Ingar Solty: Kämpferische Resignation. Zum 100. Geburtstag von Alfred Andersch (junge Welt,...

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Dienstag, 4. Februar 2014, Nr. 29 junge Welt 10 thema A m 4. Februar 1914 wurde der Schrift- steller Alfred Andersch in München geboren. Die Stadt war in den fol- genden Jahren geprägt vom Wider- spruch zwischen einerseits linksra- dikaler Kultur, wofür zum Beispiel die Namen von Oskar Maria Graf, Erich Mühsam, Frank Wedekind und später dann auch Bertolt Brecht stehen, und an- dererseits dem von Lion Feuchtwanger in »Erfolg« so brillant geschilderten Aufstieg des »braunen Münchens«. Eine von Anderschs ersten Erinnerun- gen war die Niederschlagung der Räterepublik. In seinem autobiographischen Roman »Die Kirschen der Freiheit«, mit dem ihm 1952 sein literarischer Durchbruch gelang, schildert er, wie das »Gesin- del«, so sein Vater, von Freikorps erschossen wird. Den Aufstieg der Nazis erlebte Andersch ganz nahe: Sein Vater, der zunächst als Tierarzt tätig war und später als Antiquar, Immobilienkaufmann und Versicherungsvertreter ökonomisch scheiterte, trat schon 1920 der NSDAP bei, gründete zusammen mit Rudolf Heß und Alfred Rosenberg die Thule- Gesellschaft und nahm auch im November 1923 am Hitler-Putsch teil. Anderschs Gymnasialdirektor war der Vater von Heinrich Himmler – eine Tatsa- che, die Andersch zur 1980 kurz vor seinem Tod vollendeten, letzten Erzählung veranlaßte: »Der Vater eines Mörders«. Gegen die kleinbürgerliche Welt seines Eltern- hauses, in der der soziale Abstieg durch Auto- ritarismus, Nationalismus, Antisemitismus und Paramilitarismus kompensiert wurde, revoltierte Andersch schon früh. Seinen Vater hatte Andersch als »ständiges Beispiel totalen Versagens« vor sich. Seine Jugend stilisierte er in »Die Kirschen der Freiheit« später als eine Zeit, die ihm bloß wider- fuhr, geprägt von gesellschaftlichen Zwängen und spießbürgerlicher Langeweile, eine »Kindheit wie ein Uhrwerk«. Nachdem Andersch 14jährig das Gymnasium aufgrund schlechter Noten verlassen mußte, ab- solvierte er zunächst eine Buchhändlerlehre. 1929 starb sein Vater. Ein Jahr später trat Andersch – stark beeindruckt von der Lektüre Lenins und Up- ton Sinclairs – in die KPD ein. Der Kommunismus und die marxistischen Analysen etwa eines Nikolai Bucharins oder Eugen Vargas zeigten dem nun- mehr Arbeitslosen das »absolut Neue und andere, und witternd sog ich das Aroma von Leben ein, das mir half, mich aus meiner kleinbürgerlichen Umwelt zu befreien. Das Wort ›Revolution‹ faszi- nierte mich. Mit der Schnelligkeit jähen Begreifens vollzog ich den Übertritt von den nationalistischen Doktrinen meines Vaters zu den Gedanken des Sozialismus, der Menschenliebe, der Befreiung der Unterdrückten, der Internationale und des militan- ten Defätismus.« Ab sofort frequentierte Andersch kommunisti- sche Arbeiterlokale und organisierte KPD-Agit- propveranstaltungen mit. Die Welt des Proletariats erschien ihm als ein Gegenpol der Authentizität, Geradlinigkeit und Ehrlichkeit zur Schein- und An- passerwelt seiner im ökonomischen Abstieg verro- henden Herkunftsklasse. Die »Geistesmacht« der Arbeiterbewegung – repräsentiert durch den von ihm lebenslang verehrten Hans Beimler – kontra- stierte auch noch in »Die Kirschen der Freiheit« wohltuend mit der Kleingeistigkeit, Mediokrität und Ichbezogenheit der Kaufleute und Biedermei- er: »An die abgewetzte Lederjoppe Beimlers denke ich, wenn ich heutzutage einen Kaufmann in zwei- reihigem Anzug und mit einem Teiggesicht das, was er Gedanken nennt, träge zwischen seinen Zäh- nen zerkauen sehe.« Und in Anderschs zweitem, stark vom italienischen Neorealismus beeinflußten Roman »Die Rote« (1960) drückt sich die Neigung zur Einfachheit des proletarischen Lebens und ge- lebter Solidarität darin aus, daß die Lebenswelt der Arbeiter zum Fluchtpunkt des Ausbruchs der Prot- agonistin aus ihren Kleinbürgerverhältnissen gerät. Die Machtübertragung an die Nazis erlebte der 19jährige als Versagen der Arbeiterbewegung. Nach der Besetzung des Münchner Gewerkschafts- hauses hatte er sich einen bewaffneten Aufstand erhofft, um den Faschismus zu stürzen. Noch 1971 in seiner Kurzgeschichte »Jesuskingdutschke« läßt Andersch einen autobiographisch anmutende Figur sagen: »Wir haben damals alle gekuscht, alle ohne Ausnahme. Wir ließen uns einfangen wie die Ha- sen. Niemand, ich wiederhole: niemand ist auf die Idee gekommen, daß man gegen Gewalt Gewalt setzen könnte (…). Du bist nur ein Mädchen, Carla, aber halte dich an die, die kämpfen, wenn sie vor der Gewalt stehen!« Nach dem Reichstagsbrand und der Verhängung des Ausnahmezustands wegen »kommunistischer Umtriebe« inhaftiert, geriet Andersch in »mein lumpiges Vierteljahr Haft« im KZ Dachau. Dort wurde er Zeuge von Erschießungen durch die SS. Diese Erfahrung und das Versagen der Arbeiter- bewegung, mithin auch seiner Partei, der KPD, führten bei ihm zu einer anhaltenden Depression, zur »totalen Introversion« und Flucht in den »Kult eines realitätsabgewandten Kunstjüngertums«. Die Traumatisierung ging so weit, daß »der Gedanke, ich könne nach Spanien gehen, mir niemals ge- kommen ist«. Voller Schuldgefühle schreibt An- dersch später über eine zweite Verhaftung am 9. September 1933: »An jenem Tag wäre ich zu jeder Aussage bereit gewesen, die man im Verhör von mir verlangt hätte. Man hätte mich nicht einmal zu schlagen brauchen.