die kapitalistische Outsourcing- und Automationsdynamik Dequalifizierten und Subventionen für grüntechnologische Unternehmen. Die finanziellen Grundlagen hierfür sollen durch die Beendigung der Subventionen für die fossil-energetische Industrie und Bushs Steuersenkungen gelegt werden (Obama 2012). Die Verlänge- rung Letzter hatte Obama im Austausch für die republikanische Zustimmung zur Verlängerung der Arbeitslosenbezüge selbst veranlasst. Die Einsparungen sollen zugleich das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte, ihrer Ratingagenturen und der chinesischen Zentralbank in die Bonität des US-Staates erhalten. Den Lohnabhängigen hat Obama jenseits von (für den Niedriglohnsektor irrele- vante) Steuersenkungen für die »Mittelklassen« sowie Bildungskrediten wenig zu bieten. Die institutionelle Aufwertung der Gewerkschaften und eine Stärkung der Binnennachfrage durch höhere Löhne waren und sind jetzt erst recht nicht vorge- sehen. Im Gegenteil, eine erhöhte Ausbeutungsrate ist neben dem sinkenden Dollar elementarer Bestandteil der neuen US-Entwicklungs- und Wettbewerbsstrategie. In seinen jüngsten Reden hat sich Obama angewöhnt, wie ein Arbeiter zu klingen, wenn er Begriffe wie »job«, »factory« oder »work« fallen lässt. Damit soll die US-Arbeiterklasse darüber hinweggetäuscht werden, dass die neue »Vision« für sie wenig mehr vorsieht als verschärfte Standortkonkurrenz und ein allgemein sinkender Lebensstandard. Zielvorgabe ist die Verdopplung der US-Exporte in fünf Jahren. Eine Signalwirkung ging dabei von der Halbierung der Löhne in der verstaatlichten Automobilindustrie aus, die von Obama als Erfolg gefeiert wird.

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The Green New Deal, understood as a means to reestablishing US hegemony, has failed and given way to a global austerity turn. This has significant consequences for the ability of the US state to fully and hegemonically integrate China into the American Empire, because it enhances existing tensions regarding global trade and China’s state-interventionist industrial and energy policies. US foreign policy faces a dilemma. On the one hand the financial dependence on China rule out direct confrontation, on the other hand the perpetuation of US hegemony depends onaverting that the increasing regional integration in South East Asia emerges as a challenge to the US-dominated world economy and its monetary configuration. The US are therefore pursuing a risky strategy that seeks to achieve its goals through utilizing existing tensions, most notably around the South China Sea, in order to increase US military presence in the region. This strategy, however, is facing difficulties and setbacks both from protectionism at home and China’s clever economic diplomacy abroad.

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Ingar Solty

Die China-Politik der USA zwischen Einbindung und Eindämmung

Als Barack Obama das Amt des Präsidenten der USA mitten in der größten Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren antrat, sprach sein Berater Rahm Emanuel den bemerkenswerten Satz: »You never want a serious crisis go to waste.« Sein Rücktritt dürfte damit zusammenhängen, dass der Ratschlag nicht beherzigt wurde. Das kohärenteste Projekt zur Erneuerung der US-Hegemonie war der klassen- und spektrumsübergreifend geforderte Green New Deal. Diesen Weg hat der Übergang zur Austeritätspolitik blockiert. Damit hat sich die Herausforderung geändert, die der Aufstieg Chinas für die USA darstellt.

1.AusteritätstattgrünerNewDeal–unddieFolgen

Das grünkapitalistische Wachstumsmodell bestimmt bis heute Obamas Rhetorik. In seiner Rede zur Lage der Nation 2012, mit der er den Kampf um seine Wiederwahl begann, versprach er ein Programm der grüntechnologischen Reindustrialisierung. Sie verfolgt das doppelte Ziel von Basisinnovation und »Energieunabhängigkeit«. Die Rolle des Staates sieht Obama nur in Infrastrukturinvestitionen (Breitband fürs Hinterland, öffentliche Aufträge für die Bauwirtschaft), Requalifizierung der durch die kapitalistische Outsourcing- und Automationsdynamik Dequalifizierten und Subventionen für grüntechnologische Unternehmen. Die finanziellen Grundlagen hierfür sollen durch die Beendigung der Subventionen für die fossil-energetische Industrie und Bushs Steuersenkungen gelegt werden (Obama 2012). Die Verlänge-rung Letzter hatte Obama im Austausch für die republikanische Zustimmung zur Verlängerung der Arbeitslosenbezüge selbst veranlasst. Die Einsparungen sollen zugleich das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte, ihrer Ratingagenturen und der chinesischen Zentralbank in die Bonität des US-Staates erhalten.

Den Lohnabhängigen hat Obama jenseits von (für den Niedriglohnsektor irrele-vante) Steuersenkungen für die »Mittelklassen« sowie Bildungskrediten wenig zu bieten. Die institutionelle Aufwertung der Gewerkschaften und eine Stärkung der Binnennachfrage durch höhere Löhne waren und sind jetzt erst recht nicht vorge-sehen. Im Gegenteil, eine erhöhte Ausbeutungsrate ist neben dem sinkenden Dollar elementarer Bestandteil der neuen US-Entwicklungs- und Wettbewerbsstrategie. In seinen jüngsten Reden hat sich Obama angewöhnt, wie ein Arbeiter zu klingen, wenn er Begriffe wie »job«, »factory« oder »work« fallen lässt. Damit soll die US-Arbeiterklasse darüber hinweggetäuscht werden, dass die neue »Vision« für sie wenig mehr vorsieht als verschärfte Standortkonkurrenz und ein allgemein sinkender Lebensstandard. Zielvorgabe ist die Verdopplung der US-Exporte in fünf Jahren. Eine Signalwirkung ging dabei von der Halbierung der Löhne in der verstaatlichten Automobilindustrie aus, die von Obama als Erfolg gefeiert wird.