« Die zwölf Jahre des »Tausend- jährigen Reichs« wird er zurückgezogen und fern von Exil, Widerstand und Spanischem Bürgerkrieg der Genossen verbringen. Literaturwissenschaftler sprechen deshalb auch vom »Schuldkomplex« in seinem literarischen Werk. Die Verantwortung des einzelnen 1934 heiratete Andersch und arbeitete bis zur Ein- berufung durch die Wehrmacht im Verlagswesen und in der Werbung in Hamburg. In dieselbe Zeit fallen seine ersten literarischen Gehversuche. Seine erste Kurzgeschichte erschien sechs Wochen bevor er am 6. Juni 1944 (»mein ganz kleiner privater 20. Juli«) desertierte. Er begab sich in US-Kriegsge- fangenschaft, literarisch verarbeitet in der Kurzge- schichte »Festschrift für Captain Fleischer«. Hier entwickelte er nicht nur eine besondere Zuneigung zur US-amerikanischen realistischen Erzähltradi- tion, sondern kam auch wieder mit Genossen in Berührung, da frühere KZ-Häftlinge von den »nor- malen« Kriegsgefangenen getrennt untergebracht wurden. Unter dem Eindruck des Existentialismus konzipierte Andersch später in »Die Kirschen der Freiheit« die Desertion als Akt der (Willens-)Frei- heit des einzelnen und Rebellion gegen das von den existierenden Gewalten scheinbar vorgezeichnete Schicksal. Sie habe seinem Leben wieder einen »Sinn verliehen und wurde von da an zur Achse, um die sich das Rad meines Lebens dreht«. Tatsächlich wird dies das große Thema An- derschs ästhetischer Praxis: die Verantwortung für den und die Entscheidung des Einzelnen in den gro- ßen politischen Zeitfragen und historisch-gesell- schaftlichen Alltagskontexten und das individuelle Streben nach der politisch richtigen Haltung und Handlung; außerdem das Über-sich-selbst-Hinaus- wachsen und Ausbrechen aus scheinbarer Alter- nativlosigkeit. In Anderschs Erzählungen taucht diese Thematik in stets neuer Gestalt wieder auf. So in der Entscheidung einer Gruppe von Nazi- gegnern unterschiedlicher Provenienz – der unver- stellt kommunistische Arbeiter Knudsen, der KPD- Funktionär Gregor, der bürgerlich-antifaschistische Pfarrer Helander – in »Sansibar oder der letzte Grund« zum Widerstand gegen die faschistische Barbarei und zur Verantwortungsübernahme für Fremde, auch bei Gefahr für das eigene Leben; in der Entscheidung von Franziska in »Die Rote«, das kleinbürgerliche Leben mit ihrem Ehemann Her- bert und Liebhaber-Chef Joachim zurückzulassen und dem unbehaglichen Behagen die Nacktheit der Existenz und das wahre, da unabhängige Leben vorzuziehen. Der Sinn des Lebens ist es, wie es in »Die Ro- te« heißt, »unfähig« zu sein, »mit einer Illusion zu leben«. Es liegt nahe, daß Andersch hier wie auch in anderen Werken auch sein Versagen im Fa- schismus verarbeitete. Nach seinem Tod 1980 gab es Stimmen, die die Integrität Anderschs deshalb hinterfragten. Der Schriftsteller Winfried Georg Sebald warf ihm 1993 vor, Andersch sei den moralisch-poli- tischen Maßstäben seiner Romane nicht gerecht geworden. So habe er seine »halbjüdische« Frau Angelika Albert, deren Mutter bereits in Theresi- enstadt ermordet worden war, mit einer Trennung stark gefährdet. Mehr noch: Seinem gemutmaß- ten krankhaften Ehrgeiz und unbedingten Willen, Schriftsteller zu werden, habe er alles untergeord- net, etwa als er in seinem Aufnahmeantrag in die Reichsschrifttumskammer die anstehende Schei- dung als bereits vollzogen darstellte, während er später in Kriegsgefangenschaft die Chuzpe besaß, von Albert als »meiner Frau« zu sprechen, um frühzeitig entnazifiziert nach Deutschland zurück- kehren zu können. Sebalds Angriffe wurden auf- grund ihres »moralischen Rigorismus« grosso mo- do zurückgewiesen, und doch blieb etwas an Autor und Werk kleben, da Andersch mit lebenslangem Insistieren auf der Wahrhaftigkeit des Autobiogra- phischen in seinem Werk gerade die »Fallhöhe« vorgegeben habe. In jüngster Zeit ist deshalb seine Biographie noch genauer durchleuchtet worden. Mittlerweile wird – tatsächlich aus guten Gründen und nach sorgfältiger Forschung – von Rolf Seubert infrage gestellt, ob Andersch überhaupt im KZ und nicht »bloß« in Gestapo-Haft war. Der Vorwurf lautet nun, er habe sich mit den Mitteln der Ästhetik eine Wunschbiographie des Widerständigen und Non- konformismus geschaffen, die ihm nicht zustehe. Für einen Schriftsteller, dessen Werkmittelpunkt Kämpferische Resignation Literatur  u Erst in der KPD, dann Flucht in die »totale Introversion« während der Naziherrschaft. Seine linke Melancholie legte der Schriftsteller erst spät ab: Vor 100 Jahren wurde Alfred Andersch geboren. Von Ingar Solty Szene aus dem Heimatfilm »Geier-Wally«, BRD 1956: Andersch setzte mit »Sansibar oder der letzte Grund« ein Zeichen gegen den postfaschistisch- restaurativen Muff der Adenauer-Zeit  GEORG GöBEL/DPA