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Mit der Krise und ihrer Verschiebung vom Bankensektor auf die Staatshaus-halte ist deutlich geworden, dass die USA nicht länger den »Importeur letzter Instanz« der Weltwirtschaft spielen können. Der Überkonsum der Privathaushalte und des Staates sind an ihre Grenzen geraten und können überschüssige Kapital- und Warenströme anderer Länder nicht mehr absorbieren. Austeritätspolitik und Exportstrategie werden von den ausländischen Zentralbanken und der chinesischen Regierung als Mittel zum Abbau des Doppeldefizits der USA weitgehend begrüßt. Im Sommer und Herbst 2011 forderte die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua einen Abbau der Staatsverschuldung in den USA und nannte ausdrücklich Militär- und Sozialausgaben. Zugleich weckte die Politik der quantitativen Lockerung durch die US-Notenbank im Ausland Zweifel, ob die USA willens sind, ihr Leistungsbi-lanzdefizit auf »faire« Weise zu beseitigen oder ob sie die Schulden mithilfe der Notenpresse weginflationieren will. Politsch misslungen ist, die Staatsschulden als Problem auf der Einnahmenseite zu verhandeln und Steuererhöhungen zugunsten von Schuldenabbau und innovationspolitischer Kapitalismusreform durchzusetzen.

In einem System nationaler Wettbewerbsstaaten mit exportorientierten Wachs-tumsmodellen wächst der Konkurrenzkampf um Kapitalinvestitionen. Eine Folge des Übergangs der USA zur Exportstrategie war der Handels- und ›Währungskrieg‹ von 2010/2011. Die Transnationalisierung steht dabei im Widerspruch zur national-staatlich organisierten Hegemonie und damit zur inneren Legitimation der Staaten. Wenn die hegemoniale Integrationskraft sinkt, vermehren sich die Widersprüche und das liberalimperialistische Projekt »Weltmarktintegration« gerät von rechts und links unter Druck. Da der US-Staat sich jedoch auf die Globalisierung des Kapita-lismus festgelegt hat, wächst die Tendenz zur Ablenkung der inneren Widersprüche nach außen. Die zunehmend aggressiveren Töne sind Ausdruck der wachsenden Konkurrenz der um innere Hegemonie und Kohäsion bemühten Nationalstaaten.

Das kennzeichnet auch die Politik von Obama seit dem Übergang zur Austerität. Nur so kann er die Wut im Innern über die Krise, die Reallohnentwicklung, die soziale Ungleichheit und die relative Verelendung entschärfen. China fungiert dabei als Sündenbock. So kündigte Obama in seiner Rede zur Lage der Nation 2012 die Grün-dung einer TradeEnforcementUnit an, die »unfaire Handelspraktiken in Ländern wie China untersuchen soll«. Die USA würden nicht untätig zusehen, »when our competi-tors don’t play by the rules. We’ve brought trade cases against China at nearly twice the rate as the last Administration […]. Over a thousand Americans are working today because we stopped a surge in Chinese tires. […] It’s not right when another country let’s our movies, music, and software be pirated. It’s not fair when foreign manufac-turers […] are heavily subsidized.« Durchzusetzen sei, »that no foreign company has an advantage over American manufacturing when it comes to accessing financing or new markets like Russia. Our workers are the most productive on Earth, and if the playing field is level, I promise you, America will always win.« (Obama 2012)

Die USA sind finanziell auf China angewiesen und müssen zwecks Integration Chinas in den US-dominierten globalen Kapitalismus verhindern, dass die rhetori-sche Schärfung von Konflikten außer Kontrolle gerät. Die Beweggründe sind daher

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schwer einzuschätzen; auch in China ist man sich unsicher, ob es sich dabei um Beruhigungsversuche nach innen oder reale außenpolitische Kampfansagen handelt. Wenn Obama sagt: »Anyone who tells you […] that America is in decline or that our influence has waned, doesn’t know what they’re talking about«, dann adressiert er damit genauso den starken Nationalismus daheim wie die globalen Eliten. In jedem Fall untermauern die USA gegenüber dem Rest der Welt, dass sie an ihrer globalen Führungsrolle festhalten.

Die Integration Chinas in ein Weltwirtschaftssystem mit US-dominierten institu-tionellen Arrangements, bleibt das Ziel. Allerdings haben sich unter dem Eindruck der neuen austeritätspolitischen Konstellation die Mittelgeändert, mit denen es verfolgt wird. Die aktive, selektive Weltmarkteinbindung Chinas, die jenseits der Sonderwirtschaftszonen das Recht auf Planung mit einem abgeschotteten Binnen-markt und Kapitalkontrollen bis heute weitgehend verteidigt hat, ist für die USA eine große Herausforderung. Solange die chinesische Regierung daran festhält, bleiben ihr starke Machtressourcen, den Druck des Weltmarktes abzufedern. Nach dem Scheitern des grünkapitalistischen Staatsinterventionismus ist die grüne Konjunkturpolitik Chinas, d.h. der systematische Aufbau von Weltmarktführern in den neuen grünen Technologien, dem US-Staat und den von ihm repräsentierten transnationalen Konzernen ein Dorn im Auge. In seiner Rede zur Lage der Nation forderte Obama daher die Gleichbehandlung von nationalen und transnationalen Konzernen. Dieser Grundsatz hat sich lange als wirksames Mittel der exportorien-tierten Umstrukturierung und Weltmarktintegration im Interesse des transnationalen Kapitals bewährt. Die entscheidende Frage ist, welche Machtressourcen die USA besitzen, China davon abzuhalten, gegebenenfalls die Führungsrolle der USA durch einen Angriff auf das Dollar-Wall-Street-Regime in Frage zu stellen.

2.Amerika,Chinaundderasiatisch-pazifischeRaum

Besonders besorgniserregend sind für die USA, dass sich China im Windschatten der US-Involvierung im Mittleren Osten durch eine Forcierung der Süd-Süd-Koope-ration und mit einer »wohlwollenden« (Dollar-)Diplomatie verbesserte Positionen im internationalen System erarbeitet hat. Das »verlorene Jahrzehnt«, das die USA in Bezug auf das linksgewendete Lateinamerika beklagen, gilt auch in Bezug auf Ostasien. Die USA bemühen sich nun, verlorenen Boden wettzumachen. Dabei verlassen sie sich v.a. auf ihre militärische Dominanz.

Ihre Strategie beruht auf zwei Prinzipien: das Teile-und-herrsche und die Kontrolle der Welthandelswege. Damit folgen die USA den strategischen Überlegungen des lang-jährigen Außenpolitikberaters der Demokraten, Zbigniev Brzezinski. Dessen Sorge nach dem Ende der Systemkonkurrenz war die ökonomische und politische Integration der eurasischen Landmasse (vgl. Brzezinski 1998). Sie galt es zu spalten, um die Hege-monie des American Empire zu sichern. Brzezinskis Kritik der Bush-Administration fiel so harsch aus, weil er die geopolitische Stärke der USA (ihren Quasi-Inselstatus) auch als Schwäche definiert. Die USA seien als »einsame Supermacht« bei ihrer Herr-

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schaft in und über die eurasische Landmasse auf Transmissionsriemen angewiesen. Die Hegemonie der USA werde einerseits durch eine starke Flotte abgesichert. Ande-rerseits bedürfe es der Brückenköpfe auf der eurasischen Landmasse in Gestalt von durch US-Militärbasen gestützten Militär bündnissen.

Für Chinas Aufstieg gibt es keine historischen Vorbilder. Im Gegensatz zu den aufholenden Konkurrenten Deutschland und Japan ist China den USA flächenmäßig ebenbürtig und verfügt über eine fast viermal so große Bevölkerung. Ferner geht es im Gegensatz zu den militärisch besiegten Deutschland und Japan um die Integra-tion eines Staates, der nicht als geopolitischer Bündnispartner in das amerikanisch geführte Imperium integriert ist, sondern Akkumulationsmotor der Weltwirtschaft und politisch souverän ist.

Das multilaterale Vehikel der USA im asiatisch-pazifischen Raum war lange die Asia-PacificEconomicCooperation (APEC), die 1989 zur Vorbereitung einer asia-tisch-pazifischen Freihandelszone von den USA, Japan und Australien gegründet wurde und der China und Taiwan (als ökonomische Region, nicht als völkerrecht-lich anzuerkennender Staat) 1991 beitraten (Indien ist kein Mitglied). Die APEC stagniert seit einigen Jahren aufgrund des vielfältigen Widerstands gegen das Frei-handelsprojekt. Damit verlor sie an Bedeutung für die Staaten Asiens zugunsten des ASEAN-Zusammenschlusses, der die politischen Belange Südostasiens regelt und zwar unter Ausschluss der USA. Insofern fragt sich, ob die regionale Integration im Rahmen von ASEAN noch innerhalb des American Empire oder eventuell schon außerhalb oder gar als Gegenmodell zu ihm verläuft.

Die Dynamik der Integration der ASEAN-Staaten mit China, Japan und Südkorea (ASEAN-plus-3) ist im Vergleich zur APEC bemerkenswert. Dieser Prozess, der in Folge der Asienkrise 1997 begann, hat sich im Zuge der globalen Krise und des dynamischen Wachstums in den asiatischen Schwellenländern (China, aber auch Indonesien) noch einmal beschleunigt. ASEAN handelte bilaterale Freihandelsabkommen mit Südkorea (2007 sowohl für Güter als auch Dienstleistungen) und Japan (2008) sowie China, Australien, Neuseeland und Indien (allesamt 2010) aus. Zudem bemühte sich China selbst um bilaterale Freihandelsverträge mit Nicht-ASEAN-Ländern: 2008 wurde ein Freihandelsabkommen mit Neuseeland abgeschlossen, wurden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Australien aufgenommen und Verhandlungen über weitere Freihandelsabkommen mit Indien, Japan und Südkorea vorbereitet. Im Ergebnis ist China heute vor den USA der wichtigste ASEAN-Handelspartner.

Die Freihandelsbemühungen der USA nehmen sich dagegen – und vor dem Hintergrund der Exportziele der Obama-Administration – bescheiden aus. So gelangen lediglich Freihandelsabkommen mit Südkorea, Panama und Kolumbien. Dabei ging in Folge des Widerstands (v.a. seitens der US-Gewerkschaften) dem Vertrag mit Südkorea eine lange Stagnation voraus, weshalb Obama erst am 21. Oktober 2011 unterzeichnen konnte.

Die USA reagierten auf diese Entwicklung mit einer Stärkung der »soft power«. Schon 2004/06 werteten sie China im Rahmen des StrategicEconomicDialogue (SED) auf. Auf dem G20-Treffen in London im April 2009 erweiterten Obama

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und Jintao dieses institutionelle Forum als U.S.StrategicandEconomicDialogue (S&ED) bzw. »G2«. Die Betonung der gemeinsamen Interessen steht im Vorder-grund, angefangen mit der Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages durch Nordkorea. Zugleich betont man den Willen zum gemeinsamen Management des globalen Kapitalismus und der Stabilisierung des chinesisch-amerikanischen Verhältnisses durch den Abbau der ökonomischen Ungleichgewichte – etwa durch Einstieg der USA in die Austerität. Zugleich begrüßen die USA die chinesischen Bemühungen um den eigenen Binnenmarkt im Rahmen des XII. Fünfjahresplans, der – zur Entschärfung sowohl der Abhängigkeit von den USA als auch der sozialen Konflikte im Innern – die Anhebung des Mindestlohns, die Erhöhung der Lohn-quote und die Andockung der Löhne an die Produktivitätsentwicklung bei einer allgemeinen Orientierung an der Vollbeschäftigung anstrebt.1 Der chinesische Staat bekennt sich zum Kampf gegen den »Investitionsprotektionismus« und gegen die »Diskriminierung« von ausländischem Kapital, wobei offen ist, inwieweit dies den Willen zur Abkehr von der Politik der selektiven Weltmarkteinbindung bedeutet. Denn in Folge der globalen Krise und der sich verschiebenden Kräfteverhältnisse nutzt China den S&ED auch als Forum zur Demonstration des neuen Selbstbewusst-seins. Dazu gehörte im Vorfeld des S&ED 2010 auch die Forderung der chinesischen Regierung nach der Aufhebung von Ausfuhrzöllen auf hochtechnologische Waren aus den USA (Xuren 2010). Hillary Clinton brachte die Verlegenheit der USA zum Ausdruck, als sie klagte: »How do you get tough with your banker?«, während der Finanzminister Timothy Geithner mehrfach nach China reiste, um dort den Willen der USA zu bekräftigen, das Doppeldefizit zu reduzieren (BusinessWeek, 22.5.2010).