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In Heiner Müllers großem Revolutionsstück "Der Auftrag" findet sich der Satz: „Ich fürchte mich vor der Schande, auf dieser Welt glücklich zu sein.“ Niemandem war diese Schande wohl vertrauter als dem großen revolutionären Moralisten Alfred Andersch. Sein Werk und sein Leben verhandeln mit der Schande des persönlichen Versagens nach 1933 unser aller menschliches Versagen in den gesellschaftlichen Zeitfragen, in die wir bis ins kleinste Detail verstrickt sind und die von unserem Handeln abhängen. In Zeiten, in denen endlich die Frage diskutiert wird, warum die heutige deutschsprachige Literatur so „brav und konformistisch“ sei, lohnt es, sich ein Beispiel am Nonkonformisten des Wortes und der Tat zu nehmen, an Alfred Andersch.

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Page 1: Ingar Solty: Kämpferische Resignation. Zum 100. Geburtstag von Alfred Andersch (junge Welt, 4.2.2014, S.10-11)

Dienstag, 4. Februar 2014, Nr. 29 junge Welt 1 0 t h e m a

Am 4. Februar 1914 wurde der Schrift-steller Alfred Andersch in München geboren. Die Stadt war in den fol-genden Jahren geprägt vom Wider-spruch zwischen einerseits linksra-

dikaler Kultur, wofür zum Beispiel die Namen von Oskar Maria Graf, Erich Mühsam, Frank Wedekind und später dann auch Bertolt Brecht stehen, und an-dererseits dem von Lion Feuchtwanger in »Erfolg« so brillant geschilderten Aufstieg des »braunen Münchens«. Eine von Anderschs ersten Erinnerun-gen war die Niederschlagung der Räterepublik. In seinem autobiographischen Roman »Die Kirschen der Freiheit«, mit dem ihm 1952 sein literarischer Durchbruch gelang, schildert er, wie das »Gesin-del«, so sein Vater, von Freikorps erschossen wird. Den Aufstieg der Nazis erlebte Andersch ganz nahe: Sein Vater, der zunächst als Tierarzt tätig war und später als Antiquar, Immobilienkaufmann und Versicherungsvertreter ökonomisch scheiterte, trat schon 1920 der NSDAP bei, gründete zusammen mit Rudolf Heß und Alfred Rosenberg die Thule-Gesellschaft und nahm auch im November 1923 am Hitler-Putsch teil. Anderschs Gymnasialdirektor war der Vater von Heinrich Himmler – eine Tatsa-che, die Andersch zur 1980 kurz vor seinem Tod vollendeten, letzten Erzählung veranlaßte: »Der Vater eines Mörders«.

Gegen die kleinbürgerliche Welt seines Eltern-hauses, in der der soziale Abstieg durch Auto-ritarismus, Nationalismus, Antisemitismus und Paramilitarismus kompensiert wurde, revoltierte Andersch schon früh. Seinen Vater hatte Andersch als »ständiges Beispiel totalen Versagens« vor sich. Seine Jugend stilisierte er in »Die Kirschen der Freiheit« später als eine Zeit, die ihm bloß wider-fuhr, geprägt von gesellschaftlichen Zwängen und spießbürgerlicher Langeweile, eine »Kindheit wie ein Uhrwerk«.

Nachdem Andersch 14jährig das Gymnasium aufgrund schlechter Noten verlassen mußte, ab-solvierte er zunächst eine Buchhändlerlehre. 1929 starb sein Vater. Ein Jahr später trat Andersch – stark beeindruckt von der Lektüre Lenins und Up-ton Sinclairs – in die KPD ein. Der Kommunismus und die marxistischen Analysen etwa eines Nikolai Bucharins oder Eugen Vargas zeigten dem nun-mehr Arbeitslosen das »absolut Neue und andere, und witternd sog ich das Aroma von Leben ein, das mir half, mich aus meiner kleinbürgerlichen Umwelt zu befreien. Das Wort ›Revolution‹ faszi-nierte mich. Mit der Schnelligkeit jähen Begreifens vollzog ich den Übertritt von den nationalistischen Doktrinen meines Vaters zu den Gedanken des Sozialismus, der Menschenliebe, der Befreiung der Unterdrückten, der Internationale und des militan-ten Defätismus.«

Ab sofort frequentierte Andersch kommunisti-sche Arbeiterlokale und organisierte KPD-Agit-propveranstaltungen mit. Die Welt des Proletariats erschien ihm als ein Gegenpol der Authentizität, Geradlinigkeit und Ehrlichkeit zur Schein- und An-passerwelt seiner im ökonomischen Abstieg verro-henden Herkunftsklasse. Die »Geistesmacht« der Arbeiterbewegung – repräsentiert durch den von ihm lebenslang verehrten Hans Beimler – kontra-stierte auch noch in »Die Kirschen der Freiheit« wohltuend mit der Kleingeistigkeit, Mediokrität und Ichbezogenheit der Kaufleute und Biedermei-er: »An die abgewetzte Lederjoppe Beimlers denke ich, wenn ich heutzutage einen Kaufmann in zwei-reihigem Anzug und mit einem Teiggesicht das, was er Gedanken nennt, träge zwischen seinen Zäh-nen zerkauen sehe.« Und in Anderschs zweitem, stark vom italienischen Neorealismus beeinflußten Roman »Die Rote« (1960) drückt sich die Neigung zur Einfachheit des proletarischen Lebens und ge-lebter Solidarität darin aus, daß die Lebenswelt der Arbeiter zum Fluchtpunkt des Ausbruchs der Prot-agonistin aus ihren Kleinbürgerverhältnissen gerät.

Die Machtübertragung an die Nazis erlebte der 19jährige als Versagen der Arbeiterbewegung.

Nach der Besetzung des Münchner Gewerkschafts-hauses hatte er sich einen bewaffneten Aufstand erhofft, um den Faschismus zu stürzen. Noch 1971 in seiner Kurzgeschichte »Jesuskingdutschke« läßt Andersch einen autobiographisch anmutende Figur sagen: »Wir haben damals alle gekuscht, alle ohne Ausnahme. Wir ließen uns einfangen wie die Ha-sen. Niemand, ich wiederhole: niemand ist auf die Idee gekommen, daß man gegen Gewalt Gewalt setzen könnte (…). Du bist nur ein Mädchen, Carla, aber halte dich an die, die kämpfen, wenn sie vor der Gewalt stehen!«

Nach dem Reichstagsbrand und der Verhängung des Ausnahmezustands wegen »kommunistischer Umtriebe« inhaftiert, geriet Andersch in »mein lumpiges Vierteljahr Haft« im KZ Dachau. Dort wurde er Zeuge von Erschießungen durch die SS. Diese Erfahrung und das Versagen der Arbeiter-bewegung, mithin auch seiner Partei, der KPD, führten bei ihm zu einer anhaltenden Depression, zur »totalen Introversion« und Flucht in den »Kult eines realitätsabgewandten Kunstjüngertums«. Die Traumatisierung ging so weit, daß »der Gedanke, ich könne nach Spanien gehen, mir niemals ge-kommen ist«. Voller Schuldgefühle schreibt An-dersch später über eine zweite Verhaftung am 9. September 1933: »An jenem Tag wäre ich zu jeder Aussage bereit gewesen, die man im Verhör von mir verlangt hätte. Man hätte mich nicht einmal zu schlagen brauchen.« Die zwölf Jahre des »Tausend-jährigen Reichs« wird er zurückgezogen und fern von Exil, Widerstand und Spanischem Bürgerkrieg der Genossen verbringen. Literaturwissenschaftler sprechen deshalb auch vom »Schuldkomplex« in seinem literarischen Werk.