Weil sie zweifelt, ob das gelingen wird, bemüht sich die chinesische Regierung um Alternativen zum Dollar-Wall-Street-Regime. Auch in anderen Teilen der Welt – von Lateinamerika über die Golfregion bis nach Afrika – verstärken sich seit der Krise die Bemühungen um eine Alternative zum Dollar und den damit verbundenen Tributzahlungen und Instabilitäten, wobei Lateinamerika mit der »Bank des Südens« und dem SUCRE die größten Fortschritte in diese Richtung gemacht hat.

In China nimmt die Tendenz zu gepoolten Währungsreserven (auch und trotz der Krise der Alternativwährung Euro) die Gestalt des Chiang-Mai-Initiative-Multilateralisation-Agreement (CMIM) vom März 2010 an. Dahinter verbirgt sich ein Währungswechsel der ASEAN-plus-3-Staaten in einem Finanzvolumen von 120 Mrd USD, um sich gegen Währungsspekulationen des Finanzkapitals und Struk-turanpassungsprogramme des IWF und der Weltbank zu wappnen. Die Dominanz Chinas ist dadurch gesichert, dass im CMIM das »One-Dollar-One-Vote-Prinzip« gilt und China mit rund einem Drittel der Gesamtsumme den größten Beitrag zum CMIM leistet (das Doppelte von jeweils Südkorea und Japan). Mit dem CMIM werden Lehren gezogen aus der »Akkumulation durch Enteignung« in Folge der

1 Diese Richtungsentscheidung kommt nicht aus heiterem Himmel und ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass das sehr hohe Streikniveau in China nicht die Perspektiven der bisherigen Entwicklungsstrategie auf der Grundlage der niedrigen Löhne in der arbeitsintensiven Fertigungsindustrie einschränkt.

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Asienkrise 1997 und der Macht des Finanzkapitals in der gegenwärtigen europäi-schen ›Staatsanleihekrise‹. Zugleich erlaubt der bewusste Ausschluss der USA aus dem CMIM den Aufbau eines Asiatischen Währungsfonds in Abgrenzung zum IWF, selbst wenn die Beteiligung des IWF am Prozess der Kreditvergabe noch garantiert werden soll (vgl. Grimes 2011). Ob das einen Angriff auf den US-Dollar bedeutet, ist unklar. In jedem Fall wird die neue US-Außenpolitik im asiatisch-pazifischen Raum von dieser Befürchtung angetrieben.

3.Vom»amerikanischenJahrhundert«zu»AmerikaspazifischemJahrhundert«

In den USA verstärken sich angesichts dieser Entwicklung die Tendenzen, die Vorherrschaft mit Mitteln der militärischen Dominanz zu flankieren. In China hat dies zu Befürchtungen geführt, die USA verfolgten eine Politik der »Eindämmung« und versuchten, ihre sinkende Macht im Bereich der Finanzen und der Akkumula-tionsdynamik durch militärische Macht zu kompensieren und so China zu zwingen, sich in eine untergeordnete Rolle im American Empire zu fügen und die neoliberalen Spielregeln zu akzeptieren. Die Herausforderung, sich als »pazifische Macht« zu etablieren, hat Hillary Clinton unter dem Titel »Amerikas pazifisches Jahrhundert« beschrieben. Zu Beginn heißt es: »As the war in Iraq winds down and America begins to withdraw its forces from Afghanistan, the United States stands at a pivot point. Over the last 10 years, we have allocated immense resources to those two theaters. In the next 10 years, we need to be smart and systematic about where we invest time and energy, so that we put ourselves in the best position to sustain our leadership, secure our interests, and advance our values. One of the most impor-tant tasks of American statecraft over the next decade will therefore be to lock in a substantially increased investment -- diplomatic, economic, strategic, and otherwise – in the Asia-Pacific region.« (Clinton 2011) Dabei verbirgt sich hinter »otherwise« das gesamte Arsenal amerikanischer Machtprojektion: Verdeckte Operationen, präemptive Angriffskriege bis hin zu Atomschlägen.

Eine besondere Herausforderung für die Eliten in den USA ist die hegemoniale Erosion an der Heimatfront. Clintons Artikel ist daher nicht nur als Warnung an China und künftige andere Herausforderer der US-Hegemonie zu lesen, sondern auch als Kampf gegen die allgemeine Kriegsmüdigkeit sowie die protektionistischen und Empire-kritischen Stimmungen sowohl von rechts als auch von links: »Those who say that we can no longer afford to engage with the world have it exactly back-ward – we cannot afford not to. From opening new markets for American businesses to curbing nuclear proliferation to keeping the sea lanes free for commerce and navigation, our work abroad holds the key to our prosperity and security at home.« (Clinton 2011)

Das Scheitern der multilateralen Freihandelsbemühungen führt die USA zwangsläufig zur Konstruktion eines Systems antichinesischer Bündnisse auf der Grundlage bilateraler Abkommen mit den traditionellen Verbündeten Japan, Aust-ralien, Südkorea und Indien sowie den sogenannten »Major Non-NATO Allies«

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Thailand und den Philippinen. China wird dabei selten ausdrücklich genannt, aber es ist immer gemeint, wenn von »freedom of navigation«, »open markets«, »fair competition«, »cyberthreats« und »deterring provocation from the full spectrum of state and nonstate actors« (ebd.) die Rede ist.