Die Verantwortung des einzelnen1934 heiratete Andersch und arbeitete bis zur Ein-berufung durch die Wehrmacht im Verlagswesen und in der Werbung in Hamburg. In dieselbe Zeit

fallen seine ersten literarischen Gehversuche. Seine erste Kurzgeschichte erschien sechs Wochen bevor er am 6. Juni 1944 (»mein ganz kleiner privater 20. Juli«) desertierte. Er begab sich in US-Kriegsge-fangenschaft, literarisch verarbeitet in der Kurzge-schichte »Festschrift für Captain Fleischer«. Hier entwickelte er nicht nur eine besondere Zuneigung zur US-amerikanischen realistischen Erzähltradi-tion, sondern kam auch wieder mit Genossen in Berührung, da frühere KZ-Häftlinge von den »nor-malen« Kriegsgefangenen getrennt untergebracht wurden. Unter dem Eindruck des Existentialismus konzipierte Andersch später in »Die Kirschen der Freiheit« die Desertion als Akt der (Willens-)Frei-heit des einzelnen und Rebellion gegen das von den existierenden Gewalten scheinbar vorgezeichnete Schicksal. Sie habe seinem Leben wieder einen »Sinn verliehen und wurde von da an zur Achse, um die sich das Rad meines Lebens dreht«.

Tatsächlich wird dies das große Thema An-derschs ästhetischer Praxis: die Verantwortung für den und die Entscheidung des Einzelnen in den gro-ßen politischen Zeitfragen und historisch-gesell-schaftlichen Alltagskontexten und das individuelle Streben nach der politisch richtigen Haltung und Handlung; außerdem das Über-sich-selbst-Hinaus-wachsen und Ausbrechen aus scheinbarer Alter-nativlosigkeit. In Anderschs Erzählungen taucht diese Thematik in stets neuer Gestalt wieder auf. So in der Entscheidung einer Gruppe von Nazi-gegnern unterschiedlicher Provenienz – der unver-stellt kommunistische Arbeiter Knudsen, der KPD-Funktionär Gregor, der bürgerlich-antifaschistische Pfarrer Helander – in »Sansibar oder der letzte Grund« zum Widerstand gegen die faschistische Barbarei und zur Verantwortungsübernahme für Fremde, auch bei Gefahr für das eigene Leben; in der Entscheidung von Franziska in »Die Rote«, das kleinbürgerliche Leben mit ihrem Ehemann Her-bert und Liebhaber-Chef Joachim zurückzulassen und dem unbehaglichen Behagen die Nacktheit

der Existenz und das wahre, da unabhängige Leben vorzuziehen.

Der Sinn des Lebens ist es, wie es in »Die Ro-te« heißt, »unfähig« zu sein, »mit einer Illusion zu leben«. Es liegt nahe, daß Andersch hier wie auch in anderen Werken auch sein Versagen im Fa-schismus verarbeitete. Nach seinem Tod 1980 gab es Stimmen, die die Integrität Anderschs deshalb hinterfragten.

Der Schriftsteller Winfried Georg Sebald warf ihm 1993 vor, Andersch sei den moralisch-poli-tischen Maßstäben seiner Romane nicht gerecht geworden. So habe er seine »halbjüdische« Frau Angelika Albert, deren Mutter bereits in Theresi-enstadt ermordet worden war, mit einer Trennung stark gefährdet. Mehr noch: Seinem gemutmaß-ten krankhaften Ehrgeiz und unbedingten Willen, Schriftsteller zu werden, habe er alles untergeord-net, etwa als er in seinem Aufnahmeantrag in die Reichsschrifttumskammer die anstehende Schei-dung als bereits vollzogen darstellte, während er später in Kriegsgefangenschaft die Chuzpe besaß, von Albert als »meiner Frau« zu sprechen, um frühzeitig entnazifiziert nach Deutschland zurück-kehren zu können. Sebalds Angriffe wurden auf-grund ihres »moralischen Rigorismus« grosso mo-do zurückgewiesen, und doch blieb etwas an Autor und Werk kleben, da Andersch mit lebenslangem Insistieren auf der Wahrhaftigkeit des Autobiogra-phischen in seinem Werk gerade die »Fallhöhe« vorgegeben habe.

In jüngster Zeit ist deshalb seine Biographie noch genauer durchleuchtet worden. Mittlerweile wird – tatsächlich aus guten Gründen und nach sorgfältiger Forschung – von Rolf Seubert infrage gestellt, ob Andersch überhaupt im KZ und nicht »bloß« in Gestapo-Haft war. Der Vorwurf lautet nun, er habe sich mit den Mitteln der Ästhetik eine Wunschbiographie des Widerständigen und Non-konformismus geschaffen, die ihm nicht zustehe. Für einen Schriftsteller, dessen Werkmittelpunkt

 Kämpferische ResignationLiteratur u Erst in der KPD, dann Flucht in die »totale Introversion« während der Naziherrschaft. Seine linke Melancholie legte der Schriftsteller erst spät ab: Vor 100 Jahren wurde Alfred Andersch geboren. Von Ingar Solty

Szene aus dem Heimatfilm »Geier-Wally«, BRD 1956: Andersch setzte mit »Sansibar oder der letzte Grund« ein Zeichen gegen den postfaschistisch-restaurativen Muff der Adenauer-Zeit 

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Page 2: Ingar Solty: Kämpferische Resignation. Zum 100. Geburtstag von Alfred Andersch (junge Welt, 4.2.2014, S.10-11)

junge Welt Dienstag, 4. Februar 2014, Nr. 29 1 1t h e m aletzterer ist, kommen diese Vorwürfe zwangsläufig Angriffen auf das gesamte Schaffen gleich, die auch die Feierlichkeiten anläßlich seines 100. Ge-burtstags überdauern dürften. Schon Sebald hatte direkt von der »Kompromittiertheit Anderschs« auf die »Kompromittiertheit der Literatur« geschlos-sen.

Der Konformismusvorwurf an den Schriftsteller des Nonkonformismus wird auch dadurch begün-stigt, daß er vor allem für sein Werk der 1950er berühmt ist, das in der Tat von einer eigentümlichen Ambivalenz geprägt ist: Einer Haltung der kämpfe-rischen Resignation, der resignativen Opposition, einer Mischung aus pessimistischer Melancholie und starker Behauptung des Willens zum politi-schen Handeln. Die Charakterisierung von Faul-kners »Wild Palms« in »Die Rote« könnte ebenso gut auf den Andersch dieser Phase gemünzt sein: »Sehr intelligent, sehr wild, nein, das reicht nicht aus: ein rasendes Buch, eine in Raserei gegen das Schicksal erhobene Faust, aber man weiß, daß sie gesenkt werden wird, sich senken, doch Faust blei-ben wird, ruhig, aber gespannt neben dem Schenkel hängen wird, besiegt, aber wachsam.«

Nicht entmutigtDer Widerspruch, der in Anderschs linker Melan-cholie liegt, läßt sich entschlüsseln, wenn man sie auf die Konjunkturen der westlich-linken Oppositi-on im Zeitalter der Systemkonkurrenz bezieht. Mit dieser Methode ließe sich zeigen, wie Andersch mit einigem Erfolg gegen die Anpassung ankämpfte und dabei großen Mut an den Tag legte, der unter den Bedingungen des Kalten Krieges notwendig war. Er zeigte sich zwar vom Parteikommunismus desillusioniert, verweigerte sich aber zugleich ve-hement dem Renegatentum.

Anderschs nonkonformistischer Mut bestand zunächst darin, daß er nach seiner Rückkehr in die BRD des »erzwungenen Kapitalismus« und der »verhinderten Neuordnung«, der postfaschisti-schen Elitenkontinuität (von ihm am Beispiel des Inspektors Kramer in »Die Rote« gegeißelt), der Westintegration und Remilitarisierung zusammen mit dem Schriftstellerkollegen Hans Werner Rich-ter die einflußreiche Zeitung Der Ruf gründete. Mit ihr propagierte er einen »sozialistischen Huma-nismus« und trat für ein neutrales, sozialistisches Deutschland ein, das, so Andersch rückblickend, »außen- und innenpolitisch als Brücke zwischen den Westmächten und der Sowjetunion dienen soll-te«. Auch die berühmte »Gruppe 47«, die Andersch und Richter nach dem faktischen Verbot von Der Ruf durch die US-Besatzungsbehörden zusammen initiierten, wurde, so Richter, »nicht von Literaten«, sondern von »politisch engagierten Publizisten mit literarischen Ambitionen« gegründet.

Anderschs Mut bestand ferner darin, daß er in-mitten der postfaschistisch-restaurativen Kultur in der BRD, in der mit Schlager, Heimatfilm und wehrmachtsnostalgischen Landser-Heften ein Mantel des Schweigens über die faschistischen Verbrechen gelegt wurde, ja auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zwischen Adenauer-Erlaß, der öffentlich Bedienstete auf die Verfassungstreue ver-pflichtete, KPD-Verbot, Godesberger Programm und Kuba-Krise in »Sansibar oder der letzte Grund« dem tabuisierten proletarisch-kommunistischen Widerstand gegen den Faschismus Anerkennung verschaffte.

Anderschs Mut bestand weiter auch in der »mo-ralischen und politischen Tat« (Reich-Ranicki). Mit »Die Kirschen der Freiheit« bekannte er sich inmitten der Remilitarisierung öffentlich zu seiner Desertion, was seinerzeit noch Brandmarkungen als »Feigling«, »Kameradenschwein« und »Volks-verräter« nach sich zog. Zu einer Zeit, als die fa-schistische »Volksgemeinschaft« das Bewußtsein in der BRD noch maßgeblich prägte, war es ein Befreiungsakt, daß Andersch den Deserteur als Sinnbild des Widerstands des Individuums und »Anleitung zur Flucht als Protest« behauptete, wie es sein lebenslanger Freund Arno Schmidt beschrieb.