Der Containment-Charakter der neuen US-Politik zeigt sich an der offenen mili-tärischen Zielrichtung der Abkommen. Offiziell senden die USA – v.a. nach innen – das Signal der Demobilisierung aus, wenn z.B. von Kürzungen im Rüstungsetat und Truppenabzug aus dem Irak und 2014 aus Afghanistan die Rede ist. Die Wirk-lichkeit sieht anders aus. Auch hinter der Sparrhetorik u.a. des langanhaltenden Prozesses der BaseRealignmentandClosure (BRAC) geht es nicht um Abrüstung, sondern um größere Effizienz im Sinne einer Anpassung des Militärs an die »Neuen Kriege« und die Ausweitung der globalen Machtprojektion. Geschlossen werden Militärbasen fast ausschließlich im Inland, während die ausländischen, besonders in der asiatisch-pazifischen Region ausgedehnt werden.2 Der offensichtlichste Wider-spruch zur Abzugsrhetorik ist der massive Ausbau der drei großen Militärbasen in Afghanistan, der für Irritationen bei vielen Beobachtern geführt hat.3

Zugleich verstärken und erweitern die USA – auch gegen den massiven Protest Russlands und Chinas – ihre Militärpräsenz sowohl in Südost- als auch in Zent-ralasien. Im November 2011 kündigten sie die Stationierung von 2500 Soldaten in Darwin in Nordaustralien an, verstärkten u.a. mit sechs Angriffs-U-Booten die Marine- und Luftwaffenstützpunkte in der westpazifischen US-Kolonie Guam, die schon im Vietnamkrieg zentrale Bedeutung hatten, verlagerten Flugzeugträger nach Japan, befestigten im November 2011 das außenpolitische Bündnis mit den Philippinen und nahmen militärische Bündnisverhandlungen mit Myanmar auf. Zudem traten sie in einen trilateralen Dialog mit Japan und Indien, wobei die bishe-rige Orientierung eher eine Annäherung an die regionalen Integrationsprojekte in Ostasien verkörpert denn eine Konfrontation. Schließlich bemühen sich die USA ihrerseits um weitere, bilaterale Freihandelsabkommen mit Malaysia, Brunei, Vietnam, Singapur und Neuseeland – allerdings mit mäßigem Erfolg.

Für die geopolitische Einbindungs- und Eindämmungsstrategie gegenüber China ist die US-Militärpräsenz in Zentralasien mindestens genauso entscheidend wie jene im südostasiatischen Raum. Ein Großteil der Truppen aus Afghanistan soll hierhin verlagert werden. Die fünf Staaten des Kaukasus grenzen an Russland, China und den Iran und sind so Garantien für die geopolitische Kontrolle des Mittleren Ostens;

2 Von den 1,5 Mio. US-Soldaten sind nach wie vor 500 000 im Ausland stationiert, davon 100 000 in Afghanistan; in der asiatisch-pazifischen Region bis zur Westgrenze Indiens ist nochmal dieselbe Anzahl an Truppen stationiert, die meisten davon traditionsgemäß in Japan und Südkorea; auch dies ist ein Grund, warum die USA die Konfrontation mit Nordkorea suchen müssen und eine koreanische Wiedervereinigung ein strategisches Rechtfertigungs-problem bedeuten würde, da es Forderungen nach einem Truppenabzug befördern würde.

3 Das Bagram Airfield mit seinem berüchtigten Geheimgefängnis wird seit Herbst 2009, der Internationale Flughafen Kandahar als Militärstützpunkt der USA schon seit etwas längerer Zeit erweitert; die Größe der Shindand-Airbase wurde bis Mitte 2011 verdreifacht und seine militärische Nutzbarkeit auch für die größten Kriegsflugzeuge erhöht.

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eine weitere Präsenz im Kaukasus könnte zudem die Ausdehnung der Kooperation zwischen den Golfstaaten und China verhindern. Die Konfrontation des Irans muss auch unter diesem Aspekt betrachtet werden. Zwar ist die ökonomische Kooperation und panasiatische regionale Integration noch gering, doch mit dem AsiaCoopera-tionDialogue (ACD) gibt es ein Forum, in dem – von China angestoßen – seit 2002 die Kooperation der ASEAN-Staaten mit dem Mittleren Osten intensiviert wird (Iran trat 2004 unter dem Eindruck des imperialistischen Politik der USA im Irak und in Afghanistan bei).

Der CoucilofForeignRelations konnte die Schließung des US-Luftwaffenstütz-punkts in Kirgisien lange als unwahrscheinlich abtun, weil dieser die wichtigste Devisenquelle des armen Landes ausmachte. Auch Aserbaidschan hat sich 2010 mit einer neuen Militärdoktrin um einen Luftwaffenstützpunkt im Grunde gerissen. Aber auch Naturkatastrophen wie der Tsunami 2004, oder die Erdbeben-, Tsunami-und Atomkatastrophe 2011 in Japan begünstigen die Präsenz – nicht zuletzt, weil die US-Unterstützung in diesen Fällen den Effekt hat, den langfristigen globalen Anse-hensverlust der USA zeitweilig umzukehren4 und die Akzeptanz der US-Truppen im eigenen Land zu erhöhen.5

Der geopolitische Vorstoß der USA in Asien ist trotzdem keine Einbahnstraße. Die Pentagon-Strategie des »Forward-Positioning« stößt immer wieder auf Wider-stand. Insbesondere in den letzten Jahren kam es mehrfach zu Rückschlägen im »War on Terror«. In Folge der Tulpenrevolution in Kirgisien 2005 befahl die neue Regierung den Abzug, der nur mit großen finanziellen Ressourcen (Verdreifachung) abgewendet werden konnte. Auch die Regierung Usbekistans erzwang 2005 die Schließung des Kharshi-Khanabad-Luftwaffenstützpunkts. Im selben Atemzug traten Usbekistan und Kirgisien 2006 bzw. 2008 dem AsiaCooperationDialogue bei. In Folge dieser Entwicklung ist Georgien zu einem der Hauptkandidaten für die Stationierung von US-Truppen geworden; eine Militärpräsenz im Umfang von etwa 25 000 Soldaten ist geplant. Die US-Unterstützung des georgischen Angriffs auf Südossetien ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Schließlich sind die USA seit 2010 auch in Tadschikistan, Aserbaidschan und Turkmenistan mit Grenzposten, Ausbildungslagern und dem Bau von Militärflughäfen als ambivalenter ›Entwick-lungshilfe‹ präsent.