Wenngleich der Fluchtimpuls in Anderschs Werk stets präsent blieb, unterschied sich seine Konzeption jedoch vom schlichten Exodus aus der als falsch erkannten Wirklichkeit. Tatsächlich sind »die alten Geschichten von der Flucht ins Pa-radies«, die inselmetaphorischen Sehnsuchtsorte, mit denen Andersch spielt, keine Lösung, son-dern Traumwelten, die zu überwinden für seine Protagonisten Aufgabe des Willens zur Wahrheit ist. »Man kann nicht untertauchen«, schreibt An-

dersch in »Die Rote«. »Man kann fortgehen, aber nur, um zu entdecken, daß man wieder irgendwo angekommen ist. Man verläßt Menschen, um un-ter Menschen aufzutauchen.«

Dies gehörte alles zur Opposition. Wie aber ist der Unterton der Resignation, mit der die Protago-nisten seines Erzählwerks ringen, einzuschätzen? Aus Brechts »Me-ti« stammt der Satz: »Eine der größten Taten der Klassiker war es, daß sie ohne je-de Entmutigung auf den Aufstand verzichteten, als sie die Lage verändert sahen. Sie sagten eine Zeit nochmaligen Aufschwungs der Unterdrücker und Ausbeuter voraus und stellten ihre Tätigkeit darauf um. Und weder ihr Zorn gegen die Herrschenden wurde geringer, noch ließen ihre Anstrengungen, sie zu stürzen, nach.«

Andersch historisch zu rekonstruieren müßte entsprechend bedeuten, seine linke Melancholie in den Kontext der 1950er Jahre (Restaurierungs-BRD) einzuordnen, in der ein radikaler politischer Ästhet auf den eigenen individuellen Mut zurück-geworfen war bzw. sich so sehen konnte, weil auch er unter den Bedingungen eines »nochmaligen Aufschwungs« schrieb. Was Marx und Engels die kapitalistische Boomphase von 1848 ff. war, bedeu-tete Andersch die Jahre nach 1945: Das »Goldene Zeitalter des Kapitalismus« war geprägt von zeit-gleich steigenden Profiten und Reallöhnen, was bei der linksoppositionellen Intelligenzija jener Zeit den Eindruck einer Ruhigstellung der Klas-senkonfrontation und einer »konsumgesellschaftli-chen« »Verkleinbürgerlichung« der Arbeiterklasse hinterließ. Anderschs »desillusionierte«, resigna-tive Opposition war Ausdruck dieser historischen Sonderkonstellation. Aus ihr entstand eine auf Dissidenz und »Differance« setzende, universelle Randgruppenstrategie: Das was für Michel Fou-cault die psychisch Kranken, für Herbert Marcuse die kiffenden und vögelnden Leistungsverweigerer, für Pier Paolo Pasolini die Homosexuellen und Kleinkriminellen waren, blieben für Andersch die marginalisierten Kommunisten, Sozialisten, und Juden, selbstbewußte Frauen, die schwule Bohème und marxistische Priester-Intellektuelle. Kurzum: Seine heroischen Außenseiter waren die reflek-tierten, die ernsten, moralischen Menschen, mutig-widerständige Humanisten wie Pfarrer Helander aus »Sansibar«.

Unter diesen Bedingungen schilderte der Au-tor von »Sansibar oder der letzte Grund« diese Desillusionierung nicht im antikommunistischen Geist, sondern als ein Verrat der Revolution an den Revolutionären, zu denen er sich selbst noch zählte. Marcel Reich-Ranicki begriff dies, als er ihn in seinem Nachruf als »enttäuschten Revolutionär« bezeichnete. Die Revolution hatte Andersch durch ihr Ausbleiben 1933 und 1945 enttäuscht. In »Die Rote« reflektiert der klar als Andersch erkennbare kommunistische Antifaschist Fabio Crepaz über

sein Leben: »Er hatte sich in seiner Jugend für die Aktion entschlossen, aber von einem gewissen Au-genblick an hatte die Aktion ihn im Stich gelassen.« Doch am Begriff der Revolution hielt Andersch weiterhin fest. Sein Biograph Stephan Reinhardt charakterisierte seine Haltung deshalb so: »Er war resigniert, aber dieser Resignation nicht zur Gänze verfallen. Er befand sich in Wartestellung, in dieser Zeit der ›Unentschiedenheit‹.«

Zum Handeln erwachtDie kollektive »Erweckung« des Jahres 1968 ließ aber nun auch bei Andersch das resignative Mo-ment zurücktreten, sein Optimismus wurde ge-stärkt. In der Sekundärliteratur ist hier von seinem »Wiederfinden der Linken« die Rede. Allerdings blieb Anderschs Verhältnis zu den 68ern nicht ganz konfliktfrei. Er begrüßte die APO, aber die Reakti-on des Staates und die Springer-Demagogie wertete er als »Mordhetze« mit der »Vorbereitung zum Pogrom«, wie es in »Jesuskingdutschke« heißt, weshalb er nach dem Attentat auf Rudi Dutschke an den damaligen Justizminister Gustav Heinemann schrieb: »Wo bleiben Ihre Maßnahmen gegen Axel Springer, der nun seit Jahren das Gesindel ge-gen die deutsche Jugend und den deutschen Geist hetzt? Wann verbieten Sie endlich die NPD und die Nationalzeitung (...)? Der Feind steht rechts, Herr Minister!«