Die Schwierigkeiten des US-Imperialismus ergeben sich aus mehreren Zusam-menhängen. Erstens sind Tributzahlungen in Gestalt des Dollar-Wall-Street-Regimes von der Militärmacht abhängig, während diese von der prekär gewordenen Finanz-

4 Die US-Unterstützung nach dem GAU von Fukushima führte zu einem frappierenden Ansehensgewinn der USA in Japan (vgl. http://www.pewglobal.org/2011/07/13/china-seen-overtaking-us-as-global-superpower/).

5 Die Flutkatastrophe im Indischen Ozean 2004 erleichterte den USA die Militärpräsenz in dem am Schlimmsten betroffenen Thailand. Thailand war der wichtigste US-Bündnispart-ner im Vietnamkrieg. Im »Krieg gegen den Terror« verhielt sich Thailand neutral, gewährte den USA jedoch indirekte Schützenhilfe. In der »Forward-Positioning«-Strategie des Penta-gon spielt der hierbei bedeutsame Luftwaffenstützpunkte U-Tapao weiterhin eine wichtige Rolle.

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und ökonomischen Machtstellung der USA abhängt. So war es der Regierung in Aserbaidschan gleichgültig, ob sich die USA, Russland, die Türkei oder Israel für einen Luftwaffenstützpunkt interessierten. Zudem sind neben Russland auch Kasach-stan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan der für die chinesischen Interessen wichtigen ShanghaiCooperationOrganization (SOC) beigetreten. Die bilaterale Vorgehensweise ist der Versuch solche existierenden Bündniskonstellationen zu unterlaufen bzw. abzuschwächen. Ähnlich wie im Falle der »blockfreien Staaten« im Kalten Krieg ermöglicht die Konkurrenz zwischen den USA und China diesen Staaten dabei eine verbesserte (und für die USA kostspielige) Verhandlungsposition. Zweitens regen sich immer mehr soziale Proteste gegen das amerikanische

Empire. Rückschläge gibt es nicht nur in Lateinamerika, wo Ecuador die US-Mili-tärbasis 2009 schloss und das Verbot von US-Militärpräsenz in die neue Verfassung aufnahm. In Alice Springs in Australien kam es zu starkem Widerstand gegen den zentralaustralischen Militärstützpunkt, der vermutlich v.a. die chinesische Militärentwicklung ausspioniert. In Kasachstan wurde die Einrichtung eines Luft-waffenstützpunktes verworfen, aus Angst vor der islamisch-fundamentalistischen Opposition und um China nicht zu brüskieren, das in Kasachstan in zahlreiche Ölfelder investiert und Öl- und Gaspipelines gebaut hat. Drittens hakt es auch bei der Durchsetzung nichtmilitärischer Freihandelsabkommen (vgl. oben).

Die Containment-Politik beschränkt sich jedoch nicht auf Truppenstationierungen in Eurasien und im asiatisch-pazifischen Raum. Die Kriege in Afghanistan, Pakistan und im Irak haben die Grenzen der traditionellen Kriegsführung trotz der guten geopolitischen Präsenz in der Region aufgezeigt. In Folge dessen orientieren sich die USA zunehmend an den Erkenntnissen des Geo- und Imperialpolitikers Alfred Thayer Mahan. Dieser hatte 1890 in seinem Werk TheInfluenceofSeaPoweruponHistory:1660–1783 die Blaupause für den informellen Imperialismus der USA und die spezifische Empirepolitik von Theodore Roosevelt und seinen Nachfolgern gelegt (vgl. auch Bové 2003) und versucht, die Relevanz der Seehoheit dank einer starken nationalen (Handels-)Flotte nachzuweisen. Heute gewinnt die militärische Kontrolle der Handelswege erneut an Bedeutung – denn das Erpressungspotenzial ist enorm.

Seit 2010 betreiben die USA eine Dominanzstellung auf den Weltmeeren bis ins Südchinesische Meer. Dies wird offen ausgesprochen – auch das Ziel der Einschüch-terung (vgl. Clinton 2011). Das Südchinesische Meer ist zentral für den Welthandel, vergleichbar nur der Straße von Hormus zwischen dem Oman und Iran und der Straße von Malakka. Chinas Entwicklungsstrategie ist bei allen drei betroffen. Das Südchinesische Meer ist Grundlage der chinesischen Bemühungen um Energieun-abhängigkeit. Ungeachtet der umfangreichen Ressourcen, die in die Forschung und Entwicklung von alternativen und regenerativen Energieträgern und die Förderung staatlicher Grüntechnologieunternehmen fließen, wird die Versorgung mit fossilen Energieträgern und die politische Sorge darum die Entwicklungspläne der nächsten Jahrzehnte kennzeichnen. Schon heute entspricht der absolute Energieverbrauch Chinas jenem der USA und wird ihn in den nächsten Jahrzehnten noch deutlich über-steigen (Rogers 2012). Die nachgewiesenen Ölressourcen im Südchinesischen Meer

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umfassen nach Angaben der US-Behörden zwar nur 7,5 Mrd. Barrel Rohöl. Dagegen gehen die chinesischen Behörden davon aus, dass die nicht nachgewiesenen, wirk-lichen Vorkommen weit darüber hinausgehen. Das MinisteriumfürGeologischeRessourcenundihrenAbbau schätzte das Rohölvorkommen auf 17,7 Mrd. Tonnen und korrigierte diese Summe auch gegen die Skepsis US-amerikanischer Beobachter später auf knapp 30 Mrd. Tonnen nach oben (vgl. Shaohua 2006 und Rogers 2012).

Über die Hälfte der chinesischen Öl- und Gasressourcen stammen bislang aus dem Mittleren Osten – insbesondere aus dem Iran. Der Rest wird aus Zentralasien (v.a. Kasachstan) bezogen sowie aus Venezuela, das nach mehreren Investitions-abkommen zum viertgrößten Ölexporteur Chinas geworden ist. Die Kontrolle des Südchinesischen Meeres durch die USA ist eine potenzielle Kontinentalsperre gegen China, da nicht nur der überwiegende Teil des Energieimports, sondern auch vier Fünftel des Warentransportes auf diesem Wege abgewickelt werden. Die chinesische Regierung hat seit 2009 ihre Ansprüche in der Region ungewöhnlich deutlich zum Ausdruck gemacht – u.a. mit dem Kauf eines ersten Flugzeugträgers und seines Einsatzes im Südchinesischen Meer im Sommer 2011.

Die Kontrolle der Handelswege ergänzt die Truppenstationierungen in der Region und wird mit zwei Mitteln betrieben: die USA unterlaufen zum einen geltendes Recht. In der Straße von Hormus ist das US-Militär beispielsweise massiv präsent, ohne (wie durch das Völkerrecht vorgegeben) den Iran um Erlaubnis zu bitten. Zum anderen fördern die USA bilaterale Militärabkommen und Spaltungspotenziale in den umliegenden Ländern – den Philippinen, Indien, Thailand, Australien und Japan. Die Zusammenarbeit mit Indien und Indonesien wird gestärkt (»US Mission to ASEAN«), da die Verletzlichkeit der chinesischen Entwicklungsstrategie durch die Abhängigkeit von der indonesischen Straße von Malakka noch verschärft wird (vgl. Neumann 2011 u. Heydarian 2011). Historische Territorialstreitigkeiten zwischen China und Indien begünstigen dies; im Falle Indonesiens die chinesische Unter-stützung des Aufstands der KP Indonesiens 1965/66, der von dem US-gestützten Diktator Suharto in Blut ertränkt wurde. Die USA verstecken ihre Ambitionen hinter bilateralen Militärabkommen und -manövern und einer erhöhten »number of ship visits« (Clinton 2011) auf den Philippinen und in Vietnam. 35 Jahre nach der Nieder-lage in Vietnam und 15 Jahre nach der Normalisierung der US-vietnamesischen Beziehungen konnten die USA wieder militärische Präsenz zeigen. Zum Ärger der chinesischen Regierung unterstützten sie auch die Vergabe von Ölförderrechten in Vietnam an einen indischen Konzern.

Mit der philippinischen Regierung vereinbarten die USA »Aufklärungsflüge« und sicherten militärische Unterstützung für die Streitigkeiten zu. Das alte Bündnis mit den Philippinen wird durch geteilte Interessen im »War on Terror« erleichtert; die philippinische Regierung führt Krieg gegen die islamische und maoistische Oppo-sition im Innern, der von den USA seit 2002 logistisch, d.h. mit Spezialeinheiten, Ausbildungslagern etc., unterstützt wird. Dies erleichterte auch die Remilitarisierung der größten Militärbasis der USA in Asien, der Subic Bay, die erst 1992 geräumt werden musste (WashingtonPost, 25.1.2012).

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Und dennoch scheinen der Macht der USA vorläufig auch hier Grenzen gesetzt zu sein. Entgegen der Bestrebung, multilaterale Abkommen in der Region und damit die regionale Integration zu vermeiden, einigten sich im Juli 2011 China, Brunei, Malaysia, Vietnam, Taiwan und die Philippinen auf ein multilaterales Vorgehen über ASEAN, dass sich auf die gemeinsame Überwachung der Handelsrouten etc. verständigte. Dass die USA aus diesem Gremium ausgeschlossen werden konnten, mag auf die »Dollardiplomatie« Chinas zurückgehen, mit der die Regierung den Schaden zu beheben suchte, der durch den aggressiven Anspruch aufs Südchinesi-sche Meer verursacht worden war und der die USA beim EastAsiaSummit überhaupt erst ins Spiel gebracht hatte (Ten Kate 2011). Wenn die Verhandlungen erfolgreich sind, schwächen sie die Möglichkeiten der USA, sich als »offshore balancer« gegen »China’s unpeaceful rise« (Mearsheimer 2006) ins Spiel zu bringen.

4.Einbindungvs.Eindämmung–PerspektivenderUS-Strategie

Die USA sind in Folge der gescheiterten Reform im Innern und der austeritätspo-litischen Wende zu einer exportorientierten Wachstumsstrategie übergegangen. Reindustrialisierung bedeutet unter diesen Bedingungen, ausländische Direktinves-titionen einzuwerben, die vom Wertverlust des Dollars und der sinkenden Reallöhne angezogen werden, um marktnah (und nicht für den Export) produzieren zu können (Haug 2012, 297).

Schon vor der Krise kennzeichnete die Weltordnung eine »fragile Hegemonie« der USA (Bieling 2007). Der neue außenpolitische Kurs und der erklärte Domi-nanzwille im asiatisch-pazifischen Raum speist sich aus der wachsenden Sorge vor einer Herausforderung des Dollars als Weltwährung im Rahmen der neuen Süd-Süd-Kooperation im Allgemeinen und der regionalen Integration in Asien im Besonderen. Bilaterale Militärbündnisse sollen potenziellen Herausforderern der US-Hegemonie, v.a. China, signalisieren, dass die USA das nicht dulden werden. Der Aufstieg Chinas soll sich im Rahmen der US-dominierten Weltwirtschaftsordnung vollziehen. Insofern die USA bei dieser Strategie auf Spannungen im asiatisch-pazifischen Raum angewiesen sind, ist entscheidend, wie stabil der Integrationsprozess in der Region ist. Besondere Aufmerksamkeit liegt auf der Entwicklung der chinesischen Außenwirtschaftsdiplomatie, der Tragfähigkeit der neuen binnenwirtschaftlichen Orientierung Chinas und der Auswirkungen auf die Exportkonkurrenz in Asien.