Ulrike Meinhof hatte in Konkret einmal geschrie-ben: Im Unterschied zur neuen Generation radikal-linker Literaten sei die Gruppe 47 »nie linker als die SPD gewesen«; sie sei die »Sozialdemokratie un-ter der Literatur«. Politisch hatte Andersch jedoch auch in der Phase des fordistischen Biedermeiers stets links von der SPD gestanden, was im Kalten Krieg immerhin an den Rand der Kriminalisierung führte. Im Gegensatz zu Teilen der Gruppe 47 wollte er sich von der Sozialdemokratie nicht ver-einnahmen lassen. Besonders unversöhnlich stand er ihr angesichts ihrer Rolle in der Remilitarisie-rung und wegen ihres Godesberger Programms von 1959 gegenüber. Nun aber forderte er, ganz im Sinne Heinrich Bölls und unter den Bedingun-gen der sozialliberalen Koalition, eine »wirksame linke Partei anstelle der SPD«. Und mit dem un-vollendeten »Seesack«-Projekt über Hans Beimler bezweckte er, seine Position zum KPD-Verbot 1956 zu korrigieren, das er – vor dem Hintergrund des Bedeutungsverlustes der Partei und der Folgen des XX. Parteitags der KPdSU – noch »mit einem Achselzucken registriert« hatte. Die oft schlechte Agitpropliteratur der neuen Linken und namentlich Hans-Magnus Enzensberger, der eine »Literatur der kleinen Schritte« mit »unmittelbar eingreifender Wirkung« forderte, kritisierte Andersch von links als »unmarxistische Bilderstürmerei und pseudo-revolutionäre Kleinbürgerideologie«. Er zog sich

auf den Standpunkt Walter Benjamins und Ernst Blochs zurück, die beklagt hatten, »daß die Linke zuwenig Gefühle besetzte, kaum emotionale Wär-meströme hervorrief«.

Zugleich rückte die Frage des politischen Han-delns immer stärker in den Mittelpunkt. So kämpfte Andersch gegen den 1972 von der SPD-Regierung unter Willy Brandt beschlossenen »Radikalener-laß«. Mit dem Gedicht »Artikel 3 (3)« schrieb er gegen die Berufsverbote an, die ihm als »faschisti-sches Krebsgeschwür« und »Affäre Dreyfus der zweiten deutschen Republik« erschienen. Darin heißt es: »Ein Volk von Exnazis und ihren Mitläu-fern betreibt schon wieder seinen Lieblingssport: Die Hetzjagd auf Kommunisten Sozialisten Huma-nisten Dissidenten Linke (…). Wie gehabt / Ein Ge-ruch breitet sich aus / Der Geruch einer Maschine / Die Gas erzeugt.« Empörung und Angriffe (»linker Faschist«) folgten. Nur wenige wie Böll, Jean Amé-ry und Iring Fetscher verteidigten ihn.

Nach einer Reise zu einer sowjetischen Litera-turtagung zeigte er sich vom »Friedenswillen im Lande«, den er förmlich »rieche«, so beeindruckt, daß er sich zu seinem Botschafter machen wollte. In einem offenen Brief kritisierte er, daß es »ab-surd« sei, »daß Regierung und Bevölkerung der Bundesrepublik den Russen kriegerische Absich-ten unterstellten, obgleich die Deutschen gerade erst unter Hitler die Sowjetunion überfallen und ihr schwerstes Leid zugefügt hatten«. Und der »unter-gehenden römischen Spätantike« des Kapitalismus stellte er nun gar den Realsozialismus als »aufstei-gendes konstantinisches Christentum« entgegen, dessen Illiberalität er jetzt für etwas bloß Vorüber-gehendes hielt: »Sterbende Gesellschaften« seien »liberal bis zur Sittenlosigkeit, neue, aufsteigende immer puritanisch«. Er sei »überzeugt, daß der Kapitalismus nicht mehr imstande ist, die Probleme zu lösen, die er selber erzeugt hat, und daß sie nur gelöst werden können durch Sozialismus, durch weltumspannende Planung sozialistischer Arbeit«. Und er fügte hinzu: »Für unsere kalten Krieger bin ich damit selbstverständlich ›auf die Absichten kommunistischer Propaganda‹ reingefallen. Das ficht mich nicht an.«u Ingar Solty ist Mitarbeiter des Forschungs-projekts »Europe in an Era of Political and Economic Crises« an der York University in To-ronto. Er schrieb zuletzt am 18.1.2014 auf diesen Seiten über die Austeritätspolitik der USA.

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