Vieles spricht dafür, dass es dem US-Staat gelingen wird, auch China zu integ-rieren, doch müssen erhebliche ökonomische und politische Widersprüche bearbeitet werden. Welches andere Modell und welcher andere weltwirtschaftliche Motor wird an die Stelle des bisherigen Importeurs letzter Instanz treten, um überschüssiges anlagesuchendes Kapital zu binden? Die Suche nach Alternativen zum US-Dollar wird sich verstärken; und dennoch könnten die größten Gefahren für den Fortbestand des American Empire nicht jenseits, sondern innerhalb der Grenzen des US-Staats liegen. Nach der Hurrikan-Katrina-Katastrophe, die den Zerfall der Infrastruktur in den USA ins Bewusstsein führte, hat sich in den USA eine Imperiumsmüdigkeit breit

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gemacht. Die gegenwärtige Krise hat diese noch verstärkt. Im Juni 2011 sahen laut einer Umfrage im Auftrag von CBS und New York Times 39 Prozent der US-Ameri-kaner ihr Land in einem »permanenten« ökonomischen Niedergang (»permanent and won’t recover«);6 und laut einer Umfrage der PEW-Forschungsgruppe war die Wahrnehmung, dass »China (…) die USA als Weltmacht ablösen (wird) oder (…) bereits ersetzt (hat)«, nicht nur in Westeuropa (Frankreich: 72 %, Spanien: 67 %, Großbritannien: 65 %, Deutschland: 61 %) und in Asien sprunghaft angestiegen, sondern auch in den USA selbst (46 %).7

Die neue Exportstrategie auf der Grundlage verschärfter Ausbeutung der Lohn-arbeit daheim wird die protektionistischen Tendenzen in den USA verstärken. Und die Krise wird auf das amerikanische Selbstbewusstsein wirken. Das American Empire ist ohne den amerikanischen Exzeptionalismus und das entsprechende Sendungsbewusstsein nicht zu denken. Diese ideologische Krise macht die zwischen Protektionismus und Imperialismus oszillierende, radikale Rechte so gefährlich, die die Ursache des Niedergangs im inneren und äußeren Feind sucht. Schon unter Bush zeigte sich ihre Eignung für eine jingoistische Politik, bei der nie eindeutig festzu-stellen war, was denn eigentlich das treibende Moment war: Die radikalisierte rechte Basis oder die Regierung. Wenn die oben nicht mehr so können wie sie wollen, stellt sich die Frage neu, was die unten denn wollen und im Bündnis mit wem. So halten sich wie beim chinesischen Doppelschriftzeichen für »Krise« wohl die »Gefahr« und die »Chance« die Waage.

Literatur

Bieling, Hans-Jürgen, InternationalepolitischeÖkonomie, Wiesbaden 2007Bové, Paul, »Amerika verstehen oder Die amerikanische Ausnahme«, in: DasArgument 252, 45. Jg., 2003, H. 4/5, 511-21Brezinski, Zbigniev, TheGrandChessboard.AmericanPrimacyandItsGeostrategicImpera-tives, New York 1998Brzezinski, Zbigniev, »How Obama Flubbed His Missile Message«. Interview, in: The Daily Beast, 17.9.2009, online: http://www.thedailybeast.com/articles/2009/09/18/how-obama-flubbed-his-missile-message.htmlClinton, Hillary, »America’s Pacific Century«, in: ForeignAffairs, November 2011Friedman, Thomas L., Hot,Flat,andCrowded.WhyWeNeedaGreenRevolution–andHowItCanRenewAmerica.Release2.0UpdatedandExpanded, New York 2009Friedman, Thomas L., ThatUsedtoBeUs.HowAmericaFellBehindintheWorldItInventedandHowWeCanComeBack, New York 2011

6 Vgl. http://s3.documentcloud.org/documents/213045/nytcbspoll.pdf.7 Aus derselben Umfrage geht auch hervor, dass die Außenwirtschaftsdiplomatie Chi-

nas rasche Wirkungen zeigt. So wird der Aufstieg Chinas in den Entwicklungsländern mehrheitlich als etwas Positives angesehen. Dabei ist das Ansehen Chinas nicht nur im asiatisch-pazifischen Raum stark angestiegen (von 9 % auf 58 % in Indonesien, von 8 % auf 34 % in Japan), sondern auch in Westeuropa (in Spanien von 8 % auf 55 %, in Frankreich von 10 % auf 51 % etc.).

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Grimes, William W., »The Asian Monetary Fund Reborn? Implications of Chiang Mai Initiative Multilateralization«, in: Asia Policy, 11. Jg., Nr. 1, 2011Haug, Wolfgang Fritz, Hightech-KapitalismusinderGroßenKrise, Hamburg 2012Heydarian, Javad, »Obama’s B Grade on ASEAN«, in: TheDiplomat, 10.10.2011Mearsheimer, John J., »China’s Unpeaceful Rise«, in: CurrentHistory, 105. Jg., Nr. 690, April 2006, 160ffNeumann, A. Lin, »US-Indonesia? It’s Now A Very Rich Relationship«, in: JakartaGlobe, 4.7.2011, S.6Obama, Barack, »Rede zur Lage der Nation 2012«, in: NewYorkTimes, 25.1.2012Rogers, Will, »Beijing’s South China Sea Gamble«, in: TheDiplomat, 4.2.2012Shaohua, Ma, China’sMultilateralismandtheSouthChinaSeaConflict.QuestforHegemonicStability?, Singapur 2006 (online: https://scholarbank.nus.edu.sg/bitst...pdf?sequence=1)Ten Kate, Daniel, »China Plays Down Sea Spats After Obama Challenge at Summit«, in: BloombergBusinessWeek, 29.11.2011Xuren, Xie, »The U.S. and China – Mutually Beneficial Economic Partners«, in: WashingtonPost, 23.5.2010